Moderne Inszenierungen-Totengräber der Oper?

  • Keineswegs, denn Ironie und Parodie sind nicht identisch. Die Ironie setzt voraus, daß der Angesprochene klug genug ist, sie zu erkennen. Die Parodie hingegen ist eine offensichtliche Verächtlichmachung.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Keineswegs, denn Ironie und Parodie sind nicht identisch. Die Ironie setzt voraus, daß der Angesprochene klug genug ist, sie zu erkennen. Die Parodie hingegen ist eine offensichtliche Verächtlichmachung.


    Lieber Edwin,


    Machst Du nicht einen Fehler. Um eine Parodie zu erkennen und schätzen zu können (denn sonst hat sie kein Zweck), braucht es auch graue Massa.
    Und wenn ich jetzt denke an Werken von Offenbach und Sullivan, dann glaube ich, daß eine Menge Ironie versteckt war in viele Parodien ihrer Librettisten.


    LG, Paul

  • Hallo m.joho und Paul,


    nein, Edwin hat natürlich vollkommen Recht. Um die Ironie hinter der Äpfelchenschälerei, der Brille und dem Heilwasserbrunnen zu erkennen, braucht es ganz klar einen unglaublichen Scharfsinn. Jeder geistig Normalbegabte kann diese Inszenierungsergebnisse nur als Produkte einer naiv-unschuldig am Werk orientierten Regie verstehen.


    Keine Frage, da hat Schlömer die intellektuellen Fähigkeiten der Zuschauer wirklich auf eine schier ungeahnte Art und Weise herausgefordert!











    :D


    Bernd


  • Hallo Edwin, dann muss dir ja der "Guglielmo Tell" in der Pountney-Inszenierung gefallen haben, denn der wendet diese Methode ja bis zum Überdruss an. 8) Am Anfang fand ich's echt witzig, aber irgendwann ging's mir wie bei so vielen RT-Inszenierungen, wo eine an sich gute Idee überstrapaziert wird - es langweilte mich. (Außerdem tat mir die armen Janina Baechle Leid, die auf ihrem Marionettenhochsitz sichtlich unter Höhenangst litt!)
    lg Severina :hello:

  • Hallo Severina,
    Du sagst es:

    Zitat

    Am Anfang fand ich's echt witzig, aber irgendwann ging's mir wie bei so vielen RT-Inszenierungen, wo eine an sich gute Idee überstrapaziert wird - es langweilte mich.


    Was auch mein Haupteinwand gegen die Pountney-Regie ist. Er repetiert die identische Idee zu oft und sitzt zwischen allen Stühlen: Die Konservativen mögen es auch bei der 375. Wiederholung nicht, die Fortschrittlichen zucken schon bei der zweiten Wiederholung die Schultern und fragen sich, ob sie das nicht eben gerade gesehen hätten.


    Dieser Pountney ist aber keineswegs unbegabt. Er hat eine der faszinierendsten "Holländer"-Regien gemacht, die ich kenne, und zwar in Bregenz. Stell Dir vor: Mit der ersten schneidenden Qunite der Ouvertüre beginnt ein Leuchtturm sein Licht über das Publikum und den See zu werfen. Und darauf folgt eine wilde, fantastische, surreale Gespenstergeschichte mit einander überschneidenden Träumen und Visionen, wie ich das weder zuvor noch nachher je wieder gesehen habe. Dieser "Holländer" gehört sicherlich zu den großen bleibenden Eindrücken, die mir Oper vermittelt hat.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Ironie und Parodie sind nicht identisch. Die Ironie setzt voraus, daß der Angesprochene klug genug ist, sie zu erkennen. Die Parodie hingegen ist eine offensichtliche Verächtlichmachung.


    Das ist sicher richtig, aber Stilmittel, wie sie bezüglich der betreffenden Inszenierung beschrieben wurden, führen zur Verniedlichung und das finde ich beim Ring total unangebracht. Modernisierung von Kostümen, Bühnenbildern usw., dem stehe ich offen gegenüber, aber die ironische Verkleinerung groß gedachter Szenarien geht leider am Gehalt des Werks vorbei. Da bin ich mit Bernd einer Meinung, sowas ist kein Ring mehr. Dann doch lieber eine Großstadtschlucht oder was auch immer, aber nichts, was dummes Kichern im Publikum hervorruft.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Hallo Draugur,
    und warum darf bei dem Satyrspiel, das das "Rheingold" eigentlich ist, nicht gekichert werden? Weil man Wagner, bitteschön, sehr ernst, sehr hehr und sehr steif aufzuführen hat - sogar dann, wenn er der Komödiantik freien Lauf läßt?
    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,
    doch, das kann ich mir sehr gut vorstellen, für den "Holländer" ist eine Seebühne ja geradezu prädestiniert. (Ist das eigentlich der Leuchtturm, der jetzt unsere Copa Kagrana ziert??)
    Ich fand auch Pountneys "Osud" nicht schlecht, habe aber keine Vergleichsmöglichkeiten, weil's meine Erstbegegnung mit dieser Oper war. Aber den ständigen Szenenwechsel hat er sehr geschickt gelöst, finde ich. Auf jeden Fall war ich nach dem "Guglielmo Tell" angenehm überrascht von dieser Inszenierung.
    lg Severina :hello:

  • Hallo Edwin,


    ist nicht der "Siegfried" das Satyrspiel des Rings? Wo siehst du die Komik im Rheingold?
    Im übrigen: mit "ernst" meine ich nicht "steif". Wenn ich einen Ring inszenieren dürfte, wäre er sehr ernst und düster, aber auch bewegungsreich. Ich würde versuchen, mich an filmischer Ästhetik zu orientieren.

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    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

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  • Hallo Severina,

    Zitat

    Ist das eigentlich der Leuchtturm, der jetzt unsere Copa Kagrana ziert??


    :yes:


    Zitat

    Ich fand auch Pountneys "Osud" nicht schlecht, habe aber keine Vergleichsmöglichkeiten, weil's meine Erstbegegnung mit dieser Oper war. Aber den ständigen Szenenwechsel hat er sehr geschickt gelöst, finde ich. Auf jeden Fall war ich nach dem "Guglielmo Tell" angenehm überrascht von dieser Inszenierung.


    Ja, szenisch gut gelöst, durchaus fantasievoll, das Werk ist ja etwas eigentümlich - tolle Musik und verdrehtes Libretto. Ich fand allerdings auch hier, daß Pountney mit den Personen nicht gar so viel anfangen kann. Nur fällt's bei dem kurzen Stück, bei dem auch ich keine Vergleichsbasis hatte, nicht gar so auf.
    :hello:

    ...

  • Hallo Draugur,
    der "Ring" besteht meiner Meinung nach aus vier Theatertypen: Satyrspiel ("Rheingold"), lyrische (private) Tragödie ("Walküre"), Märchenspiel ("Siegfried"), Menschheitstragödie ("Götterdämmerung").


    Das "Rheingold" ist, wenn Du den Text liest, unglaublich witzig mit bissigen Dialogen, durchaus komödiantisch - und zwar bis zum dritten Bild, wo es erstmals eindunkelt. Das vierte Bild ist anfangs zwar hell, aber die Komödie ist weg; der Mord an Fasolt läßt dann das Satyrspiel in die Tragödie kippen, ehe der lustige Tonfall, bezeichnenderweise auf Befehl Wotans ("Wehre ihrem Geneck") von Loge wieder (halbherzig?) aufgegriffen wird, worauf es ein feierliches, nicht aber pathetisches Finale gibt - wenn die Dirigenten doch nur endlich einmal Wagners Tempoangaben beachten würden ("Im ganzen Rheingold gibt es kein einziges wirklich langsames Tempo").


    Meiner Meinung nach tut ein Regisseur gut daran, sich auf kein allzu feierliches "Rheingold" einzulassen, sondern dieses Vorspiel als Parlando-Einleitung mit komödiantischen und tragischen Stellen zu inszenieren und damit in nuce die Welt des "Rings" abzustecken.


    Was Schlömer freilich auftragsgemäß nicht gemacht hat - in diesem "Ring" wurde bekanntlich jeder Teil als in sich geschlossen betrachtet und daher von einem jeweils anderen Regisseur inszeniert.


    Umso mehr finde ich, daß Schlömer den Tonfall des "Rheingold" wunderbar trifft. Daß diese Inszenierung auch optisch eindrucksvoll ist, möchte ich übrigens so nebenbei auch einmal feststellen - allein der Anfang, wenn alle Gestalten regungslos auf der Bühne stehen und erst allmählich in Bewegung kommen (zu leben beginnen), ist enorm eindrucksvoll.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    ich will auch keine Inszenierung kritisieren, die ich nicht kenne. Mir fehlt es leider ein bisschen an Möglichkeiten, deutschlandweit Aufführungen zu sehen. Wie gesagt bin ich auch recht offen, solange die Grundstimmung eines Werks gewahrt bleibt und nicht entstellend in Text oder Partitur eingegriffen wird.
    Was du über den Verlauf des Rheingolds schreibst, klingt jedenfalls fundiert, leider habe ich den Gesamtablauf nicht so vor Augen, wie ich es gern hätte.
    Z. B. zur Anfangsszene mit den Rheintöchtern gibt es sicher mehrere mögliche Zugänge. Man kann wohl die komischen Effekte der Neckerei hervorheben, aber man muss ja die Verzweiflung von Alberich auch spürbar machen, da es ja sonst an Motivation für die gesamte Ringtragödie fehlt. Ich würde auf letzteres wohl den Schwerpunkt legen.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Ich kann dazu leider gar nichts sagen, da ich außer einer Inszenierung in der bayrischen Staatsoper, im deutschen Theater München, und der Staatsoper unter den Linden in Berlin, den Rest nur aus dem Fernsehen kenne. Und dies ist auch schon ein paar Jährchen her. Ich traue mich hier schon fast gar nicht mehr rein (lach), da ich ehrlich gesagt, dieses Problem aus Italien nicht kenne, wo ich ja lebe. Ich selbst habe nie in der italienischen Presse eine schlechte Kritik über Inszenierungen gelesen, was wohl auch daran liegen könnte, dass diese Häuser alle architektonische Juwele sind, in die keine modernen Inszenierungen passen, und ich selbst lese in der entsprechenden Presse nur Kritiken über Sänger, wie etwa die an sich wirklich skandalösen Buhrufe in der Mailänder Scala, anlässlich der Indisposition von Roberto Alagna.
    LG Micha :angel:

  • Zitat

    Original von Michael
    wirklich skandalösen Buhrufe in der Mailänder Scala, anlässlich der Indisposition von Roberto Alagna.


    Hi Michael!


    An und für sich find ich Buhrufe ja auch indiskutabel - allerdings hat Alagna, nachdem er nach der Premiere nicht so gute Kritiken bekommen hat, sinngemäß gemeint, das Publikum versteht ja nichts davon - da darf er sich IMO nicht wundern, wenn er bei der nächsten Vorstellung ausgebuht wird (so viel zum Thema Hochmut kommt vor dem Fall ;-)

    Die Basis jeder Grundlage ist das Fundament

  • Ich lese gerade in „La Repubblica”, dass der Intendant der Scala Lissner vor seiner Erklärung über Alagnas Ausfall, mit ihm gesprochen hat, und der Ersatztenor Antonello Palombi dann in Jeans und schwarzem Hemd diesen Radames weiter gesungen hat: Dirigent war übrigens Riccardo Chailly, mit dem der Lissner denn auch in der Pause gesprochen hat. Die ganze Story scheint mir etwas seltsam, da sich auch Großindustrielle zu Wort meldeten, und auch Fans, alles mehr so blah blah blah. Alagna habe übrigens am 7. Dezember 2006 den Part gut gesungen (das Ganze hat sich ja am 16. Dezember 2006 ereignet). Der Artikel trägt übrigens den Titel: Alagna hat anscheinend Problem mit der Stimme. Die ganze Polemik erklärt sich vielleicht dadurch, dass das Haus ja nicht täglich bespielt wird, und das Publikum einer Vorstellung in etwa vielleicht daher viel Spannung mitbringt, aber ich möchte hier nun wirklich keinen Tratsch wiedergeben, die oben zitierte Zeitung gilt an sich als seriös. Google Italia ist hingegen irre voll von Kommentaren über diesen Vorfall, ein bissel viel nicht?
    LG Micha :angel:

    Einmal editiert, zuletzt von Michael ()

  • Hallo Draugur,

    Zitat

    aber man muss ja die Verzweiflung von Alberich auch spürbar machen,


    Selbstverständlich - denn hier kippt ja die Komödie endgültig in die Tragödie um. Gerade deshalb finde ich den Ansatz vieler Regietheater-Regisseure auch goldrichtig: Nämlich diese "Fallhöhe" deutlich zu machen (wunderbar bei Chéreau, ebenso hinreißend bei Schlömer - um nur die für mich wichtigsten Beispiele zu nennen). Beginnt man das "Rheingold" hingegen schon als raunende Angelegenheit im Mythendunkel, kann dieser Konflikt zwischen Komödie und Tragödie in den seltensten Fällen mit der gebührenden Schärfe herausgearbeitet werden.
    :hello:

    ...

  • Ich wollte wie angekündigt noch mal einige Einlassungen von Carl Dahlhaus zur Diskussion stellen, die ich fragmentarisch schon früher anführte, da ich sie sehr nachdenkenswert finde.


    Bezugnehmend auf die Kritik an Wieland Wagner, dieser habe sich hemmungslos über das, was in den Partituren stehe, hinweggesetzt, schreibt der Autor in "Richard Wagners Musikdramen:


    Zitat

    Der Gedanke des Gesamtkunstwerks, die Integration eines bestimmten Theaterstils in das musikalische Drama, eines Theaterstils, der somit den Teil eines Werkes und nicht nur der Aufführung bildet, krankt an der Blindheit gegenüber dem Sachverhalt, dass nicht sämtliche Künste Werkcharakter haben. Die szenische Darstellung , die Gestik, ist - obwohl sie von Wagner "mitkomponiert" wurde - nicht im gleichen Maßen Werk oder Teilmoment eines Werkes wie die Musik oder die Sprache. Und dass sie es nicht ist, bedeutet, dass sie die Zeit der Entstehung nicht ohne Substanzverlust zu überdauern mag.


    Das ist erstmal nur eine bloße Behauptung, der Dahlhaus aber eine plausible Erklärung folgen lässt:


    Zitat

    Nicht, dass es an Versuchen mangelte, eine szenische Darstellung, etwa eine Choreographie, aufzuzeichnen. Aber die choreographische Schrift ist, im Unterschied zur Sprach- und zur musikalischen Schrift, kein Text im emphatischen Sinne, der ein Werk in sich schließt und aufbewahrt, sondern nichts als eine Anweisung, eine Choreographie zu realisieren, während die Notenschrift zugleich Text und Anweisung ist


    Folglich konstatiert Dahlhaus hinsichtlich des beständigen Vorwurfes der "Werkuntreue":


    Zitat

    Fehlt aber der szenischen Darstellung der Werkcharakter, so geht das Postulat der "Werktreue" ins Leere; die von Wagner "mitkomponierten" Gesten und szenischen Anweisungen sind Petrefakte eines Inszenierungsstils, der abgestorben ist.


    Dann wird es richtig interessant, wird nämlich der hier oft getätigte Vorwurf der zunehmenden Diskrepanz zwischen der Musik und der aktuellen Aufführungspraxis behandelt:


    Zitat

    Ist demnach die Idee eines Gesamtkunstwerkes, dass die Inszenierung als Teil des Werkes einschließt, ästhetisch brüchig, so wäre andererseits zu fragen, ob in der Wirkungsgeschichte der Musikdramen die Musik als Werk und die Inszenierung als Aufführungspraxis notwendig immer weiter auseinanderstreben - die Diskrepanz ist Wieland Wagner zum Vorwurf gemacht worden, als habe er sie bewirkt - oder ob die musikalische Rezeption auch geschichtliche Veränderungen erkennen lässt, durch die sich die Kluft zwischen Musik und Inszenierung verringert.


    Im Folgenden geht dann Dahlhaus recht ausführlich auf einen Wandel in der musikalischen Rezeptionsgeschichte ein, wovon vor allem folgende Aussagen interessant sind.


    Zitat

    In den letzten Jahrzehnten aber ist das musikalische Hören zunehmend abstrakter geworden und orientiert sich primär am Modell der Instrumental- nicht der Vokalmusik. (Der Vorgang zeigt sich drastisch an der Programmmusik, für deren Rezeptionsgeschichte das Gleichgültig-Werden des Programms, also die Verwandlung von Programmmusik in absolute Musik, charakteristisch ist; und dass ein Stück Programmmusik dem Zerfall des Programms standhält, eines Programms, das ursprünglich einen Teil des Werkes selbst und nicht etwa einen kommentierenden Zusatz bildete, ist nicht die schlechteste Probe auf seine musikalisch-formale Konsistenz). In gleichem Maße aber, in dem sich das Hören "formalisiert", kann sich die Inszenierung eines musikalischen Dramas über "Mitkomponierte" gestisch- szenische Momente hinwegsetzen, ohne das der Sinn der Musik - ein Sinn, der in einer Relation besteht: zunächst einer musikalisch - szenischen, dann einer innermusikalisch formalen - aufgehoben wäre. Der Zug zur Abstraktion, der für die Inszenierungen Wieland Wagners bezeichnend ist, lässt sich gleichzeitig an der Entwicklung der musikalischen Rezeption betrachten.


    Ich finde Dahlhaus vor allem in der Hinsicht interessant, dass seine Auslassungen letztendlich die Frage aufwerfen, ob die Gegner moderner Regiekonzepte nicht einer irrigen Ursachenforschung unterliegen, wenn die Möglichkeit eines Wandels in der Rezeptionsgeschichte der Musik (oder der Kunst überhaupt) keinerlei Beachtung findet. Stattdessen werden ausschließlich Aspekte außerhalb der Kunst zur Erklärung des aktuellen Bühnengeschehens herangezogen.
    Dazu passt eine recht oberflächliche Betrachtung der beteiligten zentralen Personen, nämlich der Regisseure. Ein Bieto wird (primär aufgrund des optischen Eindrucks) als bloßer Provokateur diffamiert, was natürlich dazu dient, eine Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit seinen künstlerischen Konzepten verneinen zu können. Wenn ich dagegen Ponnelle betrachte, der ja immer so gerne als Aushängeschild konservativen Theaters hergezeigt wird, so steht manche Interviewäußerung den Ansichten seiner werktreuen "Fans" diametral entgegen. Von einer Forderung der "Werktreue" im Bezug auf die szenischen Anweisungen ist da keine Spur. Die Tatsache aber, dass er seine Ideen mit einer „konservativen“ Optik umsetzte, ist augenscheinlich Grund genug, sich damit nicht auseinandersetzen zu müssen.


    Insgesamt ergibt sich so für mich leider wieder einmal das Bild, sich eigentlich überhaupt nicht mit einem künstlerischen Konzept, sondern nur mit der Optik auseinandersetzen zu wollen.


    Gruß
    Sascha

  • Hallo Sascha,
    erst einmal :jubel: :jubel: :jubel: für Deinen Beitrag - Gegen einen Dahlhaus nimmt sich ein Faerber eben aus wie der Nanga Parbat gegen einen Maulwurfshügel.


    Interessant finde ich Deine Feststellung

    Zitat

    Wenn ich dagegen Ponelle betrachte, der ja immer so gerne als Aushängeschild konservativen Theaters hergezeigt wird, so steht manche Interviewäußerung den Ansichten seiner werktreuen "Fans" diametral entgegen.


    Der Witz ist, daß die meisten Konsis einen derartigen Tunnelblick auf ihre Vorliebe haben, daß sie gar nicht wissen, daß ihr geliebter Ponnelle - Regietheater gemacht hat. Unter anderem in einem postmodernen "Ring". Ponnelles Ansatz ist sicher der einer "schönen Bühne", in der Licht und oft malerische Bildkompositionen dazu verleiten, sich romantischen Gefühlen hinzugeben. Nur bricht Ponnelle genau diese falsche Romantik ganz absichtlich, indem er sie aushöhlt und als sinnentleerten Wunschtraum kenntlich macht.
    Wie Harry Kupfer, so hat auch Ponnelle freilich einige Inszenierungen gemacht, die ich als Handwerksübungen bezeichnen würde, und in denen er dem Geschmack des gerade amtierenden Operndirektors oder dem eines konservativen Publikums entgegengekommen ist. Und aufgrund genau dieser Inszenierungen glauben die Konsis, Ponnelle wäre einer der Ihren.
    :hello:

    ...

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  • Hallo Edwin,
    ich war allerdings auch sehr erstaunt, als du Ponnelle fürs Regietheater reklamiert hast, denn das, was ich von ihm kenne und liebe (seine Wiener und viele Züricher Produktionen, die Kölner Carmen, die Münchner Cenerentola) enthalten in meinen Augen nichts Revolutionäres. Im Gegenteil, sein hoch gerühmter Monteverdi-Zyklus ist doch genau die "historische Bebilderung", die von so vielen abgelehnt wird. Leider fielen die Monteverdis in meine Vor-Zürich-Zeit, so dass ich nur die DVDs kenne, aber die gefallen mir sehr.
    lg Severina :hello:

  • Ich persönlich mag Muti (geboren 1941) schon, aber es ist natürlich klar, dass er einer anderen Generation angehört. Er gehört wohl fast noch zur Generation von Carlo Maria Giulini, über den ich nun zufällig lese: „Giulini ist in Bozen aufgewachsen und konnte daher neben Italienisch auch fließend Deutsch sprechen“.
    Mir ist über das Privatleben von Muti nie etwas untergekommen, was ich schon mal gut finde. Riccardo Chailly lebte übrigens auch einige Zeit hier, nur heute ist niemand mehr da, der diesen ebenbürtig wäre, wohl auch im Zuge der Reformen des Konservatoriums, die Italienweit das Studium wesentlich leichter gemacht haben, auch wenn es noch die traditionelle Studienrichtung gibt, die sehr auf das entsprechende Instrument ausgerichtet ist. Hier nur noch was zu Muti:
    -->Im April 2005 beendete Muti nach einem Konflikt mit dem Personal seine Tätigkeit als Musikdirektor der Mailänder Scala, nachdem der von ihm favorisierte Intendantenkandidat Maurizio Meli nicht die erhoffte Zustimmung der Belegschaft gefunden hatte. Meli, inzwischen Intendant des Teatro Regio in Parma, plant Muti nun in seine neue Tätigkeit verstärkt einzubinden.
    -->In der Saison 2009/2010 soll Muti an der Metropolitan Opera in mit Verdis debütieren.
    -->Muti wurde bisher u.a. mit dem Verdienstorden der Republik Österreich, sowie dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

    LG Micha

  • Hallo Roland,


    Die Frage läßt sich wohl nicht so einfach beantworten, denn egal, ob konservativ oder modern, für Interpretation und Ausdeutung gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Wer glaubt, alles sei schon getan, sitzt einfach im falschen Dampfer. Dieser Thread ist umfangreich und berührt sich auch mit anderen, daß ich keinen Überblick mehr habe und im folgenden vielleicht nur Gedanken formuliere, die andere schon früher geäußert haben.
    Konservative Inszenierungen/Ausstattungen etc. (ich trenne das einfachheitshalber jetzt nicht, obwohl man hier jeweils noch differenzieren müßte) können langweilig sein, am Werk vorbei, kitschig, aufgedonnert und was weiß ich noch. Allerdings will sich in der Regel dabei niemand vor das Werk stellen und sich selbst wichtiger nehmen. Für eine gute konservative Inszenierung bedarf es nicht nur vieler Kenntnisse, sondern auch großer künstlerischer Begabung. Die Gefahren des Verstaubens oder des Talmi-Glanzes sind sehr groß.
    Für mich sind auch die klassischen Werke nicht unbedingt sakrosankt. Aber wer sich umwertend oder radikal "vergegenwärtigend" ihrer bemächtigt, der darf das meines Erachtens nur tun, wenn er/sie ein adäquates künstlerisches Potential einbringt - dann entsteht nämlich ein neues Kunstwerk. Das Problem, daß viele sogenannte Konservative mit dem Regietheater haben, liegt wohl vor allem darin, daß sich in diesem Sektor viel zu viele Leute austoben, die vielleicht hier und da einen guten Einfall haben und sich deswegen gleich überschätzen oder die allenfalls durchschnittliche Handwerker sind. Das kann in einer Auseinandersetzung mit Mozart, Verdi oder Offenbach - wurscht, wem (ich wähle beliebige Beispiele und habe nichts Konkretes im Sinn) - nicht gut gehen. Man darf auch großartig scheitern, auch achtbar scheitern, aber wenn man kläglich scheitert, dann sind die Schelte berechtigt und verdient. Rotzige Provokationen gibt es sicher, aber denen gegenüber sind nicht nur Alfred und Cie. allergisch.
    Experimente sind für mich nicht grundsätzlich verboten, sondern eine sinnvolle Alternative, aber bitte daraus keinen Alleinseligmachungsanspruch ableiten. Klarerweise haben sie es auch nicht leicht. An kleinen Bühnen kann ein Reinfall fatale wirtschaftliche Folgen haben, an große Bühnen kommt man vielleicht nur schwer heran, weil da ja auch schon eine Clique den Markt dominiert. Mancher Theaterchef hat ab und und zu ein Skandälchen außerdem nicht so ungern, denn das bringt Medienecho. Kurzfristig funktioniert das oft, langfristig wirkt es sich natürlich verheerend aus. Aber wie lange bleiben denn Theaterdirektoren an einem Wirkungsort? Das ist wie die Manager in der Wirtschaft. Die krempeln um, sparen ein, hauen die Leute über fünfzig hinaus (denn die sind erfahren, aber teuer) und liefern einige Zeit bessere Dividenden ab. Dann ziehen sie weiter zur nächsten Firma, um dort zu "sanieren". Inzwischen greifen am alten Ort die Nachteile (die erfahrenen Alten fehlen auf die Dauer und können durch unroutinierten Nachwuchs nicht 1:1 ersetzt werden; eine Zeitlang kann man darüber hinwegturnen, aber nicht ewig - so erhebt sich dann das Geschrei nach einem neuen Sanierer). Ioan Holender in Wien ist bekanntlich eine sensationelle Ausnahme in punkto Wirkungsdauer.


    Ich kann nicht glauben, daß es weniger Regietalente gibt als früher, aber ich bin mir sicher, daß der Großteil der Begabten sich nicht so sehr für die Bühne interessiert als für den Film, der nicht nur mehr technische etc. Möglichkeiten bietet, sondern normalerweise auch ein viel größeres Publikum erreicht. Ein geschickter Selbstinszenierer wie Karajan hat daher manche Produktionen schon von vornherein so angelegt, daß sie a priori fernsehtauglich waren oder im Grund vor allem dafür ausgerichtet waren.
    Operndirektoren müßten eigentlich Wunderwuzis sein, sowohl auf künstlerischem wie auf wirtschaftlichem Gebiet - daher viele Doppel- oder (verborgene) Teamleitungen mit all ihrer Problematik. Holender z.B. versteht meiner Meinung nach sehr viel von Stimmen, aber im Vergleich viel weniger von Austattung und Inszenierungen. Da ist er keineswegs so geschmackssicher. Das führt dazu, sozusagen jeden Geschmack bedienen zu wollen, nur eben manchmal mit untauglichen Mitteln ("Lohengrin") oder mit Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Produktionen ("Manon").
    Mir persönlich ist ehrlicher, braver (d.h. mit immerhin mindestens durchschnittlichem Qualitätspegel) Konservativismus im Zweifelsfall lieber als halbvergorene Neusicht, die oft - nicht immer natürlich - einfach aus der Faul- oder Feigheit resultiert, sich mit Bedeutendem zu messen bzw. sich die nötigen Voraussetzungen anzueignen. Es ist wie mit den heutigen Großstädten. Manche Architekten wollen alles Alte abreißen, weil sie ahnen, wie mies sie daneben ausschauen. Das Problem der vielzitierten "Unwirtlichkeit unserer Städte" wird niemand bestreiten können. Trotzdem gibt es auch großartige moderne Architektur. Ich sehe das im Theater auch so.


    Lg


    Waldi

  • Hallo Waldi!


    Danke für Dein umfangreiches und interessantes Posting - im Großen und Ganzen stimme ich Dir zu. Die Frage, die ich mir jetzt stelle, ist, ab wann noch das Werk an sich aufgeführt wird und ab wann man eigentlich dazu schreiben müsste, dass hier eigentlich eine andere Interpretation aufgeführt wird. Vom "herkömmlichen" Regietheater wird man so etwas wohl nicht verlangen müssen, weil hier hinein- und uminterpretiert wird, die Frage ist nur, ob man so etwas nicht machen müsste, wenn Teile der Musik verändert werden oder das Stück als solches nicht wiederzuerkennen ist.


    Ich sag jetzt mal so, wenn Andre Rieu den Donauwalzer spielt, würde ich das auch nicht als Donauwalzer von Johann Strauß bezeichnen (oder zumindest dazuschreiben, dass er von Rieu arrangiert ist) ...


    Lg


    Roland

    Die Basis jeder Grundlage ist das Fundament

  • Ich habe nur nach wie vor Probleme mit der Abgrenzung.
    Wo das Regietheater anfängt, dürfte ja jeder individuell für sich beurteilen.


    Oder fängt's eben doch erst beim Uminterpretieren an?
    Dann wäre etwa Pierre Audis Amsterdamer "Ring" konservatives Theater? Für mich ist er das: Herrliches konservatives Theater, ein wunderbares Spektakel für das Auge, durchgeführt mit einer ganz eigenen Ästhetik, die geradezu magische Bilder erzeugt - aber ich bin überzeugt, daß Knusperhexe auch diesen Regisseur gerne auf dem Scheiterhaufen sehen würde, denn auch Audi ketzert gegen die Vor-1950-Aufführungspraxis.
    Allerdings: Uminterpretieren tut er nun einmal wirklich nicht.


    Also: Wo ist die Grenze zwischen konservativem Theater und Regietheater?
    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin und Roland,


    Die Grenzen lassen sich nicht präzise festlegen, die sind fließend und innerhalb eines weiten Bereichs zu sehen. Mir fällt als schlagendes Beispiel auf die Schnelle kein musikalisches ein, aber: Der den Älteren wahrscheinlich gut bekannte "Faust"-Film von Gustaf Gründgens (mit Will Quadflieg) ist bis zu einem gewissen Grad "Regietheater". Wenn Goethe das Stück so gewollt hätte, hieße es "Mephisto". Aber es ist großartig gemacht, für einen Goethe-Einsteiger würde ich es nur bedingt empfehlen. Künstlerische Konsequenz - jetzt kommen langsam die Opernbeispiele - auf entsprechendem Niveau kam auch Wieland Wagner zu. Den immer wieder angeführte Chereau-"Ring" empfand ich als zu unentschieden. Manches daran war eindrucksvoll, aber ich sah zu viele Brüche. Zweifellos spielt die individuelle Einstellung des Konsumenten da eine wesentliche Rolle.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    aber ich bin überzeugt, daß Knusperhexe auch diesen Regisseur gerne auf dem Scheiterhaufen sehen würde, denn auch Audi ketzert gegen die Vor-1950-Aufführungspraxis.


    Hach, jetzt wollte ich schon den Scheiterhaufen entzünden - und dann gefallen mir die drei gefundenen Fotos wider Erwarten gut. ABER das heißt noch nichts. Ich werde es mir mal reinziehen. Was mich auf diesen Fotos allerdings wirklich angesprochen hat, war der Aspekt des Mystischen, den ich in vielen anderen Ring-Inszenierungen heute vermisse, z.B. Krämer


    Aber, wie gesagt, ich kann jetzt leider nicht mitreden.


    :hello:

  • Hallo Knusperhexe,

    Zitat

    Was mich auf diesen Fotos allerdings wirklich angesprochen hat, war der Aspekt des Mystischen,


    Genau darum geht es Audi: Die Rückgewinnung von Mystik und Mythos. Dementsprechend sind Tsypines Bühnenbilder weniger konkrete Orte, sondern Räume, in denen ein Spiel stattfindet, das einen Mythos erzählt: Nicht raunend, sondern mit klarer Stimme, aber der Mythos bleibt ein Mythos und wird nicht aktuell gedeutet. Deshalb bezeichne ich diese Regie im Grunde als konservatives Theater - und liebe sie (dennoch) über die Maßen!


    Einen Ausschnitt aus dem Walkürenritt gibt es hier zu sehen: "www.youtube.com/watch?v=VqeG60V38y0" - nicht ganz charakteristisch, da nur die Flammen gezeigt werden. Die Walküren treten übrigens als die geflügelten Wesen der nordischen Sage auf, die kreisrunde Bühne symbolisiert nicht nur den "Ring", sondern auch die Weltesche - es wird quasi auf dem (durchschnittenen) Stamm der Weltesche ein Drama zwischen Göttern und Menschen gezeigt.


    :hello:

    ...

  • Speziell zu Andre Rieu,


    Der ist ein klassisches Beispiel für das Verfließen von Kunst und Kitsch, denn er pendelt zwischen Strauß und Rieu hin und her. Manchmal, wenn ich unkritisch gestimmt bin, kann ich ihm ein paar Minuten zuhören, aber bald reißt's mich dann und ich schalte um. Der Mensch ist nicht ungeschickt, aber natürlich nicht wirklich tamino-reif. Allerdings muß man sich ehrlicherweise die Frage stellen, ob er nicht doch etliche Leute, die sonst die Hemmschwelle nie überwinden würden, zu Strauß und anderen hinführt, oder ob seine verbildende Vorstellung mehr Schaden bedeutet.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Mancher Theaterchef hat ab und und zu ein Skandälchen außerdem nicht so ungern, denn das bringt Medienecho. Kurzfristig funktioniert das oft, langfristig wirkt es sich natürlich verheerend aus. Aber wie lange bleiben denn Theaterdirektoren an einem Wirkungsort? Das ist wie die Manager in der Wirtschaft. Die krempeln um, sparen ein, hauen die Leute über fünfzig hinaus (denn die sind erfahren, aber teuer) und liefern einige Zeit bessere Dividenden ab. Dann ziehen sie weiter zur nächsten Firma, um dort zu "sanieren". Inzwischen greifen am alten Ort die Nachteile (die erfahrenen Alten fehlen auf die Dauer und können durch unroutinierten Nachwuchs nicht 1:1 ersetzt werden; eine Zeitlang kann man darüber hinwegturnen, aber nicht ewig - so erhebt sich dann das Geschrei nach einem neuen Sanierer). Ioan Holender in Wien ist bekanntlich eine sensationelle Ausnahme in punkto Wirkungsdauer.


    Die Verweildauer eines Intendanten an einem Theater ist zweifellos von großer Bedeutung, schon weil im Operngeschäft die Vorausplanungen sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Gelegentlich kann eine solche Ära aber auch irgendwann zur künstlerischen Stagnation führen - vergleiche die letzten Jahre der 21jährigen Direktion Lehmann in Hannover.


    Den Zusammenhang zwischen der Verweildauer eines Intendanten und dem Thema "Regietheater" verstehe ich allerdings nicht. Der prononcierteste Vertreter dieser Richtung in Deutschland, Klaus Zehelein, war immerhin 15 Jahre lang Intendant der Stuttgarter Staatsoper und hat dort für künstlerische (und auch ökonomische) Kontinuität gesorgt. Peter Jonas, der auf diplomatisch geschickte Art das "Regietheater" an der Bayerischen Staatsoper mit ihrem eher konservativen Publikum durchgesetzt hat, amtierte immerhin 13 sehr erfolgreiche Jahre.


    Viele Grüße


    Bernd

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