Kurznotizen aus den Opernhäusern!

  • Ich möchte an dieser Stelle mal eine Lanze für die Deutsche Oper Berlin brechen. Sicher ist hier in der Vergangenheit einiges schief gelaufen. Den beiden anderen Häusern verzeiht man Fehler. Bei Pannen an der DOB heisst es sofort: "Schon wieder die DOB ..." Das ist nicht fair. Das Haus präsentiert die meisten interessanten Gäste und ist von den Besetzungen her wesentlich abwechslungsreicher als die Staatsoper. Man hat allerdings über Jahre hinweg versäumt, ein wirklich gutes Ensemble aufzubauen, mit dem man, wie die Staatsoper, viele Aufführungen besetzen kann. Auch Thielemann hat nichts zur Verbesserung dieses Umstandes beigetragen.Das Orchester der DOB muss offenbar gefordert werden, um grossartige Leistungen zu erbringen. Stehen gute Dirigenten wie Thielemann (ist ja noch nicht so lange her), Runnicles, Zedda oder Nelsons am Pult, erlebt man Aufführungen auf sehr hohem Orchester-Niveau.


    Kritiker erleben die Opernhäuser oft nur bei Premiere oder bei wichtigen Gästen. Manche gute Repertoire-Aufführung bleibt dabei völlig unbeachtet. Dafür wird das Haus nach dem nächsten Premieren-Flop wieder niedergemacht. Sicher, muss sich die Leitung des Hauses an den Neuproduktionen messen lassen, aber eben nicht nur.


    Beänstigend ist jedoch die Naivität, mit der man zu Werke geht. Für Germania 10 Aufführungen anzusetzen, die zum Teil sehr leer waren, spricht nicht gerade für eine realistische Einschätzung der Situation. Als Flop würde ich diese Produktion dennoch nicht bezeichnen. Da wird gerne das wiederholt, was alle sagen. Auch die Premieren-Besetzungen der nächsten Spielzeit sind leider so, dass man höchstens einmal reingeht, um die Produktion gesehen zu haben.


    Christine Lemke-Matwey schreibt meiner Meinung nach recht populistisch und z. T. falsch. Im Tagesspiegel hat sie in ihrer Kritik behauptet, Manuela Uhl wäre von den eigenen Leuten in der GP ausgepfiffen worden und hätte das Handtuch geworfen. Richtig ist, dass sich nach ihren Arien keine Hand gerührt hat. Die Bohème-Produktion gehört zu den belibtesten Produktionen des Hauses und verbleibt hoffentlich noch lange im Repertoire. Zu den Gardroben-Frauen und den Türstehern möcht eich anmerken, dass hier leider viele bekannte Geischter, die mit Herzblut ihren Job gemacht haben, nicht mehr da sind und z. T. durch 1-Euro-Jobber ersetzt worden sind (und die sind nicht alle jung, eher im Gegenteil). Falsch ist übrigens auch die Aussage, José Cura hätte in Cavalleria gesungen. Das hat er im Bajazzo.


    Ob Renato Palumbo die richtige Besetzung als GMD ist, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Die Rechnung, neue Stars machen zu wollen (die oft aus der Agentur kommen,die ihn vertritt), geht bisher nicht auf. Auch scheint seine Verpflichtung im Hinblick auf die Stückauswahl der Intendantin nicht gerade plausibel. Unstrittig ist sicher, das es einen ganzen Haufen ordentlicher Dirigenten gibt, die ihre Sache sicher nicht schlechter machen würden.


    Dennoch lohnt der Weg in die DOB. Ich kenne übrigens Leute, die vielmehr die Staatsoper boykottieren. Selber schuld.

  • Zitat

    Original von Alviano
    Für mich bleibt, nach wie vor, Stuttgart das Opernhaus, das ich persönlich für das spannendste in Deutschland halte.


    Da kann ich dir nur zustimmen, Alviano. Die zahlreichen Auszeichnungen kamen schliesslich nicht von alleine. :jubel: :jubel: :jubel:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Hallo Alviano,



    Zitat

    Original von Alviano
    Der "Spiegel" widmet in seiner neuesten Ausgabe dem Opernhaus Essen einen Bericht, in dem der - von mir wenig geschätzte - Rezensent Klaus Umbach der Essener Oper "europäisches Spitzenniveau" bescheinigt.


    den pseudokritischen und ranschmeißerischen Umbach-Schreibstil hat Eckhard Henscheid mal hervorragend karikiert. Ich lese den "Spiegel" nur noch relativ selten, aber das Thema interessiert mich natürlich und außerdem könnte man sich mal wieder gepflegt über Umbach aufregen... :D



    Zitat

    Bleibt die Frage, ob Essen tatsächlich andere Opernhäuser in Deutschland überrundet und einen Spitzenplatz einnehmen kann.


    [...]


    So würde ich das Opernhaus Essen einschätzen: als Anwärter für eine gute Position unter unseren Opernhäusern im oberen Bereich - aber noch nicht für die "Opernhauptstadt" (so Umbach in seinem Schluss-Satz).


    "Opernhauptstadt" halte ich auch für typisch Umbachschen Blödsinn. Wie so oft kommt es doch auf die Kriterien an: möglichst großes und/oder originelles Repertoire, berühmte und/oder hervorragende Chefdirigenten, Sänger, Orchester, Regisseure (wobei die Bewertungen bekanntlich sehr unterschiedlich ausfallen können), durchgehend hohe Qualität auch der Repertoireaufführungen, Einklang von musikalischer und szenischer Interpretation, Ambiente und Tradition, Akustik etc. etc.


    In vielen dieser Punkte haben andere (größere) Opernhäuser in Deutschland die Nase vorn. Essen punktet sicher nicht mit einem besonders großem oder originellen Repertoire und (wie Du schon gesagt hast) auch nicht mit überragender sängerischer Qualität. Es hat mit Soltesz einen Chefdirigenten als Intendanten, der zumindest das Repertoire des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gut bis hervorragend dirigiert, ein inzwischen wirklich ausgezeichnetes Orchester und bei Regisseuren und Bühnenbildnern eine klar zum qualifizierten "Regietheater" tendierende Richtung, sehr avanciert mit interessanten Namen (Herheim, Kosky, Mielitz, Knabe, dazu der immer solide inspirierte Haudegen Hilsdorf für die Verdi-Stücke; wunderbar auch die - leider einzige - Konwitschny-Inszenierung von Straussens problematischer "Daphne"). Soweit ich das beurteilen kann (ich besuche die Essener Oper schon seit über zehn Jahren immer mal wieder, aber nicht sehr häufig) halten sich die Qualitäten auch im Repertoirealltag auf hohem Niveau. Außer dem "Tristan", den wir ja schon an anderer Stelle diskutiert haben, habe ich vor zehn Tagen eine von Soltesz glänzend einstudierte und (was bei dieser Oper bekanntlich nicht einfach ist) fast perfekt dargebotene "Falstaff"-Wiederaufnahme mit hervorragendem Orchester und passablen Sängern in einer sehr überlegten und zum Glück nicht klamauklastigen Hilsdorf-Inszenierung gesehen.


    Die Identifikation des Essener Publikums mit seinem Opernhaus (der Aalto-Bau ist sicherlich der gelungenste Neubau unter allen Opernhäusern der Nachkriegszeit), seinem Intendanten und dessen Spielplanpolitik ist unüberhörbar (wobei Presse und Publikum im Ruhrgebiet leider manchmal zu einer gewissen Selbstzufriedenheit neigen - ich bin dort aufgewachsen und weiß, wovon ich spreche).


    Wenn man schon ein Ranking erstellen will, überflügelt Essen wohl zur Zeit von der Größe vergleichbare Opernhäuser (Nürnberg) bei weitem und rangiert wohl auch vor etwas größeren wie Düsseldorf/Duisburg oder Köln. Frankfurt verfolgt sicher eine interessantere und vielfältigere Spielplanpolitik und ist wohl auch bei fast allen anderen Faktoren als mindestens gleichwertig mit Essen einzustufen.


    Zitat

    Für mich bleibt, nach wie vor, Stuttgart das Opernhaus, das ich persönlich für das spannenste in Deutschland halte.


    Ich hab es ja leider in dieser Saison nach wie vor nicht nach Stuttgart geschafft. Es bleibt abzuwarten, ob der Elan der Zehelein-Jahre unter Puhlmann gehalten werden kann (und ob Manfred Honeck das Amt des GMD wirklich ausfüllt). Dass die Aussicht auf zahlreiche Bieito-Inszenierungen (offenbar ist ja einiges an Wagner geplant?) Dir den Mund wässrig macht, kann ich mir aber schon vorstellen ;).


    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich habe gestern einen Abend in der Hamburger Staatsoper verbracht:


    Giuseppe Verdi
    Un Ballo in Maschera

    Musikalische Leitung: Karen Kamensek
    Inszenierung: Alexander Schulin


    Gustavo III: Massimilano Pisapia
    Renato: Ambrogio Maestri
    Amelia: Michèle Crider
    Ulrica: Elena Batoukova
    Oscar: Irena Bespalovaite u. a.


    Gute Aufführung, gelungene Inszenierung (vom 08.04.2001), gute Gesangsleistungen besonders von Maestri (beeindruckende Stimme) und Bespalovaite (Gesang sehr gut, Schauspiel ebenso; sehr frisch und gut aufgelegt).


    Einschränkend muß ich aber das Dirigat der sehr jungen Frau Kamensek (ich glaube GMD Freiburg) bewerten. Zum Teil zu undifferenziert - Bläser (Holz und Blech) zu laut, Streicher ungenau und zu leise; der eigene Stempel fehlte meines Erachtens. Außerdem hatten es Batoukova und zum Teil Pisapia sowie Crider manchmal sehr schwer gegen das laute Orchester anzusingen.


    Trotzdem ein Erfolg.


    Kurze Anmerkung: Ich finde es nicht gut, wenn sich Orchestermitglieder während der Aufführung unterhalten, Kaugummi kauen oder ihre Finger in bestimmte Körperteilen eingraben! Das ist der Hamburger Staatsoper und einer "Gastdirigentin" unwürdig. Ich hoffe, einer der Verantwortlichen stellt das ab.


    Bis dann.

    4 Mal editiert, zuletzt von keith63 ()

  • Die Stücke von Alexander von Zemlinsky gehören leider nicht zu den häufiger aufgeführten Werken unserer Opernhäuser, umso erfreulicher, dass gestern in Frankfurt die beiden Einakter "Eine florentinische Tragödie" und "Der Zwerg" (beide gehen zurück auf Vorlagen von Oscar Wilde) Premiere hatten und im kommenden Monat die Bismarckstrassen-Oper in Berlin mit dem "Traumgörge" folgen wird.


    Die "florentinische Tragödie" erzählt eine klassische Dreiecksgeschichte: ein Kaufmann kommt von einer Reise zurück und findet bei seiner daheimgebliebenen Frau einen Fremden vor. Schnell merkt der Kaufmann, dass zwischen seiner Frau und dem Fremden etwas läuft. Die Frau fordert ihren Liebhaber dazu auf, ihren Mann in einem Duell zu töten. Es kommt anders: der Kaufmann erwürgt den Liebhaber seiner Frau. Die beiden Eheleute finden nach dieser Tat in einem Kuss zueinander.


    Das Sujet passte in die damalige Zeit (UA 1917): da war schwül-erotisches, gepaart mit Dekadenz schwer "in" (man denke an "Salomé"), auch wenn sich darüber mancher heftig erregen konnte.


    In Frankfurt führte der Schaupieler Udo Samel Regie und er verlegte die Handlung aus dem Florenz des 16. Jahrhunderts in die Zeit der Uraufführung. Man sieht einen grossen Salon, holzgetäfelte Wände, in der Mitte des Raumes einen reichgedeckten Tisch. Zu Beginn der Handlung sieht man zwei Liebesgötter, Amor, splitterfasernackt, und Aphrodite, wie sie Bianca, der Ehefrau einen Schleier umhängen. Simone, der Ehemann, sitzt vor einer grossen Modelleisenbahn, Guido, der Liebhaber, bemüht sich etwas steif um die Dame des Hauses.


    Wie lange die drei schon so zusammen sind, man kann es nur ahnen. Die Handlung entwickelt sich dann eher zäh, manches wirkt unbeholfen - am ehesten wird noch der Simone als Figur spürbar.


    Am Ende, wenn der Liebhaber tot ist, wird Bianca nicht, wie vorgesehen, ihrem Mann in die Arme sinken - sie wird Simone erdolchen.


    Die sängerische Hauptlast des ca. einstündigen Werkes trägt der Bariton Robert Hayward als Simone. Er fängt verhalten an, steigert sich aber zunehmend und gewinnt an Sicherheit.


    Carsten Süß, von Haus aus eher ein Tenorbuffo, wagt sich hier erstmals an eine jugendliche Partie heran - und bleibt ihr vieles schuldig. Die Höhe ist angestrengt und blass, das Volumen schmal, der Ausruck eher schwach.


    Claudia Mahnke, die Ehefrau Bianca, ist die wortverständlichste der drei und füllt ihre sängerisch eher kleine Partie zuverlässig aus.


    Der "Zwerg" erzählt die Geschichte einer Infantin, die zum Geburtstag einen Zwerg geschenkt bekommt, der furchtbar hässlich ist. Man hat dem Zwerg erzählt, er sei ein schöner Ritter - und da er sich noch nie selbst gesehen hat, glaubt er das auch. Der Zwerg ist ein Künstler, der Dichten und Singen kann. Aber er erreicht die Prinzessin nicht: sie sieht in ihm nur ein Spielzeug, dem sie Liebe vorgaukelt, um Spass zu haben. Es kommt, wie es kommen muss: der Zwerg entdeckt zufällig sein Spiegelbild, merkt, welches Spiel mit ihm gerieben wurde und fleht die Prinzessin an: "Sag, dass es nicht wahr ist, dass ich nicht hässlich bin". Die Prinzessin denkt nicht daran. Als der Zwerg am gebrochenen Herzen stirbt, bedauert die Prinzessin nur, dass ihr Spielzeug kaputt ist.


    Die Bühne zeigt einen grossen, weit offenen Saal mit vielen Spiegeln an den Wänden, die vor dem Auftritt des Zwergs verhängt werden. Das Stück ist wieder der Uraufführungszeit angenähert, beim Geburtstagsbild tragen aber die Prinzessin und ihre Hofdamen bewusst etwas bilderbuchhafte Kleider aus dem Spanien des 17. Jahrhunderts.


    Der Zwerg ist kein Zwerg sondern ein eher zartgliedriger Mann im schwarzen Einheitslook. Er wirkt in der künstlichen Umgebung als einziger natürlich.


    Leider bewältigt Samel das Stück nicht wirklich - über weite Strecken wird gestanden, selbst einige Gänge sind unmotiviert, es ergibt sich keine wirkliche Spannung.


    Herausragend Peter Bronder als Zwerg - bemerkenswert, wie er sich auch an den Stellen zu helfen weiss, wo seine Stimme an Grenzen stösst. Deutlich schwächer, allein schon wegen der undeutlichen Aussprache, die Prinzessin von Juanita Lascarro.


    Die Musik von Zemlinsky erinnert an Schreker, ohne dessen "Mischklang" (wo riesige Klangflächen erzeugt werden, die seltsam schillern können, wo einzelne Instrumente aus einem Klangteppich hervorteten und wieder verschwinden) wirklich zu imitieren, aber die Ähnlichkeiten sind auffällig. Der Dirigent der Frankfurter Aufführung, Paul Daniel, ging beherzt und zupackend zur Sache, liess die Musik aufblühen und verglimmen - das war sehr gelungen. Das Frankfurter Orchester war bemüht, die doch ungewohnte Partitur gut umzusetzen.


    Ein durchwachsener Abend also - der aber hoffentlich Lust auf Zemlinsky macht. Wie nicht anders zu erwarten blieben arg viele Plätze im Zuschauerraum leer.

  • war am sonntag im landestheater linz:


    philip glass: orphée


    inszenierung: daniela kurz
    leitung: dennis russell davies
    orphée: martin achrainer
    princesse: gotho griesmeier
    eurydice: anja-nina bahrmann
    heurtebise: iurie ciobanu


    zurecht ist diese produktion am landestheater linz ein großer erfolg. rundum stimmig präsentiert sich der abend unter der leitung des linzer musikchefs dennis russell davies.


    die inszenierung wartet mit netten einfällen auf: die sänger bewegen sich großteils auf "rollwägen", die ein kulissenhaftes bühnenbild ersetzten und wodurch die szenerie sehr schnell gewechselt werden kann. durch das dauernde herein- und hinausschieben der wägen ist immer "was los", was bei glass, sagen wir, nicht gerade sehr abwechslungsreicher musik nicht unwesentlich ist.


    das durchwegs junge sängerensemble agiert vor allem schauspielerisch beeindruckend. sängerisch darf man in linz natürlich keine glanzlichter (im internationalen vergleich freilich) erwarten, jedoch meistern zumindest die protagonisten ihre rollen mit bravour. allen voran martin achrainer und anja-nina bahrmann, die sehr gediegene leistungen abliefern. gotho griesmeier (prinzessin) hat anfangs leichte stimmprobleme, die sie aber nach und nach ablegt. ihre höhe ist für meinen geschmack etwas zu schrill, jedoch singt sie sehr ausdrucksstark und bietet auch schauspielerisch einiges.


    ich habe bis jetzt noch nicht wirklich intensiven kontakt mit der musik philip glass gehabt. das wird sich auch nach diesem abend vermutlich nicht ändern. zu eintönig und harmlos plätschert die musik vor sich hin. durchwegs tonal, wie immer aus kleinen zellen zusammengesetzt, die sich in jeder szene etwas verändern und den typischen glass-sound ergeben. das problem sind imo weniger die gesangslinien (die würden schon passen), sondern die orchesterbegleitung, die im gesamten recht einfach und zuweilen banal wirkt. zwar gelingen ihm in einigen passagen auch hörbare emotionalisierungen der handlung vom orchester aus (z.b. 2.akt, als orphee nach eurydices tod erneut in die unterwelt kommt), jedoch bleiben das einzelfälle. bei mir überwiegt der eindruck einer handwerklich ordentlich gemachten, aber nicht sonderlich inspierierten musik.


    im gesamten ein schöner abend, kann ich durchaus mal empfehlen.


    greetings, uhlmann

  • Hier vielleicht mal ein etwas exotischer Beitrag, der gleich mit einer Frage verbunden ist, wofür ich gleich um Nachsicht bitte.
    Wie werden diese Opernhäuser Italiens eigentlich in deutschen Sprachraum wahrgenommen? Für Ioan Holender zählt die Scala nicht zu den wichtigsten Opernhäusern der Welt. Es handelt sich natürlich um "Stagione" Opernhäuser. Hier die wichtigen Häuser Italiens:


    La Scala di Milano
    http://de.wikipedia.org/wiki/Teatro_alla_Scala_di_Milano
    http://www.teatroallascala.org/public/LaScala/EN/index.html


    Opernhaus La Fenice Vendig
    http://www.virtualcity.de/lafenice/historie.htm
    http://de.wikipedia.org/wiki/Teatro_La_Fenice
    Über dieses Haus sagte Joan Sutherland, es sei jenes, das sie am meisten liebe.


    Opernhaus Teatro Massimo Palermo
    http://de.wikipedia.org/wiki/Teatro_Massimo_(Palermo)


    Teatro San Carlo Neapel
    http://de.wikipedia.org/wiki/Teatro_San_Carlo


    Ich hoffe, man nimmt mir den Einwurf nicht all zusehr für übel.


    LG Micha :angel:

  • In dieser Woche trifft sich "le tout Paris" im Chatelet.


    Der Grund: Renée Fleming singt (lt. Programm in einer Robe von Christian Dior) in 3 konzertanten Aufführungen die Thais.


    Kurz gesagt, sie sang wunderbar, wurde auch sehr gefeiert - aber das Kleid war sehr hässlich, sie war in eine Art Fischschwanz eingenäht und konnte sich kaum bewegen.
    Gerard Finley war ein sehr beeindruckender Athanael und auch die kleinen Rollen waren mit sehr jungen Sängern gut besetzt. Nur der Sänger des Nicias war weniger souverän, er war auch als Einspringer angekündigt worden und sang mit Noten.
    Die Chorpartie war dem Chor Accentus (Ltg. Laurence Equilbey) übertragen worden.


    Das Orchestre de Paris musizierte unter der Leitung von Christoph Eschenbach sehr engagiert und besonders Philippe Aiche, der Konzertmeister bekam ebenfalls Ovationen für sein wunderbares Violinsolo.


    Ein wunderschöner Abend - allerdings ist Thais m.E. nicht unbedingt ein Werk, dass durch eine konzertante Fassung gewinnt.


    Herzlich grüsst LaCastafiore

  • Hallo Michael,


    Zitat

    Original von Michael
    Für Ioan Holender zählt die Scala nicht zu den wichtigsten Opernhäusern der Welt.


    Hat Holender eine Begründung für diese Einordnung geliefert ?


    Gruß
    Sascha

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Antracis
    Hallo Michael,
    Hat Holender eine Begründung für diese Einordnung geliefert ?


    Gruß
    Sascha


    Leider nein, Sascha, es ging um das Opernhaus Zürich, das er immer besser findet, und er nannte als die wichtigsten: die WSO Wien, die Opéra Garnier Paris, die MET in NY, und mit Vorbehalt das Covent Garden, London.
    LG Micha

    Einmal editiert, zuletzt von Michael ()


  • Auf Radio Ö1 laufen relativ oft Übertragungen aus der Scala, und die reißen mich selten wirklich vom Stuhl. (Gut, das sagen wahrscheinlich auch viele von der WSO ;) ) Die Inszenierungen dürften auch eher von der Art sein, die dich nicht begeistern würden.
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von Michael


    Leider nein, Sascha, es ging um das Opernhaus Zürich, das er immer besser findet, und er nannte als die wichtigsten: die WSO Wien, die Opéra Garnier Paris, die MET in NY, und mit Vorbehalt das Covent Garden, London.
    LG Micha



    Ob der Aussage von Holender (die taktische Gründe haben kann und wird) eine erhöhte Relevanz zuzuschreiben ist, mag bezweifelt werden. Opernprofis und -liebhaber aus dem deutschsprachigen Raum neigen aber generell dazu, auf Länder und Häuser mit Stagione-System herabzublicken und am Repertoirewesen die Welt genesen zu lassen. Die Nachteile eines Stagione-Spielplans (weniger Aufführungen, weniger Werke) sind ja auch kaum zu übersehen, die Defizite des Repertoiresystems aber auch nicht: in den schlimmsten Fällen kommen auch an den größten Opernhäusern die ungeprobten und mit professioneller Routine heruntergespielten Aufführungen einem Verbrechen an den gespielten Werken nahe. (Ich finde nach wie vor die Qualität der Aufführungen wichtiger als die Quantität und würde persönlich eine Mischform aus Repertoire und Stagione bevorzugen.)



    Zitat

    Original von severina
    Auf Radio Ö1 laufen relativ oft Übertragungen aus der Scala, und die reißen mich selten wirklich vom Stuhl. (Gut, das sagen wahrscheinlich auch viele von der WSO ;) ) Die Inszenierungen dürften auch eher von der Art sein, die dich nicht begeistern würden.
    lg Severina :hello:


    Immerhin hat nach der letzten Krise jetzt offenbar Stéphane Lissner, der schon die Festspiele in Aix erfolgreich geleitet hat, für eine Konsolidierung gesorgt. Das bedeutet auch, dass die unter Muti dominierenden konservativen Inszenierungen zurückgedrängt werden. Zur Inaugurazione hat es ja noch (Lissner ist Diplomat) die Zeffirelli-Aida gegeben, ansonsten stehen aber Namen wie Luc Bondy, Nikolaus Lehnhoff, Robert Carsen, Peter Mussbach, Richard Jones und Stéphane Braunschweig durchweg für mehr oder weniger avancierte Spielarten des "Regietheaters" (wobei es sich allerdings größtenteils um Übernahmen resp. Koproduktionen handelt). Das Stagione-System bringt es immerhin mit sich, dass Dirigenten wie Chailly, Harding, Barenboim, Maazel und Chung genügend Zeit für Proben zugestanden wird (Holender musste immerhin kürzlich im Interview der Süddeutschen Zeitung zugeben, dass die Wiener Praxis, bei jeder Aufführung der gleichen Serie einen anderen Solo-Oboisten, -Fagottisten etc. am Pult sitzen zu haben, nicht optimal sei und viele Dirigenten abschrecken würde. Jansons mussten für einen Auftritt in der Staatsoper offenbar ganz andere Probenbedingungen zugesagt werden).


    Viele Grüße


    Bernd


  • Dazu ein kleines Feedback:


    Ende 1995 war ich Im Teatro Massimo in Palermo: Lo Schiaccianoci (Der Nussknacker, Ballett).


    Mangels größerer Balletterfahrungen fand ich es "ganz nett". Ein paar Wochen später sah ich den Nussknacker in Baden-Baden (eine Truppe aus St. Petersburg, vermutlich sehr renommiert, hat jedenfalls doppelt so viel wie in Palermo gekostet): Zwei Klassen besser.


    Zwei Monate später dann "Schwanensee" in Dortmund, nur geringfügig teurer als Palermo, aber ebenfalls zwei Klassen besser.


    Vorläufiges Fazit: Palermo kann nicht mithalten.


    Demnächst werde ich in Genua "La forza del destino" sehen (im Vergleich zu Essen, wo es sehr gut war). Ich werde berichten...



    Thomas Deck


  • Lieber Thomas: Ballett ist in Italien nicht so toll: zumindest, wenn man den Aussagen großer Ballerinen Glauben schenken kann, wie etwa der Carla Fracci oder der Alessandra Ferri, die ja internationalen Ruf erlangten: sie waren alle in russischen Ballettschulen (Moskau und St. Petersburg), wo sie sich wirklich perfektioniert haben, und dazu kann man vielleicht sagen, dass klassisches Ballett nicht nur eine irre lange und harte Ausbildung erfordert, sondern oft auch eine eher kurzlebige Karriere bietet, abgesehen von einigen Ausnahmen. Mir ist nur noch eine Elevin des Balletts der WSO in Erinnerung geblieben, die da mit blutenden Zehen und Pflästerchen interviewt wurde. Fazit: vielleicht nicht jedermanns Sache, zumal wenn man in so einem sonnigen und schönen Land lebt, wie Italien. Ich persönlich kenne nur das Ballett der Scala, das Tänzerinnen von Weltruf hervorgebracht hat, und dies sicher auch durch das Engagement von Rudolf Nureyev, der ja mehrmals an der Mailänder Scala aufgetreten ist, und sich in Italien ja auch mit dem Kauf von Haus und Grund (in Positano - Küste von Amalfi) heimisch gemacht hat.
    LG Micha

  • Lieber Thomas, im italienischen Fernsehen wurde eine ausgiebige Dokumentation über die Ferri ausgestrahlt, die auch im Netz in italienische Sprache nachzulesen ist. Der Länge des Textes wegen, sehe ich mich nicht in der Lage, diesen hier in deutscher Sprache wiederzugeben. Sie dürfte wohl an das Niveau der großen Pina Bausch heranreichen, wenn sie so weitermacht, und sie arbeitet in Mailand auch an der Ausbildung begabter Tänzer, auch und nicht zuletzt im modernen Fach. Ein leider etwas „schmaler“ Link in deutscher Sprache über sie vielleicht:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Alessandra_Ferri
    In englischer Sprache gibt es einen ausführlicheren Link:
    http://www.ballerinagallery.com/ferri.htm


    LG Micha

  • Guten Tag


    habe eben die Orchesterhauptprobe der Legrenzioper "Il Giostino", die im Rahmen der Schwetzinger Festspiele 2007 aufgeführt wird, gesehen.
    Thomas Hengelbrock, seine Solisten und sein Balthasar-Neumann Ensemble haben eine meisterliche Leistung erbracht. Für Freunde der Barockoper ein "Muss" ! :jubel: :jubel:
    Obwohl von dieser 1683 in Venedig uraufgeführten Oper nur die Sing- und Baßstimmen erhalten sind, konnte man eine anwechslungsreiche instrumentierte Fassung (Streicher, Trompete, Blockflöten; reichhaltiges Continuo mit 2 Cembali, Truhenorgel, Regel, Harfe, Theorben etc.) hören.
    Über die Inzenierung, Kostüme und das Bühnenbild darf man streiten;
    mir hat´s gefallen :jubel: :jubel:


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard


    ("Il Giostino" wird am Do. 26.4; Sa. 28.4; So. 29.04. und 01.05. im Rokokotheater aufgeführt; ein Besuch lohnt sich !)

  • 15 Jahre ist es her, dass Iphigenie von der Göttin Diana auf die Insel Tauris geschickt wurde, um ihrem Tod zu entgehen. Auf Tauris herrscht König Thoas, dem prophezeit wurde, dass er von der Hand eines Fremden getötet wird. Um diesem Schicksal zu entgehen lässt Thoas alle Männer, die auf der Insel landen, töten. Die Tötung der Fremden ist die Aufgabe der Iphigenie, unterstützt von den Priesterinnen der Diana.


    Beim Aufgehen des Vorhangs sieht man ein riesiges, graues Wandfries, vor dem Iphigenie im grauen Anzug mit dem Rücken zum Publikum steht. Sie hat ein Messer in der Hand, ihr Kopf ist gesenkt.


    Über der Szene hängt kopfüber ein gefesselter Mann in Unterwäsche, der über der Opferstätte pendelt. Mit Einsatz des Sturmes im Orchester senkt sich der Körper herab, Iphigenie schneidet dem Mann die Kehle durch, lässt ihn ausbluten und verbrennt die Überreste in einem Container.


    Im nächsten Moment stürzen die Priesterinnen herein, kurz darauf die Soldaten des Thoas, die neue Opfer, entkleidet bis auf die Unterhose und mit einer Plastiktüte über dem Kopf, hereintreiben. Die Soldaten sehen so aus, wie die Soldaten wohl im Moment überall auf der Welt aussehen. Und die Bilder, die der Regisseur Barrie Kosky zeigt, erinnern nicht zufällig an Abu Ghuraib oder Guantanamo. Iphigenie wird allen die Kehle durchschneiden, die Priesterinnen fangen das Blut in Schalen auf und die Soldaten fotografieren das Ganze.


    Als Iphigenie zögert und sich fast zärtlich an die Brust eines der Opfer legt und sich wünscht, nicht mehr töten zu müssen, erschiessen die Soldaten zwei, drei Priesterinnen um Iphigenie zu zeigen, was mit ihr passiert, wenn sie nicht tut, was von ihr erwartet wird. Das Morden an den Fremden geht weiter.


    König Thoas, mit seidenem Morgenmantel über der Army-Hose, ist schon wahnsinnig geworden - oder hat sich mit Klebstoff das Hirn aus dem Kopf geschnifft. Sein ganzer Auftritt ist von einem brutalen Irrsinn gekennzeichnet.


    Pylades und Orestes werden von den Soldaten hereingetrieben, auch ihre Köpfe stecken in Plastiktüten, man zieht ihnen die Hosen herunter, foltert sie mit brennenden Zigaretten, die auf ihren Körpern ausgedrückt werden und die Soldaten urinieren auf sie.


    Diese ersten 20 Minuten sind in ihrer massiven Direktheit nur schwer auszuhalten - aber gerade deshalb unglaublich stark in der Wirkung.


    Kosky tut gut daran, ab dem jetzt folgenden 2. Akt die Familientragödie (unter Einbeziehung des Pylades, der als Orestes Lover ja irgendwie zur Familie gehört) stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Da entstehen tolle Bilder, u. a. weil er Klytämnestra und Agamemnon als greise Spukgestalten die Szenen begleiten lässt. Die beiden alten sind nackt bis auf eine Unterhose, sie halten Händchen, tanzen zu der genialen Musik von Gluck oder nehmen auch schon mal tröstend den Kopf ihres Sohnes auf den Schoss.


    Folgerichtig sind die Furien, die Orestes quälen, Klone von Agamemnon und Klytemnästra, die auch Bezug auf den inzestuösen Charakter der Atriden beziehen.


    Die schwule Beziehung zwischen Pylades und Orestes wird unterstellt, ohne dass der Regisseur das stärker akzentuieren würde. Das ist insofern schade, weil die enorme Körperlichkeit der Darsteller nach einer entsprechenden, szenischen Auflösung verlangt.


    Wenn Iphigenie dann Pylades wegschickt, um ihrer Familie einen Brief über ihren Verbleib zukommen zu lassen, nimmt Orestes eines der Blutauffangbecken und knallt es immer wieder vor Iphigenie auf den Boden, beugt sich über die Schale und fordert so die Schwester auf, ihm den Hals durchzuschneiden, was diese nicht tun kann, weil sie ahnt, dass mit diesem Fremden etwas anders ist, als mit all den anderen, die sie bereits getötet hat.


    Das Ende kommt schnell: Pylades erschiesst Thoas, die Geschwister erkennen sich und Diana verkündet - als Dea ex machina - ein glückliches Ende.


    Allein: das gibt es hier nicht - da sitzen drei Personen auf der Bühne und starren nur noch in den Hintergrund, isoliert voneinander, gebrochen, kaputt.


    Darstellerisch sind alle Solisten extrem gut - die knapp 2 Stunden Spieldauer sind im Nu vorbei.


    Musikalisch gebührt die Krone der Aufführung dem Dirigenten Paul Goodwin, der, mit der historischen Aufführungspraxis bestens vertraut, enormes mit dem Orchester der "Komischen Oper" leistet. Schlank im Klang, dramatisch, auch in den kleinsten Gesten, packend in den Rezitativen und zurückgenommen bei den lyrischen Stellen.


    Geraldine McGreevy, auch sie mit alter Musik vertraut, startet gut - muss aber im Laufe des Abends doch immer mehr - vor allem mit der Höhe - kämpfen. Was sie auszeichnet: sie kann mit einem Blick, mit einer Geste unglaublich viel ausdrücken.


    Von den beiden Jungs ist Kevin Greenlaw als Orestes etwas stärker, auch wenn sein Bariton anfänglich rauh klingt und nicht immer ohne Forcieren über die Runden kommt - darstellerisch ist er klar das Zentrum dieser Aufführung.


    Der Tenor Peter Lodahl (Pylades) macht das Beste daraus, dass er vom Stimmtyp her nicht ideal besetzt ist: da würde man einen leichteren, höhensichereren Sänger bevorzugen - aber Lodahl macht das gerade an den schwierigen Stellen recht überzeugend.


    Der Totalausfall: Ronnie Johansen als Thoas. Nicht nur, dass sein Bass reichlich starr und hart daherkommt - mit einer Art Dauergebrüll und unpräzisen Einsätzen, sowie einer fragwürdigen Melodieführung machte er sich beim Publikum keine Freunde - er musste deutliche Buh-Rufe hinnehmen.


    Die blieben dem Regisseur Barrie Kosky weitgehend erspart: zwar fühlten sich einige Zuschauer während der anfänglichen Folterszenen zum dazwischenblöken animiert, der Schlussbeifall war aber ein deutlicher Triumph für den australischen Regisseur.


    Mittlerweile habe ich von Kosky 4 Inszenierungen gesehen (rechnet man den abgebrochenen "L´Orfeo" dazu) - und diese "Iphigenie" ist sicher die stärkste davon gewesen.


    Die "Komische Oper" belegt mit solchen Inszenierungen eindrucksvoll, dass man auch in Zukunft mit ihr wird rechnen müssen...

  • Vor rund vier Jahren hatte die Oper "Pelléas et Mélisande" von Debussy in der Inszenierung des Teams Jossi Wieler/Sergio Morabito an der Staatsoper Hannover Premiere.


    Wenn Albrecht Puhlmann jetzt diese Produktion in Stuttgart neu herausbringt, spart das nicht nur Kosten, es fügt auch den verschiedenen Inszenierungen von Wieler/Morabito in Stuttgart eben diesen "Pelléas" hinzu.


    Man sieht einen neutral-hellen Bühnenraum in einem nicht näher bestimmbaren heute - ein geschlossener Raum möglicherweise - aber nichts düsteres und schon gar kein Märchenschloss Allemonde.


    Eine etwas abgerissene Bettlerin tritt auf, Mélisande, die von dem ältlich-gedrungenen Golaud - konservativ gekleidet und verklemmt - sofort unbeholfen angemacht wird.


    Im schicken, roten Kostüm wird sie kurze Zeit später als zweite Frau des Golaud in die Gemeinschaft der Familie aufgenommen.


    Der Grossvater von Golaud und seinem Halbbruder Pelléas, Arkel, und deren Mutter Geneviève sind fröhliche Althippies, in deren Pfeifen gewiss nicht nur Tabak geraucht wird. Locker wirkt die Atmosphäre, aber nur oberflächlich betrachtet. Die beiden Halbrüder sind beide beschädigt: Golaud mit seiner unterschwelligen Aggressivität und krankhaften Eifersucht und Pelléas als Berufsjugendlicher, der hypernervös ist und den ganzen Tag auf dem Surfbrett zubringt. Dazu Yniold, der Sohn Golauds aus erster Ehe, der die Aggressivität des Vaters geerbt hat und sich am liebsten destruktiv mit Kriegsspielzeug beschäftigt.


    Dass es zwischen Pelléas und Mélisande "funkt", ist nur ein weiteres Indiz für das hochproblematische Beziehungsgeflecht, das dem Zuschauer hier präsentiert wird.


    Wieler/Morabito erzählen eine Familiengeschichte, die mich in ihrer Zuspitzung sehr berührt hat - es gibt für die Menschen offensichtlich keinen Ausweg aus ihrer Situation, es sei denn den endgültigen. Das wird mit starken Bildern erzählt, die allesamt von der darstellerischen Intensität der Sänger/innen leben. Und da kommt keine Langeweile auf.


    Am Ende, wenn Mélisande stirbt, interessiert sich Geneviève nicht für die Sterbende, sondern nur für das frühgeborene Baby der Mélisande, das im Brutkasten liegt. Ein Ende, das noch einmal tief in eine Familie blicken lässt, die anscheinend so freundlich daher kommt.


    Musikalisch hat mich das Dirigat von Tetsuro Ban nicht überzeugt. "Pelléas" ist eine der bemerkenswertesten Partituren des Fien-de-siècle, Wagners Spätwerk absolut ebenbürtig. In Stuttgart wirkt die Musik zerdehnt, wenig pointiert und manchmal geradezu langweilig, schade.


    Bei den Sängern zumindest keine Ausfälle. Will Hartmann, der Pelléas, hat wegen einem Trommelfellriss Indisposition ansagen lassen, schlug sich aber ordentlich - die Partie liegt ihm - einem ehemaligen Bariton - gut. Golaud war Oliver Zwarg, ein Bassbariton mit etwas rauher, eindimensionaler Stimmfarbe - aber ein ausgezeichneter Darsteller. Alla Kravchuk, die Mélisande, nicht immer zuverlässig, hier in einer ihrer stärkeren Rollen. Dazu mit etwas undiffernziertem Bass Liang Li als Arkel und die immer noch tolle Sängerin Helene Schneiderman als Geneviéve.


    Viel Beifall für die Sänger, deutliche Buhs für Wieler/Morabito - alles also so, wie es zu erwarten war.

  • Hallo Alviano,


    eben las ich die Rezension in der Stuttgarter Zeitung über die Première. Sie deckt sich weitgehend mit deinem Beitrag. Danke. :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Hallo,


    Heute (bzw gestern) abend war ich im von mir oft soo heruntergeputzten Katastrophenhaus Detmold. Es lief Brittens "Midsummernightsdream".
    Ich bekam schon im Vorfeld Schweissausbrüche und ich hatte das ungute gefühl, dass Detmold sich an diesem, doch schwierigeren Stück verhebt!


    Glücklicherweise wurde ich eines besseren belehrt! Die gebotene Vorstellung hat mich größtenteils überzeugt und ist nach dem Tannhäuser vor einiger Zeit meines Erachtens die beste Vorstellung seit langem!


    Der Wald wird in der Detmolder Inszenierung durch realistisch anmutende, gekonnt gefertigte gotische Mauern ersetzt - Sie untersteichen meines erachtens perfekt den Charakter Brittens musik, welche ja immer wieder archaisierende, mittelalterliche oder barocke Strukturen und Klänge aufweist.. Lysander, Demetrius, Helena und Hermia drücken gemeinsam die Schulbank in einer Art Klosterinternat. Nachts kommen die Feen heraus und treiben dort ihr unwesen.



    Die Welt der Feen ist wirklich sehr gelungen. Besonders die Kostüme und die Bühnentechnik (Beleuchtung, Nebel, etc.) wurde sehr effektvoll, und nicht kitschug/unglaubwürdig eingesetzt. Weniger ansprechend war das "Schülerspiel" der "Athener"...dies wirkte oft doch sehr, sehr affig und llachhaft. Die Schauspieltruppe rekrutiert sich in der Detmolder Inszenierung
    offenbar aus Schulkollegen von Demetrius, Lysander und co. Gespielt wude hier etwas hektisch, aber insgesammt zu der schon bei Shakespeare dümmlich gezeichneten Truppe passend. Sehr farbenfroh, sehr übertrieben, aber durchaus lustig und stimmig die "Theateraufführung" zum ende der Oper.


    Die Schauspielerischen Leistungen der detmolder "Crew" waren diesmal überzegend, manachmal zwar typisch maniert, größtenteils aber wirklich gekonnt. Besonders möchte ich die darstellerischen Fähigkeiten des Counters Yosemeh Adjei hervorheben, der mir generell beim detmolder Sommernachtstraum, gesanglich, wie auch darstelerisch hervorragend gefallen hat!


    Aber auch der Rest des Teams überzeugte weitgehend - Selbst Ulf Bunde, der mir sonst mit seinen kehligen, "hibbbeligen" permanenttremoli sehr auf den Keks geht konnte sich heute als Peter Squenz zügeln und anhörbares von sich geben. (Nicht zu vergessen die tänzerischen Fähigkeiten bei Theseus' Aufforderung zum Tanz :D ). Johannes Harten als Lysander mir gewohnt extrem lauten und fülligem Organ (in der gestalltung aber = 0 ) gefiel mir persönlich weniger, dies mag aber zum Teil auch an der affigen Rolleneinstellung gelegen haben.
    Erich Wächter hatte das gewohnt zuverlässige Detmolder Opernorchester gut im griff und überrschte mit wirklich gelungener Umsetzung der Partitur!


    Die Tatsache, dass die Oper in der deutschen übersetzung von Schlegel gesungen wurde, und dass sämtliche Knaben/Kinderchor-Rollen durch Frauen ersetzt wurden, bedeutete meines erachtens keinen großen Verlust...ich hatte bei Detmold schon damit gerechnet...glücklicherweise wurde der Oberon wie vorgesehen mit einem Counter besetzt! :D


    Als sehr, sehr nervig empfand ich an diesem Abend das gewohnt unangenehme Detmolder Publikum! (falls sich jemand persönlich angesprochen fühlt - nicht persönlich nehmen...die Menge macht das Gift... :stumm: :D) Nach der Pause war schon mal ca. 1/3 der Ursprungspublikums vor Brittens ungewohnten Klängen geflüchtet - in der zweiten Halbzeit ging es dann mit dem überbliebenen, "tapferen" (Zitat Dame hinter mir zu deren Freundin: "...das stehen wir jetzt bis zum ende durch...") Publikums sehr unkonzentriert weiter...es wude gekeucht, was die Bronchen hergeben; besonders zu Anfang wurde sehr laut und lange geredet; es wurden intensiv und langsam, ohne falsche Scheu Bonbons mit beonders knisterfähiger Verpackung enthüllt...(das ist das schlimmste was ein Publikum mir antuen kann...am besten sofort NACHDEM die Pause beendet ist, und die Musik schon läuft... :kotz: ). Ein Aufschnappen von Pausengesprächen zeigt mir wie so oft ein uninformiertes, enttäuschtes, desinteressiertes und stockkonservatives detmolder Publikum mit extremen hang zu Operette und leichter Belcanto-Kost (das soll keine Wertung sein, ich mag so etwas auch MAL ganz gerne...)! Der Schlussapplaus war so kurz und unherzilch wie ich noch keinen erlebt hatte!


    Ich denke mein "Hass" auf das Detmolder Haus beruht in der Tat eher auf dem stupiden, wenig interessierten "Konsumpublikum", als auf teilweise musikalisch und inszenatorisch an der Grenze zum unzumutbaren weilenden Vorstellungen. Es tut mir leid, dass das detmolder Haus, welches heute einmal beweisen konnte, dass es auch wirklich qualitätvolle, und musikalisch Ansprechende Vorstellungen auf die Beine stellen kann (gerade bei so schwerem Repertoire) mit einem solchen Publiikum gestraft wird! :motz:


    Am Ende der Vorstellung wurde im Theatercafe eine kostenlose "Frage- und-Anregungsrunde" mit einigen Sängern und GMD Erich Wächter angeboten. Ich hoffe, dass diese reiclhich genutzt wurde und dass sie zum besseren verstehen von Brittens Musik beitragen konnte!


    Viele Grüße,


    Raphael

  • Da wir hier inzwischen schon zu viert sind, die diese Vorstellung besucht haben, kommen vielleicht noch mehr Meinungen? Frankfurt hat einen m.E. sensationellen Spielplan 2007/2008 vorgelegt (bis jetzt das einzige Haus außerhalb NRW`s, daß sich für mich zu reisen lohnt). Da klappt ein gemeinsamer Besuch vielleicht bei Britten.


    Nur kurz einige Anmerkungen, zu der hier schon vorhandenen Rezension von Alviano:


    Zitat

    Original von Alviano
    Zu Beginn der Handlung sieht man zwei Liebesgötter, Amor, splitterfasernackt, und Aphrodite, wie sie Bianca, der Ehefrau einen Schleier umhängen. [...] Die Handlung entwickelt sich dann eher zäh,


    Dieser Schleier und auch die Stoffe, die Bianca zu Beginn und im weiteren Verlauf der Handlung umgelegt werden, habe ich mit der Tuchhändler-Tätigkeit von Simone in Verbindung gebracht. Die Frau wird immer wieder betrachtet und hergerichtet wie ein Modepüppchen. Neben der Eifersucht auf den Prinzen, was die Liebe seiner Frau betrifft, klang für mich erstmals auf die Eifersucht auf die Stellung und den Reichtum des Prinzen an. Simone kehrt immerhin von einer misslungenen Geschäftsreise zurück. Passend dazu dirigierte Daniel das Orchester sehr kontrastreich und sperrig, lange nicht so flüssig und durchgehend wie bei Conlon. So fand ich die Entwicklung der Handlung sehr spannend. Gleiches gilt auch für den Zwerg:


    Zitat

    Die Bühne zeigt einen grossen, weit offenen Saal mit vielen Spiegeln an den Wänden, die vor dem Auftritt des Zwergs verhängt werden. Das Stück ist wieder der Uraufführungszeit angenähert, beim Geburtstagsbild tragen aber die Prinzessin und ihre Hofdamen bewusst etwas bilderbuchhafte Kleider aus dem Spanien des 17. Jahrhunderts.


    Das makabre an der Inszenierung war, daß die Spiegel verhängt wurden, um dem Hofpersonal nicht den Spaß an der erwarteten verkrüppelten Gestalt zu verderben. Dabei wirkt die ganze Sippschaft ziemlich eingerostet: die Zofen in strenger Kleidung und die Infantin samt ihren Gespielinnen wie aufgezogene Puppen, die wie auf Kufen über die Bühne gleiten. Logisch, daß man in der Gesellschaft verkrüppelt.


    Sophia

  • Zitat

    Original von S.Kirch
    Frankfurt hat einen m.E. sensationellen Spielplan 2007/2008 vorgelegt (bis jetzt das einzige Haus außerhalb NRW`s, daß sich für mich zu reisen lohnt). Da klappt ein gemeinsamer Besuch vielleicht bei Britten.


    Bei "Billy Budd" bin ich dabei... und im Depot zum "L'Orfeo" sowieso...

  • Zitat

    Original von Blackadder


    Bei "Billy Budd" bin ich dabei... und im Depot zum "L'Orfeo" sowieso...


    Sir Edmund, Sie sind hiermit aufgefordert, sich rechtzeitig bei mir zu melden, wenn Sie nach Frankfurt reisen. Ich möchte ein Bier mit Ihnen trinken. Bei gemeinsamen Opernbesuchen bin ich nach Möglichkeit natürlich auch dabei.



    Gestern habe ich also auch die Zemlinksky-Einakter in Frankfurt gesehen.
    Der Zwerg hat mich restlos überzeugt, der Beginn und Schluß der florentinischen Inszenierung hat sich mir nicht recht erschlossen. Warum spielt Simone zu Beginn mit der Eisenbahn und wird Zeuge dieses seltsamen Schauspiels mit den beiden Nackerten? Eisenbahn desshalb, weil er von einer Reise nachhause kommt? Oder saß er tatenlos zuhause und hat mitangesehen, wie man ihm Hörner aufsetzt? Dass Bianca ihn am Ende erdolcht passt ja eigentlich auch irgendwie zu dieser Person. Und musikalisch passt diese Umdeutung ja sogar auch! Aber grundsätzlich wundere ich mich seit langem, warum Zemlinsky die Oper soo schnell zu ende bringt.


    In einem Loriot-Sketch ("ader Opernkasse") heißt es ja "gib es auch eine Oper mit Hunden?" - Ja! Kommen sie nach Frankfurt und geniessen sie den Gastauftritt des dragtigen Windhundes in "der Zwerg"!

  • vorgestern "carmen"(in der autowaschanlage) im MiR in gelsenkirchen:


    gesanglich war´s eher einer der schwäheren tage des MiR.anna agathonos war in der titelrolle durchaus ganz Ok,christopher lincoln liess sich krank ansagen und er war wirklich (sehr) schwach(verstehe nicht,warum man da nicht für ersatz sorgt),der rest war nicht mal mittelmass.


    das regiekonzept funktionierte wider erwarten sehr gut,die musik harmonierte allerdings nicht immer mit dem bühnengeschehen(ein schwachpunkt).
    durch die stimme aus dem off wurde man immer wieder in die gedankenwelt von don josé versetzt.
    ein interessannter ansatzpunkt.
    so spannend wie´s hr. bilsing bei omm.de empfunden hatte,fand ich´s allerdings nicht.


    http://www.omm.de/veranstaltun…er20062007/GE-carmen.html


    heute,jetzt schon gestern war ich in essen im aalto u. sah "lucia di lammermoor" mit elena mosuc in der titelrolle.
    was für ein opernabend.wieder mal zeigte das aalto,dass es weit u. breit in NRW kein haus gibt,das es auch nur annähernd mit ihm aufnehmen könnte.
    ich habe lucia auch schon letztes jahr mit der hervorragenden olga mykytenko gesehen,aber fr. mosuc war nochmals ´ne steigerung.
    pietro rizzo heizte dem orchester ordentlich ein.so oft sehen wir ihn ja leider nicht mehr am dirigentenpult,ist er ja zum GMD der oper in göteborg ernannt worden.
    elena mosuc riss ihre kollegen ordentlich mit.es war ein fest für´s auge u. für´s ohr.
    liebe grazer freut euch auf diese produktion.(wird den regielis u. den konservativen gleichermassen gefallen).
    viell. schaff ich´es ja u. schau´s mir zum vergleich auch in graz an.


    http://www.omm.de/veranstaltun…-lucia-di-lammermoor.html


    lg yago

    2 Mal editiert, zuletzt von yago ()

  • "Don Giovanni" von Mozart gehört zu den wohl am schwersten zu realisierenden Opern und verweigert geradezu endgültige Antworten - vieles bleibt mehrdeutig und öffnet damit die Tür zu vielfältigen, ganz unterschiedlichen Inszenierungsansätzen.


    Wenn sich in Essen, noch während der Overtüre, der Vorhang hebt, sieht man einen Kirchenraum eines katholischen Gotteshauses - der Priester zelebriert gerade die Messe. Aber vielleicht sind wir doch nur im Theater (das Programmheft zitiert Grillparzer: "Seit man nicht mehr in die Kirche geht, ist das Theater der einzige öffentliche Gottesdienst") - alle biblischen oder allegorischen Figuren sind lebendig, der Tod mit seiner Sense, die Muttergottes und auch der sich an seinem Kreuz windende Christus.


    Das Altarbild ist überschrieben mit "San Giovanni", der Schriftzug verwandelt sich aber schnell in ein "Don Giovanni", transzendiert also der Wüstling in einen Heiligen (oder auch umgekehrt...)?


    Es geht ums Glauben in dieser Inszenierung, um Wunschvorstellungen, die mit Personen verknüpft werden, um Liebe in jeder Form und um theatralische Darstellungen und Verkleidungen.


    Alles Dinge, die sich auch im Katholizismus wiederfinden. Und so entwirft der Regsiseur Stefan Herheim in diesem Kirchenraum einen Bilderbogen von barocker Kraft, der immer wieder an Gemälde von z. B. Breughel denken lässt.


    Das Kirchenambiente wird von Herheim als Folie benutzt, in dem er seine Sicht auf "Don Giovanni" erzählt - und das geht ganz hervorragend auf.


    Der Priester des Beginns entpuppt sich als Leporello, hier nicht nur die Kehrseite des Don Giovanni, sondern soetwas wie eine moralische Instanz. Am Ende wird die Verkörperung einer himmilschen Gerechtigkeit in Form der Statue des toten Komturs von Leporello für sein Handeln (oder auch Nichthandeln an entscheidenden Stellen der Handlung, so bei der Ermordung des Komturs zu Beginn des Stückes) Rechenschaft und Reue verlangen.


    Der Kampf zwischen Giovanni und dem Komtur findet mit zwei Waffen statt, die den Kirchenstatuen entrissen werden: der Komtur bewaffnet sich mit der Sense des Todes, Giovanni mit dem Schwert eines Erzengels.


    Kurz darauf werden Donna Anna und Ottavio von Adam und Eva mit Apfel und Schlange verführt, ganz so, wie sie uns Meister Dürer gemalt hat.


    Es sind diese Bilder, die viel Spass machen, und die eine christliche Ikonographie einmal ganz anders zeigen, als man das gewohnt ist (so z. B. auch, wenn Christus vom Kreuz herabsteigt und mit den anderen, lebenden Statuen die Handlung verfolgt.)


    Donna Elvira, man ahnt es bereits, tritt zuerst als Gottesmutter auf, das passt zu ihrer Rolle und am Ende wird sie den Schleier wieder nehmen und wohl in ihr Konvent nach Burgund zurückkehren.


    Ein besonderer Clou ist die Besetzung der Zerlina und des Masetto mit zwei Menschen im Rentenalter - die von einem jungen Paar gedoubelt werden. Zerlina und Masetto streiten und lieben sich anscheinend schon 40 Jahre und erleben hier einmal wieder als Erinnerung ihre jungen Tage.


    Immer wieder ziehen sich tatsächliche oder vermeindliche Paare in den Beichstuhl zurück - und was sie dort tun, bleibt der Phantasie des Zuschauers überlassen.


    Im Finale eins führt Don Giovanni den Reigen an: die Bischofsmütze ist hier zur Narrenkappe verfremdet worden, im Flügelaltar musizieren Bilderbuchengel, am Bühnenrand die höllische Konkurrenz.


    Das berühmte Sextett des zweiten Aktes wird zur brillianten Showeinlage, das Ende dann mehrfach gebrochen: zum einen zerreissen die Gottesdienstbesucher Giovanni in Fetzen, so wie die Mänaden den Orpheus, dann wird das Schlussensemble vor dem geschlossenen Vorhang aus dem Klavierauszug gesungen und ganz am Ende öffnet sich der Vorhang nocheinmal - das Altarbild zeigt jetzt W. A. Mozart, vor dem die Protagonisten in die Knie gehen.


    Stefan Herheim unterstreicht mit dieser Inszenierung, dass er zu den wichtigsten Regisseuren seiner Generation gehört - das ist eine sehr durchdachte, vielfältige Assoziationen freisetzende Inszenierung, gepaart mit ausgezeichneter Personenführung, geworden. Prall, bunt, bewegt, gute drei Stunden bestes Operntheater.


    Gesungen wurde, wie so oft bei Mozart, mittelmässig. Bemerkenswert, dass ausgerechnet die Mitsechzigerin Helen Donath, mit Problemen in der Tiefe und bei der Koluraturgeläufigkeit, immer wieder aufblitzen liess, was Mozartgesang sein kann.


    Die beiden anderen Sängerinnen bieten wenig erfreuliches: Silvana Dussmann (D. Anna) verwechselt Mozart mit Strauss und Bea Robein (D. Elvira) mit ihrem schütteren Mezzo misslingen nicht nur die Läufe in ihrer letzten Arie.


    Tiefpunkt bei den Herren ganz klar Marcel Rosca (Masetto) - soviel an Ungenauigkeit und rhythmischer Freiheit muss nicht sein.


    Ebenfalls schwach Uwe Stickert, der Ottavio, mit einem farbarmen, engen, oft fadendünnen Tenorbuffo ausgerüstet, der zwar seine erste Arie recht gut präsentierte, aber sonst kaum punkten konnte.


    Auch kein Muster an Präzision der Leporello von Almas Svilpa, der aber immerhin mit Anstand über die Runden kam.


    Diogenes Randes, der Giovanni, stimmlich auch keine Offenbarung (ganz schwach in der sog. "Champagnerarie"), sang wenigstens auf gutem Stadtheaterniveau.


    Bleibt Axel Wagner als Komtur: ein etwas unruhiger, steifer Bass ohne Ausstrahlung...


    Darstellerisch allerdings gab es keine Ausfälle, die Sänger/innen sind mit Körpereinsatz und mit Spass bei der Sache, besondere Freude macht es, Helen Donath zuzuschauen - das hat einfach Stil!


    Auf der musikalischen Seite ein absoluter Pluspunkt: der erst 26-jährige Dirigent Noam Zur, seines Zeichens erster Kapellmeister in Heidelberg. Präzise in der Zeichengebung, unaufgeregt, engagiert und immer mit den Sänger/innen, immer um guten Kontak zur Bühne bemüht. Dass an zwei, drei Stellen das Orchester ihm nicht folgen mochte, mag daran liegen das Stefan Soltesz eventuell etwas andere Tempi einstudiert hat, das tut dem positiven Eindruck, den ich gestern von Zur gewinnen konnte, keinen Abbruch.


    Das Orchester spielt einen Mozart, der von historischer Aufführungspraxis gänzlich unangekränkelt ist. Das Klangbild ist klar und transparent, die Tempi ausgewogen, die Disziplin gut. Es ist schade, dass die Diskrepanz zwischen Sängern und Orchester in Essen (n)doch relativ gross ist.


    Ein spannender Abend - bei fast ausverkauften Haus!

  • Hallo Alviano,
    ein höchst unkonventioneller Blick auf Don Giovanni, den du uns da schilderst, und so aus der Entfernung klingt alles sehr plausibel und macht Lust auf diese Inszenierung. Wirklich schade, dass wir außer dem Bieto-Carlos noch nie ein - und dieselbe Inszenierung gesehen haben, damit ergeben sich natürlich keine Diskussionen. :(
    Aber eine Frage hätte ich doch: Stört es nicht deinen Genuss an einer Opernaufführung, wenn die Sänger derart schwach sind, wie du es beschreibst? Kann dich eine tolle Regie wirklich darüber hinwegtrösten, dass deine Ohren permanent beleidigt werden? Das bewundere ich ehrlich, denn ich kann das nicht. Dabei bin ich an sich auch ein Augenmensch, offenbar aber in erster Linie ein Stimmfetischist. Aber irgendwer hier im Forum hat einmal gesagt, man muss zu seinen Defiziten stehen.....
    Ich wünsch dir einen schönen Sonntag,
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina
    Ein höchst unkonventioneller Blick auf Don Giovanni, den du uns da schilderst, und so aus der Entfernung klingt alles sehr plausibel und macht Lust auf diese Inszenierung.
    (...)
    Stört es nicht deinen Genuss an einer Opernaufführung, wenn die Sänger derart schwach sind, wie du es beschreibst? Kann dich eine tolle Regie wirklich darüber hinwegtrösten, dass deine Ohren permanent beleidigt werden?


    Hallo severina,


    "unkoventionell" triffts - aber diese Inszenierung ist kein wirklicher Aufreger - Herheim erzählt in dem von ihm gesteckten Rahmen die Geschichte nachvollziehbar - wer die Handlung nicht gut kennt, kann die Übertitelung mitlesen und wird Spass haben können. Wer "Don Giovanni" besser kennt, wird hier viel Freude an dieser "unkonventionellen" Sichtweise haben.


    Zum Gesang: Mozart ist sehr empfindlich, man hört Probleme jeglicher Art leider recht gut. Das ist der Hauptgrund, warum ich mir relativ selten Mozart auf der Opernbühne anhöre (in dieser Saison habe ich meine Abo-Karte (Frankfurt) für "Nozze" getauscht, in der kommenden werde ich das gleiche mit "Cosi" machen). Die letzten Mozart-Opern, die ich gesehen habe, waren "Tito" in Hamburg, "Don Giovanni" in Hannover und "Zauberflöte" in Berlin, sowie im heimischen Frankfurt "Entführung" und "Tito". Die dazugehörigen Regisseure heissen Peter Konwitschny, Calixto Bieito und Hans Neuenfels, Christoph Loy...


    Und so war es in Essen auch: ich wollte diese Inszenierung sehen, da muss ich dann eben akzeptieren, dass der Gesang eventuell nicht ganz überzeugt.


    Ja, das ist tatsächlich schade, dass die Schnittmenge gemeinsamer Inszenierungserlebnisse so klein ist, aber kaum zu ändern (den Konwitschny-Carlos kennen wir auch beide...). Du könntest Dir das "Tieflland" an der Volksoper anschauen - das ist eine Frankfurter Inszenierung - aber die war eher schwach bis ganz schwach...


    Bei Volksoper fällt mir ein: hattest Du vielleicht die "Butterfly" dort gesehen? Die Inszenierung war auch von Stefan Herheim.


    So, heute abend habe ich Premiere von "Simone Boccanegra" in Frankfurt - mal sehen, wie das wird...


    Gruss nach Wien

  • Hallo Alviano,
    oh da bin ich aber neugierig auf deinen Bericht, der Simone ist doch meine Lieblingsoper von Verdi, wie schon allseits bekannt sein dürfte ;) Ich beneide dich!
    Um die Volksoper mache ich ehrlich gesagt eher einen Bogen, weil mich eben dort die musikalische Seiten selten befriedigt (inklusive Orchester), vielleicht wird es ja unter dem neuen Direktor besser. (zwar, ob der was von Stimmen versteht....... :( )
    Viel Spaß beim Simone, fals du das noch vorher liest!
    lg Severina :hello:

  • hallo severina,hallo alviano,


    severina,wenn du die möglichkeit hast,dann fahr nach essen "don giovanni" wird nä. jahr wieder aufgenommen.
    alviano,ich hatte ein leicht andere besetzung und meiner meinung nach wird in ganz D kein so ein guter "don giovanni"gezeigt.
    die aufführung lohnt die weiteste anreise.
    lg yago

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