Marthé-Finale
Vor 15 Jahren war es der große Aufreger, nicht nur in der Bruckner-Welt, sondern auch hier im Forum, wovon mehrere mittlerweile gesperrte Threads künden. Daher muss ich mich auch im allgemeinen Thema zu Bruckners Neunter dazu äußern. Gemeint ist der streitbare Rekonstruktionsversuch des Finales der letzten Bruckner-Symphonie durch Peter Jan Marthé. Es hat diesem, soweit ich das richtig verinnerlicht habe, die Stimme Anton Bruckners selbst dabei die Hand geführt (sic). Es gab 2006 eine groß angelegte Diskussion im Vergleich zur wissenschaftlich fundierten und seriösen Finalkonstruktion durch Samale-Mazzuca-Phillips-Cohrs, die seit einer letzten Revision im Jahre 2011 nun endgültig (?) vorliegt. Damals wurde noch heftig diskutiert, was sich dereinst durchsetzen könnte.
Anderthalb Jahrzehnte später scheint die Frage geklärt. Entgegen der damaligen pessimistischen Sicht hat sich durchaus ein Dirigent von Weltrang, niemand Geringerer als Sir Simon Rattle, der SMPC-Fassung angenommen und diese dadurch gewissermaßen geadelt. 2012 erschien die mittlerweile hinsichtlich des Finalsatzes wohl zur Referenz gewordene EMI-Einspielung Rattles mit den Berliner Philharmonikern. Unermüdlich setzt sich Rattle für die viersätzige Version in dieser Fassung ein und führt sie immer wieder auf, so auch bereits in Wien.
Und Marthé? Um diesen wurde es seither still. jpc listet die Einspielung gar nicht mehr. Seinerzeit gab sich sogar das renommierte Label Preiser für die Veröffentlichung her. Hat man das zwischenzeitlich bereut? Die unfreiwillig komische Cover-Gestaltung sorgte bereits 2006 für viel Häme und Spott.
Aber zur Musik. Heute habe ich mir den 30-minütigen Finalsatz nach langem mal komplett gegönnt. Zu den ersten drei Sätzen nur soviel: Wenn man schon solch langsame Tempi wählt, dann bedarf es halt auch der Befähigung, diese mit Leben zu füllen. Da scheint der Celibidache-Schüler vom Meister nicht allzu viel mitbekommen zu haben. Aber vermutlich wird auch kaum jemand die Aufnahme wegen der drei altbekannten Sätze gekauft haben. Das Finale hat mich durchaus amüsiert. Dass es eine Phantasie (oder böser gesagt: Parodie) auf Anton Bruckner ist, erkennt man ohne Frage. Spätestens seit Vorliegen der mir im Finalsatz vorzüglich erscheinenden Rattle-Alternative dürfte diese Version aber obsolet sein. Kein Mensch scheint sich mehr mit ihr zu beschäftigen. Zumindest habe ich seit Jahren kein Sterbenswörtchen dazu gelesen. Von der Fachwelt wurde es von Anfang an belächelt, aber auch bei den Laien scheint das Thema durch zu sein. Ein Nachahmer fand sich auch nicht. Mir wäre zumindest keine weitere Aufnahme dieser Phantasie bekannt. Die Zeit ist darüber hinweggegangen. Viel Lärm um nichts also.
Was mich interessieren würde: Wie stehen denn Mitglieder des Forums, die sich schon vor 15 Jahren dazu äußerten, heute zu dem Marthé-Finale? Es gab damals ja durchaus auch positive Stimmen.