Maurice Ravel: Konzert für Klavier und Orchester in G-Dur

  • Hallo Holger,


    die Frage wird man sich als Interpret bei Ravel immer stellen müssen: wie gehe ich mit der Vielfalt der Klangfarben um?


    Man müsste meinen, etwas runder, gefälliger und weicher ist das probate Mittel der Darstellung.


    Daß man bei Ravel - teils sehr stark - davon abweichen sollte, macht den besonderen Reiz dieser einzigartigen Musik aus.


    Nette Grüße


    Karl

  • die Frage wird man sich als Interpret bei Ravel immer stellen müssen: wie gehe ich mit der Vielfalt der Klangfarben um?

    Ganz genau, lieber Karl. Da scheiden sich bei den Interpreten auch die Geister. Die einflussreiche Auffassung von Cocteau war, dass Ravel eigentlich kein "Impressionist" mehr sei. Die Gretchenfrage für die Interpreten ist dann immer, wie impressionistisch spielt man Ravel? Ich habe mir die Treindl-CD für 2,16 Euro (gebraucht) Dank Deiner Begeisterung bestellt! :) Da bin ich mal gespannt!


    Die Uraufführung besorgte damals Marguerite Long. Es gibt von ihr auch eine Aufnahme von 1932, die ich habe:



    Unverzichtbar für die Interpretationsgeschichte sind auch die beiden Aufnahmen von Monique Haas - von 1948 und 1965:


    41HFMS7S5CL.jpg


    Darauf werde ich noch zurückkommen - und auch auf diese Aufnahme hier:



    Schöne Grüße

    Holger

  • das Werk ist unsere Mühe wert, prima, daß du mitmachst.

    Dass mit das G-Dur-Konzert so nahe liegt, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die berühmte ABM-Aufnahme die erste LP war, die ich in meiner Jugend gekauft habe. Die Abbildung mit dem Originalcover habe ich leider nicht mehr gefunden. In meiner Sammlung habe ich noch:


    Ivan Moravec: schön!



    Cecile Ousset und Simon Rattle:



    Julius Katchen:


    713ZcNDETTL._SS300_.jpg


    Letztere beiden Aufnahmen müsste ich nach urlanger Zeit wieder hören. Dazu sind in meiner Sammlung natürlich außer den erwähnten noch Samson Francois und zweimal Martha Argerich - wenn ich beim Durchforsten nicht etwas übersehen habe! ^^


    Schöne Grüße

    Holger

  • das Werk ist unsere Mühe wert

    JA, das ganze Werk mit allen drei Sätzen !

    :?:Ich wollte Dich, Karl mal fragen, ob Du dich inzwischen auch an den 3.Satz des KK G-Dur gewöhnt hast und ihn jetzt auch immer mithörst ?

    =O Anfangs hattest Du diesen ja immer ausgelassen, was ich so gar nicht nachvollziehen kann, denn nach dem herrichen 2.Satz ist der Finalsatz ein genialer Kontrast um das KK gekonnt abzuschliessen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,


    bei Triendl höre ich komplett, bei ABM breche ich nach dem 2.Satz ab.


    Warum das so ist? Wahrscheinlich muss ich mal auf die Couch und eine Therapie durchlaufen, um mein Innerstes zu verstehen.


    Reine Vermutung: Für mein Hörempfinden zergliedert ABM die Sätze stärker und da paßt der 3.Satz einfach nicht mehr richtig dazu.


    Es grüßt


    Karl

  • Ravel hat ja 2 Klavierkonzerte gegensätzlichen Charakters zur gleichen Zeit komponiert - das G-Dur- und das D-Dur-Konzert. Das G-Dur-Konzert orientiert sich anders als das D-Dur-Konzert sehr an klassischen Vorbildern. Den klassischen Rahmen sollte man also nicht vergessen, gerade wegen der "modernen" Elemente. Deswegen korrespondiert das Perpetuum mobile-Finale mit dem Kopfsatz, wo es auch schon diese motorischen Elemente gibt, aber jener ist insgesamt kontrastreicher, vielfältiger. Der Schlussatz ist zweifellos homogener, was aber genau das klassische Prinzip eines Finalsatzes ist, die dramatischen Kontraste des Kopfsatzes auszugleichen. Das ist eine "geschlossene Form", die auf dem Prinzip der Sukzession und nicht dem Kontinuitätsprinzip beruht. Man darf also gerade nicht "Homogenetät" erwarten, dass also das Finale im Charakter an den vorherigen langsamen Satz anschließen müsste. Tut man das, dann kann man das als Bruch empfinden - was wohl auch schon zur Zeit der Uraufführung von einigen Hörern so erlebt wurde. Satz 3 schließt also an an Satz 1 - der Mittelsatz kontrastiert damit und ist eine ruhige Insel in der Mitte. Also: Der klassische Aufbau des G-Dur-Konzerts beruht auf dem Kontrastprinzip und nicht darauf, Einheit durch eine durchgehend gleiche Stimmung zu erreichen.


    Ravel hat auch in seiner wunderschönen Sonate für Klavier und Violine am Schluss ein solches Perpetuum mobile-Finale komponiert - einige Elemente aus dem G-Dur-Konzert hört man da:



    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo Holger,


    den ruhigen 2.Satz haben wir oft in der klassischen Musik, es ist hier für mich wohl eine verzwickte Mischung aus Komposition und Interpreten, die bei der einen Einspielung diese Irritation und Ablehnung auslöst.


    Nette Grüße


    Karl

  • den ruhigen 2.Satz haben wir oft in der klassischen Musik, es ist hier für mich wohl eine verzwickte Mischung aus Komposition und Interpreten, die bei der einen Einspielung diese Irritation und Ablehnung auslöst.

    Ich glaube, lieber Karl, da hast Du sehr eigene Vorstellungen im Kopf. Ravel hat sehr intensiv für diesen Satz das "Adagio" aus Mozarts Klarinettenkonzert studiert:



    Das Vorbild für die Klavierstimme war also ein Holzblasinstrument - also soll die Phrasierung auch atmend-plastisch sein. Es lohnt sich in den Notentext zu schauen:



    Da steht bezeichnend zu Beginn "espressivo". Und noch etwas wird deutlich - nämlich die Parallele zu Beethovens letzter Klaviersonate op. 111. Auch da gibt es eine Variationsfolge, die immer bewegter wird und die Musik sich schließlich in reinen Klang, einen Triller, auflöst. Bei Ravel ergeben sich die Einschnitte durch die Verdopplung der Geschwindigkeit der Notenwerte: Viertel, Achtel, Sechzehntel, Zweiunddreißigstel usw. Michelangeli, weil er eben über diese überragende Anschlagskultur verfügt, realisiert das buchstäblich so, wie es im Notentext steht. Selbst bei A. de Larrocha sind diese Verdoppelungen der Geschwindigkeit wie bei vielen anderen Interpreten nicht exakt (eine Tick zu langsam) - es ist ja auch schwierig, die Figuren im geschwinden Tempo noch klangintensiv zu gestalten. Und ich kenne keine Aufnahme, die den Übergang zum Finale so perfekt hinbekommt wie ABM. Das ist ein Ravelsches Uhrwerk (Ravel liebte mechanische Uhrem, hat auch eine ganze Uhren-Oper komponiert), aber ABM gelingt es exemplarisch, diese Mechanik in ein reines Klangereignis zu verwandeln, ohne die Rhythmik irgendwie aufzuweichen. Bei Monique Haas z.B. ist das viel härter - da klingt dieser Schlusssatz ein bisschen wie Prokofieff. Also ich weiß wirklich nicht, was du meinst! :D


    Schöne Grüße

    Holger

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  • das Ravelsche Uhrwerk erkenne und höre ich eigentlich nur bei Le gibet.

    Lieber Karl,


    beim Tod hört aber das Uhr-Räderwerk auf zu ticken, da steht die Zeituhr still. Die letzten Zeilen des Bertrand-Gedichtes Le gibet ("Der Galgen") weisen die Richtung: Die penetrant durchklingende B-Oktave ist eine Totenglocke (in deutscher Übersetzung):


    "Es ist die Glocke die an den Mauern einer Stadt läutet, am Horizont, und der Kadaver eines Gehängten den die untergehende Sonne rötet."


    Schöne Grüße

    Holger


  • Gestern habe ich während der Arbeit Monique Haas und Marguerite Long gehört. Bei Monique Haas sind die Zeiten der Stereo-Aufnahme von 1965 und der älteren von 1948 fast bis auf die Sekunde identisch. Monique Haas, die zum Pariser Modernistenkreis gehörte, spielt wie man es von ihr kennt: Klar, mit vollem Ton und vor allem absolut nicht "romantisch", man muss sagen: ganz bewusst antiromantisch und jegliche Sentimentalität meidend. Deshalb klingt auch das Ravel-Konzert bei ihr völlig geheimnislos, fast schon positivistisch nüchtern. Hier passt das, was Vladimir Jankelevitch über den Unterschied von Ravel und Schumann sagte: Bei Ravels Kinderstücken gibt es keinen geheimnisvollen Hintergrund, die Dinge sind einfach nur das, was sie sind. Monique Haas´ Spiel wirkt denn auch so, als wenn man von dunklem Rotwein auf kristallklares Mineralwasser umsteigt, aber dies ist ein völlig konsequent umgesetztes Konzept. Darin liegt die Qualität dieser Interpretation. Pianistisch, was die Perfektion angeht, ist das nicht ganz perfekt. Aber das macht auch nichts.



    Das Interessante bei dieser Aufnahme ist, dass Maurice Ravel selber das Konzert dirigiert. Marguerite Long spielt "emotionaler" als Monique Haas, eine schöne Aufnahme. Ravel selbst dirigiert sein Konzert klassisch, also völlig ohne improvisatorische Freiheiten. Und im langsamen Satz phrasiert und artikuliert die Pianistin - offensichtlich gebilligt vom Komponisten - plastisch und klar gliedernd. Auch diese Aufnahme ist natürlich an heutigen Maßstäben gemessen kein Perfektionswunder.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo Holger,


    bei Ravel habe ich eigentlich immer den Eindruck, daß in seiner Musik etwas tief vergraben liegt.


    Wie man da erfolgreich danach schürft, wie man das zum Klingen bringt, hat wohl viel mit der Erfahrungswelt des Interpreten zu tun, und ich meine nicht unbedingt die Künstlerische.


    Es grüßt


    Karl

  • bei Ravel habe ich eigentlich immer den Eindruck, daß in seiner Musik etwas tief vergraben liegt.

    Ja, lieber Karl, finde ich auch. Hinter der schönen hellen Fassade tobt die Raserei - oder anders gesagt: das Apollinische hat einen dionysischen Untergrund. Das ist der Unterschied zu Debussy. Debussys Musik hat auch ihr Geheimnis, nur ist das nicht schwarz. :)


    Schöne Grüße

    Holger


  • So! Heute habe ich die CD mit Oliver Triendl bekommen. Zuerst: Wer ist Oliver Triendl? Er stammt aus Niederbayern, geb. 1970, war Schüler u.a. von Gerhad Oppitz und Oleg Maisenberg, bekannt als Klavierpartner von Gidon Kremer. Zur Zeitpunkt der Aufnahme (1994) war Triendl gerade einmal 24 Jahre alt - d.h. die Aufnahme ist die eines "jugendlichen" Pianisten. Das sollte man im Kopf behalten.


    Um mir ein Bild zu machen, habe ich erst mit dem Chopin-Konzert begonnen. Leider ist das Orchester hier eher mittelmäßig, so unsauber und pauschal, wie es beginnt. Triendl spielt ausnehmend schön und natürlich. Aber der Aufnahme fehlt einfach der konzertante Biss, die gewisse Brillanz, die man haben muss. Das Nur-Schönspielen von Triendl ist dann doch auf längere Dauer etwas ermüdend, weil zu brav gespielt.


    Das Ravel-Konzert ist deutlich besser! Da agiert auch das Orchester wesentlich engagierter. Triendlich spielt in den lyrischen Passagen sehr schön. Doch hier droht die Spannung verloren zu gehen, d.h. das Schönspielen verliert sich ein wenig im Augenblick. Deshalb forciert er das Tempo in den motorischen Passagen. Das ist dann nicht so ganz schlüssig. Im langsamen Satz merkt man deutlich, dass der junge Pianist Michelangeli verinnerlicht hat. Es ist wirklich interpretatorisch fast der Versuch einer Kopie. Doch genau dies ist gefährlich. Die Crux bei diesem Konzert ist ABM, der einfach ein Ideal in jeder Hinsicht gesetzt hat. Hat man ein anderes Konzept, fällt man davon ab, indem es eben doch nicht so schlüssig ist. Oder aber man imitiert wie Triendl, dann wird der Abstand zum Original deutlich, dass eben die Nachahmung als schwächere Nachahmung deutlich wird. Pianistisch hat Triendl einfach weder die letzte Finesse noch die Stringenz von ABM. Er bemüht sich redlich - und genau das hört man. Und der letzte Satz ist dann eben vitale Mechanik und kein Klangrausch. Doch sollte man fairer Weise sagen: Für einen 24jährigen ist das eine erstaunliche Aufnahme! Das ist wirklich schön anzuhören! Übrigens hört man im letzten Satz im Orchester das Uhrwerk, das aufgezogen wird. Die Aufnahmetechnik ist sehr gut, keine Frage.


    Um Triendl noch etwas besser einzuordnen habe ich zunächst Alicia de Larrocha - den langsamen Satz - gehört (Decca). Da ist einmal der Unterschied, dass auch sie hörbar ABMs Aufnahme kennt, jedoch einen eigenen Ansatz entwickelt: die Phrasen werden von ihr "rhetorisiert". Auch hat sie pianistisch hörbar mehr Möglichkeiten als Triendl - ihr Feinsinn ist fast ABM verdächtig. Nur ist sie im Tempo über eine halbe Minute langsamer. Die Variationen "schleppen" etwas, der natürliche Fluss kommt nicht so zustande.


    Wer ganz gewiss kein "Vorbild" hat, sondern dem Stück seinen Stempel aufdrückt, ist Alexis Weissenberg:



    Dass Weissenberg ein Ausnahmepianist ist, macht er vom ersten Moment an deutlich. Die lyrischen Passagen sind sehr individuell. Der Unterschied zu Triendl: Auch er verlangsamt das Tempo, aber die Rhythmen bekommen etwas Bohrendes, so dass sich die Spannung aufstaut, um sich zu entladen. Bei Weissenberg - mit seinen pianistisch grenzenlosen Möglichkeiten - rückt das Konzert in die Nähe von Strawinskys "Petruschka" - da wird die hyperpräzise hämmernde Mechanik fast schon dämonisch, nämlich destruktiv. Im langsamen Satz gelingt es Weissenberg ebenso, einen eigenen Weg zu finden: Die Begleitfigur wird zum rhythmischen Ostinato. Eine grandiose Intepretation, wenn, ja wenn nicht Ozawas erstaunlich mittelmäßige, um nicht zu sagen erschreckend schwache Dirigierleistung wäre. Orchester und Dirigent, muss man leider sagen, sind bei weitem nicht auf dem olympischen Niveau des Pianisten.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,


    Danke für Deine deutlichen Eindrücke, die einiges relativieren ...


    Es freut mich, dass auch bei Dir die Larrocha-Aufnahme so gut weg kommt, denn diese ist seit Ewigkeiten (hier in Beitrag 5 zuuerst erwähnt und damals gleich gegen ABM ausgespielt worden) immer noch meine Liebste:


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    Decca, 1973, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Es freut mich, dass auch bei Dir die Larrocha-Aufnahme so gut weg kommt, denn diese ist seit Ewigkeiten (hier in Beitrag 5 zuuerst erwähnt und damals gleich gegen ABM ausgespielt worden) immer noch meine Liebste:

    Lieber Wolfgang,


    wenn Du Alicia de Larrocha so magst, solltest Du Dir unbedingt auch ihre 1991iger Aufnahme bei RCA besorgen:


    Ich habe gerade in das Adagio assai und den Schlusssatz noch einmal reingehört. A. de Larrocha spielt das Adagio hier flüssiger, mit der Natürlichkeit und Schlichtheit eines Mozart-Konzertes. Das ist nicht so pointiert abgestuft und wie mit dem Lichtkegel angestrahlt wie in der älteren Aufnahme, sondern einfach entspannter artikuliert. Aber so bleibt die Musik im Fluss - eine Art "Altersgelassenheit". Als Gesamtkonzept ist das schlüssiger finde ich. Und A. de Larrochas Spiel zeigt ihre große Humanität: die Wärme und Patina, die man von ihren Aufnahmen spanischer Klaviermusik kennt. Zudem spielt das Orchester ungemein aufmerksam, geradezu liebevoll. Die Aufnahmetechnik ist auch super! Als Larrocha-"Fan", der ich auch bin :) , sollte man beide Aufnahmen haben. Zudem ist da noch die wunderschöne Sonatine und Valses nobles et sentimentales drauf als Zugabe. :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Hallo Holger,


    die Qualität würde ich nicht am Alter ablesen wollen, gefährlicher ist allerdings:

    Zitat

    Die Crux bei diesem Konzert ist ABM, der einfach ein Ideal in jeder Hinsicht gesetzt hat. Hat man ein anderes Konzept, fällt man davon ab, indem es eben doch nicht so schlüssig ist.

    So etwas kann als Einbahnstraßendenken verstanden werden.


    Aber es geht uns ja alle letztendlich um den Musikgenuss, der sehr persönlich ausfallen darf und kann.


    Es grüßt


    Karl

  • die Qualität würde ich nicht am Alter ablesen wollen, gefährlicher ist allerdings:

    So etwas kann als Einbahnstraßendenken verstanden werden.

    Die Geschichte der Plattenaufnahme des G-Dur-Konzertes ist eine Einbahnstraße, lieber Karl, das ist einfach Fakt. Es gibt sehr wenige Beispiele - und dieses ist eines der seltenen - wo eine einzige Aufnahme alle anderen so absolut überragt und prägend gewirkt hat. Das Problem für die nachgeborenen Pianisten hat schön am Beispiel von Liszt (Sonate h-moll) einmal Krystian Zimerman formuliert: "Ich habe sehr lange gebraucht, die Aufnahme von Horowitz aus dem Kopf zu kriegen, die mich geprägt hat!" Das Beispiel zeigt, dass es in solchen Fällen sehr schwierig ist, ein eigenes Profil zu entwickeln, aus dem Schatten eines solchen großen und übermächtigen Vorbilds herauszutreten. Interessant an der Interpretationsgeschichte ist, dass es natürlich auch andere Ansätze gegeben hat. Aber sie haben letztlich keine "Schule" gemacht. Bei Martha Argerich z.B. akzeptiert man gewisse Freiheiten, weil es Martha Argerich ist und sie mit ihrer Persönlichkeit das überzeugungskräftig macht. Das ist zweifellos ein Gewinn. Wenn man davon aber abstrahiert und nur Ravel und sein Werk betrachtet, ist das wirklich 100% schlüssig aber letztlich auch nicht.


    Triendl mit seinen 24 Jahren damals kann man sicher keinen Vorwurf machen, dass er sich im Schatten von ABM bewegt. Anderes ist eigentlich kaum zu erwarten. Die Aufnahme ist ja auch insgesamt wirklich gut und sehr gut anhörbar gelungen. Und die Aufnahme des Chopin-Konzerts, das sehr schön und einnehmend natürlich gespielt ist, der aber der gewisse "Biss" fehlt, wäre sicher deutlich besser ausgefallen, wenn er nicht so eine mäßige Orchesterbegleitung gehabt hätte. Als junger Musiker fehlt ihm einfach die Erfahrung, um Dirigent und Orchester seine Vorstellungen zu vermitteln. Er hätte einen Claudio Abbado z.B. gebraucht, der es wie kaum ein Anderer vermochte, junge Musiker in der rechten Weise in ihrer Eigenart zu unterstützen zu einer außergewöhnlichen Leistung zu inspirieren, wo sie über sich hinauswachsen.


    Oliver Triendl hat sich danach vornehmlich als Kammermusiker einen Namen gemacht und jemand, der sich selten gespieltem Repertoire annimmt (z.B. das Konzert von Grigory Fried, dessen Oper Das Tagebuch der Anne Frank ich in dieser Saison in Münster erlebt habe (Wiederaufnahme nächste Saison!!!), eine Platte, die deshalb auf meine Anschaffungsliste kommt):


    https://www.oliver-triendl.com…grafie-oliver-triendl.php


    Aber es geht uns ja alle letztendlich um den Musikgenuss, der sehr persönlich ausfallen darf und kann.

    Ja, aber das ist dann kein objektives Kriterium sondern bleibt subjektiv beliebig. Wenn das alles wäre, braucht man keine ernsthaften Interpretationsvergleiche anzustellen. Dann gilt anything goes. Macht man aber solche Vergleiche, dann bedarf es der sachlichen und allgemeinverbindlichen Argumente, warum eine Aufnahme/Interpretation bestimmte Qualitäten hat oder nicht hat.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo Holger,


    Zitat

    Ja, aber das ist dann kein objektives Kriterium sondern bleibt subjektiv beliebig. Wenn das alles wäre, braucht man keine ernsthaften Interpretationsvergleiche anzustellen

    das ist richtig, das ist das Ziel, allerdings findet man fast in jeder künstlerischen Beurteilung beides vor.


    Nennen wir es mal objektive Subjektivität.:pfeif:


    Es grüßt


    Karl

  • Eine fantastische Aufnahme des G-Dur Konzertes schenkt uns die Komponistin und Pianistin Gabriela Montero!

    Noch nie habe ich den zweiten Satz so eindringlich und lebendig ausgesungen gehört, das ist eine Entdeckung! Wie sie hier den harmonischen Rückungen nachspürt, da stockt mir der Atem! Und im Finale dann das Tempo anzieht! Einfach toll!


    Viele Grüße

    Christian


  • Bernstein / Orchestre National de Paris (EMI, 09/1975)

    Leonard Bernstein hat das Ravel-Klavierkonzert G-Dur viermal als Pianist und Dirigent in Personalunion eingespielt:


    - Philharmonia Orchestra; Leonard Bernstein, rec. live 1.7.1946 in London
    - Columbia Symphony Orchestra; Leonard Bernstein, rec. 7.4.1958 in New York City
    - Wiener Philharmoniker; Leonard Bernstein, rec. 21.2.1971 in Wien
    - Orchestre National de France; Leonard Bernstein, rec. 20.9.1975 in Paris

    Bernstein habe ich eigentlich früher als Ravel-Interpret weniger geschätzt. Eine CBS-CD mit den New Yorker PH und Ravel-Orchesterwerken hatte mich früher wenig begeistert, sodass dies nicht den Weg in meine Sammlung fand ...


    :) Erst La Valse und der Bolero mit dem Orchester National de France liessen aufhorchen und diese ganz an die Spitze setzen.

    Nun das Klavierkonzert G-Dur, das Bernstein, wie man oben im Zitat sieht, gerne auf dem Programm hatte.


    *** In meiner 7CD-Bernstein-Box mit Aufnahmen des Orchester National de Paris von 1975/76 ist die Aufnahme enthalten:

    Bernstein setzt besonders im 1.Satz auf sehr plastische Durchhörbarkeit der Instrumentengruppen. Zuerst hört es sich orchestral etwas dünn an ... und ungewohnt. Doch an den anderen Klang kan man sich gewöhnen. Den wunderbar gefühlvollen 2.Satz und das fetzige Finale liefert Bernstein am Klavier und mit dem Orchester auch ohne erkennbare Mängel mit hohem Einfühlungsvermögen. Gut, die Aufnahmen mit Larrocha und Co haben einfach mehr französisches Flair (und bleiben von der Klasse her an der Spitze). Trotzdem gefällt mir Bernsteins Int, an die ich mich schnell gewöhnen könnte, sehr gut.

    :!:Als Ergänzung zu weiteren Aufnahmen empfinde ich Bernstein (EMI, 09/1975) als eine Empfehlung !



    EMI, 1975, ADD


    Die Aufnahmen in der Box sind alle aktuell 2018 mit 24Bit/96kHz neu remastert ! TOP-Sound !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang