Unnützes Duell - Eugen Onegin

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Liebe Elisabeth, liebe Severina,


    ich weiß nicht, ob wir hier wirklich verschiedene Ansichten wegen unterschiedlicher Perspektiven haben oder ob ich einem Übersetzungsproblem aufsitze. Wie gesagt: meine prägende Erfahrung mit EUGEN ONEGIN war eine deutschsprachige ZDF-Produktion, in der Hermann Prey einen recht sensiblen Onegin gab und Karl Michael Vogler zudem Auszüge aus Puschkins Versroman las, die eine Deutung wie die meine zumindest zuließen, wenn nicht nahelegten.



    Lieber Rideamus,


    ich hab mir diese Szene gerade eben nochmal angehört, und ich glaube nicht, dass es eine Frage unterschiedlicher Perspektiven ist.


    Vielmehr macht hier wirklich der Ton die Musik - der Text allein mag ja harmlos-freundlich klingen, die Vertonung Tschaikowskys spricht mE aber eine ganz andere und sehr deutliche Sprache von Ironie, Blasiertheit und Überheblichkeit.


    LG, Elisabeth

  • Eigentlich hatte ich heute Anderes vor, als Puschkin zu lesen. Der Thread, besonders die Antwort auf Tatjanas Brief, ließen mir jedoch keine Ruhe. Nachstehend stelle ich die deutsche Puschkin-Übersetzung der Szene sowie die Libretto-Übersetzung ein.


    Beim Lesen fiel mir auf, wie nahe der Librettist an Puschkin blieb.

    Puschkin:
    Sie haben mir geschrieben,
    Kein Leugnen macht es ungeschehn.
    Ich las der Neigung hold Bekenntnis,
    Der reinen Seele zart Geständnis;
    Ihr edles Zutraun rührt mich tief.
    Was lang vergessen in mir schlief,
    Ward aufgeweckt zu neuem Leben.
    Doch leeres Schmeicheln liegt mir fern:
    Dem offnen Herzen will ich gern
    Mit gleichem Freimut Antwort geben.
    O hören Sie die Beichte an,
    Ihr eigner Spruch entscheide dann.
    Wär' es mein höchster Wunsch auf Erden
    Geborgen sein im Eheglück,
    Und hätte Gatte, Vater werden
    Mir vorbestimmt ein hold Geschick;
    Wenn der Familie süße Bürde
    Mich auch nur flüchtig locken würde –
    Ich hätte einzig in der Welt
    Nur Sie als Braut mir zugesellt.
    Ja, ich bekenn' es unumwunden:
    In Ihnen hätte meine Wahl
    Das einst erträumte Ideal,
    Den Halt, den Trost im Leid gefunden;
    Der größte Schatz, er wäre mein,
    Und ich – ich könnte glücklich sein!
    Doch bin ich nicht dafür geboren,
    Nie hat mein Sinn danach begehrt;
    Ihr Liebreiz ist für mich verloren,
    Der holden Gunst bin ich nicht wert.
    O glauben Sie (mein Wort zum Pfande):
    Wir trügen schwer am Ehestande.
    Wie warm ich auch für Sie gefühlt,
    Ich wäre bald doch abgekühlt;
    Sie weinen dann – allein durch Tränen
    Wird nimmermehr mein Herz erweicht,
    Nein, nur verbittert, fortgescheucht.
    Dies sind die Rosen dann, die schönen,
    Die uns, vielleicht für Lebenszeit,
    Gott Hymen auf die Pfade streut!
    Was kann's auf Erden Schlimmres geben,
    Als Ehen, wo die arme Frau
    Sich härmt um ihr verfehltes Leben,
    Derweil der Mann, zu Hause rauh,
    Gelangweilt, bitter, stumm, verdrossen,
    Wiewohl ihr Wert ihm voll erschlossen,
    Vor Eifersucht die Augen rollt
    Und mürrisch seinem Schicksal grollt!
    Derart bin ich. Und Sie, Sie lieben
    Solch Wesen, haben rührend schlicht,
    In keuscher, reiner Zuversicht,
    Ihm, was Ihr Herz bewegt, geschrieben?
    Darf solch ein Los voll bittrer Pein
    Das Endziel Ihrer Wünsche sein?
    Die Jugend flieht, ihr Wahn entschwindet;
    Mein Busen wurde hoffnungsleer ...
    Nur wie des Bruders Herz empfindet,
    So lieb' ich Sie – vielleicht auch mehr.
    Sie dürfen ohne Groll mir glauben:
    Wie sich mit neuem Grün belauben
    In jedem Lenze Busch und Baum,
    So löst im Mädchenherz ein Traum
    Den andern ab mit bunten Flügeln.
    So war's von je. Auch Ihr Gefühl
    Entdeckt sich bald ein neues Ziel ...
    Nur lernen Sie Ihr Herz zu zügeln:
    Nicht jeder achtet es wie ich –
    Wer Schaden fürchtet, hüte sich.«


    Libretto, Schilowski:


    Sie schrieben mir, wozu es leugnen?
    Sie gestanden voll Vertrauen wahr und offen
    Der reinen Seele keusches Hoffen.
    Ich ehre diese Offenheit,
    Und das Gefühl, das Sie erneut,
    Im Herzen mir schien längst gestorben,
    Ganz das Vertrau'n dem selbst zuteil,
    Das Ihr Vertrau'n sich hat erworben
    Erst meine Beichte ohne Trug,
    Dann fällen Sie den Urteilsspruch.
    Wenn mich für Häuslichkeit auf Erden
    Bestimmt ein glückliches Geschick,
    Um Gatte, Vater einst zu werden,
    Ich zögert' keinen Augenblick.
    Sie gleichen meinem Ideal,
    Nie träf' ich eine andre Wahl!
    Doch bin ich nicht zum Glück geboren,
    Mein Herz liegt mit sich selbst im Streit,
    Und unnütz wäre und verloren
    Für mich all Ihre Trefflichkeit!
    Ja, glauben Sie, der Eh'stand würde
    Uns beiden bald zur Qual und Bürde,
    Vor Lieb' mein Herz heut glüht und wallt,
    Gewohnheit macht es morgen kalt.
    Der Wonnen wenig, viel der Schmerzen
    Beut Hymen uns mit seinem Zwang,
    Und dulden heißt's, wer weiß wie lang!
    Es schwinden Jahre, Träume, Liebe,
    Sie schwinden ohne Wiederkehr!
    Und wenn Ihr Herz auch treu sich bliebe
    Und seiner Liebe rein und hehr, das meine wär'.
    Die Zukunft wird einst recht mir geben,
    Die Liebe ist im Menschenleben
    Stets Täuschung, Spiel der Phantasie!
    Drum lernen Sie sich überwinden,
    Die leichte Unerfahrenheit
    Führt oft zu schwerem Weh und Leid!


    Ich sehe es als eine in sehr schöne Worte verpackte Zurückweisung, die natürlich von Tatjana als demütigend empfunden wird, zumal sie sich zu diesem alle damaligen Konventionen sprengenden Brief entschloss. Hier wird die Wirkung - wie Elisabeth bemerkte - durch die Vertonung noch verstärkt.


    Wenn immer wieder dargestellt wird, Tschaikowsky habe im Onegin sein Alter Ego gesehen, kann ich homoerotische Andeutungen bei Puschkin im Verhältnis Onegin/Lensky nicht erkennen.


    Liebe Grüße


    Emotione

  • Liebe Emotione,
    zunächst einmal vielen Dank für die Mühe, die du dir da gemacht hast. Wirklich erstaunlich, wie eng sich das Libretto an die Vorlage hält, die ich, wie gesagt, nicht mehr so genau in Erinnerung hatte. Das Verblüffende ist nur, dass diese Szene durch die Musik - da bin ich ganz bei Rosenkavalier- einen ganz anderen Effet bekommt, denn kennte ich nur den Text, würde ich auch sagen, dass Onegin eigentlich relativ zartfühlend mit Tatjana umgeht. Die Onegins, die ich bisher live erlebt habe, waren aber leichtsinnige Lebemänner, Zyniker, die sich einen Deut scherten um das gebrochene Herz eines zu romantisch veranlagten Mädchens, und da hörte sich dann das Gesagte/Gesungene viel negativer an.
    lg Severina :hello:

  • Liebe Emotione , danke für diesen Text, der doch Vieles noch einmal erhellt und mir neue Facetten zeigt.
    Ich sehe hier eigentlich erstmal keine Ironie und auch keine Demütigung im objektiven Sinne. Subjektiv bleibt sie natürlich unbestritten -eine Abfuhr nach einem solche Brief kann bei der liebenden jungen Frau nur eine kaum zu ertragende Schmerzens-Schamwelle hervorrufen.
    Aber rein objektiv:
    Wenn man sich sicher ist, einen anderen Menschen durch das eigene So-Sein unglücklich zu machen, wäre es wohl viel verderblicher, aus Schwäche und Lust am Augenblick dessen Leben mit einer von vorneherein zum Scheitern bestimmten Ehe zu ruinieren als ihm eine Abfuhr zu erteilen.


    Wobei ich den Brief-Schluss bei Puschkin noch "anständiger" finde als den, der dann im Libretto steht.


    Rideamus Statement zu Onegin wird mir jedenfalls langsam verständlicher.
    Er könnte tatsächlich eine nciht weniger tragische Figur als Tatjana sein.


    Wobei ich seine "Wandlung" aber weiterhin etwas skeptisch betrachte. Sollte er am Ende überzeugter sein, Tatjana glücklich machen zu können und wenn ja warum?
    Oder nimmlt da lediglch die eigene Schwäche überhand und er hat keine Kraft mehr ,der Sehnsucht nach Liebe und Glûck zu widerstehen?


    In den russischen Romanen treten ja sehr häufig Helden auf, die umwälzende Wandlungen durchmachen und nciht zuletzt versuchen ,durch Liebe geheilt werden. Man denke an Lewin aus der Anna Karenina, an Tolstois Auferstehung, an die Dostojewski-Helden.



    Fairy Queen

  • Auch von mir vielen Dank für diese ausführliche Information, liebe Emotione.


    Ich muss noch in die Musik hinein hören, aber allein vom Text ausgehend (und leider bleiben wir hier auf Übersetzungen angewiesen), bleibe ich vorerst bei meiner Behauptung, dass wir hier, wie Severina sehr richtig schreibt, über Onegins reden, die wir gesehen, also von Regisseuren und Sängern interpretiert bekommen haben. Das brachte, wie gesagt, Hermann Prey ganz anders, und nach meinem Gefühl auch nicht gegen die Musik. Die Regie dieser Fernsehinszenierung, die ich derzeit leider nicht ansehen kann, weil ich sie nur auf einer betamax-Kassette habe (sie wird aber gelegentlich im ZDF-Theaterkanal wiederholt und lohnt das Mitschneiden), führte übrigens Vaclav Kaslik.


    Trotzdem werde ich dem mal nachgehen, u.a. auch in der Filmversion von Petr Weigl.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Banner Trailer Gelbe Rose

  • Hallo Fairy,
    ich sehe das diesmal ganz unsiamesisch ;) schon wieder eher negativ, denn ich halte diese "rücksichtsvolle Verzichtserklärung" für eine Ausrede, besonders die Behauptung, dass Tatjana seine Traumfrau wäre, hätte ihn nicht sein Naturell zum Hagestolz bestimmt. Ich glaube, dass ihn diese Tatjana schlicht und einfach langweilt, dieses unbedarfte Landei übt als Frau keinerlei Reize auf ihn aus, ein Typ wie dieser Onegin braucht wahrscheinlich auch erotisch den besonderen Kick, um aus seiner Weltschmerzpose zu erwachen. Diesem Mädel das ABC der Liebe beizubringen, ist sicher nicht das, was ihn anturnt.
    Anders dann ihre zweite Begegnung, als ihm Tatjana plötzlich als reife, selbstbewusste und elegante Dame von Welt gegenübertritt und ihn sofort elektrisiert. Wenn er bedauert, diesen Schatz nicht schon früher erkannt zu haben, dann denkt er doch sicher nicht an das verträumte und etwas merkwürdige Mädchen von einst, sondern meint die attraktive Fürstin, die nun alle seine Sinne anspricht und ihm als Rettungsanker aus seinem Lebensüberdruss erscheint. Dass sie die Frau seines Freundes ist, gibt der Situation den von mir schon erwähnten besonderen Kick, ohne den Onegin wahrscheinlich überhaupt nichts mehr empfinden kann.
    Tja, ich bin ein schwieriger Fall - so leicht lasse ich mir meinen Onegin nicht symathisch reden!! :baeh01::D :D :D :D (Übrigens kann ich mir vorstellen, dass Simon Keenlyside meiner Idealinterpretation sehr nahe kommt)
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina


    Hallo Fairy,
    ich sehe das diesmal ganz unsiamesisch ;) schon wieder eher negativ, denn ich halte diese "rücksichtsvolle Verzichtserklärung" für eine Ausrede, besonders die Behauptung, dass Tatjana seine Traumfrau wäre, hätte ihn nicht sein Naturell zum Hagestolz bestimmt. Ich glaube, dass ihn diese Tatjana schlicht und einfach langweilt, dieses unbedarfte Landei übt als Frau keinerlei Reize auf ihn aus, ein Typ wie dieser Onegin braucht wahrscheinlich auch erotisch den besonderen Kick, um aus seiner Weltschmerzpose zu erwachen. Diesem Mädel das ABC der Liebe beizubringen, ist sicher nicht das, was ihn anturnt.
    Anders dann ihre zweite Begegnung, als ihm Tatjana plötzlich als reife, selbstbewusste und elegante Dame von Welt gegenübertritt und ihn sofort elektrisiert. Wenn er bedauert, diesen Schatz nicht schon früher erkannt zu haben, dann denkt er doch sicher nicht an das verträumte und etwas merkwürdige Mädchen von einst, sondern meint die attraktive Fürstin, die nun alle seine Sinne anspricht und ihm als Rettungsanker aus seinem Lebensüberdruss erscheint. Dass sie die Frau seines Freundes ist, gibt der Situation den von mir schon erwähnten besonderen Kick, ohne den Onegin wahrscheinlich überhaupt nichts mehr empfinden kann.
    Tja, ich bin ein schwieriger Fall - so leicht lasse ich mir meinen Onegin nicht symathisch reden!! :baeh01::D :D :D :D (Übrigens kann ich mir vorstellen, dass Simon Keenlyside meiner Idealinterpretation sehr nahe kommt)
    lg Severina :hello:


    Ich schliesse mich severinas Meinung an. Onegin ist, als er Tatjana als Fürstin gegenübersteht fasziniert? Warum? Weil er sieht, wie fehl seine Einschätzung war, oder auch wie tief er gesunken ist durch seine eigene Dummheit, oder sage wir durch seine Überheblichkeit? Möglich, dass er plötzlich etwas für sie empfindet, doch nur was genau. Liebe mitnichten, verletzter Stolz eher, Rettungsanker wie severina es schreibt höchst wahrscheinlich. Ich denke ebenfalls, das er einfach ein arroganter Schnösel ist, der meint über alles zu stehen und das die Frau die ihm das Wasser reichen darf erst noch geboren werden muss. Das einfache Mädchen vom Lande war ihm natürlich zu naiv, zu wenig attraktiv, zu wenig weltgewand, eine Träumerin, die aus schwärmerischen jungmädchensein ihn anbetet. Anders aber plötzlich die Fürstin, die Frau von Welt, die Frau und nicht das Mädchen ist es das ihn interessiert. Natürlich er ist am Ende seiner Kräfte und schließlich, so bildet er sich ein, ist er ihre große Liebe, also was kann schon passieren, ein paar nette Worte und sie fällt ihm zu Füssen. Das sie es nicht tut, sehe ich als eine Verstandesentscheidung an. Ich weiss nicht, ob sie ihn nicht doch noch liebt. (Dies bezüglich muss ich Rosenkavalier Recht geben. Wer vergißt schon seine erste Liebe? ) Die Zurückweisung Onegins haben sie stark gemacht und sie kann über diese Gefühle zu stehen.




    LG


    Maggie

  • Schön, dass mein verspätetes Salzburg Erlebnis hier eine so lebhafte Diskussion in Gang bringt! :yes:



    Wenngleich ich mich natürlich leicht mit Tatjana identifizieren kann, mache ich mir weiter meine Gedanken um Onegin und versuche mich ein wenig in deise Figur einzufühlen.
    Ihn so einfach als aroganten Schnösel und Unsympat abzutun, ist mir zu kurz gegriffen.
    Dass Tatjana sich ihm an den Hals wirft, ist nicht seine Schuld und an seiner m.E. nciht brutalen Abfuhr kann ich nichts Verwerfliches finden -im Gegenteil!
    Er hätte sie z.B. auch ganz leicht en passant vernaschen können. Wenn er ein gewissenloser Egoist wäre, nichts leichter als das.
    Das Argument mit dem "erotisch reizlosen Landei "müssen Männer bewerten, ich kann das nur sehr eingeschränkt. Allerdings weiss ich von Dandy-Genossen Onegins aus Literatur und Leben , dass gerade auf Abgebrühte, die mit alen Wassern gewaschen sind, Unschuld und Ehrlichkeit den grössten Reiz ausüben kann.
    Siehe z.B. der Viconte de Valmont, der sich ernsthaft in das vollkommen unraffinierte Landei Mme de Tourvel verliebt.


    Dass Onegin nciht in Tatjana verliebt ist, kann man ihm so oder so keinesfalls zum Vorwurf machen.
    Vielleicht ist er einfach auch einer der Männer, deren "Jagdinstinkt" geweckt werden muss und die die Äpfel , die ihnen zu leicht in den Schoss fallen, nciht begehren können? Kaum ein Mädchen hat, auch in unseren Zeiten noch, wohl nicht irgendwann die mütterliche Weisheit gehört, dass man Männer zappeln lassen muss, um interessant zu bleiben Hin und wieder mag das ja sogar richtig sein. :wacky: Jedenfalls nutzt er Tatjanas Liebe in keiner Weise zu seinen Gunsten aus und das finde ich durchaus bemerkenswert.


    Was mir sehr auffällt ist, dass Onegin offenbar die Konkurrenzsituation mit anderen Männern respektive seinen Freunden braucht, um in Sachen Liebe aktiv zu werden. Was das mit der homosexuellen Ader, die J.R. annimmt, zu tun haben kann, ist mir noch nciht ganz klar, aber das könnte zumindest eine Spur sein.
    Seinem Freund Lenksy treibt er damit zur Verzweiflung und letzlich zum Tode, bei seinem Freund Gremin nimmt er sogar in Kauf, dessen Leben zu zerstören, indem er versucht, ihm seine Frau auszuspannen. Wie sehr Gremin an seiner Tatjana hängt, wird ja in dessen Arie deutlich gemacht.
    Was ist das für ein (auto-)destruktives Verhalten Onegins ?
    Ich persönlcih finde diesen Verrat dezidierten Freunden gegenüber viel verwerflicher als die offene Abfuhr , die er Tatjana erteilt.


    Eine echte Wandlung nach einem sehr schmerzlichen Reifungs- Prozess hätte in der russischen Literatur etliche Vorbilder.
    Wird er die Weigerung Tatjanas endgültig hinnehmen oder weiter um sie werben?
    Wird er an ihrer Abfuhr zugrunde gehen oder daraus lernen?


    Mir bleiben noch ganz viele Fragen offen und auch um Lensky sollten wir uns noch ein paar Gedanken machen.



    Fairy Queen

  • Liebe Fairy,
    was den Vicomte de Valmont betrifft, so will der doch zunächst nur beweisen, dass es ihm gelingt, selbst eine so tugendhafte Frau wie diese zu verführen - es handelt sich ja um eine Wette. Dass die Sache dann sozusagen eine gewisse Eigendynamik entwickelt, liegt nicht in seiner Absicht.
    Onegin interessieren so leichte Siege nicht, Tatjana wird ja erst für ihn interessant, als sie einem anderen "gehört", er sie also erobern muss, sich dabei auch einer Gefahr aussetzt - der berühmte Kick eben. (Gremin würde ihn sicher ebenfalls zum Duell fordern, und obwohl ich davon ausgehe, dass Onegin besser und vor allem schneller schießt - so ganz sicher kann man da nie sein)
    Tatjana zu "vernaschen", wie es deiner Meinung nach im ersten Akt möglich wäre, reizt ihn einfach nicht und würde außerdem Komplikationen heraufbeschwören, an denen ihm nicht gelegen sein kann. Schließlich ist sie zunächst die Quasi-Schwägerin seines besten Freundes, ein Mädchen aus gutem Haus - solche Mädchen kann man nicht vernaschen, sondern nur heiraten, will man nicht gesellschaftlich geächtet werden.
    Dass ihn die Ballgesellschaft ihn dann als oberflächlichen Dandy hinstellt, der Tatjana nur unglücklich machen würde, ärgert ihn so, dass er daraufhin die unglückliche Kettenreaktion in Gang setzt, die zum Tod seines Freundes führt.
    In einem Roman Peter Handkes steht der Satz: "Man hasst im anderen immer nur das, was in einem selbst ist!" und das trifft meiner Meinung nach auf diese Situation zu, denn die Ballgäste charakterisieren Onegin im Grunde genommen genauso, wie er sich selbst Tatjana gegenüber beschreibt - aber dass ihn die anderen tatsächlich so sehen, kann er nicht ertragen und versetzt ihn in blinde (Zerstörungs-)Wut.
    Hach, ich liebe solche Diskussionen!!!! :] :] :] :] :] :] :yes:
    lg Severina :hello:

  • Ich möchte an dieser Stelle mal darauf hinweisen, daß zwischen der ersten und der zweiten Begegnung von Onegin und Tatjana Jahre vergangen sind!
    Als sie sich auf dem Land begegnet sind war auch Onegin noch erheblich jünger und unreifer. Er war in der Tat ein arroganter Schnösel, der sich über die ländliche Gesellschaft und auch das junge Landei erhaben dünkte. Die Abfuhr, die er ihr erteilt ist keineswegs rücksichtsvoll, wenn es der Text auch suggeriert! Dazu kommt aber der Tonfall, der sehr blasiert und selbstgefällig ist. Und so versteht Tatjana es auch! Es verletzt sie tief.


    Dann das Duell, in dem Onegin seinen besten Freund tötet! Er muss deswegen das Land verlassen und wird jahrelang von Schuldgefühlen und Langeweile umhergetrieben.
    Als er schließlich wieder nach Hause kommt ist er ebenso wie Tatjana reifer geworden. Er erkennt sie ja anfangs auch nicht und muss Gremin nach ihr fragen. Sie beeindruckt ihn also schon bevor er weiß, daß es Tatjana ist!


    Ich glaube nicht, daß es ein Kick für ihn ist sie Gremin auszuspannen! Der dazu noch ein Verwandter von Onegin ist, wenn ich das recht in Erinnerung habe. Ich glaube, er hat sich wirklich Hals über Kopf verliebt.
    Das Tatjana ihn abweist, obwohl sie ihn immer noch liebt, ist ganz folgerichtig. Sie ist eben nicht mehr das junge Mädchen, daß sich von ihrer Leidenschaft beherrschen lässt. Sie ist jetzt eine reife Frau, die sich über die Konsequenzen ihres Handelns im Klaren ist. Ihre Entscheidung ist entgültig und das sieht auch Onegin ein, deshalb seine Verzweiflung am Ende!
    Nein, da gibt es kein Happy End mehr, es ist alles gesagt!!


    Das ist meine, zugegebenermaßen, subjektive Einschätzung der Geschichte.


    Gruß
    Regina
    :hello:

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Liebe Regina,


    Deiner Sicht der Dinge kann ich mich voll anschließen. Mir ging es ja primär darum, Onegins Verhalten bei seiner Zurückweisung nicht NUR aus der Sicht der Betroffenen zu sehen. Manche Sänger (und Regisseure), neben Prey etwa auch Sherill Milnes, wie ich dank Elisabeths Hinweis kürzlich hören konnte, versuchen ja auch durchaus mit Erfolg und keineswegs gegen die Musik, sein Verhalten in einem positiveren Licht darzustellen. Ich weiß jedenfalls nicht, wie man eine solche Zurückweisung, wenn sie denn geboten erscheint, aussprechen kann ohne kränkend zu sein, denn die allein ist ja Anlass genug.


    Dass der junge Onegin dessen ungeachtet ein arroganter Schnösel ist, der Tatjanas Liebe mindestens zum damaligen Zeitpunkt gar nicht verdient, steht außer Frage, und dass Onegins Verzweiflung über der Erkenntnis seines leeren Lebens am Schluss keineswegs ein Happy End darstellen kann, steht auch für mich außer Frage. Gerade deswegen, und nicht nur wegen des unglücklichen (Ausgangs des) Duells empfinde ich dieses Drama ja auch als eine Tragödie, allerdings eine Onegins eher als Tatjanas, denn der ist es ja vor allem, der den unbeirrbaren Vorgaben seines Schicksals nicht entweichen kann. Dieses Element der Unausweichlichkeit aber ist ein Kernelement jeder echten Tragödie. Tatjana hat ja bei allem subjektiven Leid und Verzicht eigentlich Glück gehabt, dass sie nicht mit (dem jüngeren) Onegin geschlagen wurde.


    Das hindert nicht, dass ich diese Frauengestalt liebe, aber eben auch die des Onegin sehr gut verstehen und nachempfinden kann.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Liebe Regina,


    Deiner Sicht der Dinge kann ich mich voll anschließen. Mir ging es ja primär darum, Onegins Verhalten bei seiner Zurückweisung nicht NUR aus der Sicht der Betroffenen zu sehen. Manche Sänger (und Regisseure), neben Prey etwa auch Sherill Milnes, wie ich dank Elisabeths Hinweis kürzlich hören konnte, versuchen ja auch durchaus mit Erfolg und keineswegs gegen die Musik, sein Verhalten in einem positiveren Licht darzustellen. Ich weiß jedenfalls nicht, wie man eine solche Zurückweisung, wenn sie denn geboten erscheint, aussprechen kann ohne kränkend zu sein, denn die allein ist ja Anlass genug.



    Lieber Rideamus, hallo zusammen,


    Die Darstellung von Sherill Milnes ist jedenfalls ein gutes Beispiel dafür, dass es tatsächlich nicht überheblich und blasiert klingen muss.


    Milnes legt diese Szene eher so an, dass man die Unsicherheit des Onegin merkt, wie er mit einer Situation umgehen soll, die so gar nicht der Konvertion entspricht und die deshalb auch nicht mit allgemeinen "Benimm-Regeln" zu lösen ist. Milnes ist einer der wenigen, bei denen ich ein Mitgefühl für Tatjana heraushören kann.


    Wen´s interessiert: es handelt sich um eine Radioübertragung aus der Met vom 18. Februar 1978 in folgender Besetzung:


    EUGENE ONEGIN


    Eugene Onegin...........Sherrill Milnes
    Tatiana.................Teresa Zylis-Gara
    Lensky..................Nicolai Gedda
    Olga....................Isola Jones
    Prince Gremin...........Paul Plishka
    Larina..................Jean Kraft
    Filippyevna.............Batyah Godfrey Ben-David
    Triquet.................James Atherton
    Captain.................Richard Best
    Zaretsky................Andrij Dobriansky


    Conductor...............James Levine



    LG, Elisabeth

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    original Elisabeth


    Milnes legt diese Szene eher so an, dass man die Unsicherheit des Onegin merkt, wie er mit einer Situation umgehen soll, die so gar nicht der Konvertion entspricht und die deshalb auch nicht mit allgemeinen "Benimm-Regeln" zu lösen ist.


    Das ist eine interessante Interpretation der Rolle. Wenn man davon ausgeht, das Tatjanas Brief zur damaligen Zeit fast eine Unerhörtheit war, mit der Onegin nicht recht bzw. gar nicht umgehen konnte, könnte man seine Abweisung durchaus als höflich ansehen. Man könnte, aber dazu muss dann auch die ganze Rolle so angelegt werden, wie Elisabeth es beschrieben hat. Wenn man wie ich den Onegin kennt, nämlich als überheblich, herablassenden Schnösel, wird man seinen Brief aus einem ganz anderen Blickwinkel sehen.


    Natürlich, Rideamus hat Recht, man kann eine Abweisung kaum aussprechen oder schreiben ohne die/den Abgewiesene/n zu kränken.


    Wenn ich es mir recht überlege, gefällt mir Onegin aber gerade als arroganter Schnösel. Sein gesellschaftlicher wie persönlicher Absturz ist dadurch noch dramatischer.


    LG


    Maggie

  • Liebe Mitdiskutanten,
    nur kurz zu nächtlicher Stunde: Ich bin überzeugt davon, dass Tschaikowskys Identifikationsfigur - wenn es eine solche in der Oper gibt - nicht Onegin war, sondern Tatjana, die gegen alle gesellschaftlichen Konventionen einen für sie demütigenden Liebesbrief schreibt, die nicht hoffen kann, erhört zu werden, und fürchten muss, dem Spott - nein, der Verachtung! - nicht nur des Empfängers preisgegeben zu werden! So war es auch, wenn Tschaikowsky Liebesbriefe schrieb, von denen der letzte, will man dem Stand der Forschung trauen, seinen Selbstmord ausgelöst hat.
    ("So sei es. Mein Schicksal
    vertraue ich dir an;
    in Tränen auf den Knien
    erflehe ich deinen Schutz. (!)
    Stell es dir vor: Ich bin ganz allein.
    Niemand versteht mich. (!)")

    Das hätte wohl auch Tschaikowsky schreiben können, oder?


    Zu Onegin: Ihm gefällt Tatjana aber schon, bevor sie ihm den Brief schreibt. Oder er will Lenski ärgern, weil dessen Wahl auf Olga gefallen ist, und preist deshalb Tatjanas Vorzüge.


    Liebe Grüße,
    Martin


  • Lieber Martin,
    dass ihm Tatjana schon bei ihrer ersten Begegnung gefällt, lese ich aus dem Text ehrlich gesagt nicht heraus, er findet nur - und damit hat er nicht Unrecht - dass sie viel besser zu Lenskji passen würde als die lebenslustige und eher oberflächliche Olga. Das zunächst eher introvertierte, in seiner literarischen Traumwelt gefangene Mädchen und sein ebenfalls "gefühlsduseliger" Freund - das wäre in Onegins Augen ein ideales Paar. Sein Gespräch mit Tatjana interpretiere ich eher als "Pflichtkonversation", er muss sich situationsbedingt mit ihr unterhalten, um nicht unhöflich zu erscheinen, aber sein Typ ist sie wohl kaum. Die Fragen, die er ihr stellt, sind für mich ganz typisch für diese Situation und zeigen ein eher geheucheltes Interesse. Tatjanas Antworten überzeugen Onegin wahrscheinlich vollends, dass sie nicht in sein Beuteschema passt.....
    lg Severina :hello:

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Lieber Martin, da du schon auf Biographisches anspielst ist es vielelciht noch viel entscheidender zu wissen, dass Tschaikowsky glühende Liebesbriefe von einer Studentin bekam und sie aufgrund dieser Breife erhörte und heiratete. Diese Ehe wurde eine Katastrophe und bestand nur kurze Zeit.


    Hier wäre Onegin dann durchaus seine Identifikationsfigur.


    Was das "Beuteschema" angeht, bin ich nach wie vor da sehr gespalten, ob so etwas überhaupt relevant ist. Gilda passt nach alledem auch nciht ins Beuteschema eines Duca und dennoch.....
    Auch Lebemänner wie Onegin, sind keinesfalls nur oberflächliche Jäger und Sammler sondern wissen den Wert einer echten bescheiden wirkenden Zuchtperle serh wohl von glitzerdnem Strass und Talmi zu unterscheiden.
    Ich finde Onegin in seinem Verhalten Tatjana gegenüber nach wie vor nciht brutal.
    Rideamus deutet es schon an: wie bitte schön, soll man einen Menschen abweisen, der einen mit all seiner Liebe überschüttet ohne ihn zu verletzen? ?(
    Soll man es machen wie Tschaikowski selbst und ihn wider besseres Wissen aus Mitledi oder dankbarkeit heiraten?
    Was hätte Onegin denn eurer Ansicht nach sagen sollen?




    Brutal finde ich eher das, was er mit Lenski und Gremin macht. Da ist er m.E. wirklch skrupellos.


    Dass Tatjana mit Lenski besser bedeint gewesen wäre, glaube ich nicht.
    Bei Gremin ist sie m.E. richtiger und klug genug, das nach etlichen Jahren Ehe mit ihm zu wissen.


    Ein Onegin käme ohnehin nur als Liebhaber infrage. Solche Männer taugten noch nie zum Ehemann wirklch liebender Frauen. Und sind eben oft auch klug genug, das zu wissen.


    Fairy Queen

  • Hat jemand den verfilmten Onegin unter Solti von Petr Weigl gesehen?


    Meine allerwärmste Empfehlung!
    Wunderbar musiziert und gesungen wird hier die Oper auf die wesentlichen Szenen gekürzt und im zeitgemässen Dekor, einschliesslich grosser Ballszenen und Duell im Schnee in Film-Szene gesetzt.
    Die Sänger bleiben unsichtbar und die Personen werden von rollenkonformen Schauspielern dargestellt.


    Die Personenpsychologie wird sehr gut herausgearbeitet und ich fidne diesen Film in jeder Hinsciht glaubwürdig.


    Ich habe natürlich nochmal speziell unsere hier aufgeworfenen Fragen zu Onegin unter die Lupe genommen.
    Tatjana selbst sagt klar und deutlich, dass Onegin sie ehrenhaft zurückgewiesen habe. So schmerzhaft diese Zurückweisung auch für sie war.
    Seine Schuld besteht für mich vielmehr darin, dass er mehr oder weniger skrupellos in Kauf nimmt, seine Freunde Lenski und Gremin ins Unglück zu stürzen. Ersterer (der seinerseits auch kein Sympathieträger ist) wird von ihm einer Laune wegen zur rasenden Eifersucht und ins tödliche Duell getrieben.
    Gremin, der ihn Freund und Verwandten nennt, erklärt ihm mit bewegenden Worten wie die Ehe mit Tatjana seinem Leben Sinn gegeben hat und wie sehr er sie liebt und anbetet
    Onegin hat daraufhin nichts "Ehrenhafteres" zu tun, als zu versuchen, Tatjana mit all seiner Verführungsmacht zur Trennung von ihrem Mann zu treiben. Gremins Leben wäre damit ganz sicher zerstört. In seiner Arie sagt er, dass er Tatjana wie ein Bessesener liebe und sie das Licht seines Lebens sei.


    Onegin nimmt das , wie auch bei Lenski, ein weiteres Mal in Kauf. Ein weiteres Duell wäre ja hier ebenfalls nciht ausgeschlossen,
    Von Läuterung kann also keine Rede sein.
    Auch, dass er er nicht davor zurückschreckt ,Tatjana am Ende der Oper ins Unglück zu stürzen, zeigt nur, wie egozentrisch und selbstsüchtig seine Motive sind.
    Das Einzige ,was ich ihm mildernd anrechne, ist seine tiefe Verzweiflung, sein Lebensekel und die Suche nach einem Rettungsanker.
    Nachdem er Gremins Hymne auf Tatjana gehört hat, erkennt er instinktiv, dass sie auch ihn aus seiner Lebenshölle "retten" könnte. Zu spät.


    Ich glaube, dass eine solche "Unehrenhaftigkeit" einer Frau wie Tatjana aus Herzensgrunde zuwider sein muss.
    Obschon sie Onegn liebt, könnte sie mit einem solchen Menschen nciht glücklich werden.
    Ihr Platz ist bei ihrem liebenden Ehemann.


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Hat jemand den verfilmten Onegin unter Solti von Petr Weigl gesehen?
    ...
    Die Sänger bleiben unsichtbar und die Persoenn werden von rollenkonformen Schauspielern dargestellt.


    Liebe Fairy Queen,


    Ich habe mir den Film von Petr Weigl inzwischen wieder angesehen. Es ist natürlich kein Wunder, dass die Sänger unsichtbar bleiben, denn Weigl "verfilmte" die (gekürzte) Schallplattenaufnahme von Georg Solti mit Teresa Kubiak und Bernd Weikl. Das machte er öfter (im gleichen Jahr wie diesen Film, 1988, "verfilmte" er z. B. auch die MARIA STUARDA - Aufnahme mit den Stimmen von Joan Sutherland und Luciano Pavarotti. Die Ergebnisse sind naturgemäß zwiespältig, aber gerade der EUGEN ONEGIN gehört m. E. zu den gelungensten Beispielen für dieses Verfahren. Dennoch bleibt es ein, in Teilen mehr oder weniger gelungener, Kompromiss, dem ich - bei guter Regie - in der Regel die Abfilmung einer authentischen Bühnenaufführunmg vorziehe. Die Oper ist nun einmal ein künstliches Gebilde, die in einem "realistischen" Setting immer fremdartig wirkt. Erst recht mit synchronisierenden Darstellern, denen man fast immer anmerkt, dass sie wenig Ahnung davon haben, was es bedeutet, dass sie ihre Charaktere nicht nur spielen, sondern auch singen, weil ihr ganzes Augenmerk auf die Synchronität gerichtet ist. Das verleidet mir ja auch viele Sprachsynchronisationen.


    Was Deine Beurteilung von Onegins eigentlichem Fehlverhalten angeht, so können wir uns da rasch einig werden. Mit meinem Hinweis, dass er in seiner Komplexität eigentlich eine tragische Gestalt ist, wollte ich ihn ja nicht zum verkannten Gutmenschen erklären. Aber gerade dieser Zwiespalt zwischen Oberflächlichkeit und Rücksichtslosigkeit einerseits und seiner, hinter einem einem stilvollem Auftritt lange verborgenen, Orientierungslosigkeit andererseits macht ihn für mich zu einem der interessantesten und identifikationsfähigsten Opernhelden. Sie hat nichts mehr mit den eindeutig, ja fast naiv guten und bösen Helden der meisten Opern seiner Zeitgenossen wie Verdi zu tun, oder gar denen der meisten Opern Richard Wagners, der, vornehmlich im RING, den Sitz des Guten bei den Muskeln, seien sie das Herz oder des starken Arms, verortet und Intelligenz regelmäßig mit Gerissenheit gleichsetzt und so nahe an den schäbigen Motiven eines Alberich, Loge und selbst Wotan ansiedelt, dass er diese Qualität regelrecht denunziert. Das macht ja gerade die ungeheure Modernität dieser Oper aus, die wohl deshalb erst heute auch vom großen Publikum richtig gewürdigt wird.


    Ist es eigentlich nur ein Zufall, dass eine ähnliche Ausnahme bei Wagner, nämlich die Figur des Hans Sachs, in ihrer Zwiespältigkeit gerade jetzt in einem Parallelthread gewürdigt wird?


    Jedenfalls finde ich es enorm begrüßenswert, dass neuerdings und vermehrt nicht nur die Aufführungen und Gesangsleistungen, sondern auch der Sinn und Gehalt einzelner Opern und ihrer Hauptpersonen hier in größerem Detail diskutiert werden. Allein dafür, dass er dergleichen ausgelöst hat, lohnte sich doch schon der Inszenierungsstreit.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Lieber Jacques,


    was den Eugen Onegin angeht, kann ich den Thread hier nur interessiert mitverfolgen, weil ich diese Oper zu wenig kenne.
    Aber der Protagonist scheint in seiner Doppelbödigkeit wirklich interessant zu sein und die Oper würde sich sicherlich für mich lohnen, mich etwas mehr damit zu befassen.


    Aber dieser allgemeinen Aussage schließe ich mich gerne an:


    Zitat

    Original von Jacques Rideamus:
    Jedenfalls finde ich es enorm begrüßenswert, dass neuerdings und vermehrt nicht nur die Aufführungen und Gesangsleistungen, sondern auch der Sinn und Gehalt einzelner Opern und ihrer Hauptpersonen hier in größerem Detail diskutiert werden. Allein dafür, dass er dergleichen ausgelöst hat, lohnte sich doch schon der Inszenierungsstreit.


    Wobei ich auch eine Synthese der Betrachtungsweisen am schönsten finde, denn das beste Konzept einer Oper nützt nicht viel, wenn es sängerisch nicht herübergebracht wird, und der schönste Gesang bleibt leer, wenn er nicht mit Sinn gefüllt wird.


    :hello: Petra

  • Liebe Petra, ich kannte diese Oper bis vor kurzem auch nicht, hatte nur Ausschnitte daraus gehört und noch nie eine Inszenierung gesehen.


    Nachdem ich sie nun in der modernen Salzburger Inszenierung und der ( seh schön traditionellen)Verfilmung gesehen habe, kann ich nur sagen: ich bin wirklich überwältgt von der Tiefe, Vielschichtigkeit und Ernsthaftigkeit dieses Werkes.
    Mich hat diese Geschcihte rcihtig gefangen genommen und ich kann mich sowohl mit tatjana als auch Onegin in eienr weise indetnifizieren wie es mir in Opern selten passiert ist.
    Da ic heine Phase im leben hatte wo mir russsiche Literatur serh wichtig war und ic hTolstoi, Dostojewski und co serh verehre ,muss ich sagen, dass diese "russische Seele" also die menschlichen Abgründe udn Verzweiflungen und auch eine Sorte von echter Humanität noch den Verworfensten gegenüber, auch in dieser Oper ihre Spuren lässt.


    Eine Frau wie Tatjana ist einzigartig in der Operngeschcihte. Sie ist ihrer Zeit weit voraus und wird mit einer Musik beschenkt, in der all ihre Emotionalität , ihre Träume und ihr Leiden zum Ausdruck kommt. Das Motiv der Briefszene ist allgegenwärtig und unvergesslich.
    Es lohnt sich also unbedingt, sich damit näher zu befassen und ich habe mir fest vorgenommen, meiner Tschaikowsky Igoranz ein Ende zu machen und mir nun als Nächstes die Pique Dame vorzunehmen.


    Lieber Jacques, mir ist der Onegin keinesfalls von Grund auf unsympathisch. Ich sehe ihn nur hier im Verlaufe des Threads in seiner Etnwicklung und seinem Verhalten gegenüber Tatjana etwas zu eindimensional beschrieben.
    Du hast Recht: das ist auch eine Identifikationsfigur. Und zwar insbesondere im Fin de siecle, wo der Typus des lebensüberdrüssigen Dandy, der aus Langeweile, Unreife und/oder Überheblichkeit Leben zerstörte (nciht zuletzt sein Eigenes )ein literarischer Topos par excellence war. Sein Nihilismus hat auch tiefe Wurzeln in der russsichen Gesellschaft seiner Zeit
    Das Destruktive seiner totalen Haltlosigkeit zeigt sich mit dem Ende der Oper immer stärker und für mich ist er am Beginn der Oper noch deutlich "vernünftiger" und lebenstüchtiger als am Ende.
    Der Tod Lenskis hat ihm den letzten Boden unter den Füssen weggezogen scheint mir und dass er am Ende Tatjana als
    Rettungsanker missbrauchen will, hat nichts mit Liebe aber sehr viel mit Verzweiflung zu tun.
    Ich habe trotz allem eine ganz grosse Portion Mitleid mit Onegin und das spüre ich in Tschaikowskis Musik auch .



    Lichtgestalten und rettende Frauen wie Tatjana sind m.E. auch serh typisch für die russsische Literatur. Man denke an die Frauen aus Tolstois Krieg und Frieden oder Lewins Ehefrau in der Anna Karenina oder Dostojewski.


    Und, ja, mit den Schemen, die teilweise durch andere Opern geistern, kann man das hier wirklich nciht vergleichen. :no:



    Fairy Queen

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Ich beginne gerade erst, mich mit russischer Oper zu beschäftigen und kann daher noch nicht hier mitreden.


    Damit das aber nicht so bleibt, wäre ich euch doch sehr dankbar, wenn ihr mir eine Aufnahme empfehlen könntet, aber bitte eine mit Textheft, das hilft beim Kennenlernen.
    Im TMOO werden ja leider nur deutsche Aufnahmen empfohlen.
    Ja, ich weiß, Levine bei der DG hat wahrscheinlich eins dabei... aber wenn ich diesen Namen höre, muss ich immer an das unsägliche Met-Rheingold denken :no:.



    Ist die gut (naja, wo Ghiaurov draufsteht, das muss ja super sein :D)?


    Hat die ein Heft?


    Für weitere Tipps wäre ich euch dankbar.


    Ich habe mir erlaubt, den Link zum Cover "anklickbar" zu machen.


    Norbert als Moderator

    Einmal editiert, zuletzt von Basti ()

  • Das Libretto gibt's hier, zum Ausdrucken:
    http://www.opera-guide.ch/libr…?id=373&uilang=de&lang=de


    Und mit dieser Aufnahme macht man schon wegen des günstigen Preises nichts falsch:



    Das ist zwar wirklich nur Onegin für den Anfang, aber zum differenzierten Hören gelangt man bei russischer Oper ohnehin meist erst später; man muß sich schon an den für uns manchmal fremden Duktus gewöhnen.


    Grüße!


    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing"
    Busman's Honeymoon

  • Naja, selbst wenn es das Libretto zum Ausdrucken gibt, dann ja nur auf Deutsch... mir geht es aber um diese zweisprachigen Hefte, in denen das Russische links und das Deutsche rechts steht. So habe ich auch Italienisch gelernt.

  • Tja, der oben erwähnte Hollywood-Schinken mir Ralph Fiennes ist bei utube fast komplett anzuschaun. Die Tatjana, das vorab, ist unerträglich, ein in Tränen gebadetes Seelchen.


    Die Schlußszene in Gremins Palais ist bemerkenswert: Klirrende Kälte, ein irgendwie schon seiner Haltung nach seelisch auf den Hund gekommener Onegin, das monströse, wie nach einer Plünderung leergefegte Gemach. - Fiennes spielt die Zweideutigkeit seiner Lage vollendet aus: Er geriert sich als der reuevolle Rückkehrer und Bekehrte; gleichzeitig aber betteln seine topasgoldenen Hundeaugen und lauern in Tatjanas Gesicht auf eine Reaktion, irgend ein Zeichen von Schwäche, das sein Sieg wäre. Er wirkt unterschwellig wie ein gescheiterter Roué, wie jemand, der die Langeweile seines Lebens durch eine letzte Eroberung aufmöblieren möchte. Alles hängt bloß von der Illusion eines Rests von erwiderter Leidenschaft ab, die er mit allen Mitteln anzufachen sucht. Zwanghaft, einfach großartig.


    Tatjana geht im Film auf dieses Spiel im Spiel nicht ein und nimmt alles furchtbar ernst; sie macht aus dem Ende eine sentimentale Banalität (und sieht auch so aus, als hätten die Jahre ihr nichts anhaben können; ein kleines weinerliches Dummchen).


    "My husband is sleeping above!" - allein für diesen flehentlich gejammerten Satz aus einer amerikanischen Vorstadtserie gehörte sie eingesperrt.


    Die ebenfalls oben und auch schon anderswo gerühmete russische Opern-Verfilmung (mit Playback-Gesang) kann man auch bei utube anschaun: Der Schluß findet hier auf Tatjanas Seite eine ungleich gelungenere Pointe, die das Verhältnis zwischen ihr und Onegin sozusagen ein für allemal auf den Punkt bringt.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

    2 Mal editiert, zuletzt von farinelli ()

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Auf TodOpera ist heute ein Video von 1962 aufgetaucht, das manchen hier interessieren könnte:


    Tschaikowskij: Eugen Onegin (dt.)
    München 1962 (Video)
    Dirigent: Joseph Keilberth


    Interpreten:
    Fritz Wunderlich
    Hermann Prey
    Hertha Töpper
    Ingeborg Bremert
    Brigitte Fassbaender


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich habe die DVD-Aufnahme der Focus-Edition, schön preiswert für unter 10 NeuMark. Georg Solti. Es ist ein Spielfilm. Sehr schön, mit herrlichen Naturaufnahmen und überhaupt filmisch sehr gut umgesetzt. Ach ja: Ein Film von Petr Weigl.


    Dass das Duell unnütz sein soll, verstehe ich gar nicht. Es ist doch für den Verlauf der Handlung unabdingbar und erklärt auch sehr gut den Charakter des Protagonisten. Es gehört doch gerade zu ihm, dass er ein Leben nicht hoch einschätzt. Und da ist doch das Duell auch ein gutes Symbol.


    Finde ich
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Hallo Siegfried,


    gerade das Duell ist der Angelpunkt der Oper, die teilweise das gleichnamige Pushkin-Poem wiedergibt. Hier beschreibt der Dichter im Original minutiös die aufgewühlten Seelenzustände der Protagonisten. Man ist daran, seinen besten Freund zu erschiessen und könnte doch mit nur ein paar wenigen Worten dem Spuk ein Ende machen.
    Wer diese Szene liest, die dazu noch den Tod des Lenslkij und die folgende Reaktion Onegins so eindringlich veranschaulicht, wird sie nie mehr vergessen.
    Es wird oft gesagt, Pushkin hätte in der Figur des Onegins sich selbst gezeichnet. Das stimmt nur bedingt, wahr ist jedoch, dass er selbst im Duell fiel (es ging um die Ehre seiner hübschen Frau, auf die der Zar selbst ein Auge geworfen hatte und von der man sagt, dass sie ein leichtsinniges Geschöpf war), wie auch Lermontov nach ihm. Lermontov hatte zuvor, die Gesellschaft angeklagt, Pushkin mehr oder weniger ermordet zu haben.
    Es ergeben sich somit einige Parallelen zwischen Pushkin und Onegin, auch wenn im Drama wie in der Oper Lenskij das Opfer ist, Opfer sind sie jedoch beide.
    Die Parallelen beziehen sich eher auf den Charakter Pushkins, seine Zerissenheit, sein ruheloses Leben.
    Natürlich kann eine Zweistundenoper nicht einmal andeutungsweise das Geschehen des Pushkin-Poems wiedergeben, vermittelt aber doch, soweit dies überhaupt möglich ist die Psychologie und Tragweite dieses Ehren-Wahnsinns, vom Dichter unnachahmlich vorgegeben.


    Grüße aus Stockholm
    hami1799

  • Banner Trailer Gelbe Rose