Kurznotizen aus den Opernhäusern!

  • Zitat

    Original von yago
    Ich hatte ein leicht andere besetzung und meiner meinung nach wird in ganz D kein so ein guter "don giovanni"gezeigt.


    Was die Regie angeht, dürfte Herheim eine der besten Mozart-Inszenierungen der letzten Zeit gelungen sein.


    Das sängerische ist mit dicken Fragezeichen zu versehen. Wenn Du sagst, dass im deutschssprachigen Raum kein besserer "Giovanni" zu sehen ist, mag das für die Regie gelten, bei den Sänger/innen hoffe ich doch, dass es da vielleicht die eine oder den anderen gibt, der das besser hinbekommt.


    Kennst Du denn andere, aktuelle "Giovanni"-Produktionen?

  • "don giovanni" hab´ ich vor ein paar jahren hier i. MS gesehen.
    die neue produktion wollte ich nicht sehen.


    helen donath war zum abbusseln.
    diogenes randes fand ich aber sehr gut.
    ok,die dussmann(die ich liebe),war viell. etwas zu "nah an strauss"
    unser leporello war matias tosi,den fand ich klasse.


    ich bin aber auch kein stimmfetischist.


    lg yago

  • Der „Simone Boccanegra“ gehört nicht zu den Verdi-Opern, die sich beim breiten Publikum der Beliebtheit erfreuen kann, die vielen anderen Werken des italienischen Komponisten zuteil wird.


    Es ist erfreulich, dass der „Simone“ immer wieder den Weg in die Spielpläne findet, seine Musik ist durchaus des kennenlernens wert. Mit der Titelrolle hat Verdi eine grosse Baritonpartie geschaffen, die kurioserweise ohne eine einzige Arie auskommen muss.


    Und diese Bariton-Partie ist in Frankfurt nobel besetzt: Zeljko Lucic gilt seit einigen Jahren als Hoffnung im Verdi-Bariton-Fach und packt nun seinem Repertoire den Boccanegra hinzu. Seine Stimme verfügt über eine reiche Farbenpalette, spricht auch bei den ganz zurückgenommenen Tönen perfekt an, ist ausgewogen und ausdrucksstark, schöne Phrasierung – und die etwas angegriffene Höhe mag der Premierennervosität geschuldet sein. Mit Abstand die beste Leistung dieses Abends. Kein Wunder, dass Lucic im kommenden Jahr das Frankfurter Ensemble verlassen wird, um an den ganz grossen Bühnen dieser Welt auftreten zu können.


    Bei den anderen Sängern fällt der Bariton Johannes-Martin Kränzle als Paolo mit seiner stimmlich intensiven Rollengestaltung und der Bass Balint Szabo als Fiesco (die Tiefe könnte stärker sein) positiv auf.


    Schwach der Tenorino Paul-Charles Clarke als Gabriele Adorno. Eher ein Buffo mit einer gequetschten, dünnen und unsicheren Höhe, der hin-und-wieder ordentlich draufdrückt, wohl um des „dramatischen“ Effektes willen…


    Annalisa Raspagliosi, die einzige solistische Frauenstimme des Abends, fängt verhältnissmässig schwach an, manche Töne wollen nicht gelingen– aber im zweiten Teil steigert sich die Sopranistin merklich und zeigt eine durchaus ansprechende Gesamtleistung.


    GMD Paolo Carignani wählt extrem langsame Tempi. Der Vorteil: viele Details sind so zu hören, wunderbare, tiefe Streicher, warmgetönte Holzblasinstrumente – und das Frankfurter Orchester zeigt sich bestens vorbereitet und sehr klangschön, der Nachteil: es steht kein Fluss in der Musik, keine Dramatik, der Abend droht an mehr als einer Stelle völlig ins Stocken zu geraten. – mir liegt diese Form des Zelebrierens von Musik überhaupt nicht.


    Für die Inszenierung (oder sollte ich besser sagen: für das Sängerarrangement?) zeichnete Christof Loy verantwortich, das Bühnenbild stammt von Johannes Leiacker.


    Die Bühne besteht aus einer grossen, ansteigenden Holzfläche, links und rechts einige Metalltreppen mit eingearbeiteten Plattformen und einer einfachen Konstruktion, mit der eine Soffitte mit Seepanorama heruntergelassen werden kann, im Hintergrund begrenzt ein roter Theatersamtvorhang die Spielfläche. Schon klar – kein Realismus, wir sind im Theater.


    Zu Beginn steht der Chor in heutiger Alltagskleidung auf der Holzspielfläche und schaut ins Publikum, bewegungslos und sehr lange. Erste Unruhe kommt im Publikum schon sehr schnell auf. Nach ca. 5 Minuten lösen sich erst einige aus der Gruppe, dann immer mehr und gehen seitlich ab.


    Das Stück beginnt. Regisseur Loy beschränkt sich auf wenige Lichtwechsel zur Unterstützung der Handlung und verordnet seinen Darsteller/innen eine extreme Statik. Es wird gestanden, als wären die Sänger/innen festgenagelt. Einsam ist der Doge, allein, ganz allein – aber das wusste ich schon. Dass eine Geschichte vermittelt würde – Fehlanzeige. Was die handelnden Figuren verbindet – keine Hilfestellung durch die Regie. Welche privaten oder politischen Konflikte der „Simone Boccanegra“ zum Inhalt hat – in Frankfurt war es nicht zu erfahren.


    Die Sänger werden es danken – sie standen oft schön frontal zum Publikum und zum Dirigenten, spannend war das nicht.


    In Verbindung mit dem nicht gerade packenden Dirigat machte sich bei mir sehr schnell Langeweile breit und dehnte damit natürlich den überlangen Abend noch zusätzlich.


    Für mich keine Aufführung, die ich gerne noch mal sehen würde.

  • Uff, Alviano, da bin ich ja beinahe erleichtert, denn nach der euphorischen Kurzkritik im "Merker" (Sensationeller SB in Frankfurt) dachte ich schon, ich MÜSSTE jetzt nach Frankfurt. So wie du das schilderst, aber eher nicht..... O-Ton: "Christoph Loy gelingt es in mutig-radikaler Reduktion eindringlich, aus der verworrenen Geschichte die wesentlichen menschlichen Inhalte zu skelletieren". Wie das funktioniert, wenn alle nur herumstehen, ist mir allerdings schleierhaft. Da warte ich doch besser, bis der grandiose Bariton sein Gastspiel an der WSO gibt! War die PR wirlich so umjubelt, wie der Merker behauptet?
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina
    "Christoph Loy gelingt es in mutig-radikaler Reduktion eindringlich, aus der verworrenen Geschichte die wesentlichen menschlichen Inhalte zu skelletieren". Wie das funktioniert, wenn alle nur herumstehen, ist mir allerdings schleierhaft. War die PR wirlich so umjubelt, wie der Merker behauptet?


    Hallo severina,


    so kann man das natürlich auch beschreiben: "mutig-radikale Reduktion", doch, ich weiss was der Berichtende meint... Dass nur das "wesentlich menschliche" übrigbleibt, wenn schon die politische Dimension der "verworrenen Geschichte" nicht transportiert wird, ist naheliegend, wird aber dann durch diese enorme Statik der Personen völlig unterlaufen. Selbst eine Interaktion zwischen den Leuten findet eigentlich nur in Stereotypen statt - da scheitert ein Regisseur an seinen konzeptionellen Vorstellungen - die sehen auf der Bühne halt nur halb so gut aus, wie sie möglicherweise gemeint sind - und das, bei ca. 2 1/2 Stunden Spieldauer.


    Nun, gejubelt wird in Frankfurter Premieren immer gern und viel - auch mit enthusiasmierten "bravi"-Rufen inmitten von noch nicht beendeten Duetten und am Ende dann schon auch lautstark. Gefeiert wird meistens alles, was sich auf der Bühne zeigt.


    Deshalb gab es gestern auch überwiegend Zuspruch. Allerdings musste Christof Loy durchaus kleinere Proteste gepaart mit einer sehr gezielten und ausgesprochen deutlichen Ablehnung hinnehmen - und reagierte recht unsouverän auf die Misstöne, die den Beifall trübten.


    Nachsatz: ich hab den "Merker" angeschaut - "Musiktheater" ist anders...

  • qalviano,
    kannst mir ja gerne eine cd oder lieber dvd empfehlen(aber keine zu konservative inszenierung),um zu hören,wie sich deiner meinung nach mozart anzuhören hat.(jetzt,"don giovanni")
    und wenn geht mit lebenden sängern(u. noch aktiv)
    lg yago

  • Hallo yago,


    wir sind hier dann ot, gell - bei DVDs bin ich der Grundfalsche - ich besitze nicht eine, was den korrekten Rückschluss zulässt, dass ich mir Oper im Fernsehen nicht anschaue.


    Über "Don Giovanni" gibt es aber ein eigenes Thema, vermutlich im Opernforum (heisst "HIP" Aufnahme von Don Giovanni) vielleicht hilft Dir das weiter.

  • Hallo Alviano,
    ich habe mir jetzt die FAZ-Kritik durchgelesen, kann mit diesem Regiekonzept aber nach wie vor nichts anfangen, weil die Parallele zur Passionsgeschichte für mich zu weit hergeholt und auch in sich nicht schlüssig ist. Aber ich hab's natürlich nicht gesehen.....
    Generell kann ich mir nicht vorstellen, dass der "Simon Boccanegra" funktioniert, wenn man ihn nur auf die zwischenmenschliche Ebene reduziert (abgesehen davon, dass die nicht weniger verworren ist als die politische), denn die Tragik des Simone besteht ja gerade in der Schere zwischen dem Politiker und dem Privatmenschen. Er ist an der Macht im Prinzip gar nicht interessiert, versucht dann aber redlich das Beste daraus zu machen und scheitert immer wieder an menschlichen Unzulänglichkeiten. Die Uraufführung des SB fand 1857 statt, also genau zu der Zeit, als der Risorgimento zum Siegesmarsch ansetzte, und es ist sicher die politischste Oper Verdis mit seinem flammenden Appell um Einigkeit. Und in meinen Augen auch seine "modernste", denn die Gräben im theoretisch vereinten Europa sind so tief wie eh und je und die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander ungefähr so utopisch wie der von Simone beschworene "Pace!" und das verächtliche "Ecco le plebi!", mit der er die Manipulierbarkeit der Masse anprangert, die jedem Demagogen auf den Leim geht, hat leider auch nichts an Aktualität eingebüßt. Nein, ein privates Drama ist der SB ganz bestimmt nicht!
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina
    Generell kann ich mir nicht vorstellen, dass der "Simon Boccanegra" funktioniert, wenn man ihn nur auf die zwischenmenschliche Ebene reduziert (abgesehen davon, dass die nicht weniger verworren ist als die politische), denn die Tragik des Simone besteht ja gerade in der Schere zwischen dem Politiker und dem Privatmenschen. Er ist an der Macht im Prinzip gar nicht interessiert, versucht dann aber redlich das Beste daraus zu machen und scheitert immer wieder an menschlichen Unzulänglichkeiten. Die Uraufführung des SB fand 1857 statt, also genau zu der Zeit, als der Risorgimento zum Siegesmarsch ansetzte, und es ist sicher die politischste Oper Verdis mit seinem flammenden Appell um Einigkeit. Und in meinen Augen auch seine "modernste", denn die Gräben im theoretisch vereinten Europa sind so tief wie eh und je und die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander ungefähr so utopisch wie der von Simone beschworene "Pace!" und das verächtliche "Ecco le plebi!", mit der er die Manipulierbarkeit der Masse anprangert, die jedem Demagogen auf den Leim geht, hat leider auch nichts an Aktualität eingebüßt. Nein, ein privates Drama ist der SB ganz bestimmt nicht!
    lg Severina :hello:


    Hallo Severina,


    natürlich ist SB kein "privates Drama", aber doch durchaus ein Drama, in dem die Zerstörung aller privaten Beziehungen durch die Politik im Mittelpunkt steht. Im grandiosen Finale des ersten Akts zeigen Boito und Verdi genau diese Entwicklung auf: vom Konflikt Genua/Venedig, den der Doge anspricht, über den Konflikt innerhalb Genuas (zwischen Patriziern und Plebejern) bis hin zur privaten Katastrophe (die Zerreißprobe zwischen Simone, Amelia, Gabriele und Fiesco). Die von Dir zu Recht hervorgehobenen Passagen sind Glanzlichter politischer Brisanz in der Operngeschichte: die mittelalterliche Stadtrepublik wird zum italienischen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts - der von Dir gespannte Bogen zum heutigen Europa ist da in der Tat naheliegend. Aber sie können nicht die gesamte Oper tragen - wirklich "politisches" Geschehen spielt sich eben nur in den 1881 nachkomponierten Passagen ab (Prolog, Finale des ersten Akts - 1857 war die Oper noch wesentlich konventioneller angelegt). Sonst steht Politik natürlich immer im Hintergrund, wird aber nur in den gestörten privaten Beziehungen sichtbar.


    Meine Frage wäre: wie stellst Du Dir eine politische SB-Inszenierung vor? Mit Bezug auf das Italien des 19. Jh.? Mit Bezug auf das heutige Europa in Form einer aktualisierenden Inszenierung? Wäre alles denkbar... Ich glaube, dass der "Simone" eine sehr schwer zu inszenierende Oper ist: von den fünf Inszenierungen, die ich gesehen habe, war nur die von Claus Guth in Hamburg relativ überzeugend - dagegen stehen vier für mich mehr oder weniger misslungene Versuche (einschließlich der Dir ja gut bekannten Peter-Stein-Inszenierung, die ich als ein völlig unpolitisches Arrangieren von kostümschleppenden Sängern in adretten geometrischen Formationen in Erinnerung habe). Der "politischste" Versuch, den ich kenne, fand 1993 ebenfalls in Frankfurt statt - Matthias Langhoff mischte Zeitebenen des 19. und 20. Jahrhunderts, nahm explizit auf Italien Bezug und begrub die Oper unter einem ungeheuren Aufwand an Ausstattung und Regie-Action.


    In der Wertschätzung gerade dieser Verdi-Oper (und durchaus auch ihres oft gescholtenen Librettos) sind wir uns jedenfalls einig. Der Prolog, das impressionistische Vorspiel zum ersten Akt und vor allem das Finale dieses Aufzugs lassen fast alles andere von Verdi Komponierte hinter sich.


    Viele Grüße


    Bernd

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    Original von severina
    ich habe mir jetzt die FAZ-Kritik durchgelesen, kann mit diesem Regiekonzept aber nach wie vor nichts anfangen, weil die Parallele zur Passionsgeschichte für mich zu weit hergeholt und auch in sich nicht schlüssig ist. Aber ich hab's natürlich nicht gesehen.....


    Das Konzept geht auch nicht auf. Es ist doch bezeichnend, dass der Regisseur selbst vor der Premiere das Publikum in Vorberichten dazu aufgefordert hat, sich mit dem Inhalt der Oper, den personellen Verhältnissen vertraut zu machen - weil davon in seiner Inszenierung nix zu sehen ist.


    Und diese oratorische Strenge trägt keine 2 1/2 Stunden, das erinnert oft an eine konzertante Aufführung, ohne das damit irgendein Zugewinn verbunden wäre - man erfährt über das Stück absolut nichts, auch nicht, warum man sich das anschauen soll.

  • Hallo Bernd,
    ich denke, wir sind im Prinzip ohnehin einer Meinung. Natürlich spielen die zwischenmenschlichen Beziehungen (und Tragödien) im "Simon Boccanegra" eine wichtige Rolle, meine Stellungnahme bezog sich auf Alvianos PR-Bericht aus Frankfurt, wo Loy offensichtlich das Politische völlig ausgeblendet und damit dieser Oper eine wichtige Dimension genommen hat. Ich will natürlich beides auf der Bühne realisiert haben - sowohl den politischen wie auch den privaten Aspekt. Leider habe ich auch noch keine wirklich überzeugende Inszenierung gesehen. In Paris wurde ja eine Aktualisierung versucht und die "orange Revolution" zitiert, leider war das Resultat in meinen Augen die ödeste Stehpartie, die ich seit langem erlebt habe (allerdings nur im TV), sodass ich wirklich nur wegen der ausgezeichneten Sänger durchgehalten habe. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass mich meine Lieblingsoper einmal derart langweilen könnte. :(
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina
    Hallo Bernd,
    ich denke, wir sind im Prinzip ohnehin einer Meinung. Natürlich spielen die zwischenmenschlichen Beziehungen (und Tragödien) im "Simon Boccanegra" eine wichtige Rolle, meine Stellungnahme bezog sich auf Alvianos PR-Bericht aus Frankfurt, wo Loy offensichtlich das Politische völlig ausgeblendet und damit dieser Oper eine wichtige Dimension genommen hat. Ich will natürlich beides auf der Bühne realisiert haben - sowohl den politischen wie auch den privaten Aspekt. Leider habe ich auch noch keine wirklich überzeugende Inszenierung gesehen. In Paris wurde ja eine Aktualisierung versucht und die "orange Revolution" zitiert, leider war das Resultat in meinen Augen die ödeste Stehpartie, die ich seit langem erlebt habe (allerdings nur im TV), sodass ich wirklich nur wegen der ausgezeichneten Sänger durchgehalten habe. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass mich meine Lieblingsoper einmal derart langweilen könnte. :(
    lg Severina :hello:

  • Mit mir ist die Boccanegra-Begeisterung durchgegangen :D - und da ich Sonntagmittag eh in Würzburg bin, fahre ich nachmittags weiter nach Frankfurt und schau mir abends den "Simone" an. Bei dieser Oper bin ich in puncto Inszenierung wahrlich abgehärtet - und ich gebe zu, dass ich trotz Alvianos Kritik (die natürlich schwer wiegt) und wegen diverser recht positiver Rezensionen in den Printmedien ein Fünkchen Hoffnung hege, dass es besser wird als erwartet. Das Ticket ist schon reserviert... :wacky:


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd,
    würde ich auch tun, wenn ich in der Nähe wäre! Dann bin ich ja schon gespannt auf deinen Bericht. Auf jeden Fal viel Spaß! :D
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina
    Hallo Bernd,
    würde ich auch tun, wenn ich in der Nähe wäre! Dann bin ich ja schon gespannt auf deinen Bericht. Auf jeden Fal viel Spaß! :D
    lg Severina :hello:


    Danke, Severina! Ein ausführlicher Bericht wird selbstverständlich erstattet! :)


    Viele Grüße


    Bernd

  • Gestern an der WSO:


    Andrea Chénier
    Dirigent Marco Armiliato
    Andrea Chénier Salvatore Licitra
    Carlo Gérard Carlos Alvarez
    Maddalena di Coigny Violeta Urmana



    Regie: Otto Schenk
    Bühnenbild: Rolf Glittenberg


    Insgesamt nicht so wirklich das Gelbe vom Ei - keiner der Sänger konnte überzeugen, am ehesten noch Carlos Alvarez, obwohl auch er teilweise nicht übers Orchester hinauskam, was wohl am Dirigenten lag. Urmana (ebenso wie alle anderen) hat eine Stehrolle geliefert - Regie: Otto Schenk :stumm: - und hat genau den Typ von Stimme, die ich nicht so schätze: unangenehmes Timbre und scharf in der Höhe. Licitra wurde zwar bejubelt, das führe ich aber auf den hohen Touristenanteil im Publikum zurück ;-)


    Dennoch - ich mag die Musik, allerdings werde ich mir die 93. Aufführung in dieser Inszenierung nicht mehr geben.


    :hello:
    Austria


    PS: Faun hat tapfer durchgehalten.... und jetzt bin ich gespannt auf Severina's Bericht über die GP von Boris Godunow - sie hatte ja gestern ein Monsterprogramm :D

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

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  • Hallo Severina,
    danke für das Feedback. Ich habe keinerlei Forenerfahrung, daher erst jetzt meine Rückmeldung in der Hoffnung, dass diese auch technisch korrekt wiedergegeben wird. Im Forum verbringe ich lesend seit 1 Jahr viel Zeit, habe mich aber erst jetzt zur Anmeldung entschlossen und festgestellt, dass die Handhabung ziemlich kompliziert ist.


    Ich hatte an sich keine konkrete Frage, lese lediglich sehr gerne Deine Beiträge und mir fiel in dem Thread "Mitglieder stellen sich vor" auf, dass sich bei unserer Vita in frühester Jugend Gemeinsamkeiten ergeben.


    Jetzt bitte ich alle anderen Mitglieder um Entschuldigung, da dies ja überhaupt nicht zum Thema passt und gelobe Besserung.


    Noch schöne Pfingstage
    und Grüße
    Emotione

  • Was den "Chenier" betrifft, kann ich mich Austria voll und ganz anschließen, das war wirklich "Staubismus" pur. Licitra hat mich zwar nicht begeistert, klang aber im Vergleich zu seinem Radames, den zu hören ich in Zürich das Missvergnügen hatte, recht akzeptabel. (Zumindest die Mittellage war gestern nicht so farblos) Der gute Salva hat einen Trupp treuer Fans, die ihm überall hin nachreisen, das erklärt wohl auch die Bravos.


    So, aber nun zu einem keinen Boris-Vorbericht, der sich auf die Inszenierung beschränken wird, denn musikalisch kann man eine GP nicht wirklich beurteilen, weil man ja nicht weiß, ob die Sänger wirklich schon alles gegeben haben. Exponierte Stellen werden oft nicht ausgesungen.
    Regie hätte ja eigentlich der von mir sehr geschätzte Willy Decker führen sollen (Stichwort: Salzburger Traviata!), der aber schon im Vorjahr krankheitshalber ersetzt werden musste. Ich gehe davon aus, dass ihm Beeindruckenderes und Schlüssigeres zum Boris eingefallen wäre als Yannis Kokkos, der mich wirklich nicht begeistert hat.
    Angesiedelt ist dieser Boris in einem zeitlichen Niemandsland, Kostüme, Requisiten zitieren alle möglichen Epochen der (nicht nur russischen) Geschichte, mit Uniformkunde habe ich mich nie beschäftigt, aufgrund des Gewehrtyps würde ich raten: Anfang des 20.Jhdts. Eine riesige, mit dem Rücken zum Publikum stehende Statue nimmt den linken Bühnenrand ein, und man denkt natürlich sofort an die sattsam bekannten Lenin- Stalin-etc. Monumente. Zum Schluss liegt diese Statue gestürzt am Boden, hinter ihr schiebt sich langsam das Monument des neuen Zaren empor. Eines der wenigen schlüssigen Bilder dieser Inszenierung (also zumindest für mich) Zum Chor ist Kokkos nicht viel eingefallen, er wallt auf und ab, kleiner Grüppchen mimen Neugier, Bestürzung (im üblichen Bewegungsrepertoire) und insgesamt hat man nie das Gefühl, es hier mit brodelnden, dann wieder abgestumpften Volksmassen zu tun zu haben. Irgendjemand hat im Regiethread gemeint, die beste Regie sei die, die einem gar nicht auffällt, und in diesem Sinne ist der Boris sicher gelungen, denn zumindest ich konnte nicht viele Spuren einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk erkennen. (Wobei ich jetzt Herrn Kokkos nicht unterstelle, dass er sich nicht damit beschäftigt hat, aber es ist ihm leider nicht gelungen, mir seine Ideen transparent zu machen)
    Deshalb ist dieser Boris immer dann spannend, wenn gute Singschauspieler aufeinandertreffen, so z.B. in der Schenke, wo Janina Baechle wieder einmal eindrucksvoll beweist, was man aus einer kleinen Rolle machen kann. Sie steht immer in der Handlung drin, auch wenn sie nicht "dran" ist. Oder Heinz Zedniks Blödsinniger - das sind kleine Kostbarkeiten. Oder die Marina-Rangoni-Szene, die dank Nadia Krasteva und Falk Struckmann einen schauspielerischen Höhepunkt markiert.
    Ferruccio Furlanetto als Boris hat mich darstellerisch sehr beeindruckt, stimmlich allerdings (Ich beziehe mich jetzt auf die Stimmfarbe) konnte er die Erinnerung an den großartigen Nicolai Ghiaurov nicht verdrängen. Der wird wohl für immer "mein" Boris bleiben.
    Marian Talaba hingegen verfügt nicht über das schauspielerische Potential, einen derart vielschichtigen Charakter wie den falschen Dimitri glaubhaft darzustellen. Er war für mich gestern eindeutig der Schwachpunkt.
    In der Pause hörte ich heftige Diskussionen über die diversen Fassungen des Boris, in Wien wird wohl eine Art Mischfassung gespielt, aber damit kenne ich mich viel zu wenig aus, um da meinen Senf dazuzugeben. Da müssen wir af Edwin warten! ;)
    lg Severina :hello:

  • Hallo Severina,


    Danke, bin schon gespannt, am 1.6. ist es dann bei uns soweit ;-)


    Janina Bächle hat übrigens gestern abend auch noch die Madelon gesungen - kurz, aber eindrucksvoll.


    :hello:


    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Ich persönlich fand - mit Ausnahme von Nadia Krasteva - die Frauen nicht so toll und erinnere mich auch, bei der Szene mit Janina Baechle einiges aus dem Souffleurkasten gehört zu haben.


    Ich pflichte Severina bei, dass Yannis Kokkos nicht wirklich viel zum Boris eingefallen ist. Das ist wieder so ein Versuch, einerseits historisierend zu wirken und dann wieder modern zu wirken. Die Kostüme - mit Ausnahme des Boris - sind dem 20. Jhdt. entnommen, mit Uniformen der polnischen und russischen Armee. Man sieht auch einen WK II-Veteranen, dann werden die Denkmalstürze aus der Zeit nach 1989 im letzten Bild noch symbolisiert. Ist für mich nicht Fisch, nicht Fleisch.


    Furlanetto überzeugend, Sramek gut wie immer, Zednik berührend und Marian Talaba hat sich stimmlich weiterentwickelt, aber ich hatte den Eindruck, dass er einen "S"-Fehler hat, was mir früher nicht so aufgefallen ist.


    Zur Version - wie zu lesen war, ist das die Ur-Version aus 1869, die sieben Bilder hat, ergänzt um 2 Bilder aus der 1872er-Version (Polen-Bild, wo der Einfluss der katholischen Kirche aufs Korn genommen wurde; Schlussbild mit Jubel für den falschen Dimitri). Außerdem hat Daniele Gatti Arien gestrichen, die seiner Meinung nach die Handlung nicht weiterbringen.


    Bin gespannt, wie heute bei der Premiere der Eindruck sein wird. Musikalisch fand ich es in Ordnung, szenisch ist es schlicht und ergreifend sehr langweilig...

    Hear Me Roar!

  • Gestern (27.5.) habe ich also die dritte Vorstellung von Verdis "Simone Boccanegra" an der Frankfurter Oper besucht. Insgesamt gespaltene Eindrücke, allerdings etwas positiver als bei Alviano, aus dessen Premierenkritik ich nachfolgend zitiere:



    Uneingeschränkte Zustimmung zu diesen Bewertungen: Lucic ist wirklich eindrucksvoll, vor allem die Piano-Kultur wirkt berückend ("Abschied vom Meer" im dritten Akt -fantastisch gesungen!). Frau Raspagliosis Leistungskurve verlief offenbar genauso wie am Premierenabend: Die erste Arie zeigte eine nicht sicher kontrollierte Höhe mit Neigung zum Distonieren, später hatte die Sängerin ihre (an und für sich schöne) Stimme besser im Griff. Solide Szabo (Fiesco) und Kränzle (Paolo), schwach Clarke (Adorno).



    Zitat

    GMD Paolo Carignani wählt extrem langsame Tempi. Der Vorteil: viele Details sind so zu hören, wunderbare, tiefe Streicher, warmgetönte Holzblasinstrumente – und das Frankfurter Orchester zeigt sich bestens vorbereitet und sehr klangschön, der Nachteil: es steht kein Fluss in der Musik, keine Dramatik, der Abend droht an mehr als einer Stelle völlig ins Stocken zu geraten. – mir liegt diese Form des Zelebrierens von Musik überhaupt nicht.


    Ich war mit Carignanis Dirigat auch nicht restlos glücklich, muss allerdings doch widersprechen. Nach meinem Empfinden (und meiner Erinnerung an andere Interpretationen) waren die Tempi nicht durchgängig "extrem langsam". Nur selten, etwa im Prolog, und dort insb. bei Fiescos Arie, wurde etwas geschleppt, aber sonst hielten sich die Tempi durchaus im gewohnten Rahmen. Ich habe die Zeiten zwar nicht gestoppt, aber doch auf die Uhr gesehen: Der Prolog war etwas (zwei bis drei Minuten) länger, erstes Bild sowie das Finale des ersten Aktes minimal länger als bei der "klassischen" Abbado-Einspielung. Akt 2 und 3 wurden insgesamt sogar etwas schneller exekutiert als von Abbado. Carignani hielt allerdings selten ein Grundtempo für längere Zeit durch, differenzierte zu stark und nicht immer einsichtig: so etwa beim Finale I, in dem Simones Solo ("E voi gridando pace...") sehr langsam daherkam, während bei den entsprechenden Ensemblepassagen wieder aufs Gaspedal getreten wurde.


    Differenzierung ist überhaupt das Stichwort: Das war von Seiten Carignanis und des Orchesters ein Verdi, wie man ihn nicht oft hört - dynamisch reich abgestuft, mit exakt einstudierten Klangfarbenmischungen (beim wunderschönen Duett Fiesco/Adorno im ersten Akt klang das Orchester wirklich wie eine Orgel). Ich finde es ausdrücklich gut, dass einmal nicht der Brio-Temperamentbolzen Verdi, sondern der subtile Instrumentator zu Ehren kam - trotzdem fiel das Stück aufgrund der Überdifferenzierung bei Tempo, Dynamik und Klangfarbe doch tendenziell auseinander. Dennoch: für mich eine interessante Alternative zu den besten bisher gehörten Live-Dirigaten von Cambreling (transparent, gut strukturiert), Gatti (kantabel, etwas weichzeichnerisch) und Simone Young (eher mit traditionellem Brio, aber auf hohem Niveau).





    Für mich war es eher eine Inszenierung vom Typus "zu viel gewollt und zu wenig umgesetzt". Wie von Alviano geschildert, starrte der Chor vor dem Beginn der Musik in das Publikum, und zwar angeblich 4'33 Minuten lang (den prätentiosen Cage-Verweis hätte sich Loy wirklich sparen können). Erwartbare Reaktionen im Publikum: versuchsweise Applaus, um das Stück in Gang zu bringen, dieser wird ausgezischt, die Zischer werden ausgelacht etc., eine Reihe hinter mir wird erregt "Unverschämtheit" und "es reicht!" geflüstert. Kein Wunder, dass eines der suggestivsten Vorspiele Verdis unter diesen Umständen nicht angemessen wahrgenommen wurde. Abgesehen davon gibt dieser Beginn durchaus Sinn - im Hinblick auf den offenen Anfang (wir erleben einen Dialog, der schon seit einiger Zeit im Gange zu sein scheint), und auch mit Bezug auf den von vielen Pausen durchsetzten Fortgang des Prologs. Am Ende der Oper ergibt sich wieder exakt das gleiche Bild wie am Anfang - die pessimistische Vorstellung von Geschichte als ewigem, sinnlosem Kreislauf kommt so zu ihrem Recht (was sehr ähnlich Claus Guth letztes Jahr in Hamburg vorgeführt hatte).


    Die Statik der handelnden Personen ist in der Tat bemerkenswert. Auch wenn sie sich bewegen, wirkt das gewissermaßen fremdbestimmt - als sehe man hier von einer unsichtbaren Hand gezogene Schachfiguren. Beabsichtigt ist von Loy offenbar eine sehr artifizielle, stilisierte Personenführung - die aber auch wegen der (mit Ausnahme von Kränzle) schauspielerisch nicht übermäßig begabten Akteure nicht funktionieren kann (Beispiel: wenn Simone kurz vor Ende des Prologs rückwärts geht, um hinten auf der Bühne quasi über die Leiche seiner Verlobten zu stolpern, wirkt er nicht wie von einer magischen Kraft gezogen, sondern einfach nur unbeholfen). Die "Schuld" für das nicht aufgegangene Kalkül ist aber sicher in erster Linie bei Loy zu suchen.


    Ansonsten gab es durchaus einleuchtende Ideen: Die von Alviano erwähnte Soffitte mit Meerespanorama bewegte sich während des Prologs nach hinten und das Meer spuckte die Leiche Maria Boccanegras aus. Die zwanzig Jahre zwischen Prolog und erstem Akt wurden bei offener Bühne überbrückt - die Protagonisten rupften sich künstliche Haare vom Kopf und alterten somit schlagartig, während aus dem Hintergrund a cappella das "Ingemisco"-Tenorsolo aus Verdis Requiem erklang. Schließlich erhob sich während des "impressionistischen" Vorspiels die tote Maria als ihre leibliche Tochter vom Boden und begann vom Meer zu singen - während das gemalte Meer nach oben eingerollt wurde. Die Sicht war auf einen roten Vorhang freigegeben, der dann später beim Auftritt des Dogen hektisch in einen roten Teppich umgewandelt werden sollte. Im zweiten Akt stellte Paolo einen seit Beginn in der Ecke liegenden Tisch auf und drapierte darauf den Gifttrank für den Dogen - um dann schließlich voller Verzweiflung den gleichen Tisch im dritten Akt wieder in seine anfängliche Position umzustürzen. Schließlich verschluckte die nach vorne geschobene Meeres-Soffitte den Dogen so, wie sie am Anfang die tote Maria freigegeben hatte - sinnloser Kreislauf der Geschichte im Ganzen wie in den Details.


    Den auch durch das "Ingemisco"-Solo angedeuteten christologischen Subtext kann ich in der Oper durchaus auch entdecken - allerdings bleiben fast alle Versuche, ihn auf der Bühne sichtbar zu machen, im Ungefähren stecken.


    Leider ziemlich in die Hose geht das grandiose Finale des ersten Aktes. Das liegt vor allem daran, dass Loy mit dem Chor nichts anzufangen weiß. Die politische Dimension bleibt in der Tat völlig unterbelichtet. Wenn der brutale Konflikt zwischen (ohnehin nicht zu unterscheidenden) Patriziern und Plebejern auf ein bisschen Geschubse reduziert wird, fehlt dem Friedensappell des Dogen einfach die dramatische Fallhöhe. Erst bei der Selbstverfluchung Paolos gewinnt die Szene wieder etwas mehr Stringenz.


    Besser gelingen der zweite und der dritte Akt (Carignani lässt sie unmittelbar ineinander übergehen). Die Statik fällt weniger auf (am Ende ist sie eh vorgegeben), der unerbittliche Fatalismus der Inszenierung beeindruckt zumindest passagenweise. Schon vor dem zweiten Akt hatten meine anfangs aufgebrachten Hintersassen ihren Zorn werkimmanent umgelenkt: "Ist schon ein fieser Möpp, dieser Paolo".


    Fazit: Ich brauche selbst bei Verdi keinen drallen Realismus (gleich welcher Art) auf der Szene. Aber die weitgehende Ent-Individualisierung der Figuren überzeugt auch nicht. Manchmal habe ich doch sehnsüchtig an die prallen Sängercharaktere von Grundheber und Tomlinson (beide gesanglich anfechtbar) in Hamburg zurückgedacht.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Danke Bernd, das war eine interessante Ergänzung zu Alvianos Bericht! Und es dürfte für dich trotz aller Einwände kein verlorener Abend gewesen sein.
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina
    Danke Bernd, das war eine interessante Ergänzung zu Alvianos Bericht! Und es dürfte für dich trotz aller Einwände kein verlorener Abend gewesen sein.
    lg Severina :hello:



    Hallo Severina,


    stimmt - ich bereue es jedenfalls nicht, hingegangen zu sein (allerdings waren meine Erwartungen ja eh etwas runtergeschraubt :D).


    Was ich mir allerdings hätte sparen könne: eine an die Aufführung anschließende Gesprächsrunde mit Dirigent Carignani, Regisseur Loy und dem ehem. Frankfurter Städel-Direktor Herbert Beck - unter Leitung des ZDF-Moderators ( :rolleyes: ) Steffen Seibert. Dieser moderierte geschickt, bot allerdings vorwiegend in Frageform gekleidete Klischees. Man erfuhr von Carignani, dass ihn der lombardische Nebel beeinflusst hat, Beck fühlte sich durch die Inszenierung an Rembrandt erinnert (weiß der Himmel warum), Loy hatte wohl eher an Pontormo gedacht (naja). Immerhin tat Loy kund, dass er Aktualisierungen grundsätzlich ablehne (historisch getreue Deutungen aber auch). Er konzentriere sich zunehmend auf das Wesentliche (wo soll das hinführen - Loy ist schließlich noch relativ jung... :D). Nur als bei einem Verweis auf das "recht sparsame" Bühnenbild ein Besucher unvorsichtigerweise lachte, wurde er von Loy angepampt ("Da müssen Sie gar nicht so blöd lachen! Wenn Sie Märchen sehen wollen, dürfen Sie nicht in die Oper gehen!" - man fühlte sich kurzfristig in hiesige Forumsdiskussionen versetzt :D). Auch wenn ich in der Sache halbwegs seiner Meinung bin - so mimosenhaft hätte er sich wirklich nicht aufführen müssen. Das ermattete Publikum beschränkte sich auf Protestgemurmel. Seine Rolle war eh als eine passive definiert...


    Viele Grüße


    Bernd

  • Bisher war man von Regisseur Claus Guth gewohnt, dass zu seinen Regiemarotten u.a. die Doppelung von Personen gehört. Gestern in München schaffte er gar eine Verfünffachung: viermal Miller und Luisa auf der viergeteilten Drehbühne mit stummen Darstellern und einmal die Sänger vor der Drehbühne. Von Anfang an agierte der Chor holzhammermäßig als Trauergemeinde, obwohl das Ende schon ab dem 1. Akt im Libretto und in der Musik erkennbar ist. Dass auch gegen den Text inszeniert wurde, gehört geradezu zu den lässlichen Sünden des sog. modernen Regietheaters. Teilweise wurden diese Fehler durch fehlende Obertitel unkenntlich gemacht. Miller wird als armseliger Spießer inszeniert, was im krassen Gegensatz zu seiner Zivilcourage laut Libretto steht. Bei Verdi ist Miller Soldat gewesen, bei Schiller Hofmusiker. Was sollten daher die ständig präsenten Celli?


    Immerhin wurden die Premierenbesucher musikalisch belohnt: ein großartiges Ensemble mit Ramón Vargas als Rodolfo, Krassimira Stoyanova als Luisa (für beide ein Rollendebüt) und Paolo Gavanelli als Miller sowie mit dem italienischen Dirigenten Massimo Zanetti und einem brillant aufspielenden Bayerischen Staatsorchester.

  • DAS LEBEN IST EIN JAMMERTAL


    Nun hat Wien auch eine eigene Boris-Fassung – man nehme die 1869er-Ur-Fassung, mixe dazu das Polen-Bild, ein Schlussbild, in dem dem Usurpator gehuldigt wird, streiche Arien, die nicht dem Fortlauf der Geschichte dienen und heraus kommt ein packendes, dichtes, emotional berührendes Werk.


    Das war zumindest die Theorie. Leider ist das irgendwie schief gegangen und ganz offen, ich habe noch nie so oft auf die Uhr geschaut wie bei dieser Produktion. Da gab es ganz, ganz wenig, das wirklich fesselte und die vielen und relativ langen Umbaupausen trugen auch nicht wirklich dazu bei, den Abend kurzweiliger zu gestalten.


    Aber vielleicht war das ja auch gar nicht die Absicht von YANNIS KOKKOS, der diesen Boris nach dem Motto „Das Leben ist ein Jammertal“ inszenierte. Ich nehme mal an, dass der selige HvK mit der dunklen Bühne seine helle  Freude gehabt hätte. Sehr spartanische Dekoration (und sogar da hätte man noch den einen oder anderen Sessel weglassen können – und warum Fjodor seine Geographiestunde auf einer Leiter sitzend abhält, nun, da ist sicherlich ein tieferer Sinn dabei, der mir allerdings entgangen ist). Die gestürzte Statue im Schlussbild war natürlich den Leninstatuen nach 1989 nachempfunden – das war ja auch nicht wirklich sensationell neu. Die ebenfalls von Kokkos „entworfenen“ Kostüme kamen wahrscheinlich der Staatsoper recht günstig. Die Anzüge der Bojaren inklusive Zar konnten sich die Sänger gleich von zu Hause mitnehmen bzw. aus anderen Produktionen ausleihen, und das Volk war im russischen Casual Style der 90er gekleidet, dazu wurde noch der eine oder andere WK II – Veteran in Ausgehuniform ausgegraben und Uniformen der polnischen und russischen Armee waren auch zu sehen. Also im Prinzip ein Straßenbild aus den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts einer russischen Großstadt.


    DANIELE GATTI, der maßgeblich an der Zusammenstellung dieser Fassung beteiligt war, konnte dem Staatsopernorchester, das wie immer wenn Gatti am Pult steht, sehr ambitioniert an die Sache geht, schon recht expressive Klänge herauslocken und konnte zum musikalischen Erfolg beitragen.


    Nicht der erste Boris war es für FERRUCICIO FURLANETTO, er hatte diese Rolle schon erfolgreich u.a. in St.Petersburg verkörpert. Jeder Vergleich mit Vorgängern in dieser Rolle ist allein schon aus dem Grund unzulässig, als dass er von der Ausbildung und Geschichte her aus einer ganz anderen Ecke, der italienischen, stammt. Weniger der Machtmensch stand da im Vordergrund, sondern der im Inneren zerrissene und unsichere Boris, der ein zärtlicher Familienvater ist. Eine „andere“ Interpretation, die aber auch gültig ist und vom Publikum entsprechend gewürdigt wurde.


    Es war sicherlich nicht unbedingt der Abend der Damenriege, was teilweise aber auch vom Konzept her bedingt war. Unauffällig LAURA TATULESCU und MICHAELA SELINGER als Zarenkinder, rollendeckend MARGARETA HINTERMEIER als Amme. Da der Schenkenwirtin die Arie gestrichen wurde, blieb JANINA BAECHLE nicht mehr viel zum Singen übrig, allerdings konnte sie durch Bühnenpräsenz einiges rausholen.


    Überhaupt war dieses Bild das für mich beeindruckendste und lebhafteste. Ich habe schon Janina Baechle angesprochen. Wie schon bei den letzten beiden Boris-Premieren war wieder ALFRED SRAMEK als Hauptmann zu sehen und sofort spürte man Leben auf der Bühne und die Langeweile war vergessen. Auch die beiden Bettelmönche PETER JELOSITS und besonders AIN ANGER trugen zur Spannung bei.


    Immer wieder ist es erfreulich den ADRIAN ERÖD, auch in kleinsten Rollen, zu hören. Für den Schtschelkalow ist er eine absolute Luxusbesetzung – es wäre wünschenswert gewesen, wenn mehrere solcher Luxusbesetzungen auf der Bühne gestanden wären… JORMA SILVASTI gab einen recht blassen Schuiski, ROBERT HOLL als Pimen war sehr oratorienhaft, aber nichtsdestotrotz ein Gewinn für diese Produktion. Positiv fiel mir in der ersten Szene wieder einmal CLEMENS UNTERREINER als Mitjuch auf.


    Kein Problem mit der Sprache hatte naturgemäß MARIAN TALABA. Ich war angenehm überrascht – er hat sich in der letzten Zeit sicherlich gesanglich weiterentwickelt. Allerdings fehlt ihm noch die Persönlichkeit, um tatsächlich auf der Bühne zu „wirken“. Das ist alles viel zu brav gewesen. Aber vom gesanglichen her lispelte er sich tapfer durch die Aufführung.


    Stichwort Sprache – Kompliment allen Beteiligten!! Das war wirklich ein verständliches russisch, was da von der Bühne kam!!


    Bleibt noch das Polen-Bild, wo FALK STRUCKMANN in gewohnter Art und Weise einen Bösewicht gab – dieses Mal in Form eines Jesuiten. Er sang den Part sehr rau und etwas schmierig. NADIA KRASTEVA als Marina Mnischek war als Glamour-Diva hergerichtet und tat das ihrige, dem Grigori den Zarenthron schmackhaft zu machen. Aber – so wie fast alles an dieser Produktion – auch das war nicht Fisch, nicht Fleisch…


    Berührend die Auftritte von HEINZ ZEDNIK, der schon 1976 bei der damaligen Premiere den Gottesnarren darstellte. So, nach 31 Jahren, schloss sich für ihn auch hier der Kreis.


    Der Jubel war insgesamt enden wollend, keine ablehnenden Reaktionen – ich hatte den Eindruck, dass alles in allem dem Publikum diese Produktion ziemlich egal ist (und das schon im Vorfeld – noch am Premierentag waren noch Sitzplätze zu haben und die Galeriestehplätze waren bei weitem nicht ausverkauft). Und ist das nicht das Schlimmste, was passieren kann?

    Hear Me Roar!

  • "Über alles ergriff ihn [= Schubert] Iphigenie auf Tauris von Gluck. Er war ganz außer sich über die Wirkung dieser großartigen Musik und behauptete, Schöneres könne es auf der Welt nicht geben. Er sagte, die Stimme der Milder [= Darstellerin der Iphigenie] durchdringe sein Herz und die Arie der Iphigenie im zweiten Akt mit einfallendem Frauenchor wäre das Schönste, was er je gehört, wenn nicht alles übrige ebenso schön wäre." (Josef von Spaun)


    Von der Wirkung der großartigen Musik kann man sich in dieser Spielzeit an der Komischen Oper Berlin überzeugen. Wenn sich dann nach 1 3/4 Stunden ein nachhaltiger Beifall erhebt, so feiert das Publikum nicht nur die beeindruckenden Leistungen der Darsteller, sondern entlastet sich auch selbst von der Spannung, die die pausenlose Aufführung in ihm nie nachlassend aufbaute, bis die Protagonisten am Ende in eine ungewisse Zukunft entlassen werden. Während der Chor das Sonnenlicht preist, das die dichte Nacht verjagte, das Ende eines lange währenden Fluches, das auf den Nachkommen des Pelops lag, schweigen Iphigenie, Orest und Pylades.


    Die Dauer der Aufführung entspricht übrigens den drei Einspielungen, die ich empfehlen möchte: Pearlman dauert 1'44'34, Bolton 1'44'54, Minkowski 1'49'29. Wenn man dann die Pause auf der Bühne zwischen dem 2. und 3. Akt abzieht, ist Goodwin der schnellste - leider nenne ich damit den gewichtigsten Einwand, den ich bei dieser Inszenierung habe: das Dirigat. Hin und wieder wirkten die Tempi zu schnell, verrieten mangelnde musikdramatische Sensibilität. Wenn etwa die ungeheure Eingangsszene ihre überwältigende Kraft nicht so recht entfalten konnte, so lag es nicht an der insgesamt nachzuvollziehenden Inszenierung Koskys, sondern daran, dass das gewählte Tempo über so manche Subtilität hinweg ging.


    (Ich habe die Aufführung am 22. Mai besucht, so dass sich natürlich in der Einschätzung der Aufführung einiges zu Alviano unterscheiden kann. Über Details diskutiere ich gerne noch weiter.)


    Die barbarischen Skythen waren hier eine blutrünstige Soldateska, die keinen Zweifel an ihrer Freude an Grausamkeit ließ. Das steht auch so in der Partitur, da braucht man nur einmal diesen besinnungslosen Freudentanz am Ende des 1. Aktes (mich erinnert er ein wenig an kölsche Karnevalsmusik) zu hören, in dem das Einbringen neuer Todeskandidaten gefeiert wird. Besoffen nicht an Alkohol, besoffen an Blut. Wie immer gibt es bei einer solchen Inszenierung eine Gefahr, die aber Kosky weitgehend vermieden hat: Die erwartete Grausamkeit ist immer erschreckender als die auf der Bühne detailliert vorgeführte - die Phantasie ist eben wirkungsvoller als alles, was uns der Filter des Auges überliefert.


    Kosky hat als Kern der Oper das Opfer geortet: Es beginnt mit dem Opfer Iphigenies durch Agamemnon in Aulis. Dieses Opfer zieht mit schauriger Konsequenz den Mord an Agamemnon, dieser die Rachetat Orests nach sich - Opfer, aber keine Sühne. Auf Tauris gibt es Menschenopfer, sie finden zwar vor dem geraubten Bild der Diane statt, aber sie dienen nur, der wahnsinnige Angst des Thoas vor dem Fremden, der ihn töten soll, zu genügen: aber jedes neue Menschenopfer vergrößert die Angst, dass der nächste unerkannte Fremde den Königsmord vollbringt. Angst ist Barbarei ist Angst. Diane scheint den Missbrauch ihres Bildes zu billigen, spät erst, sehr spät wird Orest ausgeschickt, das Bild zu befreien und zurück zu bringen. Und an der Peripetie des Stückes steht das Opfer, die Tat, die Iphigenie an Orest vollbringen will. Soll sich der Fluch, den die Götter über die Atriden ausgesprochen haben, nun fortsetzen - der nächste Mord in der nächsten Generation? Dass die Geschwister sich in diesem Moment erkennen, bewirkt die Versöhnung. Der Jubel der Musik überwindet Orests Skepsis, Freiheit ihm, Freiheit Iphigenie, Freiheit den gefangenen Griechen - das entlädt sich in der Freude des Schlusschores. Diane als Göttin kann nur mehr bestätigen, was die Menschen, was Iphigenie, was Pylades, was Orest schon ohne sie geschafft haben: die Rückkehr ans Licht aus der Finsternis von Tyrannei und Barbarei.


    Großartig die Solisten, Geraldine McGreevy als Iphigenie, Kevin Greenlaw als Orest (der trotz Infekt keine Indisposition an diesem Abend hören ließ), Peter Lodahl als Pylades - und auch der stimmmächtige Ronnie Johansen als Thoas. Zu Recht gab es am Ende den Riesenbeifall eines gut gefüllten Hauses.


    Wer in Berlin ist oder dorthin reist, sollte sich der Möglichkeit nicht benehmen, eine der schönsten Opern der Operngeschichte mitzuerleben. Ich werde auf jeden Fall ein zweites Mal hinfahren - und sei es, um diesmal ein wenig mehr auf die mit großer Kunst hergestellte deutsche Fassung zu achten. Man hatte auf die verstaubte Sprachlichkeit Alxingers zu Recht verzichtet, auch wenn Gluck sich für diese noch einmal an die Partitur gesetzt hatte, um sie der Übersetzung anzupassen. Die neue Übersetzung ist griffiger und direkt.


    Es grüßt Peter

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