Beethoven: Klaviersonate Nr. 26 op. 81a „Les Adieux“ - CD-Rezensionen und Vergleiche (2014

  • Da bisher so viele wunderbare Einspielungen vorgestellt wurden, will ich nicht mit der meine Hörgewohnheit prägenden Einspielung (Brendel Philipps/ Decca) beginnen, sondern versuchen, einen Eindruck von der Einspielung Nelson Freires zu vermitteln, die er 2006 vorgelegt hat. Diesem Komponisten hat sich Freire bisher weniger gewidmet, wenngleich er im letzten Konzert op. 111 auf dem Programm hatte. Zunächst zu den eher technischen Angaben. Die Spielzeiten sind folgende: 6'26, 3'22, 5'11. Freire liegt damit ein wenig schneller im Tempo als Brendel 1994, oder Buchbinder, ist aber langsamer als Gulda. Zur Programmatik der Sonate ist in den Beiträgen 1 und 9 alles gesagt worden (im Übrigen geriet er – wenn ich mich recht erinnere - über die Übersetzung ins Französische “Les Adieux” heftig in Wut). Da Freire die dynamischen Anweisen sehr penibel befolgt, will ich mich darauf konzentrieren, wie er die Programmatik umzusetzen vermag.
    Das Adagio – Allegro ist nach Beethovens Programm das “Das Lebewohl”: Beethoven notiert hier ein p expressivo, mit dem das ernste, absinkende Lebewohl-Motiv den Anfangs zu spielen sei. Hier stellt Freire sofort seine große Anschlagskultur unter Beweis und erzeugt mit einem warmen Ton eine – wenngleich sanfte – Melancholie, die immer von den schmerzlichen Gedanken (so das sf in Takt 6) an die baldige Abwesenheit durchzogen ist. Unterbrochen wird dieser Gedankenfluß in den Takten 12–16: wie sich langsam entfernende zögerliche Schrittfolgen, mit einem leichten Verharren auf den Achtelnoten. Das kraftvoll-dynamische Allegro kontrastiert Freire sehr bewußt: ist es das leichte Zögern, daß Anlaß für diese Dynamik gibt, etwa in Erwartung einer Umkehr? Ich denke nein: ist es nicht eher die gesamte Gefühlswelt, die beim Abschied durchlebt wird: freudige Gedanken an die vergangene Zeit, im Wechsel mit Trauer über den Abschied, aber auch Angst vor der baldigen Einsamkeit? Dieses Spektrum schient mir zumindest der restliche Satz zu umfassen: Freire lotet das insbesondere in den kraftvoll-dynamischen Teilen sehr subtil aus.
    Das folgende Andante expressivo, hat Beethoven ebenfalls programmatisch überschrieben, die Abwesenheit soll “in gehender Bewegung, doch mit viel Ausdruck” gespielt werden. Bei Freire scheint weniger die Bewegung als solche das zentrale Element als vielmehr der Gang: es ist kein durchgehender Fluß der Musik, sondern ein Gang, den er darstellt, ein dumpfes, tieftrauriges Brüten, unterbrochen von Ausbrüchen: wie eine Leere, die der Abschied hinterlassen hat und die ab und zu durch Erinnerungen an den Abschied selbst durchbrochen wird, um dann wieder in diesen Zustand zurückzufallen. Wenn Beethoven hier „mit viel Ausdruck“ fordert, so hat Freire den Ton imO wunderbar getroffen. Sein dolce ist allerdings kein süßliches, sondern ein eher bitter-süßes.
    Im attaca abgeschlossenen Vivicissimamente – Poco Andante, der Ankunft, das “im lebhaftesten Zeitmaße” vorzutragen ist, entfaltet Freire ein virtuoses Finale. Es ist keine übersprühende Freude, die vermittelt wird, vielmehr ist über weite Strecken des Satzes eine gewisse Unruhe, ja Nervosität hörbar (insbesondere im Motiv Takt 9 und 10): eine freudige Erwartung, bei der aber lange Zeit unsicher ist, ob sie denn wirklich so eintritt. Wenn die Freude sich durchgesetzt hat (Takte 22-35), wird das Gefühl sofort zurückgenommen: ein regelrechtes Wechselbad der Gefühle, als ob die aufkeimenden Gefühle der Wiedersehensfreude nicht zugelassen werden können, sich aber letztlich doch durchsetzen. So zumindest würde ich das triumphale Finale deuten, das Freire dem Stück angedeihen läßt.
    Das war jetzt keine Rezension, doch hat mich die Interpretation Freires dazu verleitet, mich noch einmal mit dem Werk selbst auseinanderzusetzen: aber auch das kann man ja als ein Kompliment für die Aufnahme ansehen :)
    Herzliche Grüße zum Sonntag
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich denke schon, dass das eine Rezension war, liber Jörn, und ich danke dir dafür. Das muss ja hier nicht mmer nach Schema "F" ablaufen. Du hast alle wichtige Dinge genannt wie die Vortragsart und -qualität Freires und die Gefühle, die der Komponist ausdrücken wollte und die der Interpret letztendlich in dir ausgelöst hat. Das ist es ja letztlich, worauf es ankommt. Entweder stimmt diese Ereginiskette, wie hier bei dir, oder sie stimmt nicht, wenn die Interpetation vielleicht nicht so "Lobe den Herrn" war.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Eine wunderbare Rezension, lieber Jörn! Freire habe ich bislang leider noch gar nicht mit Beethoven gehört! :hello:


    Einen wunderschönen Sonntag wünscht
    Holger


  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Claudio Arrau, Klavier
    AD: Beethovenfest Bonn 1970
    Spielzeiten:7:16-3:57-6:37 -- 17:50 min.;


    Claudio Arrau beginnt in diesem Live-Konzertdas Adagio mit der ihm eigenen Bedachtsamkeit und Ruhe, aber auch Klarheit, dem warmen, sonoren Ton, der ihn immer auszeichnet. Er gehört mit 1:30 min. für das Adagio zu den Langsameren. Wen wunderts, gehört er doch gleichzeitig auch zu denjenigen mit der größten Ausdruckstiefe.
    In der Exposition entwickelt er mit seinem Tempo einen gehörigen Kontrast zum Adagio und versteht es auch, dynamisch zuzupacken. Gleichzeitig kommt auch wiederum die Begleitung bei ihm nicht zu kurz. Die espressivo-Stelle spielt er atemberaubend, in den p-Passagen geht er noch weiter zurück bis ins Pianissimo.
    Auch die Durchführung bietet ihm wieder Gelegenheit zum Kontrast, vor allem temporaler, aber auch dynamischer Art. Beides, Tempo und Dynamik drosselt er gehörig, spielt stockend und drückt so die innere Gefühlswelt des Zurückbleibenden in ihrer Unsicherheit, Zerrissenheit und Angst aus. Auch das sempre diminuendo gelingt ihm sehr beeindruckend als Zunahme der negativen Gefühle auszudrücken.
    In der Reprise legt Arrau noch einmal dynamisch zu. Das Crescendo Takt 124 bis 126 ist furios und wird nach der Sforzandokette in dem p/pp ab Takt 131 wunderbar kontrastiert. Auch die anschließend lyrische Episode, vor alle, in der dem oktavierten Doppeltakt 140/141 ist wunderbar, und das anschließende Espressivo führt er sehr schön bis ins pp zurück. Die ersten 20 Takte der Coda führt Arrau dynamisch hochstehend fort, bevor die Ganzen/Viertel-Phase von Takt 181 bis 194 in selten gehörter lyrischer Zartheit vorgetragen wird, und das kommt bei Arrau völlig organisch nach dem aufwühlenden Beginn. und geht sogleich wieder in die Dolce-Stelle über. Diese zieht sich praktisch bis zum Schluss durch und ist unter den Händen Arraus reinste Poesie. So hört man das wahrlich selten- Arrau mit 67 Jahren auf der absoluten Höhe seines Könnens!


    Auch das Andante espressivo beginnt er mit absoluter Zartheit und im Pianissimo, eine stille Trauer, in sich gekehrt, und diese Intimität des Vortrags behält er auch in der Sforzandokette bei, wo andere durchaus das große Besteck auspacken. Auch die Zweiunddreißigstel spielt er so zart, so ätherisch, so dass dieser ganze Satz, wenigstens bis hierhin, einen großen Kontrast zum Kopfsatz darstellt- großartig! Auch das Cantabile bleibt unter diesem dynamischen Bogen, erst zum Sforzando in Takt 19 steigert er, steuert dies praktisch als Zielpunkt an. Auch nach den diminuendo-Takten bleibt Arrau bei dieser verhaltenen Dynamik, wobei er allerdings dann doch in dem nächsten Crescendo mit den vier Sforzandos dynamisch zulegt, praktisch gegenüber der ersten Stelle steigert, d. h. m. E., dass die negativen Gefühle nicht stagnieren sondern sich verstärken, weil ja die Zeit der Trennung noch andauert, daran ändert auch (vorläufig) das zweite Cantabile nichts, was auch zur Folge hat, dass er die folgende Crescendo/Diminuendo-Stelle ebenfalls moderat steigert, sich aber bald wieder in das zarte pp zurückfallen lässt und letztendlich endgültig zum Dur wandelt.


    Arrau lässt natürlich auch jetzt im Vivacissimamente die Zurückhaltung fahren und dreht dynamisch auf, indem er auch das Crescendo von Takt 17 bis zum ff in Takt 29 ausdehnt und dies dann beibehält. Seine markanten Glockenschläge zeigt er auch optisch, indem er die Hände aus den Schultern heraus hebt und auf die Tasten fallen lässt.. Sofort schaltet er jedoch wieder um auf ätherische Zonen, als die Trillersequenz ansteht. Nach dieser jedoch steigert sich das musikalische Geschehen natürlich noch einmal erheblich zum Ende der Exposition hin, was Arrau auch vollzieht. Die Exposition wiederholt er natürlich selbstredend.
    Die Durchführung ist ein weiterer lyrischer Höhepunkt in dieser Live-Aufnahme. In der Reprise spielt Arrau noch einmal die frappierende Crescendopassage, vielleicht noch etwas gesteigert, aber so organisch, das muss einfach richtig sein. Es wimmelt ja auch von ff-Vorschriften. Noch einmal folgen die akustisch und optisch wunderbar umgesetzten Glockenschläge und die einmalig ätherischen Triller, denen die lyrischen Legatobögen folgen., ein letztes Mal die große Steigerung, dann ein Poco sostenuto, das, so glaube ich mit Fug und Recht sagen zu dürfen, ich noch nie so bezaubernd und ausdrucksvoll, so anrührend gehört habe, dann das berauschende Tempo I und Schluss eines großem Konzerts, das mich mit dem traurigen Gefühl zurücklässt, dass ich damals nicht im Publikum saß, nur zweieinhalb Stunden Zugfahrt entfernt.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Eric Heidsieck, Klavier
    AD: 1966-69
    Spielzeiten: 7:22-4:13-5:52 -- 17:27 min.;


    Eric Heidsieck gehört im 1. Satz zu den Langsameren. Für das Adagio verwendet er 1:35 min. Der Klang ist sehr klar und präsent, er beginnt durchaus mit einem ordentlichen p, decrescendiert aber am Ende durchaus bis pp.
    Im Allegro packt er beherzt zu, steigert zu einem kräftigen Forte, die Begleitung bleibt aber durchaus transparent. Am Ende der Exposition spielt er den Bogen in Takt 62/63 sehr bewegt, decrescendiert hinterher schön.
    Leichte Temposchwankungen an bestimmten Stellen deuten darauf hin, dass er hier ein zögerliches Verhalten der Abschied Nehmenden erkennen und ausdrücken mag.
    In der Durchführung wird dieses zögerliche, stockende Spiel noch verstärkt, Zeichen für die Zunahme der Ungewissheit des Zurückbleibenden?
    Die Reprise hält die Unrast, die hochstehenden Dynamik, aber auch das Stete des sich Entfernenden aufrecht. Auch am Anfang der Coda setzt sich das fort. In der Passage mit en Ganzen und Vierteln setzt Heidsieck einen großen Kontrast, indem er diese Stelle betont verlangsamt und in schönem Piano spielt. Auch die anschließende Dolcestelle und die Legatobögen spielt er vortrefflich, ebenso die Hornrufpassage, in der er wieder sehr stark durch Rücknahme des Tempos kontrastiert und mit einer wunderbaren Achtelsequenz den Satz abschließt.


    Das Andante beginnt Heidsieck, wie ich finde, in unendlich traurigem Ausdruck, wobei manche Akkorde in der Begleitung regelrechtleer und hohl klingen, was diesen Eindruck noch verstärkt. Auch die Sforzandokette lässt dieses Gefühl noch verstärken. Auch das Cantabile klingt m. E. nicht wirklich trostreich, was die Stärke der traurigen Grundstimmung noch zunehmen lässt, dass hier wirklich (noch) kein Trost aufkommt, deswegen ist der Kontrast zum voraufgegangenen und folgenden Mollteil gar nicht so groß, und die nächste Passage, Takt 21 bis 24, ohnehin ein Höhepunkt der Tristesse, wirkt in der Darstellung Heidsiecks noch trostloser, auswegloser. Doch es kommt noch dicker, in der Sforzandokette Takt 27/28 und der folgenden temporal und dynamisch gesteigerten Zweiunddreißigstel mit den heftigen vier abschließenden Portatonoten im Crescendo in Takt 30 auf der Vier. Das Cantabile und nachfolgende Crescendo und Diminuendo wie gehabt. Erst am Ende von Takt 40 naht die Erlösung. Die Verlangsamung des Tempos hat Heidsieck in diesem Satz eindrucksvoll zur Steigerung der Dramatik genutzt.


    Endlich bricht sich die Freude Bahn, wenn auch nicht im Höchsttempo. Heidsieck bleibt hier bei seinem Tempokonzept, dass das Binnenverhältnis der Sätze in den Focus stellt. Er nutzt die dynamische Spannweite, dehnt sie aber nicht über Gebühr aus, und so klingen seine Glockenschläge zwar kräftig, aber nicht mehr.
    In der Trillerpassage habe ich ein Aha-Erlebnis. In der Triller-Passage crescendiert Heidsieck zur Tonhöhenspitze hin, was sich mir jetzt nicht so erschließt. Die Begleitung tritt in der Folge schön hervor, vor allem in den tiefen Oktaven in den Takten 75 bis 76 und 78 bis 79. In der Wiederholung der Exposition erlebe ich in der Trillerpassage wieder das zuvor Geschilderte.
    Die Durchführung gefällt mir sehr gut, er spielt sie rhythmisch ansprechend und sehr lyrisch in den Legatobögen.
    In der Reprise spielt er eine sehr schöne Steigerung zum Fortissimo hin und lässt dabei Melodie und Begleitung schön laufen. Ich meine, dass jetzt die Glockenschläge etwas lauter sind. Auch hier findet in den Trillern wieder dieses seltsame Crescendo zur Tonhöhenspitze hin statt. Die Legatobögen fließen wieder schön dahin, und in der folgende Passage bilden die Synkopen dazu einen schönen rhythmischen Kontrast.
    Das Poco andante ist sehr lyrisch gespielt, aber er verzichtet hier auf einen allzu großen temporalen Kontrast, indem er es normal fließen lässt bis hin zum poco ritartando und schließt mit einem kecken Tempo I ab.
    Eine schöne Interpretation.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

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  • Zitat William B. A.

    Zitat

    In der Durchführung wird dieses zögerliche, stockende Spiel noch verstärkt, Zeichen für die Zunahme der Ungewissheit des Zurückbleibenden?

    Lieber Willi,
    hab vielen Dank für Deine schönen Besprechungen. Das Zögerliche bei Heidsieck hört sich nach Deiner Beschreibung so an, also ob man die Interpretation des ersten Satzes mit Freire vergleichen könnte.


    Zitat Holger Kaletha

    Zitat

    Eine wunderbare Rezension, lieber Jörn! Freire habe ich bislang leider noch gar nicht mit Beethoven gehört!


    Danke, lieber Holger :), um kurz OT zu gehen: Beethoven hat Freire noch nicht so ganz lange im CD-Programm (im Konzertprogramm allerdings schon). Er nähert sich Beethoven interessanterweise über die späteren Werke. Gehört habe ich Klavierkonzert Nr. 5 und den Klavierabend, bei dem er eine grandiose op. 111 darbot. Seine Beethoven CD ist gemischt, wie ich finde: Waldstein ist mitreißend, "Mondschein" hat mir aufgrund einiger Eigenwilligkeiten nicht so sehr gefallen, "Les Adieux" finde ich sehr gelungen, am besten gefällt mir jedoch op. 110, die imO den Vergleich mit den "Beethoven-Spezialisten" nicht zu scheuen braucht.
    Herzliche Grüße
    Jörn

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Lieber Jörn, das Zögerliche wirst du in meiner nächsten Besprechung (Gilels 1980 bei den Ludwigsburger Festspielen) auch wiederfinden.

    Zitat

    JLang: Er (Freire) nähert sich Beethoven interessanterweise über die späteren Werke.


    Lieber Jörn, das tun zwei hochdekorierte Damen (Leonskaja und Uchida), die ich beide schon mit viel Schubert , Uchida auch schon einmal mit Beethoven und Leonskaja schon einmal mit Mozart live erlebt habe. Nun wagen sie sich auch an die Sonate, auch die jüngere Dina Ugorskaja, die Tochter von Anatol Ugorski. Da letztere auch schon op. 90 aufgenommen hat, werde ich sie im nächsten Thread schon kennen lernen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Emil Gilels, Klavier
    AD: 21. 9. 1980 Ludwigsburg
    Spielzeiten: 7:06-3:34-5:46 -- 16:26 min.;


    Emil Gilels wählt hier bei den Ludwigsburger Festspielen ein mittleres Tempo im Adagio, aber was den Ausdruck und die Klarheit im Klang und die Dynamik betrifft, so ist diese Einleitung schon wieder auf einem turmhohen Niveau. Es verhält sich ähnlich wie bei der Moskauer Aufnahme aus dem gleichen Jahr, nur dass hier der Klang m. E. noch besser ist.
    Auch in der Allegro-Exposition ist alles so klar, so schlüssig, steht jeder Ton transparent im Raum, wird die Struktur so deutlich wie selten. Der große dynamische Raum, den Gilels öffnet, ergibt sich hier in der Exposition auch durch das Hinabsteigen in die pp-Abgründe. Die gleiche Klarheit im Klang herrscht auch in der kurzen Durchführung, hier aber im Ausdruck durchaus nuanciert in Richtung einer leichten Traurigkeit und einer Unsicherheit und Zögerlichkeit, was (nicht nur) im sempre diminuendo natürlich brillant gespielt ist.
    Die Reprise entspricht im Wesentlichen dem Verlauf der Expedition, auch hier wieder die Legatobögen und das Espressivo sehr schön ausgeführt.
    Die Coda ist in ihrer Grundstimmung schon leicht verändert und changiert nach Moll, was eine Verstärkung in der Passage mit den Ganzen und Vierteln findet, das klingt hier schon sehr traurig, wird aber kurz noch wieder vom Dolce abgelöst, das Gilels wunderbar in den hohen Oktaven singen und silbrig funkeln lässt. Die darauf folgenden Hornruf-Sequenz klingt bei Gilels, indem er sie schwerer und langsamer spielt, auch traurig. Daran kann auch die nochmals in der hohen Oktave funkelnde Achtelkette nichts mehr ändern.


    Auch im Anfang des Andante vermittelt Gilels m. E. tiefe Traurigkeit. Er schafft es, den Tönen eine fahle Farbe zu verschaffen, die die Trauer in Richtung Trostlosigkeit verwandelt. Auch die Zweiunddreißigstel klingen kalt. Dafür schafft er einen schönen Kontrast im Cantabile, das er m. E. wieder wärmer gestaltet. Doch danach wieder tief Trauer, die in den vier Sforzandi (wie übrigens auch schon in den Takten 11 und 12 auch noch dadurch gesteigert wird, dass er sie wie tiefe Seufzer spielt- grandios!- danach wieder die kalte Zweiunddreißigstelpassage und das zu Herzen gehende Cantabile, das ein letztes Mal von dem trostlosen Crescendo-Diminuendo abgelöst wird, das aber dann am Ende von Takt 40 endgültig Platz macht für das


    Vivacissimamente: mit einem trockenen Forte ist alles Leid vergessen. Emil Gilels lässt sein klavier in den schönsten und höchsten Tönen singen und die Glockenklänge kräftig erschallen. Auch die Triller hüpfen munter vor sich hin. Bei alledem fällt aber auf, dass Emil Gilels sich auch für diesen Satz Zeit lässt. Er lässt diese herrliche Musik sich in aller Ruhe entfalten, eine andere, aber wie ich finde, doch durchaus zulässige Art, diese Musik darzustellen. Die Legatobögen sind wunderbar ausgesungen und die Synkopen hüpfen leicht über die rollenden Sechzehntel-Begleitungen. Ein Wort noch zur Begleitung allgemein, die bei Gilels vom Klarsten, Allerfeinsten und Bedeutsamsten ist.
    Im ersten Teil der Durchführung führt das Klavier seinen Gesang mit den bukolischen absteigenden Vierteln und Achteln sowie den weiterführenden himmlischen Legatobögen fort und umkränzt dann die Sechzehntelketten abwechselnd mit Oktav-Akkorden unter Legatobögen und ohne Legatobögen, wodurch die innere rhythmische Bewegung noch verstärkt wird. In der Reprise führt auch Emil Gilels dieses lange Crescendo aus, steigert es aber nicht bis ins Uferlose, sondern nur bis zu respektablen Glockenschlägen, denen dann die neckischen Triller in der hohen Oktave folgen sowie die wiederum herrlichen Legatobögen und im weiteren die Synkopenpassage mit der langen Steigerung hin zur Coda:
    in der er noch mal wunderbar innehält, in der Person des Zurückgebliebenen das rauschende Wiedersehen noch mal an seinem geistigen Auge vorbeiziehen lässt- und mit einem letzten Wirbel abschließt.
    Eine große Live-Aufnahme!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Es verhält sich ähnlich wie bei der Moskauer Aufnahme aus dem gleichen Jahr, nur dass hier der Klang m. E. noch besser ist.

    Sehr schön wieder einmal, Deine Rezension, lieber Willi! Gibt es da nun deutliche Unterschiede zu Moskau oder nicht - würde mich noch ein wenig mehr interessieren. :hello:


    Herzliche Grüße
    Holger

  • Lieber Holger, ich muss sagen, dass ich nach deiner Frage noch ratloser bin als vorher, denn ich habe nach nochmaligem Nachsehen festgestellt, dass die Aufnahme von Brilliant Classics im Oktober 1980 entstanden ist, also einen Momant nach der Ludwigsburger Aufnahme, und dass die Aufnahme möglicherweise gar nicht in Moskau stattgefunden hat, denn der Lizenzgeber von Brilliant war Pipline Music Inc. USA. Das allein kann es aber nicht sein. Wie kann er einen Monat später eine Aufnahme machen, die zumindest in den ersten beiden Sätzen einen viel positivieren Ansatz zum Vorschein brachte. Pianisitisch ist die Ludwigsburger Aufnahme auch brillant, aber, wie ich finde, hat sie nicht diesen vorwärtsgerichteten, positiven Impetus wie die Aufnahme vom Oktober, sondern tendiert eher zu der Lesart der Studioaufnahme von 1974.
    Auch im ersten Ton des Vivacissimamente, den ich in der entsprechenden Rezension beschrieb, der mich wie viele anere Stellen fassungslos machte, ist hier ein himmelweiter Unterschied: ein kurzes, trockenes Forte, da stürzt keine Saaldecke herab, da zittert nicht mal ein Glas auf einem Tisch. Es ist so, als ob er sagen wollte: Seht ihr, ich kann es so spielen (September 1980)- oder so (Oktober 1980). Oder waren es andere Ursachen, äußere Umstände, eine bessere Befindlichkeit, die diese "andere Welt", wie ich sie in meiner Renzension nannte, für uns Zuhörer geöffnet hat?


    Liebe Grüße


    Willi :)?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Lieber Holger, ich muss sagen, dass ich nach deiner Frage noch ratloser bin als vorher, denn ich habe nach nochmaligem Nachsehen festgestellt, dass die Aufnahme von Brilliant Classics im Oktober 1980 entstanden ist, also einen Momant nach der Ludwigsburger Aufnahme, und dass die Aufnahme möglicherweise gar nicht in Moskau stattgefunden hat, denn der Lizenzgeber von Brilliant war Pipline Music Inc. USA.


    Pipeline hat die russische Aufnahme lizenziert, sie stammt aus Moskau und ist identisch mit dieser Ausgabe (Konzert vom 20.10.1980):



    BG,


    Christian


  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Wilhelm Kempff, Klavier
    AD: September 1964
    Spielzeiten: 7:03-2:57-4:16- 14:15 min.;


    Wilhelm Kempff gehört mit 65 Sekunden zu den Schnellsten im Adagio, wobei das ja eigentlich schon ein Andante ist. Jedenfalls ist das in meinen Augen auch so ein Fall, wo das Ganze an Ausdruckstiefe verliert.
    Es entsteht dann auch nach meiner Meinung kein genügender Kontrast zum Adagio, wenn Kempff das Allegro relativ langsam spielt, wie er es hier tut.
    Davon abgesehen, behandelt er die dynamischen Vorzeichen außerordentlich sorgfältig und bringt das Klavier in den lyrischen Passagen wunderbar zum Singen, was ja eine große Stärke von ihm ist.
    In der Durchführung bringt er das Zaudern und das Unsichere auch fein zum Ausdruck. und im sempre diminuendo geht er ganz weit dynamisch nach unten bis zum pp/ppp. Dadurch vergrößert er den Kontrast zur anschließenden Reprise. Auch in deren Verlauf gelingen ihm dann schöne Anstiege und Abstiege, und vor allem in den hohen Oktaven singt das Klavier dann wieder wunderbar.
    Im ersten Teil der Coda fällt eigentlich wieder auf, dass das Allegro eigentlich zu langsam gespielt ist. Das harmoniert nicht mit dem anfänglichen Adagio. Auch die Sequenz mit den Ganzen und Vierteln ab Takt 181 kontrastiert dann m. E. nicht mehr genug mit dem Voraufgegangenen. Wenn man das als Atempause verstehen will, fragt man sich unwillkürlich: Atempause- warum?
    Losgelöst von dem temporalen Gesamtzusammenhang ist natürlich der Schluss etwa ab Takt 200 mit den Legatobögen wunderbar gespielt und auch die abschließenden Achtel sind großartig, aber dennoch bleiben temporal einige Fragen offen.


    Auch im Andante espressivo kommt mir sofort die Tempofrage in den Sinn. Die größten Gestalter dieses Satzes ,Arrau, Gilels, Brendel, Buchbinder, Gelber, sind alle fast eine Minute oder mehr langsamer als Kempff. Selbst Gulda, einer der absolut besten Interpreten dieser Sonate, ist über eine halbe Minute langsamer als Kempff. Es erhebt sich also die Frage, warum man bei einem langsamen Satz schnell sein muss. Mozart hat also schonRecht, wenn er meint, dass das Tempo das Härteste und das Wichtigste in der Musik ist. Hier wird es augen- und vor allem ohrenfällig.
    Auch die Zweiunddreißigstel verlieren ihren dräuenden Charakter, wenn sie wie hier wie "Perlen an einer Schnur" gespielt werden. Auch das Cantabile, das wiederum für sich gesehen sehr schön lyrisch gespielt ist, verliert seinen Charakter als strahlender oder zumindest tröstender Kontrast, wenn die voraufgegangenen Zweiunddreißigstel so leicht und so schnell gespielt werden .
    Das Gleiche gilt für die Wiederholung . Am Schluss des Satzes spielt er allerdings die letzten drei Takte atemberaubend. Warum nicht alles so?
    Damit wir uns nicht falsch verstehen, da ist pianistisch alles in Ordnung, interpretatorisch habe ich das allerdings schon viel besser, viel mehr in die Tiefe gehend, gehört.


    Im Finale fällt mir auf, dass er am Anfang dynamisch Einiges einebnet, z. B. das Crescendo ab Takt 17, und in den Takten 28 bis 33 erreichte er m. E. auch kein Fortissimo. Allerdings sind die Glockenschläge dann in Ordnung, und auch die anschließenden Triller gefallen mir gut, ebenso die wunderbar singende Legatopassage und die Synkopensequenz.
    Leider wiederholt Kempff die Exposition, wie so oft, nicht.
    Die kurze, originelle Durchführung dagegen darf zu den großen Pluspunkten dieser Aufnahme gerechnet werden.
    Allerdings habe ich den Beginn der Reprise mit dem langen Crescendo ab Takt 116 auch schon konstanter und kraftvoller gehört. Die Glockenschläge und die Triller sind wieder sehr gut, aber von den beiden Steigerungen Takt 146 bis 149 und 154 bis 157 kann ich nichts vernehmen. Die Synkopensequenz kommt nochmal sehr schwungvoll und präzise daher.
    Erstaunlicherweise gehört das Poco andante der Coda zu den Pluspunkten dieser Einspielung, vor allem dynamisch, wo die Konturen stimmen, und die sechs Tempo I-Takte am Schluss sind auch in Ordnung.
    Schade, aus dieser Interpretation hätte Wilhelm Kempff meiner Ansicht nach mehr machen können.


    Liebe Grüße


    Willi :(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Auch im ersten Ton des Vivacissimamente, den ich in der entsprechenden Rezension beschrieb, der mich wie viele anere Stellen fassungslos machte, ist hier ein himmelweiter Unterschied: ein kurzes, trockenes Forte, da stürzt keine Saaldecke herab, da zittert nicht mal ein Glas auf einem Tisch. Es ist so, als ob er sagen wollte: Seht ihr, ich kann es so spielen (September 1980)- oder so (Oktober 1980). Oder waren es andere Ursachen, äußere Umstände, eine bessere Befindlichkeit, die diese "andere Welt", wie ich sie in meiner Renzension nannte, für uns Zuhörer geöffnet hat?

    Das finde ich auch sehr bemerkenswert, lieber Willi! Gilels war sehr sensibel, reagierte äußerst empfindlich auf äußere Umstände. Solche "Schwankungen" reizen zum Nachdenken! Ein Konzert ist eben doch keine kühle Reproduktion, sondern folgt der Gunst des Augenblicks und dasselbe Werk doch sehr verschieden darstellen. :hello:


    Schöne Pfingsten wünscht mit herzlichen Grüßen
    Holger


  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Michael Korstick, Klavier
    AD: Juni 2008
    Spielzeiten: 6:41-4:00-5:43 -- 16:24 min.;


    Michael Korstick befindet sich im einleitenden Adagio mit 1:24 min. im mittleren temporalen Bereich. Auffällig ist, dass er bei transparentem Klang die dynamischen Akzente sehr stark beachtet, fast bis zum Forte bringt, also etwas Energisches hi einbringt, so als ob trotz des Lebewohls die Aussicht auf ein Wiedersehen beinahe trotzig vermittelt wird.
    Im Allegro demonstriert Korstick seinen großen dynamischen Spielraum auch dadurch, dass er ihn ebenfalls nach unten ins pp auslotet. Die lyrischen Passagen gelingen ihm sehr gut. Ich muss allerdings auch gestehen, dass die Bässe seines Instrumentes in den mittleren Lagen etwas schnarren. Ich kann aber nicht beurteilen, ob das am Pianisten liegt.
    Die Durchführung ist ebenfalls zögerlich, etwas unsicher angelegt, verströmt aber m. E. nicht so starke negative Gefühle wie schon verschiedentlich gehört. Das sempre diminuendo ist sehr schön gespielt und dynamisch fein abgestuft.
    In der Reprise steigert er nicht signifikant gegenüber der Exposition und der Durchführung, spielt aber die Legatobögen sehr ausdrucksvoll.
    Die Coda beginnt sehr energisch und dynamisch höher stehend, und in der Passage mit den Ganzen und Vierteln ist der Ausdruck nun mehr zum Traurigen gewandelt. Die folgende Dolcestelle mit den Legatobögen ist wiederum bärenstark gespielt, desgleichen die seh nach innen gerichtete Hornruf-Sequenz. Die Rufe sind nur noch sehr leise, weit entfernt, und die Schlussfolge mit den Achteln ist großartig.


    Das Andante espressivo ist im ersten Teil dynamisch steigernd angelegt. Nach dem leichten Crescendo in Takt 8 und dem folgenden Diminuendo fällt das nächste Crescendo in Takt 11 schon stärker aus und die Sforzandokette ist eine sehr starke, fast schon dramatische Steigerung mit nochmal markanten 4 Portato-Tönen in Takt 14. Das Cantabile gefällt mir sehr gut und ist stark kontrastiert durch das nachfolgende Crescendo-Diminuendo, das schon fast makaber abgehackt klingt und wird durch die gespenstischen Figuren von Takt 21 bis 24 noch fortgeführt. Nach dem dann sanfteren Crescendo ab Takt 24 auf der Zwei scheint mir die folgende Sforzandokette gegenüber der ersten nochmals gesteigert. Das Gleiche gilt auch für die neuerliche Crescendo-Diminuendo-Passage mit kräftig platzierten Sforzandi, dem gegenüber sind die letzten Takte ein prächtiger Kontrast, der sich durch das betörende ppp-Spiel nahezu in "Wohlgefallen" auflöst. -
    Toll!


    Das Vivacissimamente beginnt Korstick erstaunlicherweise nicht mit einem Paukenschlag, sondern einem durchaus ganz normalen Forte- nichts Spektakuläres, aber, wie ich finde, Kontinuität!
    Aber dann kommt eine ganz starke Stelle, nämlich das ganze Crescendo ab Takt 17 kontinuierlich und kleinschrittig gesteigert, vor allem auch sehr deutlich gegenüber manch anderem auch in der Begleitung. Das wirkt dynamisch noch wesentlich stärker. Auch die Glockenschläge sind durchaus kräftig, und die Triller und die nachfolgenden Legatobögen sind m. E. wirklich sehr gut ausgeführt. Dabei ist weiterhin auch die Begleitung zu loben, die Synkopen sind wunderbar, ebenso die tiefen Basspassagen. Auch in der Wiederholung ist die Exposition exzellent.
    Auch die kurze Durchführung ist traumhaft gespielt. Sehr eindrucksvoll, das muss auch noch mal gesagt werden, ist die fein strukturierende Befolgung der dynamischen Vorschriften. jede Hebung und jede Senkung ist zu vernehmen, wobei sie je nach Umfang organisch in den gesamten Fortgang der Musik eingebunden sind.
    In der Reprise legt Korstick dynamisch noch etwas zu, herrlich die Sechzehntel in der hohen Oktave und wieder kraftvoll die Glockenschläge, silbrig glänzend und beinahe schwerelos tanzend die Triller in der hohen Oktave und sehr schön wieder die Legatobögen, die Synkopen und die Schlusssteigerung zur Coda hin:
    zwei große Kontraste am Schluss, zunächst durch die bewusste Verlangsamung ein grandioses Poco andante, dann durch das hohe Tempo und Brio im Tempo I der rasante Abschluss!


    Wie ich finde, eine großartige Interpretation!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Stephen Kovacevic, Klavier
    AD: Juni 2002
    Spielzeiten: 6:30-3:31-5:29 -- 15:30 min.;


    Stephen Kovacevic ist im Adagio einige Sekunden schneller als Korstick, aber er spielt das Adagio wesentlich intimer, fährt die dynamischen Steigerungen nicht so weit aus, aber er fährt sie aus. Diese Lesart wirkt nicht so forsch-optimistisch, wie die Korsticks, sondern von Anfang an mehr nach innen gerichtet, nachdenklich, aber all das auch glänzend gespielt.
    Im Allegro steigert er dann aber doch, vor allem im Crescendo ab Takt 32 erreicht er den Level Korsticks mühelos, aber ebenso wie dieser vergrößert er die dynamische Spannweite noch durch Ausweitung nach unten, und das spielt er im pp exzellent. Auch er spielt eine vorzügliche transparente gleichberechtigte Begleitung. Ich kann mir nicht helfen, aber auch n der Wiederholung spielt er die p-Passage ab Takt 39 (bei ihm eher pp) grandios, ebenso wie den Übergang zur Wiederholung der Exposition bzw. zur Durchführung. Das ist schon etwas, was ihm wohl sehr liegt. Ich bin mir nicht sicher, aber ich meine, er hätte Les Adieus auch bei m Klavierfestival in Mülheim gespielt. Auch die Durchführung ist in ihrer Zögerlichkeit, ihren Unterbrechungen, dem kurzen Anstieg in Takt 90/91 und dem sempre diminuendo sehr schön gespielt. Auch die Reprise verbleibt auf diesem hohen Niveau. Die Legatobögen laufen sehr ausdrucksvoll voran.
    Im ersten Teil der Coda spielt sich das musikalische Geschehen auf einem ähnlich hohen dynamischen Niveau ab wie bei Korstick, und seine Passage mit den Ganzen und Viertel ist auch sehr verhalten, intim gespielt, die nachfolgende dolce-Passage überragend, ebenso wie die Hornrufe, auch sie schon weit entfernt, die abschließenden Achtel auf gleichem Niveau- ein toller Satz!


    Das Andante espressivo spielt Kovacevic m. E. weicher als Korstick, aber nicht weniger ausdrucksvoll, auch die Sforzandokette kommt nicht so heftig, alles drückt vielleicht mehr eine stille Trauer aus, auch seine Zweiunddreißigstel klingen runder, irgendwie auch etwas wärmer, auch das kurze Cantabile verbleibt in diesem warmen Klang, der gleichsam von innen heraus leuchtet. Seine Crescendo-Diminuendo-Passage klingt ebenfalls rund, nicht so aggressiv hart wie bei Korstick: zwei Seiten derselben Medaille? Ich weiß, während ich die weiteren musikalischen Figuren höre, die bei Korstick ebenfalls so geschärft klingen, bei Kovacevic aber gar nicht, wieso ich auf die Idee komme, so könnte Schubert trauern, jetzt nicht als Komponist, sondern als Mensch, denn wie er als Komponist solche Dinge verarbeitet hat, davon gibt ja der zweite Satz seiner A-dur-Sonate D.959 beredtes Zeugnis ab. In der Wiederholung steigert Kovacevic dann die Sforzandokette aber doch, kommt hier der Lesart Korsticks näher, vergrößert insgesamt so den dramatischen Gehalt seiner Interpretation.
    Sein wiederholtes Cantabile ist auf dem gleichen hohen Ausdrucksniveau wie in Takt 15 ff, ebenso das wiederholte Diminuendo, und seine Überleitungstakte 40 bis 42 sind ebenso überragend die die Korsticks.


    Ebenso wie dieser beginnt auch Kovacevic das Vivacissimamente völlig unspektakulär mit einem "normalen" Forte, wobei man sich aber bei diesen Vergleichen vor Augen führen muss, dass Kovacevic die Sonate sechs Jahre eher aufgenommen hat als Korstick. In der Exposition spielt er ebenfalls eine veritable Steigerung ab Takt 17 und endet mit kräftigen Glockenschlägen. Seine Triller sind bezaubernd, und die Begleitung passt so wunderbar dazu. Die äußerst lyrischen Legatobögen, die Synkopen mit den herrlichen Sechzehntel-Begleitfiguren, es passt Eins so wunderbar ins Andere.
    Die große Wiedersehensfreude kann auch so ausgedrückt werden, da muss nicht alles zusammenbrechen.
    Die kurze Durchführung ist sehr beseligend gespielt. Die Reprise stellt natürlich noch mal eine gewisse dynamische Steigerung dar, die aber nicht die gesamte dynamische Kuppel verlässt, sonder wunderbar darunter passt. ebenso wie die neuerlichen Glockenschläge und die in der hohen Oktave schwebenden Trillerfiguren. Die schönen Legatobögen schließen sich nochmal an, die Synkopen mit der wunderbaren tiefen Begleitung folgen.
    Der Kontrast in der Poco andante-Coda ist bei Kovacevic nicht so groß, weil er sie schneller spielt als Korstick, aber nicht weniger beeindruckend, und weil auch sein Tempo I dann nicht so schnell ist.


    Ebenfalls eine große Aufnahme!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Lieber Willi,


    das sind wieder mal sehr schöne Besprechungen! Von Kempff - habe ich gerade geschaut - ist neben der 1964iger DGG-Aufnahme noch eine alte von 1927 (!) in meiner Sammlung. Meinen Erfahrungen und Vergleichen mit op. 7 und der Pathetique zufolge kann man da sicher einer ganz anderen Wilhelm Kempff erleben!


    Herzliche Grüße
    Holger

  • Ich habe ja auch schon einen ganz anderen Kempff erlebt, lieber Holger.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Paul Lewis, Klavier
    AD: 2005-2007
    Spielzeiten: 7:21-3:39-5:56 -- 16:56 min.;


    Paul Lewis zeigt auch in diesem Adagio wieder, dass er langsame Sätze liebt. Er gehört hier mit 1:29 min. für das Adagio zu den langsameren Pianisten. Mit seinem kultivierten Anschlag erschließt er diese Einleitung mit einer respektablen dynamischen Spannweite von pp bis etwa mf beim Sforzando in Takt 6 und mit einer lyrischen Tongebung.
    In der Exposition passt er das Allegro-Tempo der Einleitung an und lässt die Achtel entspannt fließen, auch in den Oktavierungen. Dynamisch geht er bis zum Forte, lässt die weiteren Sforzandi genügend hervortreten, ohne jedoch den musikalischen Fluss zu unterbrechen. Selbstverständlich wiederholt auch er die Exposition. Sein Spiel ist sehr transparent und auf eine Gleichgewichtung von Melodie und Begleitung ausgelegt.
    Gleich zu Beginn der Durchführung gestaltet er einen kräftigen Kontras, indem er die Takte 70 bis 72 durchaus forte nimmt, um dann gleich in Takt 73 subito piano (pp) zu spielen. Die Durchführung ist ansonsten zurückhaltend, ein wenig zögerlich, allerdings mit einem echten Höhepunkt im Forte des Taktes 90 gespielt, von dem aus er dann das sempre diminuendo gleichmäßig entwickelt.
    Die Reprise gestaltet er wie die Exposition, wohl zupackend, aber in einer dynamischen Kuppel bis zum Forte, ausgehend vom pp.
    Im ersten Teil der Coda, der dynamisch am höchsten steht, steigert er den dramatischen Gehalt auch dadurch, dass er die oktavierten Sforzandi stark akzentuiert. Dadurch, dass er die Sequenz mit den Ganzen und Vierteln ganz zart etwa pp spielt und am Ende das Crescendo in Takt 193 bis 195 kräftig anhebt, ergeben sich gleich zwei starke Kontraste. Das ist toll gespielt! Auch die lyrisch ungeheuer stark vorgetragene doppelte Dolce-Stelle und der Achtel-Schluss sind Pfunde, mit denen Lewis wuchern kann.


    Der erste Teil des Andante espressivo beginnt zwischen p und pp und ist m. E. erfüllt von stiller Trauer, nicht herzzerreißend und auch in den vier Sforzandos nicht ausufernd. Das Cantabile klingt tröstend und mit der dynamisch starken Folge Crescendo-Sforzando-diminuendo-Sforzando-diminuendo baut er hier einen starken Kontrast auf. So stark kann das Hin und Her der Gefühle sein, in dem der Zurückgebliebene gefangen ist. In der nachfolgenden Sequenz, die aus Achteln, Sechzehnteln Dreizweiunddreißigsteln und Zweiunddreißigsteln besteht, verstärkt sich das negative Gefühl, auch durch die diesmal kräftigeren vier Sforzandi und die angehobenen Zweiunddreißigstel.
    Dagegen hält er wieder das wunderbar gespielte Cantabile. Doch es ist noch ein wenig zu früh für frohe Gefühle, wie uns das nochmal gesteigerte Sforzando-diminuendo zeigt. Den kurzen Übergang spielt er großartig.


    Lewis setzt an den Anfang des Vivacissimamente einen kräftigen Forte-Akkord und lässt die Sechzehntel dann munter fließen. In der Kette der Legatobögen ab dem Crescendo in Takt 17 lässt er die beiden ff-Akkorde in Takt 29 und 33 stärker hervortreten, desgleichen die beiden Glockenschläge am Anfang von Takt 37 und 41, ansonsten verbleibt er im dynamischen Raum bis Forte, wie auch in den ersten beiden Sätzen. Auch seine Triller mit den begleitenden Achtelakkorden sind rhythmisch und dynamisch vom Feinsten, desgleichen die folgende lyrische Passage mit den wunderbar gespielten Legatobögen. In der Schlusssteigerung der Exposition schwingt er sich dann mal wieder zum ff au, was ja auch durchaus schlüssig ist.
    Die Durchführung setzt Paul Lewis mit seinem meisterhaften lyrischen Ausdruck auf hohem Niveau fort. Der Legatobogen von Takt 88 bis 93 ist für ihn wie für andere lyrisch starke Pianisten ein Höhepunkt dieses Satzes.
    In der Reprise steigert Lewis die dynamische Spannweite, und ich meine auch, dass er ein wenig schneller wird. Jedenfalls ist das Crescendo ab Takt 116 grandios. Da geht es mühelos bis zum Fortissimo, und die Glockenschläge sind wieder kräftig, aber nur der erste und der neunte im ff, die Triller mit der Achtel-Akkord-Begleitung licht und leicht wie in der Exposition und die Legatobögen so schön wie vordem, aber dynamisch etwas anders betont. Hier geht das Crescendo moderat über alle vier Takte 146 bis 149 und 154 bis 157. Auch die Synkopen mit den frappierenden Sechzehntel-Begleitungen hüpfen keck dahin.
    Die Poco andante-Coda nimmt er temporal nicht so stark zurück wie Korstick, spielt sie mit einem klaren, strahlenden Klang und schließt mit Tempo I die Sonate ab.


    Eine großartige Aufnahme!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    John Lill, Klavier
    AD: ?
    Spielzeiten: 7:38-4:25-5:40 -- 17:43 min.;


    John Lill ist mit Abstand der bisher Langsamste im einleitenden Adagio. Er braucht 1:58 min. Dynamisch beginnt er mit einem satten p, fas schon mp, geht aber am Ende schön ins pp zurück, gestaltet also diese Einleitung schon sehr kontrastreich.
    Auch im Allegro greift er beherzt zu. Gar manche Passage (Takt 19/20, 39 ff., 57 bis 62) scheint mir eher mp/mf als p.
    Auch in der Durchführung, die nach den drei Forte-Takten 70 bis 72 im p notiert ist und die sein Landsmann Paul Lewis so wunderbar kontrastiert hatte, spielt er zumindest die höheren Töne in Takt 75/76, 79/80, 83/84 und 8788 m. E. zu laut. Erst im sempre diminuendo fängt er sich wieder und geht schön zurück.
    Ansonsten ist er in den Dynamikspitzen nicht zimperlich und ist auch schon mal (Takt 110, 125, 126) einem Fortissimo nahe, und in der letzten espressivo-Sequenz nach Takt 148 ist er m. E. an mehreren Stellen zu laut, vor allem in den Takten 150 bis 153. Das ist mezzoforte.
    Auch im ersten Teil de Coda (Takt 162 bis 180) kann ich wohl mehrere Sforzandi ausmachen, nicht aber die danach notierten Subitopiani (Takt 168, 172, 176), die doch m. E. für die musikalische Struktur unheimlich wichtig sind. Auch die Passage mit den Ganzen und Vierteln gefällt mir nicht so gut wie bei Lewis Kovacevic und Korstick, die da viel mehr Kontrast reingelegt hatten und sein Crescendo ab Takt 193 ist m. E. keins, weil er schon in der ersten Note das Forte erreicht hat.
    Erst mit Eintritt der Dolce-Stelle ab Takt 197 zeigt Lill, dass er auch lyrische und leise Stellen produzieren kann. So schafft er am Schluss einen gigantischen Kontrast zwischen dem pp in Takt 251 und dem ff/fff in Takt 254/255- ein seltsamer Satz!!


    Im Andante espressivo dann ein ganz anderes Bild. Hier werden die dynamischen Vorgaben beachtet und er schafft zu Beginn ein tieftrauriges Szenario, das in den vier Sforzandi so richtig dramatisch wird und in den Zweiunddreißigsteln noch verstärkt wird. Auch das Cantabile gefällt mir. Es ist gerade aus, klar, auch in der Begleitung. Und das Crescendo-Diminuendo wirkt durch sein langsames, kräftiges Schreiten bedrohlich und unerbittlich, und es wird noch fortgesetzt in den folgenden Figuren und vor allem in den neuerlichen Sforzandi, bei denen mir assoziativ der Begriff "Schicksals-Glocken" einfiel. Das wiederholte Cantabile und Crescendo-Diminuendo sind genauso beeindruckend wie beim ersten Mal und die letzten vier Takte sind ein sehr beeindruckender Kontrast zu den vier voraufgegangenen- ein sehr starker Satz!!


    Das Vivacissimamente beginnt mit großer Verve und die Exposition erstaunlicherweise mit korrekter Dynamik, die er jetzt auch zu Recht durchgehend in die Gegend des ff verschiebt, ohne dabei jedoch die Transparenz zu verlieren. Das ist jetzt nach außen strebende überborende Freude, durchaus auch eine zulässige Lesart. Am Ende der ersten großen Steigerung stehen jetzt Glockenschläge, die weithin vernehmbar sind, und die Triller schweben nicht, sondern sind erdig, von ebenso erdigen Achteln begleitet. Die Legatobögen sind auch ausgelassen und die Hebungen und Senkungen deutlich, die Synkopen kräftig und die Schlusssteigerung zur Wiederholung der Exposition äußerst kraftvoll. Natürlich wiederholt auch Lill die Exposition
    Auch der Durchführung kann Lill durchaus etwas Koboldhaftes und auch Lyrisches abgewinnen.
    In der Reprise legt er dynamisch noch ein wenig zu. Auch die Glockenschläge sind noch durchdringender. Die Triller klingen jetzt noch ausgelassener, die Begleitung hebt noch deutlicher ihre Stimme. und nach den neuerlichen Legatobögen folgt die letzte lange Steigerung, wobei die Begeisterung über das Wiedersehen immer noch anhält.
    Das Poco andante ist sehr einfühlsam und lyrisch gestaltet, nun, und das Tempo I kennen wir ja schon.


    Schade, dass mir der erste Satz so gar nicht gefallen hat, sonst hätte ich diese Aufnahme unter die ganz guten eingeordnet.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Gerhard Oppitz, Klavier
    AD: Januar 2006
    Spielzeiten: 7:03-3:31-5:55 -- 16:29 min.;


    Gerhard Oppitz eröffnet mit klarem transparenten Klang und mittlerem Tempo (1:22 min.). Das erste Crescendo ist deutlich, die andere kleinen Akzente dementsprechend.
    Im Allegro lässt er es fließen, ohne die dynamischen Spitzen allzu weit nach oben zu treiben, wie im einleitenden Adagio würde ich es als eine Interpretation der Mitte bezeichnen. Er spielt das, was da steht, wie ich meine, durchaus mit Ausdruck.
    Zu Beginn der Durchführung vergrößert er den Kontrast zwischen den Takten 72 und 73 dadurch, dass er die Takte 70 bis 72 durchaus forte spielt. Die Durchführung an sich spielt er behutsam, zurückhaltend und zögerlich stockend, eine Überlegung ausdrückend, was da nun, in der konkreten Situation eigentlich passiert?
    Die Reprise ist dynamisch dann höher stehend. Sehr schön ist wieder die espressivo-Stelle, die dann in den Übergang zur Coda führt. Auch sie beginnt dynamisch noch sehr bewegt. Die Stelle mit den Ganzen und Vierteln ist sehr zurückhaltend und nachdenklich gespielt, und Oppitz spielt das Crescendo im Gegensatz zu Lill wirklich als Crescendo, und was danach folgt, ist nur noch schön. Oppitz versteht es, der Tiefe dieses Satzes nachzuspüren, aus der hell strahlenden Schönheit der Achtelläufe organisch in die mehr nach innen gekehrte, fast schon schmerzvolle Schönheit der Hornrufe zu wechseln, bevor die Achtel fast die diesseitige Sphäre verlassen wollen, aber dann doch von zwei abschließenden Forteschlägen auf die Erde zurückgeholt werden.


    Der Beginn des Andante espressivo erscheint mir durch die Klanggebung Opptiz' tiefen Schmerz auszudrücken, was durch die beinahe gnadenlos kraftvollen Sforzandi noch unterstrichen wird. Auch die Zweiunddreißigstel spielt er mit viel Ausdruck. Das Cantabile ist schön, aber kann da nicht genügend Trost entgegensetzen, und obwohl das Crescendo-diminuendo nicht so dramatisch ist wie bei Lill, bleibt die schmervolle Aura erhalten und wird in der zweiten Gruppe der Sforzandi nochmal verstärkt. Auch das zweite Cantabile kann nicht wirklich trösten. Es erinnert mich hier an einen Ausspruch, den jemand mal im Zusammenhang mit der Klaviermusik Schuberts machte: "Nichts ist so traurig wie ein trauriges Dur". Aber auch hier ist ein Ende abzusehen, wenn die letzten drei Takte (40 bis 42) von innen heraus zu leuchten beginnen.


    Im Vivacissimamente beginnt es dann freudvoll zu fließen. Aber auch hier bleibt Oppitz ein Mann der Mitte: Freude ja, auch mit erhobener Stimme, aber immer noch mit ein wenig Contenance. Auch die Triller hüpfen vergnüglich vor sich hin und wissen aber immer noch, wo sie sind. Desgleichen geschieht mit den Legatobögen. Auch sie fließen heiter entspannt dahin, alles im Rahmen halt. Ich will das nicht als Durchschnitt bezeichnen, sondern als eine höchst legitime Lesart. Auch das hat Schwung und schaukelt sich im letzten Crescendo gegen Ende der Exposition durchaus zu einer veritablen Steigerung auf, aber immer noch mit Übersicht.
    Auch die Durchführung ist "durchdrungen vom milden Licht der Klassischen Mitte". Das ist wunderbare Musik. In der Reprise geht es dynamisch etwas weiter nach oben, auch temporal scheint es ein Ideechen schneller zu werden, aber es sprengt keinesfalls den (dynamischen) Rahmen.
    Das gilt auch für die weiteren wiederholten und leicht variierten Passagen. Es versteht sich von selbst, das Gerhard Oppitz nach wie vor ein äußerst transparentes Klangbild abliefert mit gleichberechtigter Melodie und Begleitung.
    Auch das Poco andante ist wunderschön, hier auch etwas langsamer gestaltet, ein schöner Kontrast, sehr verinnerlichter gleichermaßen hoher Ausdruck, dem er nochmals kontrastierend Tempo I als Abschluss gegenüber stellt.


    Eine großartige Interpretation der Mitte!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Alfredo Perl, Klavier
    AD: Februar + Juni 1994
    Spielzeiten: 7:02-3:43-5:44 -- 16:29 min.;


    Alfredo Perl gibt dem Adagio auch genügend Zeit sich zu entfalten. Er spielt es in 1:37 min. und gehört damit zu den langsameren. Dynamisch agiert er auch deutlich, jedoch im vorgegebenen Rahmen, wobei er Am Anfang eher bei pp ist. Sein Spiel ist von Anfang an sehr
    ausdrucksstark.
    In der Exposition entfaltet er temporal einen schönen Kontrast, indem er recht schnell zu Werke geht, was aber der Transparenz seines Spiels keinerlei Abbruch tut. Die lyrischen Legatoabschnitte sind bei ihm in den besten Händen.
    Nach der Wiederholung der Exposition eröffnet auch er die Durchführung mit einem starken dynamischen Kontrast, spielt dann die Durchführung sehr leicht und licht, ohne das Zögern und die Unsicherheit des Abschieds zu vernachlässigen.
    In der Reprise hinterlässt er den gleichen starken Eindruck wie in der Exposition. Das ist alles sehr fließend und folgerichtig.
    In der Coda erhöht sich der dramatische Impetus, die bei ihm auch in der Moll-Wandlung noch mehr akzentuiert wird. In den halben und Vierteln färbt er den Klang derart, dass das Gefühle der Trauer zunimmt, wird aber gleich drauf durch die helle Dolcestelle kontrastiert, in der er die Legatobögen wunderbar luzide aussingt und auch die vormals traurigen Posthornklänge hier ins genaue Gegenteil verkehrt, gefolgt von einem brillanten beinahe entschwebenden Schluss im pp/ppp (siehe Rezension Oppitz).


    Perl schafft im anfänglichen Andante espressivo einen Klang, der nach innen gekehrte Angst und Trauer offenbart, sich aber in der zweiten Steigerung ab Takt 11 doch Bahn nach außen brechen will, was durch gesteigerte Sforzandi manifestiert wird. Das Cantabile klingt wieder sehr verinnerlicht und wird durch das Crescendo-Diminuendo stark kontrastiert, wobei in den folgenden Takten die negative Stimmung nicht nur anhält, sondern, wieder in den Sforzandi, noch verstärkt wird. Auch das neuerliche, sehr innige Cantabile bringt noch nicht die Wende, sondern wird, genauso stark wie beim ersten Mal, vom Crescendo-Diminuendo abgewehrt, bevor dann doch die Freude, zunächst noch verhalten in den drei letzten Takten 40 bis 42, obsiegt.


    Auch Perl bleibt zunächst im Vivacissimamente bei der vorgewählten dynamischen Kuppel mit einem Forte als Spitze. Erst in den beiden ff-Schlägen innerhalb der Glockenschläge erreicht er ein Fortissimo, während vorher die Legatofiguren vom Feinsten und hurtig flossen. Höchst präzise untermalen dann die Achtel in der Begleitung die federleicht hüpfenden Triller. In den folgenden Legatobögen dominiert in Perls Spiel wieder die Leichtigkeit, das Licht, selbst in den Synkopen ab Takt 69 tupft der die letzten Achtel nur noch. Leichte, beschwingte Freudenäußerungen haben Vorrang vor erdenschwerem Jubel.
    Die solchermaßen gespielte Durchführung ist demzufolge nur als himmlisch zu bezeichnen.
    Selbst in der Reprise kommen nach meiner Auffassung nur zwei ff-Akkorde vor, und zwar die beiden in den Glockenschlägen.
    Schon geht es in den Trillern wieder in höhere Sphären. An dieser dynamischen Auffassung Perls ändert sich auch bis zum Ende der Reprise nichts. Diese wunderbare Stimmung, die er da erzeugt, erinnert mich an ein Bild, das in der Kindheit in meinem Zimmer hing, das einen kleinen Jungen zeigte, der unter einem Regenschirm saß, unter dem er Schutz vor dem Regen gesucht hatte. Darunter stand folgender Vers:


    "Ja ich bin zufrieden,
    geh' es, wie es will.
    Unter meinem Dache
    leb' ich froh und still".


    Auch das Poco andante ist bei dieser konsequenten Haltung Perls voll von innerer Schönheit und musikalischer Tiefe.
    Ganz unspektakulär endet der Satz dann auch mit dem Tempo I.


    Diese Aufnahme gehört m. E. mit zum Besten, was ich bisher von dieser Sonate gehört habe.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Diese wunderbare Stimmung, die er da erzeugt, erinnert mich an ein Bild, das in der Kindheit in meinem Zimmer hing, das einen kleinen Jungen zeigte, der unter einem Regenschirm saß, unter dem er Schutz vor dem Regen gesucht hatte. Darunter stand folgender Vers:


    "Ja ich bin zufrieden,
    geh' es, wie es will.
    Unter meinem Dache
    leb' ich froh und still".


    Das ist wirklich schön, lieber Willi - den Unwettern trotzen wir! :P Heute gibt es bei mir allerdings Fußball statt Beethoven - Holland gegen Spanien! Alfredo Perl werde ich mir später zu Gemüte führen!


    Herzliche Grüße
    Holger

  • Das werde ich mir jetzt auch ansehen, lieber Holger.


    Viel Spaß


    Willi :D

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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Maurizio Pollini, Klavier
    AD: Juni 1988
    Spielzeiten: 7:12-3:20-5:31 -- 16:03 min.;


    Maurizio Pollini ist hier im Adagio leicht auf der Seite der langsameren mit 1:25 min. Er spielt in einer sehr sanften, zurückhaltenden Tongebung, die Steigerungen deutlich, aber nicht übermäßig betonend und gleichwohl sehr ausdrucksvoll. Schon bis hierhin kann ich sagen, dass mich das Gehörte ungleich mehr überzeugt als in der tonartgleichen Sonate Nr. 4 op. 7. Es passt temporal und es passt dynamisch, es ist voll Ausdruck, was will man mehr? In der Tat entstand diese Aufnahme 24 Jahre vor dem op. 7.
    Auch die Exposition sät vom Feinsten, da passt jede dynamische Hebung und Senkung, da entfaltet er ein betörendes Piano-Pianissimospiel, vor allem ab Takt 39, wo das ja bis zum Ende der Exposition im p/pp ist. Hier tendiert er auch mehr zum pp, bietet aber gleichzeitig einen derart transparent Klang, dass auch die Begleitung jederzeit vernehmbar ist und die schwierige musikalische Struktur vor allen in den Takten 50 bis 66 offenbar wird.
    Auch die Durchführung ist derart intim, dabei klar, sehr schön das Zögerliche, Stockende, Fragende betonend, gespielt, in einem Alter, in dem auch Brendel seine mittlere Aufnahme spielte, beide übrigens temporal im Kopfsatz übereinstimmend, dass man sich fragen muss, wie er ein Vierteljahrhundert später, obzwar in einer anderen Sonate, derart unterschiedlich mit der Partitur verfahren konnte. Auch die Reprise gerät so überzeugend wie zuvor die Exposition samt Wiederholung.
    Beethovens Sonaten sind so singulär, wenn sie nach den Vorgaben des Komponisten gespielt werden, dabei mit dem subtilen Ausdrucksvermögen, dessen der Maestro 1988 offenbar fähig war. Nun, ich werde ihn am 19. Februar 2015 auf dem Kölner Podium erleben und schauen, wozu er dann fähig sein wird. Vielleicht spielt er dann ja die noch fehlenden Beethoven-Sonaten. Schön wär's.
    Auch die erhöhte dynamische Schwele im ersten Teil der Coda passt so wunderbar in das dynamische Gesamtkonzept.
    Die erste Posthornsequenz in moll in den Ganzen und Vierteln ist berückend introvertiert gespielt, wunderbar auch die folgenden Legatobögen und ganz berückend die zweite Posthornsequenz, die nun in die grandios gespielte Schlusssequenz übergeht, mit der großen Überraschung, sozusagen dem Knalleffekt am Schluss, als er aus dem ppp in Takt 251 zum ersten und letzten Male in diesem Satz das forte übertrifft und mit zwei veritablen ff-Akkorden abschließt, was aber m. E. keineswegs unpassend ist, sondern wunderbar passt in Beethovens Philosophie von den Schlusspointen.


    Im Andante espressivo weiß ich sofort, was er meint. Diese vollkommen unspektakuläre Lesart meint Trauer, di aber nicht von weitem erkennbar sein soll, sondern wiederum nach innen geht, woraus auch die durchaus mittigen Sforzandi gehören, die sagen wollen: "Das ist so, weshalb soll ich es noch in die Welt hinausschreien". (Beethoven (Pollini) - introvertiert!.
    Dazu passt auch das temporal etwas angehobene Cantabile, bar jeder Erdenschwere, sondern im Blick nach vorwärts gerichtet, auf das positive Ende hoffend. Ebenso das Crescendo-Diminuendo erscheint in diesem Licht, und auch, wenn sich in einer gesteigerten Sforzando-Folge die negativen Gefühlen nochmals zu verstärken drohen, ist hier jedoch aus der ganzen musikalischen Formgebung m. E. herauszulesen, dass der Zurückgebliebenen mit einem glücklichen Ende rechnet. Allein dieser kleine Kniff mit dem angezogenen Tempo, den ich so noch nicht gehört zu haben glaube, weckt in mir diese Ansicht.


    Das Vivacissimamente beginnt mit einem markanten, aber nicht überlauten Forteakkord, in dessen Folge Pollini es laufen lässt. Die Exposition ist durchaus mehr extrovertiert, aber nicht überbordend, auch die Glockenschläge fügen sich unter diese dynamische Kuppel ein. Desgleichen frönen die Triller mit den schönen Achtelbegleitungen, die darauf folgenden Legatobögen und die Synkopen dieser ganz natürlichen Freude und Erleichterung des Wiedersehens, geboren aus einer von vornherein positiven Sicht auf die Zukunft.
    Die kurze, aber ungemein lyrische Durchführung ist einer der Höhepunkte dieser (A)Pollinischen Interpretation, die mit dem Vorurteil aufräumt, er wäre intellektuell unterkühlt und könne keine emotionalen und ausdrucksvollen Bögen spannen. Viele Emotionen gehen nach innen, auch und gerade in dieser Aufnahme, das fesselt mich, das ergreift mich, das ist höchste Klavierkunst. Und das ist die Kunst der feinen Abstufungen, die er zum Bespiel in der Reprise vollzieht, wo er eine Prise Dynamik zugibt, aber immer noch von höchst klassischem Zuschnitt. Auch die Triller sind ein wenig gesteigert, aber in die höhere Sphäre. Ebenso mögen manchem die leicht geänderten Steigerungen in den Takten 146 bis 149 und 154 bis 157 entgangen sein. Pollini vollzieht sie, aber nicht ruckartig, sondern organisch, klassisch halt. Selbst in der letzten Steigerung zwischen Takt 172 und 175 hält Pollini an sich. Kein Mensch würde sich aufregen über ein ff/fff, aber bei ihm ist es höchstens f/ff. Alles passt zusammen.
    Und abermals überrascht uns Pollini in der Poco andante-Coda. Er nimmt sie stark zurück, wie Korstick, aber vielleicht noch ein wenig stärker mit nach innen gerichtetem Ausdruck. Dies ist für mich ein weiterer Höhepunkt dieser Sonate, etwas, mit dem man gar nicht rechnet, aber darob um so erfreuter und gerührter ist. Deshalb versucht er auch gar nicht, mit den sechs Tempo I-Takten noch eins draufzusetzen.


    Eine überragende Interpretation, ganz aus sich selbst heraus!!!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nun, ich werde ihn am 19. Februar 2015 auf dem Kölner Podium erleben und schauen, wozu er dann fähig sein wird.


    Den Termin habe ich mir schon vorgemerkt, lieber Willi! Wenn nichts dazwischen kommt, sehen wir uns wohl dort! :) Ich glaube, Pollini spielte "Les Adieux" damals in den 70igern, als ich ihn im Düsseldorfer Schumann-Saal erlebte. Deine euphorische Besprechung verleitet mich zum Wiederhören... :hello:


    Herzliche Grüße
    Holger

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  • Ich musss mich korrigieren, lieber Holger, Pollini spielt am 18., am 19. ist Chailly mit seinem Orchester am Start und gbt mit Julian Rachlin Mendelssohns Violinkonzert und Mahlers Erste. Ich werde dann allerdings auch am Start sein und vermutlich in Köln übernachten.


    Liebe Grüße


    Willi :D

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat William B. A.

    Zitat

    Eine überragende Interpretation, ganz aus sich selbst heraus!!!


    Lieber Willi,
    hab vielen Dank für Deine euphorische Rezension, die diese Aufnahme gewiß verdient hat: sie gehört neben Brendel zu meinen persönlichen Referenzen dieser Sonate.


    Zitat William B. A.

    Zitat

    , dass man sich fragen muss, wie er ein Vierteljahrhundert später, obzwar in einer anderen Sonate, derart unterschiedlich mit der Partitur verfahren konnte.


    Ich denke, daß da ganz verschiedene Dinge zusammenkommen. Natürlich seine Entwicklung als Interpret, der unterschiedliche Charakter der Sonaten, aber vor allem das Werkverständnis. Mir scheinen bei dieser Sonate Pollinis und Dein Werkverständnis sehr kompatibel, bei der Sonate Nr. 4 war das einfach nicht der Fall.


    Herzliche Grüße
    Jörn


    PS Ein wenig neidisch bin ich schon, daß Du ih hören wirst, mir war das noch nicht vergönnt. Bei mir stehen in der nächsten Saison Sokolov, Volodos und Uchida auf dem Programm, dazu Perl mit dem Tripelkonzert.

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Sokolov werden ich in der Zwischensaison hören, lieber Jörn, am 5. August in Lübeck, mit dem gleichen Programm, mit dem ich ihn schon in Köln gehört habe (Chopin pur), und natürlich in der nächsten Saison wieder in Köln (27. 4.), wahrscheinlich mit dem gleichen Programm wie du in Leipzig.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Beethoven, Sonate Nr. 26 Es-dur op. 81a "Les Adieux"
    Arthur Rubinstein, Klavier
    AD: April 1962
    Spielzeiten: 7:35-3:23-5:33 -- 16:31 min.;


    Arthur Rubinstein gehört zu denjenigen, die das Adagio langsamer spielen (1:31 min.) und überrascht nicht wirklich mit seinem feinen Anschlag, seinem warmen Klang und seinem großen Ausdruck, der auch mit maßvollem Umgang mit der Dynamik einhergeht.
    Im Allegro bleibt er auch im Tempo maßvoll, geht dynamisch bis an das Forte, aber nicht darüber hinaus. Obwohl die Aufnahme 52 Jahre alt ist, ist die Durchhörbarkeit frappierend. Deshalb wird auch die Struktur der Sonate so gut hörbar und wird deutlich, dass Rubinstein auch der Begleitung all seine Aufmerksamkeit schenkt. Durch seinen ausgeprägten Klangsinn bringt er das klavier zum Singen und durch sein enormes Rhythmusgefühl bringt er die Musik wunderbar zum Schwingen.
    Die lange p-Passage ab Takt 39 ist z. B. ein Beleg für sein ausdrucksvolles Spiel. Zu Beginn der Durchführung gestaltet er den Kontrast zwischen den drei Fortetakten und dem Subito piano nicht so groß wie manche seiner Kollegen, u. . auch dadurch, dass er nicht in Takt 73 mit einem p/pp einsteigt, sondern schon mit einem gut hörbaren Piano. Auf diese Weise lenkt er die Aufmerksamkeit auf den Schluss der Durchführung, das sempre diminuendo, dass er unnachahmlich spielt, die ganze Phrase mit einem enorm wohltönenden Bass.
    Auch wird hier zwischen dem Ende dieser Stelle und dem Beginn der Reprise der Kontrast größer, auch wenn ich der Meinung bin, dass er in den zahlreichen Sforzandi das Forte nicht überschreitet, höchstens im Takt 125 ein sattes Forte spielt, um dann nachdem dritten der folgenden Sforzandi wieder sein transparentes und in den Höhen luzides Spiel bis zum Ende der Reprise durchzuziehen.
    Im ersten Teil der Coda, die das Hauptthema nun in moll präsentiert, ist sein Spiel durchaus m. E. noch positiv gefärbt, desgleichen in der ersten Posthornsequenz. Das habe ich auch schon verhangener, mehr traurig klingend, gehört.
    Seine zweimalige Dolcestelle ist vom Allerfeinsten und leitet nicht nur mit einem Diminuendo, sondern überraschenderweise auch mit einem Ritartando zur zweiten Posthornsequenz, diesmal in Dur, und auch hier überrascht er damit, dass er diese ganze Schlusssequenz langsamer spielt, sogar noch weiter retardiert und ausdrucksmäßig sowieso in den höchsten Sphären schwebt, und als Einziger die Takte 252 und 253 nicht crescendiert, sondern im pianissimo verharrt und erst die beiden letzten Takte forte spielt. Das ist so einmalig, so einzigartig, dass ich mich dabei überrasche, ihm diese "dynamische "Eigenheit" nicht nur nachzusehen, sondern sie als durchaus schlüssig anzusehen. Mein Gott!!!


    Im Andante espresssivo schlägt Rubinstein ein etwas rascheres Tempo, wie um zu sagen, dass man diese unangenehme Phase der Abwesenheit des vertrauten Menschen, des Freundes, so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Rubinsteins Spiel ist klar, auch im Crescendo moderat, dann allerdings in der Sforzando-Folge energischer werdend. Diese dynamische Steigerung erscheint mir allerdings nicht schicksalsschwer. Das Cantabile steigert noch einmal etwas das ohnehin etwas raschere Tempo dieses Andantes, hat etwas Leichtes, beinahe Beschwingtes, auf jeden Fall Positives, und auch das Crescendo-Diminuendo zieht mit höherer Dynamik, aber ohne allzu großes Bedrohungsszenario vorbei. Auch die neuerlichen Sforzandi, die ihre Stimmen mahnend erheben, dass ja die Situation nach wie vor unverändert sei, tun dies aber im Grunde mit einer vorwärts gerichteten Bewegung, und vorwärts, das heißt in Richtung einer positiven Zukunft.. Auch das zweite Crescendo-Diminuendo bringt m. E. keine ausdrucksmäßige Verschlimmerung der Lage, und nach einem schönen Übergang


    kann das Vivacissimamente und damit das Wiedersehen kommen. Dieses ist leicht, luftig, locker, flott mit einer moderaten dynamischen Bandbreite. Das ist Freude und leichter Gesang, wunderbar luzide von Rubinstein vorgetragen, das sind durchaus vernehmbare Glockenschläge, mehr nicht. Das sind rhythmisch sehr bestimmte Triller mit ebenso rhythmischer Begleitung,, eine sehr entspannte, heitere Folge von Legatobögen, ebenfalls leichte Synkopen und lockere Sechzehntel in der Begleitung.
    Auch die Durchführung zieht in der anmutigen und wunderschön gespielten Leichtigkeit vorbei, die
    weite Teile dieser Einspielung beherrschen.
    In der Reprise kommt dann erstmals etwas höhere Dynamik ins Spie, vor allem in den ff-Akkorden der Glockenschlag-Sequenz. Schon sind in den Trillern wieder die höheren Gefilde erreicht., ziehen die Legatobögen und die Synkopen, sogar die Schlusssteigerung mit Anmut und Leichtigkeit an uns vorbei. Das ist natürlich Freude, aber nicht lauter Jubel, sondern Heiterkeit, Zufriedenheit.
    Das Poco andante nimmt er nur etwas zurück, spielt es ganz natürlich, aber wunderbar.
    Das Tempo I bringt noch einmal sechs schwungvolle Abschlusstakte.


    Die Stärke dieser Interpretation liegt m. E. in ihrer Natürlichkeit, Leichtigkeit, tiefen Einsicht, positiven Aussage auch im Mittelsatz, gepaart mit den überragenden pianistischen Fähigkeiten Arthur Rubinsteins. Sie vergrößert nur immens die Menge der Wermutstropfen darüber, dass wir nicht mehr Sonaten vom großen polnischen Maestro haben als die wenigen.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 21 Es-dur op.81a "Les Adieux"
    András Schiff, Klavier
    AD: 2. April 2006
    Spielzeiten: 7:16-3:24-6:02 -- 16:42 min.;


    András Schiff beginnt hier im mittleren Tempo und braucht für das Adagio 1:18 min. Auffällig ist von Anfang an sein sorgfältiger Umgang mit der Dynamik und sein doch sehr schöner Anschlag.
    im Allegro greift er natürlich zu erhöhter Dynamik, geht aber nicht über das Forte hinaus, betont die vierSforzandi in Takt 35 bis 37 und geht dann beinahe subito in einen schönen p/pp-Keller, dem er in der hohen Oktav einen wunderbaren Legatobogen folgen lässt und auch die folgende espressivo-Passage organisch folgen.
    Zum Tempo sagt er im Beiheft:
    Zitat: "Dieses "alla breve" notierte Allegro zeugt ... zunächst von Lebensbejahung. Auch erfasst es die Tastatur in einem weiten, beinahe orchestralen Radius".
    Trotz dieser "alla breve"-Vorschrift bleibt er temporal in einem durchaus vernünftigen Rahmen. Was die Tonabstände betrifft, spielt er darauf an, dass gerade in dieser Sonate viele, teils einzelne Töne, teils kürzere oder längere Abschnitte, nach oben oktaviert sind, z. B. in Takt 26 auf der Eins oder in Takt 31/32, aber auch auf der anderen Seite solche Tiefbassabschnitte wie in Takt 58/59 oder Takt 238 bis 255. Und da spielt er doch mit guter Transparenz.
    In Takt 70/72, zu Beginn der Durchführung, spielt er ein veritables Forte und erreicht so einen schönen Kontrast zum p in Takt 73. Ansonsten stellt er das Zögern, die Unterbrechung des musikalischen Flusses, der außermusikalischen Bedeutung des Abschiedes folgend, sehr schön dar und gestaltet nochmals einen respektablen dynamischen Kontrast zwischen dem Forte in Takt 90 und dem darauf folgenden Piano und dem sempre diminuendo.
    Die Reprise spielt er dynamisch etwas höher stehend, wie es gehört, und lässt die Achtelketten in den Bögen schön laufen. Auch im ersten Teil der Coda findet ja der höhere dynamische Level seine Fortsetzung.
    In der ersten Hornruf-Passage, in moll, entwirft er ein Bild von Unsicherheit und leichter Trauer, lässt aber das Pendel ab der Dolce-Stelle in Takt 197 wieder zur anderen, hellen positiven Seite hin ausschlagen, einer positiven Sicht folgend, dass die Trennung nicht von Dauer sein wird. Überhaupt ist die ganze Passage bis zum Schluss überragend gespielt, mit einer Verinnerlichung, einer Zartheit, einem lyrischen Verständnis, dass doch vermuten lässt, dass die beiden Es-dur-Sonaten Nr. 4 op. 7 und diese ihm besser gelegen haben als die Nr. 13 op. 27 Nr. 1, warum auch immer. Es ist besser, sich über zwei gelungene Sonaten zu freuen als über ein zu ärgern, die nicht so gut gelungen ist.


    Das Andante espressivo beginnt Schiff etwas rascher, aber mit einem klaren, unverhangenen Klang und ohne zu große dynamische Spannweite, das m. E. auf die im Kopfsatz verbreitete unterschwellig positive Stimmung hindeutet, dass der Abschied zwar schmerzvoll ist, aber nicht von Dauer.
    Das klare Klangbild bleibt auch im Cantabile und im Crescendo-Diminuendo erhalten. Und obwohl sich in der Wiederholung der vier Sforzandi die Dynamik nochmals leicht erhöht, bleibt die Lage berechenbar, auch n der Wiederholung des Crescendo-Diminuendo. Der Übergang ist wieder ganz großartig musiziert.


    Das Vivacissimamente beginnt mit einem kräftigen Forte und mit schönen Sechzehntelläufen. Die Exposition fließt alert dahin, ohne allzu große dynamische Ausschläge, aber interessanterweise musiziert er die Glockenschläge Takt 37 bis 44 anders als viele seiner Kollegen. Er betont nicht nur das anfängliche Fortissimo in Takt 37 und 41, sondern auch die jeweils sieben folgenden Sforzandi. Er spielt alle sechzehn Noten etwa f/ff und erreicht auf diese Weise auch eine Aufwertung dieser Schlüsselstelle. Die Trillersequenz spielt er mit frappierender Leichtigkeit und die Legatobögen mit großer Entspanntheit. Sehr schön auch die neuerlichen "tiefen Bässe" in den Takten 75 und 76, die in eine kräftige Steigerung etwas zum ff hin führen.
    Die Durchführung ist auch bemerkenswert musiziert, wenngleich hier wieder geringfügig die "Vorschlagnoten" zu bemerken sind, aber nicht so, dass sie mich störten.
    Die dynamisch höher stehende Reprise ist auch mit Schwung und Glanz erfüllt, und die Glockenschläge kommen nochmals stark akzentuiert und die Triller wieder wundersam schwebend.
    Die Legatobögen, die Synkopen, die in ihrer Bedeutung durch Akzente gestärkten Tiefbass-Sechzehntel, die mit leichter Retardierung gespielt werden, das alles überzeugt mich.
    Auch die Coda im Poco andante in der klaren Spielweise im p schließt den Bogen über die ganze Sonate, die in dieser klaren, natürlichen Weise gespielt wurde.


    Eine überzeugende Aufnahme.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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