Kurznotizen aus den Opernhäusern!

  • Zitat

    Original von Mela


    Mein Problem ist, dass es mir inglaublich schwer fällt, nach einer solchen Oper überhaupt zu klatschen, da ich immer eine Zeitlang brauche um mich in die Realität zurückzukämpfen. Je besser die Aufführung, umso länger dauert es. Das ist natürlich ungerecht für die Interpreten, aber meistens gibt es um mich herum sehr viele Leute, die mein fehlendes Klatschen wieder wett machen.


    Ich könnte mir vorstellen, dass sich viele Musiker nach dem Verklingen des letzten Tons ein paar Sekunde Stille wünschten. Ich warte - besonders nach einem leise verhallenden Akkord oder Aktschluss - immer ein paar Sekunden, ehe ich zu klatschen anfange, und ganz selten mal habe ich diesen wunderschönen Moment erleben dürfen, da auch alle anderen nicht sofort losklatschten. Der Jubel danach darf ja gerne hemmungslos und endlos sein, wenn der Abend wirklich so gut war.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Zitat

    Original von tmichelmgn
    Ich hatte die FAZ so verstanden, dass es heftige Proteste der Anhänger des Regieteheaters gegeben habe. Ist da was dran?


    Weiter oben hat mich Thomas aus Meiningen nach der „FAZ“- Premierenbesprechung von Halévys „Juive“ in Stuttgart gefragt und ich konnte bislang nicht richtig darauf eingehen, da mir der Artikel unbekannt war. Seit heute liegt mir nun der komplette Beitrag aus der „FAZ“ vom 18.03.2008 vor und wie ich bereits vermutet hatte, stammt er von Julia Spinola, die mir auch schon in der Vergangenheit durch ihre tendenziöse Berichterstattung äusserst negativ aufgefallen ist. Ihre Besprechung der Stuttgarter „Juive“ stellt nun aber einen selbst für ihre Verhältnisse bemerkenswerten Tiefpunkt in unseriösem Journalismus dar, sodass ich hier ein paar Anmerkungen zu dieser Zeitungskritik machen möchte.


    Zum ersten bleibt festzuhalten, dass dieser Artikel in einer grossen, überregionalen Tageszeitung veröffentlicht wurde – und das hier ein Mindestmass an Objektivität erwartet werden muss: der Leser, der die Aufführung nicht gesehen hat, sollte in der Lage sein, sich ein Bild über die Produktion zu machen.


    Der Eindruck, den Julia Spinola aber erweckt, verfälscht die tatsächlichen Gegebenheiten – bestes Beispiel: Thomas, als Leser ihres Artikels, nahm an, es habe „heftige Proteste“ von Zuschauer/innen gegeben, was einfach nicht wahr ist. Bei Spinola liest sich das schon in der Subunterschrift so: „Falsche Empörung über ein Glanzstück“. Im Text fährt sie dann fort: „So aufgebracht wie an diesem Premierenabend hat man die eingefleischten Bewunderer des Regietheaters noch selten gesehen. Schon nach dem ersten Akt (...) machten sie ihrem Unmut Luft. Am Ende des Abends war die Empörung perfekt.“


    Das suggeriert tatsächlich, es habe irgendeine Form von wahrnehmbarem Protest gegeben, was völlig aus der Luft gegriffen ist – der Beifall war ungetrübt, wie selten. Spinola führt zur Untermauerung ihrer Behauptung Stimmen an, die sie möglicherweise bei Pausengesprächen gehört hat. Wohlweislich tauchen diese nicht als wörtliches Zitat in ihrem Artikel auf, sondern nur als indirekte Rede. Ob kritische Worte also tatsächlich gefallen sind – und vom wem – bleibt das Geheimnis der Journalistin.


    Selbst wenn sich einzelne Stimmen kritisch geäussert hätten, wäre das substanziell etwas anderes, als aufgebrachte Empörung eines signifikanten Teils des Publikums. Ein Beipiel möchte ich hier einfügen: direkt hinter mir saß ein Herr im besten Alter und buhte als einziger Zuschauer gegen die Sänger Christoph Sökler und Liang Li. Jetzt hätte ich in meiner Besprechung der Stuttgarter Premiere natürlich schreiben können: „Publikum buht Sänger aus“ – das wäre nicht gänzlich unwahr, aber trotzdem falsch. Nach dem gleichen Muster arbeitet Julia Spinola.


    Besonders störend finde ich auch, dass Spinola immer wieder von „Anhängern des Regietheaters“ spricht, so, als wäre das eine klar einzugrenzende Gruppe, die sich in irgendeiner Weise definieren liesse und als würde diese Gruppe geschlossen auftreten. Sie trägt damit natürlich dazu bei, das sich bestimmte Bilder – so falsch diese auch sein mögen – bei den Leserinnen und Lesern festsetzen. Am Ende der Aufführung in Stuttgart erschiesst Éléazar zuerst seine Ziehtochter Rachel und dann sich selbst. Bei Spinola liesst sich das so: „Den Regietheaterverfechtern im Stuttgarter Publikum war dies ein besonderer Stein des Anstosses: Die Juden müssten doch Opfer sein!“ Wieder suggeriert Spinola, es habe an dieser Stelle irgendeine negative Reaktion im Publikum gegeben (und den „Regietheaterverfechter“ erkennt die informierte Journalistin vermutlich am Gesichtsausdruck, Gütiger...!) und wieder vermeidet sie ein wörtliches Zitat.


    Über die Sänger/innen mochte Julia Spinola dann nichts mehr sagen, so schlecht seien die gewesen, das sie selbst die Namen nicht nennen mochte. Da kann ich nur sagen: deutliche Kritik muss vor allem sachlich sein, dann kann man auch Sänger/innen kritisieren, die man beim Namen nennt, ich habe mich bemüht, das zu tun.


    Insgesamt ist das ist eine Form der Berichterstattung, wie sie sich gerade im professionellen Bereich verbieten sollte. Ich hätte mir nicht die Mühe gemacht, das hier aufzuschreiben, wenn ich nicht über diese Berichterstattung wirklich empört wäre.

  • Hallo.


    Frisch zurück von einem Dresden-Besuch nun ein ganz kurzer Bericht über einen Besuch in der Semper-Oper.
    27. März, Parsifal
    Musikalische Leitung Peter Schneider
    Spielleitung Heike Maria Jenor (nach einer Inszenierung von Theo Adam)


    Das war mein zweiter Live-Parsifal (meine Premiere war die Inszenierung von Eichinger in der hiesigen Staatsoper gewesen). Und obwohl ich Barenboim eigentlich nicht sonderlich schätze, weiß ich ihn jetzt wohl eher zu würdigen.


    Wir waren erstmals in der Semper-Oper, die mir optisch gut gefiel (wenngleich Flure und Restaurant der für mein Empfinden wenig erfreulichen DDR-Sachlichkeit entsprungen scheinen. Die Akustik empfand ich als außergewöhnlich gut. Wir werden gewiss bald mal wieder zur Semper-Oper fahren.


    Die Aufführung selbst war weniger beeindruckend. Das Dirigat geriet ähnlich statisch wie die Regie auf der Bühne; da wurde unglaublich viel herumgestanden, an den Bühnenrand vorgetreten, um zu singen, schlicht auch öffentlich auf den Einsatz gewartet. Die sängerischen Leistungen als solche begeisterten mich ebenfalls nicht. Ärgerlich für mich war ohnehin, dass weder Klaus-Florian Vogt in der Titelpartie noch Katarina Dalayman als Kundry auftraten; im Programmheft werden sie als "erkrankt" entschuldigt; für sie sprangen Christian Franz und Susan Maclean ein; beiden wurden ihren Rollen meines Erachtens nicht gerecht - letztlich schienen sie zu Färbungen, Differenzierungen nicht in der Lage zu sein; eher schon befanden sie sich entweder im "Laut"- oder "Leise"-Modus; darauf, dass ihre darstellerischen Möglichkeiten offenbar nicht hinreichten, um Einblicke in das Innenleben ihrer Rollen zu gestatten, will ich gar nicht weiter eingehen. Das machte auch der klangvollste Name des Abends, Kurt Rydl als Gurnemanz, nicht besser. Er konnte namentlich im ersten Aufzug zwar mit vollem, tragendem Bass punkten, doch weder stimmlich noch rein darstellerisch seine Figur zum Leben erwecken. Hinzu kam, dass er häufig vor einem Einsatz vernehmlich Luft durch die Nase in seine Lungen sog, sodass das Ganze mehr wie ein Kraftakt wirkte - vielleicht war er ja auch wirklich indisponiert, bekam nicht genügend Luft (die ihm im letzten Aufzug dann endgültig zu fehlen schien) - ich weiß es nicht. Klingsors Zaubermädchen waren teils etwas angejahrt und in der Höhe doch etwas brüchig. Vor allem aber gelang es Schneider für mein Empfinden zu keiner Zeit, der Partitur Leben einzuhauchen. Etwaige impressionistische, gar fiebrige Momente suchte man vergebens. Schade, ich denke, dass mit der Staatskapelle Dresden mehr möglich gewesen wäre.


    Meine Frau jedenfalls wurde ab dem zweiten Aufzug zusehends müde - ich konnte es ihr nicht verdenken. So war der Parsifal eine teils regelrecht quälende Angelegenheit. Schade.


    Gruß, Ekkehard.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Heinrich Wagner trifft Richard Tannhäuser – so könnte man in etwa zusammenfassen, was in Essen am gestrigen Abend zu sehen war. Hans Neuenfels inszeniert zum zweiten Mal Wagner und, vergleichbar mit seiner Stuttgarter „Meistersinger“-Inszenierung, beweist der Regisseur einmal mehr, dass die Auseinandersetzung mit Wagner und seinen Stücken immer wieder lohnt.


    Neuenfels versteht „Tannhäuser“ als ein Frühwerk Wagners, das viel mit Sturm und Drang, mit Selbstfindung und mit sich ausprobieren zu tun hat, das mit Grenzsetzungen und Grenzüberschreitungen spielt, das Lebensentwürfe gegeneinander setzt und in dem es auch eine Menge an Humor gibt, der vielleicht des öfteren bei einer Inszenierung des „Tannhäuser“ zu kurz kommt. Das konventionelle und brüchige des Stücks wird so deutlicher erfahrbar, als in anderen Inszenierungen und Wagners Satz, dass er der Welt noch einen „Tannhäuser“ schulde durchaus besser nachvollziehbar.


    Wie immer bildet Neuenfels nicht einfach das Stück ab: auch die Rezeptionsgeschichte, die Lebensumstände des Komponisten, die Frage, was uns der „Tannhäuser“ heute noch sagen kann, fliessen in seine Inszenierung ein und es entsteht ein vielschichtiger, spannender Bilderbogen, man bekommt eine Inszenierung zu sehen, die wohldurchdacht ist und vom intellektuellen Gehalt her manche „Tannhäuser“-Produktion, die ich in den letzten Jahren gesehen habe, auf die Plätze verweist.


    Während der Ouvertüre öffnet sich der Hauptvorhang und gibt eine Leinwand frei. Heinrich Tannhäuser stellt sich mit kurzen Texteinblendungen vor und lädt die Zuschauerrinnen und Zuschauer ein, mit ihm gemeinsam sein Leben, aber auch reflektierend unser Leben, Revue passieren zu lassen, mit seinen Höhen und Tiefen, mit der Liebe und der Erkenntnis, dass deren Genuss oft kurz, aber das Leiden an selbiger dafür arg lang geraten kann.


    Die Leinwand hebt sich, dahinter befindet sich der eigentliche Bühnenvorhang und wenn sich der zur ersten Szene öffnet, sehen wir: Richard Wagner als jungen Mann, alias Tannhäuser. Im Hintergrund ein dunkler Samtvorhang, vorne ein Tisch, rechts eine Gebetbank und dahinter eine silberne Monstranz. Moderne Engel (sie tragen schicke Kleidung und vereinzelt Federn) bevölkern die Szene, die einen weiss, die anderen schwarz und immer wieder werden diese beiden Gruppen um Tannhäuser kämpfen.


    Frau Venus, sehr schlank, hat über ihrem Gesicht eine Halbmaske, auf ihrem Umhang sieht man ein Alpha, der von Tannhäuser ziert ein Omega, Anfang und Ende, das A und das O. Es gibt also keine sexuelle Ausschweifung zu sehen, vielmehr wird Religion und Sexualtiät in Beziehung gesetzt, auch in einer „schwarzen“ Variante – auf eine Leinwand im Bühnenhintergrund werden entsprechende Texte projiziert. Das Programmheft zitiert Bataille: „Wer den religiösen Sinn der Erotik nicht sieht, dem entgeht ihr ganzes Wesen“. Der (vermeintliche?) Widerspruch zwischen Erotik und Religion, wird hier im ersten Bild des Essener „Tannhäuser“ aufgehoben.


    Es folgt eine Abendmahlsszene: aus der Monstranz wird die Hostie genommen, die sich Venus auf die Zunge legt, aus Wasser wird roter Wein, oder, im Sinne der Transsubstantiation, Blut und Leib Christi. Tannhäuser kniet auf der Gebetbank nieder.


    Befriedigung findet er im Ritus nicht mehr. Venus nimmt die Halbmaske ab und präsentiert Tannhäuser nicht nur ihre Venus-Höhle, sondern symbolisch gleich den ganzen Globus. Doch Tannhäuser malträtiert geradezu eine schwarze Harfe, sein im Lied vorgetragene Forderung, in die Welt hinausziehen zu müssen, wird immer drängender, die Engel kämpfen gegeneinander, doch Tannhäuser ruft nach Maria.


    Vorm Zwischenvorhang taucht selbige auch sogleich personifiziert auf und gibt Tannhäuser/Richard einen Vogelbauer, aus dem Tannhäuser den Vogel befreit, auf das ihm der Weg gewiesen werde.


    Durch den Vorhang streckt sich der Kopf des Hirten, und singt sein Lied. Der Hirt nimmt Tannhäuser mit ins Wartburgtal, alles ganz in grün, und der Hirt fügt sich geradezu arkadisch gewandet, mit Blumenkranz im Haar, perfekt ein. Doch die Idylle trügt: man hört frommen Gesang, aber was dann auftritt ist eine Heerschar rothaariger, in Ledercoursagen gekleideter Teufel, die Tannhäuser geradezu obszön umgarnen.


    Auftritt der Wartburggesellschaft: man ist auf der Jagd, eine surreale Szene, mit Menschen, die Tierköpfe tragen, einige haben Geweihe auf, Playboybunnies hüpfen herein – alles ist Spass, getroffen wird nichts.


    Als klar ist, das Tannhäuser in die Wartburg (und zu Elisabeth) zurückkehren wird – und sich für Wolfram hier eine deutlich schlechtere Position im Werben um Elisabeth ergeben dürfte – erschiesst dieser voll Wut alles, was ihm über den Weg läuft – zu spät erkennen manche, dass sich der Spass in Ernst verwandelt hat.


    Zu Beginn des zweiten Aktes sehen wir drei Stubenmädchen, die einen Flügel polieren, rechts zwei Theatersessel, ein grosser Spiegel, im Hintergrund ein dunkler Vorhang.


    Elisabeth tritt durch diesen Vorhang auf, sie bewegt sich wie ein Gesangsstar unserer Tage, bekommt Rosen gereicht und wird, nach dem langsamen Teil ihrer Arie, diesen Auftritt durch den Vorhang wiederholen.


    Wolfram führt Tannhäuser herein und wird die ganze Szene über auf der Bühne anwesend bleiben. Tannhäuser und Elisabeth improvisieren auf dem Flügel, haben Spass und Wolfram bleibt aussen vor. Am Ende dieses Bildes wird Wolfram einen riesigen Schwan hereinziehen, auf dem Tannhäuser und Elisabeth die Bühne dann verlassen werden. Das erinnert an eine Szene zwischen Richard Wagner und Cosima, die damals noch mit Hans von Bülow verheiratet war, in der die beiden übermütig mit einer Schubkarre unterwegs waren.


    Der Onkel kommt hinzu – und es wird klar, dass auch er mehr als nur ein Auge auf seine Nichte geworfen hat.


    Im dann folgenden, orchestralen Zwischenspiel sehen wir den alten Richard Wagner, zu dem König Ludwig der II. tritt. Der König überredet den leicht unwilligen Wagner, grüssend ins Publikum zu winken. Der Zuschauerraum hat sich zwischenzeitlich mit dem Chor gefüllt – alle ganz in grün und so arisch-blond, wie das nur in einer Karikatur möglich ist. Beim „Heil“-Geschrei wehren König Ludwig II. und Wagner diese Huldigung entschieden ab.


    Die Bühne öffnet sich und man sieht ein Alpenpanorama, in der Mittel ein Modell von Neuschwanstein, darüber einer jener Fördertürme, der typisch für das Ruhrgebiet ist, dazu drei Schornsteine von Fabrikanlagen. Steiger betreten die Bühne, dazu bayerische Maiden, die ihre Weisswurstketten als Springseil benutzen werden. Der König und Richard Wagner verfolgen das Geschehen.


    Zum Sängerwettstreit treten die Sänger in dunklen Kutten an, jeder in einer Art Box, die die Sänger voneinander trennt. Besonders Reinmar von Zweter ist von Wolframs Verherrlichung der reinen Liebe so angetan, dass er immer wieder, wie traumwandlerisch, seine Box verlassen wird, um am Ende überwältigt zu Boden zu sinken.


    Nach Tannhäusers Bekenntnis, im Venusberg geweilt zu haben, reissen sich die Sänger die Kutten vom Leib, der Chor, in seinen grünen Hosen und mit Schlagstöcken bewehrt, wirkt wie Polizisten, sie bedrängen Tannhäuser und Elisabeth tritt dazwischen. Sie verweist auf ihren Glauben, der ihr Kraft gibt – und eröffnet damit die Möglichkeit für Tannhäuser, durch eine Pilgerfahrt zur inneren Ruhe zu finden. Allein, Solisten und Chor deuten durch eine Vorwärtsbewegung auf Knien an, dass diese Pilgerfahrt eine Quälerei sein wird.


    Zum Vorspiel des dritten Aktes wendet sich Tannhäuser wieder per Leinwand direkt an die Zuschauer. Er bedankt sich, dass wir alle es miteinander bis hierhin ausgehalten haben, das würde versöhnlich stimmen... Und wenn auch alles nicht für alle gut gelaufen ist, so bleibt zum Schluss doch die Selbstbestimmung über das Ende.


    Das erste Bild des dritten Aktes zeigt ein quadratisches Rasenstück, das von einem roten Holzzaun eingefriedet wird – in der Mitte ein Tisch, links und rechts davon jeweils ein Stuhl. Die Pilger sind zurück – es sind die Teufel aus dem ersten Akt, und sie wollen mit Elisabeth, die nach ihrem Tannhäuser sucht, nichts zu tun haben.


    Auf einem der Stühle auf dem Rasen sitzt die Madonna, Elisabeth setzt sich, nach freundlicher Begrüssung inklusive Handschlag mit der Mutter Gottes, auf den anderen Stuhl, es ist eine Therapiestunde mit einer ganz speziellen Therapeutin, der wir da beiwohnen. Maria möchte kein Brot und ins Wasser träufelt sie eine Substanz, bevor sie diese trinken wird.


    Die Madonna ist müde geworden, schwach – während des Gebetes der Elisabeth wird die Madonna tot zusammenbrechen.


    Wolfram beobachtet den Wahnsinn der Welt und im letzten Bild der Oper sehen wir ihn als Arzt in einer Psychiatrie, Abteilung für ganz schwere Fälle: die Kranken sind gefangen in ihrer eigenen Wahnwelt – aber dennoch nehmen sie teil an dem, was um sie herum geschieht. Sie werden vom Lied an den Abendstern berührt, das Leben kehrt in sie zurück und als Tannhäuser dazu kommt, erscheinen die psychisch Kranken, trotz ihrer Ticks, mindestens so normal, wie die Menschen im Publikum des Essener Opernhauses. Die Irren werden die Geschichte von Tannhäusers Romfahrt nachspielen – und sie tun das mit einer Intensität, die bemerkenswert ist.


    Frau Venus kommt hinzu – sie verliert das Spiel um Tannhäuser und geht wütend ab. Auch die schwarzen und weissen Engel kämpfen wieder miteinander. Ganz zum Schluss kommen die Sänger und der Landgraf dazu, im offenen Sarg die Leiche der Elisabeth, der zweite mitgeführte Sarg ist leer, aber man ahnt es schon, er ist für Tannhäuser bestimmt.


    Brautjungfern treten auf, sie verkünden das Wunder des ergrünten Bischofsstabes: sie tragen eine Dornenkrone und zeigen die Stigmata. Eine schwarze, klobige science-fiction Figur kommt durch den Chor nach vorne: vom Pontifex ist nur noch, so steht es über seiner Brust, ein „Ex“ geblieben – in der Hand trägt er einen Stab mit einem Gottesauge darüber. Der schon in den Sarg gebettete Tannhäuser kommt nach vorne, zerbricht diesen Stab, den die Gestalt nicht wieder zusammenzufügen in der Lage ist und Tannhäuser legt sich in den Bühnenvordergrund mit erhobener Faust zur letzten, selbstbestimmten Ruhe.


    Eine grandiose Inszenierung eines bemerkenswerten Regisseurs.


    Musikalisch ist es Stefan Soltesz und sein Orchester, die aussergewöhnlich packend musizieren (Soltesz lässt die Dresdner Fassung musizieren, überraschenderweise mit den bekannten Strichen): schon die Ouvertüre wird deliziös ausgekostet, wunderschöne Farben sind da zu hören, im Tempo wird genauestens differenziert und da, wo das Philharmonische Orchester in Essen an spieltechnische Grenzen gerät – bei den flirrenden, hohen Streichern, z. B., - trübt das den Gesamteindruck nicht wirklich. Keine Minute ist da langweilig und es ist erstaunlich, wie genau Soltesz mit der Regie harmoniert.


    Der Chor ist solide, aufmerksam und nicht immer intonationssicher – besonders einigen Herren wäre im darstellerischen Bereich ein grösseres Engagement anzuraten: ein Profichor ist kein besserer Männergesangsverein.


    Bei den Solistinnen und Solisten ist es einmal mehr Marcel Rosca als Landgraf, der keine zufriedenstellende Leistung mehr zu erbringen vermag. Spitzentöne werden nur noch mit äusserster Kraft hervorgestemmt, die Linienführung ist horribel und die Tiefe mehr als nur ungefähr.


    Auch Elena Zhidkova als Venus kann nicht – wie schon in Frankfurt in der gleichen Partie – überzeugen. Ihr steht schon die deutsche Sprache im Weg, aber auch die Lage der Partie überfordert sie deutlich, dazu kommen schlecht verblendete Register und eine dünne, ungenaue Höhe.


    Besser Danielle Halbwachs als Elisabeth, mit einem etwas unruhigen, aber stabilen Sopran, der vor allem im dritten Akt nicht restlos zufrieden stellt, das Gebet ist allerdings – zugegeben – heikel.


    In der Titelpartie Scott MacAllister – ein Tenor, der vor allem auf Kraft setzt und dabei aber nicht nur bei den „Erbarm dich mein“-Rufen an Grenzen gerät. Vom Stimmklang her ist Macallister mehr ein Charaktertenor. Seine Spitzentöne werden oft sehr direkt gebildet, offen, ohne hinreichende Absicherung. Manche Tonhöhe oder rhythmische Wendung lässt Wünsche offen.


    Heiko Trinsinger, der Wolfram, war erkältungsbedingt entschuldigt und bot dafür eine insgesamt sehr ansprechende Leistung.


    Ein besonderes Lob verdient der Bewegungschor: was die hauptsächlich jungen Darstellerinnen und Darsteller leisten - insbesondere in der letzten Szene - ist oft umwerfend und an Intensität grandios!


    Hans Neuenfels provozierte mächtige Ablehnung im Publikum der Premierenvorstellung, gekontert von vehementer Zustimmung – so muss das sein. Es war ein absolut spannender, toller Opernabend in Essen.

  • Herzlichen Dank für Deine wieder einmal grandiose und gehaltvolle Besprechung! Ein "echter" Neuenfels also: spannend, konfrontativ, tiefgründig und anfechtbar: Offensichtlich Musiktheater vom feinsten (und nebenbei: interessanter wohl als der Frankfurter Tannhäuser, den ich vor einem Jahr erlebt habe). Schade, daß Essen etwas außerhalb meines Horizonts liegt!

  • Hallo Alviano,
    bin wie immer sehr dankbar für deine lesenswerte Reportage aus Essen und wie immer auch total beeindruckt, wie du es schaffst, mit einem Mal Anschauen eine derart komplexe Inszenierung in allen Details zu erfassen und zu einem logischen Gesamtbild zusammenzusetzen. Wäre ich an deiner Stelle gewesen, stünden da wahrscheinlich viele Fragezeichen :O
    Schade, dass Neuenefels Wien seit langer Zeit meidet. Ich habe ihn als Theaterregisseur in bester Erinnerung und wäre schon dankbar, wenn er wenigstens auf diesem Gebiet wieder etwas machen würde.
    lg Severina :hello:

  • Lieber Alviano, wenn ich diesen grandiosen Bericht lese, bekomme ich trotz offenbar sehr mässiger Sänger und trotz der Musik Lust auf einen sehr kontroversen spannenden Tannhäuser!
    Ein besseres Kompliment kannst du nciht bekommen..... :D


    Mich würde insbesondere deine Deutung dieser Madonna/Venus/Elisabeth Geschichte hier interessieren, daraus werde ich nciht so ganz schlau.
    Dass Religion und Sexualität verbunden werden und nciht wenig miteinander zu tun haben, kann ich nachvollziehen. Man muss sich nur mal alte Gemälde von Heiligen in Ekstase ansehen, dann weiss man Bescheid . Aber wie das hier nun verknüpft wird, ist mir unklar.
    Warum stirbt die Madonna bei Elisabeths Gebet? Wieso vollzieht die Venus hier einen Abendmahlritus? -Hat das auch peripher etwas mit Kundry zu tun?
    Die Sache mit Wolfram/Heinrich/Elisabeth und Richard/Hans/Cosima und dem Bayernkönig , der bei alledem zusieht und den Jägern auf der Wartburg, die ncihts treffen, finde ich witzig. Das Ganze scheint überhaupt recht entweihräuchernd gewesen zu sein, aber nicht oberflächlich banalisierend. So jedenfalls mein Eindruck beim Lesen.
    Deine Berichte sind immer ein Hochgenuss, ich kann mich Severina und Gurnemanz da nur anschliessen. :yes: :jubel:


    F.Q.

  • Zitat

    Original von Alviano


    Eine grandiose Inszenierung eines bemerkenswerten Regisseurs.


    Na also, für mich nicht. Ich bin nur schockiert, angeekelt und traurig, wenn ich so was lese.

  • Erstmal vielen Dank für die freundlichen Worte, sie sind ein schönes Feedback für mich und zeigen, dass es mir gelungen ist, etwas von den Eindrücken der Aufführung weiter zu geben. Das ist nämlich immer die erste Überlegung für mich, wie kann ich jemandem, der die Aufführung nicht gesehen hat, doch eine Vorstellung von dem vermitteln, was da zu sehen und zu hören ist.


    Gurnemanz hat völlig recht – unabhängig davon, ob man dem Regisseur in jedem Detail folgen will und kann, es ist eine lebendige Aufführung geworden und die Beschäftigung und die Auseinandersetzung mit ihr lohnt. Auch für mich ganz klar: Vera Nemirova in Frankfurt erreicht mit ihrer dortigen „Tannhäuser“-Inszenierung die Qualität des 66-jährigen Neuenfels nicht.


    Es ist vielleicht kein wirklicher Trost: unabhängig von der Erreichbarkeit des Essener Theaters sind wohl bereits alle vorgesehenen Vorstellungen ausverkauft.


    Eine kleine Veränderung, liebe severina, hat sich jetzt mit der Zeit doch beim Besuch von Aufführungen ergeben: ich denke in den Pausen nicht mehr nur über das gesehene und gehörte nach, ich überlege schon, wie wohl mancher in unserem Forum hier auf die Aufführung oder meinen Bericht darüber reagiert... Mir machen solche Aufführungen einfach auch Spass, ich freue mich, wenn ich was zum Nachdenken habe. Wobei ich glaube, dass gerade diese Inszenierung vom „Tannhäuser“ mit ihren tollen Bildern auch dann Freude macht, wenn man das Stück nicht gut kennt und vielleicht nicht jede Anspielung sofort verstanden wird. Eine Bühnenaufführung tritt auch mit jedem einzelnen Zuschauer in eine Art von Kommunikation. Das, was ich für mich mitnehme, ist natürlich auch davon beeinflusst, was ich über das Stück weiss, über den Komponisten, was ich vielleicht in anderen Aufführungen schon gesehen habe und das unterscheidet sich von den Erfahrungen, die andere Zuschauer eben mit dem Stück gemacht haben, die vielleicht Dinge entdecken, die mir verborgen bleiben. Deswegen ermuntere ich auch gerne dazu, nicht nur darüber nachzudenken, was der Regisseur wohl gemeint hat – sondern auch zu überlegen, kann ich mit dem, was ich da sehe, irgendwas anfangen?


    So, nun aber zu Titanias Fragen:


    In der ganzen Inszenierung sind immer wieder Anspielungen auf andere Werke Wagners zu finden. So ist es auch mit der Eingangsszene: die Assoziation Kundry und „Parsifal“ ist da.


    Religion und Sexualität ist ein sehr vielschichtiges Thema, das möchte ich hier nicht breiter ausführen. Das Beispiel mit den Gemälden ist absolut zutreffend, so was findet sich allerdings auch in der Musik: von Monteverdi kenne ich „Salve regina“-Vertonungen, wo geschmachtet und geschluchzt wird, dass eigentlich keine Frage offen bleibt.


    Im „Tannhäuser“ verkörpert Venus die freie, wilde, genussreiche Liebe, die Wartburggesellschaft ist da verklemmter, man setzt mehr auf etwas platonischere Gefühle, da wird nicht am Brunnen genippt, schon gar nicht in vollen Zügen geschlürft, „in Anbetung möchte ich mich opfernd üben“ singt Wolfram wörtlich – auch da schwingen religiöse Bilder mit. Jetzt ist sicher die Vermutung zulässig, dass, wenn jemand dauernd nur Triebverzicht übt und immer nur das Herz, aber nicht den Gaumen labt, vielleicht doch irgendwie die „frevle Leidenschaft“, die nun mal auch zum Menschen dazu gehört, ausgelebt werden muss...


    Das Eingangsbild des Essener „Tannhäuser“ zeigt quasi die Kehrseite dieser Medaille. Das ist eine Art „schwarze Messe“, die da zelebriert wird – die Göttin der Liebe als gesichtslose Priesterin imitiert mit Tannhäuser den Ritus des Abendmahls. Im Hintergrund kann man lesen: „zersägt das Kreuz“ , geradezu anmassend das A und O auf den Umhängen der beiden. Wenn Tannhäuser auf der Gebetsbank niederkniet, kann das wohl auch so verstanden werden, dass er Venus anbetet. Lust durch Tabuverletzung funktioniert eindeutig besser, als Lustverzicht durch Einhalten von Tabus.


    Neuenfels zeigt nichts konkret anstössiges – das macht das ganze so spannend (und: natürlich ist die Verblüffung gross, wenn das Auge des Zuschauers zum ersten Mal dieses Bild aufnimmt).


    Zur ersten Szene des dritten Aktes: die Madonna wirkt zuerst sehr selbstsicher, das hat den Anschein eines seelsorgerischen Gespräches. Aber dann sieht man, das sich die Madonna zunehmend unwohl fühlt. Umgangssprachlich könnte man sagen: sie hat einfach keine Lust mehr, sich die Nöte und Sorgen der Menschen anzuhören, sie ist müde, ausgebrannt. Aber Elisabeth lässt nicht locker – selbst, als Maria schon zusammengebrochen ist, lässt Elisabeth ganz physisch nicht von ihr ab. Durch ihren Tod macht sie den Weg für Elisabeth als Ersatzmadonna frei: „Heilige Elisabeth, bitte für mich“, singt Tannhäuser – „Santa Maria, ora pro nobis“ ist da wohl Pate gestanden...


    Die Inszenierung ist nicht provokant, eigentlich ein wenig erstaunlich, der Name Neuenfels wird ja gerne mit „Skandal“ in Verbindung gebracht, sie ist wirklich unterhaltsam und gut vorbereitet. Es wird sehr spannend sein, zu sehen, wie Neuenfels im kommenden Jahr in Basel den „Parsifal“ inszenieren wird.

  • Lieber Alviano,


    herzlichen Dank auch von mir für Deinen tollen Bericht. Wie ich ja bereits schon feststellen konnte, sind Deine Schilderungen sehr prägnant. Beim Besuch einer von Dir besprochenen Vorstellung sieht man genau das, was man beim Lesen
    visualisiert. Hier muss ich mich Severina anschließen, Du hast ein geradezu fotografisches Gedächtnis. Für mich ist es jedenfalls unvorstellbar, bei einmaligem Besuch einer Vorstellung alle Komponenten zu erfassen.


    Nach Deinem Bericht würde mir diese Aufführung bestimmt auch gefallen. Ich müsste eben alle bisher von mir gesehenen Tannhäuser vergessen und mich auf eine ganz neue Deutung einlassen.


    Nochmals, meine Hochachtung


    :hello:


    Emotione

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  • Lieber Alviano,


    auch wenn diese Inszenierung weit weg von dem ist, wie ich denn Tannhäuser verstehe, kann sie ich doch anhand Deiner eindrucksvollen Schilderung gut nachvollziehen.


    Und was das für eine Leistung ist, eine Aufführung nach einmaligen Besuch so detail- und kenntnisreich darzustellen, kann jeder nachvollziehen, der auch nur versucht, dergleichen mündlich zu erzählen, von einem druckreifen Beitrag ganz zu schweigen.


    Langsam solltest Du Dir aber einen anderen threadtitel überlegen - "Kurznotizen" ist für Deine Beiträge eine maßlose Untertreibung!


    Herzlichen Dank dafür!


    LG, Elisabeth

  • Lieber Alviano,


    dein Bericht hat mich jetzt extrem neugierig auf den Tannhäuser gemacht. Als ich heute die verhaltene, negative Kritik in der Westdeutschen Zeitung gelesen habe, dachte ich bloß, dass sich ein Besuch einer Aufführung erübrigt hat.


    Sag mal, war die Venus wirklich so schwer zu verstehen, wie es der Kritiker uns vermitteln wollte?

  • Zitat

    Original von MosesKR1
    Als ich heute die verhaltene, negative Kritik in der Westdeutschen Zeitung gelesen habe, dachte ich bloß, dass sich ein Besuch einer Aufführung erübrigt hat.


    Sag mal, war die Venus wirklich so schwer zu verstehen, wie es der Kritiker uns vermitteln wollte?


    Erst nochmals herzlichen Dank für die vielen freundlichen Worte, da hab ich mich wirklich drüber gefreut. Ich antworte im Laufe des Tages auch noch mal etwas ausführlicher.


    Hier in Kürze nur soviel: bei den Rezensionen in den Zeitungen über die Premiere vom "Tannhäuser" findet sich das gesamte Spektrum von Meinungen zwischen zögernd ablehnend bis zustimmend - lesenswert sind meiner Meinung nach die beiden Kritiken in der "Frankfurter Rundschau" (im Netz frei zugänglich) und in der F.A.Z, beide vom heutigen Tag.


    Die Venus hat mit der deutschen Sprache Probleme - Vokale werden verfärbt, Worte nicht korrekt artikuliert - und, in Folge - beeinträchtigt das die Gesangslinie, weil sie permanent mit der Aussprache hadert.


    Gesanglich ist es so, dass ich während der Vorstellung gedacht habe, es wäre besser gewesen, lieber gleich eine Sopranistin als Venus einzusetzen, anstatt einen Mezzosopran, der schon in der Mittellage zu kämpfen beginnt.


    Ansonsten wiederhole ich mich gerne: auch, wenn man dem Regisseur nicht folgen möchte - Gesprächs- und Diskussionsstoff bietet dieser "Tannhäuser" reichlich.

  • Zitat

    Original von Elisabeth
    Lieber Alviano,


    auch wenn diese Inszenierung weit weg von dem ist, wie ich denn Tannhäuser verstehe, kann sie ich doch anhand Deiner eindrucksvollen Schilderung gut nachvollziehen.


    Lieber Alviano,


    den Worten von Elisabeth kann ich mich uneingeschränkt anschließen. Ich habe auch gleich mal nach Karten Ausschau gehalten. Die Hoffnung stirbt zuletzt ...


    Vielen Dank für Deine kenntnisreichen und detaillierten Beiträgen, denen man das beste nachsagen kann, was man Kritiken überhaupt nachsagen kann - dass sie Neugier und Interesse auf das besprochene Werk machen.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Alviano
    Es ist vielleicht kein wirklicher Trost: unabhängig von der Erreichbarkeit des Essener Theaters sind wohl bereits alle vorgesehenen Vorstellungen ausverkauft.



    Zitat

    Original von pbrixius
    Ich habe auch gleich mal nach Karten Ausschau gehalten. Die Hoffnung stirbt zuletzt ...



    Hallo zusammen,


    ich habe mich gerade mal beim Onlineverkauf durch die einzelnen Vorstellungen geklickt: Mit Ausnahme des 17. April scheint es für die Vorstellungen in den nächsten Wochen noch einige wenige Einzelplätze zu geben (nicht von den roten Schaltflächen abschrecken lassen, oft ist trotzdem auch bei den höheren Preisklassen der ein oder andere Platz da). Man sollte sich aber beeilen... (Die humanen Ticketpreise im Ruhrgebiet sind immer wieder erfreulich - wenn ich an München denke: da gibt's für den teuersten Essener Parkettplatz gerade mal einen Sitz auf dem dritten Rang Seite).


    Als alter Fan von Neuenfels' Stuttgarter "Meistersingern" habe ich mir zum Glück schon vor einiger Zeit ein Ticket gesichert (am 11.5., dem einzigen für mich möglichen Termin) - und freue mich nach Alvianos schöner Besprechung umso mehr auf die Vorstellung! :)



    Viele Grüße


    Bernd


  • Lieber Alviano,


    wie Elisbeth richtig andeutet, sind die "Kurznotizen" der falsche Titel. In Anlehnung an einen ganz großen "Kritiker" im Fernsehen sollten wir es evtl. umnennen (oder sogar einen nur von Alviano zu füllenden Thread aufmachen, mit einem Extra-Thread für unsere bescheidenen Antworten... ;-) ) in:


    Notizen aus der Provinz


    Oder:


    Alvianos Reisen durch die Theater- und Opernwelten


    Ich jedenfalls freue mich jedesmal wieder aufs Neue über Deine informativen, spannenden und sehr lehrreichen Berichte!


    Matthias


    P.S.: Ich hoffe, heute abend noch etwas Zeit zu finden, und Ergänzungen zu Deinem Stuttgarter Holländer-Beitrag verfassen zu können, wir waren am Freitag da, mir hat es ausgesprochen gut gefallen!


  • Diese Idee mit den Karten hatten wir wohl alle heute morgen. Ich habe mir für den 7.6., 18:00 eine Karte im 1. Rang 3. Reihe Platz 20 sichern können... ;-) Und freue mich schon unbändig! Ich werde sozusagen ein Groupie von Alvianos Kritiken, und reise seinen Spuren hinterher... ;-) (Anrufen in Essen hilft: 0201/8122-200, dann weiß man auch gleich, wo man sitzen wird... ;-) Der erste Satz der Dame heute morgen um 10:00 am Telefon war: "Wir haben aber nicht mehr viele Karten..." )


    Matthias


    P.S.: Und weil es ja auch schon angesprochen wurde: Den Tannhäuser in FFM vor ein paar Jahren kenne ich auch, und ich habe auch schon eine Karte für den Tannhäuser von Lehnhoff/Jordan in Baden-Baden (25.7.).


  • Hallo Alviano,
    der Unterschied ist nur, dass die Berufskritikaster in mir nie den Wunsch wecken, sofort in den nächsten Zug zu springen und mir diese Produktion anzuschauen. Dieses Kunststück bringst nur du zu Wege, weil du es schaffst, die Inszenierung so plastisch zu schildern, dass man förmlich alles zu sehen vermeint und - das betrifft jetzt mich - alles völlig plausibel findet, was bei mir sicher nicht der Fall wäre, würde ich "einfach so" auf diesen Tannhäuser los gelassen werden. Für dieses Talent, alles sofort zu erfassen und dechiffrieren zu können, hast du meine uneingeschränkte Bewunderung, das kann ich gar nicht oft genug betonen :jubel: :jubel: :jubel:
    lg Severina :hello:

  • Mit soviel positiver Resonanz habe ich wirklich nicht gerechnet - und bin auch ein wenig sprachlos darüber.


    Besonders freut mich, dass ihr alle Lust bekommen habt, euch die Vorstellung anzuschauen - was ja anscheinend nicht nur für den Essener "Tannhäuser" gilt, andere Berichte von mir haben offensichtlich eine ähnliche Wirkung.


    Zitat von Emotione

    Zitat

    Nach Deinem Bericht würde mir diese Aufführung bestimmt auch gefallen. Ich müsste eben alle bisher von mir gesehenen Tannhäuser vergessen und mich auf eine ganz neue Deutung einlassen


    Liebe Emotione,


    das finde ich total klasse - wenn Du sagst, Du hättest Lust, Dir das anzuschauen, auch wenn es mal was ganz anderes ist, als das, was man kennt. Genau so, wie Du das sagst: einfach mal bereit sein, sich auf was neues einzulassen, ein bekanntes Stück mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten - das macht, so finde ich auch Spass.


    Zitat von Elisabeth

    Zitat

    Langsam solltest Du Dir aber einen anderen threadtitel überlegen - "Kurznotizen" ist für Deine Beiträge eine maßlose Untertreibung


    Liebe Elisabeth,


    gerade beim "Tannhäuser" vom vergangenen Samstag habe ich gewusst, dass das ein längerer Beitrag wird - es gab soviel zu sehen und ich bin immer bemüht, genau zu schildern, was auf der Bühne abläuft und vor allem darauf zu achten, dass das, was ich berichte, noch logisch aufeinander folgt. Ich weiss ja, was passiert, der Leser oder die Leserin aber eben nicht, Lücken in der Berichterstattung sollten deshalb nicht vorkommen. Für den "Tannhäuser" habe ich tatsächlich, mit Pausen, den ganzen Sonntag gebraucht.


    Ich benutze die "Kurznotizen" deshalb gerne, weil die Berichte über Aufführungen schon relativ schnell an Aktualität verlieren. Da aber auch pfütz angeregt hat, vielleicht einen separaten Thread für meine Besprechungen aufzumachen, denke ich da mal drüber nach.


    Zitat von pbrixius

    Zitat

    Vielen Dank für Deine kenntnisreichen und detaillierten Beiträgen, denen man das beste nachsagen kann, was man Kritiken überhaupt nachsagen kann - dass sie Neugier und Interesse auf das besprochene Werk machen.


    Lieber Peter,

    danke für dieses schöne Lob - ich nehms mal als Ansporn :D !


    Zitat von severina

    Zitat

    Der Unterschied ist nur, dass die Berufskritikaster in mir nie den Wunsch wecken, sofort in den nächsten Zug zu springen und mir diese Produktion anzuschauen.


    Liebe severina,


    es gibt ja noch einen Unterschied zur normalen Zeitungskritik: man kommt miteinander ins Gespräch, man kann sich austauschen - über das Stück, über die Inszenierung, die Musik. Ich bin sehr gespannt, was pfütz über den Stuttgarter "Holländer" berichten wird und was noch an Beiträgen zum "Tannhäuser" kommt. yago müsste eigentlich auch schon drin gewesen sein oder dann in eine der folgenden Aufführungen gehen.


    Ansonsten würde ich sagen: wir müssten einfach öfter mal zusammen ins Theater gehen, dann könnten wir direkt über die Vorstellung reden und vielleicht das eine oder andere Rätsel schon im Ansatz lösen. Aber ich weiss schon: da liegen ein paar Kilometer dazwischen :D


    Jedenfalls kann ich hier schon versprechen: für den April sind im Moment 4 Vorstellungen geplant - und ich werde sicher das eine oder andere Wort darüber hier im Forum einstellen.


    :hello:

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  • hallo alviano,
    mein "tannhäuser-termin" ist erst am 22.mai,bis dahin muss ich mich noch gedulden.
    es wird mein erster tannhäuser,aber auch mein erster (live)-neuenfels.
    (die salzburger fledermaus,kenn' ich v. der fernsehübertragung u. die gefiel mir)
    lg yago
    (aber erst mal freue ich mich auf anna n. in einer woche)

  • Ich kann mich ja, wie schon oben gesagt, allem Lob nur laut anschliessen, fände es aber schön, wenn auch ein bisschen mehr über die Inhalte des von Alviano Geschriebenen diskutiert würde.
    Schliesslich ist diese Deutung ja mehr als kontrovers und jemand, der wie ich eher nciht nach Essen fahren kann und ein sehr gespaltenes Verhältnis zu Wagner hat, ist umsomehr an Diskussionen zum Gehalt der Inszenierung interessiert.
    Vielleicht und hoffentlich kommen die richtig in Gang , wenn mehr von uns die Aufführung gesehen haben.
    Eine Venus mit christlichen Ritualen und eine Madonna die bei Elisabeths Gebet auf der Bühne stirbt, dazu die Anspielungen auf Wagners Leben und Assoziationen zu anderne Opern dürften doch etliche Fragen und Kontroversen produzieren.
    Ich möchte gerne das gedankliche Konzept verstehen, das hinter dieser Inszenierung steht. Dass ich das versuchen kann/will , auch ohne sie zu sehen, ist sicher ein herausragendes Verdienst solcher intensiver Beschreibungen.


    Fairy Queen


  • Titania,


    solange ich den Essener Tannhäuser noch nicht gesehen habe, kann ich auch noch nicht so richtig mitdiskutieren... Ich verspreche aber, es zu tun, auch wenn es bis dahin Juni geworden sein wird, und es die letzte Aufführung in dieser Spielzeit ist.


    Und zum Holländer kam ich gestern abend nicht, meine Ergänzungen und Anmerkungen folgen aber bestimmt! Leider brauche auch ich dafür etwas mehr Zeit und Ruhe... Es soll ja nicht so "hingeschmissen" sein... ;-)


    Ob aber eine solche "Deutung" wie von Neuenfels in Essen "Kontroversen" auslöst, weiß ich nicht. Sie löst eher bei einigen "Abscheu" oder "Unverständnis" aus, und das wird dann als "kontrovers" betrachtet. Fragen stellt sie bestimmt, und ich denke, daß Alviano ja auch schon Einiges an Antworten und Erklärungen geliefert hat, das ist ja gerade das, was seine "Kurznotizen" zu "einladend" macht. Da wird in diesen "Kurznotizen" beschrieben, es werden Zusammenhänge erläutert, und es wird versucht, das Gesehene und die dadurch auftretenden Fragen zu erklären und zu beantworten. Und dies alles, ohne zu werten, sondern so, daß wir Leser es nachvollziehen können, und wir gespannt darauf sind, es selbst sehen zu wollen, um noch mehr mitzubekommen, und das schon Erklärte aus dem dann Gesehenen ebenfalls so deuten zu können (und hier kann dann die Diskussion aufkommen, ich habe in Stuttgart Einiges etwas "anders" gesehen und verstanden, habe aber das Programmheft zugegebenermaßen noch nicht gelesen, ich bin nämlich mehr der autofahrende Typ (auch wenn ich dienstlich mehr die Bahn nutze als das Auto, es ist einfach entspannender!), Alviano sitzt ja mehr in der Bahn, und hat dadurch etwas mehr Zeit für Vor- und Nachbearbeitungen...).


    Vielleicht würde es uns (im Augenblick wohl eher nur Alviano) helfen, wenn Du konkrete Fragen stellst, so wie Du es ja auch schon getan hast. Was also ist für Dich noch unklar an dem gedanklichen Konzept?


    Liebe Grüße,


    Matthias

  • Zitat

    Original von Alviano
    Jedenfalls kann ich hier schon versprechen: für den April sind im Moment 4 Vorstellungen geplant - und ich werde sicher das eine oder andere Wort darüber hier im Forum einstellen.
    :hello:


    Bei mir stehen Parsifal in Darmstadt (6.4.), Pelleas und Melisande in Berlin (13.4.), der Tamino-Stammtisch in Frankfurt (17.5.), Tannhäuser in Essen (7.6.) und Tannhäuser in Baden-Baden (25.7.) bisher auf dem Spielplan...


    Gruß,


    Matthias

  • Lieber Pfuetz, mich interessiert zuerstmal, ob es überhaupt so etwas wie ein stringentes gedankliches Konzept gibt oder verschiedene Regieeinfälle zusammenkommen und der Zuschauer sich dann seinen Reim drauf machen soll/darf/muss. Selbiges habe ich ja schon oft genug erlebt. Zumindest war mir da kein Konzept verständlich und sichtbar. Was auch an mir liegen kann, das gebe ich gerne zu.
    Hier weiss ich die Sache noch nciht in einen Rahmen zu ordnen, einzelne Fragen hat mir Alviano ja schon ausführlich beantwortet. Ich hfrage ienfach mal ganz naiv: worum geht es dem Regisseur in erster Linie? Um Religionskritik? Um Wagners Leben und Werk im Spiegel dieser Oper? Welche Deutung des Tannhäuser will er hier vermitteln?
    Zwischen abstossen und gut finden gibt es einfach unendlich viele Varianten und zwischen :jubel: und :kotz: als Kommentar erst recht.
    Ich warte gerne bis Juni und auch vorher wenn z.B. Zwielicht die Oper gesehen hat, auf weitere Deutungen.


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Eine Venus mit christlichen Ritualen und eine Madonna die bei Elisabeths Gebet auf der Bühne stirbt, dazu die Anspielungen auf Wagners Leben und Assoziationen zu anderne Opern dürften doch etliche Fragen und Kontroversen produzieren.



    Bei aller Liebe und Bewunderung bzgl. Alvianos Schreibstil: Ich bleibe dabei, solche Inszenierungen finde ich schlichtweg schrecklich!!!


    Ich mache drei Kreuze, dass ich nicht in Essen lebe und mir die Inszenierungen dort rein ziehen muss, wenn ich Oper mal wieder live erleben möchte. Als ich vor zwanzig Jahren an der Aalto Oper gearbeitet habe, kündigte sich der Verfremdungsstil an diesem Haus schon sehr massiv vor. Ich erinnere an den Hilsdorf'schen Troubadour, der mit Verdi nichts mehr gemein hatte. Mittlerweile kann man in essen ja nur noch derartige Inszenierungen sehen. Eine sehr einseitige Entwicklung.


    Aber Edwin, mich würde mal Deine Meinung zu diesem Tannhäuser interessieren.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Ich frage einfach mal ganz naiv: worum geht es dem Regisseur in erster Linie? Um Religionskritik? Um Wagners Leben und Werk im Spiegel dieser Oper? Welche Deutung des Tannhäuser will er hier vermitteln?


    Liebe Fairy,


    gerne nehme Deine Fragen auf, um nochmals einige Stichworte zum Regisseur und zur Aufführung zu geben.


    Neuenfels ist einer jener Regisseure, der über eine typische und wiedererkennbare Handschrift verfügt. Reinhard von der Thannen, der Bühnen- und Kostümbildner, beschreibt das im Programmheft zum "Tannhäuser" so: "Man sieht durch eine Zeit (Gegenwart) auf die Zeit des Komponisten (19. Jahrhundert) und dann wiederum noch weiter zurück auf die gedachte Zeit des Mittelalters. Dann taucht die Frage auf, wo und wie mischt man diese Zeiten?"


    (Das kann auch als Antwort auf die Frage verstanden werden, worum es Neuenfels bei seinen Inszenierungen geht: vom Heute aus betrachtet wird ein Stück nach seiner Substanz, nach seiner Bedeutung befragt.)


    Dazu kommen noch surreale Momente, die Neuenfels immer wieder schätzt - er war zeitweise Sekretär des Malers Max Ernst - das erklärt auch diese starken Bildwirkungen, die er zu erzielen in der Lage ist.


    Und, klar, es geht auch um Religionskritik, um die Frage nach dem Künstler in der Auseinandersetzung mit der ihn umgebenenden Gesellschaft und um den Komponisten des Stücks, der bei der Uraufführung des "Tannhäuser" knapp über 30 Jahre alt war und sich sicher mit seiner Titelfigur identifiziert hat.


    Das alles entwickelt Neuenfels aus dem Stück heraus - und er macht das sehr plausibel, auch im Einklang mit der Musik.


    Die grosse Könnerschaft von Neuenfels liegt genau darin, dass er den "roten Faden" nie verliert, auch da, wo er im Bild sehr viele verschiedene Aktionen zeigt und das Publikum damit klar fordert.


    Dies, wie gesagt, nur Stichworte - ich bin guter Hoffnung, dass wir das Thema nochmals aufgreifen werden, wenn mehr von uns die Aufführung gesehen haben.

  • So, nun möchte auch ich meine Eindrücke und Anmerkungen zum Stuttgarter Holländer kundtun:


    Zitat

    Original von Alviano
    In Stuttgart hatte am Freitag Wagners "Fliegender Holländer" Premiere - und sicher (noch) ein Novum: in der Urfassung aus dem Jahr 1841, einem breiteren Publikum von der CD-Einspielung unter Leitung von Bruno Weil mit der "Cappella Coloniensis" bekannt.


    Was allerdings bei Bruno Weil einige Berechtigung hatte, da er mit einem Orchester musizieren lässt, das mit historischer Aufführungspraxis bestens vertraut ist, geriet in Stuttgart eher zu einem dekorativen Moment. Die Unterschiede in der Instrumentierung, die Möglichkeiten, die dynamischen Bezeichnungen adäquat umzusetzen, nichts, was in Stuttgart so erlebbar wäre, wie in dem Mitschnitt aus der Essener Philharmonie.


    Ich kannte diese Version noch nicht. In der Einleitung, die 45 Minuten vor der Aufführung durch Xavier Zuber im Foyer des 1. Ranges gegeben wurde, wurden aber die wesentlichen Unterschiede in der Komposition erwähnt (er verwies uns explizit auf den anderen letzten Takt (wurde also später von Wagner geändert), damit wir auch richtig klatschen können, und nicht auf noch einen Akkord warten... ;-) ). Wie Alviano aber zu Recht bemerkt: Kaum hörbar, was auch der nicht so sauberen Spielweise des Orchesters zu "verdanken" war. Hier hat Alviano Recht: Ich habe schon besser spielende Profimusiker gehört. Aber auch schon schlechtere, es war also sozusagen gutes Mittelmaß. Ich selbst bin auch mehr der Inszenierung wegen nach Stuttgart, weniger der Musik wegen.


    Zitat

    Original von Alviano
    Der Dirigent Enrique Mazzola erwies sich als eher schwere Hypothek dieses Abends. Ein langweilig-uninspiriertes Dirigat war da zu erleben, das keinerlei Impulse für die Szene oder die Handlung zu geben vermochte. Manche Passagen kamen im Zeitlupentempo daher, bei Generalpausen stellte sich der Verdacht ein, der Dirigent sei sanft eingenickt, andere Momente wurden dann vorwärts getrieben - uneinheitlich war das alles und eigentlich der Inszenierung zuwider laufend. Deutliche Ablehnung aus dem Publikum für Enrique Mazzola war die Folge. Der Intendant Albrecht Puhlmann wäre gut beraten, auf Dirigenten wie Lü oder Mazzola zu verzichten - gerade bei Wagner spielte Stuttgart bisher in einer anderen Leistungsklasse mit, als das jetzt am Freitag zu hören war.


    Bei uns leitete Peter Schrottner das Orchester. Und diesen "wilden, uneinheitlichen" Eindruck kann ich nun nicht bestätigen. Ich höre von CD immer die Klemperer Version von 1968, das, was wir hören konnten, orientierte sich eher an Klemperer (will sagen: mir fielen nicht allzu viele Abweichungen von meinem "mental gespeicherten Klangbild" auf). Hier bist Du also erhört worden, Alviano!


    Zitat

    Original von Alviano
    Durchaus mit Spannung wurde die erste Inszenierung einer Wagner-Oper durch Calixto Bieito erwartet. Sie fiel verhaltener aus, als das möglich gewesen wäre, war aber gleichwohl eine interessante Auseinandersetzung mit einem bekannten Stoff und Bieito kann sich gewiss glücklich schätzen, einen so erfahrenen Dramaturgen wie Xavier Zuber an seiner Seite zu wissen, der gekonnt für den nötigen Unterbau der szenischen Realisation zu sorgen versteht. Seine Programmheftbeiträge sind immer des Lesens Wert - und dürften gerne ausführlicher ausfallen.


    Diese Lektüre habe ich noch vor mir, das 64 Seiten starke, und etwas größer als DIN-A5-Format habende Programmheft für 4,- EUR hat es aber auch in sich... ;-)


    Zitat

    Original von Alviano
    Während der Ouvertüre ist der Bühnenraum nach vorne komplett durch Milchglasfenster abgschlossen, hinter denen man Senta erkennen kann, die verzweifelt versucht, diesem Gefängnis zu entrinnen. Ihr Vater Donald erscheint, schlägt die Tochter, quält sie mit einer brennenden Zigarette. "Rettet mich" schreibt Senta auf die Milchglasfront, von anderen, teilweise schattenhaft grossen Männern umschlichen und beäugt.


    Und was hierzu noch zu erwähnen ist: In der Ouverture tauchen ja die verschiedenen Motive, für deren Nutzung Wagner ja berühmt ist, auf, und werden dramaturgisch genutzt. Die "schattenhaft großen Männer" z.B. tauchen dann auf, wenn die Seemannsliedermotive verwendet werden, der Vater beim "Daland/Donald" Motiv, etc.


    Zitat

    Original von Alviano
    Der Raum hinter dieser Milchglasfront wird von Aluminiumsäulen und -decken begrenzt, der Boden ist mit Sand bedeckt, grössere Pfützen sind erkennbar und Wasser tropft von der Decke.


    Ein riesiges Schlauchboot wird hereingezogen, der Steuermann, ganz in weiss als Varieté-Direktor gekleidet (stimmlich nicht immer zuverlässig: Heinz Göhrig), schwingt knallend eine Peitsche. Im Boot Finanzdienstleister unserer Tage mit den unvermeidlichen Aktenkoffern, derangiert, ausgelaugt, zerrieben zwischen den Börsen von Tokio, Zürich und New York, heimatlose und gestrandete einer kapitalistischen Gesellschaft.


    Einer von ihnen der Holländer, ein anderer Donald. Beide gehören zu einer Welt, wo Geld alles ist und es für Geld alles zu kaufen gibt. Der Unterschied: der Holländer will nicht mehr, er will raus aus dieser Welt, erlöst werden von den Mechanismen, nach der diese Welt funktioniert, Donald hat genau diese Mechanismen verinnerlicht. Der Holländer wünscht sich eine Heimat und eine Frau, Donald verkauft ihm das, was der Holländer sucht für entsprechende, finanzielle Mittel.


    Was hier zu erwähnen ist: Da alle gleich gekleidet sind, bis auf den Steuermann, der in Weiß daherkommt, ist beim ersten Blick auf die Bühne nicht klar, daß der Holländer schon "mit im selben Boot sitzt" und wer wer ist. Ebenfalls unklar bleibt hier noch, warum der Steuermann in Weiß daherkommt. Die Idee, daß alle im selben Boot sitzen (Einige der Mannschaft stehen oder sitzen aber um das Schlauchboot drumrum in den Pfützen), und damit eben alle Gefangene der gleichen Situation sind, ist mal verwirrend (der Holländer taucht ja gemäß "Drehbuch" erst später auf!), dennoch aber überzeugend. Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen den Gefangenen des "bürgerlichen Alltags" im Kapitalismus und den Gefangenen eines Fluches ihres Chefs (Mannschaft des Holländers).


    Zitat

    Original von Alviano
    Während des Holländer-Monologes überschüttet der Holländer sich mit Benzin - allerdings gelingt es ihm nicht, sich mit seinem Feuerzeug in Brand zu setzen. Er muss weitermachen.


    Es gibt kein Holländer-Schiff in dieser Inszenierung: stattdessen erscheint die Parodie eines bürgerlichen Idylls: ein winziges Häuschen mit Blumenkästen kommt auf Füssen herein, irgendwie obszön mit roten Glühbirnen bestückt - in dem ein Dämon lebt: ein kleinwüchsiger Dämon ist das (routiniert: Dirk Zalm), in einem märchenhaften Brautkleid mit einem Kranz im langen Blondhaar, gemein und perfide, ein Hohn für den Holländer in seinem Wunsch nach Bürgerlichkeit.


    Ich würde es anders beschreiben, und habe es etwas anders erlebt: Das winzige Häuschen habe ich als Bordell interpretiert (Hafenpuff, man denke an die Reeperbahn nachts um halb drei), denn zuerst kommen 3 weißgekleidete Bunnys aus diesem Häuschen und reizen die Mannschaft, bevor dann der Steuermann sich mit dem ebenfalls weiß gekleideten Damön (dem Schreckgespenst einer Prostituierten, ich dachte unwillkürlich an "1984" (oder war es "die schöne neue Welt" ? ), wo der "Held" nachts durch die Dunkelheit beim Besuch einer Straßendirne über das Alter dieser Dirne getäuscht wird), der später hervorkam, in dieses Häuschen zurückzieht (obwohl er ja Wacht halten soll!). Die, Harald Schmidt würde "Hupfdohlen" sagen, verbleiben wie alle anderen auf der Bühne während des Monolgs des Holländers. Beim Ruf nach dem schlafenden Steuermann kommt dieser schlaftrunken, und kleidungsmäßig derangiert aus dem Bordell wieder zum Vorschein und singt sein: "Ach liebes Mädel, blas noch mehr, mein Südwind... " Der Handel zwischen Donald/Daland und dem Holländer geht dann schnell vonstatten, das Ganze ist auch hier schon von Gier, Aggression und Un-Menschlichkeit geprägt.



    Dies war so von uns nicht zu erkennen. Der Holländer muß also am linken Rand stehen geblieben sein, wir saßen im 2. Rang, 1. Reihe Seite, und ich habe mich da dauernd gefragt: Wo ist denn der Holländer?


    Zitat

    Original von Alviano
    Dass der Holländer an solchen Äusserlichkeiten kein Interesse hat, ist dem Vater nicht klar. Ambivalent bleibt die Beziehung zwischen Senta und Holländer. Beide hoffen, dass der jeweils andere die Erlösung bieten kann, nach der sie suchen, eingelöst wird dieser Wunsch freilich nicht.


    Hochspannend die Szene, wo beide eine Art Blutbrüder(schwester)schaft eingehen: das sieht eher nach Borderline aus, nach Verletzung, vor allem, wenn Senta mit dem Messer über die nackte Holländerbrust schneidet.


    Wobei es mit den klassischen Querschnitten über die Arme beginnt, so wie wir es alle aus Winnetou kennen. Worauf Alviano hier, so denke ich, hinaus will, war für mich sehr deutlich nachvollziehbar: Die Steigerung der Aggression, die aus dem "unerfüllten gut-bürgerlichen Umfeld" erwächst, und sich nicht entladen kann, wird hier auch in dem mißlungenen Versuch einer Vereinigung sehr deutlich erlebbar. (Senta: "Er steht vor mir..." )


    Zitat

    Original von Alviano
    Der letzte Akt zeigt dann eine Welt, die aus den Fugen gerät. Zuerst wendet sich der Chor direkt ans Publikum, so, als sässen die Dämonen alle vor ihnen, dann öffnen sich die Saaltüren und der Gesang der Holländermannschaft dringt von hier, begleitet von heftigen Stroboskop-Gewittern, in den Raum.


    Auf der Bühne das Chaos, Menschen sind verzweifelt, reissen sich die Kleidung vom Leib, der Dämon lacht sein dreckiges Lachen.


    Und das empfand ich als absolut gelungen:


    Nicht der Holländer oder seine Mannschaft sind tot (denn das wird dort ja gesungen bei dem Beginn des Festes), sondern wir alle sind es.


    Hierbei wird extrem deutlich, worauf es wohl, so denke ich, Bieito ankommt:


    Nicht der Holländer ist "verrückt" (weil er ja Gott verflucht hat, und deswegen in seiner "mißlichen Lage" ist), nicht der geldgierige, raffsüchtige Donald/Daland ist gestört oder verrückt, sondern wir, das klassische, gute, "normale" Bildungsbürgertum, und dann darüber hinaus: Die Welt, so wie wir sie heute um uns herum kennen, ist tot.


    Meine Empfindung hierbei war: Ich habe den Wahnsinn des "Normalseins" noch nie so deutlich auf der Bühne gesehen (im Kino vielleicht bei Bunuel oder Haneke), und selbst an mir gespürt und erlebt: Hier sind die "Normalen" verrückt, und die "Verrückten" normal! Und das Ganze ist nicht auflösbar (deswegen sterben Senta und der Holländer ja auch nicht!)!


    Zitat

    Original von Alviano
    Am Ende dann schafft es Georg nicht, mit der Axt Senta zu töten, obwohl sie ihn, stolz und stark, dazu anhält. Wie es weitergeht, bleibt offen - nur der Vater wird tot in dem Gummiboot gen Bühnenhimmel gezogen. Ein Neuanfang der befreiten Senta?


    Daß das der Vater (also Donald/Daland) war, war mir nicht klar! Wichtig ist hier noch: Der tote Mensch in dem Schlauchboot hängt darin wie Jesus am Kreuz, und das auch über den ersten Applaus hinaus!


    Zitat

    Original von Alviano
    Es gibt rätselhafte Bilder in dieser Inszenierung - auch das Ende gehört dazu, der Blick des Zuschauers kann nicht überall zugleich sein. Gewissenhaft inszeniert Bieito die einzelnen Stationen dieses "Holländers" - Überzeichnungen inbegriffen, so wird im ersten Teil zuviel mit Geld um sich geworfen, auch dann noch, wenn schon klar ist, was gemeint ist.


    Langweilig ist das keine Minute, sehenswert allemal. Der Protest des Publikums deutlich, aber auch vehemente Zustimmung war da zu hören.


    Buhrufe habe ich nur ein paar ganz leise vernommen (wenn ich nicht so genau darauf geachtet hätte, hätte ich es nicht gehört!), die Zustimmung war groß, es gab mehr Bravorufe als Buh-rufe.



    Dem ist nicht viel hinzuzufügen, außer, daß ich den Steuermann von Heinz Göring besser fand als Du, Alviano.


    Ich hoffe, ich habe weitere Informationen geben können, mir hat es von der Inszenierung sehr gut gefallen, die Steigerung der Aggression des Normalseins bis hin zur Nicht-Auflösbarkeit am Ende gelang, und auch die Musik paßt dazu.


    Matthias

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