Nikolaus Harnoncourt pro und contra

  • Edwins Ausführungen werden hiermit von mir persönlich genehmigt ;) , inhaltlich und der Form nach, obwohl er schon wieder über IHN gemosert hat :rolleyes: . Aber eines möchte ich doch anmerken:



    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Nun: Harnoncourt hat sehr viel in Bewegung gesetzt. Ich bin überzeugt, daß es die Originalklang-Bewegung früher oder später auch ohne ihn gegeben hätte. Aber ich glaube auch, daß sie anders ausgesehen hätte.
    Harnoncourt war ihr Pionier, ihr Vordenker. Was er hier geleistet hat, nimmt ihm niemand aufgrund eines vielleicht nicht ideal aufgeführten "Figaro" (der obendrein wegen einer Provinzprimadonna gehyped und dadurch mit einer falschen Erwartungshaltung versehen wurde) wieder weg.


    H hat die Originalklangbewegung nicht erfunden, die Urspünge liegen schon viel früher, beginnend in den 20er Jahren (Neue Sachlichkeit, Hermann Diener u.a.). Ich verweise auf die sehr unfangreichen und informativen Ausführungen von Elste (einem H-Anhänger) in seinem Buch über die Bachrezeption.


    H war allerdings der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort, will sagen, er hat der O-Klang - Idee zum breitenwirksamen Durchbruch verholfen. Das schmälert seine Verdienste keineswegs, bringt sie nur in den richtigen historischen Zusammenhang. Die Erkenntnisse seiner Vorgänger blieben idR auf einen kleinen Kreis von Spezialisten beschränkt, das große Publikum erreichten sie nicht. Auch blieb ihnen - deshalb wieder ein klares Verdienst von H - der Einfluß auf die allgemeine Konzertpraxis versagt.

  • ganz meiner art gemäß möchte ich nur randständig anmerken:


    Zitat

    Original von die winterreisende
    ... Büchern Harnoncourts und in seiner Biographie (von Monika Mendt). Ich mag mich irren,...


    genau, die hagiographin heißt mertl.


    Zitat

    Original von ulricus
    Die Pioniertaten sind aber für NH längst vorbei... da sind nun andere andere Reihe [IMO].


    Was mich übrigens irritiert hat [dies als Zusatz oder besser Nachholen], war die Bezeichnung "Altersstarrsinn"...


    der herr wird bald 80.


  • Überhaupt nicht! Die "Slawischen Tänze" sind IMO ein Meisterwerk und vielleicht bedingt durch ihre leichte Zugänglichkeit nicht zu unterschätzen.
    Es ist doch wundervoll, daß all die Musik Original Dvorak ist :yes: :]


    :hello:
    Wulf.

  • Hallo,


    Es gibt hier (klick!) einen interessanten O-Ton Harnoncourts zu hören ( ist etwas länger,
    also bitte Zeit mitbringen)
    Anlässlich der Salzburger Mozartwoche ( vor dem Salzburger Figaro)wurde dieses öffentliche Gespräch vom ORF aufgezeichnet und liegt noch als Audiofile im Netz.
    Hier nimmt Harnoncourt selbst recht detailliert zu Tempofragen beim Figaro Stellung, auch zur Temporelation und zum Tempo der Ouvertüre.
    (Um darauf im Einzelnen einzugehen, wäre dieser Thread m.E. nicht der richtige Ort, weil es zu speziell wird.)
    Jedem sei seine Sicht der Dinge zugestanden, doch meine ich behaupten zu können, dass man allein aus diesem live gesprochenen Text schon erkennen muss, dass den interpretatorischen Ergebnissen Harnoncourts eine sehr genauer und fundierter Prozess des Forschens, Anzweifelns und Reflektierens vorausgegangen ist.
    Ob dann diese Ergebnisse immer mit dem persönlichen Hörer-Geschmack kongruent sind, ist eine zunächst eine ganz andere Ebene.
    Von der ab und zu unterstellten unverantwortlichen Willkür, die nur einzig und allein dem Ziele diene, es anders als alle anderen zu machen und sich ( mit fast 80!) noch profilieren zu wollen, höre ich da überhaupt nichts. Jeder Kenner der Biografie NHs wird wissen, dass diese Vorwürfe auf jeden Fall unhaltbar sind und ins Leere gehen.
    Harnoncourts Ziel ist es auch nicht, die Musik dem Hörer ungeniessbar zu machen ( siehe auch Alfreds diverse Einlassungen). Er möchte vielmehr, dass diese vom Hörer in möglichst grosser Bandbreite erfahren , ja durchlebt werden kann.
    Wie ich gestern schon versuchte darzustellen, liegt es eben auch an der persönlichen Einstellung des Hörers.
    Vereinfacht gesagt:
    Will der Hörer nur Schönklang geniessen, oder will er die Musik regelrecht erfahren? Das schliesst auch mit ein, der Musik zu erlauben, dass sie einen aufwühlen und erschüttern kann.


    "Nikolaus Harnoncourt pro und contra" heisst also das Thema dieses Threads.
    Meine verkürzte Meinung hierzu ist übrigens : pro ! ( oder ist das schon vorher irgendwo angeklungen?... ;) :D )
    Den Versuch einer Begründung, der sich einmal nicht auf seine historischen Verdienste, sondern "nur" auf sein persönliches, für mich meistens unglaublich mitreissendes Musikantentum bezieht, werde ich ggf. in Verbindung mit einigen CD-Hinweisen unternehmen - demnächst.


    Bis dahin lege ich mir nun eine Bachkantate ein....vielleicht BWV 163 ?
    ( "Nur jedem das Seine")
    tuonela: natürlich mit dem hervorragenden Equiluz! :)


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Hallo Glockenton,


    besten Dank für das sehr hörenswerte und unterhaltsame Interview! Ob einem NH's eigenwillige Figaro-Darbietung mehr zusagt, wenn man versteht, warum er das so und nicht anders gemacht hat, ist allerdings fraglich. Seine Argumente sind für einen unbelasteten Figaro-Laien wie mich sehr gut nachvollziehbar, aber deswegen gefällt mir die musikalische Aufführung immer noch nicht besser. Aber was er zum Ouvertüren-Tempo sagt und wie er die Reaktionen der Entrüstung über seine Tempo-Wahl antizipiert, ist schon sehr bemerkenswert, zumindest für mich.


    Viele Grüße,
    Christian

  • Hallo Glockenton,


    das war für viele sicherlich schon etwas hilfreich. Noch informativer war während der Direktübertragung in der Pause das Gespräch von NH mit Heide Tenner. Ob das auch irgendwo aufzutreiben wäre?


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus,


    da müssten wir beide `mal versuchen, im Netz was zu finden.
    Im Moment kann ich aber grad nicht....muss weg.


    Bis später und
    LG :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • ich hab eben genau nachgezählt. ich hatte das glück in den letzten jahren
    harnoncourt 12 mal mit verschiedenen orchestern (concertgebouw, wiener
    symphoniker, concentus musicus, wiener philharmoniker) live hören zu
    können.


    langweilig, enttäuschend oder routinehaft war es nie, eigentlich immer sehr
    mitreissend und aufwühlend. diese 100% 'qualität' konnte ich bisher bei
    anderen dirigenten (ebenfalls live) nicht entdecken.


    faun

    die kritik ist das psychogramm des kritikers (will quadflieg)

  • Salut,


    Danke auch von mir für den Link zum Hörspiel, das ich größtenteils aus dem TV bereits kannte. Ich hatte lediglich den für mich uninteressanten Beginn verpasst.


    Auch, wenn es alles wiederholung ist, ich schreibe es gerne nochmals mit anderen Worten:


    Harnoncourt irrt, wenn er meint, Mozarts Verzeichnüß aller meiner Werke sei das Maß aller Dinge. Ganz im Gegenteil nämlich ist es überaus inkonsequent und schlampig geführt. Ohnehin ist es ja ausschließlich seiner Frau zu verdanken, dass es das Verzeichnis überhaupt gibt. Hilfreich ist es auf jeden Fall für die Datierung der Werke, wobei auch hier einige Werke nachgetragen oder aber überhaupt gar nicht eingetragen wurden. In seltenen Fällen ist es ein wenig hilfreich, was die Tempi betrifft, da es vorkommt, dass Mozart im Autograph überhaupt keine Angaben machte [KV 467, 1]. Nicht nur die Figaro-Ouvertüre ist hier ein Zeugnis von vernachlässigter Liebe zu diesem Aktenkram, sondern auch die Ouverture zu Cosí fan tutte, deren Autograph für die paar Takte Einleitung ein Andante verlangt, das Verzeichnis hingegen präziser [?] ist und dem Andante ein maestoso beifügt. Für das Quintett D-Dur KV 593 verlangt Mozart bei der Einleitung ein Larghetto, im Verzeichnis notiert er Adagio. Welch ein Unterschied! Das Andante für ein Walze in eine kleine Orgel KV 616 war ebenfalls vorher ein Larghetto und mutierte zum Andante. Das Lied „Die Gesellenreise“ KV 468 wird im Autograph mit Larghetto, ein eigenen Verzeichnis mit Andantino versehen. Andere Lieder [KV 472, 473, 474] haben gar keine Tempoangabe, so auch der 2. und 3. Satz des Klavierkonzertes KV 537.


    Das eigene Werkverzeichnis spiegelt also lediglich die „große Fürsorge“ wieder, die Mozart für diesen aufgezwungenen Schriftkram aufzubringen gewillt war. Zudem könnte man daraus auch herauslesen, wie nah beieinander eben doch [absolut betrachtet] mache Tempi bei Mozart liegen.


    Was KV 550 betrifft, so ist klar, dass Mozart nach Beendigung der Komposition eine Abstufung der Tempi des ersten und letzten Satzes haben wollte [Annahme: Mozart hat den 4. Satz nach dem ersten komponiert], andernfalls hätte das Finale ein Presto geben müssen, was eindeutig zu schnell gewesen wäre. Frage an Herrn Harnoncourt: Warum hat Mozart für das Finale nicht ein Presto gewählt und anstelle des C| ein C notiert? Dazu weiter unten.


    Die Ouvertüre [Sinfonia] zum „Schauspieldirektor“ KV 486 war ursprünglich mit Allegro assai C versehen, was in Presto C verändert wurde. Im Werkverzeichnis steht sie noch mit dem originären Allegro assai drin. Daraus lässt sich schließen, dass Mozart die Ouvertüre beim erstmaligen Proben zu langsam war, weshalb er dies auf der Partitur änderte, sein "Verzeichnüß" aber einmal mehr vernachlässigte. Bei KV 492 [dem Figaro] wird es ganz ähnlich gewesen sein: Mozart notierte [vermutlich] zunächst kein Tempo und trug gleich nach Beendigung der Komposition und in Erfüllung der lästigen Pflicht im Verzeichnis Allegro assai C ein, was ihm [erneut] zu langsam war, weshalb er sich nach der ersten Probe für ein Presto C entschied, welches er auf der Partitur vermerkte. Es ist schlüssig, dass Mozart dies aus jüngster Erfahrung mit dem Schauspieldirektor auf der Partitur freigelassen hat und später entscheiden wollte. Zugleich ist dies ein weiterer Beweis für die Unwichtigkeit des Werkverzeichnisses in Mozarts Denken.


    Der Unterschied zwischen C und C| ist nicht das doppelte bzw. halbe Tempo, sondern die Betonung der Taktteile: Bei C sind es derer viere [=4/4], bei C| lediglich zwei [=2/2]. In der Summe, also Viertel oder Achtel oder sonstwas pro Takt, ist das gleich. Die C-Zeichen sind lediglich eine Abkürzung, man kann sie auch Faulenzer nennen, und haben nicht mehr die Bedeutung wie zu Bachs Zeiten. Das hat - wenn überhaupt - einen kaum merkbaren Einfluss auf das reale Tempo, denn es bedeutet nicht, dass man in der selben Zählzeit bis zwei oder vier zählt. Das mag bei Bach so gewesen sein, später nicht mehr.


    Daraus ist zu folgern, dass Harnoncourt in der Wahl seines Ouvertürentempos ganz klar [s]einem Irrtum aufgesessen ist. Die Ouvertüre steht im Presto C [ = so schnell wie möglich mit vier betonten Taktteilen, was zugegeben nicht ganz einfach ist, aber das muß es ja auch nicht] und nicht im Larghetto, daran ist nichts zu ändern.


    Daraus folgt dann auch der fehlende "große Bogen" im Werk in der Tempowahl Harnoncourts und die absolute Langeweile. Immerhin hat er die Ouvertüre richtig vorgebrummelt.


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Contra deswegen, weil NH einerseits behauptet, es richtig machen zu wollen und im Gegensatz dazudarlegt [beides nicht in diesem Hörbeispiel], dass er dem Publikum die Musik durch Übertreibungen [und IMO andere Verunstaltungen] verständlich machen muß, aber das hatten wir auch bereits... es ist paradox!


    Zur Lösung des Rätsels: Mozart selbst hat in allen erhalten gebliebenen Briefen den Figaro stets als Figaro oder figaro bezeichnet. "Der tolle Tag" ist nichts, als eine Titelgebung für diverse Singspielfassungen, die bereits ab 1787 umherzogen und nicht von Mozart stammen, vielleicht aber von ihm geduldet wurden, sofern er davon Wind bekam. Derer Titel gibt es viele [ebenso bei La finta Giardiniera und Cosí fan tutte]. Das Original von da Ponte hat ausnahmsweise keinen Ossia-Untertitel.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Salut


    Ohne jetzt auf das Tempoproblematik eingehen zu wollen, ergibt sich für mich bei deiner Argumentation eine Schwierigkeit. Du erklärst uns, wie es sein muss und behauptest, Harnoncourt irrt sich. Soweit so gut. Aber Harnoncourt hat schon mehrfach erzählt, dass er bei jeder Gelegenheit Kollegen zu dieser Problematik befragt. Keiner hat eine befriedigende Antwort oder gar Gegenargumentation bereit gehabt. Auch für diese Kollegen war deine Argumentation keinesfalls selbstverständlich. Du steht also in Wirklichkeit mit deiner absoluten Meinung im Gegensatz zu einer ganzen Gruppe von renommierten Musikern. NH ist lediglich der, der konsequent nach seinem Wissensstand handelt. Nicht geklärt ist dadurch, wieso wir dir statt den anderen glauben sollen.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Als komplett Unbelasteter, dem es an einem guten Tag gelingt, zweifelsfrei Karajan von Harnoncourt zu unterscheiden - aber auch nur, wenn man ihm sagt, dass es jeweils einer von beiden ist - bin ich eigentlich ziemlich froh, dass ich mir keine Gedanken darüber machen muss, was "falsch" und "richtig" ist, sondern nur, was mir gefällt und was nicht. Nun ist dieser plebistische Ansatz sicherlich verdammunsgwürdig und dieses Forums komplett unwürdig, aber angesichts der hier geführten Fachdiskussion fühl ich mich damit ganz wohl... :untertauch:

  • Nachtrag: Was ich vergaß zu erwähnen, ist, dass mir diese Diskussion aber sehr gefällt. Es ist ein Streit in der besten Definition des Wortes... zumindest nach meiner Definition :baeh01:

  • Hallo, ihr Lieben,


    bei mir entsteht ein für mich ganz interessanter Effekt: ich würde von mir immer sagen, dass mir Mozart nicht so liegt, mir andere Komponisten näher sind. Angeregt durch dieses Thread stelle ich aber fest, dass ich oft die Darbietung, die Interpretaion nicht geglückt finde - was erstmal mir dem Werk nichts zu tun hat.


    Bühnenaufführungen der Opern Mozarts meide ich oft, weil ich finde, dass Mozart eher selten gut gesungen wird.


    Mir persönlich gefällt auch Karl Böhm als Mozart-Dirigent nicht besonders -mir ist das in aller Regel zu glatt, zu einheitlich, auch zu spannungsarm (bitte nicht schlagen...). Karajan oder Klemperer will ich da gar nicht erwähnen.


    In jüngster Zeit habe ich an René Jacobs grossen Gefallen gefunden, die Tempi, die Spielfreude, auch die Dramatik, das spricht mich sehr an (auch, wenn bei ihm die Sänger nicht alle überdurchschnittlich sind).


    Harnoncourt hat mich mit seinem Zeitlupenmozart eher irritiert ("Zauberflöte", z. B. oder "Don Giovanni"), ich erinnere mich, dass ich sehr aufmerksam zugehört habe - aber ich fand das nicht überzeugend. Schlecht fand ich z. B. seine Version von "Lucio Silla", die Kürzungen, die sängerischen Leistungen... Die waren übrigens oft fragwürdig, so auch im "Tito", das geht besser.


    Dennoch: durch die Diskussion hier habe ich mal wieder Lust auf Mozart bekommen, das ist gar nicht so wenig...


    Gruss

  • Zitat

    Original von Blackadderbin ich eigentlich ziemlich froh, dass ich mir keine Gedanken darüber machen muss, was "falsch" und "richtig" ist, sondern nur, was mir gefällt und was nicht. Nun ist dieser plebistische Ansatz sicherlich verdammunsgwürdig und dieses Forums komplett unwürdig


    Absolut nicht. Zu dieser Erkenntnis (der Eingeschränktheit der Relevanz von nicht-ästhetischen Argumenten für ästhetisches Handeln) muss man erst mal kommen. Soweit meine Meinung.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Hallo Theophilus,
    nehmen wir einmal an, Ulli hat recht, Harnoncourts Tempi, Pausen, Phrasierungen etc. sind gemessen an der Partitur nicht richtig.
    Dann kommt jetzt mein großes: Na und?
    Soll sein Presto halt langsamer sein und sein Larghetto schneller - alles gleichgültig, wenn die Aufführung spannend, in sich geschlossen, konsequent ist.
    Mein Problem mit dem "Figaro" ist, daß ich den Hut vor Harnoncourts Zugriff ziehe, daß ich viele Details zum ersten Mal wahrgenommen habe - nur: Unterm Strich fand ich diesen "Figaro" nicht gar so überragend.
    Deshalb halte ich es für problematisch, gerade diese Aufführung heranzuziehen, um einerseits Harnoncourts Dilettantismus und andererseits Harnoncourts Genialität beweisen zu wollen. Meiner Meinung nach ist die Aufführung weder symptomatisch für das eine noch für das andere.
    Aber es ist halt ein Jammer, daß weder die "Aida" noch die "Carmen" dermaßen gehyped und entsprechend gesendet wurden, daß sie in dem Ausmaß ins Bewußtsein gedrungen sind wie dieser "Figaro".
    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin


    Im Prinzip gebe ich dir Recht. Was mich im Besonderen belustigt ist die Tatsache, dass Harnoncourt den Figaro schon fast 20 Jahre so spielt, es auch mehrfach dokumentiert ist, aber hier so getan wird, als wäre im Sommer eine völlig neuartige Figaro-Interpretation zu hören gewesen.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Dieser Figaro war von Ausstatting Regie und Verunstaltung durch eine eigenmächtig hinzugedichtete Figur DERART miserabel, daß mir Harnoncourts Dirigat nicht mal negativ aufgefallen ist - wahrscheinlich weil ich ihn als Mozart Dirigent längst "verdammt" habe. Ich kann mir nicht einen Dirigenten, dessen Dirigat mir nicht gefällt, anhören und dann über ihn schimpfen. Ich musste VORHER wissen was mich erwartet.
    Ich schließe mich jenem an der da sinngemäß meinte, daß es nichts nützt, wenn ein Musiker sein Konzept schlüssig darlegen kann und das was man dann zu hören bekommt enttäuschend ist......


    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Theophilus
    Salut


    Ohne jetzt auf das Tempoproblematik eingehen zu wollen, ergibt sich für mich bei deiner Argumentation eine Schwierigkeit. Du erklärst uns, wie es sein muss und behauptest, Harnoncourt irrt sich. Soweit so gut. Aber Harnoncourt hat schon mehrfach erzählt, dass er bei jeder Gelegenheit Kollegen zu dieser Problematik befragt. Keiner hat eine befriedigende Antwort oder gar Gegenargumentation bereit gehabt. Auch für diese Kollegen war deine Argumentation keinesfalls selbstverständlich. Du steht also in Wirklichkeit mit deiner absoluten Meinung im Gegensatz zu einer ganzen Gruppe von renommierten Musikern. NH ist lediglich der, der konsequent nach seinem Wissensstand handelt. Nicht geklärt ist dadurch, wieso wir dir statt den anderen glauben sollen.


    :hello:


    Grüezi,


    grundsätzlich geht es mir eigentlich wie Blackadder... ich entscheide nach Gefallen und Missfallen. Nachdem ich aber im Vorfeld gehört bzw. gesehen habe, was NH verspricht, war ich sehr gespannt auf einen richtigen Mozart. NH meinte wortwörtlich: "Ich will es ja richtig machen!" - somit darf ich auch kritisieren. Es gibt ein vergessenes Buch mit dem treffenden Titel "Vergessene Traditionen". Es wurde mir in der Tat von einem Dirigienten empfohlen, der sich hauptberuflich mit modern[st]er Musik befasst. Und es mag vielleicht unglaubwürgig erscheinen, aber ich besuche ihn sooft es geht. Das, was NH behauptet, er habe keine befriedigende Antwort erhalten, kann ich so nicht glauben. Ich will ihm aber auch keinesfalls unterstellen, dass er lügt - nennen wir es dimplomatisch: Diplomatismus. ;)


    Wer wem glaubt, ist mir persönlich völlig gleichgültig, denn ich habe nichts davon. Ich habe lediglich meinen Standpunkt dargestellt, der m. E. auf Fakten beruht, wo sich ein Glauben erübrigt. Glauben kann man das, was in der Bibel steht. Man kann es aber auch lassen. Doch, wenn die Sonne scheint und jemand behauptet, es sei der Saturn, dann darf ich berechtige Zweifel daran haben.


    Zitat

    Original von Theophilus
    Hallo Edwin


    Im Prinzip gebe ich dir Recht. Was mich im Besonderen belustigt ist die Tatsache, dass Harnoncourt den Figaro schon fast 20 Jahre so spielt, es auch mehrfach dokumentiert ist, aber hier so getan wird, als wäre im Sommer eine völlig neuartige Figaro-Interpretation zu hören gewesen.


    :hello:


    Auch dazu: Ich distanziere mich grundsätzlich von Mozarteinspielungen mit erheblich wenigen Ausnahmen, da sie mir [leider] alle auf den Geist gehen. D. h. ich höre Mozart kaum [noch] - und das schon lange Zeit. Man kann interpretieren, wie man will - mir geht es auf den Geist. Dennoch verehre ich Mozart sehr.


    So kommt es auch zweifelsohne, dass ich NHs 'Figaro' [wie alt er auch immer sein möge] bis dato nicht kannte und es wäre vielleicht gut gewesen, wenn es so geblieben wäre. ABER: Es wurde als Jahrundertinterpretation sowohl betreffend der musikalischen Auslegung als auch der ausführenden Interpreten geweissagt. Dieses Orakel hätte ein Julius Caesar, hätte er es befragt, den Löwen zum Fraß vorgeworfen.


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    nehmen wir einmal an, Ulli hat recht, Harnoncourts Tempi, Pausen, Phrasierungen etc. sind gemessen an der Partitur nicht richtig.
    Dann kommt jetzt mein großes: Na und?


    Eigentlich: s.o. NH hat behauptet, es sei richtig und hat diesen Anspruch für sich erhoben. Gleichzeitig widerspricht er sich aber, in dem er verlautbart, er MÜSSE gewisse Dinge "quasi falsch" [das ist jetzt meine Ausdrucksweise] spielen, um dem Publikum - das ja heute zu blöd ist, Musik zu verstehen - eben diese verständlich zu machen. Wie gesagt: Das ist Paradox. Und wenn jemand einen solchen Anspruch des Richtigseins so dermaßen herausstellt, dann kann ich dem nicht mehr mit einem schnöden "Na und?" begegnen, denn er verkauft ja "seinen" Figaro als den einzig wahren. Und exactement so kommt es auch in dem oben verlinkten Interwiev heraus, man muß nur richtig hinhören: Dann wird für einige schnöde Lacher gesorgt - und schon hat der Mann gewonnen. Und wem soll das Publikum schon glauben?


    Zitat

    Original von Alfred-Schmidt
    Ich kann mir nicht einen Dirigenten, dessen Dirigat mir nicht gefällt, anhören und dann über ihn schimpfen.


    Eben. Und genau das habe ich auch nicht getan.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Ulli,

    Zitat

    Eigentlich: s.o. NH hat behauptet, es sei richtig und hat diesen Anspruch für sich erhoben.


    Ja, genau das macht jeder Dirigent. Jeder Dirigent lebt in der subjektiven Wahrheit, daß er es richtig macht.
    Dennoch gestatte ich mir, in meiner eigenen subjektiven Wahrheit Toscaninis "La mer" ebenso :kotz: zu finden wie Furtwänglers "Tristan" und Bernsteins "Leningrader".
    Dennoch werden Toscanini, Furtwängler und Berstein geglaubt haben, daß sie es richtig machen. Und einige Toscanini-, Furtwängler- und Bernstein-Fans sind derselben Auffassung.


    Es geht also um die subjektive Wahrheit.


    Deine subjekive Wahrheit ist der Harnoncourts diametral entgegengesetzt. Du irrst Dich genau so wie Harnoncourt. Oder: Du hast im gleichen Ausmaß recht.


    Noch einmal: Jeder Dirigent, der nicht überzeugt ist, spätestens bei Beginn der Proben im Besitz der Wahrheit über ein Werk zu sein, hat seinen Beruf verfehlt.
    Oder was hältst Du von einem Koch, der sein Kartoffelgratin eben gesalzen hat und überlegt, ob er nicht noch etwas Salz dazugeben soll, aber mühsam die Lorbeerblätter herausklaubt, weil sie doch nicht passen, aber schnell noch etwas Thymian dazugibt, ehe er auch den wieder, so weit's geht, herausfischt, um sich doch für Rosmarin zu entscheiden.
    Bon appetit...!
    :hello:

    ...

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  • Es ist erstaunlich, woher Du weiß, wie ich koche!


    :D


    Es gibt für mich nicht meine, Deine, seine subjektive Wahrheit, sondern nur eine und die beruht auf nachvollziehbaren Fakten und ist damit objektiv. Wenn diese nicht vorhanden sind, dann ist das Hirn gefragt, was es daraus macht. Darüber ließe sich streiten. "Recht" und "Wahrheit" sind für mich Dinge, die man nicht haben kann, sie sind völlig losgelöst einfach nur da.


    Was ich etwas fragwürdig empfinde, ist Dein "Ja und?" - ich will es Dir keinesfalls wegnehmen. Aber nimm an, Du kaufst einen Kühlschrank [weil Dein alter eben den Geist aufgegeben hat]. Du schleifst ihm mühevoll heim [oder lässt ihn bringen: auch das ist nervtötend], er wird angeschlossen und heizt. Ja und? Bestell ich mir eben einen neuen, der kühlt. Beschweren? :no: Kommt nicht in Frage.


    Gute Nacht für heute.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    nehmen wir einmal an, Ulli hat recht, Harnoncourts Tempi, Pausen, Phrasierungen etc. sind gemessen an der Partitur nicht richtig.
    Dann kommt jetzt mein großes: Na und?
    Soll sein Presto halt langsamer sein und sein Larghetto schneller - alles gleichgültig, wenn die Aufführung spannend, in sich geschlossen, konsequent ist.


    Ähh, Edwin :hello: Nehmen wir mal an, Furtwänglers Tempi, Pausen, Phrasierungen etc. sind gemessen an der Partitur nicht richtig. Dann kommt jetzt mein großes Na und? Soll sein usw usw. - alles gleichgültig, wenn die Aufführung spannend usw usf.


    Oder gilt: Qoud licet Harnoncourti non licet Furtwaengleri? :D

  • Zitat

    Original von Ulli
    Es gibt für mich nicht meine, Deine, seine subjektive Wahrheit, sondern nur eine und die beruht auf nachvollziehbaren Fakten und ist damit objektiv. Wenn diese nicht vorhanden sind, dann ist das Hirn gefragt, was es daraus macht. Darüber ließe sich streiten. "Recht" und "Wahrheit" sind für mich Dinge, die man nicht haben kann, sie sind völlig losgelöst einfach nur da.


    Was ich etwas fragwürdig empfinde, ist Dein "Ja und?" - ich will es Dir keinesfalls wegnehmen. Aber nimm an, Du kaufst einen Kühlschrank [weil Dein alter eben den Geist aufgegeben hat]. Du schleifst ihm mühevoll heim [oder lässt ihn bringen: auch das ist nervtötend], er wird angeschlossen und heizt. Ja und? Bestell ich mir eben einen neuen, der kühlt. Beschweren? :no: Kommt nicht in Frage. Ulli


    ad 1: Das ist ein grundsätzlich falscher Denkansatz, da es sich bei der Musik nicht um eine Naturwissenschaft handelt, sondern um Kunst. Kategorien wie objektive Wahrheit sind da fehl am Platze.


    Weder Recht noch Wahrheit sind einfach nur da, völlig losgelöst von allen historischen Faktoren, in deren Umfeld sie entstanden sind. Was Du machst, ist schlicht Deine subjektive Ansicht von Recht und Wahrheit als "richtig" setzen.



    ad 2. Das Beispiel ist verfehlt, weil die Funktionsfähigkeit eines Kühlschranks mit dem Ergebnis einer musikalischen Interpretation nicht vergleichbar ist. Das eine gehört in den Bereich Technik (wo sich funktionsfähig und defekt definieren lassen), das andere ist ein künstlerischer und schöpferischer Akt (wo diese Unterscheidung nicht möglich ist).


  • Salut,


    hätte ich "meines Erachtens" davor gesetzt, hättest Du sicherlich Recht.


    :D


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Theophilus
    Auch für diese Kollegen war deine Argumentation keinesfalls selbstverständlich. Du steht also in Wirklichkeit mit deiner absoluten Meinung im Gegensatz zu einer ganzen Gruppe von renommierten Musikern.


    Ist nur merkwürdig, warum sie es dann exakt so machen, wie ich es beschrieben habe [und nicht, weil ich es so sage]. Nur Harnoncourt stemmt sich erfolglos dagegen...


    Allem Anschein nach reden wir aneinder vorbei - auch das hat bereits Tradition.


    :hello:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • ich mag harnoncourt nicht.
    seine theoretischen konfusionen werde ich nicht näher beschnüffeln.
    sein verdienst, einer der ersten zu sein, mit alter musik auf alten instrumenten viel kohle zu machen, bleibe ihm unbenommen.


    auf cd habe ich nur alte aufnahmen (60er jahre).
    sie stehen spieltechnisch hinter seinen konkurrenten und mitstreitern zurück.
    während keucken, bylsma und kollegen in den 60ern brandenburgische hinlegen, die keineswegs nach kinderschuhen stinken, hat H bei schmelzer offenbar vergessen, die instrumente vorher stimmen zu lassen. wenn ich mich recht erinnere ist eine oboe permanent ziemlich weit daneben.


    UND DAS NERVT.
    :D

  • Tag,


    ich antworte nicht wirklich auf Etwas, aber, mir fällt dabei etwas ein. Nikolaus Harnoncourt ist doch eine europäische, mitteleuropäische Erscheinung (Gegensatz, die weltweiten Super-Stars, mit massiver Erfolgsbasis in Amerika). Er ist der Mann des Essayismus (Robert Musil), Österreicher, ein verkappter Grantler, Misanthrop.


    Und doch, er läßt das Decrescendo am absoluten Schluß von Schuberts Großer Sinfonie in C, DV 944, ausspielen. Dafür achte ich den Dirigenten Harnoncourt noch heute und für immer. außerdem konnte er sich mit Friedrich Gulda zum KV 503 zusammentun, auch dafür gebührt dem Dirigenten, dem Pianisten Anerkennung.


    Freundlicher Gruß
    Albus


  • Harnoncourt und Gulda brachten KV 365 (mit Corea), KV 488 und KV 537 bei Teldec heraus (Aufnahmen aus Amsterdam), später machten sie in Wien mit den Wiener Symphonikern noch KV 491. KV 503 machte Gulda (bekannte Aufnahme bei DGG) mit Abbado und den Wiener Philharmonikern. Sollte es KV 503 mit Harnoncourt und Gulda auch geben, wäre ich für diskografische oder Hinweise zum Aufführungsort und -termin dankbar, da ich sowohl Gulda als auch Harnoncourt sehr schätze und dies auch von den Kritiken her sicher interessante Entdeckungen bringt.


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Hallo Robert,
    wir reden keineswegs so aneinander vorbei, wie Du glaubst. Also: Licet Furtwängleri - wenn's denn zu 'was nütze ist, also Spannung erzeugt oder Details offenlegt. Nur bin ich diesbezüglich eben anderer Ansicht - ich habe hier immer das Gefühl eines Dirigenten in Ekstase, eines Hohepriesters, und das mag ich, der intellektuelles Musizieren bevorzugt, halt weniger.
    ----------------------------------
    Hallo Ulli,
    ich weiß nicht, warum Du Dich am von Harnoncourt Geschriebenen gar so festbeißt. Laß' ihn doch schreiben, daß er um die alleinige Wahrheit weiß. Noch einmal: Das muß er glauben, weil er sonst seinen Beruf verfehlt hat.
    Was aber zählt, ist das Ergebnis - und bei Harnoncourt meiner Meinung nach nicht einmal die konkrete Interpretation, sondern ein neuer Blick auf die Verantwortung, die ein Interpret einem Werk gegenüber hat.
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    Und jetzt muß ich Euch ein kleines Geschichtchen erzählen, das sich vor nun schon rund 15 Jahren zugetragen hat.


    Ein mit mir befreundeter Dirigent, der ganz am Anfang seiner Karriere stand und mich als seinen fallweisen Ratgeber in musikalischen Belangen auserwählt hatte, leitete abseits der arrivierten Säle mit einem zusammengewürfelten Orchester ein Konzert - sozusagen zur Übung. Auf dem Programm stand auch die "Figaro"-Ouvertüre.
    Er bat mich in eine Probe, alles lief glänzend. Gegen Schluß sagte er: "Und jetzt spiele ich für dich die ,Figaro'-Ouvertüre, wie ich glaube, daß sie gespielt gehört." Dann kam eine "Figaro"-Ouvertüre in einem extrem langsamen Tempo, aber von einer einzigartigen Innenspannung, voller Energie und Aggressivität.
    Weder er noch ich hatten damals den "Figaro" in der Harnoncourt-Aufführung gekannt. Aber mein Freund argumentierte im Gespräch nachher ziemlich ähnlich in Bezug auf Alla breve usw.
    Nur machte ich in diesem Gespräch dann den Fehler meines Lebens: Ich redete ihm dieses Tempo aus. Ich argumentierte, daß jeder im Publikum annehmen würde, daß sie so langsam spielen müßten, weil sie es schneller nicht vermöchten. Ich berief mich auf die Tradition usw. usw.
    Also zog er dasTempo an und spielte das übliche Presto.
    Nach Harnoncourts Salzburger "Figaro" trafen wir uns, er sagte: "Offenbar hat dich Harnoncourt nicht um deine Meinung gefragt."


    Diese kleine Anekdote zeigt zweierlei: Erstens, was passiert, wenn sich ein Interpret seiner Auffassung nicht ganz sicher ist (aber er war damals halt wirklich ganz am Anfang).
    Zweitens: Wenn zwei, die einander nicht kennen, zum identischen Schluss kommen, heißt das noch lange nicht, daß sie recht haben müssen. Aber so total verrückt oder dilettantisch kann's auch wieder nicht sein.


    :hello:

    ...

  • Moin Moin,


    durch die verlinkte Audiodatei wollte ich interessierten Lesern und Hörern eine zusätzliche Informationsquelle anbieten, mit deren Hilfe man sich ggf. ein etwas genaueres, abgerundeteres Bild über Harnoncourts Denk- und Arbeitsweise machen kann.
    Wer sich über Nikolaus Harnoncourts Biografie, Arbeitsweise und Lehre ( er hat als Professor am Mozarteum in Salzburg gelehrt, was in seine Bücher etwas eingeflossen ist) wirklich informieren möchte, dem empfehle ich die Literatur folgender Bücher:



    Musik als Klangrede (Aufsätze und Essays)



    Der musikalische Dialog (Aufsätze und Essays)



    Mozart Dialoge (Gedanken zur Gegenwart der Musik)



    Vom Denken des Herzens ( Biografie)



    Die seltsamsten Wiener der Welt ( Biografie mit Concentus-Schwerpunkt)



    Unmöglichkeiten sind die schönsten Möglichkeiten ( Zitate aus Proben)


    Im Zusammenhang mit dem Thema dieses Threads ist es m.E. wichtig zu wissen, dass Harnoncourts klingende Ergebnisse immer in drei Phasen zustande kommen, was auch beim Anhören der Audiodatei erkennbar wird:


    1. ein sehr genauer, hinterfragender Forschungs- und Reflexionsprozess
    2. eine sehr intensive Probenarbeit ( bei häufiger Verwendung metaphorischer Sprache...)
    3. eine engagierte, emotions- und spannungsgeladene konzertante Aufführung


    Mit der Klangdatei wollte ich im Hinblick auf die Übersichtlichkeit des Forums und auch der Überschrift des Threads definitiv nicht in eine neue "Salzburger Figaro"-Diskussion einsteigen, denn hierfür gibt es ja schon einen Thread. Dass im Hörbeispiel auch das Thema Mozart und Figaro zur Sprache kommt, sollte hier also nicht die Hauptsache, sondern nur eine Zusatzinformation für Interessierte sein.
    Deswegen schrieb ich auch in der Hoffnung, damit zu einer gewissen thematischen Disziplin angeregt zu haben:


    "Um darauf im Einzelnen einzugehen, wäre dieser Thread m.E. nicht der richtige Ort, weil es zu speziell wird."


    Es musste aber wohl anders kommen... :wacky:


    Auch Edwin schrieb:


    Zitat

    Deshalb halte ich es für problematisch, gerade diese Aufführung heranzuziehen, um einerseits Harnoncourts Dilettantismus und andererseits Harnoncourts Genialität beweisen zu wollen. Meiner Meinung nach ist die Aufführung weder symptomatisch für das eine noch für das andere.


    Dem kann ich nur zustimmen.
    Wenn man über Harnoncourt spricht, der seit 1957 mit dem Concentus musicus Wien öffentlich auftritt (also fast 50 Jahre lang!) dann erscheint mir die Verengung auf die Aufführung einer Mozart-Oper als fragwürdig und ungeeignet.


    Sollte also jemand tatsächlich noch das dringende Bedürfnis haben, dieses sehr spezielle Mozart-Thema in allen Einzelheiten und strittigen Schlussfolgerungen weiter (verbissen) auszudiskutieren, dann schlage vor, ohne mir hier die Stellung eines Moderators o.ä. anmassen zu wollen, in den Figaro-Thread zu wechseln.


    Hierzu empfinde ich allerdings nicht den geringsten Antrieb.


    Was den bisherigen Diskussionsverlauf angeht, stimme ich Edwin Baumgartner, Theophilus, faun und Robert Stuhr zu, vielen Dank für Eure guten und sinnvollen Beiträge :)


    Es gibt viele musikalische und auch persönliche Gründe, zu Harnoncourt aus vollem Herzen ein :yes: PRO :yes: zu finden.
    Auch z.B. Simon Rattle, dem hier wohl durch niemanden ein gewisses Grundverständnis der klassischen Musik abgesprochen werden kann, sieht das nicht anders : KLICK


    Auch der mit Lob für andere Musiker nicht gerade verschwenderische umgehende Reinhard Goebel äusserte:


    Zitat


    Zitat Reinhard Goebel
    Tiefes, offenbar unbändiges Interesse an Musik und nur Musik ist Harnoncourt zu bescheinigen...
    Es ist das unbändige Interesse an Gestaltung und Ausdruck, an unmissverständlicher Klarheit und undeutbarer Eigentlichkeit, an charismatischem Engagement, das in beinahe jedem Ton, sicher in jedem Takt, in jeder musikalisch-motivischen Geste des Nikolaus Harnoncourt hörbar ist und sich fesselnd bemerkbar macht...
    Wenige Tage zuvor noch saß ich in Dresden über Fux- und Zelenka-Manuskripte der Hofkapelle gebeugt und fand heraus, dass der letzte (!) Benutzer dieser Quellen vor fast fünf Jahrzehnten der junge Nikolaus Harnoncourt gewesen war – und es war mir eine hohe Ehre, meine Benutzer-Unterschrift unter die seinige zu setzen.


    Einer der vielen Gründe, weshalb ich Harnoncourts Musizieren sehr emotional nachvollziehend rezipieren kann, ist die Tatsache, dass für mich hörbar jeder Ton, jede Phrase durchlebt wird und ein Ein- und Ausatmen hat.
    Es ist das Atmende und Gestische, dass ich in Verbindung mit der Leidenschaftlichkeit so schätze.
    Gleichzeitig wird durch sein Musizieren mein Bedürfnis befriedigt, das, was die Töne ausdrücken bzw. "sagen" wollen, auch auf musikalischer ( nicht abstrakt-intellektueller) Ebene direkt verstehen zu wollen.
    Wenn bei mir also die Aspekte "Verstehen" und "durchlebte/durchatmete Emotion" zusammenkommen, dann ist das durch Harnoncourt vermittelte Musikerlebnis je nach Komposition ergreifend, heiter zur Bewegung anregend, auch erschütternd und eigentlich immer beglückend.
    Das Unsagbare wird für mich durch seine Art des musizierenden Vermittelns grosser Musik gesagt.


    Da es bei diesem Thema vielleicht auch angebracht sein mag, auch einmal CDs mit Musik vorzustellen, die unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt eingespielt wurden, werde ich dies in einem späteren Beitrag mit einigen mir wichtigen Aufnahmen gerne tun.




    Freundliche Grüsse :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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