Liebe Taminos,
Wohl keine Operette kommt an die Beliebtheit der „Fledermaus“ heran, aber Lehárs „Lustige Witwe“ liegt, was die Aufführungs- und Einspielhäufigkeit betrifft, vermutlich bereits an zweiter Stelle, noch vor dem „Zigeunerbaron“. Das witzige Libretto von Victor Léon und Leo Stein war an dem Welterfolg sicher nicht ganz unschuldig, aussschlaggebend war auch das breite Echo in den USA. Nicht einmal der Umstand, daß die „Witwe“ Hitlers bevorzugtes Bühnenstück war, konnte der ungebrochenen Begeisterung Einhalt tun. Ironie der Geschichte: Die eigentlichen Namen der beiden Librettisten lauteten Hirschfeld und Rosenstein. Was hätten die arischen Fanatiker bloß ohne die jüdischen Kulturschaffenden getan (gilt auch für den Film)!
Léhárs erster großer Erfolg wurde 1905 in Wien uraufgeführt, ausschlaggebend für das weltweite Echo war jedoch die begeisterte Aufnahme des Werks in der nachfolgenden Berliner Inszenierung. Seither ist die „lustige Witwe“ ein Dauerbrenner. Demgemäß gibt es auch viele Einspielungen zur Auswahl, wenngleich im Moment nicht alle zu haben sind und ihre Zahl durchaus überschaubar bleibt. Einige davon möchte ich herausgreifen und meine Einschätzung kundtun.
Walter Legge hat für EMI das Werk zweimal produziert, beide Male mit Elisabeth Schwarzkopf in der Titelrolle. Die erste London-Aufnahme entstand 1953 mit Otto Ackermann. Naxos hat sie unlängst wieder herausgebracht ebenso wie Membran. Die Membran-Leute dachten ökonomisch und faßten die „Witwe“ mit dem „Land des Lächelns“(vom gleichen Interpretenteam realisiert) in einem Doppelalbum zusammen.
Joschi hat sich über diese erste EMI-Version schon recht kritisch geäußert. Einer ihrer Nachteile sind die Kürzungen, der vor allem das Duett über den „Zauber der stillen Häuslichkeit“ zum Opfer gefallen ist. Zweifellos ein echter Verlust. Besonders bei dieser Operette schmerzlich mutet auch die geringe Bedeutung an, welche man den gleichfalls ziemlich reduzierten Dialogen zugemessen hat (wenigstens hat man dafür nur der Valencienne und dem Cascada Sprecher zugeteilt, der Valencienne leider keine gute) - denn bei dieser Gattung kommt es beileibe nicht nur auf die Noten an. Es sprüht und funkelt nicht genügend. Der unentbehrliche Bezug zwischen Dialog (sozusagen Gesang ohne Noten) und pointiertem Lied bleibt auf der Strecke. Der Dirigent freilich gehört zu den besten Interpreten dieser Musik und spielt auch hier alle seine Spitzenqualitäten aus. Er entlockt dem Philharmonia Orchestra die feinsten Nuancen und läßt es so wienerisch spielen, daß kein Wunsch offen bleibt. Bei aller Walzerseligkeit bleibt der Klang stets transparent und erinnert an Lehárs eigene Auffassung seiner Schöpfung. Als hervorragend muß auch die Hanna Glawari der Schwarzkopf gelten, deren Stimme hier noch jugendlich-frisch und ungekünstelt herüberkommt und mit dem Ackermannschen Stil vollendet harmoniert. Zwar ist die Schwarzkopf mehr Dame als temperamentvoll Liebende, aber das ist schon ein beckmesserischer Einwand. Ohne Frage ist sie einer idealen Verkörperung der Partie sehr nahe und jedenfalls viel näher als zehn Jahre später. Nicolai Gedda als Rossillon und Emmy Loose als Valencienne zählen zu den weiteren Vorzügen dieser Fassung. Die Loose vermittelt die Wandlung von der scheinbar kühlen „anständ’gen Frau“ zu leidenschaftlicher Gefühlswärme in glaubhafter Steigerung. Gedda ist ihr ein kongenialer Partner. Die Katastrophe ist aber der Danilo, der ja bekanntlich eine Tenorpartie ist. Legge scheint eine fatale Liebe zu Bariton-Danilos gehabt zu haben. Er setzt doch glatt Erich Kunz als „Tenor“ ein (so lautet tatsächlich die offizielle Angabe!), also einen Bariton von eher dunkler Färbung. Man spürt förmlich , wie unglücklich Kunz – einer der bedeutendsten und mit Recht beliebtesten Opernsänger Wiens im 20.Jahrhundert, der als Schauspieler und Sprecher nicht minder begabt war – sich in dieser Rolle fühlt. Verzweifelt versucht er, alle baritonale Tiefe möglichst zu eliminieren und landet manchmal fast im Sprechgesang. All seine Routine kann aus einem wundervollen Figaro oder Leporello keinen überzeugenden Danilo machen (Kunz’ beste Operettenrolle war nach meinem Empfinden der Gefängnisdirektor Frank in der „Fledermaus“; als solcher konnte er alle seine Stärken ausspielen), es fehlt einfach die Sinnlichkeit des jugendlichen Liebhabers. Mit einem Wort: eine kapitale Fehlbesetzung. Der Rest des Ensembles ist ordentlich bis farblos. Für Einsteiger scheint mir diese CD daher wenig geeignet, für Kenner und Sammler würde ich sie wegen Ackermann und Schwarzkopf zwar absolut anraten, aber der Gesamteindruck bleibt zwiespältig.
Bei EMI muß man das auch gewußt und gespürt haben, denn schon 1963 brachte Legge seine nächste „Lustige Witwe“ heraus, natürlich wieder mit „seinem“ Philharmonia Orchestra. Liest man die Besetzung, so glaubt man, kein Wunsch bliebe offen, aber dieses Produkt unter die „Great Recordings of the Century“ zu reihen, ist glatte Übertreibung der Herstellerfirma. Mein Exemplar ist übrigens durch einen etwas dumpfen Klang beeinträchtigt, was aber ein Zu- und Einzelfall sein dürfte, denn sonstige Kritiker heben eher die gute Tonqualität hervor. Mit Lovro von Matacic hat man sich diesmal einen Dirigenten geholt, dessen Qualitäten an sich außer Zweifel stehen, auch wenn es ihm nie gelang, in die erste Reihe vorzudringen. Nur scheint er mit Operetten keine ausreichende Erfahrung zu haben., denn er dirigiert das Ganze, wie soll ich sagen, wie eine Oper. Mitunter scheint ihm das selbst nicht zu behagen, dann hetzt er das Orchester kurze Zeit, was nicht schön anzuhören ist. Zugegeben: Manchmal denkt man sich: „Ah, jetzt hat er’s endlich begriffen!“ leider aber stellt sich das jedes Mal als Täuschung heraus. Er begreift es nicht, wenigstens nicht auf die Dauer. Für mein Gefühl bemühen sich die Schwarzkopf und Eberhard Wächte verzweifelt, ein bißchen wienerischen Schwung hineinzubringen, aber Matacic spielt nicht mit, sondern bleibthartnäckig bei seinen disziplinierenden Vorgaben. Einen Gutteil der schwarzkopfschen Manierismen möchte ich diesem ebenso verdienstvollen wie vergeblichen Versuch zuschreiben. Wächter resigniert schneller. Davon abgesehen ist die Schwarzkopf bei allen ihren rühmenswerten Stimmeigenschaften und ihrer Musikalität der Partie eigentlich entwachsen. Die Stimme klingt zu reif. Man hört nur mehr die Salondame, vom ehemaligen Balkanmädel ist nicht eine Spur geblieben. Der Vortrag erfolgt viel komplizierter als in der früheren Fassung. Dennoch bleibt die Schwarzkopf wenigstens ein Pluspunkt. Auf Eberhard Wächter verfiel Legge vielleicht, weil der zwei Jahre zuvor einen immerhin beachtlichen Don Giovanni (unter Giulini) abgeliefert hatte („beachtlich“ ist sogar stark untertrieben, auch wenn ich die „hellen“ Don Giovannis nicht so mag). Aber Wächter war immer ein guter Eisenstein (der beste sogar), d.h. ein Lebemann, der die beste Zeit schon hinter sich hat, kein Danilo, der noch jugendlich seufzt und schmachtet und der dazu gemacht ist, heestersartig die Herzen zu brechen. Er kommt mir ein bißchen, naja vielleicht nicht langweilig vor, aber wie ein Schmalspur-Danilo. Wahrscheinlich - fast meine ich : sicher - hätte er sogar besser gekonnt, war aber nicht mit dem Herzen bei dieser verfahrenen Sache. Wer hätte geglaubt, daß eine so gute und bewährte Sängerin wie Hanny Steffek eine so steife und fade Valencienne abliefert? Und auch Gedda wird da nicht warm und ist eineinhalb Klassen schlechter als zehn Jahre davor. Auch Routiniers wie Kurt Equiluz (als Cascada) und Franz Böheim (als Njegus) vermögen da nichts zu retten. Für den Gesamteindruck der Produktion gilt: Man ist auf hohem Niveau nicht wirklich gut. Als Zweit-, eher sogar Dritteinspielung geht sie an (ich benutze sie im Sommerhaus), aber auch nicht mehr.
Glücklicherweise ist man nicht auf die Legge-EMI-Angebote angewiesen. Davon in Kürze mehr.
LG
Waldi