Orpheus in der Unterwelt an der Volksoper

  • Vergnügliches gibt es aus der Wiener Volksoper zu berichten: Der Einstand des neuen Direktors Robert Meyer mit Offenbachs Operette ist als äußerst gelungen zu bezeichnen. (Wenngleich ich Meyer trotzdem lieber als genialen Nestroydarsteller an der Burg sehen würde... :( )
    Die Inszenierung ist das, was ich immer mit MM bezeichne, moderat-modern: Kein plüschiger Operettenkitsch, aber auch kein subtiler Seelenstriptease a la Konwitschny. Die Bühne ist sehr "aufgeräumt", wie ich es liebe, kommt mit wenigen Requisiten aus, die aber meist köstliche Persiflagen auf das jeweilige Ambiente liefern: Orpheus und Euridices Spießbürgeridylle wird durch einen Balkon mit Geranien symbolisiert, links und rechts davon zwei Eingangstüren, in die Wand der Orpheus'schen Wohnung ist ein Fenster geschnitten, durch welches man eine Blümchentapete sieht.
    Der Olymp besteht aus einer Reihe von Liegebetten ("Wir sollten die Krise ausschlafen!" meint Jupiter später) und einem Tempel in der Mitte, der sich aber als Lifthäuschen entpuppt, denn die Götter reisen per Aufzug an. (Auch Pluto verlässt die Unterwelt per Aufzug, allerdings ist seiner Plexiglas-gestylt und erinnert an die eleganten Außenlifte diverser Kaufhäuser) Und wie bei einem Lift leuchtet auf dem Tempel auch immer der "Aufwärtspfeil" auf, wenn gerade ein Gott im Anflug ist. Eines der vielen witzigen Details dieses Bühnenbildes.
    Die Kostüme würde ich als "modern, antik aufgepeppt" bezeichnen, d.h. jeder Gott wird mit irgendeinem Accessoir ausgestattet, das ihn "mythologisch identifizierbar" macht, um es mal so zu formulieren. Beispiel: Merkur, im Anzug des Business-man und dunklen Mafiosi-Brillen - ein Mann mit den besten Beziehungen zur Unterwelt - trägt dazu einen schick designten Silberhelm mit Merkurflügeln. Köstlich Cupido, der anstatt mit Pfeil und Bogen mit einer Dartscheibe unterwegs ist.


    Die Regielis würde meine Zustimmung nicht teilen, denn die Inszenierung von Helmut Baumann vermittelt keinen neuen Blick auf das Werk, bringt keine neuen Erkenntnisse. Mir hat's trotzdem ausgezeichnet gefallen, vor allem der modernisierte, freche Text mit vielen witzigen Anspielungen. Jupiters Olymp ist hier ein in die Krise gekommenes Familienunternehmen, wo die Jungen gegen den erfolglosen, konservativen Führungsstil des "Alten" aufbegehren, eine Neustrukturierung und Gewinnbeteiligung einfordern, während Pluto, der sein Etablissement Unterwelt höchst erfolgreich betreibt, als Juppie-Typ den eingeschlafenen Olymp aufmischt.
    Vor allem aber merkt man allen Beteiligten an, mit welchem Spaß sie bei der Sache sind, denn gespielt wird bis hin zur kleinsten Rolle vorzüglich. Keine Rede von langweiligem Stehtheater, diese Inszenierung hat Tempo und macht einfach gute Laune.
    Nicht ganz so ungetrübt glücklich war ich, wie immer an der Volksoper, mit der gesanglichen Leistung.
    Uneingeschränkt wunderbar fand ich Jennifer Bird als Euridice. Eine schöne, nie angestrengt wirkende Stimme, vor allem aber ein großes schauspielerisches Talent, das die gelangweilte Ehefrau und Leider-Nicht-Geliebte im Orkus mit Temperament und vor allem sichtbarem Vergnügen spielte. Ihr Kostüm (eigentlich eine Übertreibung für dieses Nichts ;) ) im letzten Akt dürfte den Testosteronspiegel so mancher Herren im Publikum angeregt haben, denn das war schon sehr kühn (Besonders die Rückansicht...). Wäre AN je in diesem Outfit aufgetreten, würde Edwin wohl nicht "Erotikstar", sondern "Pornostar" gewettert haben. :hahahaha:
    Sebastian Reinthaller als umtriebiger Violinlehrer gefiel mir auch sehr gut, ebenso wie der Pluto Christian Baumgärtel, der in schwarzem Lackleder mit flammendrotem Frack als personifizierte Verführung daherkam und Euridices dringenden Wunsch nach einem Partnerwechsel verständlich macht ;)
    Genervt hat mich wie immer Martina Dorak (Diana) mit ihrer piepsigen Soubrettenstimme, der Rest des Ensembles entsprach weitgehend den Erwartungen, ohne mich stimmlich besonders zu beeindrucken. Da sie aber allesamt köstliche Typen auf die Bühne stellten und es schauspielerisch keine Schwachstelle gab (Bis auf Erni Mangold, die als "öffentliche Meinung" für meinen Geschmack ziemlich outrierte), nahm ich das diesmal gerne in Kauf. Peter Matic spielte den Styx. Ich liebe diesen Schauspieler sehr und freue mich über jeden seiner Auftritte, vielleicht verklärt also diese Liebe mein Hörvermögen, denn ich finde, dass er seinen "Prinzen von Arkadien" nicht schlecht gesungen hat. Von den Sprechrollen gebührt die Krone Helga Papouschek für ihre köstliche Göttermutter Juno.
    Ich werde es mir sicher noch einmal anschauen, weil ich einmal auch den Herren Direktor als Styx erleben möchte. (Robert Meyer covert ja Peter Matic) Wer auch an einem vergnüglichen Operettenabend ohne allzu viel Tiefgang Gefallen findet, dem kann ich diesen "Orpheus in der Unterwelt" jedenfalls wärmstens empfehlen!!
    lg Severina :hello:

  • Liebe Severina,


    hab herzlichen Dank für diese zauberhafte Beschreibung, es macht grosse Lust, gleich anzureisen und diese Produktion ebenfalls anzuschauen.


    Eine kleine Verständnisfrage - es wurde in deutscher Sprache gespielt ? Der Titel impliziert das, ich bin dennoch nicht sicher, da ich die Wiener Verhältnisse nicht kenne.


    Ich bin natürlich sehr geprägt durch die damalige zauberhafte Produktion im Chatelet, die es ebenfalls als DVD gibt (im Theater war es noch schöner) mit Felicity Lott, Michel Senechal, Yann Beuron etc.


    Es grüsst ganz herzlich von Paris nach Wien LaCastafiore



    edit - o gott - wie peinlich - ich habe die offenbäche verwechselt - ich dachte an "la belle helene" - von Orpheus in der Unterwelt kenne ich ebenfalls nur die DVD aus Lyon mit Nathalie Dessay und Laurent Naouri - mea culpa -ich sollte meine Gedanken beieinander behalten. Entschuldigung - trotzdem hätte ich es gerne angeschaut, aber mit Felicity Lott hat es so gar nichts zu tun.

  • Liebe Severina, ich beneide dich, denn das interessiert mich (nicht nur aus aktuellem Anlass) brennend!
    Kannst du mir bitte sagen, ob folgende beiden Nummern drin waren:
    Eurydikes Couplet des Bedauerns, wo sie sic hbeklagt, dass Pluto ihr erst tolle teuflisch-göttlcihe Liebe versprochen hat und sie dann im Orkus alleine lässt. "Ich kann es nciht länger ertragen" und das Couplet des Cupido, wo er seinem Papa Jupiter erklârt, wie man mit Speck Mäuschen fängt ; Küsschen gibt und am Ende Jupiter in eine Fliege verwandelt.
    Hast du ein Textbuch????
    Und noch eine Frage: wie wurde das "Fliegenduett" zwischen Jupiter und Eurydike inszeniert????


    Danke für alle Infos, bitte so ausgiebig wie Du Zeit findest....... :untertauch:
    Fairy Queen :angel:


  • Liebe Castafiora!
    Ja, Wien ist doch immer eine Reise wert!! :] Und noch einmal ja: "Orpheus in er Unterwelt" wird deutsch aufgeführt, wie bisher vieles an der Volksoper und in Zukunft alles, geht es nach dem Willen des neuen Direktors. Ich wünsche ihm mit dieser Politik viel Glück, meine grundsätzlichen Bedenken dazu habe ich ja schon im entsprechenden Thread geäußert.
    lg Severina :hello:


    PS: Mit Felicity Lott kann doe VO wahrscheinlich nicht konkurrieren....

  • Ich möchte zu Severina ein paar Ergänzungen und Anmerkungen anbringen.


    Auch mir hat die Produktion im Großen und Ganzen gut gefallen, wenn sie auch mit Offenbach nicht so wahnsinnig viel zu tun hat. Das liegt nicht an der Inszenierung, sondern an der für mich grausamen Textfassung. "Orpheus in er Unterwelt" ist nicht primär ein Beziehungsdrama zwischen einem in die Jahre gekommenen Ehepaar (eine Freundin bezeichnete die Fassung als "Szenen einer Ehe") sondern politische Satire auf das Frankreich der 1850er Jahre. Das in die heutige Zeit zu transponieren, ohne mit dem Vorschlaghammer zu kommen, ist - zugegeben - nicht einfach, aber dafür wird der Übersetzer/Bearbeiter ja auch fürstlich entlohnt. Wie ein gescheiter Kopf den Text sinngemäß adaptiert, hat weiland Karl Kraus bewiesen.
    Gut gezeichnet und charakterisiert fand ich die handelnden Personen bis zu den kleinsten Göttern, über das Bühnenbild könnte man wohl stundenlang kontroversiell diskutieren (ähnliche Lösungen haben in der Volksoper schon Buh-Orkane entfacht), die Szene im Olymp und die dazugehörigen Götter und ihr Dienstpersonal ist ein Kabinettstück.
    Das Musikalische spiegelt das Niveau des Hauses. Sebastian Reinthaller als Orpheus (seine Schülerin Caroline Löffler spielt auf der Violine deutlich schöner als er singt) spielt sich selbst, Jennifer Bird ist eine sehens- und hörenswerte Eurydike (warum darf das Ensemblemitglied Barbara Payha nicht die Premiere singen ?), Carlo Hartmann gibt einen umwerfenden Jupiter, seinen unterirdischen Bruder Pluto vereiht Christian Baumgärtel hintergründigen Höllencharme. Die Göttinnen (Martina Dorak - Diana, Regula Rosin - Venus, Helga Papouschek - Juno, Ulrike Pichler-Steffen - Minerva) sind mehr als ordentlich und rollendeckend besetzt, ebenso die kleineren (ausgezeichnet der Mars von Stefan Tanzer) und größeren (Gerald Pichowetz gibt einen wunderbar gelangweilt aufsässigen Cupido, Wolfgang Gratschmeier eine Charakterstudie des Merkur) Götter. An der öffentlichen Meinung der Erni Mangold scheiden sich die Geister - ich fand die Ablehnung von Teilen des Publikums nicht gerechtfertigt.
    Und das Orchester ? Ich stelle mir Offenbach doch etwas spritziger vor. Was formal gut musiziert aus dem Graben kam, war jener Offenbach wie er seit Jahrzehnten von den deutschsprachigen Plattenaufnahmen bekannt ist. Für mich ist das nicht prickelnder Champagner sondern lauwarmer deutscher Sekt (ich will keine Negativwerbung für die Marke MM machen).


    Damit man mich nicht falsch versteht - dieser "Orpheus in der Unterwelt" ist in Summe hörens- und sehenswert und wird mich im Zuschauerraum noch ein paar Mal erleben.


    Michael 2


  • Hallo Fairy.
    leider hab ich kein Libretto, will mir aber eines besorgen, weil mein letzter "Orpheus" Jahrzehnte zurückliegt und ich ehrlich gesagt den Inhalt nur mehr in groben Umrissen kannte. Nun interessiert mich natürlich, wie stark Text an der VO vom Original abweicht, denn für mich klang es wie gesagt sehr modern und frech.
    Das Couplet der Euridice ist drinnen, sie sitzt in ihrem höllischen Boudoir, schminkt und langweilt sich entsetzlich, denn anstatt der erhofften amourösen Abenteuer wird sie weggesperrt und muss sich die Lebenserinnerungen von Styx anhören.
    Das "Fliegenduett" ist recht witzig: Jupiter trägt so eine Halbmaske (erinnert ein bisschen an Biene Maja) mit zwei endlos langen Fühlern, an deren Spitzen zwei schwarze Bürsten (Pinsel?) sitzen, mit denen er Euridice kitzelt, streichelt - kurz erotisch ein wenig anturnt. Sie wiederum benützt diese Fühler als Art Zügel, mit denen sie Jupiter gängelt, an sich fesselt usw, alles natürlich mit viel "Brumm" und "Summ". Die beiden spielen das ganz zauberhaft, mit der eifersüchtig wütenden Juno hinter der Tür.
    Reicht das fürs Erste?? ;)
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina
    leider hab ich kein Libretto, will mir aber eines besorgen, weil mein letzter "Orpheus" Jahrzehnte zurückliegt und ich ehrlich gesagt den Inhalt nur mehr in groben Umrissen kannte.


    Liebe Severina,


    vielleicht hilft Dir das ein bisschen weiter... :beatnik:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Die Premierenberichte habe ich hier mit einigem Interesse gelesen, vor allem musste ich zweimal nachschauen, ob hier tatsächlich über eine Wiener Premiere geschrieben wurde, da so viele Namen auftauchen, die ich bisher nur mit der norddeutschen Opernlandschaft in Verbindung gebracht habe. Aber es scheint tatsächlich so zu sein, dass es nach dem Intendantenwechsel am Bremer Theater viele Künstler von dort an die Volksoper Wien gezogen hat.


    Jennifer Bird war mehrere Jahre in Bremen Ensemblemitglied, wo ich sie zuletzt als Gilda und Antonia (Hoffmanns Erzählungen) auf der Bühne erlebt habe. Das waren von ihr meines Erachtens alles passable, aber – auch für Bremer Verhältnisse – keine herausragenden Vorstellungen. Auch der Dirigent der Wiener Aufführungsserie, Florian Ludwig, war bis zur letzten Saison Erster Kapellmeister in Bremen. Unter anderem dirigierte er dort Hoffmanns Erzählungen und Pariser Leben. Er scheint also, auch wenn er bei Euch nicht ganz so gut angekommen ist, inzwischen so etwas wie ein Offenbach-Spezialist zu sein. Der Regisseur Helmut Baumann hat oft am Bremer Theater am Goetheplatz inszeniert, vor allem Musical, zuletzt aber auch Offenbachs Operette Pariser Leben.


    Meine einzige Live-Begegnung mit Orpheus in der Unterwelt stammt interessanterweise auch aus dem Bremer Theater, wo man das Werk 2001 ebenfalls in deutscher Sprache aufgeführt hat. Also fast erstaunlich viele Parallelen. Vielleicht weiß jemand, ob das mehr als nur Zufall ist.

  • Stefan: Vielen Dank!


    Hallo Brunello,
    danke für deine Ergänzungen, im Großen und Ganzen stimmen wir ohnehin überein, du bestätigst meine Ahnung, dass diese Textversion mit Offenbach nichts mehr zu tun hat. Bloß fand ich sie im Unterschied zu dir nicht "grausam", sondern wie gesagt recht witzig-frech. Naja, ein Karl Kraus steht heute halt nicht mehr zur Verfügung, und der Gute hatte es bei den damaligen politischen Verhältnissen auch irgendwie leichter, Parallelen zu 1850 zu ziehen. Nicht dass ich unsere politische Lage für rosig halte, im Gegenteil, ich halte sie für so traurig, dass ich darüber ehrlich gesagt gar nicht lachen WILL. Aber das ist jetzt OT ;)
    Als "Beziehungskiste eines alternden Ehepaares" kann ich diese Inszenierung eigentlich nicht sehen, eher als "Generationskonflikt im Hause Olymp". Orpheus und Euridice wirken doch noch recht knackig ;) , besonders sie!
    Ich schau mir diese Aufführung sicher auch noch einmal (oder öfter :D )an, weil mich einige aus der Zweitbesetzung interessieren und ich mich zumindest gestern köstlich unterhalten habe!
    lg Severina :hello:

  • Liebe Severina, danke! :hello: :lips:
    In der mir als Referenz empfohlenen deutschen Cd-Version(die ich auch gekauft habe) ist das Couplet des Bedauerns nämlich nciht drin. :boese2: Und das Couplet des Cupido(wird der in Wien von einem Mann gegeben??? hier in Frankreich ist das eine Koloratursoubrette!) fehlt natürlcih immer. Nach all meinen Nachforschungen existiert das nciht in deutscher Version und Rideamus hat nun einen Text dazu gedichtet. :jubel: (siehe Thread hier im Forum "Offenbach in deutscher Sprache)


    Ich kann dir mit an Sciherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass Brunello Recht hat mit seinem lauwarmen Sekt statt Champagner. als französische Referenz empfehle ich allerwärmstens dei Version unter Minkowski mit Nathalie Dessay, ihrem Ehemann Laurent Naouri, Yann beuron, Veronique Gens, Ewa Podles, Patricia Petibon etc
    Da knnallen nciht nur die Korken!
    Das Fliegenduett z.B. kann wohl niemand so hinlegen wie in dieser Version, wenn man das einma lerlebt hat, kommt einem alles andere wie ........eben lauwarmer Sekt vor, fürchte ich.


    Die Idee mit dem gelangweilt dasitzen und sich schminken für das Couplet gefällt mir übrigens bestens, aber das Kostüm der Dame.......... :untertauch:


    Nochmals herzlchen Dank!


    Fairy Queen


    P.S. Wien ist allerdings mehrere Reisen wert und wird mich sicher auch in absehbarer Zeit mal wiedersehen. Nur muss ich davor zwei Wochen fasten, denn die Kaffehäuser und Mehlspeisen haben eine magische Anziehungskraft auf mcih...... :O

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  • Hallo Fairy,
    ich glaub dir natürlich sowieso alles :] , abgesehen davon hast du wahrscheinlich recht, meine Erfahrungen mit Offenbach-Operetten sind wie gesagt beschämend gering.
    Ja, der Cupido ist bei uns ein Mann, und zwar ein Schauspieler vom Sprechtheater, also bin ich beinahe froh, dass er kein Couplet singt ;) - obwohl, vielleicht hätte er ja auch Stimme.


    Hallo Zauberton,
    weißt du, an der Volksoper sind wir punkto Stimmen nicht sehr verwöhnt. Abgesehen von einem kurzen Höhenflug in der Ära Waechter (der u.a. auch Bo - damals noch Boje - Skovhus entdeckte) musste sich die WSO vor dieser Konkurrenz nie fürchten. (Die seligen Zeiten, wo auch ein Alfredo Kraus oder Domingo dort gastierten, sind längst Vergangenheit!) Ich besuche die Volksoper eigentlich nur, wenn ich ein bestimmtes Werk sehen will, das an der WSO sicher nie am Spielplan auftaucht ("Martha" z.B.) oder ich eben Lust auf Operette habe. Aber meine Erwartungen in musikalischer Hinsicht sind dabei nie allzu hoch geschraubt. Natürlich gibt's auch manchmal Sternstunden, wenn z.B. ein Johan Botha in den "Meistersingern" auftritt, aber das sind eben die seltenen Ausnahmen. Die Alltagskost ist zwar genießbar, aber eben kein Festmahl.
    lg Severina :hello:

  • Liebe Severina,
    zu deinen Aussagen über das Sängerpotential der Volksoper muss ich in aller Bescheidenheit doch etwas an Widerspruch anmelden. Ich gebe dir ja (leider) Recht, dass viele Sänger dieses Hauses nicht zu den Großen der Branche zählen. Aber so schlecht, wie man es aus deinen Zeilen lesen kann, ist die Situation auch wieder nicht.
    Gute Stimmen hat es auch noch nach Dönch oder Wächter gegeben - viele sind nur nicht an der Volksoper geblieben. Das hat durchaus unterschiedliche Gründe - persönliche Weiterentwicklung, Repertoire, geringe Gagen,... Einige der Stützen des Hauses hat der wegen seiner Ideen angefeindete Mentha an die Volksoper geholt (zB. Larsen, Simonian, Kulman), einige davon (zB. Nakajima, Bobro) sind in der Zwischenzeit sehr erfolgreich freiberuflich tätig. Und auch in der Direktion Berger sind einige durchaus hörenswerte SängerInnen ans Haus gebunden worden (zB. O´Loughlin, Montazeri, Fally, ...). Zu den ständigen Gästen, die beinahe ins Ensemble gehören, zählen immerhin SängerInnen wie Walter Fink, Alexandra Reinprecht, Markus Koch, Janina Baechle oder Lars Woldt.
    Ja, es fehlt der Volksoper ein Tenor, wie es seinerzeit Dallapozza war, aber den könnte das Haus aus Gagegengründen ohnehin nicht lange halten. Und nochmals ja, ich könnte mir im Repertoirealltag in Oper wie Operette die eine oder andere attraktivere Besetzung vorstellen. Aber auch die hochgerühmte Staatsoper kocht häufig nur mit Wasser (davon konnte ch mich zuletzt am Freitag in einer "Zauberflöte" überzeugen.
    Abschließend: Domingo, Gedda und Kraus haben an der Volksoper immer nur gastiert und das Debut von Botha in Wien fand an der Volksoper statt.


    Michael 2


    PS: Sollten wir zur Volksoper vielleicht ein eigenes Thema eröffnen, ich diskutiere da gerne mit (schließlich besuche ich dieses haus regelmäßig und fühle mich emotional verbunden) ?

  • Lieber Michael!
    Natürlich kann man auch an der WSO schwache Abende erleben, das Geld für lauter Topbesetzungen hat wohl kein Opernhaus der Welt, und vielleicht hatte ich bei meinen seltenen Ausflügen an die VO auch immer Pech, denn an rundum gelungene Vorstellungen dort kann ich mich nur an wenige erinnern. (Der köstliche "Giustino" in der Harry Kupfer-Inszenierung z.B., aber das ist auch schon zwanzig Jahre oder mehr her...) Montazeri z.B. fand ich in der "Martha" ziemlich überfordert, vielleicht hatte er aber auch nur einen schlechten Tag. Aber wie gesagt: Im Unterschied zu dir fehlen mir einfach Erfahrungswerte, weil auf 50 Abende an der WSO vielleicht einer an der VO kommt :O Aber ich gelobe Besserung! :] Momentan rentiert sich daher ein eigener VO-Thread nicht wirklich, weil ich dir außer Vorurteile nicht viel bieten kann.
    lg Severina :hello:
    PS: Wenn der Christoph Strehl als Tamino nicht besser war als bei der TV-Übertragung aus Zürich, glaube ich dir gerne, dass es ein mieser Abend war!!

  • Zitat

    Original von Zauberton
    ...
    Jennifer Bird war mehrere Jahre in Bremen Ensemblemitglied, wo ich sie zuletzt als Gilda und Antonia (Hoffmanns Erzählungen) auf der Bühne erlebt habe.
    ...


    Ineressant und etwas überraschend. Eine Gilda würde ich eher mit Olympia in Verbindung bringen.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von severina
    Natürlich kann man auch an der WSO schwache Abende erleben, das Geld für lauter Topbesetzungen hat wohl kein Opernhaus der Welt


    Hallo Severina!


    Das passt jetzt zwar nicht in den Thread, aber die "schlechten Abende" in der Staatsoper hängen nicht unbedingt mit dem Mangel an Topbesetzungen zusammen - wobei das jetzt kein Seitenhieb auf diverse "Vitamin-B-Besetzungen" sein soll, sondern einfach nur die Feststellungen, dass es an der Staatsoper einfach einige Sänger gibt, die dort nicht hingehören, während es jüngere (daher "günstigere") gibt, die ignoriert werden ...


    Lg


    Roland

    Die Basis jeder Grundlage ist das Fundament

  • Lieber Theophilus, ich finde eigentlich eine Antonia im Ernstfall schöner als Gilda als eine nur typische Olympia. Eien reine Koloratur-Gilda ohne ausgeprägte lyrische Qualitäten mag ich nciht so gerne und kann hier gleich mal als Beispiel Cotrubas nennen. Sie war eine tolle Gilda, aber sicher keine 0lympia.Die Olympia muss virtuos zwitschern und schauspielern können.Eine Gilda dagegen muss auch emotional rühren, so wie auch Antonia.
    Oft werden auch Olympia und Antonia sowie Giulietta von derselben Sängerin gesungen-zumindest hier in Frankreich.


    Fairy Queen


  • Nein, uninspiriert ist Wernickes Inszenierung nicht, aber auch nicht so doll. Die Sänger dieser Aufnahme sind dagegen fast durchweg schwächer als ihre Pendants bei Minkowski. Zudem kann weder die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz mit der idiomatischen Vertrautheit des Orchesters der Lyoner Oper mithalten noch (schon gar nicht) Patrick Davin mit dem Esprit Minkowskis. Da die Aufnahme noch nicht einmal billiger ist, spricht eigentlich nichts dafür, wenn man nicht auf Vollständigkeit sammelt, außer, dass es immer Vergnügen bereitet, eine neue Variante einer Offenbach-Operette in wenigstens ordentlicher Interpretation zu sehen und hören. Aber selbst dann würde ich lieber eine andere Offenbach-Operette nehmen. Zum Beispiel LA VIE PARISIENNE oder LA GRANDE DUCHESSE DE GEROLSTEIN. Wohlgemerkt: schlecht ist diese Aufnahme nicht, aber doch auch kaum besser als gepflegte Routine.


    Aber das geht hier OT. Gibt es eventuell ein Interesse an einem eigenen Thread mit den besten Offenbach-Einspielungen? Oder gibt es den schon?


    :hello: Rideamus