Barockmusik - nein danke (???)

  • Zitat

    Original von Masetto
    Gesagt wurde, Barock sei empfindsamer und feinsinniger, Gefühle würden nicht offen gezeigt und brutal herausgeschrien.


    Das ist doch völlig daneben!


    Das Barock übertreibt die Darstellung bestimmter Gefühle (Affekte) wie keine Epoche vorher. Besonders deutlich bei Lamento-Stellen. Offener gehts nicht.


    Im empfindsamen Stil wird dann nach dem Barock diese Trennung und Überdeutlichkeit der Affekte aufgehoben/relativiert.

  • Das ist nicht daneben, das wurde im Thread weiter vorn mal erwähnt.


    Allerdings ist da etwas dran. Im Barock wird großflächiger mit Gefühlen und Stimmungslagen "gearbeitet" Der Barock geht musikalisch nicht so ins Detail wie ein Bruckner in den Sinfonien 8 und 9 oder ein Beethoven in seinen Sinfonien.


    So daneben finde ich das gar nicht.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon


  • Das finde ich eine bestenfalls einseitige aber eigentlich ganz falsche Darstellung des Barock, sorry!
    Man findet zwar keine Schicksalssinfonie (die der Komponist nicht so genannt hat!), aber man findet Affektdarstellungen, die durchaus nicht nur raffiniert und verfeinert, sondern von elementarer Kraft sind.


    Auf geradezu naturalistische Darstellungen wie in Bibers Battaglia oder Tierstimmensonaten, das "atonale" Chaos in Rebels "Les Elements" oder die Insektenplagen in Händels Israel in Egypt muß man dabei gar nicht abheben.
    Es reichen schon ganz normale Monteverdi-Madrigale oder Bach-Kantaten.


    Im Gegenteil, im Barock ist meistens viel offensichtlicher (weil die Musik klar textgebunden ist oder in ihrer Rhetorik von solcher Musik abgeleitet ist), was uns die Musik sagen soll. Der Affekt, die "message" von "Buß und Reu" ist wesentlich eindeutiger als der von Beethovens Quartett op.59,1 oder von Schuberts Es-Dur-Trio ;)
    Die Idee der Vieldeutigkeit, der Instrumentalmsuk als eines eher abstrakten Dramas ohne konkrete Handlung ensteht m.E. erst in der Wiener Klassik.


    Es stimmt zwar, dass es im Barock auch "abstrakte" Musik gibt, wie Bachs WTK. Aber das sind eher die Ausnahmen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Masetto
    Im Barock wird großflächiger mit Gefühlen und Stimmungslagen "gearbeitet" Der Barock geht musikalisch nicht so ins Detail wie ein Bruckner in den Sinfonien 8 und 9 oder ein Beethoven in seinen Sinfonien.


    Ähm ...


    Das "Großflächige" liegt an der Regel "Einheit des Affekts". Pro Satz darf das Gefühl nicht geändert werden. Also entweder ein Satz lang Freude oder ein Satz lang Schmerz. Und zwar oft ganz und gar nicht dezent sondern volle Kanne.


    Was "musikalisch ins Detail gehen" heißen soll, mußt Du mir erklären.

  • Ich muss dazu sagen, dass ich jetzt nicht von textgebundener Musik gesprochen habe, sondern von Orchesterwerken des Barock (Concerti etc)

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

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  • Musikalisch ins Detail gehen, heißt in einem Satz mehr als einen Affekt darstellen. Das meine ich auch mit großflächig. Eben gleiches meine ich, dass es sich hier mehr um Stimmungsfelder handelt. Ich sehe, Du gibst mir fast Recht :D

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zitat

    Original von Masetto
    Und so wird oftmals beim Hören auf derartiges gewartet und nicht gefunden, wonach man sucht und viele empfinden dann die Musik als undramatisch und langweilig, verpassen aber dabei die ganze "vornehme" Schönheit dieser Musik.


    Oft ist das Gegenteil der Fall. Die Emotionalität gesungener Barockmusik wird als zu aufdringlich abgelehnt. Vor allem bei HIP-Einspielungen, wo die möglichst offensichtliche Affektdarstellung den Sänger den Schönklang hintanstellen läßt und völlig unvornehm wird. Da gibt es dann "Realismus" wie bei Caravaggio und Herz-Schmerz wie bei Reni. (Nur um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich mag das natürlich.)

  • Zitat

    Original von Masetto
    Im Barock wird großflächiger mit Gefühlen und Stimmungslagen "gearbeitet" Der Barock geht musikalisch nicht so ins Detail wie ein Bruckner in den Sinfonien 8 und 9 oder ein Beethoven in seinen Sinfonien.


    Das halte ich auch für ein Gerücht. Wenn man beispielsweise sieht, wie ein Thema variiert fugiert, canoniert oder sonstwas wird - nehmen wir mal Werke wie die Goldbergvariationen von Bach, die allseits beliebte Follia, oder (zwar nicht ganz Barock, aber egal) die La Spagna-Variantionen von Constanzo Festa oder alle Chaconnen und Passacaglias - dann wird ganz schnell klar, dass auch die Altvorderen in der Lage waren, aus einem Thema alles was drinsteckt rauszuholen.



    :hello:
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Nette Bilder, aber ich habe überhaupt nicht von Musik mit Gesang gesprochen - was ich überdies auch noch ausdrücklich betont habe.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zitat

    Original von Masetto
    Musikalisch ins Detail gehen, heißt in einem Satz mehr als einen Affekt darstellen. Das meine ich auch mit großflächig. Eben gleiches meine ich, dass es sich hier mehr um Stimmungsfelder handelt. Ich sehe, Du gibst mir fast Recht


    Ich weiß aber nicht, was das mit Vornehmheit zu tun haben soll oder gar mit Feinsinnigkeit.

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  • Zitat

    Original von Masetto
    Nette Bilder, aber ich habe überhaupt nicht von Musik mit Gesang gesprochen - was ich überdies auch noch ausdrücklich betont habe.


    Soweit ich mich erinnere erst im Laufe der Diskussion. Und erst hast Du etwas generell über Barockmusik gesagt, die nunmal zum größten Teil nicht rein instrumental ist.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Masetto
    Im Barock wird großflächiger mit Gefühlen und Stimmungslagen "gearbeitet" Der Barock geht musikalisch nicht so ins Detail wie ein Bruckner in den Sinfonien 8 und 9 oder ein Beethoven in seinen Sinfonien.


    Zitat

    Original von Masetto
    Musikalisch ins Detail gehen, heißt in einem Satz mehr als einen Affekt darstellen. Das meine ich auch mit großflächig. Eben gleiches meine ich, dass es sich hier mehr um Stimmungsfelder handelt.




    Man nehme als Gegenbeispiel die Madrigalkunst Monteverdis, die bei der extremen Darstellung von Affekten und der detaillierten Wort-für-Wort-Ausdeutung des Textes Standards gesetzt hat. Da vertont Bach doch meist bedeutend "großflächiger" und einheitlicher (kein Werturteil!!!), während bei Monteverdi oft Affekte auf engstem Raum gegeneinander gesetzt werden, die manchmal schon in sich selbst widersprüchlich (in gewisser Weise auch vieldeutig) sind. Was natürlich auch an der extremen Kontrastästhetik der vertonten Texte liegt.


    Monteverdi sind übrigens in diesem Forum erstaunlich wenige Threads gewidmet...


    Viele Grüße


    Bernd

  • Das Problem in der Diskussion ist, dass manchmal Bach als "der" Barockkomponist angesehen wird, was nicht ganz korrekt ist.


    typisch Barock ist:
    1) Generalbass
    2) Affektenlehre/Einheit des Affekts
    3) Konzertantes Prinzip (zusammenwirken verschiedener Klangkörper)


    und eine recht strenge Trennung der Aufgabenbereiche
    Kirche
    Kammer
    Theater

  • Ich habe dies noch betont, da ich es zu Beginn meines Beitrages versäumt hatte, zu erwähnen.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Monteverdi ist nun wieder Vokalmusik, da muss ich eindeutig meine Aussage relativieren und auf Bach beschränken.


    :untertauch:

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

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  • Ich fange an, den Überblick zu verlieren, besonders bei Masetto, der lustig hin und her springt... :hello:



    "Im Barock wird großflächiger mit Gefühlen und Stimmungslagen "gearbeitet" Der Barock geht musikalisch nicht so ins Detail"
    Also, dann ist Karajan doch Barock? ?(:D



    "Was "musikalisch ins Detail gehen" heißen soll, mußt Du mir erklären."
    Mir auch! Geht Ludwig "Tätätäterä" Güttler bei Barockmusik ins Detail? :untertauch:

  • Lieber Robert,


    Masetto ist noch jung und noch nicht so lange mit klassischer Musik bewandt. Er muß noch vieles dazu lernen. Bereits die Tatsache, daß er versucht zu hören und zu erlernen, zählt für mich. Und er äußert sich jedenfalls anständig.
    Da kann man doch verzeihen?


    LG, Paul

  • Danke Paul,


    Mit musikalisch ins Detail gehen meine ich, dass es im Barock (instrumental) nach meinen Erfahrungen nicht so etwas zu finden ist, wie später bei Bruckner, wo direkt Bilder in den Kopf gebracht werden. Wo sich stimmungsmäßig an einen Ausbruch herangetastet wird oder wo unregelmäßig gezögert wird und plötzlich alles kippt.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Hallo Masetto,


    Du hast bisher einseitige Erfahrung im Barock-Bereich mit Bach gesammelt - hör Dir mal ein wenig Händel an und Du wirst feststellen, dass es da auch durchaus dramatisch zuging 8)
    (Und Vivaldi hat da auch wieder seinen ganz eigenen Ausdruck :pfeif: )
    Es gibt also viel zu entdecken :yes:


    :hello:
    Stefan


    PS: Habe mich wohl jetzt auch als Banause geoutet, der eigentlich nur Spätbarock kennt :D :P

    Viva la libertà!

  • genau; Barezzi, darum geht es doch - um das Entdecken.


    Meine Ohren sind nun mal vor allem barockkompatibel - Verzeihung: spätbarock (möchte mich doch als begrenzt lernfähig outen :D).


    Es gibt viel mehr Stücke aus den nachfolgenden Epochen, die ich nicht mag, als solche, die ich mag, aber es gibt sie durchaus. Vielleicht finde ich hier ja den einen oder anderen, der meinen doch nicht ganz soo exotischen Geschmack teilt, und mit dem ich dann Tips austauschen kann, die mit einer etwas größeren Erfolgswahrscheinlichkeit behaftet sind, als wenn sie von jemandem kommen, der vor allem Alban Berg oder.... hört - puhh, man traut sich kaum noch, was zu sagen, sofort hat man auf mindestens 20 Füßen Tango getanzt.


    Meine Intention ist es durchaus nicht, einen kompletten Überblick über die klassische Musik zu erhalten, dafür sind sowhl meine Finanzen als auch insbesondere meine Zeit zu begrenzt, nicht einmal, allen oder auch nur einigen Komponisten "gerecht" zu werden, ich brauche nur ein paar Buddies, die mir sagen, hör Dir doch mal den soundso an (na, werde ich nicht schon etwas diplomatischer??) und die Empfehlung paßt. Und vice versa.


    Also sozusagen Entwicklungshilfe im Entdecken.


    Insofern finde ich solche Listen á la Bach, Händel, Albinoni recht zielführend, sie müssen allerdings noch erweitert werden um entsprechende Stücke-Listen, irgendwie muß man ja den Buddy-Affinitätsgrad feststellen. In der Marktforschung würde man jetzt eine Clusteranalyse machen, um grob oder weniger grob "Geschmacksrichtungen" festzustellen.


    Also mal so ins Blaue gesprochen: man macht eine "Standardliste" von 50 oder 100 Stücken, jeder, der ähnliche Intentionen hat, hört sie sich an und bewertet die einzelnen Stücke mit Schulnoten - schon kann man vermutlich grundsätzliche Hörertypen herausfiltern. Wurde vielleicht ja bereits von der einen oder anderen Uni gemacht, liegt irgendwie nahe...


    ansonsten: Lust auf ein kleines "Forschungsprogramm" ?

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  • Hallo m-mueller,


    Deine Vorschläge hören sich sehr interessant an - nur muss sich Jemand finden, der die Mittel (Programme), Zeit, Muße und Ahnung hierfür mitbringt :rolleyes:
    Spannend wäre es auf jeden Fall (was für ein Hörtyp bin ich) und würde sicherlich viel Spaß machen... :yes:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von Masetto
    Musikalisch ins Detail gehen, heißt in einem Satz mehr als einen Affekt darstellen. Das meine ich auch mit großflächig. Eben gleiches meine ich, dass es sich hier mehr um Stimmungsfelder handelt. Ich sehe, Du gibst mir fast Recht :D


    Damit hat er doch vollkommen Recht. Nur weil er noch jung ist (und ich übrigens auch), heißt das nicht, dass das, was wir sagen falsch ist.
    Barocke Formen sind steril und größtenteils kontrastarm. Ein Satz bedeutet ein Affekt (hört euch z. B. mal einen Satz aus einem Vivaldi Violinkonzert an - wenn es nicht gerade die Vier Jahreszeiten sind, die sind tatsächlich genial gemacht), kontrastrierende Themen, die praktisch "gegeneinander kämpfen", Spannung aufbauen (in der Durchführung) und zum Schluss einen Kompromiss finden (Reprise), so etwas kam erst in der Mannheimer Schule mit der Sonatenhauptsatzform auf.
    Und das ist ein ungemeiner Fortschritt! Auch dynamische Kontraste!


    Betrachten wir Mozarts 40.:
    Erst ein "schwebendes", für manche ein wenig klagendes Moll-Thema mit einer pulsierenden Begleitung, darauf ein plötzliches Forte-Tutti, ein Toben des ganzen Klangapparates, und anschließend ein lyrisches, homophones, chromatisches, ruhigeres Seitenthema im völligen Kontrast zum Beginn. Findet man so etwas im Barock? (Die Frage ist nur halb rhetorisch - ihr dürft mich gerne belehren)

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • was die Clusteranalyse angeht, hätte ich damit kein Problem, wir haben SPSS hier an der Hochschule :D (ich hoffe, ich verstoße gerade nicht gegen ein Dutzend Lizenzauflagen) - die 100 Stücke umfasssende Liste wäre sehr viel schwieriger; sie zusammenzustellen und dann auch von einer nennenswerten Hörerschaft anhören zu lassen, ohne daß es für den Einzelnen dahingehend ausartet, daß er sich 50 neue CDs kaufen muß, wäre die eigentliche Herausforderung

  • Zitat

    Barocke Formen sind steril und größtenteils kontrastarm


    Wahrscheinlich hat die gesamte Barockfraktion beim Lesen dieses Satzes der Schlag getroffen ansonst hätten sie schon aufgeschrien.


    Die Aussage stimmt indes nur bedingt: Es hat sich nur gewisses durchgesetzt - und das war gewiss nicht das emotionellste und aggressivste.


    Biber beispielsweise ist keineswegs Kontrastarm und auch nicht steril.


    Vivaldi - wer kennt das schon viel davon ?


    Die Violinkonzerte, die von Carmignola für Sony eingespielt wurden, sind erst vor relativ kurzer Zeit aufgefunden worden - interessanterweise sind sie das Beste was IMO von Vivaldi erhalten ist - vielleicht kontrastarm - aber steril keineswegs.


    Purcel: Trauermusik für Queen Mary (ich stellte sie gestern im anderen Barockthread vor) Erschütternd, verhalten, bewegend - aber NIEMALS steril.


    Barockmusik - zumindest habe ich diese Erfahrung gemacht ist sehr interpretationsabhängig. Kleinigkeiten entscheiden über Gelingen oder Nichtgelingen (im Gegensatz zu Mozart oder Beethoven beispielsweise)


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von rappy
    Barocke Formen sind steril und größtenteils kontrastarm. Ein Satz bedeutet ein Affekt (hört euch z. B. mal einen Satz aus einem Vivaldi Violinkonzert an - wenn es nicht gerade die Vier Jahreszeiten sind, die sind tatsächlich genial gemacht), kontrastrierende Themen, die praktisch "gegeneinander kämpfen", Spannung aufbauen (in der Durchführung) und zum Schluss einen Kompromiss finden (Reprise), so etwas kam erst in der Mannheimer Schule mit der Sonatenhauptsatzform auf.
    Und das ist ein ungemeiner Fortschritt! Auch dynamische Kontraste!


    Du scheinst etwas merkwürdig zu werten. In Deinen Augen ist offenbar die Regel des gleichbleibenden Affekts ein künstlerisches Gebrechen des Barock (da Du offenbar nur scheinbare Gegenbeispiele als "genial" anerkennst). Die Sache mit dem "Fortschritt" ist mal wieder ein rein weltanschauliches, geradezu religiöses Thema ...
    :stumm:

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  • Ich denke, das ist ein wichtiger Grund von vielen, warum Barock weniger Gefallen findet. In der Kunst gibt es natürlich nie einen "objektiven Fortschritt". Natürlich kann jetzt jeder einwenden, ihm gefällt die Regel des gleichbleibenden Affektes besser bzw. er wertet sie künstlerisch höher und sieht in der Entwicklung danach einen Rückschritt.
    Aber man kann nicht bestreiten, dass die nach-barocke Entwicklung die Musik nicht näher mit dem wirklichen Leben in Verbindung bringt. Barocke Formen wie die da-capo Arie, bei der der Anfangseffekt fast genau gleich am Ende wiederkehrt, ebenfalls auch viele barocke Affekte, sind für meine Begriffe gekünstelt und steril.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Genausowenig läßt sich für alle Gesellschaften und Epochen allgemeingültig festlegen, was steril und künstlich ist.


    Schau Dir mal eine kantonesische Oper oder japanisches No - Theater an...

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Ob Kunst was mit dem "wirklichen Leben" zu tun haben soll, ist aber wohl auch nicht so allgemeingültig zu beantworten, oder?


    Die Frage muß man auch gar nicht beantworten, um für äußerst zweifelhaft zu halten, dass Frühklassik, Wiener Klassik oder Romantik irgendwie mehr mit dem "wirklichen Leben" zu tun haben als Barock :D


    Man sollte auch nicht vergessen, dass zum einen Einheit des Affekts nicht "kontrastarm" bedeuten muß. Im Gegenteil sind ja der Solo-Tutti u.a. Kontraste ebenfalls zentral für Barockmusik. Vivaldische Konzerte können ziemlich kontrastreich sein. Obendrein sind die Einzelstücke und Sätze ja oft sehr kurz, so dass für Abwechslung gesorgt ist.
    Und außerdem gibt, es gerade in sehr rhetorischer Musik wie Monteverdi oder Schütz oder später auch noch in Rezitativen durchaus wechselnde Affekte auf ziemlich engem Raum. Die Formen sind lange nicht immer so starr wie oft dargestellt; es gibt z.B. bei Händel Arien, die aus dramaturgischen Gründen unterbrochen werden, weil eine Bote ankommt o.ä., es gibt längere Abschnitte wo dramatisches Arioso und Rezitativ abwechseln usw.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Die Frage muß man auch gar nicht beantworten, um für äußerst zweifelhaft zu halten, dass Frühklassik, Wiener Klassik oder Romantik irgendwie mehr mit dem "wirklichen Leben" zu tun haben als Barock :D


    DAS Stück aus dem wirklichen Leben ist sowieso:
    Cage: 4'33"
    :pfeif:

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