Da bisher so viele wunderbare Einspielungen vorgestellt wurden, will ich nicht mit der meine Hörgewohnheit prägenden Einspielung (Brendel Philipps/ Decca) beginnen, sondern versuchen, einen Eindruck von der Einspielung Nelson Freires zu vermitteln, die er 2006 vorgelegt hat. Diesem Komponisten hat sich Freire bisher weniger gewidmet, wenngleich er im letzten Konzert op. 111 auf dem Programm hatte. Zunächst zu den eher technischen Angaben. Die Spielzeiten sind folgende: 6'26, 3'22, 5'11. Freire liegt damit ein wenig schneller im Tempo als Brendel 1994, oder Buchbinder, ist aber langsamer als Gulda. Zur Programmatik der Sonate ist in den Beiträgen 1 und 9 alles gesagt worden (im Übrigen geriet er – wenn ich mich recht erinnere - über die Übersetzung ins Französische “Les Adieux” heftig in Wut). Da Freire die dynamischen Anweisen sehr penibel befolgt, will ich mich darauf konzentrieren, wie er die Programmatik umzusetzen vermag.
Das Adagio – Allegro ist nach Beethovens Programm das “Das Lebewohl”: Beethoven notiert hier ein p expressivo, mit dem das ernste, absinkende Lebewohl-Motiv den Anfangs zu spielen sei. Hier stellt Freire sofort seine große Anschlagskultur unter Beweis und erzeugt mit einem warmen Ton eine – wenngleich sanfte – Melancholie, die immer von den schmerzlichen Gedanken (so das sf in Takt 6) an die baldige Abwesenheit durchzogen ist. Unterbrochen wird dieser Gedankenfluß in den Takten 12–16: wie sich langsam entfernende zögerliche Schrittfolgen, mit einem leichten Verharren auf den Achtelnoten. Das kraftvoll-dynamische Allegro kontrastiert Freire sehr bewußt: ist es das leichte Zögern, daß Anlaß für diese Dynamik gibt, etwa in Erwartung einer Umkehr? Ich denke nein: ist es nicht eher die gesamte Gefühlswelt, die beim Abschied durchlebt wird: freudige Gedanken an die vergangene Zeit, im Wechsel mit Trauer über den Abschied, aber auch Angst vor der baldigen Einsamkeit? Dieses Spektrum schient mir zumindest der restliche Satz zu umfassen: Freire lotet das insbesondere in den kraftvoll-dynamischen Teilen sehr subtil aus.
Das folgende Andante expressivo, hat Beethoven ebenfalls programmatisch überschrieben, die Abwesenheit soll “in gehender Bewegung, doch mit viel Ausdruck” gespielt werden. Bei Freire scheint weniger die Bewegung als solche das zentrale Element als vielmehr der Gang: es ist kein durchgehender Fluß der Musik, sondern ein Gang, den er darstellt, ein dumpfes, tieftrauriges Brüten, unterbrochen von Ausbrüchen: wie eine Leere, die der Abschied hinterlassen hat und die ab und zu durch Erinnerungen an den Abschied selbst durchbrochen wird, um dann wieder in diesen Zustand zurückzufallen. Wenn Beethoven hier „mit viel Ausdruck“ fordert, so hat Freire den Ton imO wunderbar getroffen. Sein dolce ist allerdings kein süßliches, sondern ein eher bitter-süßes.
Im attaca abgeschlossenen Vivicissimamente – Poco Andante, der Ankunft, das “im lebhaftesten Zeitmaße” vorzutragen ist, entfaltet Freire ein virtuoses Finale. Es ist keine übersprühende Freude, die vermittelt wird, vielmehr ist über weite Strecken des Satzes eine gewisse Unruhe, ja Nervosität hörbar (insbesondere im Motiv Takt 9 und 10): eine freudige Erwartung, bei der aber lange Zeit unsicher ist, ob sie denn wirklich so eintritt. Wenn die Freude sich durchgesetzt hat (Takte 22-35), wird das Gefühl sofort zurückgenommen: ein regelrechtes Wechselbad der Gefühle, als ob die aufkeimenden Gefühle der Wiedersehensfreude nicht zugelassen werden können, sich aber letztlich doch durchsetzen. So zumindest würde ich das triumphale Finale deuten, das Freire dem Stück angedeihen läßt.
Das war jetzt keine Rezension, doch hat mich die Interpretation Freires dazu verleitet, mich noch einmal mit dem Werk selbst auseinanderzusetzen: aber auch das kann man ja als ein Kompliment für die Aufnahme ansehen
Herzliche Grüße zum Sonntag
JLang
Das Adagio – Allegro ist nach Beethovens Programm das “Das Lebewohl”: Beethoven notiert hier ein p expressivo, mit dem das ernste, absinkende Lebewohl-Motiv den Anfangs zu spielen sei. Hier stellt Freire sofort seine große Anschlagskultur unter Beweis und erzeugt mit einem warmen Ton eine – wenngleich sanfte – Melancholie, die immer von den schmerzlichen Gedanken (so das sf in Takt 6) an die baldige Abwesenheit durchzogen ist. Unterbrochen wird dieser Gedankenfluß in den Takten 12–16: wie sich langsam entfernende zögerliche Schrittfolgen, mit einem leichten Verharren auf den Achtelnoten. Das kraftvoll-dynamische Allegro kontrastiert Freire sehr bewußt: ist es das leichte Zögern, daß Anlaß für diese Dynamik gibt, etwa in Erwartung einer Umkehr? Ich denke nein: ist es nicht eher die gesamte Gefühlswelt, die beim Abschied durchlebt wird: freudige Gedanken an die vergangene Zeit, im Wechsel mit Trauer über den Abschied, aber auch Angst vor der baldigen Einsamkeit? Dieses Spektrum schient mir zumindest der restliche Satz zu umfassen: Freire lotet das insbesondere in den kraftvoll-dynamischen Teilen sehr subtil aus.
Das folgende Andante expressivo, hat Beethoven ebenfalls programmatisch überschrieben, die Abwesenheit soll “in gehender Bewegung, doch mit viel Ausdruck” gespielt werden. Bei Freire scheint weniger die Bewegung als solche das zentrale Element als vielmehr der Gang: es ist kein durchgehender Fluß der Musik, sondern ein Gang, den er darstellt, ein dumpfes, tieftrauriges Brüten, unterbrochen von Ausbrüchen: wie eine Leere, die der Abschied hinterlassen hat und die ab und zu durch Erinnerungen an den Abschied selbst durchbrochen wird, um dann wieder in diesen Zustand zurückzufallen. Wenn Beethoven hier „mit viel Ausdruck“ fordert, so hat Freire den Ton imO wunderbar getroffen. Sein dolce ist allerdings kein süßliches, sondern ein eher bitter-süßes.
Im attaca abgeschlossenen Vivicissimamente – Poco Andante, der Ankunft, das “im lebhaftesten Zeitmaße” vorzutragen ist, entfaltet Freire ein virtuoses Finale. Es ist keine übersprühende Freude, die vermittelt wird, vielmehr ist über weite Strecken des Satzes eine gewisse Unruhe, ja Nervosität hörbar (insbesondere im Motiv Takt 9 und 10): eine freudige Erwartung, bei der aber lange Zeit unsicher ist, ob sie denn wirklich so eintritt. Wenn die Freude sich durchgesetzt hat (Takte 22-35), wird das Gefühl sofort zurückgenommen: ein regelrechtes Wechselbad der Gefühle, als ob die aufkeimenden Gefühle der Wiedersehensfreude nicht zugelassen werden können, sich aber letztlich doch durchsetzen. So zumindest würde ich das triumphale Finale deuten, das Freire dem Stück angedeihen läßt.
Das war jetzt keine Rezension, doch hat mich die Interpretation Freires dazu verleitet, mich noch einmal mit dem Werk selbst auseinanderzusetzen: aber auch das kann man ja als ein Kompliment für die Aufnahme ansehen
Herzliche Grüße zum Sonntag
JLang