Gaetano DONIZETTI
ANNA BOLENA
Opera in due atti
Libretto: Felice Romani
Uraufführung am 26. Dezember 1830 im Teatro Carcano, Milano
Personen
Enrico VIII, König von England (Bass)
Anna Bolena, seine Frau (Sopran)
Giovanna Seymour, Hofdame von Anna (Mezzosopran)
Lord Rochefort, Bruder von Anna (Bass)
Lord Richard Percy (Tenor)
Smeton, Spielmann und Page der Königin (Alt)
Sir Hervey, Offizier des Königs, (Tenor)
Handlung
Das Stück spielt in England im Jahre 1536
1. Akt:
Im Vorsaal zu den Gemächern der Königin versammeln sich die Höflinge, um auf die Ankunft des Königs zu warten. Man munkelt, der Monarch hätte sein Auge auf eine andere Frau geworfen und bedauert die Königin. Diese andere, Giovanna Seymour, fühlt sich zerrissen zwischen ihrer Loyalität gegenüber der Königin und ihren Gefühlen für den König.
Anna Bolena, die nun eintritt, kennt ihre Nebenbuhlerin zwar nicht, ahnt aber, dass etwas im Busche ist und fordert ihren treuen Pagen Smeton auf, sie alle mit einem Lied zu erheitern. Smeton, heimlich in seine Königin verliebt, kommt dem gerne nach, doch sein Lied von der ersten, verlorenen Liebe stimmt Anna noch trauriger, sie entlässt die Höflinge und zieht sich mit Giovanna in ihr Schlafgemach zurück.
Diese erscheint kurz darauf wieder, von ihrem schlechten Gewissen gequält, denn die eben erwiesenen Gunstbezeigungen der Königin lasten schwer auf ihrer Seele.
Als nun Enrico durch eine Geheimtür hereintritt, scheint sie zuerst entschlossen, seine Avancen zurückzuweisen, doch dann siegt ihr Verlangen nach "Liebe und Ruhm". Allerdings signalisiert sie dem König, dass sie niemals seine Mätresse, sondern nur seine Frau werden würde. Nach einem kurzen Wutanfall willigt Enrico ein- er werde sich von Anna Bolena trennen, die ohnehin nicht ihn, sondern nur die Krone geliebt hätte, ihr Herz gehöre einem anderen.
Diesen anderen lernen wir in der nächsten Szene kennen. Es ist Lord Percy, der nach jahrelangem Exil vom König zurückgerufen worden ist und nun im Park des Schlosses Windsor Lord Rocheford, seinen Freund und Bruder der Königin, trifft. Seine ersten Fragen nach Anna bestätigen das Gerücht, dass sie in ihrer Ehe nicht glücklich ist, doch ist das für ihn kein Trost. Er liebt sie noch immer, daran konnte auch die lange Trennung nichts ändern, und er sehnt den Augenblick herbei, in dem er sie wiedersehen würde.
Alle, auch Percy und Rocheford, versammeln sich zur Jagd und erwarten das Monarchenpaar. Enrico hat seinen einstigen Rivalen nicht ohne Hintergedanken begnadigt, und sein Plan scheint aufzugehen: Die Verwirrung von Percy und Anna bei ihrem ersten Zusammentreffen nach Jahren ist kaum zu übersehen, und der König schürt das Feuer, indem er Percys Begnadigung einzig und alleine der Fürsprache der Königin zuschreibt. Vergeblich mahnt Lord Rocheford den Freund zur Vorsicht, dieser wirft sich vor der gesamten Hofgesellschaft der Königin zu Füßen und küßt leidenschaftlich ihre Hand. Für ihn ist Annas angebliches Eintreten für ihn der Beweis, dass sie ihn immer noch liebt.
Lächelnd zieht sich Enrico mit seinem Getreuen Hervey, der in seinen Plan eingeweiht ist, zurück und schärft ihm ein, die beiden auf Schritt und Tritt zu beobachten. Percy hingegen fordert er auf, künftig "unter den Vertrautesten" an seinem Hofe zu weilen. Der Hofstaat indes deutet des Königs plötzliche gute Laune völlig richtig als "Vorbote des Zorns".
Smeton hat heimlich ein Medaillon mit dem Bildnis der angebeteten Königin entwendet, das er nun wieder zurückbringen will. Inbrünstig küsst er es noch einmal und verleiht seinen leidenschaftlichen Gefühlen für seine Herrin Ausdruck. Da hört er Schritte und verbirgt sich hinter einem Vorhang. Anna und ihr Bruder treten ein. Der Lord bestürmt sie, Percys Bitten um eine Unterredung nachzugeben, nur so könne man verhindern, dass er etwas Unvernünftiges tue. Widerstrebend willigt sie ein und lässt ihn eintreten.
Percy erinnert sie an ihre einstige Liebe, er habe ihr verziehen, dass sie ihn um der Krone willen verlassen hat, und beschwört eine gemeinsame glückliche Zukunft. Davon will Anna nichts wissen, denn die Banden der Ehe seien heilig, selbst wenn der König sie nur mehr hasse. Sie fleht Percy an, England auf immer zu verlassen und anderswo sein Glück zu suchen, bevor es zur Katastrophe kommt. Als Antwort setzt sich Percy das Schwert an die Brust: Bevor er Anna verlässt, will er lieber sterben. Entsetzt stürzt Smeton aus seinem Versteck und und will ihn zurückhalten, Anna sinkt ohnmächtig zu Boden. Rocheford will Anna und Percy warnen, dass der König naht, doch es ist schon zu spät.
Enrico, nach einem kurzen Blick auf dieses Tohuwabohu, bezichtigt seine Gattin vor dem ganzen Hofstaat des Ehebruchs. Smeton will seine Herrin verteidigen, schwört, dass sie unschuldig ist und bietet dem König seine entblößte Brust an: Er möge ihn töten, wenn er lüge! Da kollert das Medaillon zu Boden, damit scheint Annas Schuld vor aller Augen erwiesen, auch wenn es plötzlich Smeton ist und nicht Percy, mit dem sie sich ehebrecherisch vergnügt hat. Dem König ist ohnehin der eine so recht wie der andere.....
Anna kommt zu sich und beschwört ihre Unschuld, doch in Enricos Blick liest sie bereits ihr Urteil. Doch auch Percy glaubt nun an eine Liaison zwischen Anna und Smeton und sieht sich zum zweiten Mal betrogen. Giovanna Seymour sucht in ihrem Herzen vergeblich nach Anteilnahme für die bedauernswerte Königin, die "schwarze Schuld" habe jedes Mitgefühl in ihr zum Verstummen gebracht. Während also alle Beteiligten mit ihrem Schicksal hadern, erteilt Enrico den Befehl, alle ins Gefängnis zu bringen. Der fassungslosen Anna eröffnet er, dass er ihren Tod verlangen wird, sollte sich ihre Schuld erweisen.
2. AKT
Anna wird in ihren Gemächern gefangen gehalten. Ihre Hofdamen beklagen, dass sich bereits so viele von der Königin abgewandt hätten, auch die Seymour, aber sie würden ihr die Teue halten und den Beistand des Himmels für sie erflehen. Aber da überbringt Hervey den Befehl der Peers, die Hofdamen müssten sich entfernen. Anna, von allen verlassen, betet zu Gott. Zwar anerkenne sie ihre Schuld, das Unglück der Katharina von Aragonien (Enricos erste Gattin) verursacht zu haben, doch diese Strafe sei zu hart. Bewegt beobachtet Giovanna Seymour diese Szene, bevor sie eintritt. Anna freut sich zuerst und glaubt, die treue Hofdame wolle ihre Einsamkeit teilen, doch Giovanna kommt mit einem Auftrag: Nur wenn sich Anna schuldig bekennt, die Ehe gebrochen zu haben, könne sie dem Tod entrinnen. Entsetzt lehnt die Königin ab, doch Giovanna dringt in sie, dies rate ihr ihre Nachfolgerin im Bett des Königs. Wütend beschwört Anna die Rache Gottes auf diese Unbekannte herab, und nach einigem Hin und Her gesteht Giovanna, sie selbst sei ihre Rivalin. Der König habe sie betört, ihre Unschuld ausgenützt, doch nun sei sie eine Gefangene dieser verzehrenden Leidenschaft, die einst auch ihr Verhängnis werden wird, so wie es jetzt das von Anna ist. Anna erkennt die Wahrheit dieser Worte ("Schuldig ist nur der, der diese Flamme in dir entzündete!") und vergibt Giovanna. Diese empfindet die Barmherzigkeit der Königin als größte Strafe, denn nun werde sie als "Schuldige auf einem Thron des Verbrechens" sitzen.
Vor dem Ratssaal der Peers haben sich die Höflinge versammelt. Eben wird Smeton verhört, und alle hoffen, dass er sich zu keinen unüberlegten Äußerungen hinreißen lässt. Aber da der König selbst der Ankläger ist...... Hervey verkündet triumphierend, dass Smeton den Ehebruch gestanden habe und befiehlt, die Königin und Lord Percy vorzuführen. Der König will sich zufrieden zurückziehen, Smeton habe man erfolgreich ausgetrickst, der Rest sei nun Herveys Sache.
Doch Anna, die eben hereingebracht wird, hält ihn zurück. Sie fleht ihn an, sie zu töten, aber nicht ihren königlichen Namen der Schmach einer Verurteilung auszusetzen. Kalt weist sie der König zurück - sie habe auch seinen königlichen Namen in den Schmutz gezogen, indem sie sich mit einem Percy erniedrigt habe. Das lässt dieser nicht auf sich sitzen: Er schleudert Enrico ins Gesicht, dass er selbst sich zum Rivalen dieses Percy erniedrigt habe, indem er ihm die Geliebte geraubt habe. Als der König nun mit Smetons erpresstem Geständnis auffährt, kontert Anna, ihre einzige Schuld bestünde darin, "einem noblen Herzen wie dem Percy's den Thron vorgezogen zu haben." Überglücklich vernimmt Percy diese Worte, denn nun weiß er, dass Anna ihn immer noch liebt. Um Annas Ehre (nicht ihr Leben, das er verwirkt weiß) zu retten, behauptet er nun, in Wahrheit sei der König der Ehebrecher, denn er habe ihm Anna, mit der er längst verheiratet war, geraubt. Die völlig verwirrte Anna will das weder bestätigen noch dementieren, Enrico glaubt Percys Spiel zu durchschauen und kündigt "noch heftigere Schmerzen und größere Qualen" an, bevor er sie abführen lässt.
Enrico wähnt sich am Ziel seiner amorösen Wünsche und verkündet Giovanna, sie sei nun Königin. Doch diese, von Gewissensbissen gequält, will den Abschied, sie wolle nicht schuldig sein am Tod Annas und fern von England für ihr Vergehen sühnen. Doch der König erinnert sie an ihren Schwur, die Seine zu werden, wenn er sie zum Altar führt. Außerdem könne sie Anna nicht retten, die er nur noch mehr hassen würde, wenn sie, Giovanna, ihn nicht mehr liebt. Ihre Liebe sei nicht erloschen, gesteht sie daraufhin, aber sie flehe noch einmal um Annas Leben.
Da kommt Hervey und verkündet das Urteil der Peers. Es lautet Tod für Anna und alle Anstifter und Mitschuldigen. Giovanna und die Höflinge appellieren an Enricos Barmherzigkeit.
Im Tower von London teilen sich Percy und Lord Rochefort eine Zelle.
Als Bruder Annas ist auch der Lord zum Tode verurteilt, er betrachtet es als gerechte Strafe für seinen ehrgeizigen Wunsch, Schwager des Königs zu sein und seine Schwester zum Treuebruch an Percy überredet zu haben. Hervey erscheint und verkündet, der König schenke ihnen in seiner Gnade ihr Leben, die Königin allerdings müsse sterben. Percy weist dieses "schändliche Geschenk" zurück, und Rochefort will mit dem Freund in den Tod gehen. Vergeblich versucht ihn dieser davon abzubringen, bevor sie bewegt Abschied voneinander nehmen.
Anna haben die Vorgänge rund um die Gerichtsverhandlung zusehends verwirrt. In einer Art Delirium fantasiert sie von ihrer verhängnisvollen Hochzeit mit Enrico, bittet Percy um Verzeihung, sehnt sich zurück ins väterliche Schloss und erwacht jäh, als Percy, Rochefort und Smeton aus ihren Zellen hereingeführt werden. Smeton stürzt zu den Füßen seiner Königin und gesteht, unter Druck ein falsches Geständnis abgelegt zu haben, da man ihn im trügerischen Glauben gewiegt habe, damit ihr Leben zu retten. Anna verfällt wieder ins Delirium und klagt, dass die Saiten von Smetons Harfe zerrissen seien. Percy, Rochefort und der Page wünschen sich, dass sie nicht mehr in die grausame Realität zurückfindet, doch als Kanonenschüsse die nahe Hinrichtung ankündigen, zerreißt noch einmal der Schleier vor Annas Augen. Ihre letzten Worte sind die der Vergebung für das "sündige Paar", dann fällt sie erneut in Ohnmacht und stirbt. Der Henker kann nur mehr Percy, Rochefort und Smeton zum Schafott führen.