Haydn Pariser Sinfonien - Sinfonie Nr 82 C-Dur "L'ours"(Der Bär)
Nachdem gestern [August 2005 ich lasse das mal so stehen]die neue Einspielung mit Harnoncourt eingetroffen ist, möchte ich die Gelegenheit nutzen, die Sinfonien im Vergleich zu hören und einzeln vorzustellen. Aus unerfindlichen Gründen haben sich bei mir die folgenden "Pariser Sinfonien" angesammelt:
St. Paul's Chamber Orchestra/Wolff (Teldec)
Academy of St Martin.../Marriner (Philips)
Orchestra of the Age of Enlightenment/Kuijken (Virgin)
NYPO/Bernstein (CBS/Sony)
Fischer (in der Brilliant-Box)
Concentus Musicus Wien/Harnoncourt (harmonia mundi)
(Obendrein habe ich 84-87 mit Dorati und 85-87 mit Weil)
Zur Entstehung der Werkgruppe hat Ulli ja schon hier etwas gesagt
Die "Pariser" stellen vielleicht die einzige wirklich systematische Gruppierung dieser Gattung in Haydns Schaffen dar: 6 Werke, alle in unterschiedlichen Tonarten und höchst unterschiedlichen Charakters decken exemplarisch ab, was Haydn Mitte der 1780er in der reinen Orchestermusik zu sagen hatte. Man hat sie daher mitunter als das Gegenstück zu den Quartetten op.33, als erste exemplarisch "hochklassische" Stücke der Gattung bezeichnet.
Sinfonie Nr 82 C-Dur "L'ours"(Der Bär)
Besetzung: Flöte, je 2 Oboen, Fagotte, Trompeten/Hörner, Pauken, Streicher
(Ich bin hier nicht ganz sicher, wie die Besetzung gedacht war und wie das heute gelöst wird. Anscheinend sollten eigentlich zwei Musiker abwechselnd Hörner (wohl in den Binnensätzen) und Trompeten (zus. mit den Pauken in den Ecksätzen?) spielen. Heute würde ich im Zweifel an den Trompetenstellen die Hörner mitspielen lassen; ich vermute das wird auch mitunter so gemacht.)
Das ist eine meiner Favoriten unter Haydns Sinfonien. Insgesamt ein extravertiertes energetisches, teils auch lautes und zuweilen gar derb-ländliches Stück.
Der Kopfsatz (Vivace assai) ist festlich und mitreißend (Harnconourt schreibt "kriegerisch" vielleicht aufgrund der häufigen fanfarenartigen Motive), dabei kontrastreich und mit einer für Haydn erstaunlichen Fülle von Motiven (verglichen etwa mit dem praktisch monothematischen Hauptsatz von #85). Nach dem auffahrende Beginn wird die Phrase piano zu Ende geführt, bei der Wiederholung der Anfangsphrase treten die Holzbläsern mit einem zusätzlichen Motiv hinzu, später folgen die erwähnten Fanfaren, dann aber noch ein ganz eigener lyrischen Seitensatz, der auch in der Durchführung eine wichtige Rolle spielt. Am Ende der Reprise gibt es eine plötzlich sehr nachdenkliche Stelle, bevor die Fanfarenmotive den Satz furios beschließen.
Das folgende allegretto bezeichnet Harnoncourt als Rondo; es ist aber wohl eher eine Art (Doppel-)Variationssatz (das sagen Feder/Larsen) mit einer Mollvariante und eher minimalistischen Variationen, gegen Ende gibt es eine Steigerung zu einer stampfenden Tanzszene mit rustikalen Dudelsackeffekten (durch liegende "Borduntöne"), was bereits auf das Finale hinweist.
Das Menuett kombiniert den eher "heroischen" Aspekt des Kopfsatz mit ländlichen Klängen, letztere besonders im von Holzbläsern dominierten Trio, aber auch schon der Hauptteil ist von diesem Kontrast geprägt.
Das Finale schließlich verlieh der Sinfonie wohl den Namen. Sowohl die Motivik als auch die eigenartige Instrumentation (die erste Antwort auf das Haupttthema mit wenigen Holzbläsern und Pauke) und schließlich die dröhnenden Borduntöne erinnerten die Zeitgenossen wohl an die Musik, zu der Tanzbären auftraten. Die Borduneffekte prägen den Charakter des Satzes, wobei die Durchführung allerdings auch mit polyphoner Themenverarbeitung aufwartet. Eine passendes Finale für eine von überschäumender Energie geprägte Sinfonie.
Bisher gehört habe ich:
Marriner: Holzbläser schön, transparent, flotte Tempi, in i Pauken präsent, Hörner/Trompeten kaum hörbar, dadurch der etwas bizarre Effekt, dass man nur die Paukenanteile der Fanfaren hört! Mir etwas zu elegant und zu wenig rustikal im Finale und am Ende von ii.
Harnoncourt: (alle Wdh. in i und iv) kriegerisch schmetterndes Blech im ersten Satz, auch sonst sehr präsente Bläser, scharfe Kontraste, rubato. Außergewöhnlich nuancierte Artikulation und Phrasierung und sehr schön rustikaler Abschluß im allegretto. Sehr deutliche Bordune im Finale.
Bernstein: sehr mitreißend und dramatisch, der mächtige Klang des großen Orchesters hat Vor-, aber auch Nachteile, Bläser und auch Pauken sind in Tuttistellen eher zu erahnen. Das machen die massiven tiefen Streicher mitunter wieder wett (Bordunstellen), aber der insgesamt streicherdominierte Klang ist der einzige Abstrich den man hier machen muß.
Kujken: nicht schlecht, aber wenig dramatisch, wenig präsentes Blech/Pauken im 1. Satz, überhaupt eher kontrastarm, besonders im 2. Satz, der recht fad wirkt. Im Finale wacht er dann auf. Das mitklimpernde Cembalo ist zum Glück fast unhörbar.
Meine Favoriten sind letzlich Bernstein und Harnoncourt. Beider Gesamteinspielungen kann ich jedem, der an dieser Musik interessiert ist, empfehlen.
viele Grüße
JR