Zitat von Thomas PapeIch gestehe: über Martha Argerich wüsste ich nichts zu berichten. Eine Platte kenne ich von ihr, und die hat mir nicht gefallen. Einiges von Elly Ney zieht mich indes in den Bann.
Lieber Thomas,
Martha Argerich war indes nur ein Beispiel und hätte genauso gut durch ABM, Arrau, Gulda etc. ersetzt werden können. Da ich Martha Argerich sehr schätze, ist sie mir eben gleich eingefallen.
ZitatAnders als Du schreibst, war die Dame weder mittelmäßig, noch arm im Geiste.
Ich kenne ein bisschen Beethoven von ihr, aber was ich gehört habe ist sowohl technisch als auch interpretatorisch im Vergleich zu anderen bekannten Namen eher Mittelmaß.
Dann sagen wir "geistig fehlgeleitet", "verwirrt", wie auch immer.
Im Ernst: ich bin einer der letzten - genau wie Du - der selbstgerecht und moralinsauer über Personen urteilen möchte. Aber es ist hier schon des öfteren angesprochen worden: es gibt Unterschiede zwischen Mitläufertum á la Karajan und den schon zu Anbeginn des Nationalsozialismus gemachten Bekundungen der Frau Ney.
Da Du ja auch der Ansicht bist, daß sich die Gesellschaft in den letzten 60 Jahren nicht sonderlich gebessert bzw. verändert hat, Du aber sicher Antisemitismus bzw. deren Anhänger aufs Schärfste verurteilst, muss es im Umkehrschluss erlaubt sein, eine Elly Ney mit dem gleichen Maß zu messen.
Auch das Argument, wir hätten 60 Jahre später mit der Erfahrung der Geschichte leicht reden, halte ich nicht für wirklich stichhaltig.
"Aus Geschichte lernen" kann IMO ein Individuum eigentlich gar nicht.
Ob heute jemand dem Rassismus frönt, hängt eben leider nicht von seinem Wissenstand zum Nationalsozialismus des 2. Weltkrieges ab, sonst gäbe es auch nicht Holocaust-Leugner, die Verschwörungstheorien absurdesten Ausmaßes vermuten, um das Offensichtliche zu kaschieren. Es hängt allein von psychischer Disposition ab.
Aber wie gesagt: es wäre mehr als anmaßend über diejenigen zu urteilen, die mit Elly Neys Kunst nun etwas anfangen können und möchten. Aber man muss es aushalten können, wenn man ihr Antisemitismus der ersten Stunde vorwirft - ohne Wenn und Aber und ohne Anführungszeichen.
Nun schwebte ja die interessante Frage im Raum, ob sich ein bekennender Antisemitismus automatisch in der Interpretation niederschlägt.
Hier bin ich mir selbst sehr unsicher. Die Antwort kann nur unbequem sein.
ZitatWas nun die angeregten neuen Threads betrift: Muss ich Musik entschuldigen?
Muss ich sie nach außermusikalischen Motivationen abklopfen?
Gibt es eine teleologische lineare Entwicklung der Musik (am Ohr des Hörers vorbei?).
Es geht ja nicht darum, zu entschuldigen, auch nicht um pennälerhaftes Abklopfen. Es geht um Kommunikation und Information, die - wie schon völlig zu recht angesprochen wurde - nicht die künstlerische Diskussion beschneiden soll, sondern Schweigen (ist ja auch eine Aussage!) verhindern soll.
ZitatMan kann gewiss einen Russenthread eröffnen: es klingt aber dennoch als Entschuldigung.
Entschuldigung wofür?? Die Schuld, die ein Künstler in diesen Zeiten auf sich geladen hat, können wir diesem sowieso nicht nehmen.
Lass mich nur kurz - ich hoffe, das geht in Ordnung - noch einmal Bezug nehmen auf Deinen Vergleich mit Fischer.
Für mich besteht schon ein Unterschied darin, ob ein Joschka Fischer in seiner Jugend mal einen Polizisten mit Steinen beworfen und evtl. sogar verletzt hat, oder ob die Gewalt aus so niederen Beweggründen wie Fremdenfeindlichkeit geschieht bzw. man sich vehement dafür einsetzt. Auf einen zweiten Blick, muss ich gestehen, ist es nicht selbstverständlich, sofort Unterschiede zu ziehen, denn Gewalt ist natürlich nicht zu befürworten, aber deswegen gleiches Mass zu nehmen bei den Jugendsünden eines ehem. Aussenministers und dem Füttern antisemitischen Gedankenguts hielte ich für realitätsfern und auch etwas anmaßend.
(Joachim Kaiser sagte sogar, er hätte Fischer die Vereidigung mit Turnschuhen wesentlich übler genommen als den Wurf mit Steinen.)
Also: jeder soll die Musik hören dürfen, die er will und braucht sich selbstredend dafür nicht entschuldigen. Aber er muss es aushalten können, wenn man das Beziehungsgeflecht ausführender Künstler / Komponisten zum Nationalsozialismus bzw. Stalinismus an das Tageslicht befördert.
Der Vorschlag, Elly Ney in einen entsprechenden thread zu verfrachten resultierte nicht aus einem Wunsch, ihre Interpretationen totzuschweigen, sondern ein nach außen merkwürdig anmutendes Missverhältnis von Künstlerportraits im Forum entgegenzuwirken. Kein anderer Komponist wusste soviel Beiträge zu seiner Person zu sammeln wie Werner Egk. Ganze Länderthreads sind bereits kürzer. Und alles, weil er als ein Geburtstagsthread gedacht war, der - wenn ich Harald richtig verstanden hatte - Biographisches außen vor lassen wollte. Das führte zu Reaktionen und so zu einem laaaangen Thread.
Ein neuer Thread speziell zu diesem Thema kann einen einerseits motivieren, Biographisches näher zu erkunden oder aber gibt dann zumindest denen die Chance, die Biographisches nicht verschweigen wollen, im Thread Position zu beziehen, ohne daß ein Thread speziell zum Künstler bzw. Komponisten wieder ellenlang wird und viel wichtigere ins Hintertreffen geraten. Dieses "Gerechtigkeits"-Argument mag zwar pedantisch klingen, aber ich halte es in seiner Aussenwirkung für glücklicher und auch interessanter. Ein Thread speziell zum Thema des Mitläufertums/Überzeugungstäters bewirkt auch eine vorsichtigere Feder des Autors, zumal in den Threads zu Ney und Egk schnell und mit heißer Feder, wenn auch nicht unüberlegt, geschrieben wurde. Tempo rauszunehmen könnte auch wieder den Fokus auf andere Themen lenken und eine Diskussion zu diesem Thema in eine geregelte, laminare Strömung verwandeln. Ich mags zwar gerne turbulent, aber vielleicht nicht auf Kosten eines zu starken Ungleichgewichts.
Wulf