Kurznotizen aus den Opernhäusern!

  • Der fliegende Holländer oder: das Theater Aachen sieht schwarz


    Diesmal zur Saisoneröffnung was zum Gruseln, eine "Gespensteroper" also. So wurde der zweite Wagner in Folge im Theater Aachen angekündigt.
    Wenn Gruseln heißt: schwarze Plastikplanen auf dem Bühnenboden, ein aufgeschüttetes Grab, dunkel gekleidete Personen, Daland als tätowierter Ledermann, Zylinderträger mit dampfendem Jackett, ein meist unbenutzter oder zum Schabernack bewegter Rollstuhl, dekolletierte Fischweiber, ein overdresseder Holländer und - aus der Abteilung "jetzt quälen wir mal das Publikum" - die Zuschauer mit grellem Taschenlampenlicht blendenden oder wachrütteln sollenden (?) Sänger nebst knapp bekleidetem "reichem Schatz" im Einkaufswagen als Angebot, das der geile Daland nicht ablehnen wird, schliesslich zum bösen Schluss ob Sentas Ende ziemlich hilflos herumstehende Protagonisten: nun, dann konnte dem geneigten Besucher durchaus gruselig werden. Ach ja: die Spiegelung eines Holländer-Doppelgängers war auch dabei (gibt's natürlich in jeder 2. Holländerinszenierung), es fehlte allerdings das Schiff...
    (Inszenierung: Alexander Müller-Elmau, der sich bei der Premiere mit düster-unbewegtem Gesicht kräftige Buhs abholte)


    Aber man kommt ja nicht nur der Inszenierung wegen sondern weil man die Musik schätzt.


    Und da sah alles so viel heller aus!


    Musikalisch-orchestral ist dieser Holländer ein Hochgenuss, sängerisch zum Teil jedenfalls ebenfalls sehr hörenswert.
    Marcus Bosch geht energisch zur Sache, er wählt recht schnelle Tempi, hetzt aber niemals. Schon beim "Lohengrin" war es eine Freude zu bemerken, wie er Rücksicht aufs Sängerpersonal nimmt, er deckt nicht zu, achtet auf die richtigen Lautstärkerelationen, disponiert klug
    Und das Orchester wird einfach immer perfekter, hochengagiert mit wunderbaren Farben. Die Bläser ohne Tadel, es zischt und sprüht, man meint, die Gischt kocht aus dem Orchestergraben. Und die leiseren Passagen, volltönende weiche Streicher. Der Herr neben mir schloss häufig die Augen und ließ sich nicht ablenken vom Aktionismus auf der Bühne.


    Gesanglich waren Glanzlichter: Woong-jo Choi als Holländer (bereits im Lohengrin ein kraftvoller König Heinrich), herrlich der Steuermann von Andreas Scheidegger, düster-gruselig doch klangvoll der Daland von Krzysztof Borysiewicz. Irina Popova hat's dagegen schwer als Senta. Sie muss forcieren, schafft erhebliche Lautstärken aber nur zum Preis starken Tremolierens, mehr noch als bei ihrer Elsa letztes Jahr. Ich denke, es ist ihrer Stimme nicht zuträglich, schwere Wagnerpartien gleich hintereinander bewältigen zu wollen.


    Der Chor (Einstudierung: Frank Flade) schließlich: perfekt, kraftvoll, klar, trotz Verkleidung einfach luxuriöser starker Chorgesang.


    Mein Eindruck zusammengefaßt: erneut beweisen die Aachener musikalisch ihr Spitzenniveau. Solche starke Leistung allerdings hätte eine adäquate Inszenierung verdient!

    Beste Grüße!

  • Zitat

    Original von wimmus


    Diesmal zur Saisoneröffnung was zum Gruseln, eine "Gespensteroper" also. So wurde der zweite Wagner in Folge im Theater Aachen angekündigt.


    Da habe ich wohl was überlesen. Das Motto der Spielzeit heißt doch `Nachtseite der Vernunft`. Und wenn ich auch wenig mit der Inszenierung anfangen konnte habe ich die schwarze Bühne damit assoziiert.


    Zitat

    [...]schliesslich zum bösen Schluss ob Sentas Ende ziemlich hilflos herumstehende Protagonisten:


    Also ich war ziemlich verblüfft angesichts dessen, daß Senta da von den eigenen Leuten massakriert wird. Es ist doch verblüffend, daß die Regisseure Senta und damit der Frau absprechen, daß sie treu sein kann. In Aachen wird sie von diesem Wahlspruch durch eigenen Tod erlöst, in Essen tötet sie den Holländer.


    Bei meinem Besuch dirigierte Daniel Jakobi. Da gab es leider einige Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Bühne und Graben, vor allem bei den Chorszenen. Das Haus halte ich - nun nach der zweiten Begegnung dort mit Wagner - immer noch für zu klein für dieses `Orchesterbrausen`. Andererseits meint man natürlich mitten im Graben zu sitzen ;).

  • Noch mal nachgeschaut: das Motto im Theater Aachen für die Spielzeit 2007/2008 lautet "Jenseits der Grenzen". ('Nachtseite der Vernunft' war das Motto der diesjährigen Salzburger Festspiele).


    Und als 'Gespensteroper' wird der Holländer schon in der Stadt angekündigt.
    Ist ja auch irgendwie eine!


    Ansonsten stimme ich zu: das Haus ist sehr klein, zumindest aber wenn der Chef dirigiert, ist die Klangbalance meist hervorragend.


    Nebenbei ist die Akustik recht geeignet für kleinere Besetzungen, z.B. die letzten ausgezeichneten Barockwerke (Fairy Queen von Purcell und Agrippina von Händel).

    Beste Grüße!

  • Vor rund 25 Jahren hatten die „Trojaner“ (es wurde deutsch gesungen) von Hector Berlioz in der genialen Inszenierung von Ruth Berghaus und unter der musikalischen Leitung von Michael Gielen an der Frankfurter Oper Premiere.


    Gestern nun wagte Stuttgart einen erneuten Versuch mit „Les Troyens“ (in der französischen Originalsprache), es inszenierte Joachim Schlömer und der neue Stuttgarter GMD Manfred Honeck stellte sich mit dieser opulenten Oper dem Stuttgarter Publikum vor.


    Berlioz gehört zu jenen Komponisten, die viel zu selten auf unseren Spielplänen auftauchen, vor allem, wenn man ihr musikalisches Gewicht berücksichtigt. Gewiss, leicht zu realisieren sind die Werke des 1803 in La Cote-Saint-André geborenen Künstlers nicht, die Anforderungen an das Orchster und die Sängerinnen und Sänger sind beachtlich, aber, und dafür war der gestrige Abend ein guter Beleg, ausserordentlich bereichernd und lohnend, wenn es denn mal ein Opernhaus wagt, dem Publikum einen Berlioz vorzustellen.


    Die Handlung des zweiteiligen Werkes dürfte jedem bekannt sein: im ersten Teil wird die Eroberung Trojas durch die Griechen unter Zuhilfenahme des „Trojanischen Pferdes“ geschildert – im Zentrum steht die Seherin Cassandre, die vergeblich die Trojaner vor der drohenden Gefahr zu warnen versucht. Im zweiten Teil wird die Geschichte von Didon und Énée erzählt, wie sich beide ineinander verlieben, aber der göttliche Wille den Énée nach Italien zwingt und Didon sich aus Verzweiflung über diesen Verlust ihres Liebhabers selbst auf einem Scheiterhaufen verbrennt.


    Erst vor kurzer Zeit hatte Stuttgart eine andere Version dieser berühmten Geschichte im Spielplan: Joseph-Martin Kraus Oper „Aeneas in Karthago“ erlebte hier ihre späte Uraufführung.


    Nun also Berlioz:


    Man sieht beim Aufgehen des Vorhangs eine Art offene Höhle, ganz in Gelb, in deren Mitte sich die Trojaner versammelt haben – der Krieg ist nach zehn Jahren aus, die Trojaner in lindgrünen Uniformen und ebensolchen Maschinenpistolen rüsten ab. Ein wenig primitiv sieht das aus – und tatsächlich: es gibt einen Magier, einen Schamanen, dem die Trojaner grosses Vertrauen entgegenbringen und der mit allerlei Pulvern und Opfergaben herumhantiert und eindeutig eine gewisse Autorität geniesst.


    Ganz anders die Seherin Kassandra: ganz in weiss tritt sie auf, auch ihre Haare, die ihr bis über die Brust fallen, sind silberweiss, schon optisch unterscheidet sie sich von den anderen Menschen in Troja. Sie hat Visionen – eindringlich warnt sie davor, dem plötzlichen „Frieden“ zu misstrauen. Keiner hört auf sie, auch ihr Verlobter Chorébe nicht.


    Während eines Boxkampfes tritt Andromaque, die Witwe Hectors, auf. Kalkweiss, mit flammend rotem, kurzen Haar. Ihren vielleicht zehnjährigen Sohn Astyanax, auch er weiss, wie die Mutter und mit dem gleichen roten Haar versehen, holt sie aus einer Art Grabkammer hervor. Und hier entsteht ein erster Höhepunkt der Inszenierung: Schlömer, von Haus aus Choreograph, inszeniert diese Szene, sehr eindringlich mit der Tänzerin Inés Hernández und dem Jungen Ruben Rapp. Da ist einmal eine Verzweiflung im Körper der Tänzerin, dann aber auch eine liebevolle Hingabe an den Jungen, die sehr berührend ist. Die Szene gipfelt in dem Moment, wo die Mutter sich ihres dünnen Kleides entledigt und damit ihren Sohn umwickelt.


    Das Pferd, das die Griechen zurückgelassen haben – und das auf Wunsch des Énée in die Stadt gebracht wird – ist ein altes Feldmotorrad, dessen knatternder Motor die Trojaner erschreckt.


    Cassandre visioniert den Untergang Trojas und weiss, dass sie diesen nicht mehr verhindern kann.


    Die Griechen morden, was ihnen in den Weg kommt – Frauen und Kinder werden blutüberströmt hereingetragen, vom Bühnenhimmel schweben Griechen herunter, sie sehen ein wenig wie Gestalten aus einem Science-fiction-Film aus.


    Die Trojanerinnen erkennen, wenn auch zu spät, dass Cassandre mit ihren Prophezeiungen recht hatte: um der Versklavung zu entgehen, ermorden sie sich selbst vor den Augen der Griechen.


    Énée gelingt mit seinem Sohn Ascagne die Flucht – der trojanische Held Hector hat ihm befohlen nach Italien zu ziehen.


    Die Verblüffung ist gross, wenn der Zuschauer nun den nächsten Schauplatz der Geschichte kennenlernt:


    Das Karthago der Königin Didon präsentiert sich als moderner High-Tech-Staat, viel Metall, viel Glas, die Königin selbst eine Politikerin von heute, im schicken Kostüm, medienerfahren lässt sie ihre Worte ans Volk auf eine Grossbildleinwand übertragen.


    Ihre Untertanen sind business people, deren wichtigstes Utensil das Laptop ist.


    So erfolgreich die Königin als Politikerin ist, das Privatleben sieht nicht so schön aus: ihr Ehemann wurde ermordet und sie ist noch voller Trauer über diesen Verlust.


    Ihre Schwester Anna ist da ganz anders drauf: modisch schick kommt sie mit vielen Einkaufstüten vom shoppen, das Leben geht weiter und sie fände es gut, wenn ihre Schwester Didon sich wieder verlieben würde. Um das richtige Outfit für die Jagd nach einem Mann hat sie sich einkaufenderweise gekümmert: schicke Kleider, knappste Tangahöschen und BHs – und, für die Zeit, die der neue Liebhaber noch auf sich warten lässt, einen veritablen Dildo.


    Allein, Didon ist nicht interessiert. Da kommen die Trojaner in Karthago vorbei: und hier gelingt Schlömer wieder ein einfaches, aber sehr treffliches Bild: die wirken in ihrer realtiven Urständigkeit in dem technisierten Glaspalast der Didon völlig fremd – der Schamane wirkt hier wie im falschen Film, wenn er mit Schaltern aller Art oder einer Videokamera hantiert.


    Und diesen Fremden gelingt das, was Anna so vergeblich versucht hat – sie lenken die Königin ab, mehr noch, der trojanische Anführer Énée erweckt mehr als nur die Aufmerksamkeit der Didon .


    Ein feindliches Volk greift Karthago an – schnell verbünden sich die Trojaner und die Karthager und verfolgen und ermorden die Soldaten des König Iarba (echte Bilderbuchwilde) gemeinsam. Hier ist wieder einmal mehr die perfekte Einbindung von choreographischen Elementen in die Inszenierung zu bewundern – überhaupt überzeugt Schlömer immer wieder durch seine nie aufgeregte, aber intensive Personenführung.


    Auch Nebenpartien erfahren eine sorgsame Behandlung: der Sänger Iopas z. B. wird hier zum schmalzigen Schlagerheini, natürlich an einem rein weissen Flügel, der Trojaner Hylos darf sein Liebeslied singen, während er einen Papierdrachen bis weit in die Kuppel des Zuschauerraumes steigen lässt.


    Ganz ruhig die Entwicklung der Liebesgeschichte, aber auch das Ende der Didon. Hier verlässt sich Schlömer zurecht auf die Ausdrucksstärke seiner Didon-Sängerin Christiane Iven.


    Die zeigt auch sängerisch die stärkste Leistung des Abends: Christiane Iven, eigentlich ein Mezzosopran, singt seit einiger Zeit auch Sopranpartien: Emila Marty, Marschallin oder die Wozzeck-Marie, z. B.. Das hört man ihrer Stimme an, aber sie verfügt noch immer über ein bemerkenswertes Ausdrucksspektrum. Während ihr zu Beginn ihrer Partie noch einige unschöne Momente unterliefen, war der grosse Klagegesang am Ende enorm – vor allem, die zurückgenommenen Passagen überzeugten: bis an die Grenze zur Unhörbarkeit brachte Christiane Iven ihre technisch einwandfreien Töne souverän über die Rampe. Und was die Stimme vielleicht nicht perfekt schaffte – in Haltung und Ausdruck machte das diese Sängerin locker wett.


    Schwächer die Cassandre von Barbara Schneider-Hofstetter. Ihr gelang es eigentlich nicht, das berliozsche Idiom zu treffen, die Stimme wirkte angestrengt, unsicher, es fehlte an Leichtigkeit, zu sehr musste die Sopranistin (auch sie ein ehemaliger Mezzo) kämpfen. Die grossen Wagner-Partien liegen dieser Sängerin gewiss mehr als die Musik von Hector Berlioz.


    Eine Fehlbesetzung der Énée mit Ki-Chun Park. Der koreanische Tenor ist im italienischen Fach zu Hause, dort insbesondere bei den veristischen Partien, also denkbar weit weg von dem, was für Berlioz wichtig wäre.


    So mangelt es dem Sänger vor allem am Stilempfinden für diese Art von Musik. Dazu kommen manche engen und gequetschten Töne, einige Unsicherheiten, die Spitzen werden, wenn sie denn vernünftig erreicht werden, brutal herausgebellt. Der S-Fehler des Sängers fällt da kaum noch ins Gewicht. Deutlich war zu spüren, dass das Publikum beim Schlussapplaus auf Park reserviert reagierte – Buhs blieben ihm diesmal erspart, wohl auch, weil es gute Énée-Interpreten nicht gerade häufig gibt.


    Gute Leistungen von Matthias Klink (Iopas) und Michael Nowak (Hylos) und den Stimmklang von Ceri Williams (Anna) mag ich sehr, auch wenn ich weiss, dass da kräftig nach unten gedrückt wird, um ein wenig wie Marlyn Horne oder Ewa Wolak zu klingen...


    Auch der Chor entledigte sich seiner vielfältigen Aufgaben sehr ordentlich – vor allem in der Ausgestaltung dynamischer Änderungen und im Zusammenklang bewies Stuttgart hier, dass man zumindest bei den Premieren in der oberen Kategorie der Opernhäuser in Deutschland mitzuspielen versteht.


    Manfred Honeck ist ein achtbarer Einstieg gelungen – die Tempi waren sorgsam gewählt, es blieb viel Raum für lyrische Entfaltung, der Zusammenhalt war manchmal nicht optimal, die Klangbalance auch nicht – aber der Gesamteindruck war zumindest so, dass ich mich auf die nächste Begegnung mit dem neuen Stuttgarter GMD freue, auch wenn ich Lothar Zagrosek gestern etwas vermisst habe.


    Am Ende freundlicher Beifall für alle Beteiligten, zurückhaltender für den Tenor, Ovationen vor allem für Christiane Iven und keine Buhs für die Regie.

  • Danke für diesen Beitrag, Alviano, der mich sehr neugierig macht auf die Vorstellung, die ich am 25.11. sehen werde!


    War Barbara Schneider-Hofstetter tatsächlich Mezzo? Ich hörte sie vor etwa zehn Jahren in Passau als Alzira und als Tosca....


    :hello:


    Elisabeth

  • Hallo Alviano,
    danke für deine wie immer äußerst plastische Schilderung der Inszenierung. Erst unlängst haben mir Freunde ebenso begeistert von den "Troyens" ins Basel berichtet, und das lässt in mir jetzt doch den Entschluss reifen, mir die DVD zuzulegen, die ja schon einige Taminos in höchsten Tönen gelobt haben. Denn ich fürchte, an die WSO wird sich diese Oper so rasch nicht verirren...... :(
    Wurde sie eigentlich in voller Länge gespielt? In Basel hat sie, glaube ich, 5 Stunden gedauert!
    lg Severina :hello:

  • Liebe Severina,


    wenn Du Dir eine DVD der TROYENS zulegen willst, wozu ich natürlich dringen rate, nimm entweder die Salzburger unter Cambreling oder, noch besser, aber leider auch noch teurer, die fantastische DVD von Gardiner mit Susan Graham.


    Liebe Grüße


    :hello: Rideamus


  • Lieber Rideamus,
    danke für die Tipps, ich liebäugle schon länger mit zweiterer, und du bestärkst mich jetzt darin. Und da ja Weihnachten naht..... :]
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von Elisabeth
    War Barbara Schneider-Hofstetter tatsächlich Mezzo?


    Hallo Elisabeth, hallo severina


    möglicherweise irre ich mich - ich weiss auch, warum sich mir dieser Eindruck festgesetzt hat: die Höhe von Barbara Schneider-Hofstetter ist hörbar das Ergebnis harter Arbeit.


    Mir hat ihre Brünnhilde in Wiesbaden sehr gut gefallen - und auch ihre Isolde in Hannover fand ich besser, als in mancher Kritik zu lesen war.


    Ich bin deshalb auf die Senta gespannt, die sie ab Januar in Stuttgart singen wird.


    Jedenfalls freue ich mich drauf, was Du über die Stuttgarter "Troyens" berichten wirst - mir hats, ich denke, das ist klar rübergekommen, ganz gut gefallen.


    Und da bin ich bei severina angekommen: nein, die Aufführung war nicht strichlos, reine Musik waren es ca. 3 1/2 Stunden, gedehnt mit zwei 50minütigen Pausen auf ca. 5 1/2 Stunden Verweildauer in Stuttgart.


    Für ein kleineres Theater wie Basel bedeutet "Troyens" einen echten Kraftakt. Es waren Basler Gäste zugegen, allerdings wohl Presse, das verrieten jene Mappen, die für die Presse vorgehalten, für mich aber nicht zur Verfügung stehen...


    Doch, ich würde unbedingt zuraten, dieses Werk mal kennenzulernen - es ist ein wirklich gewichtiges Werk.


    :hello:

  • Hallo Alviano,
    um Himmels willen, zwei Pausen zu 50 Minuten???? 8o Wozu denn das? Waren die Umbauten derart kompliziert? Da wird man doch völlig aus dem Stück, aus der Stimmung herausgerissen. Mich stört ehrlich gesagt schon eine Pause, mir wäre am liebsten, man würde eine Oper in einem Zug durchspielen.
    Aber natürlich leuchet mir ein, dass das nicht geht.
    Die Aufführung in Basel muss in jeder Beziehung toll gewesen sein, besonders A.C. Antonacci als Cassandre. Es handelt sich übrigens um keine Neuproduktion, sondern um eine Übernahme der gefeierten Produktion aus Paris aus dem Jahr 2003.
    lg Severina :hello:

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  • Zitat

    Original von Alviano
    Und da bin ich bei severina angekommen: nein, die Aufführung war nicht strichlos, reine Musik waren es ca. 3 1/2 Stunden, gedehnt mit zwei 50minütigen Pausen auf ca. 5 1/2 Stunden Verweildauer in Stuttgart.



    Hallo Alviano,


    vielen Dank auch von mir für Deinen Bericht! Ich hoffe, dass ich es diesmal nach Stuttgart schaffen werde...


    Kurze Nachfrage: Was genau wurde denn gekürzt? Nur die Ballettmusiken (was ich für legitim halte) oder noch mehr (da bekäme ich Bauchschmerzen)? Dreieinhalb Stunden liegen ja etwas unter der Norm - die gut fünf Stunden bei der Pariser Aufführung kommen allerdings auch dadurch zustande, dass Gardiner eine längere, von Berlioz verworfene Version des letzten Finales spielen lässt.




    Zitat

    Original von severina
    Die Aufführung in Basel muss in jeder Beziehung toll gewesen sein, besonders A.C. Antonacci als Cassandre. Es handelt sich übrigens um keine Neuproduktion, sondern um eine Übernahme der gefeierten Produktion aus Paris aus dem Jahr 2003.



    Hallo Severina,


    ich mag mich täuschen, bin mir aber ziemlich sicher, dass es in Basel keine Aufführung der "Trojaner" gegeben hat. Du meinst wahrscheinlich Genf. Das dortige Haus - etwas größer als das Baseler - hat die Pariser Aufführung koproduziert (Didon: Anne-Sofie von Otter; Aeneas: Kurt Streit; Dirigent: John Nelson - natürlich nicht HIP wie Gardiner).




    Zitat

    Original von Rideamus
    wenn Du Dir eine DVD der TROYENS zulegen willst, wozu ich natürlich dringen rate, nimm entweder die Salzburger unter Cambreling oder, noch besser, aber leider auch noch teurer, die fantastische DVD von Gardiner mit Susan Graham.



    Hallo Rideamus,


    nachdem ich mich in den entsprechenden Inszenierungsthreads in den letzten Wochen krampfhaft um eine objektivierte Sichtweise bemüht habe :D, hier einmal ein ganz subjektives Urteil: Ich ertrage die DVD mit der Pariser Aufführung nur schwer, und das liegt vor allem an der Inszenierung - schlimmstes Stehtheater in monumentalen klassizistischen Kulissen mit einigen wenigen modernistischen Zutaten. Gerade die "Trojaner", bei denen es darauf ankommt, sie von dem Klischee klassizistischer Leblosigkeit zu befreien, werden hier von Herrn Kokkos genau darauf getrimmt. Wenn bei den großen Ensembles Sänger und Chor wie bei einer konzertanten Aufführung gruppiert sind und mit hilfloser Gestik und Mimik Betroffenheit, Freude etc. mimen, kann ich nur noch die Augen schließen. Gardiner und das Orchester leisten sicher Außerordentliches (wobei die farbig-lyrische musikalische Konzeption ziemlich quer zur Regie steht) - aber ich finde auch zwei zentrale Sänger nicht ideal: Gregory Kunde als überforderten Aeneas und leider auch die vielgelobte Susan Graham als Didon, die spätestens im fünften Akt den sängerischen Offenbarungseid leistet.


    Die Salzburger Aufführung, die ich live erlebt habe, ist leider, leider in puncto Regie auch nicht ideal: wie in manchen seiner späteren Produktionen bleibt der große Herbert Wernicke merkwürdig zurückhaltend, Magie will sich nicht einstellen. Trotzdem ist die Inszenierung um Klassen besser als die Pariser; von der Tendenz her liegt sie in der Mitte zwischen einer klassizistischen Musealisierung à la Kokkos und einer aktualisierenden Sichtweise, wie sie Alviano aus Stuttgart schildert. Musikalisch ist die Salzburger der Pariser Produktion mindestens ebenbürtig.


    Die schrecklichsten "Trojaner", die ich jemals auf der Bühne erleben durfte, gab es übrigens bei den Münchener Opernfestspielen 2001: trotz guter Besetzung (Polaski/Waltraud Meier/Jon Villars) und wegen einer unglaublich dürftigen, nichtssagenden, poppig-bunten Inszenierung von Graham Vick und eines Zubin Mehta als Dirigenten, der sich als wahrhaftiger Anti-Berlioz entpuppte. Nach der Aufführung hätte ich beinahe an dieser großartigen Oper gezweifelt...



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd, du hast natürlich völlig Recht, es war Genf und nicht Basel :O (Da meine Freunde beide Häuser regelmäßig besuchen, ist mir da etwas durcheinandergeraten)
    Danke für deine Warnung bezüglich DVD, denn ich hatte tatsächlich diese im Auge. Aber wenn es sich bei diesem Kokkos um Janis Kokkos handelt, der im Vorjahr unseren Boris vermurkst hat, glaube ich dir aufs Wort!
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    - die gut fünf Stunden bei der Pariser Aufführung kommen allerdings auch dadurch zustande, dass Gardiner eine längere, von Berlioz verworfene Version des letzten Finales spielen lässt.


    Vielleicht erinnere ich da etwas falsch, denn die Gardiner DVD habe ich mindestens ein halbes Jahr nicht mehr gesehen, aber in meiner Erinnerung ist der von Gardiner wieder restaurierte Teil allenfalls 2-3 Minuten lang, kann also nicht wirklich an der so viel längeren Laufzeit "Schuld" sein.


    Zitat


    Hallo Rideamus,


    nachdem ich mich in den entsprechenden Inszenierungsthreads in den letzten Wochen krampfhaft um eine objektivierte Sichtweise bemüht habe :D, hier einmal ein ganz subjektives Urteil: Ich ertrage die DVD mit der Pariser Aufführung nur schwer, und das liegt vor allem an der Inszenierung - schlimmstes Stehtheater in monumentalen klassizistischen Kulissen mit einigen wenigen modernistischen Zutaten.... (wobei die farbig-lyrische musikalische Konzeption ziemlich quer zur Regie steht) - aber ich finde auch zwei zentrale Sänger nicht ideal: Gregory Kunde als überforderten Aeneas und leider auch die vielgelobte Susan Graham als Didon, die spätestens im fünften Akt den sängerischen Offenbarungseid leistet.


    Es ist natürlich alles relativ. Wenn ich die Pariser Inszenierung mit der New Yorker vergleiche, dann ist sie geradezu erstaunlich animiertes Regietheater und vor allem in der Gestaltung der Eroberung Trojas höchst eindrucksvoll. Die Salzburger Inszenierung Wernickes ist vielleicht wirklich die beste, die ich bislang gesehen habe, denn von ihr erinnere ich tatsächlich mehr Bilder als von der Pariser, obwohl es schon länger her ist, dass ich sie gesehen habe. Das liegt m.E. aber vor allem an einer sehr ausgefuchsten Ausstattung, deren Farbregie mich enorm beeindruckt hat. Ganz im Gegensatz übrigens zu der legendären gelb-grauen Frankfurter Inszenierung von Ruth Berghaus, die ähnlich vorging, die ich aber vor allem deshalb zwei oder drei mal gesehen habe, weil sie musikalisch superb war, nicht wegen der gelegentlichen Mätzchen wie dem mit einem leuchtenden Herzen herum staksenden Amor. Im übrigen musste auch Berghaus spätestens bei den umfangreichen Ensembles klein beigeben und sich auf belebte Standbilder beschränken, damit diese enorm komplexen Szenen nicht musikalisch ins Wackeln gerieten, was Gielen sehr gut zu vermeiden wusste.


    Ich vermag es noch nicht wirklich zu sagen, aber vielleicht ist diese zwar grandiose, aber auch hoch stilisierte Oper wirklich nicht im konventionellen Sinne zu "animieren". Immerhin haben wir es hier mit zwar enorm beseelten, in ihrer idealisierten Konzeption aber dennoch eher statuarischen Charakteren zu tun. Mich hat es jedenfalls nicht gestört, weil die "Standbilder" zu denen die jeweiligen Ensembles arrangiert wurden, mir zumindest als einleuchtende Abbildung oder Kondensation des jeweiligen Geschehens erschienen - wie gelungene Gemälde antiker Genreszenen.


    Bei Gregory Kunde muss ich Dir leider Recht geben, wobei ich nicht weiß, wer außer Ben Heppner heute überhaupt noch einen Aeneas geben kann, der den Anforderungen der Rolle gerecht wird. Bei Susan Graham teile ich Deine Ansicht nicht. Zwar fehlt ihr (noch?) die Ausstrahlung einer Janet Baker, von der ich ja nur den Schlussgesang kenne, oder einer Regine Crespin auf dem Pretre-Querschnitt (auf der Guy Chauvet dafür hoffnungslos überfordert ist) und die stimmliche Strahlkraft einer Deborah Polaski, aber in der Kombination von enorm warmer Darstellung und leidenschaftlichem Gesang fand ich sie schon sehr anrührend und sogar besser als seinerzeit Anja Silja live. Einen Zwang zum sängerischen Offenbarungseid habe ich jedenfalls nicht vernommen. Dabei habe ich gerade den chlussgesang mehrfach gehört. Aber vielleicht war ich von ihrer Darstellung genug gepackt um dergleichen noch wahrzunehmen.


    Kurz: die ideale Inszenierung der Trojaner findet wahrscheinlich nur im Kopf des Hörers statt, aber unter den gegebenen Umständen kamen für mich die Salzburger wie die Pariser Inszenierung einem mindestens befriedigenden, mich aber auch überzeugenden Gesamteindruck so nahe, wie ich es bisher irgend erlebt habe (die Aufführungen in Covent Garden kenne ich leider nicht). Ein magisches Theater wie die brillante Salzburger Gestaltung von FAUSTS VERDSAMMNIS durch die Furia dels Baus würde ich jedenfalls für die TROYENS für verfehlt halten.


    Wenn ich irgend könnte, würde ich mir nach Alvianos lebendigem Bericht natürlich sehr gerne die Stuttgarter Inszenierung anschauen. Vielleicht kann er mit besonderer Berücksichtigung der Ensembleszenen noch etwas sagen, wie das mit der Bewegungsregie in Stuttgart gelöst wurde.


    :hello: Rideamus


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus


    Vielleicht erinnere ich da etwas falsch, denn die Gardiner DVD habe ich mindestens ein halbes Jahr nicht mehr gesehen, aber in meiner Erinnerung ist der von Gardiner wieder restaurierte Teil allenfalls 2-3 Minuten lang, kann also nicht wirklich an der so viel längeren Laufzeit "Schuld" sein.



    Da wirst Du durchaus recht haben - ich habe (jetzt kommt mein Offenbarungseid :D ) diese DVD überhaupt nur einmal ganz und ein weiteres Mal in Auszügen gesehen und gehört (und das ist länger her als ein halbes Jahr). Allerdings aus guten Gründen... ;)


    Wobei ich mich vage erinnere, gelesen zu haben, dass Gardiner auch nur einen kleinen Teil der ursprünglichen Fassung wiederbelebt hat - während bei der etwa gleichzeitigen Mannheimer Aufführung noch viel mehr gezeigt wurde. Die habe ich aber nicht gesehen. Abgesehen davon finde ich die "Trojaner" zwar keineswegs zu lang, noch länger müssen sie aber auch nicht werden. :D


    Ist der Grund für die längere Dauer bei Gardiner dann wirklich nur die Ballettmusik, die bei Cambreling ja fehlt? Ich muss mal bei Gelegenheit nachschauen... ?(




    Zitat


    Es ist natürlich alles relativ. Wenn ich die Pariser Inszenierung mit der New Yorker vergleiche, dann ist sie geradezu erstaunlich animiertes Regietheater und vor allem in der Gestaltung der Eroberung Trojas höchst eindrucksvoll. Die Salzburger Inszenierung Wernickes ist vielleicht wirklich die beste, die ich bislang gesehen habe, denn von ihr erinnere ich tatsächlich mehr Bilder als von der Pariser, obwohl es schon länger her ist, dass ich sie gesehen habe. Das liegt m.E. aber vor allem an einer sehr ausgefuchsten Ausstattung, deren Farbregie mich enorm beeindruckt hat. Ganz im Gegensatz übrigens zu der legendären gelb-grauen Frankfurter Inszenierung von Ruth Berghaus, die ähnlich vorging, die ich aber vor allem deshalb zwei oder drei mal gesehen habe, weil sie musikalisch superb war, nicht wegen der gelegentlichen Mätzchen wie dem mit einem leuchtenden Herzen herum staksenden Amor. Im übrigen musste auch Berghaus spätestens bei den umfangreichen Ensembles klein beigeben und sich auf belebte Standbilder beschränken, damit diese enorm komplexen Szenen nicht musikalisch ins Wackeln gerieten, was Gielen sehr gut zu vermeiden wusste.


    Ich vermag es noch nicht wirklich zu sagen, aber vielleicht ist diese zwar grandiose, aber auch hoch stilisierte Oper wirklich nicht im konventionellen Sinne zu "animieren". Immerhin haben wir es hier mit zwar enorm beseelten, in ihrer idealisierten Konzeption aber dennoch eher statuarischen Charakteren zu tun. Mich hat es jedenfalls nicht gestört, weil die "Standbilder" zu denen die jeweiligen Ensembles arrangiert wurden, mir zumindest als einleuchtende Abbildung oder Kondensation des jeweiligen Geschehens erschienen - wie gelungene Gemälde antiker Genreszenen.


    Um die Berghaus/Gielen-Erfahrung beneide ich Dich sehr. Und vielleicht hast Du bis zu einem gewissen Grad recht, was die Widerstände betrifft, die diese Oper dem "Animieren" entgegensetzt. Trotzdem kann man auch statuarische Situationen auf verschiedene Weise stilisieren - es muss nicht die ganz konventionell-verstaubte Variante sein. Wernicke ist das besser gelungen und bei Ruth Berghaus stelle ich mir das auch anders vor.


    Bei Youtube habe ich einen Ausschnitt aus der DVD mit der Pariser Aufführung gefunden. Es handelt sich um das große Ensemble allseitiger Betroffenheit, nachdem der Tod Laokoons gemeldet worden ist. Hier können sich alle Interessierten, insbesondere auch Severina, ausschnittweise ein Bild machen. Ich finde dabei vor allem zwei Sachen bemerkenswert: das blendende Aussehen von Frau Antonacci und den bedrohlich "furzenden" Pedalton der Bassposaune vor dem letzten "Terreur"-Aufschrei :D (sowas ist eine echte HIP-Domäne):


    "http://www.youtube.com/watch?v=izWp6XpNVGQ"




    Zitat

    Bei Gregory Kunde muss ich Dir leider Recht geben, wobei ich nicht weiß, wer außer Ben Heppner heute überhaupt noch einen Aeneas geben kann, der den Anforderungen der Rolle gerecht wird. Bei Susan Graham teile ich Deine Ansicht nicht. Zwar fehlt ihr (noch?) die Ausstrahlung einer Janet Baker, von der ich ja nur den Schlussgesang kenne, oder einer Regine Crespin auf dem Pretre-Querschnitt (auf der Guy Chauvet dafür hoffnungslos überfordert ist) und die stimmliche Strahlkraft einer Deborah Polaski, aber in der Kombination von enorm warmer Darstellung und leidenschaftlichem Gesang fand ich sie schon sehr anrührend und sogar besser als seinerzeit Anja Silja live. Einen Zwang zum sängerischen Offenbarungseid habe ich jedenfalls nicht vernommen. Dabei habe ich gerade den chlussgesang mehrfach gehört. Aber vielleicht war ich von ihrer Darstellung genug gepackt um dergleichen noch wahrzunehmen.


    Zustimmung bei Gregory Kunde - erstens gibt es Schlimmeres, zweitens ist die Rolle sehr schwer zu bewältigen. Susan Graham ist stellenweise ganz wunderbar - aber wenn sie am Schluss zur Furie wird, fehlt ihr m.E. die dramatische Dimension. Ich habe das als sehr forciert, am Rande des Sprechgesangs und mit einigen falschen Noten im Gedächtnis - das aber bekanntlich trügen kann, besonders wenn man's nur zweimal gesehen/gehört hat. :D



    Zitat

    Kurz: die ideale Inszenierung der Trojaner findet wahrscheinlich nur im Kopf des Hörers statt, aber unter den gegebenen Umständen kamen für mich die Salzburger wie die Pariser Inszenierung einem mindestens befriedigenden, mich aber auch überzeugenden Gesamteindruck so nahe, wie ich es bisher irgend erlebt habe (die Aufführungen in Covent Garden kenne ich leider nicht). Ein magisches Theater wie die brillante Salzburger Gestaltung von FAUSTS VERDSAMMNIS durch die Furia dels Baus würde ich jedenfalls für die TROYENS für verfehlt halten.



    Sehe ich auch so - die "Trojaner" brauchen eine ganz andere Regie als "La Damnation de Faust". Und eine wirklich große Inszenierung der Oper habe ich noch nicht gesehen (habe auch starke Zweifel, ob Covent Garden meinem Ideal näher gekommen ist). Wernicke in Salzburg war immerhin ein passabler Kompromiss.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Eigentlich hätte ich auch ganz gerne etwas über die „Trojaner“ beigesteuert, aber leider fand vor 3 Wochen die letzte Aufführung statt, allerdings ohne mich. Ob das Mammutwerk in der kommenden Spielzeit noch mal in den Spielplan aufgenommen wird, ist fraglich.


    Um das Ganze ungekürzt aufführbar zu machen, hat sich Christoph Loy an der Rheinoper folgendes einfallen lassen:


    Der 1. Teil: „La prise de Troie“ fand jeweils um 15 Uhr in Duisburg statt


    Der 2. Teil: „Le troyens à Carthage“ dann am gleichen Abend um 19 Uhr in Düsseldorf


    Zwischen den beiden Opernhäusern wurde ein Bus-Shuttle eingerichtet.


    Fünf Akte, 3 Pausen, 4.45 Std. Aufführungsdauer.


    Die ausführliche Besprechung der Premiere findet ihr hier:


    Die Trojaner in Düsseldorf/Duisburg


    Der in den ersten Vorstellungen als Aeneas eingeladene Gast, der völlig überforderte Holländer Albert Bonnema, wurde später durch Steven Harrison ersetzt.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)


  • So können wir uns beide leicht einigen, auch was die Aufführung in Covent Garden betrifft.


    Apropos: wenn Ihr bei youtube hinein schaut, gibt es dort noch zwei weitere wunderbare Ausschnitte aus der Oper, die geeigtnet sind, ihr weitere Anhämnger zu gewinnen. Der eine könnte sogar aus der Covent Garden Aufführung oder von ihr inspiriert sein. Dort singt Dame Janet Baker (leider auf englisch) ein wunderbares "Adieu fière cité" in einem fast wahnsinnig langsamen Tempo und dennoch mit einer Überzeugungskraft und Stimmstärke, das einen umhaut.


    Der andere Ausschnitt ist eine irrelevant bebilderte Tonaufname des Liebesduos "O nuit d'extase et d'ivresse infinie", traumhaft gesungen von Angela Gheorghiu und Roberto Alagna. Dasselbe Duett gibt es auch in einem leider nur winzigen Ausschnitt aus der Gardiner-DVD, vermittelt aber immerhin einen vagen Eindruck von Susan Grahams Leistung und Gregory Kundes Grenzen. Um es trotz seiner Kürze überhaupt einordnen zu können sollte man Gheorghiu/Alagna vorher hören.


    Werbung für diese Oper sind aber alle Ausschnitte.


    Das gilt leider weniger für das "Gloire à Didon" aus der Metropolitan DVD, das immerhin einen Eindruck von der Größenordnung der Inszenierung (und der Kostümierung von Tathana Troyanos) gibt.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Wenn ich irgend könnte, würde ich mir nach Alvianos lebendigem Bericht natürlich sehr gerne die Stuttgarter Inszenierung anschauen.


    :hello: Rideamus


    Lieber Rideamus,


    wenn ich den Stuttgarter Spielplan richtig interpretiere, hast Du auch nächste Spielzeit noch Gelegenheit dazu. Die Vorstellung am 25. November als nur letzte für diese Spielzeit angekündigt.



    :hello:


    Elisabeth

  • Zitat

    Original von Alviano


    Hallo Elisabeth, hallo severina


    möglicherweise irre ich mich - ich weiss auch, warum sich mir dieser Eindruck festgesetzt hat: die Höhe von Barbara Schneider-Hofstetter ist hörbar das Ergebnis harter Arbeit.


    Lieber Alviano,
    ich habe Barbara Schneider-Hofstetter vor einigen Jahren in verschiedenen Rollen des dramatischen Sopranfachs gehört und gesehen (Fidelio, Senta, Giorgetta). Sie hat in Wiesbaden wohl auch Lady Macbeth gesungen. Im Mezzofach war sie aber meines Wissens nach nie tätig.


    Ich verstehe jedoch Deine Einschätzung, auch mir schien die Höhe sehr "erzwungen" zu sein. Kaum vorstellbar, dass sie auch Partien wie z.B. Turandot singt.


    LG
    Rosenkavalier

  • :hello:


    ...hat jmd. die Aufführng gesehen u. mag darüber berichten ??
    (Ab dem übernä. SO - bis zum 22.01. - sind nochmal 7 Vorstellungen)


    ...hat mich lange nicht interessiert - doch seit heute bin ich neugierig :P


    LG !!!!!!!!
    micha

  • Zitat Zwielicht

    Zitat

    Kurze Nachfrage: Was genau wurde denn gekürzt? Nur die Ballettmusiken (was ich für legitim halte) oder noch mehr (da bekäme ich Bauchschmerzen)? Dreieinhalb Stunden liegen ja etwas unter der Norm - die gut fünf Stunden bei der Pariser Aufführung kommen allerdings auch dadurch zustande, dass Gardiner eine längere, von Berlioz verworfene Version des letzten Finales spielen lässt.


    Hallo Bernd,


    bei Berlioz bin ich zugegebenerweise nicht so firm wie bsplsw. bei Richard Wagner. Gekürzt wurde Ballettmusik – aber ob es darüber hinaus Kürzungen gab, weiss ich nicht. Die ersten beiden Akte dauern rund 1 ½ Stunden, Akt 3 und 4 dann nochmals ca. 1 Stunde 15 Minuten und der 5. Akt dann etwa eine Stunde.


    Bei Deinem Avatar wäre ja ein Besuch in Stuttgart geradezu zwingend, gell.


    LG


    Zitat severina

    Zitat

    um Himmels willen, zwei Pausen zu 50 Minuten???? Wozu denn das? Waren die Umbauten derart kompliziert?


    Hallo severina,


    mir waren die Pausen auch zu lang – vor allem, weil ich den Verdacht nicht losgeworden bin, dass die nur so lange ausfielen, weil das erweiterte „kulinarische Angebot“ sonst nicht hinreichend in Anspruch genommen werden konnte....


    Technisch gabs schon einiges, was ein wenig Zeit kostet, z. B. der Drachenflug im letzten Teil, aber eine halbe Stunde hätte wohl gereicht...


    LG


    Zitat Rideamus

    Zitat

    Vielleicht kann er mit besonderer Berücksichtigung der Ensembleszenen noch etwas sagen, wie das mit der Bewegungsregie in Stuttgart gelöst wurde.


    Hallo Rideamus,


    „Trojaner“ von Berghaus fand ich schon beeindruckend, allein, wie sie die Jagdszene gelöst hat, mit dieser Wand aus Körpern, aber auch, wie sie die Personen geführt hat, das hatte schon Klasse.


    Musikalisch war das erste Wahl – Gielen at his best. Gesungen wurde ja nicht ganz so schön...


    Nun, in Stuttgart hat Schlömer die Chorszenen gut gelöst: er hat immer dafür gesorgt, dass der Kontakt mit dem Dirigenten möglich ist, ohne, dass die Chorist/innen in Bewegungslosigkeit erstarren müssen – oft vorne platziert, oder aber, in Karthago, auf einer Empore sitzend und stehend.


    LG

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Penthesilea“ ist eine der grossen Geschichten um den Kampf der Geschlechter, um Liebe und Gewalt, Eros und Thanatos.


    Gerade in der Bearbeitung durch Heinrich von Kleist erfährt der Stoff nochmals eine brutale Zuspitzung: ursprünglich verliebt sich Achill in den Leichnam der Penthesilea, die er selbst als Feindin im Kampf getötet hat. Bei Kleist entsteht zuerst ein Geflecht von Sieg und Niederlage, von Überwältigung und überwältigt werden zwischen den beiden noch lebenden Menschen, man wird Zeuge einer Liebe, die es ohne Kampf nicht geben kann, bevor in einer kriegerischen Auseinandersetzung Penthesilea den waffenlosen Achill töten und den Leichnam gemeinsam mit ihren Hunden zerfleischen wird.


    Für die Zeitgenossen von Kleist war vor allem dieser Schluss ein Unding und tatsächlich verweist die gesamte Anlage des Dramas weit voraus in die Wiener Berggasse.


    Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts interessiert sich der Schweizer Komponist Othmar Schoeck für das Drama „Penthesilea“ von von Kleist. Er streicht das Stück radikal auf den zentralen Konflikt zusammen, aus 5 Stunden Spieldauer bei Kleist werden ca. 1½ Stunden bei Schoeck und in dieser Form kommt die einaktige Oper am 08.01.1927 in Dresden zur Uraufführung.


    Die Musik verläuft weitgehend tonal, erinnert vielleicht manchmal etwas an Strauss, versagt sich aber auch lyrischeren Passagen nicht, um dann durchaus mächtig loszuschlagen. Es gibt wenig hohe Streicher, denen z. B. zwei Klaviere und grossbesetztes Schlagwerk gegenüberstehen..


    Anlässlich des 50sten Todestages des Komponisten setzte des Stadttheater zu Basel die „Penthesilea“ von Schoeck einmal wieder auf den Spielplan, die Spielfassung stammt vom Dirigenten des Abends, Mario Venzago, die Inszenierung besorgte Hans Neuenfels.


    Neuenfels ist mit der „Penthesilea“ bestens vertraut, er hat sie mehrfach als Schauspiel inszeniert – und auch Kleist ist Neuenfels nicht fremd, immer wieder hat er sich mit Leben und Werk dieses grossen Dichters beschäftigt.


    Und er ist sich treu geblieben: die Inszenierung sieht ganz so aus, wie man das schon aus den 70ern her von Neuenfels kannte: ein angedeuteter klassizistischer Raum, strenge Kostüme für die Frauen – die Amazonen in langen, schwarzen Militärmänteln, die Oberpriesterin im schwarzen Kostüm, Penthesilea im schlichten schwarzen Kleid – die Männer als Kintopphelden – man sieht Zorro, Piraten, Forscher, Cowboys und andere männliche Phantasmagorien.


    Streng auch die Inszenierung, die sich ganz auf die Figuren konzentriert. Und das ist unglaublich, was da an Personenführung zu erleben ist. Da gibt es keinen Moment, wo auch nur eine Sängerin oder ein Sänger unbeteiligt bliebe, da sitzt jede Geste, jeder Blick – die Spannung in den Körpern wird gehalten, wie ich mir das viel öfter auf der Opernbühne wünschen würde.


    Es gibt kleine Anreicherungen der kargen Szene, zum Beispiel während eines Liebesduettes zwischen Penthesilea und Achill – da wird ein Pferd für die Amazone hereingefahren, während Achill sich an einem Klavier berauscht, Hinweis auf eine unglückliche Liebe zwischen Schoeck und der Pianistin Mary de Senger, wo Schoeck wohl Parallelen zur „Penthesilea“-Handlung erkannt hat.


    Neuenfels versagt sich jede Visualisierung von Grausamkeiten – die Szene, wo Achill zerrissen wird, findet hinter der Bühne statt. Danach wird Penthesilea auf einem Rollstuhl mehrere blutige Koffer hereinfahren. Man darf wohl zurecht annehmen, dass sich in ihnen der zerfetzte Achill befindet.


    Penthesilea, mit blutbeflecktem Kleid und ebensolchen Armen, erdolcht sich selbst. Der Schlussakkord ist dissonant – keine Hoffnung auf Erlösung ist zu erkennen.


    Mario Venzago, der Dirigent des Abends, hat die Musik von Schoeck entschlackt, sie wirkt transparenter, lyrischer, als man das gewohnt ist. Auch in der Dynamik hat er Veränderungen vorgenommen – was sich günstig für die Sänger/innen auswirkt. Einmal versteht man jedes Wort, dann wird gerade für die Titelrolleninterpretin die Partie besser singbar, weil sie nicht gegen die Orchestermassen ansingen muss.


    Für Venzago und vor allem das Basler Sinfonieorchester war dies ein bedeutender Abend – das war unglaublich, mit welcher Raffinesse da musiziert wurde. Anderthalbstunden höchste Konzentration, die sich gelohnt haben.


    Bei den Sängerinnen und Sängern hatte der Darsteller des Achill die Nase vorn: wie Thomas J. Mayer seinen noch nicht mal üppigen oder besonders charakteristischen Bariton einsetzte, verdient Beifall, eine erstklassige Leistung für ein kleines Stadttheater.


    Auch Tanja-Ariane Baumgartner, die Penthesilea, war beachtlich: die Sängerin ist ein Mezzosopran, musste also in der Tiefe deutlich nachdunkeln, machte das aber mit viel Geschick und verblendete auch die Register gut, sodass ihre Höhe nicht unorganisch oder schrill wirkte.


    Interessant Ursula Füri-Bernhard als Prothoe, ein warmer, dramatischer Sopran, ganz ruhig geführt, rund und mit einiger Strahlkraft gesegnet.


    Schwach der Diomedes von Peter Bernhard und die Oberpriesterin Rita Ahonen.


    Ein besonderes Lob gilt der Schauspielerin Oda Pretzschner. Hans Neuenfels hat diese Sprechrolle einer ersten Amazone eingefügt und ihr die meisten der gesprochenen Passagen des Stücks anvertraut. Der Vorteil liegt auf der Hand: Sänger/innen sind oftmals keine guten Sprecher/innen – und hier wurde Kleist sprachlich korrekt deklamiert.


    Riesenbeifall für alle Beteiligten – besonders auch für Hans Neuenfels, der sich sichtlich freute. Es dürfte nicht allzu oft vorkommen, dass er ohne Missfallensbekundungen zu erhalten vor sein Publikum tritt.


    Dem Vernehmen nach ist mit Neuenfels eine "Traviata" an der "Komischen Oper" geplant, darauf darf man gewiss gespannt sein.

  • „Orfeo ed Euridice“ dürfte wohl die bekannteste Oper von Christoph-Willibald Gluck sein, auch wenn sie sich in den letzten Jahren auf den Spielplänen nicht mehr ganz so häufig wiederfindet, wie das früher der Fall gewesen ist.


    Bei der Frage der Fassung, Wien oder Paris, mit oder ohne Schlussballett, Tenor, Countertenor, Alt oder gar Bariton für die „Orpheus“-Rolle, hat wohl Wien und die Besetzung mit einer Altistin die Nase vorn (selbst René Jacobs, der die Titelrolle in seinem Repertoire hatte und bei seinen letzten Live-Aufführungen als Dirigent auf den Counter Lawrence Zazzo vertraute, bevorzugte für seine CD-Einspielung eine Frauenstimme, nämlich die der argentinischen Altistin Bernarda Fink). Nur beim Ballett scheint es keinen eindeutigen Trend „ohne/mit“ zu geben.


    In Wiesbaden war die Wiener Fassung von 1762 zu hören, ergänzt durch die Arie „Cet asile“ aus der Pariser Version von 1774, allerdings dann ohne das Schlussballett und die Titelrolle wurde von Ute Döring, einer Mezzosopranistin gesungen und gespielt.


    Ein wirklich grosser Verdienst des Hessischen Staatstheaters zu Wiesbaden ist der Umstand, dass man nun schon seit einigen Jahren kontinuierlich Werke des Barock auf den Spielplan setzt und sich bemüht, die Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis in die musikalische Arbeit einfliessen zu lassen. Zuerst wurden die Abende von Stéphane Roulland dirigentistisch betreut (einstmals ein Assistent von Marc Minkowski – Roulland versicherte sich für Wiesbaden der Mitarbeit des barockerfahrenen Cembalisten Yvon Reperant), jetzt stand zum zweitenmal nach „Giulio Cesare“ der junge Dirigent Cornelius Heine am Pult des weit nach oben gefahrenen Orchesters.


    Zügig geht es zu, durchaus akzentuiert, transparent im Klang – aber es könnte in der Dynamik differenzierter musiziert werden, zugespitzter in der Dramatik und: präziser. Vielleicht spielt sich das aber noch ein – am gestrigen Premierenabend kam es immer wieder zu Ungenauigkeiten, die bei einer kleinen Orchesterbesetzung relativ gut zu hören sind.


    Die Regie besorgte David Mouchtar-Samorai, unterstützt vom Choreografen Otto Pilcher. Schauspielregisseur Mouchtar-Samorai ist schon seit einigen Jahren auch als Opernregisseur tätig und hat z. B. in Frankfurt einen bemerkenswerten „Peter Grimes“ inszeniert.


    Ungewöhnlich ist sein Ansatz für „Orfeo“ – aber gleichsam ausserordentlich unterhaltsam. Er inszeniert eine Art Stationendrama, das der noch jugendliche Dichtersänger Orfeo als Albtraum durchlebt, nachdem seine Geliebte Euridice ausgerechnet in der Hochzeitsnacht, direkt in dem Moment, wo die junge Ehe vollzogen werden soll, am Herzversagen stirbt.


    Die Bühne zeigt einen blaugekachelten Raum mit weissen Fugen und einem angedeuteten, ebenfalls weissen Dachgestühl, in der Mitte wird sich zum Unterweltbild eine weisse Wendeltreppe vom Schnürboden herabsenken, auf der Orfeo in die tiefen der Psyche hinabsteigen wird. Der Raum erinnert auch ein wenig an bestimmte Räume, wie man sie aus Computerspielen kennt, in denen dann animierte Figuren auftreten, also ein Versuch, einen „Traumraum“, wie er heute aussehen könnte, zu schaffen.


    Nachdem das Entsetzliche geschehen ist, sieht man die Trauergesellschaft, ganz in schwarz, den verzweifelten, mit seinem weissen Hemd aus der Menge herausstechenden Orfeo, wie er sich gegen diese Erinnerung zur Wehr setzt, wie er versucht in eine gerade erst vergangene, glückliche Kindheit zu flüchten – er imaginiert eine Zauberfigur, die aus einem Magritte-Bild stammen könnte, aber kaum zufällig auch wie ein alter Freund aus der Kinderzeit aussieht: Pan Tau.


    Gott Amor tritt auf (alias Gott Eros) – auch er ist eine alte Bekannte: plötzlich steht Pippi Langstrumpf vor uns, mit ihren altmodischen Strümpfen und den roten, festen, abstehenden Zöpfen. Jenes patente Mädchen, das immer weiss, wie es weitergeht und was zu tun ist, das frech und mit einem irren Spass dem Orfeo den Kopf wäscht und den Weg weist.


    Die Unterwelt ist hier eine Ehehölle: alle sind in weiss gewandet, das erinnert etwas an ein Irrenhaus, und die Paare sind aneinandergeklebt, die einen an den Händen, die anderen an den Stirnen – jedenfalls sind alle in einer Streitsituation festgehalten worden und können sich nicht voneinander lösen.


    Der Sänger Orfeo wird sie mit Gluck berühren: aus dem Klavierauszug singt er ihnen vom Orfeo vor – und siehe da, die Paare lösen sich voneinander, wenden sich in Liebe zueinander und dann dem Orfeo zuhörend zu. Die Unterweltswächter versuchen vergeblich, die Paare wieder aneinander zu ketten, es funktioniert nicht mehr, die Macht der Unterwelt ist gebrochen worden.


    Szenenwechsel: Orfeo erlebt seine eigene Geburt – die liebevolle Zuwendung der Eltern, die strengen Ermahnungen der Gouvernante, die selbstverständlich grossbürgerlich französisch parliert, er erinnert sich an seine schöne, behütete Kindheit, zu der auch eine veritable Kissenschlacht mit den Geschwistern gehört.


    Heiter geht es dann im Elysium zu: es herrscht eine arkadische Gelassenheit. Als Orfeo nach seiner Euridice sucht, machen sich die seligen Geister einen Spass mit ihm, immer wieder werden ihm verschleierte Geister zugeführt, die aber allesamt nicht die Vermisste sind. Die taucht erst ganz am Ende der Szene auf.


    Der letzte Akt läuft als kleiner Streit ab: Orfeo versucht Euridice nicht anzusehen, diese bemüht sich, ihren Freund und Ehemann genau dazu zu bewegen. Die Szene des Anfangs wiederholt sich in identischer Form: auf dem Ehebett passiert es: Orfeo schaut Euridice an und verliert sie ein zweites Mal.


    Voll Trauer versucht er noch einmal, sich an seine glückliche Jugend zu erinnern, allein, es gelingt nicht. Als er sich mit einem Messer das Leben nehmen will kommt Gott Amor, Verzeihung: Pippi Langstrumpf zu Hilfe. Pippi, das Mädchen, das alles richtet, erweckt die Tote, Orfeo und Euridice feiern Hochzeit, landen im Ehebett und Pippi überlegt nur einen winzigen Moment, ob sie wirklich die Decke über beide breiten soll, um die Liebenden so dem Blick des Publikums zu entziehen, während Pan Tau über der Szene fliegt.


    Die Sängerinnen, allen voran Ute Döring, leisten enormes – was Ute Döring an Körpereinsatz zeigt, verdient Respekt – da gibt es keine Sekunde, die nicht gestaltet wird und wo die Sängerin „aussteigen“ würde. Ute Döring ist von schlanker Gestalt und verfügt über markante Gesichtszüge, verkörpert also einen jungen Mann durchaus glaubhaft. – ich persönlich hätte allerdings raspelkurze Haare bevorzugt, der lange Pferdeschwanz wirkt nicht optimal.


    Stimmlich ist das eine insgesamt gute Vorstellung der Mezzosopranistin gewesen, kleine Schwächen und ein etwas grobkörniges Timbre wurden durch ein wirklich gutes „Che farò“ aufgewogen.


    Ebenfalls darstellerisch erste Wahl Emma Pearson als Amor – die Sopranistin gibt der ungewohnten Verkörperung viel Charme und Spielfreude mit. Stimmlich ist das auf ansprechendem Niveau, ohne Höhen oder Tiefen.


    Etwas schwächer Thora Einarsdottir als Euridice, souverän in der Darstellung, stimmlich könnte ich mir eine dramatischere Stimme gut vorstellen.


    Erwähnt werden müssen auch die Tänzerinnen und Tänzer, die in unterschiedliche Rollen schlüpfen und sich diesen vielfältigen Aufgaben mit Verve entledigen.


    Das ist eine sehr bewegte und immer auch dicht an der Musik bleibende Inszenierung geworden – allerdings aus einer sehr ungewöhnlichen Erzählperspektive heraus.


    Freundlicher, aber sehr kurzer Beifall für das Orchester, den Chor (der ebenfalls achtbar agiert und singt) und die Solistinnen, massive Buh-Rufe, durchsetzt von wenigen Bravos, für David Mouchtar-Samorai und sein Team.

  • Hallo Alviano,
    danke für deine Reportage! Deine so anschaulichen und lebendigen Berichte wecken immer den akuten Wunsch in mir, sofort in den nächsten Zug zu springen, diesmal nach Wiesbaden. Aber mein Kontostand sorgt immer recht rasch für Ernüchterung :(
    lg Severina :hello: (aus Wien, wo der Winter Einzug gehalten hat - es schneit, schneit, schneit....)

  • Lieber Alviano,


    der Danksagung von Severina möchte ich mich voll inhaltlich anschließen. Deine lebendigen und detaulfreudigen Schilderungen können und sollen den Opernbesuch nicht ersetzen, machen aber enorm viel Lust darauf.


    Vielen Dank dafür. Ich freue mich jedesmal wieder auf und über einen neuen Bericht, der mir fast immer mehr gibt als manche Zeitungskritik.


    Mit besten Grüßen aus dem ebenfalls noch fast weißen Potsdam


    :hello: Rideamus

  • Lieber Alviano,


    auch ich danke Dir für Deinen Bericht, der mich sehr neugierig auf den 14.12. macht, an dem der Orfeo bei mir auf dem Programm steht. Besonders freue ich mich auf Ute Döring, die mir schon als Cäsar gut gefiel. Ob ich mich aber mit Pippi Langstrumpf alias Amor anfreunden kann, möchte ich bezweifeln.


    Liebe Grüße


    Emotione


    PS: Sehr kurzer Beifall ist doch eigentlich typisch für Wiesbaden. Da habe ich oft Mitleid mit den Darstellern.

  • Hallo, ihr Lieben,


    auch ich möchte an der Stelle mal "Dankeschön" sagen für die oftmals sehr freundlichen Worte, die hier zu lesen sind, wenn ich wieder einen meiner kleinen Berichte aus den Opernhäusern eingestellt habe. Dieses Feedback zeigt mir einmal, dass meine Beiträge gelesen, dazu aber auch, dass sie gerne gelesen werden. Was mir als Ansporn dient, auch das nächste Mal wieder in gewohnter (subjektiver) Weise zu erzählen, was auf der Bühne geschieht.


    Ich selbst lese auch die Berichte von anderen Mitgliedern gerne - da gehts mir wie Rideamus: der Eindruck ist oft unmittelbarer, als in manchem Zeitungsartikel.


    Kurzer Satz zu severina: in gut einem halben Jahr führt mich mein Weg nach Österreich, und zwar in die weitere Umgebung von Wien - und wenn ich dann schon mal dort bin, könnte ich doch eigentlich auch in die Hauptstadt weiterreisen...


    Und an Emotione: das könnte ich mir natürlich auch vorstellen, dass Dir ein Amor in dieser Gestalt nicht ganz so zusagt :D Aber ich hoffe, dass Dir die Darstellung, also wie das die Sängerin macht, für sich genommen genauso gefällt, wie mir. Das hat einfach Klasse. Und Ute Döring hat mich ob ihrer körperlichen Möglichkeiten sehr positiv überrascht.


    Es hat vom Applaus her noch nicht mal mehr für ein Durchtreten vor den Vorhang gereicht - der ging zu und dann brach auch der Beifall sofort ab, das ist tatsächlich - zumal bei einer Premiere eher ungewöhnlich.


    :hello:


  • Na, das will ich doch schwer hoffen! Ich fürchte nur, deine Berichterstattung aus der WSO wird nicht ganz so euphorisch ausfallen ;) (Obwohl: Der Applaus dauert bei uns sicher länger! :D ) Aber ich würde dich natürlich gerne bei einem Besuch in meinem Lieblingskaffeehaus wieder "entstauben"!
    lg Severina :hello:

  • Mozart war noch keine 17 Jahre alt, als er seinen „Lucio Silla“ für das „Teatro Ducale“ in Mailand komponierte. Es ist eine für die Opera seria typische Geschichte um Liebe und Verrat, um einen Tyrannen, um Rache und um grosse Gefühle.


    Mozart erweist sich für sein Alter als erstaunlich reif, wenn er diesen Gefühlen durch seine Musik Ausdruck verleiht, gerade auch da, wo es um die düstere Seite geht, um jene, die etwas mit Todessehnsucht zu tun hat.


    Wie sich das – dem Zeitgeschmack entsprechend – für eine Opera seria gehört, endet allerdings auch der „Lucio Silla“ mit einem „lieto fine“ einem glücklichen Ende: was auch immer passiert, wer auch immer wen hat ermorden wollen – am Schluss herrscht Einsicht und Milde und alle sind irgendwie zufrieden.


    Vor zwei Jahren hatte eine „Lucio Silla“-Inszenierung in Hannover Premiere und diese Produktion wurde jetzt, mit der teilweise selben Besetzung in Stuttgart neu herausgebracht.


    Für Regie, Bühne und Kostüme war Olga Motta verantwortlich und sie misstraut dem gehörig, was Mozart da komponiert hat. Das „lieto fine“ steht bei ihr am Anfang, weil, so lautet ihre Begründung „alle Geschichten, bevor sie erzählt werden, mit dem Ende beginnen“, ein Zitat von John Berger.


    Das klingt interessant, bleibt aber völlig isoliert, weil Motta den Stoff ziemlich radikal uminterpretiert – und da passt dieses „lieto fine“ nicht so richtig in das Konzept der regieführenden Bühnenbildnerin.


    Man sieht also einen grossen, goldenen Bilderrahmen und die handelnden Figuren des Stücks als lebendes Bild, wie sie steif stehend den Schluss der Oper singen. Vor diesem Bilderrahmen eine schwarzgekleidete Gestalt, der Tod schaut sich dieses Bild an.


    Vor allem entdeckt Motta diese Todesbezüge im Stück, weshalb er, dieser personifizierte Tod, den ganzen Abend allgegenwärtig sein wird.


    Das zweite, oft eingesetzte Element, ist das Feuer, hell auflodernd, manchmal die ganze Bühne einnehmend, eine Flamme der Leidenschaft, aber auch eine, die auslöscht, die verzehrt.


    Nach dem Vorspiel ist ein Bühnenrahmen , der sich nach hinten verjüngt, zu sehen und der eine quadratische, leicht ansteigende Spielfläche umschliesst.


    Das Problem der ganze Inszenierung ist einfach zu beschreiben: die Bilder, die Olga Motta da zeigt, sind beeindruckend – da wird an Effekten nicht gespart, da merkt man, das hat sie drauf. Auch die Kostüme (sie sind an die Zeit Mozarts angelehnt) können sich sehen lassen.


    Aber die Regiearbeit – die bleibt auf der Strecke. Geradezu ängstlich versucht Olga Motta darauf zu achten, dass die Sänger/innen sich nicht unsinnig bewegen, ohne ihnen eine durchdachte Personenregie mitgeben zu können.


    Da sind tolle Bilder dabei, z. B. wenn der Tod durch einen kleinen Trick hinter einem Liebespaar frei in der Luft zu schweben scheint oder aus den Seitengassen Grablichter hereingehalten werden, das alles unterstützt durch eine ausgezeichnete Lichtregie (Claus Ackenhausen).


    Gegen Ende wird’s dann leider kitschig: kleine Sternlein schweben vom Bühnenhimmel herunter und Schnee fällt...


    Kritisch ist wohl die Umdeutung zu sehen die Motta vornimmt: bei Mozart gibt es ein glückliches Ende, bei Motta stirbt einer nach dem anderen auf offener Bühne, nicht ohne noch eine Arie zu singen – und wenn an dieser Stelle gerade keine für die betroffene Rolle vorgesehen ist, wird diese aus einem anderen Akt geholt und eingefügt.


    Die Cecilio-Arie „Pupille amate“ wird vom einzigen Überlebenden des Dramas, Lucio Silla, gänzlich unbegleitet nochmals als Wiegenlied für die Toten angestimmt. Dann setzt das Andante aus Mozarts Klarinettenkonzert ein, das auf der selben Melodie, wie das „Pupille amate“ beruht. Motta will das als Verbindung zwischen dem jungen Mozart der Oper und dem älter gewordenen des Klarinettenkonzertes verstanden wissen.


    Der Tod deckt die Gestorbenen mit weissen Tüchern zu.


    Das ist alles zwiespältig und handwerklich nicht richtig überzeugend.


    Musikalisch ist die Einordnung leichter: Konrad Junghänel dirigiert einen sehr direkten, durchhörbaren und in den Orchesterstimmen ausgewogenen Mozart, allerdings jenseits der Radikalität eines Nikolaus Harnoncourts oder auch (mit anderer Gewichtung) eines René Jacobs.


    Marina Prudenskaja hinterliess einen starken Eindruck als Cecilio, die dunkle Stimme ist für die enormen Anforderungen Mozarts hinreichend beweglich und auch in der Höhe gut aufgestellt.


    Ebenfalls ausgezeichnet Marita Solberg als Celia – wunderschöne Soprantöne, gut aufgehoben bei Mozart.


    Simone Schneider ist die Giunia, die dramatischere Sopranpartie des Stückes – da gab es einige Eintrübungen, die aber hinsichtlich der abgeforderten Equilibristik verschmerzbar waren.


    Schwach Burkhard Fritz als mitunter ungenauer Lucio Silla und die teilweise überforderte Christina Landshamer als Cinna.


    Jubelstürme für Schneider und Prudenskaya, freundlicher Beifall für Junghänel und ein gewaltiger Buh-Orkan für die glücklose Bühnen- und Kostümbildnerin im Regiefach.

  • Benjamin Britten ist immer noch ein Komponist, den es hierzulande zu entdecken gilt. Um so erfreulicher, dass die Städtischen Bühnen in Frankfurt in den letzten Jahren immer wieder Britten auf den Spielplan gesetzt haben: „Turn of the screw“, „Peter Grimes“, „Curley river“ und „Death in Venice“ waren dort zu sehen. In dieser Spielzeit folgen „Billy Budd“ – die Premiere war gestern – und „Rape of Lucrezia“, wer weiss, vielleicht gibt es auch noch einen Versuch mit „Owen Wingrave“ oder „Gloriana“.


    Nun also „Billy Budd“, eine Oper nach einer Geschichte von Hermann Melville, die im Matrosenmillieu während des englisch-französischen Krieges 1797 auf dem Schiff „Indomitable“ spielt.


    Der junge Matrose Billy Budd wird wegen seiner liebenswürdigen und gutmütigen Art schnell zum Liebling des ganzen Schiffes, sehr zum Missfallen des Waffenmeisters John Claggart, der einen anderen Matrosen dazu anhält, Billy für eine Meuterei zu gewinnen, was dieser allerdings ablehnt.


    Claggart denunziert Billy beim Kapitän des Schiffes, Edward Fairfax Vere. Dieser verhört Billy im Beisein des Waffenmeisters. Billy – der immer, wenn er sich aufregt, zu stottern anfängt – ist so empört, dass er kein Wort herausbringt, sondern stattdessen auf John Claggart losgeht und diesen tödlich verletzt.


    Billy wird zum Tode verurteilt und im Morgengrauen auf dem Deck der „Indomitable“ gehenkt.


    Britten und seine Textdichter E. M. Forster und E. J. Crozier haben diese Handlung mit einem Prolog und einem Epilog versehen. Der greise Kapitän Vere erzählt Jahre später die Geschichte von Billy Budd, jenem Matrosen, dem er, Vere, das Leben nicht gerettet hat.


    Die Oper bietet mehrere Ebenen, die als Ansatz für eine Inszenierung dienen können. Einmal die homoerotische: der junge, hübsche Billy Budd zwischen zwei Männern: dem gebildeten Kapitän Vere auf der einen Seite und dem sadistischen Gewaltmenschen Claggart auf der anderen. Ein Eifersuchtsdrama unter Seeleuten.


    Aber es gibt auch viele religiöse Anspielungen: Billy Budd als eine Art Christus, der für die anderen stirbt, Claggart als der personifizierte Satan, der Verrat um Geld, ein symbolisches Abendmahl, bevor Billy hingerichtet wird, das Stück als Kampf zwischen Gut und Böse – oder wenn man denn so will, zwischen Himmel und Hölle.


    Regisseur Richard Jones zeigt in Frankfurt vor allem eine grosse Sporthalle – es bleibt auch unklar, ob wir uns tatsächlich an Bord eines Schiffes befinden oder nicht doch eher in einer englischen Kadettenanstalt. Jedenfalls schrubbt keiner das Deck, sondern die Matrosen betreiben Frühsport, vom Aufsichtspersonal immer wieder geschlagen.


    Das Zimmer von Kapitän Vere ist eine kleine Bibliothek, der Mann ist belesen und gibt seine Kenntnisse auch an die Jugend weiter.


    Ganz anders Claggart, hier gekleidet wie ein englischer Internatsdirektor, der Spass daran hat, die Matrosen zu erniedrigen und zu schlagen. Auch Billy, der neu auf dem Schiff ist, bekommt früh Ärger mit Claggart.


    Eine Schlüsselszene im ersten Teil des Abends wird ein Gang sein, den Vere und Claggart schattengleich gemeinsam gehen werden: der Kapitän auf einer Empore, die die Sporthalle umläuft und Claggart zu ebener Erde: beide Männer bewegen sich parallel, der eine oben, der andere unten. Gespentisch sieht das aus, wie sich Vere und Claggart durch den Raum bewegen, so, als würden sie dem Geruch der jungen Matrosen nachspüren, die in diesem Raum geschwitzt haben. Filmisch läuft die Bühne nach rechts weiter und als nächstes sieht man links eine Gruppendusche mit nackten Männern hereinfahren, einem Ort von latentem oder offenem schwulen Begehren.


    Das ist gut gemacht, auch, wenn dann die Bühne weiterfährt und der Schlafsaal der Matrosen sichtbar wird. Die Spinde der Jungs trennen einen Umkleidebereich vom eigentlichen Schlafraum.


    Vorm Zubettgehen wird noch gemeinsam gesungen und wenn alle in ihren Etagenbetten eingeschlafen sind wird Claggart auf der anderen Seite der Bühne eine Passage singen, die nicht zufälig an das „Credo“ des Iago aus dem „Otello“ erinnert. Claggart schildert dezidiert, wie er Billy auslöschen wird, nicht ohne in fetischistischer Manier ein Halstuch zu liebkosen, das er Billy abgenommen hat.


    Die Seeschlacht aus dem zweiten Teil der Oper ist bei Jones ein Wettkampf zwischen zwei Mannschaften – einen Pokal gibt es auch, allein das Spiel geht unentschieden zu Ende: zuerst machen sich die Jungs locker, dann gilt es, jeweils eine Kanone funktionstüchtig zusammenzubauen.


    Eine der schönsten Stellen von Brittens Partitur ist eine Szene, in der der gefesselte Billy auf seine Hinrichtung wartet – in Frankfurt sieht man Billy in einen der Spinde eingesperrt, ein Strumpf ist ihm heruntergerutscht, die Hosenträger hängen an den zu grossen, kurzen Hosen herunter, in einem weissen Unterhemd steht er da und singt diesen Abschied von der Welt im Stil eines Wiegenliedes, vor allem begleitet von den fahlen Klängen einer Flöte.


    Das ist ein absolut ergreifender Moment, auch wegen der sängerdarstellerischen Leistung des Titelrollensängers Peter Mattei und dem grossen Geschick, mit dem der Dirigent Paul Daniel das Orchester soweit zurücknimmt, dass man eine Nadel im Zuschauerraum würde fallen hören können.


    Billy wird auf offener Bühne gehenkt: das Textbuch hat diese Szene hinter die Bühne verlegt.


    Musikalisch ein hörenswerter Abend: Paul Daniel lässt viele Details hervortreten und macht so vergessen, dass im Orchestergraben kein Kammerorchester, sondern ein grosses und reich besetztes Kollektiv sitzt.


    Neben dem schon genannten Peter Mattei, der teilweise umwerfend ist, ist es vor allem John-Mark Ainsley als Vere, der aus dem – nur aus Männern und Knaben bestehenden – Ensemble mit seinem hellen, sehr präsenten Tenor positiv herausragt.


    Etwas schwächer Clive Bayley als Claggart: Bayley verfügt über eine grosse, schwarze Stimme, hat aber hin-und-wieder Probleme mit der Intonation.


    Die Regie von Richard Jones ist handwerklich solide – es gibt eine über weite Strecken gute Personenführung zu sehen, die im zweiten Teil dann an manchen Stellen etwas abgebremst wirkt. Was fehlt, ist der grosse Bogen: Jones bleibt bei Andeutungen – und macht damit den Konflikt des Kapitän Vere nicht richtig deutlich und nicht wirklich nachvollziehbar. Da klebt er – trotz seines durchaus unkonventionellen Szenenbildes – zu sehr am Text, ohne eine Dimension zu erschliessen, die hinter dem Text liegt, keine schlechte Arbeit (schon gar nicht, wenn man den misslungenen „Don Carlo“ noch in schlechter Erinnerung hat), aber auch keine, die einem aus dem Sitz hebt.


    Starker Beifall für alle Beteiligten, zaghafte Buhs für die Regie.

  • Ich war ebenfalls in der vorgestrigen Frankfurter Premiere...
    - aus meiner Sicht ist zu ergänzen:


    Clive Bayley als Claggart mag stimmlich seine Defizite gehabt haben (ich habe da sicher nicht @Alvianos "Hörschärfe") - darstellerisch fand ich ihn ausserordentlich gut, schier beängstigend gerade in seiner oft eher latenten Bedrohlichkeit...
    Falls ich in Jahren mal a l l e s über diese Produktion vergessen haben sollte - diesen (auch buchstäblich) zugeknöpften Typen würde ich wohl weiterhin ab und an herumschreiten sehen 8o


    Bei der gestrigen Erst-Lektüre von @Alvianos Beitrag habe ich seiner Beobachtung, dass Kapitän Vere von der Regie ein wenig im Stich gelassen wird (ich hoffe, ich vereinfache da jetzt nicht allzusehr !!), noch ausdrücklich zugestimmt !
    Eine Nacht später (Edit:11.30) bin ich mir da nicht mehr so sicher: Dass Vere Billy`s Fall und Ende zeitweise fast schon scheinbar unbeteiligt zusieht, scheint mir nicht ohne Wirkung - schafft es doch eine beträchtliche "Fallhöhe" zu seinem bewegenden, am Ende erschütternden (und von John Mark Ainsley überzeugend gestalteten !) Schlussgesang.


    Die berühmte Stecknadel, die ich an diesem Abend wohl mehrfach hätte fallen hören können:
    Neben Dirigenten und Orchester sei hier auch ausdrücklich dem alles in allem SEHR disziplinierten Frankfurter Premierenpublikum gedankt :yes::yes::yes:


    Die "Jubelstürme", die Wolf-Dieter Peter (in seiner Rezension Stunden später für DRadio Berlin) ausgemacht haben will, habe ich nicht vernommen - allerdings doch etwas mehr als "starken Beifall" !


    Ich hoffe stark, dass es eine nicht zu "knappe" WA-Serie geben wird, denn ich möchte auf jeden Fall Gelegenheit haben, mir diese Produktion ein 2.mal anzusehen :yes::yes:


    eine g u t e Woche
    wünscht
    Micha

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