weshalb ist ein werk eine oper und ein anderes eine operette?

  • Und das trifft es ja denn auch am besten.


    Zu den musicals gehören sie jedenfalls nicht, denn Musicals entstanden aus Protest gegen die Dominanz europäischer Operetten, darunter die von Gilbert and Sullivan, im amerikanischen Musiktheater.


    Die einzige Musikgattung, die wirklich national definiert werden kann, wenn man die zur Oper zu zählenden Singspiele und opera buffas nicht als eigene Gattung definieren will, sind wohl die spanischen bzw. lateinamerikanischen Zarzuelas, die hier übrigens zu Unrecht ignoriert werden.


    Das hat wohl damit zu tun, dass man sie hier kaum kennt und sie inzwiwschen allgemein außerhalb Spaniens kaum bekommen kann. Schade eigentlich. Da harren noch viele Schätze der freudigen Entdeckung.


    Rideamus

  • Endlich jemand, dem aufgefallen ist, daß die Zarzuela hier im Forum kaum Erwähnung findet (im "Cosa Rara"-Kapitel über Martini y Soler wird sie kurz erwähnt).
    Vielleicht wäre es angebracht, dieser Musikgattung breiteren Raum zu gewähren (es gibt sie ja schon über 300 Jahre).
    Man könnte ja mit "Luisa Fernanda" beginnen, die letztes Jahr auf "arte" lief und diverse Preise eingeheimst hat.


    Vielleicht könnte man auch der Gattung "Vaudeville" ein paar Zeilen widmen?

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Salü,


    die - vermutlich von mir erwähnte - La Madrileña [El tutor burlado] des 20jährigen Vicente Martín y Soler ist eigentlich nichts anderes, als ein verhältnismäßig kurzes Intermezzo. Wenn man von der spanischen Sprache und dem gelegentlichen Einsatz von Castagnetten absieht, so ist sie im Prinzip der Serva Padrona Paisiellos formal sehr ähnlich. Sie dienten Tatsächlich als Zwischenspiel, hatten daher eine überschaubar kurze Handlung, zumeist nur ein oder zwei Akte, zwei Acteure, bestenfalls einen Sopran und einen Tenor oder Bass. Eine sehr einfache, aber schmackhafte Form der Unterhaltung. Auch von Luigi Boccherini gibt es eine Zarzuela namens La Clementina. Die Zarzuela - im 17. Jahrhundert "erfunden" - hatte gar keine Gelegenheit, im 18. Jahrundert zur vollen Blüte zu reifen: Sie wurde schlichtweg von den italienischen Opere buffe überrollt. Was vielleicht daran liegen mag, dass man eben italienisch und nicht spanisch zur "Sprache der Musik" erklärt hatte. Im 19. Jahrundert erfuhr sie allerdings eine Wiederbelebung - wie die ausgesehen hat [vor allem, welche Sprache benutzt wurde], würde mich auch interessieren.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Im 19. Jahrundert erfuhr sie allerdings eine Wiederbelebung - wie die ausgesehen hat [vor allem, welche Sprache benutzt wurde], würde mich auch interessieren.


    Die Sprache war selbstverständlich Spanisch, und die Musik ist auch durchdrungen von "Hispanizismen". :yes: Ich muss allerdings gestehen, dass ich selber kaum Ahnung von Zarzuelas habe (ich habe noch keine Gesamtaufführung gesehen oder auch nur gehört), ich kenne nur ein paar CDs mit Arien aus diversen Zarzuelas, gesungen von José Carreras, Teresa Berganza und natürlich meiner unvermeidlichen Victoria de los Ángeles. Deren Aufnahme empfehle ich gleich einmal uneingeschränkt zum "Hineinhören" ins Genre. :D (nein im Ernst: wo Berganza und de los Ángeles die selben Arien singen, erscheint mir Victoria - so objektiv wie möglich betrachtet - besser!)



    Es wäre aber interessant, wenn jemand, der sich mit Zarzuela besser auskennt, einen Thread dazu eröffnete!

  • ich kannte die Musikgattung der "Zarzuela" schon von klein auf. Als ich - es ist bestimmt über 20 Jahre her - bei einem Spanien-Urlaub Einheimische danach fragte, wurde mir das Rezept der gleichnamigen Fischsuppe erklärt.


    Heute habe ich einen Stapel von CDs mit Zarzuelas aus allen Perioden vom Barock bis zur Neuzeit, Dutzende davon mit Alfredo Kraus, sowie jede Menge DVDs aus dem Teatro de Zarzuela in Madrid.

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von Harald Kral
    ich kannte die Musikgattung der "Zarzuela" schon von klein auf. Als ich - es ist bestimmt über 20 Jahre her - bei einem Spanien-Urlaub Einheimische danach fragte, wurde mir das Rezept der gleichnamigen Fischsuppe erklärt.


    Komische Doppeldeutigkeit - ist das der spanische Humor? ?(

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Salü,


    die - vermutlich von mir erwähnte - La Madrileña [El tutor burlado] des 20jährigen Vicente Martín y Soler ist eigentlich nichts anderes, als ein verhältnismäßig kurzes Intermezzo. Wenn man von der spanischen Sprache und dem gelegentlichen Einsatz von Castagnetten absieht, so ist sie im Prinzip der Serva Padrona Paisiellos formal sehr ähnlich. Sie dienten Tatsächlich als Zwischenspiel, hatten daher eine überschaubar kurze Handlung, zumeist nur ein oder zwei Akte, zwei Acteure, bestenfalls einen Sopran und einen Tenor oder Bass. Eine sehr einfache, aber schmackhafte Form der Unterhaltung. Auch von Luigi Boccherini gibt es eine Zarzuela namens La Clementina. Die Zarzuela - im 17. Jahrhundert "erfunden" - hatte gar keine Gelegenheit, im 18. Jahrundert zur vollen Blüte zu reifen: Sie wurde schlichtweg von den italienischen Opere buffe überrollt. Was vielleicht daran liegen mag, dass man eben italienisch und nicht spanisch zur "Sprache der Musik" erklärt hatte. Im 19. Jahrundert erfuhr sie allerdings eine Wiederbelebung - wie die ausgesehen hat [vor allem, welche Sprache benutzt wurde], würde mich auch interessieren.


    Ulli


    Danke für die Unterstützung. Da dies aber ein Thema für einen eigenen Thread sein sollte, habe ich mnir erlaubt, einen aufzumachen und das Thema dort fortzuführen.


    :hello:
    Rideamus

  • Mir erscheint für die Unterscheidung im deutschsprachigen Raum etwas relevant, das Johannes schon angedeutet hat, nämlich die Frage, ob die Musik sich auf vorgefundene Typen der Unterhaltungsmusik bezieht oder auf solche der sogenannten E-Musik. Meiner Meinung nach hat die Frage des Sprechtextes damit weniger zu tun.


    Bei den Sullivan-Operetten wird die Sache heikler. Ich gebe zu bedenken, daß man die meisten von ihnen im englischsprachigen Raum nach ihrer Uraufführungsstätte als "Savoy Operas" bezeichnet. Es ist meiner Meinung nach schlicht eine Sonderform, die mit der Operette des deutschsprachigen Raums nicht einmal den Ansatz teilt.


    :hello:

    ...

  • Natürlich ist das Element des gesprochenen Textes als hauptsächlichem Handlungsträger nur eine rein formale Eigenschaft, die ALLE hier angesprochenen Operettenformen mit einer großen Zahl von Opern teilt, sie aber immerhin von deren Mehrzahl abhebt.


    Die heutige Einteilung in E- und U-Musik hilft aber nicht sehr weit, denn zu ihrer Zeit mussten Mozart, Verdi, Flotow, Lortzing etc. selbst U-Musik schreiben, wie wir sie heute verstehen, da sie ausschließlich vom Erfolg bei ihrem - allerdings im Schnitt gebildeterem - Publikum lebten.


    Mit Offenbach, Suppé, Strauß u.a. Zeitgenossen teilen Gilbert und Sullivan sehr wohl vieles: die starke Bevorzugung leichter, eingängiger Rhythmen zum Beispiel, oder Charaktere vorstellende Couplets, die es in Opern eher selten gibt oder gleich zu richtigen Arien auswachsen wie Lortzings "Oh sancta Justizia". Außerdem teilen ihre Werke mit der Operette natürlich den vom Text vorgegebenen satirischen Ansatz, den die Musik reflektiert, so gut sie es vermag. Nicht vergessen sollte man auch die ökonomischen Aufführungsbedingungen: wie Offenbachs "opéra bouffes" war auch die Savoy Oper aus sehr bescheidenen wirtschaftlichen Bedingungen, ihr Witz also auch aus der Not, geboren, da er die gezwungenermaßen sparsame Ausstattung und zunächst wenig prominente Besetzung kompensieren musste. Da ist die mangels etablierter Operette gewählte Bezeichnung "comic opera" rein semantischer Natur, denn eigentlich war schon Pepuschs BEGGARS OPERA, die mit Händel ebenso verfuhr wie später Offenbach mit Meyerbeer oder Oscar Straus mit Wagner, die erste Operette, allerdings eine mit Rezitativen.


    Man kommt bei dem Versuch, die Operette zu definieren, also nicht umhin, auch deren Umfeld zu sehen. Erst der rasche Erfolg der Operette hat sie dann in Form, Inhalt und Anspruch der komischen Oper so sehr angenähert, dass sie diese ab der Jahrhundertwende praktisch schluckte wie später das Musical die Operette. Was danach noch - selten genug - an komischen Opern erschien, waren durchweg und, zur eindeutigen Identifikation als Oper fast immer durchkomponierte, Abstecher als seriös etablierter Opernkomponisten von Strauss und Wolf-Ferrari bis Menotti und Henze. Der Rest war Operette. Wenige Ausnahmen, die es geben mag, von denen mir gerade aber nicht mal eine einfällt, bestätigen die Regel.


    Diese Vereinnahmung macht es so schwer bis unmöglich, die heute allgemein mit der Operette verbundenen Charakteristika gegen die Opern abzugrenzen, die vor der "Erfindung" dieser Gattung, also vor etwa 1855, entstanden, weil sie damals selbst noch die wichtigste und beste Unterhaltungsmusik waren.


    Etwas polemisch verkürzt: erst als Berlioz, Wagner und andere begannen, über die ökonomisch nicht mehr zu übertreffenden Erfolge Meyerbeers hinaus zu gehen und Musik als eine "heilige Kunst" zu begreifen, die sich, möglichst im Rahmen eines Gesamtkunstwerkes, ihre eigenen Ziele stecken und höchsten Ansprüchen genügen muss, waren die Voraussetzungen für den Erfolg der frechen Operette als Alternative zu solch hehrem Anspruch gegeben, solange sie dabei, vorerst jedenfalls, witzig, intelligent und vor allem unterhaltsam vorging.


    In diese "Protestbewegung" passen Gilbert und Sullivan aber sowas von hinein!


    Auch Oscar Straus muss das gespürt und deswegen die Satiren von Rideamus (HUGDIETRICHS BRAUTFAHRT und DIE LUSTIGEN NIBELUNGEN) vertont haben. Die Wagnerianer reagierten entsprechend heftig, denn natürlich sollten und mussten sie sich kaum weniger getroffen fühlen als die heutigen Islamisten von Karikaturen Mohammeds. Erst Jahre bis Jahrzehnte später konnte man erkennen, dass diesen Werken keine mindere, sondern "nur" eine andere Intelligenz zugrunde lag. Dass die Operette dann um so mehr verfiel, je stärker sie dem seicht-sentimentalen Geschmack des eskapistischen Publikums hinterher hechelte, ist nicht der Gattung anzulasten, sondern dem Publikum und den epigonenhaften Textern, Komponisten und Produzenten, die es in voraus eilendem Gehorsam zu bedienen suchten. Dass selbst intelligente Könner wie Lehar, Künneke, Fall oder Kalmann dem nicht (ganz) entgehen konnten, ist bedauerlich, aber in einer subventionslosen Kunst verständlich. Das M;usical erlebt gerade eine sehr ähnliche Vafiante dieser Dekadenz, und auch beim Fernsehen können wir heute aus nächster Nähe betrachten, wie und warum so etwas vonstatten geht.


    :hello:
    Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Außerdem teilen ihre Werke mit der Operette natürlich den vom Text vorgegebenen satirischen Ansatz, den die Musik reflektiert, so gut sie es vermag.


    Ich kann mich irren. Dachte aber, daß eine Menge Opern auch satirisch waren. Waren nicht Beaumarchais Erzählungen "Le Barbier de Séville" und "Le Mariage de Figaro" eine reine Satire.
    Und um ein anderes Beispiel zu geben "Cosi fan tutte" ist auch nicht so unschuldig.
    Und sogar bei Lortzing könnte man Fragen stellen. War es damals üblich (Waffenschmied zB) daß ein Adeliger mit eine Bürgerin heiratete?
    Wenn man die Opern von 19. Jhdt schnell betracht, dann gibt’s eine enorme Menge, wo adelige Personen eine ziemlich miese Rolle spielen. Ich nenne nur zwei sehr bekannten Opern: "Fidelio" (Beethoven), "Guillaume Tell" (Rossini). Oder eine weniger bekannte: "Il Giuramento" (Mercadante). Da wird doch eigentlich, sei es anders als bei Offenbach oder Sullivan, auch geneckt.
    Und wie war das bei Verdi. Hat die Zensur da nicht manchmal eingegriffen. Weil seine Opern so unschuldig waren?


    Man kann eher reden über die Menge Satire oder lächerlich machen. Das ist vermutlich bei der Operette stärker hervorgehoben.


    LG, Paul

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Lieber Paul,
    Du hast in Bezug auf die Satire in Opern natürlich recht. Ich glaube aber, daß die Satire in diesen Opern überzeitlich und überregional ist, während die Satire eines Offenbach und eines Gilbert & Sullivan auf Tagesaktualitäten bzw. regionale Befindlichkeiten zielt, weshalb sie auch für ein heutiges nicht-französisches bzw. nicht-englisches Publikum schwer verständlich wird.
    :hello:

    ...

  • Hallo Paul,


    natürlich irren Sie nicht. Die Satire wurde ja, wie der Name belegt, mindestens schon von den alten Griechen, wenn nicht schon viel früher erfunden, und Ihre Beispiele sind nicht nur relevant, sie ließen sich auch um zahlreiche andere erweitern. Auch Molière und Goldoni, welche die ersten komischen Opern inspirierten, waren nicht zuletzt begnadete Satiriker.


    Deswegen ist es ja so schwer, die Operette als Gattung zu definieren und gegen ihre Vorläufer abzugrenzen. Wenn man ihre Produktionsbedingungen und ihr historisches Umfeld außer Acht lässt, ist es sogar unmöglich, denn natürlich hatten auch die großen Schöpfer der frühen Operette Vorbilder, die es nahe legen, deren Werke nachträglich bei der Operette einzugemeinden. Für Offenbach waren es u. a. Adolphe Adam und sicher auch Lortzing, dessen romantische Opern seine Oper "Die Rheinnixen" prägten, für Sullivan war es u.a. William Balfe, dessen "The Bohemian Girl" u.a. er oft aufführte, für Suppé... Ich denke, Sie sehen, worauf ich hinaus will.


    Ich stimme denen zu, die die Geburt der eigentlichen Operette präzise auf die Premiere von Offenbachs Minioper LES DEUX AVEUGLES von 1855 datieren. Mit nur 2 Personen und einem Miniorchester hatte sie noch weniger Personal als die erste berühmte komische Oper(ette?) "La Serva padrona", die immerhin noch einen stummen Diener auf die Bühne stellte. Bezeichnenderweise begannen beide Gattung des mit Komik unterhaltenden Musiktheaters also als Operetten im wahrsten Sinne des Wortes.


    Praktischerweise hatte die letzte große sowie in ihrem Themenspektrum und Aufwand mitgrößte Operette, Bernsteins CANDIDE fast genau 100 Jahre später im Jahr 1956 Premiere. Im Sinne der Ausgangsfrage des Threads kann man also schon mal eingrenzen, dass man von einer Operette nur zwischen den Jahren 1855-1956 sprechen kann. Ist es nicht bezeichnend für die Ironie der Gattung, dass sie nicht einfach 100, sondern 101 Jahre alt werden wollte? :]


    Davor war nur Oper, danach fast nur noch Musical - in welcher Variante auch immer - wenn man von einigen dezidierten Hommages wie Rick Besoyans Operettenmusical "Little Mary Sunshine" von 1959 oder der hübschen Operette "Frühling auf Galapagos" (Hannes Leffe und Matthes Loehr, 1987) absieht, die bewusst auf die bescheidenen Formate der ursprünglichen Operette zurück griffen.


    Ansonsten hat die Dominanz eskapistischer Stoffe sowie eingängiger Melodien und Rhythmen natürlich ebenso ihre Bedeutung für die Definition der Operette wie die Existenz handlungstreibender Dialoge, das aber NUR in diesen 100 Jahren, in denen, cum grano salis, die sogennante seriöse Oper zum Absoluten strebte und die Operette zum Publikum. Erst diese Weggabelung machte die Operette möglich und nötig - und notwendigerweise erfolgreich und so erfolgsbedürftig, dass aus ihr Musical, Popmusik und alle möglichen Formen der U-Musik, den Jazz ausgenommen erwuchsen.


    Das wusste Tucholsky schon 1914, als er schrieb: Die Operette hat Recht, weil sie in innigem Kontakt mit dem Parkett steht. Nur ist sie drei Stufen höher". Wenige wussten wie er, dass die sogenannte leichte Musik, will sie wirklich gut sein, auch die schwerste ist, denn die ernste darf auch mal langweilen um den Boden für die Höhepunkte zu bereiten.


    LG
    Rideamus