Dem Lieben Gott - Anton Bruckner: Sinfonie Nr 9 in Referenzaufnahmen

  • Lieber Teleton:
    Du hast recht -- diese späte Mravinskij-Aufführun wurde sehr packend musiziert.
    :jubel:


    Mir persönlich fehlt allerdings oft die Hörbarmachung von Details und Kontrapunkten, ebenso auch die Deklamation der Themen, die Ausarbeitung der korrekten Takt-Gewichtung und Stringenz der Tempo-Relationen.
    :stumm:


    Das geht mir allerdings überhaupt mit etwa 90 % aller mir bekannten Bruckner-Aufnahmen so ...
    :untertauch:

  • Grüessech mitenand,


    Mit dem Aussortieren von Referenzaufnahmen ist das so eine Sache: Referenz ist doch eigentlich nur meine eigene Aufnahmefähigkeit, und die wandelt sich von Stunde zu Stunde.


    Schon einen gewissen Grund-Standart zu formulieren, den eine Aufführung erfüllen muss, damit ein Werk nicht sein „Gesicht verliert“, ist sehr subjektiv (abgesehen natürlich von der Notwendigeit der technischen Bewältigung).


    Also: ob Referenzaufnahme oder nicht, sei dahingestellt, aber in puncto Berührungsqualität möchte ich die Einspielung von Bruckners Neunter (3 Sätze) durch das Schweizerischen Jugend-Sinfonieorchester SJSO unter Kai Bumann empfehlen, realisiert im Frühling dieses Jahres. (erhältlich unter http://www.sjso.ch).


    Kai Bumann gelingt es, durch sein behutsames und tief empfindendes Wesen, 100 junge Menschen für ein Werk der Reife und des Abschieds zu begeistern.


    Die Akustik im Konzertsaal von Solothurn mag etwas trocken sein, umso erstaunlicher die Präzision der Aufführung.


    Kai Bumann verdient höchsten Respekt für seine Fähigkeit, halbjährlich aus einer Truppe von mehr oder (eher) weniger orchestererfahrenen jungen Musikbegeisterten ein Jugendorchster von euröpäischem Zuschnitt zu synchronisieren.



    Grüessli aus Bern
    Walter

  • hm... jetzt habe ich noch eine Woche lang Zeit, um mir zu überlegen, ob ich die neue Aufnahme (live? studiobedingungen?) von Fabio Luisi und der Staatskapelle Dresden zum Markteinführungspreis (15,99) bestelle.


    Hat da schon mal jemand reingehört und eine Meinung?


  • Hallo,
    ich habe mal ganz tief gegraben und bin auf die 1938 aufgenommene Einspielung mit den Münchner Philharmonikern unter Siegmund von Hausegger gestoßen (7 Schellackplatten in erstaunlich gutem Erhaltungszustand - es gibt wohl bereits auch eine CD-Kopie).
    Es handelt sich hierbei um die Erstaufnahme der Symphonie in Originalfassung.
    Die Tempi sind eher zügig und liegen im Bereich Celibidache (RAI Turin) - Wand (Kölner Rundfunk-Symphonie-Orchester): 1.Satz 23'49 - 2.Satz 9'10 3.Satz 22'53 . Auf die Wiederholung im Scherzo wird verzichtet (auf dem Label wird ein erneutes Abspielen nach dem Trio empfohlen) - ein Manko,das aber bei dem in der Schellack-Ära bestehendem Platzmangel nachvollziehbar ist- es wäre eine weitere Platte erforderlich geworden.
    Auch die zügigen Tempi sind sicherlich manchmal ein gewisser Tribut an die Vorgaben der damaligen Aufnahmetechnik - eine Plattenseite hatte eine Kapazität von ca. 4 Minuten , bei maximaler Raumausnutzung mit randvoller Bespielung höchstens 5 Minuten.
    Hausegger und seine glänzend aufgelegten Münchner Philharmoniker meistern die Aufgabe in hervorragender Manier.
    Ein Dokument der langjährigen Tradition von einem der führenden "Bruckner-Orchester".
    Viele Grüße
    Santoliquido

    M.B.

  • Hallo!


    Giulinis Aufnahme wurde schon erwähnt, aber es fehlt noch das Coverbildchen. Bittesehr:



    Warum ich dieses Klangwunder für die erste Wahl bei Bruckner 9 halte, habe ich schon hier geschrieben.


    Auch die hier schon mehrfach erwähnte Furtwängler-Aufnahme fand ich beim letzten Hören ganz großartig!



    Viele Grüße,
    Pius.

  • Giulinis Neunte mit den Wienern: Elend langsam, und vom Ergebnis weit mehr die Art des Orchesters, die Neunte in ihrer ureignen Tradition zu spielen (böse gesagt: ihren eigenen Stiefel zu machen), als das gestalterische Wirken des Dirigenten. Seine NACH diesem Konzert entstandene Arbeit mit dem RSO Stuttgart, auch auf CD nebst einem verfilmten Proben-Mitschnitt halte ich da für weitaus signifikanter und überzeugender.
    Aber de gustibus...
    :untertauch:

  • Gemeint ist folgende CD:



    Sie entstand acht Jahre nach Giulinis Wiener Aufnahme (und zwar am 20.09.1996) und ist in der Tat um einiges "schneller":
    25'54'', 10'43'' und 25'41'' im Gegensatz zu 28'02'', 10'39'' und 29'30''.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Es hat mich als kleiner "Giulini-Anhänger" zwar schon häufig in den Fingern gejuckt, die Aufnahme mit den Stuttgartern mal zu hören. Aber ich bin mit der Einspielung mit den Wienern einfach DERART zufrieden :jubel: ... wie Ben es offenbar nicht ist. ;-)

  • Zitat

    Original von ben cohrs
    Stimmt. Zuviel Wiener Philharmoniker, zuwenig Giulini. Vom Ausdruck mag ich seine alte Chicago-Aufnahme übrigens fast noch lieber!


    Die gefällt mir auch sehr! Diese zwölf Jahre ältere Aufnahme bietet eine hörenswerte Alternative, in der der Spannungsbogen vielleicht etwas konsequenter gehalten wird.


    Die Wiener klingen dafür in allen Instrumentengruppen (inklusive Pauken, Blech und Holz) hervorragend, und der Klang ist auch optimal eingefangen. Giulini steuert jeweils mit langem Atem, aber unerbittlich auf die Höhepunkte zu. Und das Tempo des Adagios scheint mir für den letzten vollendeten Satz und damit quasi Abschied Bruckners (hoffe doch, dass du mit dieser Formulierung einverstanden bist) durchaus angemessen. Daher geht mir nichts über diese Aufnahme. :yes:

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  • Ich erinnere jetzt noch an zwei Einspielungen, die während des WK II aufgenommen wurden, nämlich die von Carl Schuricht und die von Wilhelm Furtwängler.


    "Große, hinreißende und wahrhaftigkeitserfüllte Interpretationen, beträchtlich verschieden voneinander und dennoch allesamt überzeugend, haben bewiesen, daß aus solcher Verschiedenheit an Kraft und Art der Darstellung kein Werturteil über die einzelnen Interpretationen abgeleitet werden kann. Die Frage erheischt eine Ergänzung: Kann es überhaupt eine ganz erschöpfende Interpretation geben, welche dann zwangsläufig als die einzig richtige zum Kanon würde? Ich glaube: Nein!-eine solche dürfte, allgemein durchgeführt, in Routine und Klischee erstarren..." (Carl Schuricht)


    Die Schuricht-Aufnahme ist u.a. in einer 4er-Box von Artone zu bekommen. Die Aufnahme ist schon wegen des Aufnahmedatums interessant. Wie Furtwängler, Böhm, Knappertsbusch und Krauss gehörte Schuricht zu einer klein gewordenen Garde von Dirigenten, die Deutschen Reich verblieben waren und deren Engagements zahlenmäßig nun deutlich zunahmen.


    Schuricht war dem NS-Regime gegenüber distanziert und litt unter den Einschränkungen seines Künstlertums. Schon deshalb ist eine Aufzeichnung aus dem Jahre 1943 interessant, da sie mutmaßlich ganz andere seelische Befindlichkeiten widerspiegelt als eine solche aus Friedenszeiten. Zur Erinnerung: Nur wenige Monate vor dieser Aufnahme hat Göbbels seine bekannte Sportpalastrede über den Äther geschickt (18.02.1943).


    Ähnlich interessant wie die Schuricht-Einspielung ist eine Aufnahme der 9. vom 7.10.1944 unter Wilhelm Furtwängler, der zu der Zeit immer stärker unter den Druck der Machthaber geriet, seine Flucht plante, deren große Hürde darin bestand, an der Schweizer Grenze nicht postwendend zurückgeschickt zu werden (die übliche Praxis der Schweiz etwa Juden gegenüber, aber auch anderen Reichsflüchtigen). Und in Furtwänglers Deutung der 9. spiegeln sich diese Nöte und Zerrissenheit wieder.


    Aber zurück zu Schuricht: Anders als bei Furtwängler, der die 9. nach dem Kriege nie wieder gespielt hatte, stand sie bei Schuricht durchaus auf dem Spielplan. Während seiner bemerkenswerten Alterskarriere machte er einige Aufnahmen u.a. für die EMI und spielte dort auch die 9. ein (in stereo).


    Die 43er Einspielung ist für Schuricht eher ungewöhnlich: Schuricht's Dirigate waren sachlich und nüchtern und in aller Regel war er recht schnell unterwegs (man achte allein auf die Tempi seiner späten Einspielung der 8. von Bruckner, geradezu aberwitzig Schumanns 3.). Hier aber: der Eindruck von Schleppen. Das ist umso bemerkenswerter, als der 1. Satz 1943 90 sec schneller gespielt wird als in der späten Einspielung. Vollends auffällig ist das Scherzo; dass hier der nämliche Dirigent am Werke gewesen sein soll wie gut 20 Jahre später auf der EMI-Aufnahme scheint ungewöhnlich. Die Pizzicati erklingen 1943 nahezu half-speed (naja, fast...), die Dissonanz wirkt geglättet (das kann aber an der alten Aufnahme liegen; ohnehin scheint die Aufnahmetechnik hier den Streichern gegenüber nicht sehr freundlich zu sein).


    Auch im dritten Satz wählt Schuricht ein ungewöhnlich langsames Tempo. Hier fallen-zumal zu Beginn- des Adagios einige derbe Spielfehler, besonders der Bläser auf. Das zieht sich durch den ganzen dritten Satz und scheint der spezifischen Kriegssituation geschuldet zu sein. Die Sinfonie wurde an zwei Tagen aufgezeichnet (13. und 14. Juli 1943); ob die Orchesterbesetzung beide male identisch war wäre hier ebenso zu fragen wie etwa wie die Situation der Luftangriffe zu der Zeit war (oftmals wurde weitergespielt bis es gar nicht mehr ging).


    Schuricht legt den dritten Satz wie einen gigantischen Trauermarsch an, der gleichmäßig durch musiziert wird, die Bögen und die Dynamik der späteren Aufnahme fehlen, der Höhepunkt wird nicht herausgearbeitet sondern als vorgegeben durchschritten (dies immerhin ein sehr erhebender Moment dieser Aufnahme), das Verklingen wiederum ist ruhig und gleichmäßig (wiederum von den Hörnern empfindlich gestört).


    Interessant ist hier vielleicht weniger der Vergleich mit der späteren Schuricht-Einspielung sondern der um ein Jahr jüngeren, 1944 entstandenen Furtwängler-Einspielung (mal abgesehen davon, dass beide Dirigenten musikalisch völlig unterschiedliche Temperamente hatten). Vage formuliert wirkt Schurcht im Vergleich zu Furtwängler wie jemand, der sich fügt, sich nicht wehrt und einfach hinnimmt. Furtwängler scheint sich regelrecht aufzubäumen. Dessen Adagio ist von ungeheurerer Intensität und Dramatik.


    Zu Schuricht ist noch nachzutragen: 1944 entging er knapp seiner Verhaftung durch die Gestapo. Unter dem freundschaftlichen Schutzmantel Ernest Ansermets gelang ihm die Emigration in die Schweiz.


    Für die 43er Einspielung sollten ganz andere Maßstäbe gelten als bei der Bewertung späterer und heutiger Aufnahmen oder solchen, die in den dunklen Jahren außerhalb Deutschlands entstanden sind. Bruckners Musik wird hier zum Zeugen der Zeit. Und nicht Schuricht zum Zeugen Bruckners. Und das gilt auch für Furtwängler.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Thomas,


    danke für Deine sehr persönlichen Anmerkungen.


    Der Live-Aufnahme Furtwänglers zählt für mich zu den beeindruckendsten Interpretationen dieses immer wieder überwältigenden und unbegreiflichen Werkes.


    Sie ist übrigens derzeit ausgesprochen günstig zu haben:


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    Wenn man von beiden "Bruckner Vergewaltigungen" von Justuz Frantz (der 4. und 8. Sinfonie) absieht, kann man zwei der für mich bedeutendsten Interpretationen genießen: Hans Rosbaud dirigiert Bruckners 7. aus dem Jahr 1959 (siehe Anton Bruckner: Sinfonie Nr 7 in E-dur - die Einzige -Thread, Seite 1 und 2) , und Wilhelm Furtwängler ist mit der von Dir erwähnten Live-Aufnahme zu hören.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo miteinander :hello:


    ich habe mir ja nun gestern das erste Mal und wohl auch als Erster hier folgende Aufnahme zu Gemüte geführt



    und dabei leichtsinnigerweise versprochen, meine Höreindrücke zu schildern.


    Nun, ich muss zugeben, meine Erwartungshaltung war recht hoch, nachdem mir (im Gegensatz zu manchem anderen hier) die Siebte mit Järvi ausgesprochen gut gefallen hat. Aber wie es halt so mit den Erwartungen ist, sie wurden nicht ganz erfüllt, oder eigentlich gar nicht. Ein Blick auf die Track-Zeiten lässt es vermuten, Järvi geht langsam ans Werk. Das ist an und für sich nicht schlimm, wer mich kennt weiß dass ich ein Freund langsamer Tempi bin (wenn es nicht gerade um Mahler geht). Nun, ich saß da und hörte, und ich wartete auf die Ergriffenheit, die mich bei diesem Werk bei anderen Dirigenten packt (Jochum, Giulini), aber sie blieb aus. Wo Giulini erhaben klingt, klingt Järvi einfach nur ... langsam. Es fehlte die Seele. Gewiss nicht schlecht interpretiert und fehlerlos gespielt, aber es fehlte eben etwas; ich hatte auch nicht unbedingt das Gefühl, dass das Orchester mit Herz und Begeisterung bei der Sache war.


    Und als ob das nicht reicht - kommen wir zum Klang. Ich gebe zu, mein Gehör ist nicht mehr das beste, ich bin schwerhörig und Pfeifen und Rauschen sind meine ständigen Begleiter. Aber ich denke, ich höre noch genug, um eine erstklassige Aufnahme von einer zu unterscheiden, die es eben nicht ist. Und hier ... klingt es mir eben etwas dumpf und undifferenziert, und wenn es laut wird, wird es zum Klangbrei. Hat mir nicht zugesagt.


    Die CD steckt jetzt im Stapel von meinen 40 Bruckners Neunten, und das ist sie auch, eine von vierzig, und nicht die Eine - die bleibt Giulini mit dem Wiener Philharmonikern.


    rolo

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk


  • Lieber rolo,


    ich danke für den Leichtsinn ;) (denn davon lebt ja auch das Forum...).


    Als ich die Track-Zeiten der Aufnahme las, dachte ich mir bereits, daß es eine Aufnahme nach "Strickmuster der 7." sein würde. Und dieses "Strickmuster", siehe auch meine Einschätzung im Thread zur 7. Sinfonie, ist mir ein bißchen zu dürftig, wenn ich angesichts herausragender Vergleichsaufnahmen (dazu gehören sicherlich alle drei Aufnahmen mit Giulini) mir eine weitere Einspielung einer Bruckner-Sinfonie (hier: der 9.) zulegen möchte.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von teleton
    5058861.jpg
    Berliner PH, Herbert von Karajan
    DG 1976 -1981
    Diese Aufnahmen habe ich als Einzel-CD´s: :jubel:


    Diese Box sieht jetzt so aus:



    Alle Aufnahmen sind m. E. ausnahmslos sehr gut gelungen, besonders auch die Neunte. Das Scherzo kommt bei Karajan sehr mächtig und majestätisch daher. Seine Tempi sind (außer im Adagio) langsamer als bei Jochum (DGG, 1964). Gleichwohl schätze ich beide Aufnahmen sehr.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Der Name "Fabio Luisi" taucht nicht auf, wenn man sich über "gute Bruckner-Dirigenten" (wie man die auch immer definieren mag...) spricht.


    Wenn man sich seine Live-Aufnahme mit der Staatskapelle Dresden (aufgenommen am 6. und 8. Mai) zu Ohren führt, dann bedauert man es, daß er neben dieser 9. nur noch die 7. aufgenommen hat.


    Luisi zeigt sich hier in meinen Augen als "Brucknerianer erster Güte"



    Daß der scheidende Generalmusikdirektor ein neues Bruckner-Bild entwirft, war nicht zu erwarten. Die Tempowahl ist eher "konservativ": 25'39'', 11'14'' und 26'53'', die Sichtweise -wie er selbst im Beiheft beschreibt- "pure Leidenschaft".


    Diese "Leidenschaft" drückt sich bei Luisi durch eine große Akribie aus, die Akribie, einerseits möglichst viele Details der riesigen Partitur hörbar zu machen und andererseits den musikalischen Fluss zu bewahren. Dieser "Spagat" ist nicht immer zu schaffen, wie z.B. die "Pultgrößen" Harnoncourt und Norrington bei Bruckner erfahren mußten...


    Luisi schafft diesen Spagat beinahe mühelos. Kein wichtiges Detail geht verloren, auch schwierigste Passagen, in denen gegenläufige Melodienbögen gleichzeitig ertönen und zu einem Ganzen geformt werden wollen (Ende des Scherzos oder Beginn des Adagios zum Beispiel) meistern der Italiener und sein bestens aufgelegtes Orchester fast mustergültig.


    Die Tempi wirken organisch und stimmig, bisweilen nimmt sich der Dirigent im ersten Satz ein bißchen mehr Zeit, besonders schöne Stellen auszukosten, im dritten Satz zieht er das Tempo bisweilen ein bißchen an. Diese Tempomodifikationen empfinde ich zum einen als geschmackvoll, weil sie nicht vorhersehbar, also kalkulierbar sind und zum anderen bewirken sie im Adagio, daß die riesigen Spannungsbögen "leichter erträglich" sind im Sinne von "jetzt kehrt das Leben zurück".


    Luisi selbst bezeichnet seine Herangehensweise an Bruckners Musik als "zuerst einmal analytisch". "Analytisch" ist sie auch im Sinne der Detailarbeit. Die zweite Komponente, die diese Interpretation auszeichnet, ist die "Sensibilität", mit der er den verschiedenen Strömungen und Gefühlswelten dieser Sinfonie nachspürt.


    Das Trio des Scherzos zum Bespiel läßt er -zum eher langsamen Grundtempo des Satzes- wahrhaft "schnell" spielen. So schafft er Momente der Rastlosigkeit, fast des Getriebenseins nach den stampfenden Rhythmen, die das Scherzo zu Beginn dominieren.


    Das Scherzo allerdings beinhaltet den einzigen kleineren Wermutstropfen: Das Hauptthema des Scherzos wird vom gesamten Orchester vorgestellt und von den Posaunen explizit "beantwortet". Die Posaunen allerdings gehen mehr als einmal fast unter und das, obwohl die Orchesterbalance ansonsten vorzüglich gerät. Bei Bruno Walter 1959 ist ähnliches zu beobachten. Vielleicht wollte Luisi den stampfenden Grundrhythmus mehr betonen, vielleicht wollte er dem Scherzo ein wenig "Bedrohlichkeit" nehmen, wer weiß...


    Wenn man diesen kleineren "Schönheitsfehler" außer Acht läßt, erhält man eine Aufnahme, die an Spielkultur kaum zu übertreffen ist. Das Orchester agiert auf allerhöchstem Niveau ("beckmesserisch" sei angemerkt, daß kurz vor der Coda des ersten Satzes ein paar kleine "Wackler" einsetzen, aber dafür ist es eben "live"...), auch die Klangqualität ist so gut wie nicht zu überbieten: Das Orchester wird sehr präsent, aber auch natürlich-transparent abgebildet.


    Wenn man ein "konventionelles" Bruckner-Bild schätzt (Tempi wie von Bruno Walter 1957 mit 20'30'', 10'19'' und 19'44'' bekommt man heutzutage leider fast nirgendwo mehr zu hören), dann sollte man die Luisi-Aufnahme unbedingt kennen. Für mich gehört sie bei den "konventionellen" mit Sicherheit zu den "Top 5".


    Auch wenn manch einer es anders sehen möchte, hinterläßt der Italiener in Bezug auf Bruckner sehr große Fußstapfen, die sein Nachfolger erst einmal ausfüllen muß... ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich beginne einmal mit einem Zitat:


    Zitat

    "Mir geht beispielsweise ein Konzert des Jahres 1979 nicht aus dem Sinn. Da habe ich mit dem Südfunk-Sinfonieorchester in der Benediktiner-Basilika von Ottobeuren die Neunte Sinfonie von Bruckner aufgeführt. Es waren über dreieinhalbtausend Menschen in der Kirche, und es war unerhört eindrucksvoll, wie sie sich da verhalten haben. Das war einer der größten Eindrücke meines Lebens! Man hat geglaubt, in einem vollkommen leeren Raum zu spielen, wo Menschen nicht anwesend sind. Weder bei den Pianissimo-Stellen noch in den Generalpausen dieses ja nicht ganz einfach zu rezipierenden Werks konnte man irgendetwas vom Pubklikum bemerken.


    Und dann war das Stück aus, und man hörte noch immer nichts, absolut nichts. Die Menschen blieben wie gebannt sitzen, dann fingen nach einiger Zeit die Glocken an zu läuten, und die Leute gingen noch immer nicht hinaus. Die Zeitungen haben später geschrieben, dass sie volle zehn Minuten still sitzen geblieben seien - das ist eine enorm lange Zeit -, und nichts, nichts war wahrnehmbar an Bewegung. Das liegt noch gar nicht so sehr lange zurück und hat mich sehr bewegt und beeindruckt.


    (entnommen dem Beiheft und das wiederum entnahm es der Biographie "So und nicht anders")


    Der Dirigent, der sich so bewegt erinnert, ist niemand anderes als Günter Wand, und das Konzert, an das sich Wand so gerne erinnert, ist bei Hänssler erhältlich:


    Das Fazit vorweg: Für mich ist das nicht nur Wands ergreifendste Aufnahme der 9. Sinfonie, es ist auch eine der besten Aufnahmen der 9., die ich überhaupt kenne. Kurzum: Eine Sternstunde (naja, nicht ganz, die Sinfonie dauert knapp über 58 Minuten... ;) .


    1979 war noch nichts von Wands "Altersmilde" zu spüren, die besonders bei den späten Wand-Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern zu hören ist. Wand dirigierte nicht nur schneller, sondern hob auch die Schroffheit und Modernität der Musik stärker hervor. Dieser Bruckner ist stets vorwärtsstrebend, stellenweise erscheint er sogar rastlos.


    Mitschnitte aus Kirchen sind idR sehr problematisch, da die hallige Kirchenakustik aus schnellen Passagen oder aus lauten Musikstellen schnell einen "Klangbrei" entstehen läßt, der das Hören von Details oder filigranen Abschnitten so gut wie unmöglich macht. Wer Wands 1988 entstandene Live-Aufnahme von Bruckners 9. aus dem Lübecker Dom kennt, weiß, was ich meine.


    Die Tontechniker dieser Einspielung hingegen haben herausragendes geleistet. Sehr selten überschattet der Nachhall folgende Musikpassagen, und Wand war clever genug, nach wuchtigen Tuttifortissimi etwas längere Generalpausen einzulegen (z.B. im Scherzo vor dem Trio).


    Das Orchester ist sehr gut und ausreichend durchsichtig abgebildet. Das RSO Stuttgart speilt mit spürbarer Hingabe und mit einer großen Intensität. Kleine Intonationsprobleme und "Wackler" im Blech (1. und 3. Satz) verzeiht man gerne angesichts der großartigen künstlerischen Leistung.


    Der erste Satz (23'55'') ist von einer vorwärtsstrebenden Grundtendenz geprägt. Wand gelingt es meisterhaft, die riesigen Themenbögen detailreich im musikalischen Fluß zu halten und läßt den Satz in einer Coda enden, die ich noch nirgendwo großartiger gesteigert und strahlender gehört habe als in dieser Aufnahme.


    Das Scherzo (10'23'') ist rhythmisch sehr prägnant, aber nicht ganz so brutal-stampfend wie beispielsweise bei Bruno Walter.


    Wer im Adagio (23'46'') einen "sanften Abgesang" vermutet, der irrt sich. Wie Walter oder Schuricht geht Wand den Satz recht schnell an und vermittelt, daß "vor dem Frieden einige Kämpfe zu durchstehen sind". Soll heißen, eine gewisse aggressive Grundtendenz ist auch hier vorhanden, Friede setzt erst nach dem ( bei Wand sehr schneidenden und prägnant zu hörenden) Dissonanzakkord (bei ca. 19'00'') allmählich ein, wenn Wand den Satz ruhig, aber noch fließend, ausklingen läßt.


    Auch wer diese Sinfonie gut kennt, wird tief berührt sein von dem Hörerlebnis, das hier geboten wird. Diese Aufnahme hat fast etwas von der "Quadratur des Kreises", denn selten vereinen sich Akribie auf der einen und Liebe auf der anderen Seite so vortrefflich wie in dieser Einspielung...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler



  • Lieber Norbert, Taminoeaner/innen
    Vielen Dank für diese einfühlsame und "bewanderte" Beschreibung, Begeisterung und Empfehlung (in EINEM)
    Ich werde mir die Aufnahme zulegen.
    Bei mir liegt übrigens eine Aufnahme der Neunten unter Gielen aus Luxemburg, die muß mir irrtümlich zugesendet worden sein, denn sie trägt Deinen Namen als Adressaten.........vielleicht kann man das klären...leider erreiche ich Dich nicht über diese Site, stets gesperrt, auch wenn Dein Moderatoren-Name "glüht". wj598 bei aol.


    Gruß......................."Titan"

  • Lieber Titan,


    es freut mich, daß meine Beschreibung positive Resonanz findet.


    Neben der neulich eher zufällig entdeckten und gekauften Aufnahme besitze ich noch drei weitere mit Wand, aber keine begeistert mich so sehr wie diese (auch wenn die anderen drei natürlich auch großartig interpretiert sind).


    Und den Rest klären wir per Mail...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Wand hat Bruckners Neunte auch mit den Münchner Philharmonikern, dem Celi-Orchester,
    das demnächst Maazel als Chef übernimmt, eingespielt. Ich weiß nicht, ob diese Aufnahme
    den Stuttgartern paroli bieten kann, aber ich finde beide gut.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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  • Ich würde die Bernstein-Aufnahme von 1990 durchaus auch als referenzträchtig erachten. Sie ist vielleicht nicht grad die allererste Wahl, aber als Ergänzung hervorragend zu Jochum, Karajan, Celibidache oder meinetwegen auch Wand.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Bernward Gerlach
    Wand hat Bruckners Neunte auch mit den Münchner Philharmonikern, dem Celi-Orchester,
    das demnächst Maazel als Chef übernimmt, eingespielt. Ich weiß nicht, ob diese Aufnahme
    den Stuttgartern paroli bieten kann, aber ich finde beide gut.


    LG, Bernward


    Lieber Bernward,


    richtig, bei Hänssler sind einige Bruckner-Sinfonien (4 und 5-9, wenn ich es richtig überblickt habe) mit den Münchner Philharmonikern erschienen.


    Diesem Orchester war Wand von 1957 bis kurz vor seinem Tod freundschaftlich verbunden.


    Ich hatte mir aus Interesse die Aufnahme mit der 5. Sinfonie gekauft. Sie datiert aus 1995 und entstand zwei Monate vor der bei RCA veröffentlichten Live-Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern.


    Große Interpretationsunterschiede sind natürlich nicht zu hören, weswegen meiner Meinung nach für denjenigen, der die Aufnahmen mit den Berlinern kennt, die aus München verzichtbar sind (und umgekehrt).


    Bei Wands späten Bruckner-Aufnahmen stößt seine (von mir schon erwähnte) "Altersmilde" nicht unbedingt auf meine vollste Zustimmung. Wand läßt natürlich noch auf allerhöchstem Niveau musizieren, aber er ist nicht mehr so "zupackend", so profiliert, er läßt die Musik mehr fließen, "freier atmen", aber ebnet ein bißchen zu sehr Bruckners Schroffheiten oder dynamische Bandbreite ein, weswegen ich den früheren Aufnahmen mit dem NDR-Sinfonieorchester oder hier dem RSO Stuttgart dem Vorzug gebe.


    Die Aufnahmen mit dem Kölner RSO, die Wands "Bruckner-Weltruhm" begründeten, leiden imo leider darunter, daß das Orchester zum Zeitpunkt der Aufnahmen kein "Spitzenorchester" war. Die Blechbläser z.B. agierten viel zu pauschal und zu wenig brilliant.


    Ekurs Ende. ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von Joseph II.
    Ich würde die Bernstein-Aufnahme von 1990 durchaus auch als referenzträchtig erachten. Sie ist vielleicht nicht grad die allererste Wahl, ...


    Eine "Referenz" ist für mich immer "erste Wahl"... :hello: ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Lieber Norbert,


    kannst Du mit Deinen Tipps bitte auch an mein Konto denken :motz: :motz: :motz: ?


    Habe die CD natürlich sofort geordert. Indes stellt sich in der Beurteilung von B9 immer noch die Frage nach der eingespielten Version (zumal mir die Löwe-Version durchaus liegt :untertauch: ).


    Mir fällt es bei der Neunten ziemlich schwer, eine Referenz zu benennen angesichts der extrem auseinanderliegenden Sichtweisen. Eher hätte ich eine Referenzreihe im Sinn: Furtwängler-Horenstein (2)-Wand (seine letzte Aufführung beim SHF)-Schuricht (2)-Klemperer. Wobei mir auffällt, dass das mit Ausnahme von Schuricht und eingeschränkt Old Klemp alles sehr emotionale Deutungen sind, gleichzeitg aber weit weg von allem Weihrauch. Mit Metha, Karajan und Bernstein kann ich persönlich gar nichts anfangen (nach mehreren Versuchen).


    Nun bin ich gespannt auf die neuerliche Wand-Sichtweise.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Thomas,


    naja, sooo teuer ist die Aufnahme ja auch nicht ;) ...


    Bei 9. geht es mir übrigens genau wie Dir: Ich kenne zwar etliche hervorragende Aufnahmen, aber keine, bei der ich sagen kann, "die ist der Maßstab, die Referenz".


    Bei der 2. z.B. schätze ich Inbal und Chailly ungemein, aber Zender ragt noch ein bißchen mehr heraus, bei der 5. liebe ich Welser-Möst, Chailly, Wand (NDR), Jochum (Ottobeuren) von Dohnanyi und Herreweghe, aber keine kommt an Gielen heran, aber bei der 9. ist es ein bißchen anders...


    Obwohl Klemperer mein Lieblingsdirigent ist, kann ich mit seiner Aufnahme der 9. nicht sonderlich viel anfangen, bei Schuricht (Wiener Philharmoniker) ist mir das Scherzo zu "zahm", bei der Stereo-Aufnahme von Bruno Walter sind die Posaunen im Scherzo stellenweise zu "unterbelichtet" usw...


    Neben der wunderbaren Aufnahme mit Wand sind es vielleicht Jochum (Berliner Philharmoniker), Giulini (Wiener) und Leitner, die mich am meisten ansprechen, bei den Mono-Aufnahmen Furtwängler und auch wieder Walter.


    Kann es sogar angehen, daß Bruckners 9. zu herausragend, zu "klangmonumental", zu umfassend in der Gefühlswelt, zu vielschichtig, zu was auch immer ist, um "referenzwürdig" aufgenommen zu werden?

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Meine erste 9. von Bruckner war die hier nahezu von allen geschmähte CBS Aufnahme mit Lennie.
    Dann habe ich sehr schnell andere Aufnahmen erworben und auch gehört.
    Fazit.
    Für mich sind Giulini (CSO), Schuricht und Wand (NDR in HL) ganz vorne.


    Klemp, den ich sehr verehre, ist zu spät erschienen, da war Klemp zu old, zu starr. "Diese Aufnahme ist Müll, und hätte nie erscheinen dürfen."
    Furtwängler finde ich zu hektisch, mit Jochum werde ich wohl nie mehr warm und so weiter.
    Giulini aus Wien kann mit dem CSO nicht mithalten, auch wenn es andere anders sehen mögen, z.b. die Wiener :D
    Und bei Horenstein und Walter muss man schon ein besonderer Anhänger dieser Dirigenten sein (ich habe beide Aufnahmen; Horenstein als Bertelsmann Aufnahme und Walter von CBS. Jascha ist mir zur starr und Walter mir zu weich! (Oder wie Klemperer allen Ernstes mal sagte: "Der Schlesinger (=Walter) dirigiert zu jüdisch", womit er wohl das konziliante in Walters Ansatz meinte. (Das darf, politisch korrekt, nur ein Jude über eine Juden sagen))
    Aber das ist ja gerade das Schöne am FAN. Er hält die Erinnerung wach! Und das ist wichtig!!


    Doch....
    Es gab hier den Tipp mit abruckner.com. Da habe ich mir die 9. mit Wallberg geholt.
    Wirklich sehr schön.


    Gruß S.

  • Mein Outing: Meine erste 9. von Bruckner war die von Karajan. Soundtrack von whatever. Und so war diese Platte eher was für pubertären Liebeskummer als Zugang zu Bruckner oder der Neunten. Die Sechste war mir indes vertraut: Klemp hatte ich im Rundfunk mitgeschnitten, Jochum zu Weihnachten beschert bekomen. Gehört habe ich weiterhin...good old Klemp auf rauschendem Billigkassettenband.


    Aber es geht um die 9.


    Tja, da war mein Leitstern Knappertsbusch. Der nie was anderes als Löwe dirgiert hatte. Schadet nix. Dieses Werk hat eine Ausstrahlung, Satz für Satz. Merkwürdigerweise haben die Alten diese Ausstrahlung am besten eingefangen. Furtwängler (der gar nicht hektisch ist, dafür aufgewühlt) Horenstein, der zumindest in dem BBC-Mitschnitt alles andere als starr ist (meine Top of the Tops Aufnahme); bei Wand bitte seine allerletzte Deutung; und zwar uncut. Ich habs mitgeschnitten seinerzeit, es gab Patzer im Orchester, die die Rundfunkübertragung natürlich nicht filtern konnte. Dessenungeachtet: der alte Mann gab seine Meisterleistung ab.


    Und als Antwort auf Norbert: ich stimme Dir zu: die 9. kennt keine Referenzaufnahme im traditionellen Sinne. Meine wäre tatsächlich die späte Horenstein-Aufnahme. Aufzeichnungstechnische Aspekte berücksichtige ich hier nicht.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Jonas,


    habe vor einigen Jahren Flussreise von Passau bis Budapest unternommen mit Abstechern in Wien, Melk, Bratislawa usw. Habe mit meiner Frau Viel Spaß gehabt, habe über vieles nachgedacht und mir ist so manches eingefallen. Trotz der 10 Tage auf der Donau ist mir nicht ein einziges Mal Bruckner in den Sinn gekommen, und seine 9. schon gar nicht. Ich werde die Flussreise bald wiederholen, weil meine Frau unbedingt Schloss Schönbrunn von innen sehen möchte. Mal sehen, was mir dann einfällt.


    Liebe Grüße, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Ich beginne mit meinen Ausführungen über die heute gehörte Sinfonie mal mit einem Zitat Norberts aus seinem Posting Nr. 47, da er mir diese Aufnahme empfohlen hat:

    Zitat

    1979 war noch nichts von Wands "Altersmilde" zu spüren, die besonders bei den späten Wand-Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern zu hören ist. Wand dirigierte nicht nur schneller, sondern hob auch die Schroffheit und Modernität der Musik stärker hervor. Dieser Bruckner ist stets vorwärtsstrebend, stellenweise erscheint er sogar rastlos.

    Der Meinung bin ich nicht, lieber Norbert. Ich muss davon ausgehen, dass du nicht im Juli 2001 im Lübecker MuK gesessen hast, sonst hättest du gefühlt, dass Wand hier, was die Neunte betrifft, so etwas wie sein Opus Summum dirigiert hat. Auch in Lübeck führte er die dramatischen, schroffen Steigerungen bis an die Grenze des Erträglichen und manchmal darüber hinaus. Ich werde dieses Konzert nie vergessen, umso mehr, als dies auch vor der Pause in der zweiten (eigentlich der ersten Unvollendeten des Abends), der von Schubert, zu spüren war. Auch hier die gleiche Intention, auf die schroffen, dissonanten Schnittstellen hin zu dirigieren.
    Ich bin gerne bereit zu konzedieren, dass Wand in diesem Konzert in Ottobeuren ein möglicherweise gleiches Niveau erreicht hat wie in Lübeck. So viel ich das übersehen kann, hat Wand die folgenden Worte vor dem Lübecker Konzert gesprochen:

    Zitat

    Mir geht beispielsweise ein Konzert des Jahres 1979 nicht aus dem Sinn. Da habe ich mit dem Südfunk-Sinfonieorchester in der Benediktiner-Basilika von Ottobeuren die Neunte Sinfonie von Bruckner aufgeführt. Es waren über dreieinhalbtausend Menschen in der Kirche, und es war unerhört eindrucksvoll, wie sie sich da verhalten haben. Das war einer der größten Eindrücke meines Lebens.


    Was die Zuhörer betrifft, hatte Wand sicher Recht. Er reagierte in Lübeck äußerst verärgert, als ein unkundiger Zuhörer direkt nach dem letzten Ton mit lauten Bravo-Rufen in Wands Entspannungsphase hineinplatzte. Da war das Publikum in Ottobeuren ja sicher ganz anders, wenn es sogar über einen Zeitraum von 10 Minuten still verharrte.
    Was das schnellere Dirigieren Wands betrifft, so waren die Unterschiede nur physikalisch bedingt und durchaus überschaubar. Seine nur 14 Tage vor dem Ottobeurener Konzert vollendete erste Aufnahme mit dem Kölner RSO war sogar "3 Sekunden" langsamer, das Berliner Konzert 19 Jahren später gehört mit 61:59 Minuten immer noch zu den schnelleren Aufnahmen von Bruckners Neunter und was das Scherzo angeht, sind die Unterschiede noch geringer:


    Köln: 10:26,
    Ottobeuren: 10:23,
    Berlin: 10:35;


    Die Lübecker Aufnahme von 1988 habe ich ausgeliehen, und die DVD von 2001 muss ich mir noch besorgen, aber interessanterweise fällt eine Aufnahme von 1994:

    völlig aus dem Rahmen, weil sie mit 64: 30 Minuten deutlich langsamer ausfällt als die viereinhalb Jahre später entstandene Berliner Aufnahme. Wie passt das zusammen?. War Wand da gesundheitlich etwa so angeschlagen, dass er langsamer dirigieren musste?
    Denn die Zeitrelationen deuten wieder auf seine untrügliche innere Uhr hin: 1. Satz: 26:55, 2. Satz 10:43, 3. Satz 26:52;.


    Über meine Eindrücke vom Ottobeurener Konzert habe ich in dem Thread "Was hört Ihr gerade jetzt?" einige Sätze gesagt. Ich bin seit einiger Zeit dazu übergegangen, direkt nach dem Hören meine Gedanken dort wiederzugeben.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:


    Platzhalter leider nicht ersetzbar, da ASIN nicht mehr vorhanden. Reinhard

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von Reinhard ()

  • Was Günter Wand angeht, so wurde eine Aufnahme hier noch nicht erwähnt, und zwar jener Konzertmitschnitt vom 20. April 1993 aus dem Berliner Konzerthaus mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, erschienen bei Hänssler:

    (Wem die 8 CD-Box zu teuer ist, der kann sich die Doppel-CD, gekoppelt mit der "Unvollendeten" von Schubert [auch eine sehr gute Aufnahme], neu ab ca. 15 EUR zulegen.)


    Die Spielzeiten: I. 26:37 II. 10:46 III. 26:39 Ges. 64:05


    Ich habe in den letzten Stunden vergleichend gehört und andere Aufnahmen Wands dazu herbeigezogen: Die mit dem RSO Stuttgart von 1979, die mit den Münchnern von 1998 und die mit den Berlinern von 1998. Da fällt für mich (tontechnisch) die Münchner Aufnahme eindeutig ab (der Klang ist ziemlich dumpf, Details gehen leider unter). Norberts Lobeshymnen auf die Stuttgarter Aufnahme kann ich nachvollziehen. Sie steht für mich zusammen mit der DSO-Aufnahme an der Spitze. Die Berliner Philharmoniker spielen natürlich auch perfekt, vielleicht gar ein wenig zu sehr (?). Nicht kennen tu ich die NDR-Aufnahme, den späten Japan-Mitschnitt (auf DVD erschienen) und diese ominöse allerletzte Aufnahme, die Thomas weiter oben erwähnt hat. Sicher ist aber eines: Günter Wand ist gewiß einer der TOP-Interpreten bei diesem Werk.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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