O Mensch gib acht! Gustav Mahler: Symphonie Nr. 3 d-moll

  • Obwohl ich nicht gerade ein Anhänger von Bernard Haitink bin, finde ich seine Aufnahme mit dem Chicago Symphony Orchestra von 2006 insgesamt für die gelungenste des neuen Jahrtausends

    Ah, gut dass Du mich erinnerst, die habe ich noch gar nicht gehört, ich kaufe einfach zu viele CDs. :pfeif:

  • "etwas präsenter aufgenommen" ist sicher Anwärter auf den Titel für die Untertreibung des Tages 8-) Ich weiß ja, dass Du die Passage unter Neumann exzellent findest (spieltechnisch gibts da auch gar nix zu bekritteln), aber so in total mag ich Dir da nicht folgen. Meine Empfindung ist halt, dass diese besagte Passage erheblich(!) an Reiz (und damit an Wert) verliert, wenn sie nicht gemäß der Anforderung quasi aus dem off kommt. Da kann sie noch so gut gespielt sein ... das klingt dann nicht und das passt dann nicht. Bei Neumann kommt erschwerend dazu (und das ist das was ich bemängele), dass die Passage nicht nur (völlig widersinnig) lauter rüberkommt, sondern auch mit völlig anderen Hallanteilen. Das wurde mE recht unprofessionell ein Alien hineingepfopft. Schade :-)
    Ich kann Dir - falls Du sie nicht schon längst kennst - sehr empfehlen, mal in den erwähnten Benjamin Zander hinein zu hören. Welch ein Unterschied! Eine Wirkung wie von einem anderen Stern. Und dass das dort auch feinsinnig geblasen wird, muss nicht sonderlich erwähnt werden. Auch Bensteins DG-Einspielung liefert ein treffliches Ergebnis. Und selbst Svetlanov (den ich gerade höre) hört sich da ausgesprochen famos an.
    Ich hab eine zwar kleine, aber bisserl feine Anlage, die auch passend im Raum stehend eine räumliche Situation der Aufnahmen deutlich widergeben kann. Wie vollkommen (zer-)störend kommt diese Passage von der Neumann-Platte (ich hab übrigens beide: die originale mit dem Briefmarken-Cover und Box mit dem neuen Remastering) und wie traumhaft "idyllisch" kommt sie von Zander. Anyway ... ein Glaubenskrieg soll da sicher nicht draus werden :-)


    Die neuere Extron Aufnahme hab ich nicht ... das ist nicht mehr der tschechische Klang, die ich kenne und schätze.


    Miroslav Kejmar


    Die Frage ist für mich, lieber Thomas, was das Wesentliche dieser Passage ist. Ich bin da auf der Seite von Adorno, der das "Rubato des Blasenden" hervorhob - als Ausdruck des "Ganz-Anderen", der die gesellschaftlichen Normen sprengenden Freiheit. Das verkörpert das Solo von Miroslav Kejmar, des Solo-Trompeters der Tschech. Philh., finde ich in unvergleichlicher Weise. Das ist einfach hinreißend gespielt eben mit dieser Nonchalance - unglaublich, zum Wegschmelzen schön! Die Zander-Aufnahme habe ich nicht, aber u.a. Abbado mit den Wiener Philh., da ist auch die Fernwirkung viel stärker. Man hört, dass der Trompeter draußen außerhalb des Saales spielt. Fernwirkung ist hervorragend, aber dieses betörende Rubato eines Miroslav Kejmar ist da eben nicht zu spüren!


    Auf meiner Anlage habe ich bisher die Tontechnik bei Neumann nicht irgendwie unvorteilhaft erlebt. Ich werde das mal nachprüfen am Mittwoch. Vielleicht steht Kejmar ja oben auf der Empore neben der Orgel - mal sehen :D :



    Rudolfinum, Prag


    Ich gebe Dir Recht, nach der Wende klingt die Tschechische Philharmonie, besonders die Bläser, zwar immer noch aber deutlich weniger idiomatisch böhmisch. Die Globalisierung ist halt auch an Prag nicht spurlos vorübergegangen. Nur ist die Aufnahmetechnik der Exton-Platten teilweise deutlich besser - besonders die Streicher haben mehr Fülle. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Die Aufnahme der 3. Mahler mit Neumann ist auch gefilmt worden. Das Posthornsolo ohne Bild:



    Der 2. und 3. Satz gefilmt - das Posthornsolo mit Kejmar beginnt ab 13.30:



    Den Bildern zufolge steht er auf der Empore links, die das Podium begrenzt (nicht den Zuschauerraum!) mit Blickkontakt zum Dirigenten. Dies ist wohl der Grund, warum er dort postiert ist. Steht der Solist nämlich draußen, braucht man eine Fernsehkamera plus Monitor, damit der Solist die Einsätze des Dirigenten nicht verpaßt. In der Bielefelder Oetker-Halle gibt es eine solche Anlage. Die hatte man damals in Prag vielleicht nicht.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Guten Morgen Holger,


    Dank Dir für Deine Mühe :-) Ich gestehe aber freimütig, dass ich mit solchen Sätzen ...

    Zitat

    ...
    Ich bin da auf der Seite von Adorno, der das "Rubato des Blasenden" hervorhob - als Ausdruck des "Ganz-Anderen", der die gesellschaftlichen Normen sprengenden Freiheit. Das verkörpert das Solo von Miroslav Kejmar, des Solo-Trompeters der Tschech. Philh., finde ich in unvergleichlicher Weise.


    ... recht wenig anzufangen weiß. Da fehlen mir leider ein paar Gehirnwendungen, um das in dieser Musik zu deuten :-) Warum vermitteln das die anderen (Aufnahmen) nicht?
    Vielleicht nochmal: ich hab ja gar nix an dem Spiel von Miroslav Kejmar auszusetzen ... das mag sicher nach dem klingen, was Du beschreibst; mir gehts um die (klangliche) Gesamtdarstellung innerhalb der Aufnahme. Und da finde ich halt, dass da was nicht passt: erstens dass ein als Ferninstrument gedachtes Solo präsenter und lauter klingt als das Orchester selber und zweitens die völlig anderen und unnatürlichen Hallanteile, die wie aus dem Automaten (Mischpult) klingen. Wenn ich mir meine Liste vom Parallesthread nochmal anschaue, da ist ein weites Spektrum an klanglichen Möglichkeiten zu hören ... überzeugt hatten mich(!) scheints nur wenige.


    Bin neugierig, wie andere Mitschreiber das sehen :-)


    Blöde Frage am Rande: bläst da Kejmar im Video ein Flügelhorn?


    Frühmorgendliche Grüße
    Thomas

  • Valcav Neumanns Klassiker mit den Tschechischen Philharmonikern. Eine wirlich famose Aufnahme, warm und "menschlich". Ganz schlimm und für mich fast unverzeihlich ist aber der dritte Satz mit der herrlichen Posthornpassage. Diese soll ja als Fernorchester auf der Weite des Raumes herüberleuchten; Neumanns Passage wirkt hier wie ein Alien im wunderbaren Orchesterspiel: nicht nur viel zu laut, sondern auch noch mit vollkommen anderen Hallanteilen versehen ... das hört sich wie (schlecht) dazugemischt an. Schade, da die Passage - obwohl durchaus formidabel geblasen - für mich diese (fast schon) Schlüsselstelle des Werkes unnötig zerstört.

    mir gehts um die (klangliche) Gesamtdarstellung innerhalb der Aufnahme. Und da finde ich halt, dass da was nicht passt: erstens dass ein als Ferninstrument gedachtes Solo präsenter und lauter klingt als das Orchester selber und zweitens die völlig anderen und unnatürlichen Hallanteile, die wie aus dem Automaten (Mischpult) klingen.

    Lieber Thomas,


    wenn Du bei mir "um die Ecke" wohnen würdest, dann bekämest Du jetzt eine Einladung, diese Neumann-Aufnahme mit dem Posthorn-Solo mal auf meiner Anlage zu hören. :D Ich habe vorgestern bei meinem Händler die Zero 1 von Avantgarde Acoustics gehört, einen Hornlautsprecher, der im Moment quer durch die Republik vorgeführt wird. So ein Horn ist bei der räumlichen Abbildung nicht zu schlagen, einfach perfekt realistisch. An meiner Anlage habe ich Jahre daran gearbeitet, nicht zuletzt diese realistische Räumlichkeit zu bekommen. Heute habe ich das neue Kabel (nach einigen zeitfressenden "Baumaßnahmen") eingestöpselt, was mir - ich habe den aktuellen direkten Vergleich - eine absolut vergleichbare Qualität zu einem solchen Hornlautsprecher liefert. Das nur zur Vorgeschichte. :)


    Jetzt zu meiner Hörprobe. Diese Neumann-Aufnahme ist offenbar eine besonders gute Testplatte, weil sie Fehler der Heimanlage gnadenlos offenlegt. Die Aufnahmequalität ist hervorragend, wenn nur alles mit der Anlage stimmt! Da ist nämlich absolut kein Hall zugemischt! Dazu müßte technisch das Posthornsolo mit einem extra Mikrophon aufgenommen sein. So etwas kennt man z.B. von Opernaufnahmen, wo jeder der Sänger ein eigenes Mikrophon hat - und hinterher hören sich die Gesangssolisten dann auch oft wie "reinmontiert" an! Das ist hier nicht der Fall. Die Aufnahme fängt die natürlichen Gegebenheiten des Rudolfinums sehr genau ein - und es gibt kein Extra-Mikrophon für das Posthornsolo. Das Orchester steht bei mir auf einer Bühne in der Mitte. Die Fernwirkung ist beim Posthornsolo sehr wohl da - es kommt nämlich aus dem Lautsprecher von links oben aus dem Hintergrund, was belegt, dass es von den Mikrophonen unten, die das Orchester aufnehmen, mit aufgezeichnet wurde. Wenn man das Youtube-Video kennt, dann weiß man, warum das so ist. Es ist deutlich zu sehen, wie Neumann den Einsatz für das Solo gibt - er schaut dabei nach links oben (vom Zuschauerraum aus betrachtet, von der Kameraeinstellung her nach oben rechts). Das Rudolfinum ist ein großer rechteckiger Saal mit ausgeprägtem natürlichem Hallanteil, der wird natürlich wirksam, wenn ein Instrument auf der Empore steht und der Bläser-Solist in den Raum bläst - dann entsteht mehr Hall als unten, wo sich das Orchester befindet. Diesen Effekt des Saales nutzt man in Prag offenbar aus - vielleicht sogar schon seit Generationen. Ich bin mir sicher, wenn man in Prag ein Konzert hören würde, dann hätte man ein sehr eindrucksvolles lebendiges Erlebnis dieser Raumwirkung. Sehr aufschlußreich ist auch der Schluß der ersten Sequenz des Posthornsolos, kurz bevor das "Abblasen" kommt (durch eine Trompete, die rechts steht). Das Posthorn spielt da nämlich kurz zusammen mit einem Horn aus dem Orchester. Bei mir höre ich jetzt mit neuem Kabel sehr genau, dass das Horn unten steht und oben kommt der räumlichere Klang des Posthorns dazu - beide sind klar getrennt. Stimmt die Räumlichkeit der Anlage dagegen nicht, dann bekommt man hier einen Verschmelzungseffekt. Daraus resultiert letztlich auch der Eindruck, dass das Posthorn zu laut ist. Bei mir stimmt die Balance eben weil die räumliche Abbildung nahezu perfekt ist - das Posthornsolo ist zwar relativ präsent, aber in einer ausgewogenen Balance mit dem Orchester.


    Wenn Du die von Dir beschriebenen Eindrücke hast, kann das also für mich nur heißen, dass Dir da die Raumakustik in Deinem Wohnzimmer einen Streich spielt. Irgend etwas stimmt mit der Abstrahlung Deiner LS nicht. Woran das liegt, kann ich natürlich nicht per Ferndiagnose sagen. Dazu müßte ich Deine Anlage hören... :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Guten Morgen Holger,


    Danke für Deinen Bericht. Wenn ich das so lese gehe ich nun (fast) davon aus, dass wir von zwei unterschiedliche Aufnahmen sprechen (was mich aber wundern würde). Das was Du beschreibst, kann ich zwar inhaltlich nachvollziehen, das Hörergebnis ist jedoch für mich ein fundamental anderes. Ob das dann tatsächlich mit falsch klingenden oder falsch aufgestellten Lautsprechern oder gar mit der (eigenen) Raumakustik zu tun hat, vermag ich nicht so recht anzunehmen, da der erwähnte "Effekt" direkt von der Aufnahmen kommt und sich über mehrere von mir gehörte Anlagen reproduziert*. Das Flügelhorn von Kejman klingt nicht so, als wenn es mit der Saal-Mikrophon-Aufstellung für den Orchesterpart eingefangen worden war. Die Stelle wirkt, als wenn ein Zoom-Stütz-Mikro unter Zuhilfenahme des Mischpults mitgemischt hätte. Als Vergleich kann ich nur nochmal die Einspielungen von Bernstein (DG), Jansons (München - Konzertmitschnitt), Kubelik (SOBR), Levine (CSO), Mehta (SOBR), Zinman (Zürich) oder den schon mehrfach erwähnten Ben Zander empfehlen - das sind andere Hausnummern. *) bei all diesen Aufnahmen lässt sich die Stellen wunderbar widergeben ...


    Anyway ... wir werden das nicht lösen können :-( Mich würde aber sehr interessieren, wie es anderen Hörern ergeht. Wer hat die Neumann-Aufnahme und kann von seinen Erlebnissen / Erkenntnissen / Eindrücken berichten?


    Herzliche frühmorgendliche Grüße
    Thomas

  • Die Stelle wirkt, als wenn ein Zoom-Stütz-Mikro unter Zuhilfenahme des Mischpults mitgemischt hätte. Als Vergleich kann ich nur nochmal die Einspielungen von Bernstein (DG), Jansons (München - Konzertmitschnitt), Kubelik (SOBR), Levine (CSO), Mehta (SOBR), Zinman (Zürich) oder den schon mehrfach erwähnten Ben Zander empfehlen - das sind andere Hausnummern. *) bei all diesen Aufnahmen lässt sich die Stellen wunderbar widergeben ...


    Lieber Thomas,


    ich werde heute auch nochmals andere Aufnahmen hören, die ich habe: Solti in London, Haitink in Chicago, Abbado in Wien und Bernstein in New York. Das mit dem Stützmikrophon glaube ich nicht. In der Videoaufnahme, die bei Youtube zu sehen ist (die zu genau derselben Zeit gemacht wurde wie die Plattenproduktion) ist auch gar keines zu sehen. Eine Trompete (oder ein Flügelhorn) hat eine so gebündelte Abstrahlung, da braucht man keine "Stütze", das sie präsent klingt auch in einem solchen Saal. Das wird ein Tontechniker wenn wir ihn fragen würden ohne weiteres bestätigen, glaube ich. Bei Abbado habe ich im Kopf, dass es so klingt, als ob das Instrument draußen im Foyer spielt, wie ich es hier im Konzert in der Bielefelder Oetker-Halle erlebt habe. :hello:


    Mit der Raumwiedergabe ist das wirklich eine heikle Sache! Ich hatte zuerst ein ausgeliehenes Kabel und wegen der Bananenstecker brauchte ich einen Adapter für meinen LS (die Anschlüsse sind unten auf der Bodenplatte). Bestellt habe ich dann eines mit Kabelfüßen an der Seite des LS. Dasselbe Kabel, aber es klingt nun anders. Der Adapter ist ein zusätzlicher Widerstand wegen der Stecker. Vorher hatte ich so eine Art Guckkasteneffekt - jetzt ist die Tiefenräumlichkeit auch da, aber die Abbildung ist größer, die Instrumente stehen vor einem, wie wenn man im Parkett unten im Konzertsaal sitzt. Ich hoffe nur, dass ich in der neuen Wohnung keine böse Überraschung erlebe, was den Raum angeht! :D


    Herzliche Grüße
    Holger

  • Anyway ... wir werden das nicht lösen können :-( Mich würde aber sehr interessieren, wie es anderen Hörern ergeht. Wer hat die Neumann-Aufnahme und kann von seinen Erlebnissen / Erkenntnissen / Eindrücken berichten?


    Lieber Thomas,


    ich melde mich freiwillig... ;) Vielleicht schaffe ich es ja schon am Wochenende die Aufnahme zu hören und ein, zwei andere zum Vergleich hinzuzuziehen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich habe meine Aufnahmen gerade durchgehört. Dabei ist festzustellen, dass es offenbar zwei Verfahren gibt, das Posthornsolo aufzunehmen: innerhalb des Saales und außerhalb des Saales.



    Neben Neumann gehört Solti zu denjenigen, die das Posthornsolo im Saal platzieren. Es kommt bei Solti von oberhalb des Orchesters in der Mitte. Die aufnahmetechnisch wirklich erstaunliche, exzellente Decca-Einspielung ist die aus der Kingsway Hall in London von 1968. Diese in ihrer expressionistischen Drastik Londoner Aufnahmen Soltis gefallen mir viel besser als seine späteren eher glattgebügelten aus Chicago. Das Posthorn spielt hier wirklich "roh" wie unkultivierte Natur (wahrscheinlich ist das ein Naturhorn) - der Gegenentwurf zu Kejmars schmelzender Schönheit bei Neumann. Aber klanglich ist die Balance ganz ähnlich wie in der Neumann-Aufnahme aus dem Rudolfinum. Auf dem Bild kann man erkennen, wie die Innenarchitektur des Saales ist. Der Solist steht wohl dort auf dem erhöhten Podium hinter dem Orchester unterhalb der Orgel:


    kingsway.jpg


    Alle anderen Aufnahmen platzieren das Posthorn außerhalb des Saales, so Bernstein mit dem New York PHO (DGG). Mir ist das schon zu leise.



    Noch extremer ist Abbado mit den Wiener Philharmonikern:



    Mit dieser Aufnahme bin ich in der Jugend großgeworden, heute gefällt sie mir interpretatorisch am wenigsten - das ist Mahler, von den Wiener Philharmikern ästhetisiert. Schönklang statt spritziger Humor. Aufnahmetechnisch ist das auch nicht das Gelbe vom Ei. Das Orchester ist eingefangen wie im Konzertsaal von der letzten Reihe aus. Und das Posthorn ist so extrem weit weg (noch deutlich weiter als bei Bernstein), dass man es fast nur noch erahnen kann. Ein mattes Echo nur noch.


    Fabelhaft von der Orchesterleistung her ist Haitink mit dem Chicago SO - wenn auch nicht so anspringend beschwingt wie Neumann und Solti. Auch ist das sehr gut aufgenommen:



    Auch hier haben sie das Posthorn in einem Nebenraum platziert. Aber deutlich vorteilhafter als bei Bernstein und Haitink. Ich habe in diesem Saal ein Beethoven-Konzert mit dem Chicago SO dort gehört in Haitinks letztem Jahr als Chef. Auf dem Bild ist zu sehen, dass es Türen auf der Empore gibt. In diesen Räumen dahinter (wahrscheinlich die Aufenthaltsräume für die Musiker) steht wohl der Solist:


    CBOI%20%20at%20Chicago%20Symphony%20Hall%203%20smaller.jpg


    Es ist letztlich eine Geschmacksfrage, was man lieber mag. Ich bevorzuge eindeutig die präsenteren Aufnahmen von Solti und Neumann. Denn da bekommt das Posthornsolo "Persönlichkeit", Individualität, die es nun mal hat. In den anderen Fällen wird genau diese durch die fehlende Nähe tendentiell nivelliert, es dominiert nur noch die abstrakte Fernwirkung als solche. Man darf ja auch nicht ergessen, dass es hier eine Parallele zu dem Mahler Wunderhorn-Lied "Ablösung im Sommer" gibt:


    Gustav Mahler: Ablösung im Sommer


    Kuckuck hat sich zu Tode gefallen
    An einer grünen Weiden.
    Kuckuck ist tot! Kuckuck ist tot!
    Wer soll uns denn den Sommer lang
    Die Zeit und Weil vertreiben?


    Ei, das soll tun Frau Nachtigall,
    Die sitzt auf grünem Zweige;
    Die kleine, feine Nachtigall,
    Die liebe, süße Nachtigall!
    Sie singt und springt, ist allzeit froh,
    Wenn andre Vögel schweigen.


    Wir warten auf Frau Nachtigall,
    Die wohnt im grünen Hage,
    Und wenn der Kuckuck zu Ende ist,
    Dann fängt sie an zu schlagen!


    „Ablösung im Sommer“: Dietrich Fischer-Dieskau, Leonard Bernstein, Klavier (1968):



    Die letzte Strophe hat Mahler selbst zu der Vorlage hinzugedichtet. Da ist vom Warten auf die Frau Nachtigall die Rede. Man kann druchaus der Meinung sein, dass dies vom Posthornsolo beendet wird, die virtuose Sängerin nun endlich erscheint. Zu hören ist der schmelzende schöne Gesang, für den die Nachtigall steht (vor der zweiten Sequenz des Posthorns bekommt der Kuckuck ja richtig panische Angst!). Und diese betörende Gesanglichkeit will man doch schließlich genießen nicht nur aus weitester Ferne.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Mit dieser Aufnahme bin ich in der Jugend großgeworden, heute gefällt sie mir interpretatorisch am wenigsten - das ist Mahler, von den Wiener Philharmikern ästhetisiert.


    Lieber Holger
    dafür darf man aber nicht nur die Wiener zur Verantwortung ziehen, sondern muss auch den Namen des Dirigenten nennen: Claudio Abbado, R.I.P. Das erwähne ich deshalb, weil mir auch seine spätere zweite Einspielung mit den Berlinern nicht recht gefallen hat.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • dafür darf man aber nicht nur die Wiener zur Verantwortung ziehen, sondern muss auch den Namen des Dirigenten nennen: Claudio Abbado, R.I.P. Das erwähne ich deshalb, weil mir auch seine spätere zweite Einspielung mit den Berlinern nicht recht gefallen hat.

    Ja, lieber Lutgra. Mir haben die Hörschnipsel der Berliner Aufnahme auch nicht gefallen. Ich mag ja sonst Abbados Feinsinn und Delikatesse, aber hier finde ich das in der Tat nicht so glücklich (Jessye Norman ist bei "Oh Mensch gibt acht..." natürlich toll!). Sehr gut dagegen gelingt ihm die 4. Die mag ich nach wie vor sehr. Hat er die 3. eigentlich auch in Luzern gespielt? Beim ganz späten Abbado kann ich mir auch die 3. deutlich packender vorstellen!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Ich habe gerade meine Aufnahmen durchgehört. Dabei ist festzustellen, dass es offenbar zwei Verfahren gibt, das Posthornsolo aufzunehmen, innerhalb des Saales und außerhalb des Saales.

    Ich habe bisher dreimal Mahlers Dritte live erlebt, in Essen mit den Bochumer Sinfonikern unter Steve Sloane, in Köln mit dem Gürzenich-Orchester unter Markus Stenz und in Berlin mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle. Alle drei Male spielte das Posthornsolo außerhalb des Podiums, wobei ich nicht mehr genau weiß, ob in Berlin der Spieler auch außerhalb das Saales war, aber in Köln und Essen war es definitiv so, da kam der Klang durch die geöffnete Seitentür.
    Von allen drei Live-Erlebnissen war mir Berlin am tiefsten. Da flossen beim Posthornsolo rund um mich herum (auch bei mir selbst) reichlich die Tränen. Es war sicherlich das Konzert, das neben der Sechsten und Neunten (noch mehr als die Zweite und Achte) am tiefsten auf mich gewirkt hat. Die Dritte ist meine Lieblingssymphonie.
    Ergänzend dazu muss ich sagen, dass ich in den beiden Mahler-Jahren 2010 und 2011 bis auf die Erste (von vornherein ausverkauft) alle anderen Sinfonien mit den BPh und Rattel live erlebt habe.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hat er die 3. eigentlich auch in Luzern gespielt?


    Lieber Holger,


    ja, er hat. Und zwar in 2007. Ich hatte das Konzert bei "Classica" gesehen und gehört und war begeistert. Das Posthorn spielte übrigens außerhalb des Konzertsaals.


    Auf CD kann man dem Ergebnis leider nicht lauschen, wohl aber auf DVD:


    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler



  • Ich habe mir gerade heute diese Box bestellt, da ich mir zu Weihnachten neben einem UHD-Fernseher (55 Zoll) einen Blue Ray Player gönnen werde, der in der Lage ist, die Bildinformationen auf die vierfache Auflösung hochzurechnen. Die Achte und Neunte gibt es leider, wenn ich mich recht entsinne, nur mit dem BPh und auf DVD. Auch die sind zu mir unterwegs.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Guten Morgen Holger,


    Solti, Abbado (Wien und Berlin) sowie Haitink kenne ich leider nicht, kann da also nix rechtes zu sagen.


    Interessant finde ich Deine Aussagen: "Alle anderen Aufnahmen platzieren das Posthorn außerhalb des Saales, so Bernstein mit dem New York PHO (DGG). Mir ist das schon zu leise." ... und "Es ist letztlich eine Geschmacksfrage, was man lieber mag. Ich bevorzuge eindeutig die präsenteren Aufnahmen von Solti und Neumann. Denn da bekommt das Posthornsolo "Persönlichkeit", Individualität, die es nun mal hat" Da kommen natürlich persönliche Präferenzen ins Spiel, die völlig natürlich sind. Mir gehts - wie schon gesagt - genau anders herum: den Effekt finde ich zerstört, wenn das Posthorn (oder Äquivalent) (zu) dominat tönt. "In den anderen Fällen wird genau diese durch die fehlende Nähe tendentiell nivelliert, es dominiert nur noch die abstrakte Fernwirkung als solche." Eben gerade das kann ich nicht nachvollziehen ... ich empfinde, dass die (ja beabsichigte) Fernwirkung hier ein Schlüssel zur Wirkung des Stücks ist. Und wahrlich schlecht geblasen sind sie ja in anderen Einspielungen ebenfalls nicht :-)


    Anyway ... ich freu mich , dass sich Norbert das mit einklinkt (Danke lieber Norbert dass Du Dich da opferst :-) ).


    Geradezu famos ist übrigens auch - ich höre sie gerade - die Einspielung von Mariss Jansons und dem SOBR aus einer Rundfunkaufnahme von 2010 - unbearbeitet RAW aus dem Äther. Herrlich. Ich denke, der Bläser war hier auch im Raum und sein Spiel ist recht präsent, aber halt mir dem Quäntchen Fernwirlung die es braucht.


    Beste Grüße
    Thomas

  • Da kommen natürlich persönliche Präferenzen ins Spiel, die völlig natürlich sind. Mir gehts - wie schon gesagt - genau anders herum: den Effekt finde ich zerstört, wenn das Posthorn (oder Äquivalent) (zu) dominat tönt.

    Lieber Thomas,


    die Frage ist aber - und das ist nicht nur eine der persönlichen Präferenz, sondern eine allgemein hermeneutische - ob es da vornehmlich um den "Effekt" geht oder nicht doch um mehr. Es wird sicher in der Partitur stehen, dass dort diese Fernwirkung realisiert werden soll. Und woher Mahler das hat, ist auch klar: von seiner Eichendorff-Lektüre. Der Hornklang ist in der Romantik Chiffre der Sehnsucht nach der Unendlichkeit und das "Herübertönen" unterstreicht dies durch den Fernklang. Aber das Posthornsolo ist zugleich mehr als ein romantischer Effekt. "Kuckuck hat sich zu Tode gefallen" verkörpert eine humoristische, ironische Satire. Da gibt es eine deutliche Parallele zur 2. Symphonie. Auch da ist der Scherzo-Satz eine "Satire über das dumme Menschenvolk" (Mahler), nämlich die Fischpredigt, eine nutzlose Predigt ("die Predigt hat g´fallen, sie bleiben wie allen"). Die Menschenwelt zeigt sich als verkehrte Welt (Mahler bezeichnet sie in seinen Briefen wörtlich als "Lügenwelt"), die allerdings in der 3. nicht mit Bitterkeit, sondern mit humoristischer Milde betrachtet wird. Es ist natürlich grotesk, dass die Nachtigal, Inbegriff der virtuosen Sängerin und des schönen Gesangs, nur als Ersatz für den einfältigen und eindimensionalen Ruf des Kuckucks fungiert, der das gesellschaftliche Unterhaltungsbedürfnis befriedigt. Da die Welt nicht zu retten ist nach Mahler, sucht er Erfüllung anderswo - nämlich in der Natur. Und diese "Rettung" wird bei Mahler immer wieder als "Durchbruch", als novellistischer Einbruck von außen gewissermaßen, gestaltet. Dafür gibt es in Mahlers Symphonik zahlreiche eindrucksvolle Beispiele. Im Scherzo der 2., der Fischpredigt, kommt der Durchbruch durch die Engelstrompeten und das anschließende Wiegenlied, was für den Stillstand des sinnlosen Weltgetriebes und den Einkehr von Ruhe steht. Aber weil dies nicht von Dauer ist, der Einspruch des Himmels letztlich vergeblich, erscheinen die Engelstrompeten nochmals - und dann sehr zornig! Das Posthornsolo ist auch ein solcher "Durchbruch", den Mahler allein schon dadurch kennzeichnet, dass das Orchesterkollektiv komplett schweigt, beim plötzlichen Auftauchen dieses wahren Schönen zum Verstummen verurteilt ist. Da spielt ein Solo wirklich Solo. Genau damit kommt die typisch Mahlersche Durchbruchs-Semantik zum Zuge, dass die "Lügenwelt" als gesellschaftliches Kollektiv außer Kraft gesetzt ist. Der Konflikt von Individuum und Gesellschaft - letztlich von Mahler selbst als Individuum, der an der "Lügenwelt" leidet, bricht hier gleichsam mit durch. Ein virtuoses Bläsersolo wäre im Konzert die Kadenz, wo der Virtuose seine Individualität auslebt, in improvisatorischer Freiheit seine Virtuosenherrlichkeit für einen Moment ausleben darf, ohne alle Orchesterdisziplin. Das spielt hier eine Rolle und gehört mit zum romantischen Kontext - die Natur rettet das arme, von der Gesellschaft gequälte Individuum, stellt seine Souveränität wieder her. Dieses Schöne soll natürlich Präsenz, sogar Omnipräsenz, haben, das ist seine befreiende Wirkung. Auch bei Neumann klingt das Posthornsolo sehr atmosphärisch und der Durchbruchscharakter wird realisiert nicht zuletzt durch den Gegensatz von humoristischem Orchesterstaccato und dem schmelzenden Legato und hat vor allem diese befreiende Omnipräsenz eines erfüllenden, den Menschen einhüllenden und von der (Orchester-)Gesellschaft absondernden Naturerlebnisses. Die Tonkonkonserve kommt hier leider an ihre Grenzen! Im Konzertsaal (ich habe es selbst erlebt und einige andere , wie Willi z.B. auch) erleben wir das Solo wesentlich präsenter, auch wenn es draußen außerhalb des Saales spielt als auf der CD, wo es dann eher künstlich wie ein Echo wirkt. Umgekehrt wird das Solo im Saal vor Ort in Prag oder London mehr Fernwirkung haben als abgespielt von der Tonkonserve im heimischen Wohnzimmer. Hier zeigt sich letztlich, um einen anderen Threadtitel zu zitieren, dass die noch so gute Anlage zuhause eben doch nicht der Konzertsaal ist, ein Konzerterlebnis nicht wirklich "reproduzieren" kann. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Holger, ich bitte um Nachsicht, wenn ich hier aus der Diskussion aussteige ... ich vermag nicht, Dir hier zu folgen. Mir fehlt da die philosophische Ader, um mich hierauf einzulassen. Alles was Du schreibst hört sich recht prima an, mag auch so sein, hat aber letztendlich mit dem, was ich zu dieser Aufnahme zur Diskussion gestellt habe, aktuell recht wenig zu tun.

    Zitat

    ...
    Es wird sicher in der Partitur stehen, dass dort diese Fernwirkung realisiert werden soll. Und woher Mahler das hat, ist auch klar: von seiner Eichendorff-Lektüre. Der Hornklang ist in der Romantik Chiffre der Sehnsucht nach der Unendlichkeit und das "Herübertönen" unterstreicht dies durch den Fernklang.
    ...

    Hm, eigentlich hast Du es hiermit recht trefflich formuliert :-) Das hat Sinn, das ist stimmig und das ist "gefühlt" richtig (für mich halt). Ob das Gustav Mahler nun so "wirklich" gewollt hat, ob "wirklich" gewusst hat was er da tat, vermag ich nicht zu beurteilen und selbst Dein Folgestatement ...

    Zitat

    Aber das Posthornsolo ist zugleich mehr als ein romantischer Effekt.
    ff


    ... ist für mich dann eine persönliche Interpretation (die jedem natürlich zusteht), aber ab hier kann ich nicht mehr folgen ...


    Ich hoffe auf Dein Verständnis ..


    Beste Grüße
    Thomas

  • Ich muß mich jetzt hier mal auf Thomas' Seite schlagen. Die Posthorn-Episode ist eindeutig von Mahler so gedacht, wie er es beschreibt, als von fern herüberklingend, was man üblicherweise aus dem Treppenhaus heraus oder ähnlich realisiert. Ich kann das zwar nicht anhand der Partitur belegen, aber ich habe Zeugen:


    Charles Adler, Dirigent und Schüler von Mahler, Mithelfer bei der Einstudierung der 8. Symphonie, ist der einzige Mahlerschüler, der die Dritte aufgenommen hat, 1953. Habe ich gerade gehört und er spielt es mit Fernklang.


    Michael Gielen, der Dirigent, der die Partituranweisungen Mahlers vermutlich genauer befolgt hat als jeder Dirigent vor und nach ihm, spielt es so.


    Jascha Horenstein, dessen Aufnahme 20 Jahre als die Referenz schlechthin galt, spielt es so.


    Lieber Holger
    bei aller Liebe und interessanten philosophischen Betrachtungen, es ist einfach so. Das Posthorn bei Neumann ist lauter als vom Komponisten gedacht. Nun muß sich kein Dirigent sklavisch an die Partituranweisungen halten (das wäre ja auch langweilig), die meisten Beethoveninterpreten ignorieren die Metronomangaben und mit den Wiederholungen hält es auch jeder wie er will, aber man muß es begründen können. Du hast gute Gründe dafür geliefert, dass man es so machen kann, aber es entspricht nicht der Intention von Mahler.


    Es macht ja auch keinen Sinn, wir sind im Wald, was hat dort der Postillion verloren, der hat sich doch nicht verirrt. Nein, der ist im Dorf etwas weiter weg.

  • Holger, ich bitte um Nachsicht, wenn ich hier aus der Diskussion aussteige ... ich vermag nicht, Dir hier zu folgen. Mir fehlt da die philosophische Ader, um mich hierauf einzulassen. Alles was Du schreibst hört sich recht prima an, mag auch so sein, hat aber letztendlich mit dem, was ich zu dieser Aufnahme zur Diskussion gestellt habe, aktuell recht wenig zu tun.

    Lieber Thomas,


    speziell zur 3. Symphonie gibt es von Mahler selbst sehr viele "erklärende" Aussagen, diverse Programmentwürfe und eben die betreffenden Aussagen in Briefstellen und andere authentische Quellen. Damit habe ich mich ausführlich beschäftigt, Mahler ist halt mein "Steckenpferd"! :D Bei Mahler muß man auch wissen, dass er eine "Leseratte" war. Er las nicht nur in jeder freien Minute Literatur, sondern hat seinen Schwestern u.a. aus Nietzsches Zarathustra vorgelesen (was gerade bei der 3. eine große Rolle spielt, "Oh Mensch gibt acht..." ist "Das andere Tanzlied" aus dem Zarathustra). Er hat sogar Helmholtz gelesen (also Erkenntnistheorie), Schopenhauer sowieso, hatte also eine ausgeprägte philosophische Ader. Zum Schlußsatz der 3. sagte Mahler, es ginge darum, "das Ixionsrad der Erscheinung stillzustellen". Das ist ein Schopenhauer-Zitat! Diese Mahler Symphonie ist philosophisch - von der Konzeption des Humors ganz zu schweigen


    bei aller Liebe und interessanten philosophischen Betrachtungen, es ist einfach so. Das Posthorn bei Neumann ist lauter als vom Komponisten gedacht. Nun muß sich kein Dirigent sklavisch an die Partituranweisungen halten (das wäre ja auch langweilig), die meisten Beethoveninterpreten ignorieren die Metronomangaben und mit den Wiederholungen hält es auch jeder wie er will, aber man muß es begründen können. Du hast gute Gründe dafür geliefert, dass man es so machen kann, aber es entspricht nicht der Intention von Mahler.


    Es macht ja auch keinen Sinn, wir sind im Wald, was hat dort der Postillion verloren, der hat sich doch nicht verirrt. Nein, der ist im Dorf etwas weiter weg.

    Lieber Lutz,


    man darf nicht vergessen, dass Mahler ein "Orchesterpraktiker" war, der seine Partituren nach Proben und Aufführungen regelmäßig umschrieb und den Aufführungsbedingungen anpaßte. Und die Tschechische Philharmonie gehört neben dem Concertgebouw Orkest zu den originären Mahler-Orchestern, die mit Uraufführungen seiner Symphonien bertraut waren. D.h. wie bzw. wo das Posthornsolo gespielt wird, ist vermutlich eine Aufführungstradition. Dagegen hätte Mahler als "Praktiker" der er war sicher nichts einzuwenden gehabt. Ich habe leider keine ältere Aufnahme aus dem Rudolfimum (mit Talich oder Ancerl gibt es sie wohl nicht), wo man sehen könnte, ob dies wirklich so ist. Von Sdenek Macal gibt es eine neuere Aufnahme aus Prag, die ich allerdings nicht habe. Ich gehe davon aus, es klingt dort genauso wie bei Neumann, was dann für eine solche Tradition sprechen würde. Solche Orchester benutzen in nicht wenigen Fällen Partituren, die über Generationen vererbt werden. Vielleicht ist dort sogar vermerkt, wie das Posthornsolo im Rudolfinum zu stellen ist. Es liegt also bestimmt nicht nur an Neumann, dass das Posthorn im Saal platziert wird, sondern hat - ich vermute mal stark - etwas mit den akustischen Besonderheiten des Rudolfinums zu tun. Vielleicht läßt sich da der Solist außerhalb des Saales nur akustisch sehr unvorteilhaft stellen. Ich hatte früher auch die LP und habe das Posthornsolo dort nie als zu laut empfunden. Von der Semantik her liegt das "im Rahmen" - man kann es auch so machen und Mahler damit voll gerecht werden. Ich empfinde das sogar als Gewinn! Das ist einfach unglaublich schön - und genau das soll es sein! (Adorno hat hier unrecht, der das für häßliche und triviale U-Musik hält.) :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich habe leider keine ältere Aufnahme aus dem Rudolfimum (mit Talich oder Ancerl gibt es sie wohl nicht), wo man sehen könnte, ob dies wirklich so ist.

    Nein, weder Talich noch Ancerl haben die 3. eingespielt, von Talich gibt es m.E. gar keine Mahleraufnahmen, von Ancerl 1. und 9. Letztere ist eine der Besten, auch besser als die von Neumann mit dem gleichen Orchester.


    M.W. nach ist die Aufnahme mit Charles Adler die erste, ich kenne jedenfalls keine Ältere, weder Walter noch Klemperer mochten diese Symphonie dirigieren.


    Als Mahlerenthusiast müsstest Du die eigentlich mal hören:


    The now legendary, 60 year old Charles Adler studio recording with the Vienna Symphony Orchestra of the Symphony No. 3 by Gustav Mahler, has once again been re-issued with broad distribution to the general market, with sound restorations done by A. Z. Snyder in 2010. This pioneering interpretation has always been highly respected and recognized as one of the best and most idiosyncratic versions ever recorded. It set the bar for all other conductors to follow. Only seven days prior to this recording, Adler had conducted the Vienna Symphony Orchestra, alto Hildegard Rössl-Majdan, the Vienna Women's Choir and the Vienna Boys Choir in a broadcast performance for Austrian Radio. Therefore with these forces completely rehearsed, he led this recording for SPA (a record label he co-founded), which was completed in one single day on April 27, 1952.


    Because this was one of the very first recordings of this symphony, and of any Mahler symphony for that matter, Charles Adler had carte blanche over its interpretation, and took full advantage of that opportunity. The first movement in particular has a scope, a far reaching grasp, that has often been copied, but never quite matched. The inner orchestral movements clearly demonstrate why the Vienna Symphony Orchestra has always been considered one of the top ensembles in the world, with each section of the orchestra constantly setting the bar for the next to follow, particularly remarkable in the third movement. Alto Hildegard Rössl-Majdan provides a touching rendition of the setting to the text in the fourth movement, and the Vienna Boys Choir bring the proper angelic sound to the text in the fifth. In one of the slowest interpretations, at just over 26 minutes, of the final movement, Adler delivers a truly Mahlerian experience of one of this composer's most inspired moments. The extended crescendo that begins at the 24:15 mark is simply astounding in its control and dynamic power.


    The Krenek version, with additions by Zemlinsky and Schalk, edited by Otto Jokl for publication, is the score of theSymphony No. 10 used in this live recording, issued here for the very first time. It clearly demonstrates the curiosity and interest that conductors of Adler's stature brought to this unfinished work. Even though this was one of the very early accounts of this symphony, Adler demonstrates a confidence and deep understanding of Mahler's intent.


    The sound quality in this Music and Arts restoration of this 60 year old mono recording is quite remarkable. Aside from some rare moments of a slight bit of congestion in the louder passages, this recording certainly does not reveal its age. If you have missed the opportunity to acquire this iconic recording in the past throughout its many reincarnations and reissues, now is your chance to obtain a copy. The booklet notes are detailed and informative, and even include pictures of the original jacket covers and concert programs, along with extensive and informative footnotes.


    Einige weitere interessante diskographische Hinweise findest Du hier .

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  • Nein, weder Talich noch Ancerl haben die 3. eingespielt, von Talich gibt es m.E. gar keine Mahleraufnahmen, von Ancerl 1. und 9. Letztere ist eine der Besten, auch besser als die von Neumann mit dem gleichen Orchester.

    Die Ancerl-Aufnahmen habe ich natürlich, lieber Lutz. Ganz ausgezeichnet sind sie - mit deutlichen Ähnlichkeiten (aber auch Unterschieden) zu Neumann, was für sehr dominante Spietraditionen in Prag spricht, mit denen die Dirigenten konfrontiert werden (und letztlich wenig daran ändern können)! Besser oder schlechter würde ich hier nicht sagen. :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Du meinst diese Aufnahme hier, lieber Lutz:



    Ich selber habe die Partitur bzw. Taschenpartitur nicht, werde aber jemanden fragen, von dem ich weiß, dass er sie hat. :D Die erste (immer noch exemplarische) Gesamtdarstellung aller Mahler Symphonien ist das vielzitierte Buch von Paul Bekker von 1920. Auch da werde ich reinschauen, was Bekker speziell zum Posthornsolo schreibt. Es dauert allerdings etwas, weil ich heute in zur neuen Wohnung fahren muß und die Schlüssel bekomme (Umzugsvorbereitungen fressen Zeit) ... :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Bei mir schleicht sich gerade bisserl Konfusion ein ... gibt es diese Einspielung unter Charles Adler zwei mal? Zwei mal nahezu identisch?
    Die von Lutgra vorgestellte und von Holger abgebildete Aufnahme stammt aus 1952; ich habe eine Version (von Harmonia mundi Franc), die als Aufnahmedatum 1961 ausweist (Enregistrement 1961, P1987.)

    Gleiche Solisten (Rössl-Kajdan - Alt, Schneiderhahn - Violine, Koerner - Posthorn), gleiche Spielzeiten.
    Als Orchester ist das "Orchstre du Wiener Konzertverein" sowie als Chor die "Le petites chanteurs de Vienne" angegeben ... . (ich dachte immer, dass das Orchester des Konzertvereins die späteren Wiener Philharmonikern waren)?


    Oder ist da irgendwo ein Fehler passiert?


    Anyway, im booklet (von Carl de Nys, 1961) steht unter anderem:
    Zitat: "Bei der Arbeit an der klanglichen Rekonstuktion der Originalaufnahme (1961) wurde auf jegliche künstliche Stereophonisierung, sowie auf zusätzliche Echoeffekte verzichtet".
    Zitat: "Nimmt der Hörer die Partitur des Werkes zur Hand, so mögen ihm gewisse Abweichungen von unserer Aufname auffallen ; die Schallplatte gibt jedoch die Fassung Mahlers wieder, denn der Komponist hatte nach der Veröffentlichung der Textes einige Korrekturen vorgenommen, welche Charles Adler durch Mahler selbst bekannt waren."


    Grüße
    Thomas

  • Es gibt mit Sicherheit nur eine Aufnahme, d.h. die Angaben auf der Harmonia mundi CD sind falsch. Möglicherweise haben die die Rechte an dieser Aufnahme 1961 erworben.

  • Es gibt mit Sicherheit nur eine Aufnahme


    mit Sicherheit?
    Es gibt 2 Aufnahmen, eine Studioaufnahme und eine Liveaufnahme, beide aus 1952.

    Die Liveaufnahme in den ORF-Studios vom 20.04.1952 erschien auf CD nur bei Tahra.

    Die Studioaufnahme von SPA vom 27.-29.04.1952 erschien auf CD bei verschiedenen Labels.
    Wenn bei der Harmonia Mundi France das Aufnahmejahr mit 1961 angegeben wird,
    so ist damit das Jahr der Rekonstruktion gemeint.
    Zitat: "Bei der Arbeit an der klanglichen Rekonstuktion der Originalaufnahme (1961) wurde auf jegliche künstliche Stereophonisierung, sowie auf zusätzliche Echoeffekte verzichtet".
    Die Original-Aufnahme der CD von Harmonia Mundi ist die (1961 rekonstruierte) SPA-Aufnahme und demnach identisch mit der (2010 von Snyder rekonstruierten) SPA-Aufnahme auf der CD von Music & Arts.

    mfG
    Michael

  • Es gibt 2 Aufnahmen, eine Studioaufnahme und eine Liveaufnahme, beide aus 1952.

    o.k. man lernt nie aus, all diese Radiomitschnitten, die immer wieder auftauchen, kann man ja auch nicht alle kennen. Gibt es irgendwelche relevanten Unterschiede zwischen den beiden Aufnahmen? Sie sind innerhalb einer Woche entstanden.

  • Gibt es irgendwelche relevanten Unterschiede zwischen den beiden Aufnahmen? Sie sind innerhalb einer Woche entstanden.


    Ich besitze beide Aufnahmen nicht und kann deshalb nicht selbst vergleichen.
    Die ORF-Liveaufnahme soll schneller sein,
    (vielleicht mußte sie in die beschränkte Sendezeit des Rundfunks passen?)
    allein das Finale soll bei der SPA-Aufnahme 5 Minuten länger dauern.
    Mehr als die Tempounterschiede ist mir nicht bekannt.
    The two accounts are quite similar: same orchestra, chorus & soloist (the lovely Hildegard Roessel-Majdan), but the studio version's last mvt. runs about five minutes longer and is even more overwhelmingly eloquent.

    mfG
    Michael

  • Den letzten Satz des Konzertes gibt es auf youtube. Dem überwältigenden Eindruck dieses Konzertendes konnte auch ich mich nicht entziehen. Phänomenal, was der schwer gezeichnete Dirigent und sein Orchester hier bieten.


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