Eduard Hanslick über die Zauberflöte (1877)
„Weit mehr als in der Entführung sind in der Zauberflöte Darsteller und Zuschauer so recht von Herzen bei der Sache. Es ist in Wien, besonders an einem Sonntag, ein Hochgenuß, Mozart´s Zauberflöte zu hören und das vergnügt teilnehmende Publikum dabei zu beobachten. Kein Plätzchen im ganzen Hause ist unbesetzt, kein Musikstück bleibt unapplaudiert; die andächtige Stille während der ersten Scenen spricht ebenso deutlich wie die ausbrechende Fröhlichkeit bei den komischen von der Unverwüstlichkeit dieser Oper. (...)
Die ganze Gattung der Wiener Zauberposse ist uns längst entfremdet; alle einstigen Rivalen der Zauberflöte, selbst die letzten Ausläufer der Richtung (Raimund), sind von den Bühnen verschwunden. Die Zauberflöte allein besaß in Mozart´s Musik einen wunderthätigen Schwimmgürtel, der sie über den Strom der Zeit flott erhielt. Trotzdem bleibt sie das letzte, freilich höchste, Exemplar einer untergegangenen Race. Ein Fremdling seltsamen Gefieders, ein wundersam schillernder Papageno, steht sie gegenwärtig in der Reihe unserer übrigen großen Opern. (...)
Selbst mit zahlreichen Äußerlichkeiten und Nebendingen wurzelt die Zauberflöte in dem alten Wiener Zauberspiele und hat von diesen eine Menge Elemente, die zu dem gegenwärtigen Begriffe der „Oper“ nicht passen. Mehrere dieser possenhaften oder volkstümlichen Elemente, wie den Tanz der wilden Tiere u. dgl., hat man schon beseitigt. Unseres Erachtens darf man in dieser Purifizierung nicht weiter gehen, will man dem Werke seine eigenthümliche Physiognomie nicht rauben. Treibt man die Bildung so weit, wie das Pariser Théâtre lyrique, welches die Schlange im ersten Acte, das Schloß vor Papgeno´s Mund, das alte Weib (Papageno´s Vorläuferin) u. s. w. ausmerzt, so bleibt uns eben ein Stück, das nicht die Zauberflöte ist. Dagegen müssen das Publicum und die Kritik in Deutschland protestiren. Aber ein anderer Uebelstand kann und soll reformirt werden: die Albernheit und Trivialität der Diction. Sie ist kaum länger zu ertragen. Überzeugt uns doch jede Vorstellung, dass gerade in den ernsten Scenen der sprichwörtlich gewordene Zauberflöten-Unsinn eine Heiterkeit erregt, welche den Eindruck der Mozart´schen Musik paralysirt und mit der Würde eines ernsthaften Theaters unvereinbar ist. Wenn der weise Sarastro mit breitestem Pathos singt: „Wen solche Lehren nicht erfreu´n, verdienet nicht ein Mensch zu sein“ – wenn sein ebenso weiser Unter-Staatssekretär das schöne Geschlecht mit dem Ausspruch charakterisiert: „Ein Weib thut wenig, plaudert viel“ – wenn Pamina und Papageno ein gefühlvolles Duett mit dem endlos wiederholten Refrain: „Mann und Weib, Weib und Mann“ schließen u. s. w., so kann man doch unmöglich in der Stimmung bleiben. Dies sind Dinge, die eine erfahrene Hand mit zwei Federstrichen zu ändern vermag. Wenn diese Hand zuvor das französische Libretto der Flûte enchantée durchblättern wollte, würde sie manchen werthvollen Anhaltspunkt finden. Die französischen Bearbeiter haben der Mozart´schen Musik durchaus bessere, passendere Verse unterlegt, ohne den Charakter derselben zu alteriren.“
Schöne Grüße
Holger