Von der Klassik zur Romantik

  • Damit hier allerdings kein falscher Eindruck entsteht: Ich habe Deutsch (und Englisch) studiert, vor allem in Deutsch sehr viel Oberstufenunterricht erteilt und ich bin ein begeisterter Musikliebhaber mit begrenzten Theoriekenntnissen. Darüber hinaus werde ich mich hüten, mit Experten oder Philosophen zu streiten.

    Lieber Wolfgang,


    ich bin Berufsmathematiker und Softwareingenieur, der bis zur Enttäuschung auch Philosophie studiert hat. Musik ist nur eine Leidenschaft und hier besonders das Hören. Theorie kommt im wesentlichen aus der Schule :)



    Deswegen habe ich im Endeffekt einen sehr naiven Zugang zu den Dingen. Ich bitte da um Entschuldigung, aber ich finde schon, dass man nur über Romantik exakt sprechen kann, wenn es eine operationalisierbare Definition gibt. Sonst bleibt es nebulös, was nicht schlecht sein muss, aber dann wird es mit dem Verurteilen schwierig.


    Ich werde mir den Wikipediaartikel durchlesen. Vielen Dank für den Tipp!

  • Stichwort Operationalisierbarkeit: Ich sach mal so: Naja ... ^^


    Vielleicht ist es ganz gut, dass der Begriff der Romantik auf "Operationalisierbarkeit" nur bedingt anspringt. Geisteswissenschaft muss anders funktionieren als Naturwissenschaft - womit aber keine Abwertung verbunden sein darf. Ich möchte indes schon hoffen, dass es im Rahmen der Kulturbereiche einige halbwegs brauchbare, also breit anwendbare Kritierien gibt. Und um es nochmals zu sagen :sleeping: ... Für mich funktionieren sie nach einigen Jahrzehnten der Vermittlung in der Literatur eindeutig besser als in der Musik.


    Als Mathematiker weißt Du doch ohnehin nicht. ob Du Geistes- oder Naturwissenschaftler bist ... :untertauch:


    Der Wikipedia-Artikel scheint wirklich nicht schlecht zu sein. Ganz gelesen habe ich ihn noch nicht.


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Stichwort Operationalisierbarkeit: Ich sach mal so: Naja ... ^^


    Vielleicht ist es ganz gut, dass der Begriff der Romantik auf "Operationalisierbarkeit" nur bedingt anspringt.

    gut pariert. Das "Vielleicht" ist aber wichtig. Ich finde, dass der Zwang zum Definieren hin und wieder zur Disziplin zwingt, die ich in manchen "Diskussionen" vermisse. Du wirst aber recht haben. Während der mathematische Diskurs mir aber leicht fällt, habe ich mit dem anderen so meine Schwierigkeiten.... ;)



    Geisteswissenschaft muss anders funktionieren als Naturwissenschaft -

    Selbstverständlich. Das Wissen-Schaffen in der Natur ist mir vom Prinzip her klar (in der Mathematik funktioniert das auch noch einmal anders), das Wissen-Schaffen in den Geisteswissenschaften ist mir zum größten Teil ein Rätsel :)



    Ich möchte indes schon hoffen, dass es im Rahmen der Kulturbereiche einige halbwegs brauchbare, also breit anwendbare Kritierien gibt.


    Für die Romantik wäre das für diesen Thread ein Gewinn. Ich wäre interessiert, solche Kriterien zu erfahren.


    Ich glaube, dass die Anwendbarkeit eventueller Kriterien in der Literatur deswegen klarer ist, weil der Gegenstand der Untersuchung und die untersuchende Methodik ähnliche Mittel verwenden. Wenn ich also wissen will, ob Gefühle eine große Rolle in einem Roman spielen, kann ich im simpelsten Fall einfach das Vorkommen des Wortes zählen. Aber selbst ohne diesen Einfachzugang ist das Erkennen eines über natürliche Sprache definierten Begriffes in einem natürlich sprachlichen Werk einfacher, als in einem musikalischen.

  • Ein paar Schlaglichter für die Literatur hätte ich natürlich schon anzubieten - und da wird Dir (wie mir schon länger) auffallen, wie schmerzhaft schwer eine Übertragung auf die Musik funktioniert ... als einfachste Erklärung dafür möchte ich quasi phänotypisch vorausschicken, dass Musik nur sehr bedingt im Sinne einer Zeichentheorie mit Entsprechungen zwischen Signifikanten und Signifikaten analysiert werden kann. Sprache hingegen und ihre Sekundärerscheinungen sind genau dorthin zugeschnitten ... perfekt operationalisierbar eben ... oder doch nicht so ganz ??


    Es geht in der romantischen Literatur um die Suche, nicht um das Finden, um Sehnsucht statt Erfüllung, um die Dualität von Kunst und Zweckhaftigkeit, um das Irrationale und - damit einhergehend - natürlich - um das Subjektive, welches die Ratio, wenn sie denn nicht konsequent abgelehnt wird, als unzureichend erfährt.


    Wichtig für das Romantische schlechthin scheint mir auch, dass die Grenzen zwischen den Kunstformen ohnehin verwischt werden. Eine solche Ganzheitlichkeit erfüllt in der Musik vielleicht ein Richard Wagner idealiter, beinahe idealiter ...


    Der romantische Künstler interessiert sich - und dies durchaus auch mit naturwissenschaftlichen Methoden - für das Seelische, Krankheit, Wahnsinn, Nacht und Tod. Aber er liebt es eben auch zu wandern, zu reisen, zu forschen - Vergangenes wie das Mittelalter und Zukünftiges, Visionäres, Utopisches betreffend - und interessant wird es vor allem dann, wenn sich diese Pole überschneiden oder bekämpfen.


    Insbesondere im Hinblick auf das kommunikative Moment, im Gespräch, im kritischen Beisammensein Gleichgesinnter tendiert der romantische Literat zum bewusst Unfertigen, in Bewegung, in der Annäherung Befindlcihen.


    Ich will es dabei belassen - aus verschiedenen Gründen. Im Sinne dieses Threads wäre weiterhin interessant, inwiefern Klassik und Romantik sich widersprechen und inwieweit gerade nicht ... als Konzepte innerhalb eines idealistischen, antireaistischen Weltbilds. Wieder ein sehr weites Feld ...


    Zitat

    Ich glaube, dass die Anwendbarkeit eventueller Kriterien in der Literatur deswegen klarer ist, weil der Gegenstand der Untersuchung und die untersuchende Methodik ähnliche Mittel verwenden. Wenn ich also wissen will, ob Gefühle eine große Rolle in einem Roman spielen, kann ich im simpelsten Fall einfach das Vorkommen des Wortes zählen. Aber selbst ohne diesen Einfachzugang ist das Erkennen eines über natürliche Sprache definierten Begriffes in einem natürlich sprachlichen Werk einfacher, als in einem musikalischen.


    Ganz gewiss!


    Obgleich Du mit dieser Andeutung der Ebenen von Objekt- versus Metasprache natürlich neue Probleme anreißt ... ;)


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Beethovens Musik halte ich trotz Mondscheinsonate für ausgesprochen unromantsich. Trotzdem, als Frisurenmodel und auch sein künsterlisches Selbstbewußtsein waren eventuell prägend für die Romantik. Mir gehen immer noch die Jugendbilder vom Backhaus und Kempff auf die Nerven (es gibt noch viele weitere Künstler), die offensichtlich Beethoven kopieren, so dass ich häufig am künstlerischen Ernst zweifele, was selbstverständlich selbst an sich wieder oberflächlich ist ;) .

    Also Axel, was die "Romantik" angeht muss ich konstatieren, dass Du nichts als nur lauter Klischees im Kopf hast! :D Dass man Klassik und Romantik als ausschließenden Gegensatz sehen will wie das etwa exemplarisch bei Arnold Schering ("Kritik des romantischen Beethovenbildes") geschieht, ist ein Konstrukt des 20. Jhd., das aus Bedürfnissen entstanden sind, die sehr modern sind und mit der Zeit von Beethoven, Schubert und Schumann so gut wie nichts zu tun haben. Zu Lebzeiten nannte man Beethoven den "Jean Paul der Musik", E.T.A. Hoffmann sah Beethoven als einen "rein romantischen" Komponisten an. Das "A" in seinem Namen steht für "Amadeus" (Mozart). Wagner schrieb eine Beethoven-Novelle, dirigierte Beethoven und Beethoven war ein Thema für ihn bis in seine Spätzeit (die Beethoven-Schrift von 1870). Liszt transkribierte sämtliche Beethoven-Symphonien für Klavier. Für die romantischen Komponisten waren Bach, Beethoven, Mozart Vorbilder, sie haben sich nie als Antipoden von ihnen begriffen. Auf die Romantik verweist bei Beethoven nicht nur die Mondscheinsonate, sondern vieles mehr. Da wäre z.B. auch op. 90 zu nennen mit seiner Schubert vorwegnehmenden Liedhaftigkeit und dann der sentimentalische Zug bei Beethoven, die extremen Gegensätze schroff aufeinanderprallen zu lassen. Und dass es in der Romantik nur um das "Gefühl" ginge, ist ein verbreitetes, aber völlig falsches Klischee. Dazu Carl Dahlhaus:


    "Sofern man unter romantischer Musikästhetik die Musikästhetik der Romantiker versteht, ist sie - als Metaphysik der Instrumentalmusik - von der Gefühlsästhetik, mit der sie immer wieder verwechselt wurde, ebenso weit entfernt wie von dem Hanslickschen Formalismus."


    Und zu dem Blödsinn, den Du über Kempff und Backhaus schreibst, äußere ich mich lieber nicht! :D

    Deswegen habe ich im Endeffekt einen sehr naiven Zugang zu den Dingen. Ich bitte da um Entschuldigung, aber ich finde schon, dass man nur über Romantik exakt sprechen kann, wenn es eine operationalisierbare Definition gibt. Sonst bleibt es nebulös, was nicht schlecht sein muss, aber dann wird es mit dem Verurteilen schwierig.


    Da hat Johannes schon Recht, das ist wirklich grotesk. Es gibt kaum eine Epoche, die besser und klarer auf den Begriff gebracht ist als die Romantik. Jeder weiß das, der entweder Literaturwissenschaft, Musikwissenschaft, irgendeine Kunstwissenschaft oder Philosophie studiert hat. Wer da bei Wikipedia googeln muss, dem ist leider nicht zu helfen! :D Das liegt nicht zuletzt daran, dass die romantischen Künstler zumeist Musiker, Literaten, Philosophen in Personalunion waren. Sie haben die Philosophie zu ihrer Kunst gleich mitgeliefert. Ich nenne nur ein paar Namen: Novalis, die Schlegel-Brüder, Jean Paul, Ludwig Tieck, E.T.A. Hoffmann. Komponisten wie Wagner oder Liszt waren philosophisch sehr gebildet, ein R. Schumann las E.T.A. Hoffmann. Man muss sich damit nur beschäftigen! :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Also Axel, was die "Romantik" angeht muss ich konstatieren, dass Du nichts als nur lauter Klischees im Kopf hast! :D


    Werter Holger, das wollen wir mal nicht hoffen! Ganz unschuldig wäre die romantsiche Musik dabei sicher nicht.


    Dass man Klassik und Romantik als ausschließenden Gegensatz sehen will wie das etwa exemplarisch bei Arnold Schering ("Kritik des romantischen Beethovenbildes") geschieht, ist ein Konstrukt des 20. Jhd., das aus Bedürfnissen entstanden sind, die sehr modern sind und mit der Zeit von Beethoven, Schubert und Schumann so gut wie nichts zu tun haben. Zu Lebzeiten nannte man Beethoven den "Jean Paul der Musik", E.T.A. Hoffmann sah Beethoven als einen "rein romantischen" Komponisten an. Das "A" in seinem Namen steht für "Amadeus" (Mozart).

    Völlig richtig, das ist aber sicher ein allgemeines Phänomen. es fällt auch in der heutigen Jetztzeit schwer, gegenwärtige Strömungen zu differenzieren. das wird kommenden Generationen überlassen bleiben. Allerdings herrscht ja der Glaube, dass man mit der Zeit mehr versteht. :)


    Auf die Romantik verweist bei Beethoven nicht nur die Mondscheinsonate, sondern vieles mehr.

    Ich hoffe, dass Du meinen Zwinkersmiley nicht übersehen hast. Selbstverständlich war das pointiert.

    Dazu Carl Dahlhaus:


    "Sofern man unter romantischer Musikästhetik die Musikästhetik der Romantiker versteht, ist sie - als Metaphysik der Instrumentalmusik - von der Gefühlsästhetik, mit der sie immer wieder verwechselt wurde, ebenso weit entfernt wie von dem Hanslickschen Formalismus."

    Carl Dahlhaus macht hier eine wichtige Einschränkung, die aber für eine weitere Diskussion fundamental ist. Sprechen wir über die Musikästhetik der Romantiker, kommen wir ins historische Fahrwasser für Musikhistoriker, durchaus nicht uninteressant, aber dann doch hier wohl nur noch einem kleinen Kreis von Spezialisten vorbehalten. Das war nun wirklich nicht meine Absicht. Vielmehr wollte ich ein Nachdenken über Romantik anregen.


    Und zu dem Blödsinn, den Du über Kempff und Backhaus schreibst, äußere ich mich lieber nicht!:D

    Werter Holger, Du solltest häufiger am Tag mal lachen, nicht nur beim Smiley. Das tut gut!


    Mir gehen diese offensichtlichen Frisurenkopien, die ja ziemlich ostentativ Künstlerisches symbolisieren sollen auf den Nerv. Trau mir zu, dass ich das von der künstlerischen Leistung hin und wieder unterscheiden kann :/.



    Da hat Johannes schon Recht, das ist wirklich grotesk

    Auch wenn Johannes das zu einer anderen Stelle geschrieben hat, ja , sogar ich hatte ihm recht gegen.

    Lieber Johannes Roehl aber genauso ist es..

    Nur bleibt die Frage offen, was denn nun Romantik in der Musik für Nichtspezialisten sei.


    Es gibt kaum eine Epoche, die besser und klarer auf den Begriff gebracht ist als die Romantik. J

    Das hört sich ja ganz hervorragend an. Jetzt bleibt nur noch die Begriffsdefinition offen.


    Jeder weiß das, der entweder Literaturwissenschaft, Musikwissenschaft, irgendeine Kunstwissenschaft oder Philosophie studiert hat. Wer da bei Wikipedia googeln muss, dem ist leider nicht zu helfen! :D Das liegt nicht zuletzt daran, dass die romantischen Künstler zumeist Musiker, Literaten, Philosophen in Personalunion waren.

    Das "Jeder" am Anfang hört sich vielversprechender an, als die in der Fortsetzung auftauchenden Einschränkungen. Wenn wir uns im Diskurs auf Teilnehmer beschränken, die eines der oben angegebenen Fächer studiert haben wird der Kreis eng und die Schnittmenge mit der der Musikliebhaber notwendigerweise noch enger...


    BTW Ich habe in meinem Philosophiestudium von Romantik nicht viel mitbekommen, es sei denn, man zähle die Philosophie des deutschen Idealismus dazu und die ist bei allem Wohlwollen jenseits von"klar". Ich kann mich noch an ein Proseminar über Heideggers Schrift über Schellings Begriff der Freiheit erinnern, das mich damals halb in den Wahnsinn getrieben hat :(

    Sie haben die Philosophie zu ihrer Kunst gleich mitgeliefert. Ich nenne nur ein paar Namen: Novalis, die Schlegel-Brüder, Jean Paul, Ludwig Tieck, E.T.A. Hoffmann. Komponisten wie Wagner oder Liszt waren philosophisch sehr gebildet, ein R. Schumann las E.T.A. Hoffmann. Man muss sich damit nur beschäftigen!

    Hier taucht natürlich unweigerlich die oben schon angestoßene Problematik der Differenz des philosophischen Selbstverständnis des romantischen Künstlers mit einem eventuellen heutigen Verständnis romantischer Kunst auf. Abgesehen davon, dass Beschäftigung mit der Beschäftigung von Wagner und Liszt mit Philosophie an sich interessant sein könnte, ist absolut nicht klar, in welcher Hinsicht das ein wirkliche Hilfe für ein heutiges Verständnis von Romantik sein kann. Als Objekt der Untersuchung selbstverständlich, weil wir hier ja Gedanken der Romantik vor uns haben. Aber wie Wolfgang oben schon anspricht, hier müssen Ebene und Metaebene genauestens auseinandergehalten werden.


    Langer Rede kurzer Sinn: Es mag eine Gruppe ausgewiesener Spezialisten geben, die sich über den Romantikbegriff einig sind (ich bezweifele das ernsthaft in Bereich der Geisteswissenschaften. Es entspricht kaum meiner zugegenermaßen nicht lebenslangen Erfahrung.), aber selbst wenn, wäre doch die Aufgabe hier den Spezialistenkreis zu verlassen und eine allgemeinverständliche Definition zu bringen, die einem versierten Musikhörer weiterbringt, unabhängig davon, was er nun studiert haben mag...


    Beste Grüße :hello:

    Axel alias astewes

  • Liebe Tamino-Mitglieder


    Ich hatte den Thread als Tamino-Mitglied hervorgeholt, weil mir die Unterscheidung der beiden in der Musikgeschichte bedeutenden Perioden nicht klar ist. Im Gymnasium geriet ich mit einer Lehrperson in einen Disput, ob Schubert den Klassikern oder den Romantikern zuzuordnen sei. (Ich sah ihn bei den Romantikern.)


    Als Moderator danke ich euch für die bisher sachlich geführte Diskussion bei aller Unterschiedlichkeit des Verständnisses in der Thematik "Klassik und Romantik".


    Einmal mehr bewahrheitet sich: Humor ist eine gute menschliche Eigenschaft.


    Es grüsst euch


    moderato

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Im Gymnasium geriet ich mit einer Lehrperson in einen Disput, ob Schubert den Klassikern oder den Romantikern zuzuordnen sei.

    Ich musste lachen, als ich das las, denn ich brauche in dieser Feststellung nur zwei Wörter auszutauschen, dann trifft sie auch auf mich zu:


    "Im Tamino-Forum geriet ich mit einem Mitglied in einen Disput, ob Schubert den Klassikern oder den Romantikern zuzuordnen sei."


    (Ich widersprach damals - mit Begründung - seiner Klassifizierung Schuberts als "Romantiker", und seitdem mag mich dieses Mitglied nicht mehr)


    Aber mal zu der Diskussion hier:

    Dem Wunsch von astewes, eine "operationalisierbare Definition" von "Romantik" vorzulegen, wird kein seriöser Literatur-, Musik- und Kunsthistoriker nachkommen können.

    Den "die" Romantik gibt es gar nicht. Nicht nur, dass sich "Romantik" in diesen drei Bereiche der Kunst unterschiedlich darstellt, die französische und die englische Romantik unterscheidet sich in vielen Bereichen deutlich von der deutschen.


    Man könnte, um die Grund-Intention des Künstlers der deutschen Romantik zu erfassen, an der Definition von Novalis ansetzen, lautend:

    "Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es."


    Und wenn man dann noch das berühmte "Athenäum-Fragment Nr.116 hinzunähme, hätte man gleichsam eine Art Programm der Frühromantik:

    "Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen...".


    Ein Blick in den Klassiker "Musik der Romantik" von Charles Rosen würde zeigen, dass vieles von dem, was hier programmatisch für die Literatur verkündet wurde, auch von den Komponisten der Romantik im Bereich der Musik intendiert wurde. Schumann ist ein Musterbeispiel dafür.

  • Völlig richtig, das ist aber sicher ein allgemeines Phänomen. es fällt auch in der heutigen Jetztzeit schwer, gegenwärtige Strömungen zu differenzieren. das wird kommenden Generationen überlassen bleiben. Allerdings herrscht ja der Glaube, dass man mit der Zeit mehr versteht. :)

    Lieber Axel,


    ich wollte nur deutlich machen, dass die Unterscheidung Klassik-Romantik sozusagen posthum gemacht wurde. Sie ist ja auch durchaus sinnvoll, nur kommt es dann auf die richtige Art an, wie man mit ihr umgeht. Da ist es nicht schlecht zu wissen, dass die Beethoven-Zeit da einen doch etwas anderen Zugang hatte. Das schützt vor Einseitigkeiten der Betrachtung.

    Ich hoffe, dass Du meinen Zwinkersmiley nicht übersehen hast. Selbstverständlich war das pointiert.

    Das war mir schon klar, dass das überspitzt war. Aber das ist letztlich doch bezeichnend, dass Du das "Romantische" bei Beethoven mit der Mondscheinsonate identifizierst! ^^

    Carl Dahlhaus macht hier eine wichtige Einschränkung, die aber für eine weitere Diskussion fundamental ist. Sprechen wir über die Musikästhetik der Romantiker, kommen wir ins historische Fahrwasser für Musikhistoriker, durchaus nicht uninteressant, aber dann doch hier wohl nur noch einem kleinen Kreis von Spezialisten vorbehalten. Das war nun wirklich nicht meine Absicht. Vielmehr wollte ich ein Nachdenken über Romantik anregen.

    Der Musikhistoriker kann hier darauf hinweisen, dass es eine Rezeptionsgeschichte gibt, die durchaus komplexer ist. Wieso wird bei der "Romantik" der Gefühlsaspekt so hervorgehoben, wann und von wem? Ist Beethovens "Appassionata" etwa weniger emotional als die Trauermarschsonate von Chopin, nur weil das eine Stück in die Schublade "Klassik" gesteckt wird und das andere in die Kiste "Romantik"? Auch wenn man wenig Theoriekenntnisse oder gar keine hat, leuchtet das nunmal so unmittelbar gar nicht ein.

    Werter Holger, Du solltest häufiger am Tag mal lachen, nicht nur beim Smiley. Das tut gut!


    Mir gehen diese offensichtlichen Frisurenkopien, die ja ziemlich ostentativ Künstlerisches symbolisieren sollen auf den Nerv. Trau mir zu, dass ich das von der künstlerischen Leistung hin und wieder unterscheiden kann :/ .

    :D Da hast Du dann aber den komischsten Beethovengenie-Wuschelkopf vergessen - Cyprien Katsaris nämlich:



    cyprien+katsaris.jpg

    Das hört sich ja ganz hervorragend an. Jetzt bleibt nur noch die Begriffsdefinition offen.

    Du betonst einmal, dass er normale Hörer ohne Interesse für Musiktheorie oder Philosophie keine solchen Begriffe braucht, dann aber wieder, dass Du sie brauchst, um mit romantischer Musik mehr anfangen zu können als bisher. Wie passt denn das zusammen?


    Im Unterschied zur Mathematik und naturwissenschaftlichen Gesetzeserkenntnissen beziehen sich Geistes- bzw. Kulturwissenschaften nicht auf allgemeine Sachverhalte, sondern auf Individuelles, das in seiner individuellen Besonderheit begriffen werden soll. Was der Mensch im Allgemeinen ist, lässt sich einfach definieren: er ist ein animal rationale. Kannst Du aber auch von Deiner sehr individuellen Person definieren, was sie im Unterschied zu der Deines Arbeitskollegen oder Deiner Nachbarin ausmacht? Wohl kaum! Die Individualität lässt sich in keiner einfachen Formel fassen. Was ist das Romantische bei Schumann oder bei Chopin? Da gibt es Vergleichbares und Nicht-Vergleichbares. Geisteswissenschaftliche Kategorien wie "Romantik" sind deshalb auch eher so etwas wie Bedeutungsfelder, wo bestimmte Eck- und Rahmenpunkte begrifflich abgesteckt werden, so dass es mehr oder weniger große Schnittmengen gibt in Bezug auf die dadurch begriffenen Gegenstände - hier Kunstwerke. In den Geisteswissenschaften gibt es deshalb keine punktgenauen Definitionen, die nur eine Einfachheit und Eindeutigkeit suggerieren würden, die es nicht gibt. Deswegen haben diese Begriffe immer einen gewissen Spielraum, "fluktuieren" je nach Gegenstand. Das liegt aber in der Natur der Sache. Aristoteles schon hat gesagt, dass es von mangelnder Klugheit zeugt, mehr Genauigkeit von einer begrifflichen Erkenntnis zu erwarten, als man erwarten kann.

    Das "Jeder" am Anfang hört sich vielversprechender an, als die in der Fortsetzung auftauchenden Einschränkungen. Wenn wir uns im Diskurs auf Teilnehmer beschränken, die eines der oben angegebenen Fächer studiert haben wird der Kreis eng und die Schnittmenge mit der der Musikliebhaber notwendigerweise noch enger...


    BTW Ich habe in meinem Philosophiestudium von Romantik nicht viel mitbekommen, es sei denn, man zähle die Philosophie des deutschen Idealismus dazu und die ist bei allem Wohlwollen jenseits von"klar". Ich kann mich noch an ein Proseminar über Heideggers Schrift über Schellings Begriff der Freiheit erinnern, das mich damals halb in den Wahnsinn getrieben hat :(

    Deutscher Idealismus - das sind Fichte, Schiller, dann Hegel und natürlich Schelling, Novalis... Etwas Klareres als deutschen Idealismus gibt es kaum in der Philosophie. Von Fichte gibt es einen Text, der heißt "Sonnenklarer Bericht...." ;) Die Heidegger-Schrift kenne ich natürlich auch. Und ich verstehe rein gar nicht, was an speziell diesem Text von Schelling unklar nennen soll. Schelling kritisiert da die (aristotelische) Tradition, dass man das Böse nicht nur als eine privatio boni begreifen kann, was er als eine Verharmlosung ansieht. Er kann sich da u.a. auf Augustinus und auf Kant stützen. Willst Du gegen Schelling die Möglichkeit eines "radikalen Bösen" bestreiten - trotz Auschwitz und trotz IS-Terrorismus? Wenn Du Dich ernsthaft mit dem Idealismus von Schelling auseinandersetzen müsstest, dann wäre der Gegenstand auch nicht diese Schrift, sondern seine Systementwürfe. Der Idealismus ist eine Systemphilosophie. Und ein philosophisches System zu begründen geht nunmal nicht ohne begriffliche Klarheit! :)

    Langer Rede kurzer Sinn: Es mag eine Gruppe ausgewiesener Spezialisten geben, die sich über den Romantikbegriff einig sind (ich bezweifele das ernsthaft in Bereich der Geisteswissenschaften. Es entspricht kaum meiner zugegenermaßen nicht lebenslangen Erfahrung.), aber selbst wenn, wäre doch die Aufgabe hier den Spezialistenkreis zu verlassen und eine allgemeinverständliche Definition zu bringen, die einem versierten Musikhörer weiterbringt, unabhängig davon, was er nun studiert haben mag...

    Der Romantikbegriff ist in den Geisteswissenschaften nun wirklich lange genug diskutiert worden, so dass es im Grundsätzlichen da genug Eindeutigkeit gibt. Dass offene Fragen bleiben und nie alles restlos geklärt ist, gehört zum Geschäft der Wissenschaft. ;) Die Gelehrten streiten sich auch zumeist eher bei Einzelwerken und wie sie genau einzuordnen sind - das aber auch nicht überall im selben Maße. Die Frage ist nun: Was bringt das alles dem normalen Musikhörer? Der hört z.B. heute eine Beethoven-Symphonie und morgen eine Brahms-Symphonie, und übermorgen eine Schubert-Symphonie und will vielleicht gerne wissen und verstehen, warum die Brahms-Symphonie oder Schubert-Symphonie doch anders ist als die von Beethoven und warum das so ist. Und dann sollte man etwas Konkretes dazu sagen können. Und dazu ist ein bisschen Gelehrsamkeit nicht schlecht! :)


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Nun, werter Helmut, genau diese beiden in der Tat berühmten Zitate hätte ich auch noch anführen können. Und insofern ist es auch richtig, dass diese "Romantiker" ihr Verständnis des "Romantischen" auf den Punkt bringen konnten. "Operationalisierbar" freilich sind diese Konzepte kaum. Mir scheint, dass sich Ursache und Wirkung dabei auf eigenwillige Art überschneiden oder gar vermengen. Denn was ein Romantiker am wenigsten beabsichtigt hat in Zeiten des Idealismus, war ja nun genau das, das "Operationalisieren". Quasi per definitionem.


    Und - um das Pferd andersrum anzureiten - wie sollte man ernsthaft an romantischer Literatur, an romantischer Musik ... solches im Nachhinein "operationalisieren"?


    Es mag sein, dass es klare Definitionen seitens all der vielen Romantiker gibt oder einiger von ihnen - ad hoc sowieso. Und Helmut hat ja völlig richtig hingewiesen auf die Komplexität dieser Stilepoche - quantitativ wie qualitativ, räumlich wie zeitlich. Diese Definitionen sind aber Ideen-Konstrukte und nur sehr bedingt Schreib- oder Komponier-Regulativa - wie es sie - vielleicht - noch in der Barockzeit gegeben hat.


    ;) Und um noch kurz zu unserem Freund astewes zurückzukommen. Der führt erkennbar Übles im Schilde - oder wie die Redewendung heißt. Er will mich Halb- und Euch 80-Prozent-Gebildeten aus einer beschaulichen Reserve locken ... Wir fallen ja auch alle darauf herein, jeder auf seine Art ...


    :pfeif:


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • :D Da hast Du dann aber den komischsten Beethovengenie-Wuschelkopf vergessen - Cyprien Katsaris nämlich:

    Es gibt noch viel mehr. Anton Rubinstein war auch so einer .. und wie unser Kollege MDM ja zeigt, auch Elly Ney musste ihren ganz persönlichen Bezug zu Beethoven frisurentechnisch dokumentieren :)



    Du betonst einmal, dass er normale Hörer ohne Interesse für Musiktheorie oder Philosophie keine solchen Begriffe braucht, dann aber wieder, dass Du sie brauchst, um mit romantischer Musik mehr anfangen zu können als bisher. Wie passt denn das zusammen?

    Ich bin tatsächlich davon überzeugt, dass man, um Musik genießen zu können nichts über Romantik und Klassik wissen muss, man muss nur zuhören.... das heißt aber nicht, dass ich das Nachdenken über Musik für überflüssig halte. Ich wäre ja sonst nicht im Forum aktiv.


    Ob ich nach unserer kleinen Untersuchung, wenn sie noch weitergeht, mit romantischer Musik mehr anfangen kann, weiß ich nicht. Ich schließe nicht aus, dass der eine oder andere Fingerzeig beim Hören neue Impulse geben kann. So passiert zum Beispiel bei den Lieduntersuchungen von Helmut Hofmann . Da ist dann tatsächlich Lust entstanden hin und wieder Liedwerk zu hören (Britten Corigliani , auf die Idee wäre ich ohne den Schubert Thread nicht gekommen...


    Was mich an der Klassik-Romantik-Debatte interessiert, ist vielmehr ein zumindest bei mir über die Jahre gekommenes Desinteresse, was sogenannte romantische Musik angeht, wobei das natürlich nicht pauschal anzuwenden ist. Chopins Etuden, Mendelssohns Musik, ein paar Brahms Stücke und sicher noch einiges mehr gehören zu den gern gehörten Musikstücken bei mir. Wenn ich das nun mit meinem Interesse an Beethoven Mozart Haydn Bach Scarlatti Rameau und vielen Komponisten des 20. Jahrhunderts vergleiche, ist es doch eher dünn.


    Es könnte ja sein, dass durch die Untersuchung Kriterien in den Vordergrund geraten, die es mir ermöglichen noch einmal neu zu hören


    Deutscher Idealismus - das sind Fichte, Schiller, dann Hegel und natürlich Schelling, Novalis... Etwas Klareres als deutschen Idealismus gibt es kaum in der Philosophie. Von Fichte gibt es einen Text, der heißt "Sonnenklarer Bericht...." ;) D

    Von Fichte gibt es einige Wissenschaftslehren, die ich damals studiert hatte, wo er versucht Kant weiterzudenken. Ich kann mich noch dunkel (es ist auch schon vierzig Jahre her) an Ichs und Nicht-Ichs erinnern, die ihm irgendwie helfen sollen Wissen im Ich zu begründen. Wenn es Dir klar ist, freue ich mich für Dich, mir kamen solche Überlegungen Kants Ding an sich wieder in den Denkprozess zu integrieren sehr suspekt und unverständlich vor. So viel Spaß mir auch das Nachdenken darüber gemacht hatte, Erkenntnisse hatte ich nicht gewonnen. Ein Disput darüber würde auch den Thread mit nicht musikalischen Themen belasten und ich würde es an dieser Stelle gerne dabei belassen, dass wir hier unterschiedlicher Ansicht sind.

    Die Heidegger-Schrift kenne ich natürlich auch. Und ich verstehe rein gar nicht, was an speziell diesem Text von Schelling unklar nennen soll. Schelling kritisiert da die (aristotelische) Tradition, dass man das Böse nicht nur als eine privatio boni begreifen kann, was er als eine Verharmlosung ansieht.

    Auch hier würde ich gerne abkürzen. Ich hatte damals eine Diskussion mit dem Professor, der mir am Ende recht gab, zumindest was doe Komplexität an einigen Stellen anging. Auch hier freue ich mich, wenn es Menschen gibt, die hier kein Verständnisproblem haben. Das ist ein absolut erfreulicher Umstand. Vielleicht, sollte ich den Text heute noch einmal lesen, sehe ich die Dinge ja auch anders, wer kann das wissen...


    Der Romantikbegriff ist in den Geisteswissenschaften nun wirklich lange genug diskutiert worden, so dass es im Grundsätzlichen da genug Eindeutigkeit gibt. Dass offene Fragen bleiben und nie alles restlos geklärt ist, gehört zum Geschäft der Wissenschaft.

    Wenn es so ist, dass der Begriff geklärt ist, bin ich hocherfreut und wiederhole gerne meinen Wunsch, mehr zu verstehen. Die offenen Fragen der Wissenschaft, die natürlich die Grenzen menschlichen Erkennens immer wieder vor Augen führen, würde ich gefühlt weniger an Begriffsbildungen, sondern an Unverstandenem der Objekte der Wissenschaft festmachen. Selbstverständlich sind kluge Begriffsbildungen in der Wissenschaft etwas ausgesprochen Schwieriges. Aber der Begriff der Romantik scheint da nicht mehr dazuzugehören.

    Der hört z.B. heute eine Beethoven-Symphonie und morgen eine Brahms-Symphonie, und übermorgen eine Schubert-Dymphonie und will vielleicht gerne wissen und verstehen, warum die Brahms-Symphonie oder Schubert-Symphonie doch anders ist als die von Beethoven und warum das so ist. Und dann sollte man etwas Konkretes dazu sagen können. Und dazu ist ein bisschen Gelehrsamkeit nicht schlecht! :)

    Da gebe ich Dir unumwunden recht.

  • ;) Und um noch kurz zu unserem Freund astewes zurückzukommen. Der führt erkennbar Übles im Schilde - oder wie die Redewendung heißt. Er will mich Halb- und Euch 80-Prozent-Gebildeten aus einer beschaulichen Reserve locken ... Wir fallen ja auch alle darauf herein, jeder auf seine Art ...

    Werter Wolfgang,


    nichts läge mir ferner :). Ich würde mnich nur freuen, wenn es uns hier im Forum gelingen könnte, eine fruchtbare Diskussion zu dem Thema zu führen, von der ich auch etwas lernen kann, in der Hoffnung, dass es anderen ebenso gehen möge.

  • Von Fichte gibt es einige Wissenschaftslehren, die ich damals studiert hatte, wo er versucht Kant weiterzudenken. Ich kann mich noch dunkel (es ist auch schon vierzig Jahre her) an Ichs und Nicht-Ichs erinnern, die ihm irgendwie helfen sollen Wissen im Ich zu begründen. Wenn es Dir klar ist, freue ich mich für Dich, mir kamen solche Überlegungen Kants Ding an sich wieder in den Denkprozess zu integrieren sehr suspekt und unverständlich vor.

    Lieber Axel,


    ich habe beim Gründer der Internationalen Fichte-Gesellschaft studiert! ;) Daher doziere ich jetzt einen Moment: Fichte hält das "Ding an sich" für keinen transzendentalen Begriff, lässt ihn also auch nicht als Grenzbegriff gelten wie Kant, sondern wirft ihn raus schlicht und einfach aus dem System! :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Es geht in der romantischen Literatur um die Suche, nicht um das Finden, um Sehnsucht statt Erfüllung, um die Dualität von Kunst und Zweckhaftigkeit, um das Irrationale und - damit einhergehend - natürlich - um das Subjektive, welches die Ratio, wenn sie denn nicht konsequent abgelehnt wird, als unzureichend erfährt.


    Werter WolfgangZ , bitte sieh mir die Verzögerung nach. Ich musste hier erst einmal selbt ein wenig anchdenken.... :( Hier finde ich wichtig, dass die Ratio als unzureichend empfunden wird, was man natürlich sofort nachvolziehen kann.


    Dem Wunsch von astewes, eine "operationalisierbare Definition" von "Romantik" vorzulegen, wird kein seriöser Literatur-, Musik- und Kunsthistoriker nachkommen können.

    Den "die" Romantik gibt es gar nicht. Nicht nur, dass sich "Romantik" in diesen drei Bereiche der Kunst unterschiedlich darstellt, die französische und die englische Romantik unterscheidet sich in vielen Bereichen deutlich von der deutschen.

    Lieber Helmut Hofmann ich hatte das schon irgendwie vermutet, wollte aber irgendwie die Erkenntnis einmal explizit schwarz auf weiß sehen.


    Man könnte, um die Grund-Intention des Künstlers der deutschen Romantik zu erfassen, an der Definition von Novalis ansetzen, lautend:

    "Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es."

    Diese Defintion von Novalis, den ich auch sehr schätze und früher viel gelesen habe, kommt mir aber dann doch so vor, als haben wir es mit einer Defintion von Kunst überhaupt zu tun, nur dass der Duktus der Formulierung sehr "romantisch" klingt. Kunst scheint mir zwangweise eine Überhöhung des Alltäglichen zu sein. Und es scheint mir auch selbstverständlich, dass wir es mit "Unsagbarem" (Geheimnisvollen) in der Musik zu tun haben, sonst würde ja jeder Musiker den Weg des Wortes wählen.

    Und wenn man dann noch das berühmte "Athenäum-Fragment Nr.116 hinzunähme, hätte man gleichsam eine Art Programm der Frühromantik:

    "Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen...".

    Bei der ganzheitlichen Auffassung, die Du hier ansprichst, kommen mir wieder uralte Ideen von Schelling oder Hegel (die sich später wohl nicht mehr so gut verstanden haben) in den Sinn, wie die Einheit von Geist und Natur oder eben auch Hegels Dialektik hin zu einem absoluten Weltgeist, der Subjekt und Objekt in sich vereint. So wundervoll sich das auch lesen ließ, habe ich meine Schwierigkeiten damit und bin ein ziemlich harter Verfechter des kantschen Ansatzes.


    Aber wenn die Romantik so denkt, ist es doch erstaunlich, dass sie in der Musik eher der kleinen Form gehuldigt hat (sehen wir mal von Wagner und seinem Gesamtkunstwerk ab). Selten ergeben sich für mich aus diesen kleinen Formen etwas die Form Transzendierendes (Chopins Etudes oder vielleicht auch Schumann Fantasie scheinen da Ausnahmen) Häufig bleibt es für mich einfach bei einer Sammlung, deren inneren Zusammenhang ich nicht verstehe.


    Es wäre also zu zeigen, inwieweit dieser Romantikbegriff (mit aller Ungenauigkeit) diese Vielfalt an Kleinformen produzieren kann.

  • Du machst da ein ganzes Fass von Fragen und Problem auf, das Thema "Romantik in der Musik betreffend, lieber astewes. Nimm´s mir nicht übel, wenn ich auf all das hier nicht in angemessener Weise eingehen kann. Ich verfüge, da ich mich ganz und gar in Anspruch nehmende lebenswichtige Aufgaben zu erfüllen habe, über nur sehr wenig Zeit für die Betätigung hier im Forum.


    Zunächst einmal zu Deiner Feststellung: "Aber wenn die Romantik so denkt, ist es doch erstaunlich, dass sie in der Musik eher der kleinen Form gehuldigt hat."

    Das ist zwar zutreffend, dieses "Huldigen", aber sie hat sich keineswegs auf die kleine Form beschränkt. Du hast ja selbst auf Richard Wagner verwiesen. Dessen Idee vom Gesamtkunstwerk ist aus der romantischen Kunsttheorie hervorgegangen, und wenn Du Dir das Werk von Komponisten, die man der sog. Hochromantik" zurechnet, ansiehst, also etwa von Carl Maria von Weber, Hector Berlioz, Georges Bizet, Anton Bruckner, Franz Liszt, Felix Mendelssohn oder Robert Schumann, dann zeigt sich, dass sich darin auch die "große Form" findet. Das "neudeutsche" Konzept der "sinfonischen Dichtung" ist eine Ausgeburt der romantisch musikalischen Denkens.


    Warum gleichwohl die "kleine musikalische Form" in der Musk der Romantik eine große Rolle sielt, das hängt wesenhaft mit der romantischen Kunsttheorie zusammen, wie sie mit Schwerpunkt auf Musik etwa Wackenroder und E.T. A. Hoffmann entwickelt haben und wie sie schließlich bei Schopenhauer in dem Theorem "Musik als Manifestation des reinen Willens" und damit den "Dings an sich" gleichsam kulminiert.

    Bei E.T.A. findet sich die Feststellung:

    Die Instrumentalmusik "ist die romantischste aller Künste, — fast möchte man sagen, allein rein romantisch. (...) Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf; eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt (…) und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurückläßt, um sich dem Unaussprechlichen hinzugeben.“

    Das läuft vom theoretischen Konzept her darauf hinaus, dass Musik als Evokation von Emotionalität verstanden wird, sich also gleichsam aus einem als Urzelle fungierenden ekvokativen Element zu entwickel hat.


    Das ist als das musikalische Äquivalent zu dem Entwurf einer neuen - eben romantischen - Literatur zu verstehen, wie ihn Novalis vorgelegte, lautend:

    "Erzählungen ohne Zusammenhang, jedoch mit Associationen, wie Träume. Gedichte - bloß wohlklingend und voll schöner Worte - aber auch ohne allen Sinn und Zusammenhang - höchstens einzelne Strophen verständlich - sie müssen, wie lauter Bruchstücke aus den verschiedenen Dingen seyn. Höchstens kann wahre Poesie einen allegorischen Sinn im Großen haben und eine indirecte Wirkung wie Musik etc."


    Das ist vielsagend. Die Dichter und die Maler der Romantik beneideten die Musik um die ihr eigene Freiheit, Symbole, Formen und Gestalten ohne Bezug zur Realität und ohne Bindung an diese herzustellen. Aus diesem Grund stieg die Musik Anfang des 19. Jahrhunderts in den Rang der "Kunst an sich", der höchsten aller Künste auf, und Hegel konnte die These aufstellen, dass "Musik die romantische Kunst an sich" sei.

  • Bei der ganzheitlichen Auffassung, die Du hier ansprichst, kommen mir wieder uralte Ideen von Schelling oder Hegel (die sich später wohl nicht mehr so gut verstanden haben) in den Sinn, wie die Einheit von Geist und Natur oder eben auch Hegels Dialektik hin zu einem absoluten Weltgeist, der Subjekt und Objekt in sich vereint. So wundervoll sich das auch lesen ließ, habe ich meine Schwierigkeiten damit und bin ein ziemlich harter Verfechter des kantschen Ansatzes.

    Nur ein paar Fußnoten zum Sonntag: Hegel war kein Romantiker, sondern Romantik-Kritiker. Es gibt freilich Bezüge der Romantik zu Schelling und Hegel, vor allem durch die Naturphilosophie. Natur ist "träumender Geist". Kant ist da Anhänger einer mechanistischen Naturauffassung im Sinne von Newton geblieben. Heute gibt es aber auch in der Physik Selbstorganisationstheorien. Romantische Naturphilosophie ist also durchaus wieder aktuell (unter völlig veränderten Vorzeichen freilich)!

    Aber wenn die Romantik so denkt, ist es doch erstaunlich, dass sie in der Musik eher der kleinen Form gehuldigt hat (sehen wir mal von Wagner und seinem Gesamtkunstwerk ab).

    Es gibt ja eine romantische Metaphysik der Instrumentalmusik. Deren Hauptgattung ist die große Form - die Symphonie (Ludwig Tiecks berühmter Aufsatz hat den Titel "Symphonien"). Schubert, Schumann, Mendelssohn, Brahms - um nur die deutschen Romantiker zu nennen - schreiben alle Symphonien und große Formen. Wiederum Schubert, Schumann, Brahms, selbst Chopin pflegen die Gattung der großen Klaviersonate... Beides gehört in der Romantik zusammen - die Betonung der Weltläufigkeit der Musik, der großen Form, wie die Aufwertung der kleinen Formen. Bekanntlich lieben die Romantiker das Fragment, haben Ruinen nicht nur gepflegt, sondern sogar gebaut. :D Wenn man verstehen will, wie das zusammenpasst, dann sollte man begreifen, dass Romantik nicht nur idealistische Synthese ist, sondern immer zugleich Divergenz bedeutet, die Auflösung der Synthese. Die Romantik setzt im Idealismus an und weist zugleich über ihn hinaus - in Richtung Realismus, Expressionismus... Romantik ist eine übergängige Kunstform.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Nimm´s mir nicht übel, wenn ich auf all das hier nicht in angemessener Weise eingehen kann. Ich verfüge, da ich mich ganz und gar in Anspruch nehmende lebenswichtige Aufgaben zu erfüllen habe, über nur sehr wenig Zeit für die Betätigung hier im Forum.

    Lieber Helmut Hofmann ,


    ich nehme gar nichts übel, sondern ganz im Gegenteil freue ich mich, dass es hier eine Diskussion gibt. Dass wir nicht alle Tiefen ausloten können, ist mir schon von Anfang an klar. gewesen Vielleicht bedarf es dessen aber auch nicht.



    Zunächst einmal zu Deiner Feststellung: "Aber wenn die Romantik so denkt, ist es doch erstaunlich, dass sie in der Musik eher der kleinen Form gehuldigt hat."

    Das ist zwar zutreffend, dieses "Huldigen", aber sie hat sich keineswegs auf die kleine Form beschränkt. Du hast ja selbst auf Richard Wagner verwiesen. Dessen Idee vom Gesamtkunstwerk ist aus der romantischen Kunsttheorie hervorgegangen, und wenn Du Dir das Werk von Komponisten, die man der sog. Hochromantik" zurechnet, ansiehst, also etwa von Carl Maria von Weber, Hector Berlioz, Georges Bizet, Anton Bruckner, Franz Liszt, Felix Mendelssohn oder Robert Schumann, dann zeigt sich, dass sich darin auch die "große Form" findet. Das "neudeutsche" Konzept der "sinfonischen Dichtung" ist eine Ausgeburt der romantisch musikalischen Denkens.


    Das ist tatsächlich ein Teil der Romantik, der mir aufgrund meines etwas eingeschränkten instrumentalen Interesses entgangen ist. Ich bedanke mich und werde mich vielleicht in Zukunft mehr mit den sinfonischen Werken einiger Romantiker beschäftigen. Es scheint, wie der Begriff der sinfonischen Dichtung nahelegt, da einen Transfer zwischen Literatur und Musik zu geben, der mich bisher immer bei Schumann leicht verstört hat, der aber irgendwie systematischer zu verstehen ist, als ich es bisher wahrgenommen habe. Holger hat an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass Liszt belesen war.


    Warum gleichwohl die "kleine musikalische Form" in der Musk der Romantik eine große Rolle sielt, das hängt wesenhaft mit der romantischen Kunsttheorie zusammen, wie sie mit Schwerpunkt auf Musik etwa Wackenroder und E.T. A. Hoffmann entwickelt haben und wie sie schließlich bei Schopenhauer in dem Theorem "Musik als Manifestation des reinen Willens" und damit den "Dings an sich" gleichsam kulminiert.

    Bei E.T.A. findet sich die Feststellung:

    Die Instrumentalmusik "ist die romantischste aller Künste, — fast möchte man sagen, allein rein romantisch. (...) Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf; eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt (…) und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurückläßt, um sich dem Unaussprechlichen hinzugeben.“

    Das läuft vom theoretischen Konzept her darauf hinaus, dass Musik als Evokation von Emotionalität verstanden wird, sich also gleichsam aus einem als Urzelle fungierenden ekvokativen Element zu entwickel hat.


    Das finde ich wirklich eine überzeugende Erklärung. Obwohl Schopenhauer zu Fichte eine Menge häßliche Dinge zu sagen hatte, kommen sie sich beim Willen ja schon näher. Und der Text von E.T.A. Hoffmann gibt wirklich einiges her. Kannst Du die Stelle oder wenigstens das Werk nennen, wo ich das finden könnte?



    Das ist als das musikalische Äquivalent zu dem Entwurf einer neuen - eben romantischen - Literatur zu verstehen, wie ihn Novalis vorgelegte, lautend:

    "Erzählungen ohne Zusammenhang, jedoch mit Associationen, wie Träume. Gedichte - bloß wohlklingend und voll schöner Worte - aber auch ohne allen Sinn und Zusammenhang - höchstens einzelne Strophen verständlich - sie müssen, wie lauter Bruchstücke aus den verschiedenen Dingen seyn. Höchstens kann wahre Poesie einen allegorischen Sinn im Großen haben und eine indirecte Wirkung wie Musik etc."

    Ich erinnere mich, der Ofterdingen fängt ja mit einem Traum an. Die blaue Blume. ....

    Das ist vielsagend. Die Dichter und die Maler der Romantik beneideten die Musik um die ihr eigene Freiheit, Symbole, Formen und Gestalten ohne Bezug zur Realität und ohne Bindung an diese herzustellen. Aus diesem Grund stieg die Musik Anfang des 19. Jahrhunderts in den Rang der "Kunst an sich", der höchsten aller Künste auf, und Hegel konnte die These aufstellen, dass "Musik die romantische Kunst an sich" sei.

    Faszinierend, aber da hätten sie auch die Mathematik wählen können....;)


    Vielen Dank noch einmal für die Ausführungen und beste Grüße.

  • Nur ein paar Fußnoten zum Sonntag: Hegel war kein Romantiker, sondern Romantik-Kritiker. Es gibt freilich Bezüge der Romantik zu Schelling und Hegel, vor allem durch die Naturphilosophie. Natur ist "träumender Geist". Kant ist da Anhänger einer mechanistischen Naturauffassung im Sinne von Newton geblieben. Heute gibt es aber auch in der Physik Selbstorganisationstheorien. Romantische Naturphilosophie ist also durchaus wieder aktuell (unter völlig veränderten Vorzeichen freilich)!


    Ich hatte Hegel erwähnt, obwohl kein wirklicher Romantiker, er hatte später ziemlich stark gegen seinen Schulfreund Schelling polemisiert, ist er doch mit Sicherheit zum deutschen Idealismus zu zählen. Und bei der ganzheitlichen Sicht auf die Dinge gibt es, wie Du ja auch schreibst, Parallelen.


    Die Auffassung von Kant, die Du ansprichst, war mir immer suspekt. Ich habe mich mit dem Prinzip der transzendentalen Synthesis der Apperzeption, das ja fundamental bei der Ableitung von Raum und Zeit ist, in dieser Form nie anfreunden können und kann mich erinnern, dass ich, als ich damals die Gedanken der Kopenhagener Schule in die Diskussion brachte, auf ziemlichen Granit gestoßen zu sein ;)


    Könntest Du einen Literaturhinweis auf die romantische Richtung der Naturphilosophie geben?


    Beides gehört in der Romantik zusammen - die Betonung der Weltläufigkeit der Musik, der großen Form, wie die Aufwertung der kleinen Formen. Bekanntlich lieben die Romantiker das Fragment, haben Ruinen nicht nur gepflegt, sondern sogar gebaut. :D Wenn man verstehen will, wie das zusammenpasst, dann sollte man begreifen, dass Romantik nicht nur idealistische Synthese ist, sondern immer zugleich Divergenz bedeutet, die Auflösung der Synthese. Die Romantik setzt im Idealismus an und weist zugleich über ihn hinaus - in Richtung Realismus, Expressionismus... Romantik ist eine übergängige Kunstform.

    Vielen Dank für diese Erläuterung. Das sind für mich schon interessante Aspekte. Ich hatte beim Hören (zugegeben, sinfonische Werke waren nur in Ausnahmefällen dabei) immer den Eindruck, dass die Romantiker irgendwie schon einen gewissen Hang zur Sonate haben, ihn aber selten mit Leben füllen können. Ich dachte das sei eher der übergroße Schatten Beethovens, der hier noch zu erkennen sei.

  • Es wäre also zu zeigen, inwieweit dieser Romantikbegriff (mit aller Ungenauigkeit) diese Vielfalt an Kleinformen produzieren kann.


    ...habe ich meine Schwierigkeiten damit und bin ein ziemlich harter Verfechter des kantschen Ansatzes.

    Zu diesen beiden Punkten noch ein Nachtrag:

    Ich hoffe, lieber astewes, dass ich - wenigstens ansatzweise - aufzeigen konnte, "inwieweit dieser Romantikbegriff diese Vielfalt an Kleinformen produzieren kann".


    Wenn Du allerdings, von der philosophischen Ästhetik Kants kommend, einen Zugang zur Ästhetik der Romantik zu finden versuchst, dann dürftest Du dabei scheitern. Den gibt es nicht.

    Interessant ist übrigens in diesem Zusammenhang, dass die "Romantiker" für ihr ästhetisches Grundkonzept in dichterischen und musikalischen Größen der vorangehenden Epoche ein Vorbild und einen Wegweiser sahen: In Goethe und Beethoven zum Beispiel, wobei die Gründe dafür höchst aufschlussreich sind. Kant allerdings gehörte nicht dazu.


    Kant und die Musik, - das ist ein Kapitel für sich. Der italienische Philosoph und Musikwissenschaftler Giordanetti Piero vertritt zwar in einer 2005 erschienenen Publikation zu diesem Thema die These, dass der Terminus "Musik" bei Kant nicht nur eine bloß angenehme Kunst bezeichnet, sondern auch wichtige systematische Probleme impliziert. Und er versucht aufzuzeigen, dass die Kritik der Urteilskraft eine komplexe und vielschichtige Reflexion über die Beschaffenheit der Tonempfindungen enthalte.

    Mein Studium der "Kritik der Urteilskraft" ergab jedoch ein anderes Bild: Musik ist für Kant kein Gegenstand tiefgreifender, für sein Konzept von "Ästhetik" substanziell grundlegender philosophischer Reflexion.

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  • Werter Axel,


    nur ganz kurz: Zum "Nachsehen" - diverse Beiträge weiter oben so von Dir benannt - bezüglich einer verspäteten Reaktion Deinerseits auf meine Grobkonzepte zur Romantik in der Literatur gibt es nun wirklich keinen Grund. :) Wir haben alle zu tun, auch ggf. als Pensionisten.


    Von den anderen Beiträgen, die seither von unseren beiden weitaus besser als ich philosophisch vorgebildeten Taminos verfasst wurden, kann ich genauso lernen wie Du, der Du Dich vermutlich in ähnlichem Rahmen wie ich mit entsprechenden Fragestellungen befasst hast. Eine allzu direkte Ableitung daraus für die Bestimmung musikalischer Romantik im gegebenen Einzelfall wird sich in Grenzen halten - in Grenzen halten müssen. Aber das hast Du nicht weniger schon vorher gewusst als ich, könnte ich mir sehr gut vorstellen. ;)


    PS: Schreiben wollte ich vor allem den ersten Absatz - also die bloße Beziehungsebene betreffend. Sollte Dir der zweite Absatz auf der Inhaltsebene nicht übermäßig geistreich erscheinen oder gar nichtssagend ... dann hast Du vielleicht sogar Recht! :P


    M.a.W.: Ich muss auch erst nachdenken, sollte ich mich überhaupt dazu zurückmelden. :)


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ich hatte Hegel erwähnt, obwohl kein wirklicher Romantiker, er hatte später ziemlich stark gegen seinen Schulfreund Schelling polemisiert, ist er doch mit Sicherheit zum deutschen Idealismus zu zählen. Und bei der ganzheitlichen Sicht auf die Dinge gibt es, wie Du ja auch schreibst, Parallelen.

    Lieber Axel,


    Schelling gehört zwar zu den wichtigsten Vertretern des Deutschen Idealismus und er hat auch seinen Einfluss auf die Romantik gehabt. Aber man kann auch Schelling schwerlich einfach als Romantiker bezeichnen. In Schellings Vorlesungen saß ein gewisser Sören Kierkegaard. Er nahm von ihm den Gedanken auf, dass man die Existenz nicht auf eine Begriffsbestimmung reduzieren kann. Das war eine Initialzündung - für die Begründung der modernen Existenzphilosophie. ;)


    Literaturgeschichtlich ist vor allem die sogenannte Frühromantik vom Deutschen Idealismus maßgeblich beeinflusst. Das gilt aber durchaus nicht für die späteren romantischen Entwicklungen. Bei Novalis geht es um eine neue umfassende Synthese - bei den späteren Romantikern allerdings nicht mehr.

    Die Auffassung von Kant, die Du ansprichst, war mir immer suspekt. Ich habe mich mit dem Prinzip der transzendentalen Synthesis der Apperzeption, das ja fundamental bei der Ableitung von Raum und Zeit ist, in dieser Form nie anfreunden können und kann mich erinnern, dass ich, als ich damals die Gedanken der Kopenhagener Schule in die Diskussion brachte, auf ziemlichen Granit gestoßen zu sein ;)


    Kants Philosophie ist aber nun doch keine Systemphilosophie wie die der Idealisten seit Fichte! Deshalb werden Raum und Zeit auch nicht aus der transzendentalen Einheit der Apperzeption abgeleitet und müssen das auch nicht. In dem berühmten Schematismus-Kapitel werden die Kategorien lediglich auf die Anschauungsformen von Raum und Zeit bezogen (allen voran die Kausalität). Ohne diese Schematisierung wären die Kategorien (die reine Denkbegriffe des Verstandes darstellen) überhaupt nicht als Erfahrungsbegriffe verwendbar.


    Mit dem linguistic turn in der Philosophie ist das so eine Sache. Wolfgang Janke zitierte gegen die Sprachanalytiker immer gerne Fichte, der mal sagte: "Nehmt die Sprache nicht so wichtig!" Seine Ironie sollte Recht behalten. Ernst Tugendhat, der "Abtrünnige", der von der Phänomenologie ins Lager der Sprachanalytiker wechselte, stellte die grundlegende Alternative der Philosophie immer so dar: Es gibt entweder Bewusstseinsphilosophie (von Kant über die Idealisten bis Husserl), oder sprachanalytische Philosophie. Und die sprachanalytische ist für Tugendhat natürlich die bessere und richtige Lösung. Nur: Die analytische Philosophie ist heute längst keine sprachanalytische Philosophie mehr. Stichwort mind philosophy. Bei John Searle z.B. ist der Ansatz mit einer Sprachanalyse nur noch pragmatisch begründet und nicht mehr systematisch. Mit Searle kann man Fichte also wiederholen: Nehmt die Sprache nicht so überwichtig! Friedrich Nietzsche hat mal gesagt: "Ich fürchte, wir kommen von Gott nicht los, weil wir an die Grammatik glauben!" Das haben nun endlich auch die Analytiker wohl begriffen! ^^

    Könntest Du einen Literaturhinweis auf die romantische Richtung der Naturphilosophie geben?

    Ja, gerne. Du kannst z.B. Hegels Differenzschrift lesen, wo er sich kritisch über den Naturbegriff bei Fichte auslässt:


    Hegel - Fichte: Natur (textlog.de)


    Und das erste große Kapitel in meinem Entwicklungsbuch bei Alber ist dazu auch ganz gut geeignet, glaube ich ;) :


    Paradigmen des Entwicklungsdenkens: Gegenstandskonstitution und bewegungsdynamische Orientierung (herder.de)

    Vielen Dank für diese Erläuterung. Das sind für mich schon interessante Aspekte. Ich hatte beim Hören (zugegeben, sinfonische Werke waren nur in Ausnahmefällen dabei) immer den Eindruck, dass die Romantiker irgendwie schon einen gewissen Hang zur Sonate haben, ihn aber selten mit Leben füllen können. Ich dachte das sei eher der übergroße Schatten Beethovens, der hier noch zu erkennen sei.

    Der Schatten Beethovens ist natürlich da. Aber Schumann, Schubert und Chopin haben es dann doch geschafft, aus der Sonatenform etwas Neues zu machen. Bei Schubert kann man es merken, wenn man D 537 mit D 664 vergleicht. D 664 ist originärer Schubert mit dieser fließenden Liedhaftigkeit, bei D 537 findet man noch das Beethoven-Denken in Kontrasten. Schubert hat sich vom Übervater Beethoven in der Tat erst allmählich lösen müssen - aber hat es dann doch sehr eindrucksvoll geschafft! Bei Schumann ist zu bemerken - im Lichte der romantischen Idee der Unendlichkeit - dass die geschlossenen Formen aufgebrochen werden, schon in seiner 1. Klaviersonate! Bei Brahms gibt es in der Sonate op. 5 zwei Sonatenlogiken, die übereinander geblendet werden gleichsam. Man kann die Sonate zweispurig hören, entweder die klassischen Themenkontraste oder die Thementransformation, wo alles als Variante aus einem Urmotiv abgeleitet ist. Auch das gibt es bei Beethoven nicht. Und Chopin hat in seinen Sonaten den Sonatensatz dynamisiert - es gibt eine Reprise nur noch des Seitenthemas. Zudem ist die Trauermarschsonate revolutionär. Der irrlichtende Schlusssatz ist der Verzicht auf Sinn - eine Art aporetischer Nihilismus in Tönen. So etwas hat es bis dahin nicht gegeben. Und wenn man den Blick weiter wendet in Richtung Tschaikowsky oder Scriabin, dann sieht man, dass die Konzeption der romantischen Klaviersonate in die Moderne führt (Liszts sehr originelle H-Moll-Sonate nicht zu vergessen!). Carl Dahlhaus hat mal behauptet, dass die Romantik sich nur am "Inhalt" interessiert und ihr deshalb die Formen gleichgültig wären, die sie nur als Schablonen verwenden würde. Das stimmt so generell einfach evident nicht. Gerade auch in Bezug auf Chopin. Er macht aus dem Scherzo, bis dahin nur Teil einer Sonate, ein eigenständiges Klavierstück. Das Scherzo b-moll ist auch architektonisch ein Meisterwerk! :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Deshalb werden Raum und Zeit auch nicht aus der transzendentalen Einheit der Apperzeption abgeleitet und müssen das auch nicht. In dem berühmten Schematismus-Kapitel werden die Kategorien lediglich auf die Anschauungsformen von Raum und Zeit bezogen (allen voran die Kausalität). Ohne diese Schematisierung wären die Kategorien (die reine Denkbegriffe des Verstandes darstellen) überhaupt nicht als Erfahrungsbegriffe verwendbar.

    Ich sehe schon, das könnte eine interessante Diskussion werden, wenn es hier ein Philosophie Forum wäre....:) Ich kann mich noch erinnern, dass Kant tatsächlich Raum und Zeit als apriorische Begriffe die die Konstituierung der Erfahrung ableitet (transzendentale Ästhetik) . Da wir aber bei Kant erstaunlicherweise (;)) die Newtonsche Raum-Zeit Struktur haben, die ja nur approximativ stimmt und die physikalische Erfahrung uns mittlerweile mit wesentlich komplexeren Theorien versorgt, war mein damaliger Fragepunkt, wie solche Strukturen apriori funktionieren bei der Erfahrungskonstitution, wenn empirische Erfahrung sie widerlegen kann. Das war ein Gespräch damals mit Ingeborg Heidemann in Bonn.... Lang ist es her. Ich müsste auch noch wirklich in alten Unterlagen kramen , die hoffentlich nicht von den Papierwürmern angefressen wurden. Ich hatte noch in der Mathematik Diskussionen mit einigen Dozenten, die diese Kategorien und Anschaungsformen eher evolutionsgenetisch als tranzendentalphilosophisch bedingt sahen. Hier wäre es auch einfach, für die Newtonsche Physik zu plädieren .... Alte Lieben rosten eben doch nur wenig, aber ich schließe nicht aus, dass wir hier einen Großteil der an Romantik Interessierten langweilen ...;)


    Schade ist es schon. Den Kantischen Denksansatz finde ich immer noch faszinierend



    Ich war tatsächlich an neuerer Literatur interessiert. Danke für den Hinweis auf Dein Buch.

    Der irrlichtende Schlusssatz ist der Verzicht auf Sinn - eine Art aporetischer Nihilismus in Tönen. So etwas hat es bis dahin nicht gegeben.

    Genau hier habe ich mit Chopin ein paar Probleme, was die Sonatenform angeht, nicht den Ideenreichtum...


    Dieser Schlusssatz hat tatsächlich aber einen wie ich finde erkennbaren Vorgänger, was Irrlichternheit und Sinnleere angeht, in der Konzertetude Nr. 3 Op. 76 von Charles Alkan für beide Hände zusammen.


    Chopin



    Alkan



    Beide waren übrigens zu der Zeit befreundet und wohnten Tür an Tür (habe ich irgendwo gelesen...):)

  • Ich sehe schon, das könnte eine interessante Diskussion werden, wenn es hier ein Philosophie Forum wäre.... :) Ich kann mich noch erinnern, dass Kant tatsächlich Raum und Zeit als apriorische Begriffe die die Konstituierung der Erfahrung ableitet (transzendentale Ästhetik) . Da wir aber bei Kant erstaunlicherweise ( ;) ) die Newtonsche Raum-Zeit Struktur haben, die ja nur approximativ stimmt und die physikalische Erfahrung uns mittlerweile mit wesentlich komplexeren Theorien versorgt, war mein damaliger Fragepunkt, wie solche Strukturen apriori funktionieren bei der Erfahrungskonstitution, wenn empirische Erfahrung sie widerlegen kann.

    Ich würde da noch weiter gehen: Was heißt "Form der Anschauung"? Ist Kants Raumvorstellung hier überhaupt anschaulich? Ist der cartesianische (Newtonsche) Raum überhaupt ein Anschauungsraum oder nicht vielmehr begrifflich - genauso wie Einsteins Raum-Zeit? Kant hat da ja keine wirklich phänomenologische Bestimmung von Räumlichkeit, so wie wir sie tatsächlich wahrnehmen.

    Das war ein Gespräch damals mit Ingeborg Heidemann in Bonn.... Lang ist es her. Ich müsste auch noch wirklich in alten Unterlagen kramen , die hoffentlich nicht von den Papierwürmern angefressen wurden. Ich hatte noch in der Mathematik Diskussionen mit einigen Dozenten, die diese Kategorien und Anschaungsformen eher evolutionsgenetisch als tranzendentalphilosophisch bedingt sahen. Hier wäre es auch einfach, für die Newtonsche Physik zu plädieren .... Alte Lieben rosten eben doch nur wenig, aber ich schließe nicht aus, dass wir hier einen Großteil der an Romantik Interessierten langweilen ...

    Solche Ansätze gibt es ja - naturalistische Kant-Interpretation im Neukantianismus (Friedrich Albert Lange, Helmholtz) und dann natürlich die evolutionäre Erkenntnistheorie von Konrad Lorenz. Dazu braucht man dann aber einen phänomenologischen Raumbegriff, der auch die Leiblichkeit berücksichtigt. Sonst ist das kein wirklich anthropologisch fundierter Raumbegriff.

    Dieser Schlusssatz hat tatsächlich aber einen wie ich finde erkennbaren Vorgänger, was Irrlichternheit und Sinnleere angeht, in der Konzertetude Nr. 3 Op. 76 von Charles Alkan für beide Hände zusammen.

    Das ist wirklich verblüffend! :) Es fragt sich nur: Was wurde zuerst komponiert? Chopin oder Alkan? :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Beim Hören meiner neuen Gulda-Box und gleichzeitigem Stöbern im Internet bin ich auf den folgenden Link gestoßen. Ein Interview von Joachim Kaiser mit Friedrich Gulda. Gulda spricht über romantische Haarlocken :P, Romantik und seinen neuen Zugang zu Chopin. Interessant, was er über Chopins Nocturnes sagt (für mich jedenfalls).


    Viel Spaß


    interview Joachim Kaiser und Friedrich Gulda (1985)