Hallo,
an dieser Stelle soll es um die Musik von Allen Pettersson im Allgemeinen gehen. Allerdings möchte ich die neu veröffentlichte Aufnahme seines zweiten Violinkonzertes als Einstieg wählen. Dieses Stück zeigt meines Erachtens die Emotionalität dieses Komponisten und seinen gestalterischen Radius in exemplarischer Weise.
Das 2. Violinkonzert von Allan Pettersson, als Auftragsarbeit 1977-1978 für das Schwedische Rundfunkorchester verfasst und 1980 mit Ida Haendel und Herbert Blomstedt uraufgeführt, ist eine imaginative Reise vom Dunkel zum Licht.
Das Stück ist etwa nach den Proportionen des Goldenen Schnitts aufgebaut, wobei der erste Teil das Dunkel verkörpert und in einem sehr frei gehandhabten c-moll ein freitonales, vielstimmig polyphon verschachteltes Gewebe aufbaut.
Im zweiten Teil des Werkes beruhigt sich die Polyphonie, es kristallisiert sich eine neobarock anmutende Passionmusik heraus, c-moll tritt noch deutlicher in Erscheinung. Diese Episode leitet dann zum lichtvollen Schlussteil über, welcher einen Chorsatz Allan Pettersson in E-Dur zitiert. Es handelt sich um das erste Stück der 1943 - 1945 komponierten Barfotasanger.
Der Text des Liedes illustriert die Stimmung dieses Abschnittes anschaulich und lautet in der deutschen Übersetzung:
Gott geht über Wiesen,
meist nur zwischen Disteln.
Kümmerblumen auf den Wiesen,
meist zwischen Disteln:
Des Herren Kommen und auch sein Gehen,
meist zwischen Disteln,
das spüren die Blumen,
die ihn umstehn.
Meist zwischen Disteln.
Gott geht über Wege,
schmale, breite Wege -
armer Bruder steht besorgt
auf dem schmalen Wege.
"Oh Herr, ein Schäflein, das lief mir fort",
sagt der gute Hirte.
Ja, Gott nimmt den Armen, nimmt ihn von dort
auf die breiten Wege.
Allan Petterson hat anläßlich der Fernsehübertragung der Uraufführung folgenden Kommentar zum Violinkonzert abgegeben:
Mich vor eine Fernsehkamera zu setzen ist, als fordere man eine Versicherung des Urhebers. Es ist, als wollte ich versuchen, dem Werk ins Wort zu fallen. Ich weiß aber, dass der Hörer keine Vorauserklärung wünscht, die ihm die Möglichkeit nimmt, selbst einen Weg in das große Abenteuer zu finden, vorausgesetzt, es ist ein Abenteuer.
Ein Mensch versucht, seine innere Wirklichkeit zu finden, er flieht die äußere Wirklichkeit, die vom Abbil des Menschen gesteuert wird - dem perfekten Roboter-, da wo die Idee des Menschen auf Kosten von Ideologien ausradiert wird, die sich in Menschenmord, Brudermord manifestieren - immer wieder Kain und Abel. In dieser nächtlichen Landschaft, in der Akteur und Betrachter ein und dieselbe Person sind wie in der Unwirklichkeit eines Traumes, wo Worte nicht ausgesprochen werden können, innerhalb dieses menschlichen Schutzgebietes erklingt ein Lied, gespielt von einer Geige mit edlem Ton, das die Fingerabdrücke eines Menschen trägt: eines einsamen Wesens, das vor dem drohenden äußeren Kollektiv Erlösung sucht. Der Zyniker nennt dies Eskapismus, aber der kleine Mensch, der nichts von sich glaubt und die feinen Worte nicht versteht, weiß allein, dass ihm Gefahr droht und dass es dafür keine Worte gibt. Aber die Idee vom Menschen ist nicht seine Idee - und deshalb ist sie unzerstörbar.
Isabelle van Keulen führte im März 1999 das Werk in der revidierten, instrumentatorisch etwas gelichteten zweiten Version in Stockholm auf, gemeinsam mit dem Schwedischen Radio-Sinfonieorchester und dem Dirigenten Thomas Dausgaard. Dies ist auf folgender Aufnahme zu hören.
Die alternative Einspielung ist die Uraufführung mit dem gleichen Orchester, Herbert Blomstedt und Ida Haendel
Diese Aufnahme ist womöglich noch aufwühlender und impulsiver ausgefallen, und es sind auch sechs Lieder aus dem Chorzyklus Barfotasanger mit dabei. Allerdings ist hier das 55 Minuten lange Violinkonzert nicht in Tracks unterteilt, und das erschwert das Hören einzelner Abschnitte der ansonsten vorzüglich gestalteten Aufführung.