Da es in dieser Reihe Opern, Operetten, Konzert- Kammer-, Klavier, Orgel- und Chormusikführer gibt, die fast alle, trotz überarbeiteten oder völlig neu erstellten Inhalts einige Jahrzehnte Tradition aufweisen, lohnt sich vielleicht ein eigener thread.
Der konkrete Anlaß ist aber eine gewisse Enttäuschung. Ich habe vor ein paar Tagen recht günstig eine neuere (17.) Auflage des allgemeinen Konzertführers erstanden. Der hat zwar mit dem lange wiederaufgewärmten von Hans Renner nichts mehr gemein, dessen letzte Auflagen trotz Bearbeitungen ziemlich altmodisch wirkten, sondern wurde von Klaus Schweizer und Arnold Werner-Jensen erstellt, aber meine Begeisterung hält sich nach erster Durchsicht in Grenzen.
Zwar werden eine sehr große Zahl von Komponisten zumindest erwähnt (von Biber und Corelli bis Adams und Rihm), aber im Detail wundert man sich doch über einiges. Man hatte den lobenswerten, aber m.E. etwas übertriebenen Ehrgeiz, ALLE Haydn-Sinfonien zu erwähnen, was zum einen dazu führt, dass aus Platzgründen die meisten der frühen oder mittleren Sinfonien gerade mal einen Satz abkriegen, zum anderen, dass es bei Michael Haydn nur zu einem allgemeinen Absätzchen, bei Viotti und Cherubini je zu einer knappen halben Seite reicht. Immerhin werden von JC und CPE Bach einige Stücke besprochen. Dennoch ist zweifellos zu begrüßen, dass viele (sehr viel mehr als ich jetzt genannt habe) Komponisten des 18. Jhds. überhaupt erwähnt werden, wobei etwas unklar bleibt, wie ein knapper Absatz den Eindruck, dass es sich um vernachlässigenswerte "Kleinmeister" handelt, revidieren soll.
Noch seltsamer wird es jedoch in der Spätromantik/Frühmoderne. Klar, hier kann man nicht alles gleichermaßen ausführlich machen. Aber ist es eine angemessene Reflexion des heutigen Konzertbetriebs, alle Sinfonien von Rachmaninoff und Skrjabin, sämtliche Jugend- und Alterswerke von Strauss, Regers Serenade und Ballettsuite, Pfitzners Violinkonzert zu behandeln, aber Nielsen, Elgar und Vaughan Williams kursorisch mit je einer knappen Seite abzuhandeln, ohne wenigstens exemplarisch je ein Werk zu besprechen? Bei Sibelius kommen zwar En Saga und Lemminkainen zu Ehren, aber von den Sinfonien werden nur 2,4,5 besprochen.
Von Schostakowitsch nur die 1., 5. u. 7. Sinfonie, keins der Violinkonzerte!
Bei Prokofieff fehlen das 2. (4.,5.) Klavierkonzert und das 2. Violinkonz., von den Sinfonien wird nur die Classique behandelt.
Ich bin keineswegs solch ein Fan der skandinavischen und britischen Musik wie viele andere hier, aber das finde ich eine extreme Vernachlässigung.
(und bei allem Respekt, wann wird jemals ein Pfitznersches Orchesterwerk aufgeführt?)
(Dass zwar die Cooksche Aufführungsversion von Mahler 10 besprochen wird, im Falle von Bruckners 9. aber mit keinem Wort auf Finalrekonstruktionen eingegangen wird, sondern die Legende der "Vollendung" in drei Sätzen fortgeschrieben wird, wundert daher kaum noch.
Fazi: Für Klassik und Standardrepertoire bis Mahler recht ordentlich, insgesamt jedoch rate ich eher zu den anderswo empfohlenen Bänden, die Konold herausgegeben hat; in Romantik und Spätromantik behandelt der zentrale Werke sehr viel ausführlicher.
Ich sehe gerade, dass die aktuelle Auflage die 18. (2006) ist. Die ist ca. 15 Seiten länger, mag sein, dass man einige der genannten Mängel behoben hat. Kennt jemand diese allerneueste Auflage?
viele Grüße
JR