Im wunderschönen Monat Mai - Robert Schumann: Dichterliebe - Liederkreis op 48

  • Es geht leider etwas schleppend voran mit meinen Liedvorstellungen :O, aber spätestens morgen (Dienstag) abend werden die Seele und der Lilienkelch ein Lied wie einen Kuss zeugen ;).


    Zu Weihnachten können wir dann sicher auch einen ganz großen Sarg mit all unseren Beiträgen im Meer versenken... :D



    Viele Grüße


    Bernd

  • Wir warten gern, wenn Du nur die gewohnte Qualität gewährleistest! Und auf ein "Lied wie einen Kuss" auch gern bis zum genannten Feste selbst! Ein bißchen Ruhe täte unserm Thread vielleicht gar nicht so schlecht.


    Nur, daß hier keine bitterlichen Tränchen fließen...



    Alex.

  • Zitat

    Original Zwielicht: Zu Weihnachten können wir dann sicher auch einen ganz großen Sarg mit all unseren Beiträgen im Meer versenken...


    :hahahaha: Bis dahin können wir dann auch alle dazu die Dichterliebe im Chor singen - oder so was ähnliches. :] Wem sollten dann noch "bitterliche Tränchen fließen"? :no: :hahahaha:
    :hahahaha:
    :hello: Matthias

  • Guten Morgen!
    Ich weine allenfalls bitterlich , wenn dieser Thread im Kelch der Lilie versinkt ;(


    Bis Weihnachten hatte ich aber eigentlich einen anderen Anschlag auf euch vor und wollte den genauso-wenn auch in ganz anderer Weise- explosiven Chamisso opus 42 in den (schein-) heiligen Rhein versenken..... :hello:


    Ich habe die beiden Lieder nach Bernds Lilienkuss und bin aber von Donnerstagmittag bis Montag einschliesslich verreist und ohne Internet. Soll ich "Im Rhein ,im heiligen Strome"(da hab ich eine Menge Fragen an die hiesigen Dichterliebenden jeder Couleur!) noch vorher einstellen oder wollt ihr über Pfingsten Ruhe haben?



    F.Q.

  • Zitat

    Original von Matthias Oberg
    Lieber Medard,
    ganz so "Holterdipolter durcheinander" finde ich es gar nicht mehr! Ich meinte, dass wir uns - auch dank Deiner Interventionen - darauf geeinigt hätten, über Schumanns Dichterliebe zu reden, doch da muß man natürlich auch immer wieder auf die Textebene und diese in Beziehung setzen zu Schumanns Musik, um der eigenen Ironie Schumanns, die, wie wir ja schon bald feststellten, eine andere ist, als die Heines, auf die Spur zu kommen. Und das erweist sich offenbar als ziemlich schwierig, da Schumanns Werk selbst übercodiert ist und verschiedene Interpretationen ermöglicht.
    Gegenwärtig tappen wir noch etwas herum, so mein Eindruck, welche Interpretationen sich wie verbinden lassen und welche sich ausschliessen. Bin heute leider zu müde, um das aufzudröseln zu versuchen. Aber bei Bernd fand sich ja dazu schon einiges.


    :hello: Matthias


    Lieber Matthias,
    ja, ich habe mal wieder überdramatisiert... Es ist schon klar, daß die Textebene nicht allein Ausgangspunkt der Beschäftigung ist sondern auch durchgehend als wichtige Bezugsgröße fungiert. Wichtig wäre IMO nur stets deutlich zumachen, worüber man gerade jeweils spricht: denn es macht ja einen Unterschied, ob ich a) den Heine Text als Ausgangspunkt oder gar als Zentrum der Überlegungen wähle, oder b) die transmutierte Position des einzelnen Textes im Rahmen der Textfolge der »Dichterliebe« oder schließlich c) das Wort-Ton-Verhältnis. Daß sich dabei nicht immer eine diskrete Trennschärfe durchhalten läßt, ist einzusehen; dennoch wäre es IMO ganz gut, wenn wir uns stärker darum bemühten – eben um nicht (wie Fairy das weiter oben genannt hat) stets das Kind mit dem Bade auszuschütten.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Ich habe die beiden Lieder nach Bernds Lilienkuss und bin aber von Donnerstagmittag bis Montag einschliesslich verreist und ohne Internet. Soll ich "Im Rhein ,im heiligen Strome"(da hab ich eine Menge Fragen an die hiesigen Dichterliebenden jeder Couleur!) noch vorher einstellen oder wollt ihr über Pfingsten Ruhe haben?



    Liebe Fairy,


    ich denke, das solltest Du entscheiden. Prinzipiell spricht ja nichts dagegen, dass Du "Im Rhein" am Mittwoch oder Donnerstag hier einstellst. Andererseits möchtest Du aber bestimmt gerne mitdiskutieren - insofern wäre auch nichts gegen eine Pause einzuwenden (ich werde über Pfingsten ebenfalls verreist sein ;)).



    Viele Grüße


    Bernd

  • Natürlich werde ich wibbelig sein wie ein Sack Flôhe, wenn ich da nciht mitdiskutieren kann! Aber tant pis-Bellini, Verdi und Puccini werden mich hinreichend über Pfingsten ablenken!


    An Pfingsten sind sicher Viele nicht da und die armen Daheimgebliebenen können sich derweil im heiligen deutschen Strom baden(bei dem Wetter allemal!) und sich schlaue Gedanken über ersatzgeliebte Madonnen machen, die die Wiedergekommenen dann anschliessend auf Herz und Nieren prüfen werden.


    Aber erstmal der Lilienkuss! :yes:


    F.Q.

  • Ohne weiteren Kommentar erinnere ich zunächst noch einmal daran, dass der Zyklus nach dem vierten Lied das erstemal von Heines „Lyrischem Intermezzo“ abweicht – Schumann hat die beiden Gedichte Dein Angesicht so lieb und schön sowie Lehn deine Wang an meine Wang zwar ursprünglich vertont, sie aber vor der Drucklegung aus dem Zyklus gestrichen und später getrennt als op. 127 Nr. 2 und op. 142 Nr. 2 veröffentlicht.



    Dein Angesicht so lieb und schön


    Dein Angesicht so lieb und schön,
    Das hab ich jüngst im Traum gesehn,
    Es ist so mild und engelgleich,
    Und doch so bleich, so schmerzenbleich.


    Und nur die Lippen, die sind rot;
    Bald aber küßt sie bleich der Tod.
    Erlöschen wird das Himmelslicht,
    Das aus den frommen Augen bricht.




    Lehn deine Wang an meine Wang


    Lehn deine Wang an meine Wang,
    Dann fließen die Tränen zusammen;
    Und an mein Herz drück fest dein Herz,
    Dann schlagen zusammen die Flammen!


    Und wenn in die große Flamme fließt
    Der Strom von unsern Tränen,
    Und wenn dich mein Arm gewaltig umschließt -
    Sterb ich vor Liebessehnen!

  • V.


    Ich will meine Seele tauchen
    In den Kelch der Lilie hinein;
    Die Lilie soll klingend hauchen
    Ein Lied von der Liebsten mein.


    Das Lied soll schauern und beben
    Wie der Kuß von ihrem Mund,
    Den sie mir einst gegeben
    In wunderbar süßer Stund.




    Gerade weil Schumann die Vertonungen der beiden erwähnten Gedichte aus dem Zyklus herausgenommen hat, kann der „einst“, „in wunderbar süßer Stund“ gegebene Kuss deutlich auf den Kuss des letzten Liedes bezogen werden. Die dort noch physisch präsente Liebesbeziehung scheint hier der Vergangenheit anzugehören.


    Alles wird im Potentialis gesagt, erst zuletzt kommt die Vergangenheit ins Spiel. Es ist eine merkwürdige Kette von Zeichen, die sich durch dieses Gedicht zieht: die Seele des lyrischen Ich taucht in einen Lilienkelch, der ein Lied von der Geliebten haucht, das schauert und bebt wie ein Kuss – wie der Kuss. Hier wird explizit ein selbstreflexives Leitmotiv der Gedichte/des Zyklus angeschlagen, das ich schon erwähnt habe: Der Kuss, die physische Präsenz der Geliebten wird durch lyrisches Sprechen, hier konkret: durch ein Lied ersetzt. Zum Thema, ob und wie dieses „Lied im Lied“ Schumann zu entsprechenden kompositorischen Anstrengungen veranlasst hat, gleich mehr.


    Die in den Lilienkelch tauchende Seele evoziert mehrere Bedeutungsebenen: zunächst (trotz der Seele) eine sexuelle, die zwar im Wortsinn „verblümt“, aber trotzdem so aufdringlich ist, dass sie mehreren Interpreten aufgefallen ist. Das schauernde und bebende Lied wird gewissermaßen gezeugt. Andererseits sind mit der „Lilie“ und insbesondere mit dem „Kelch“ gleich zwei christliche Zeichen präsent und deuten hier noch stärker als die „Himmelslust“ und das „bitterliche Weinen“ des letzten Liedes auf die christologische bzw. mariologische Dimension hin, die im nächsten Gedicht/Lied ja auch an die Oberfläche durchbricht.


    Schumann komponiert wieder ein sehr kurzes Lied, unter einer Minute. Tonart h-moll: Das h war ja schon im letzten Lied mehrfach bedeutungsvoll erschienen, etwa beim Wort „bitterlich“, worauf Audiamus hingewiesen hat. Zudem klang ja bereits am Anfang des ersten Lieds andeutungsweise h-moll an, was Matthias herausgearbeitet hat. Davon abgesehen ist es das erste Lied, das in Moll steht. H-moll ist zudem Paralleltonart zu D-dur, das dem dritten Lied vorgezeichnet war – Fairy hat darauf verwiesen und zudem postuliert, dass (nicht nur) hier ein Symbol (die Lilie) von Dur nach Moll gesetzt würde. Die Vortragsbezeichnung ist „Leise“, das Piano steht auch in den Noten und wird nie modifiziert („hauchen“ ist ein Schlüsselwort). Das Klavier hat sogar Pianissimo, zudem ist das linke Pedal zu betätigen.


    Das Stück, ein modifiziertes Strophenlied, ist, soviel Subjektivität sei mir gestattet, von großer melodischer Schönheit und von einzigartigem Klangzauber. Es hat schon immer zu meinen liebsten Liedern aus dem Zyklus gehört. Die Singstimme nimmt mehrere Anläufe nach oben, biegt aber immer wieder nach unten ab. Der höchste Ton, ein fis, wird auf den Worten „hauchen“ (das Lied) und „gegeben“ (den Kuss) erreicht. Die Klavierbegleitung klingt durch die 32tel-Arpeggien wie ein Klangteppich, die Oberstimme „singt“ zart und geht teils mit dem Sänger, teils erklingt sie als diskrete Gegenstimme. Von einzigartiger Wirkung ist die sich für einen kurzen Moment aus dem rhythmischen Korsett lösende Triole der Singstimme auf dem Wort „wunderbar“.


    Auch dieses Lied weist wieder ein verhältnismäßig langes Nachspiel des Klaviers auf – diesmal aber nicht als überdrehtes Abschnurren (III) oder sanftes Ausklingen (IV). Das Singen des Instruments wird plötzlich um eine Dimension beredter, auch harmonisch. Unter Beibehaltung der Arpeggien sinkt die Unterstimme ab und erreicht zu Anfang von Takt 18 den tiefsten Punkt, während die erregte Oberstimme einen Oktavsprung nach oben macht, um dann auch wieder abzusinken (dabei nimmt das c-h-a-g in Takt 17 die Tonfolge auf „da spiegelt sich“ im nächsten Lied vorweg, worauf Henri Pousseur verweist). Diese plötzliche Verselbständigung des Klaviers, das sein eigenes Lied singt, könnte man eventuell auf das Lied beziehen, von dem im Gedicht nur im Potentialis die Rede ist. Das Nachspiel mündet schließlich in eine vierfache plagale Kadenz, bei dem die Akkorde mit einem Vorschlag als Seufzermotiv erklingen. Den klanglichen Assoziationen sind hier keine Grenzen gesetzt. DiFiDi: „…auf dass die zu Glas gewordenen Lilienkelche tönen.“ Henri Pousseur hört „den Klang eines letzten Glockenschlags, mit dem das während des ganzen Stücks zu hörende fieberhafte Läuten verhallt“ und der sowohl durch das Motiv des Läutens wie durch die Betonung der Subdominante e das nächste Lied vorbereitet.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht


    ...die Betonung der Subdominante e das nächste Lied vorbereitet.


    Und was für Subdominanten (und deren Subdominanten) hier verwendet werden! Mit kleinen (die Seufzer) und mit großen Sexten. Die gleich im Bass, unerhört, da kommt man mit seufzen gar nicht mehr aus. Das trägt nicht unwesentlich zum Klangzauber bei.


    audiamus


    .

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  • Lieber Bernd, ich finde die Binnenverbindungen der Lieder untereinander wirklich ausserordentlich wichtig und bin serh froh, dass Du hier wieder darauf hinweist
    .Dieses Lied Nummer 5 ist über seine Tonart nciht nur mit der Nummer 2 sondern auch mit der Nummer 14"Allnächtlich im Traume" (H-Dur) verwandt.
    Ich finde die Metaphorik des Textes auch sehr schwierig zu entschlüsseln und denke wie du, dass es da keine Eindeutigkeit gibt. Wenn ich mal von der Lilie ausgehe, die im Lied 2 noch eine Dur-Liliie ist und hier zur Moll-Lilie wird, kann ich beide symbolischen Bedeutungen als Blume der Reinheit oder als Blume des Todes unterbringen. Andererseits aber weist mir diese Lilie hier ganz entschieden erotische Konnotationen auf. Ich sehe das genau wie du: das Eintauchen in den Kelch und schauern und beben im Zusammenhang mit dem Kuss-da kann man nciht drüberlesen, das evoziert zumindest im Hinterkopf eine erotische Situation.
    Ich habe hier ein echtes Verständnisproblem und komme mit Heines Sprache da nciht zurecht.
    Was mir einfällt, ist eine recht kühne Idee: im folgenden Lied wird die Madonna mit der Geliebten gleich gesetzt. Diese Madonna ist eine VerKündigungsmadonna von Stephan Lochner. Der Engel Gabriel , der der Madonna ihre Empfängnis ankündigt, trägt normalerweise als Zeichen der "unbefleckten Empfängnis" immer eine Lilie in der Hand. Wenn Heine nun diese Lilie als Symbol des Liebesaktes verstehen würde? Ich weiss aber nciht, ob das nciht viel zu weit hergeholt ist. ?(
    Im verwandten Lied Nummer 14 würde dann von einem Traum"engel" nciht die Lilie sondern ein "Strauss von Zypressen" überreicht. Zypressen kenne ich als Totenbäume.


    Was die Schönheit dieses viel zu kurzen Lieds angeht schliesse ich mich Bernd ganz und gar an.
    Es ist aber nicht mein Liebstes-wir könnnen am Ende ja wieder ein Ranking machen :]



    Bonne nuit, und taucht eure Seelen schön in die Kelche süsser Träume! :angel:

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Was mir einfällt ist eine recht kühne Idee: im folgenden Lied wird die Madonna mit der Geliebten gleich gesetzt. Diese Madonna ist eine VerKündigungsmdonna von Stephan Lochner. Der Engel Gabriel , der der Madonna ihre Empfängnis ankündigt, trägt normalerweise als Zeichen der "unbefleckten Empfängnis" immer eine Lilie in der Hand. Wenn Heine nun diese Lilie als Symbol des Liebesaktes verstehen würde? Ich weiss aber nciht, ob das nciht viel zu weit hergeholt ist. ?(



    Liebe Fairy,


    ich würde Dir zustimmen. In der christlichen Ikonographie ist die Lilie ein recht eindeutiges Symbol für die Jungfräulichkeit Mariens - wenn dieses Symbol quasi "entjungfert" wird, passt das doch recht gut zu der (scheinbar) paradoxen Überlagerung von himmlischer und irdischer Liebe im Rhein-Dom-Lied.


    Bei Lochners Verkündigung im Kölner Dom stehen die Lilien übrigens in einer Vase hinter der Madonna auf einer Bank. Allerdings bin ich mir gar nicht so sicher wie die kommentierende Literatur, ob Heine wirklich diese Madonna gemeint hat - aber dazu vielleicht später mehr...


    Im Sinne von Audiamus werde ich jetzt im Traum die Subdominanten der Subdominanten der Subdominanten suchen... ;)



    Viele Grüße


    Bernd

  • Lieber Bernd, ich habe auch den Eindruck, dass Lochners Madonna im Rosenhag viel besser zu der Beschreibung "Es schweben Blumen und Englein um unsere liebe Frau" passen würde. Auch das "auf goldenem Leder gemalt" würde da genau hingehören. Nur: wo bleibt dann unsere Lilie?
    Leider bin ich ja kein Kunsthistoriker und kann mich nur an die Sekundärliteratur halten. Aber ic hkann mir serh gut vorstellen, dass Deine Einwände serh überzeugend sind!
    aber nun sind wir schon ganz ins nächste Lied eingetaucht!
    Ich warte noch etwas ab,ehe ich es einstelle, ist auch noch nciht ganz fertig.....
    Spätestens morgen vor Abfahrt.


    Fairy Queen



    Lieber Audominamus: die Sub-Dominante ist nichts für echte Machos . Daran sollte mann nichtmal im Traum denken! :hello:

  • Liebe Dichterliebenden,


    von mir zunächst einmal ein wenig zum Text des Gedichtes:
    Die Konnotation der sexuellen Vereinigung ist hier auch für mich offensichtlich und hat in dieser Wortwahl zunächst auch den Beiklang des Religiös-Mystischen; sie würde meiner Meinung nach auch sehr gut zu den romantischen Motiven passen, mit denen hier wieder gespielt wird:


    Die Vereinigung von Geist und Materie, von Kultur und Natur, von Himmel und Erde war ja ein essentieller Gedanke für die Romantiker.
    Die "Lilie" ist in dem Lied Nr. 3 ja schon sehr stark auf die Geliebte bezogen bzw. mit ihr identifiziert worden. Also eine Vereinigung der Seele mit der Natur (in der Romantik sehr stark dem weiblichen Prinzip zugeordnet); aus dieser Vereinigung entsteht ein künstlerisches Erzeugnis in Form eines Liedes. Würde ja wunderbar zur Naturpoesie passen, von wegen "schläft ein Lied in allen Dingen" und "es war als ob der Himmel ..." .
    Auch das "Schauern und Beben" würde in den romantischen Kontext noch gut hineinpassen.


    Auf den Widerhaken hat Bernd ja schon hingewiesen: Diese schöne romantische Vision steht im Potentialis; real dagegen (wenn auch der Vergangenheit angehörig) ist dagegen allein die physische Ebene des Kusses und des Mundes. Wieder romantische Ironie, Sehnsucht nach einer Vereinigung des Körperlichen mit dem Metaphysischen, wo am Schluss dann das Physische übrigbleibt, und dann auch noch als Erinnerung? Wieder ein verwirrendes Ineinander von Zeichen!


    Die Vereinigung bekommt für meinen Geschmack durch das Bild des "Eintauchens" auch stark die Assoziation des "Vereinnahmens" der Seele durch das Physische.
    Auffällig ist auch die Verteilung von hellen und dunklen Vokalen in dem Gedicht: Die Zeichenkette Lilie-Lied-Liebste mit ihren hellen Vokalen wird durch Wiederholungen noch betont, in dieser Vision kommen weitere helle Vokale hinzu, während auf der körperlichen Ebene der "Kuss", der "Mund", das "wunderbar" und die "Stund" allesamt dunkle Klänge aufweisen.


    Viele Grüße
    Petra :hello:

  • Im Rhein, im heiligen Strome,
    Da spiegelt sich in den Well'n
    Mit seinem großen Dome
    Das große, heil'ge Köln.


    Im Dom da steht ein Bildnis,
    Auf goldnem Leder gemalt;
    In meines Lebens Wildnis
    Hat's freundlich hineingestrahlt.


    Es schweben Blumen und Englein
    Um unsre liebe Frau;
    Die Augen, die Lippen, die Wänglein,
    Die gleichen der Liebsten genau.




    Mit diesem Lied, der Nummer 6 des Zyklus, ändert sich schlagartig die musikalische und atmosphärische Stimmung.
    Wo vorher „romantische Schwärmerei“ war, wird nun zum heiligen Ernst des Lebens gerufen.
    Wo vorher nur innere Handlung war und eine vollkommen undefinierte Aussenwelt keine Rolle spielte, werden nun Orte benannt und gemalt. Das lyrische Ich wird in eine reale Welt gesetzt.
    Diese Welt ist hier der Fluss der Romantiker schlechthin , der Rhein. Konkreter die Städt Köln und noch konkreter der Kölner Dom.
    Diese Orte (Rhein und Kölner Dom) tauchen auch im letzten Lied wieder auf.


    Schumann unterlegt dem Gedicht eine stark basslastige choralartige Klavierbegleitung, die archaisch-sakral anmutet und im krassen Gegensatz zu allen vorangegangenen Liedern steht.
    Die Melodie der Singstimme unterstützt diesen archaischen Eindruck zunächst mit tiefer Lage, einem streng punktierten Rhytmus und einer geringen Tonamplitude.
    Wer die vorangegangen Lieder gehört hat, schrickt schon bei den ersten Akkorden fast zusammen und fragt sich erstmal: Was ist denn nun los?


    Erst wenn es ab der zweiten Strophe vom öffentlichen Raum (dem Rhein, dem Dom) ins Private , zum Bildnis der Madonna- geht, wird die Melodie deutlich höher, lieblicher, ausdifferenzierter und die Tessitur erstreckt sich nun von d1 bis fis 2.
    Grosse Intervallsprünge, wie sie auch im letzten Lied vorkommen werden, tauchen auf.
    Das Lied steht in e-moll und und hat seine parallele Dur-Tonart G-Dur im Lied Nummer Vier „Wenn ich in deine Augen seh“. Im verwandten homonymen E-Dur steht das Lied Nummer 15, „Aus alten Märchen“


    .
    Unser Lied hiess zunächst „Gruss eines Engels“ , Untertitel: Aus der Mappe eines Malers und wurde 1823 von Heine geschrieben.
    Warum Schumann es gerade hier in den Zyklus einbaut, quasi als musikalischen Wendepunkt und komplette Stimmungsänderung ist eine Frage, die es zu diskutieren gilt.


    In Strophe Zwei und Drei vergleicht das lyrische Ich die Geliebte mit einer Madonna. Stefan Lochners Verkündigung aus dem Dreikönigsaltar im Kölner Dom wird als Vorbild angenommen. Nach der Beschreibung im Gedicht kann es sich aber auch oder einleuchtender um die „Madonna im Rosenhag“ handeln, die im Wallraff Richardz Museum hängt und die besungenen Blumen, Englein und das goldene Leder in realiter zeigt.


    Der direkte Vergleich der Geliebten mit einer Madonna lässt sehr viel Raum für verschiedene Deutungen zu.
    Wenn man der inneren Geschichte des Zyklus folgt, ist bisher dem Hörer nicht bekannt, dass die Liebste das lyrische Ich um eines Anderen willen verlassen hat.
    Wir sind bis hierher noch im Stadium der bôsen „Vorahnungen“ und der Ungewissheit.
    Das liesse eine Deutung als „Gebet“ zu: die Kirche wird als eine Art Pilgerfahrt aufgesucht und die Madonna wird beschworen und angefleht, Alles noch zum Guten zu wenden.
    Diese Madonna könnte auch ein Ersatz für die unerreichbare, verbotene Geliebte sein, so wie sie es ja nicht selten als religiöse Überhöhung eines sublimierten Liebesobjekt gewesen ist.
    „Maria zu lieben ist allzeit mein Sinn“ heisst es in einem Kirchenlied. –Wenn man sonst niemanden lieben kann oder „darf“, bietet sich die „unbefleckte“ Himmelskönigin an.
    Warum gleicht aber die Liebste der Madonna auch physisch genau? Ist das nun die allerbitterste Ironie (eine Liebste die fremdgeht ist ja alles andere als eine Madonna) oder ist das die allerbitterste Illusion? Mir bleibt diese serh wichtige Frage noch offen.



    Nun bitte alle Anti-Boiographen wegsehen:
    Ich habe gelesen, dass Heine sich nach der erzwungenen Trennung von Amalie selbst ersatzweise dem Madonnenkult zugewendet haben soll. Auch hat Schumann seine Clara zu „Chiarina“, einem Altarbild stilisiert, das er nur aus der Ferne anbeten konnte. Dei langdauernde erzwungene Trennung wurde auf diese Weise sublimiert.
    Die zahlrecihen distanziert-archaischen Anteile der Musik dieses Liedes würden dazu nicht schlecht passen.



    Das lange Klaviernachspiel kehrt aus der intimen Betrachtung des Madonnenbildes wieder in die strenge, disziplinerte“punktierte“ Aussenwelt zurück.


    Das Erstaunliche an diesem Lied ist für mich der eklatante stilisitsche Gegensatz zu allen Vorangegangenen und damit stellt sich mir vor allem die Frage:
    warum setzt Schumann das hier an diese Stelle? Haben wir es hier mit dem eigentlichen Wendepunkt des Zyklus zu tun?


    Gleich anschliessend bei „Ich grolle nicht“ wird erstmals explizit ausgesprochen, dass auf Gegenliebe nciht zu hoffen ist und die Geliebte kalt wie ein Diamant erkannt.
    Was bedeutet dann der Gang zur Madonna und die musikalische Dom-Strenge vor dieser endgültigen Erkenntnis?


    Ich habe mir dieses Lied zur Besprechung ausgewählt, weil es für mich so vielel offene Fragen enthält und werde hoffentlich hier einige Antwortentwürfe finden.




    Fairy Queen

  • Liebe Fairy,


    den "heiligen Ernst des Lebens" in der ersten Strophe höre ich ganz unheilig ironisch und höre auch die archaisch-basslastige Klavierbegleitung auf diese Weise. Das Gewaltige, Große, Ernste wird hier für meine Ohren sogar karikierend dargestellt (oder bin ich nur wieder mal "gepearst", denn der singt es auch so).


    Ironiefreier (oder zumindest mit freundlicher Ironie) sehe ich die zweite Strophe, die ja auch, wie Du schon beschrieben hast, lieblicher und ausdifferenzierter klingt und die für mich ein wirklich tröstendes Bild vermittelt.


    Die dritte Strophe sehe ich als Ironie, aber nicht als bittere (wie Du schon sagtest, wird ja erst im nächsten Lied die Kälte der Geliebten explizit ausgesprochen).
    Eine bewusst einfach-naive Sprache wirkt ironisch (z.B. der Reim "Englein" und "Wänglein"), und es war für damalige Zeiten wahrscheinlich auch sehr blasphemisch: Der Trost, den eigentlich die Religion spenden sollte, wird hier durch die Ähnlichkeit der Madonna mit der Geliebten begründet, zudem wird nicht gesagt, dass die Geliebte der Madonna gleiche, sondern hier wird es umgekehrt dargestellt, also die Madonna der Geliebten "angepasst". Dies gehört für mich auf alle Fälle in den Kontext der "Umwertung" des Religiös-Metaphysischen ins Irdische.


    :hello: Petra

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    In Strophe Zwei und Drei vergleicht das lyrische Ich die Geliebte mit einer Madonna. Stefan Lochners Verkündigung aus dem Dreikönigsaltar im Kölner Dom wird als Vorbild angenommen. Nach der Beschreibung im Gedicht kann es sich aber auch oder einleuchtender um die „Madonna im Rosenhag“ handeln, die im Wallraff Richardz Museum hängt und die besungenen Blumen, Englein und das goldene Leder in realiter zeigt.



    Ein paar Überlegungen zum Detail des Madonnenbildnisses. Handelt es sich hier wirklich um ein konkret bestimmbares Bild?


    Zunächst mal irritiert der Vers "auf goldnem Leder gemalt". Auch wenn im Spätmittelalter im Einzelfall auf Leder gemalt wurde, zudem die Techniken des Lederschnitts und der sog. Lederplastik bekannt waren, hat keines der in Frage kommenden Bilder irgendetwas mit diesem Material zu tun. Der Bildträger ist so gut wie immer Holz, gelegentlich in Verbindung mit Leinwand oder Pressbrokat. Nun kann man spekulieren, dass Heine sich schlichtweg geirrt hat. Unabhängig davon hat er das Leder ja wohl bewusst in das Gedicht eingebracht - aber warum? Ich habe keine Ahnung.


    Die von Fairy favorisierte "Madonna im Rosenhag" von Lochner würde sich in der Tat anbieten, da stimmt fast alles - die Madonna wird vor goldenem Grund von "Blumen und Englein" umschwebt (Lilien gibt es auch). Leider konnte Heine dieses Bild gar nicht kennen - es tauchte erst im Laufe der 1820er Jahre aus unbekannter Quelle auf, war damals kaum jemandem bekannt und hat sich ohnehin nie im Kölner Dom befunden.


    In der Literatur wird durchgehend auf den sog. Altar der Kölner Stadtpatrone verwiesen, der sich ursprünglich in der Rathauskapelle befunden hatte und 1810 in den Dom überführt wurde. Zur Entstehungszeit des Gedichts handelte es sich um das mit Abstand bekannteste Werk der Kölner Malerei und war auch in druckgraphischen Reproduktionen verbreitet. Wenn Heine in unserem Gedicht und auch in Briefen über ein Madonnenbild im Dom spricht, dann meint er mit großer Sicherheit diesen Altar.


    Dieser ist allerdings ein Triptychon und hat somit eine Außen- und eine Innenseite. In der Literatur wird immer nur auf die Außenflügel mit der Verkündigung Mariä verwiesen. Ich stelle mal aus Copyright-Gründen kein Bild rein, sondern nur einen Link (mäßige Bildqualität, aber die Außenflügel sind im Netz nur spärlich vertreten). Bitte das dritte Bild von oben anklicken:


    "http://www.kunstkopie.de/a/lochner-stephan.html"



    Problem: das Bild hat noch nicht mal einen Goldgrund - es gibt nur einen illusionistisch gemalten Brokatvorhang. Zudem schweben keine Englein, sondern nur die Taube des Hl. Geistes (der raumfüllende Verkündigungsengel des anderen Außenflügels wird kaum gemeint sein). Blumen schweben auch nicht, es sei denn, man würde die floralen Muster des Vorhangs so interpretieren.


    Andere Möglichkeit: die Innenseite des Altars - hier wird Maria mit dem Christuskind bei der Anbetung der Könige gezeigt:


    "http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/18/K_Stadtpatrone_lochner2.jpg"


    Hier gibt's immerhin Goldgrund und fliegende Englein - Blumen allerdings nur auf der Wiese oder als florales Muster.


    Von der Madonnendarstellung scheint mir dagegen die irdische Maria der Verkündigung für Heines Kontext geeigneter zu sein als die Himmelskönigin der Anbetung.


    Fazit: Nichts Genaues weiß man nicht. Die Fixierung der Kommentare auf die Verkündigungsmadonna ist zumindest fragwürdig. Wahrscheinlich muss man sich von der Vorstellung lösen, dass das Marienbild des Gedichts ein ganz bestimmtes, konkret benennbares Werk ist. Heine hat zweifellos die Madonna der Außen- bzw. der Innenseite des Altars im Hinterkopf gehabt, aber die Gestaltung des Bildes dem Konzept des Gedichts bzw. des ganzen "Lyrischen Intermezzos" angepasst.


    Soweit zu diesem Detail, das mich ein wenig gereizt hat ;).


    Zum Lied sag ich morgen vielleicht auch noch was, Fairy hat ja eine Menge Anstöße zur Diskussion gegeben.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Was für ein Segen, dass Tamino Fachmänner/-frauen aller Bereiche hat. :jubel:


    Die Madonna im Rosenhag wäre gar zu passend gewesen..... :(


    Ich muss euch nun bis Dienstag hier verlassen und um Geduld für das folgende Lied "Ich grolle nciht" bitten. Ihr habt hoffentlich bis dahin genug Diskussionsstoff oder sogar Besseres zu tun als Beziehungs- und Identitätskrisen von Dichtern die zu viel lieben, zu reflektieren :angel:


    Ich werde mit Emotione am Samstag jedenfalls eine Privatsession zum opus 48 machen und freue mich schon sehr aufs Kennenlernen! :yes: :hello:
    Frohes Dichten und/oder Lieben wünscht allen Taminos
    Fairy Queen

  • Lieber Bernd,


    Zitat

    Original von Zwielicht:
    Zunächst mal irritiert der Vers "auf goldnem Leder gemalt". Auch wenn im Spätmittelalter im Einzelfall auf Leder gemalt wurde, zudem die Techniken des Lederschnitts und der sog. Lederplastik bekannt waren, hat keines der in Frage kommenden Bilder irgendetwas mit diesem Material zu tun. Der Bildträger ist so gut wie immer Holz, gelegentlich in Verbindung mit Leinwand oder Pressbrokat. Nun kann man spekulieren, dass Heine sich schlichtweg geirrt hat. Unabhängig davon hat er das Leder ja wohl bewusst in das Gedicht eingebracht - aber warum? Ich habe keine Ahnung.


    Ich auch nicht, habe mich beim Durchhören aber auch über das zumindest in Gedichten und Liedern etwas ungewöhnliche Material gewundert.
    Wird dadurch vielleicht das "Hereinbrechen" des Irdischen in die "große, heilige Atmosphäre " markiert? Es ist ja als Material sehr stark mit dem irdischen Leben verbunden und wahrscheinlich auch eher mit dem Sinnlichen konnotiert als Holz, Leinwand oder Pressbrokat.
    Und ein Erklärungsversuch auf der phonetisch-poetischen Schiene: Es passt nicht nur inhaltlich, sondern auch vom Klang her sehr gut zum "Leben" im nächsten Vers.


    Liebe Fairy, ich grolle gewiss nicht über einen Aufschub ;), weil ich über Pfingsten sicherlich auch nur sporadisch hineinschauen kann. Und wünsche Dir und Emotione viel Spaß bei Eurem Treffen und natürlich schöne Pfingsttage!


    :hello: Petra

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  • Zitat

    Original von petra
    Ich auch nicht, habe mich beim Durchhören aber auch über das zumindest in Gedichten und Liedern etwas ungewöhnliche Material gewundert.
    Wird dadurch vielleicht das "Hereinbrechen" des Irdischen in die "große, heilige Atmosphäre " markiert? Es ist ja als Material sehr stark mit dem irdischen Leben verbunden und wahrscheinlich auch eher mit dem Sinnlichen konnotiert als Holz, Leinwand oder Pressbrokat.
    Und ein Erklärungsversuch auf der phonetisch-poetischen Schiene: Es passt nicht nur inhaltlich, sondern auch vom Klang her sehr gut zum "Leben" im nächsten Vers.



    Liebe Petra,


    stimmt, der phonetische Bezug ist mir gar nicht aufgefallen! Auch das "Sinnliche" finde ich als Erklärungsversuch interessant. M.W. (das müsste man aber noch mal nachschauen) hat man die Wörter "verledern" und "Verlederung" im 19. Jh. auch im Sinne von "seelischer Verhärtung" benutzt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Guten Morgen, liebe Dichter und Denker!


    Wie ich sehe habt ihr Pfingsten zu einer Thread-Pause genutzt.
    Das nächste Lied "Ich grolle nicht" ist ja an mir und ich werde noch ein bisschen Zeit dazu brauchen.


    Emotione und ich haben bereits übereinstimmend festgestellt, dass Hans Hotter damit an der Spitze der Interpretationen liegt- bei aller Klangwonne, die Souzay und Wunderlcih bringen, öffnete er mir in diesem Lied ein neues Fenster des Verstehens.


    Vielleicht fällt der/dem Ein oder Anderen aber vorher noch etwas zum Lied "im Rhein , im heiligen Strome" und insbesondere meinen Fragen dazu ein.
    Die Wendung, die stilistisch und inhaltlich mit diesem Lied gemacht wird, sowie das Bild der Madonna als Ersatz-Geliebter bedarf für mich noch einiger Reflektion und Hilfe von euch Dichtern und Denkern :yes:


    Wei auch immer: "Ich grolle nicht" kommt die nächsten Tage; ich muss aber erstmal wieder richtig hier im Alltagsleben ankommen.


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Emotione und ich haben bereits übereinstimmend festgestellt, dass Hans Hotter damit an der Spitze der Interpretationen liegt...


    Festgestellt? Du meinst, WIR finden daß...


    Denn gerade dieses Lied wird m.E. durch Dieskau seehr gut verklangt. :baeh01:


    LG, Paul

  • Lieber Paul, da widersprechen Emotone und ich einhellig! Wir haben nämlich gestern ganz unabhängig voneinander festgestellt ;), dass Fi-Di gerade dieses Lied nicht gut singt. Suum cuique!
    Übrigens ist Hotter dicht gefolgt von Souzay!


    Und soeben habe ich Lotte Lehmann und Barbara Bonney mit der Dichterliebe bekommen. Lehmann ist zum Abgewöhnen und unters Klavier flüchten! Das spielt nämlich gottseidank der wunderbare Bruno Walter. :untertauch:
    Wie man aus Schumann Wagner macht, könnte da drüber stehen......


    Von Bonney hab ich auch heute morgen "Im Rhein im heiligen Strome" komponiert von Franz Liszt gehört. Sehr interessanter Vergleich!


    F.Q.

  • Liebe Fee,


    bezüglich "Ich grolle nicht" von FiDi (mit Eschenbach) gebe ich Euch recht, da sind einige Stellen an der Grenze des sängerisch Beherrschten. Meine Favoritenaufnahme kriegt Ihr aber erst bei meiner Vorstellung, ätsch!


    LG,



    Christian

  • Damit ich nun doch noch irgendwann erfahren werde, aus welcher Schellack-Gruft Grandes Lieblingsinterpret entsteigt, hier die Thread-Fortsetzung:



    Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht,
    Ewig verlor'nes Lieb ! Ich grolle nicht.
    Wie du auch strahlst in Diamantenpracht,
    Es fällt kein Strahl in deines Herzens Nacht.
    Das weiß ich längst.


    Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht,
    Ich sah dich ja im Traume,
    Und sah die Nacht in deines Herzens Raume,
    Und sah die Schlang', die dir am Herzen frißt,
    Ich sah, mein Lieb, wie sehr du elend bist.



    Wir kommen nun zum emotionalen Wendepunkt der Dichterliebe, dem 7. Lied „Ich grolle nicht“


    Hier wird zum ersten Mal explizit die Hoffnungslosigkeit und Einseitigkeit der Liebe unseres lyrischen Ich ausgesprochen.
    Das, was vorher bereits in Andeutungen aufschien, ist nun Realität geworden: die Geliebte ist kalt und erwidert die ihr entgegengebrachten Gefühle nicht.


    Von ihrer „Untreue“ erfahren wir hier jedoch noch nicht.


    Gleichzeitig haben wir einen ersten Schritt des Bewältigungsprozesses unglücklicher Liebeserfahrung vor uns.
    Lange Zeit vor Freud und der Psychoanalyse versucht unser gebeutelterJüngling seine wunde Seele selbst zu heilen.
    Das Erste was er unternimmt, ist der Geliebten (scheinbar?) zu verzeihen und ihre Nicht-Liebe noch quasi vor sich und der Welt zu entschuldigen.
    Im ständig (von Schuimann, nicht etwa von Heine!!!) repetierten „Ich grolle nciht“ begibt er sich in eine Art Autosuggestion .
    Das Objekt der Liebe kann und darf wider besseres Wissen nciht verdammt werden, denn das würde noch die allerletzte Illusion rauben. Die eigene Liebe wird in eine Art martyrerhaften Altruismus verwandelt.


    Hier ist der verbreitete Topos von der Frau, die mann retten muss und die mann „warm lieben“ und „auftauen“ muss nicht weit. Turandot z.B. lässt von ganz ferne grüssen.
    Und natürlich "La belle dame sans merci"



    Angesichts Schumanns Vertonung dieses Gedichts möchte man aber am Ende laut hineinrufen:“ Und ich grolle doch!“


    Das Lied ist nicht umsonst eines der Beliebtesten und Bekanntesten des Zyklus und in Schumanns Liedschaffen überhaupt geworden. Seine Eindringlichkeit und hohe emotionale Spannung gewinnt es u.A. auch aus der kontinuierlichen „Herzschlag-Begleitung“ der akzentuierten und repetitiven Klavier-Akkorde, die sich von Anfang bis Ende durchziehen.
    Dazu kommt eine sehr suggestive Melodielinie, die den Text regelrecht in Szene setzt.
    Das Lied findet seinen dramatischen und melodischen Höhepunkt in der Zeile „Ich sah die Schlang, die dir am Herzen frisst, ich sah mein Lieb, wie sehr Du elend bist“
    Hier finde ich es serh schade und fast schädlich für die extreme Spannung der Melodie, wenn eine mittlere oder tiefe Stimme nicht die hohe Lage singen kann und statt des a2 ein d2 singen muss. Damit geht ein Teil der tiefen Zerrissenheit des Ausdrucks verloren.
    Schumann hat dieses Lied für Henriette Schröder-Devrient geschrieben, eine dramatische Sopranistin. Entsprechend verlangt es vom Sänger die Fähigkeit der grossen dynamischen Steigerung und Spinto-Aufschwunges und eine Tessitur vom c1 bis zum a2.
    Mir stellt sich an dieser Stelle auch die grundsätzliche Frage, ob nicht der ganze Zyklus trotz des Textes evtl für eine Frauenstimme gedacht war.
    Wenn man die Aufnahme mit Lotte Lehmann hört und einen Wunderlich gewohnt ist, möchte man das verneinen, aber „Ich grolle nciht“ war zumindest nach Schumanns Willen der Schröder-Devrient zugeeignet.
    Die für mich bisher überzeugendste Version dieses Liedes(trotz tiefer Version) bringt Hans Hotter.
    Er hat mir erst deutlich gezeigt, wie furchtbar der Jüngling hier leidet, wie herzzereissend dieses „Nicht grollen“ erkauft ist. Und dass alle oberflächliche Ironie nur Schein und Schutz ist angesichts der echten Verzweiflung, die dahinterliegt.


    Biographie-Gegner bitte jetzt wegsehen: in der Sekundärliteratur wird mehrfach darauf hingewiesen, dass Schumann in diesem Lied sehr persönliche Erfahrungen in der Phase der totalen Unsicherheit seiner Heirat mit Clara vertont hat. Das Lied steht in C-Dur und C-Dur soll bei Schumann angeblich immer etwas mit Clara zu tun haben.


    Auch wird gesagt, dass Heine hier seine Cousine Amalie charakterisiert, die einen reichen Mann heiratet(in Diamantenpracht) und dabei doch unglücklich wird (die Nacht in deines Herzens Raume)
    Jeder möge dazu stehen, wie er will.


    Interessant finde ich noch die Metapher der „Schlang, die am Herzen frisst“
    Hat das etwas mit Eva zu tun?
    Ich finde „Ich grolle nicht“ absolut mitreissend und so suggestiv, dass ich es für eines der Besten und Gelungensten des Zyklus halte.


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Interessant finde ich noch die Metapher der „Schlang, die am Herzen frisst“
    Hat das etwas mit Eva zu tun?


    Glaube ich so direkt nicht, obwohl das natuerlich dehnbar ist, je nachdem, welchen "Eva-Aspekt" man da am ehesten beleuchten will ;).


    Die Schlange steht als Symbol auch mal ganz gerne fuer Kuehle, Berechnung und Verstandesbetonung, und das macht m.E. im Zusammenhang mit "am Herzen fressen" auch Sinn - also Gefuehl/Liebe aus berechnenden oder kalkulierten Gruenden zu opfern ...

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    [..]
    Hier finde ich es serh schade und fast schädlich für die extreme Spannung der Melodie, wenn eine mittlere oder tiefe Stimme nicht die hohe Lage singen kann und statt des a2 ein d2 singen muss. Damit geht ein Teil der tiefen Zerrissenheit des Ausdrucks verloren.
    [..]


    Ja, da muss ich Dir recht geben. Ich selbst empfinde es beim Gestalten (ich habe den gesamten Zyklus letzte Woche im Konzert gesungen, daher auch meine spärliche Anwesenheit hier in den letzten Wochen) als echtes Manko, aber mehr gibt meine Bass-Bariton-Stimme leider nicht her. :no:
    Aber: Selbst ein hoher Tenor wird beim d2 den Heldentot sterben! :baeh01: Für die Männertimme handelt es sich natürlich um das d1 bzw. a1.


    Interessant an dem Lied finde ich, dass zwar der Text "Ich grolle nicht" lautet, die Musik aber eben dennoch grollt! Es scheint mir wie eine tiefe innerer Wut auf die Geliebte zu sein, welche sich kaum bändigen lässt. Die häufige Wiederholung des Satzes "Ich grolle nicht" scheint mir fast wie ein stetig wiederholtes Mantra, um sich selbst zu beruhigen und die innere Wut abzumildern. Diese scheinbare Diskrepanz scheint mir bereits von Heine angelegt zu sein, aber Schumann hat diesen Aspekt sehr beeindruckend herausgearbeitet.


    Auf jeden Fall bietet dieser Dualismuss dem Sänger und Begleiter eine große Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten, von innerer Zerissenheit bis hin zu einem Wutausbruch. Und alle Interpretationen scheinen auf ihre Art möglich zu sein..


    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Hier finde ich es sehr schade und fast schädlich für die extreme Spannung der Melodie, wenn eine mittlere oder tiefe Stimme nicht die hohe Lage singen kann und statt des a2 ein d2 singen muss. Damit geht ein Teil der tiefen Zerrissenheit des Ausdrucks verloren.


    Mich würde mal interessieren, ob beide Versionen von Schumann sind. In meiner Ausgabe ist die niedrige Lage normal dargestellt, die hohe Lage als kleine Alternativnoten darüber gedruckt. Ist die tiefe Version diejenige eines "gnädigen" Herausgebers oder ist das Schumanns (Haupt-)Version?


    Gruß! García

  • Liebe Eponine, deine Erklärung der Schlange als Symbol der berechneden Ratio leuchtet mir vollkommen ein-sie passt haargenau in den Kontext.


    Lieber Manuel, das ist eine serh gute Frage, die ich mir auch stelle. In meinen Noten sieht es genauso aus wie in Deinen und das lässt keine klaren Rückschlüsse zu.
    Ein Anhaltspunkt ist für mich Fischer-Dieskau, der Forscher unter den sängern. Er hat mit Sciherheit Quellenstudien betrieben und nimmt, obschon ihm das hörbar schwer fällt, die hohe Variante.
    Ebenso Lotte Lehmann mit Bruno Walter und alle Tenöre sowieso. Nur Hotter und Souzay singen unten-das nimmt dem Lied für mich wie oben schon gesagt, wirklich etwas.
    In meiner Literatur finde ich keinen deutlichen Hinweis, deine Frage zu beantworten, vielleciht weiss irgendemand Rat.


    Die Tatsache, dass es in der gesamten Dcihterliebe sosnt keinen Ton über einem g2 gibt, und dieser Höhepunkt im gesamten Werk die Schlange am Herzen ist, scheint mir schon sehr evident.
    Die Sängerfreundlchkeit der Musik-Verlage aber evtl auch....... ?(


    Willkommen ihr Beiden in diesem Thread!!!!! :hello:



    Nachtrag: Lieber Thomas, Dichterlieben-Sänger-ebenfalls hochwillkommen!!!!!! :yes: :hello:
    Toll, dass du diesen Zyklus aufführen konntest. :jubel: Deine praktischen Erfahrungen interessieren mich brennend. :yes:
    Und ich fidne es serh interessant, von Dir als Tieftöner zu lesen, dass du das selbst als Manko empfindest in diesem Lied.


    Die Sache mit dem Mantra habe ich ja auch so empfunden. Er muss sich einhämmern, dass er nciht grollen darf, weil er in Wahrheit eben zu Tode verletzt ist.
    Wie Hotter das rüberbringt, ist einfach höchste Liedkunst! :jubel:


    Fairy Queen

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