Blind aus Notdurft - Kunst und Elend der Übersetzung

  • Hallo allerseits :hello:


    Die Idee zu diesem Thread, von dem ich nur hoffen kann, dass er Interesse und Anklang findet, wurde aus drei anderen geboren, die für mich das Thema nicht ganz abdecken können, weil sie es gar nicht wollen.


    Zum einen ist es die laufende Diskussion um eine möglichst textgetreue Inszenierung, die schon mit genügend Problemen zu kämpfen hat um nicht auch noch das Problem des fremdsprachigen und womöglich noch altmodischen Textes für unsere Wahrnehmung berücksichtigen zu können.


    Zum zweiten ist es eine Diskussion in Noch ein Intendant gesucht. Dieser Thread geriet spätestens bei der Frage der Repertoirekenntnis und der akzeptierten Notwendigkeit ins Stocken, Stücke des Musiktheaters, in dem gesprochene und gesungene Passagen einander abwechseln, in deutscher Sprache zugänglich zu machen, weil sie ihrer möglichen Popularität im Original nicht gerecht werden können.


    Zum dritten und ganz aktuell eine Diskussion um die spezifische Schwierigkeit der Übersetzung einer Stelle in einer Offenbach-Operette, die noch nicht einmal auf einen Gesangstext zurück geht, die besondere Schwierigkeit aber gut illustriert: OFFENBACH Jacques: LES DEUX AVEUGLES oder DIE BEIDEN BLINDEN .Auf die bezieht sich der merkwürdige Titel dieses Threads.


    Was er nicht sein will, ist eine Diskussion um Opernaufführungen im Original oder in einer Übersetzung. Die gehört nach wie vor in diesen Thread: Oper - Original oder Übersetzung. Darin habe ich mich schon festgelegt, dass ich Opern, die man bei den heutigen internationalen Besetzungen und der jammervoll vernachlässigten guten Aussprache im Gesang ohnehin kaum versteht, lieber im Originalklang, also auch mit den Worten und Silben hören möchte, auf die die Musik komponiert wurde:


    Hier gehe ich davon aus, dass es sinnvoll, wenn nicht notwendig ist, Opern und vor allem die Operetten eines Offenbach, von Gilbert & Sullivan und ähnlich herausragender Komponisten, deren Erfolg nicht zuletzt von ihrem (Wort-)Witz abhängt, zu übersetzen. Uns allen ist wohl bewusst, dass eine solche Übersetzung eine notwendige Krücke ist, die dem Original nie ganz gerecht wird. Wenn es aber notwendig ist, welche Prioritäten sind zu setzen? Das klare Verständnis? Klang und Rhythmus des Originals? Die Qualität des Witzes? Natürlich am besten alles, aber das geht nicht immer, wie schon bei dem winzigen Beispiel aus LES DEUX AVEUGLES zu erkennen ist.


    Bevor ich nun all zu viel Zeit in die Recherche von Beispielen etc. investiere, möchte ich drei Fragen in die Runde geben:


    1. Interessiert Euch das Thema überhaupt oder ist es zu speziell?


    2. Welche Beispiele guter Übersetzungen (ganze Werke oder bestimmte Stellen bzw. Passagen) kennt Ihr und warum findet Ihr sie geglückt?


    3. Wie könnt Ihr Euch eine Lösung des Problems vorstellen, das in dem Thread über LES DEUX AVEUGLES konkret angesprochen wurde? Antworten darauf können gerne auch in dem entsprechenden Thread gepostet werden.


    In neugieriger Erwartung Eurer Rückmeldungen


    :hello: Rideamus

  • Ein paar Worte zu den Opern.
    Ich genieße es schon, Rossinis Opern nicht nur zu hören, sondern auch zu verstehen, auch wenn die deutsche Sprache dafür (möglicherweise) zu "schwerfällig" ist. Ich möchte nicht vor der Vorstellung den Text auswendig lernen, um mich bei den passenden Stellen planmäßig zu amüsieren.
    Da wir im Zeitalter der Technik leben, ist die Projektion der Texte in der gewünschten Sprache kein allzugroßes, technisches Problem. Dem
    geneigten Betrachter stellt es allerdings vor die Entscheidung, sich zum Mitlesen, und/oder zum Mitschauen zu entscheiden.
    Das bekommt man aber hin.


    Die eigentliche Ursache, warum die Werke in Originalsprache aufgeführt werden, sehe ich nicht sosehr in der Werktreue, sondern in der Internationalisierung des Musikbetriebes, der nicht gegengesteuert werden kann. Die gefeierte Mezzo/Sopranistin/Altistin aus Litauen oder Nischninowgorod wird zu ihrer Landessprache die Partie nicht noch auf deutch, englisch und französisch einstudieren wollen und können.


    Aus diesem Kontext ist mir eigentlich nicht klar, warum hier eine Unterscheidung zwischen Oper, Musical und Operette getroffen werden sollte.
    Warum sollte ich nur Offenbach'sche Operetten- und Musical-Texte übersetzen?


    Deshalb betrachte ich den Wunsch nach Übersetzungen als einen der nicht erfüllbaren Sorte.

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Lieber Rienzi,


    Deine Bedenken und Wünsche kann ich nachvollziehen. Sie wurden in dem Thread über Opern in Original oder deutsch auch schon weidlich ausgetauscht und sollten dort ruhig weiter diskutiert werden.


    Mein Ansatz resultiert einerseits aus genau dem Problem, das Du ansprichst, ist aber ein eher technischer. Ich unterstelle nach eingehender Analyse, dass die von mir eigentlich bevorzugte Lösung der Übertitel (oder Untertitel im Film) nicht (mehr) gut ankommt und wir auf eine noch größere Repertoireverarmung zusteuern, wenn man den offensichtlichen Bedarf des Publikums ignoriert.


    Deshalb versuche ich heruszufinden, ob es einen Weg des geringstmöglichen Übels gibt, und der führt für meine Begriffe über GUTE Übersetzungen. Die Wahl von Offenbach & Co. ist für mich nur eine der besonders Bedürftigen, keine apodiktische Festlegung.


    :hello: Rideamus

  • Hallo Rideamus,


    ich hatte mal ein ähnliches Problem, nachdem ich als Schüler Wildes "Bunbury" in einer Tourneetheateraufführung gesehen hatte. Der englische Originaltitel lautet ja "The importance of being earnest", was wörtlich übersetzt ja soviel wie "Die Bedeutung, ernst zu sein" heißt. Als Alternativtitel gibt es im Deutschen auch noch "Ernst sein ist alles". Nun geht es in dem Stück ja unter anderem um zwei Damen, die beide der felsenfesten Auffassung sind, sich nur in jemanden verlieben zu können, der "Ernst" heißt, aber keinesfalls "ernst" ist. Diese im Stück häufig vorkommende Doppelbedeutung von "Ernst/ernst" spiegelt sich bei dem Titel "Ernst sein ist alles" aber nicht so richtig wider, denn es geht ja einerseits um das "Ernst sein", andererseits aber auch um das "Ernst heißen". Im englischen Original bleibt diese Doppelbedeutung auch nur dann erhalten, wenn man den Titel spricht, denn der englische "Ernst" schreibt sich ja "Ernest" und nicht "Earnest". Wenn man dem Stück im Deutschen aber den Titel "Hauptsache: Ernst" geben würde, hätte man sozusagen die beiden Fliegen mit einer Klappe geschlagen und dabei noch einen Titel gefunden, der dem Original in Sachen Doppeldeutigkeit ein Quentchen überlegen ist.


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Ich bin auch eine grosse Verfechterin der Originalsprache und das vor allen Dingen wegen des Klangs. Töne die zu bestimmten Worten und insbesondere Vokalen komponiert werden klingen anders wenn andere Silben darunter gelegt werden. Als Sänger weiss man z.B. wie wunderbar sich itaienisch singen lässt und wie schwierig es wird, wenn man z.B. plötzlcih eine Puccini-Arie in deutsch vor sich liegen hat und da wo z.B. ein A auf einer sehr hohen Noten war ist dann mit einemmal die Endsilbe "en" .
    Deises Beispiel es soll mitverdeutlichen, dass ich nur in Ausnahmefällenllen, wo es um den Sprachwitz und die unabdingbare Textverständlichkeit vor einem nciht sprachkundigen Publikum geht, bereit bin, eine Übersetzung zu akzeptieren. Ansonsten: nein Danke! :no:
    Man sollte auch bitte das Publikum nicht unterschätzen. Hier in Frankrecih sind die Leute z.B durchaus bereit, deutschsprachige LIED-Konzerte oder Oratorien zu besuchen. Textblätter im Programm reichen da vollkommen.
    Aber nun zu den Fällen, wo ich selbst auch bereit bin,Übersetzungen zu akzeptieren: die angesprochenen Offenbach-Operetten gehören dazu. Musicals eigentlich nciht, denn Englisch-Kenntnisse setze ich einfach mal vorraus. Und nachdem ich das Phantom der Oper in deutsch gehört habe, bin ich für alle Zeit bedient. :no: Das erschien mir in der eigenen Muttersprache um eniges banaler, als es wahrscheinlich ist.
    Bei den alten Broadway Musicals mag das aber besser sein, da fehlt mir der Durchblick.
    Im Moment lerne ich ein Duett aus der Westside-Story(Anita/Maria) in spanisch, womit wir voll beim Thema wären. Hier kann ich das Gazne zwar noch logisch nachvollziehen, weil es die Muttersprache der Protagonisten ist, aber glücklich bin ich damit keineswegs. Und weiss auch nicht, von wem und warum das übersetzt wurde. ?( Meine Duettpartnerin ist Spanierin-das ist wohl eine einleuchtende l Erklärung, aber es GIBT diese Übersetzung soweiso, denn sie hat sie ja nicht selbst hergestellt.
    Um nochmal auf das "Haveugle de nessance" zu kommen(pardon Rideamus und Fantasio, der Thread ist mir wie leider so Viele entgangen)


    Wer will das in all seinen Bedeutungsebenen richtig übersetzen?
    "Blind aus Notgeburt?" iIgendneine subtile Ebene fehlt immer, wie man es auch dreht und wendet :( Solche Wortspile finden sich zu Hauf in guten Operetten und z.B. auch bei Da Ponte gibt es mehr als genug davon!
    Ich war persönlich z.B. beim Orpheus Fliegenduett damit konfrontiert, eine möglcihst gute übersetzung zu finden und mithilfe hiesiger liebenswerter, begabter User zusammenzubasteln. Und das, obschon es bereits Aufnahmen in deutsch davon gibt. Wenn es dann gar ncihts gibt, wie etwa beim Couplet des Cupido....... gäbe es hier nciht soclhe Sprachtalente wie Peter, Rideamus, Fantasio , Principe sässe ich heute noch dran.
    Was deutlich zeigt, welch ein Feld da noch zu beackern ist. Nun aber erstmal Schluss mit dieser etwas wirren Ansammlung von Statements im Statement. :O
    Mich betrifft das Thema jedenfalls serh persönlich und praktisch. :yes:


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen


    Man sollte auch bitte das Publikum nicht unterschätzen. Hier in Frankrecih sind die Leute z.B durchaus bereit, deutschsprachige LIED-Konzerte oder Oratorien zu besuchen. Textblätter im Programm reichen da vollkommen.
    Aber nun zu den Fällen, wo ich selbst auch bereit bin,Übersetzungen zu akzeptieren: die angesprochenen Offenbach-Operetten gehören dazu. Musicals eigentlich nciht, denn Englisch-Kenntnisse setze ich einfach mal vorraus. Und nachdem ich das Phantom der Oper in deutsch gehört habe, bin ich für alle Zeit bedient. :no: Das erschien mir in der eigenen Muttersprache um eniges banaler, als es wahrscheinlich ist.
    Bei den alten Broadway Musicals mag das aber besser sein, da fehlt mir der Durchblick.


    Liebe Fairy,
    danke für diesen Einblick in die Praxis - und aus ihr.


    Wie gesagt, hier geht es nicht darum, welche Fassung vorzuziehen ist, denn da sind wir uns mit der Mehrzahl hier einig, sondern darum, wie man mit einem als notwendig empfundenen Bedarf an deutschen Fassungen am besten umgehen kann. Ich bin nämlich gar nicht so überzeugt, dass man das Publikum immer unterschätzt, wenn man ihm zu wenig zutraut. Mindestens seine Bequemlichkeit in der Mehrzahl kann man anscheinend auch nicht überschätzen.


    So stimme ich gerne dem zu, was Du über das Musical sagst. Nichtsdestoweniger werden (wurden?) die großen Besucherzahlen mit deutschen Sprachfassungen eingefahren, und da scheint es überhaupt nicht zu stören, dass man die oft grausam verkitschten Texte (nicht selten schon des Originals) versteht. Da geht es mir oft wie bei der Popmusik: auf englisch klingen die Texte nie ganz so schlimm, wie sie oft sind. LOVE IS ALL YOU NEED ist ja wahrlich keine Poesie, aber gegen LIEBE IST ALLES, WAS DU BRAUCHST hohe Dichtung.


    Ich gehe hier aber nur von herausragenden Werken mit guten Texten aus, darunter auch viele klassische Musicals, deren Verständlichkeit ihrer Popularisierung helfen könnte. Mir wäre jedenfalls schleierhaft, warum so viele deutschsprachige Operetten mit grauenhaften Texten überleben und so viele mit erheblich besserer Musik, von den Libretti ganz zu schweigen, sich nie bei uns etablieren konnten, WENN nicht auf Grund des mangelnden Textverständnisses. Warum zum Beispiel spielt man immer wieder so etwas wie die MASKE IN BLAU und so gut wie nie Gilbert & Sullivan?


    Hier wurde schon öfters darauf hingewiesen, dass das an der vermeintlichen Unübersetzbarkeit der Texte liegt. Da ist sicher viel dran, aber ich meine, man sollte die Möglichkeiten der deutschen Sprache nicht unterschätzen. Giselher hat da ein wiunderbares Beispiel gegeben, dass es zuweilen sogar Möglichkeiten der VERBESSERUNG von Wortspielen gibt, wenn er auch einen seltenen Glücksfall heraus gegriffen hat. Vielleicht muss man manchmal wirklich etwas freier nachdichten als üblich. Man stelle sich vor, GIlbert hätte die LUSTIGEN NIBELUNGEN ins Englische übersetzt. An Wortwitz hätte es ihm ersichtlich nicht gemangelt, aber er hätte es trotzdem nur gekonnt, wenn er mit der Vorlage sehr frei umgegangen wäre.


    Darauf wollte ich mit meiner, zugegeben etwas zu allgemein und theoretisch formulierten, Einleitung hinaus. Was ist wichtiger: ein sangbarer und möglichst gleichwertiger Text oder eine möglichst große Treue zum Original? Beides ist in der Regel nicht zu erreichen, obwohl es das oberste Ziel bleiben sollte.


    Aber es MUSS doch zu erreichen sein, dass ein so wunderschönes und komisches Stück mit Tiefgang, das voll köstlicher Musik steckt wie Offenbachs BA-TA-CLAN, welches ja seinerseits schon sehr aggressiv mit der Sprache umgeht, auch bei uns öfter gehört wird, zumal es mit relativ geringen Mitteln aufführbar ist.


    :hello: Rideamus

  • Lieber Rideamus, ich bin mir nciht sicher, ob ich deine Frage richtig verstehe. ?(
    Ich fasse mal das zusammen, was ich glaube, verstanden zu haben und bitte dann um Korrektur:
    Du môchtest wortwitzige Operetten und Musicals, mit hochwertigen Libretti die es noch nciht in deutscher Fassung gibt, endlich im deutschen Sprachraum bekannt machen, weil Du glaubst, dass es an der Fremdsprache liegt, dass sie es noch nciht sind. Oder solche neu übersetzt haben, die es nur in schlechter Fassung gibt, von der du annimmst, dass sie der Popularität schadet.
    Da bin ic h natürlich vollkommen d'accord, denn ich lege ebenfalls neben der Musik grossen Wert auf den Inhalt eines Werkes und war der deutschen Operette lange Zeit eher feindlich gesinnt-aus eben diesem Grund.
    Was ich nun nciht ganz verstehe ist: geht es dir um die Frage, wie man diese Werke übersetzten kann oder wie man sie auf dem Markt bringt?
    Zu Ersteren könnte ich evtl etwas beitragen, zu Letzerem eher nciht.
    Einen weiteren Punkt neben der Sprache solltest du aber nciht ausser Acht lassen: die Mentalität. :yes:
    Inwieweit ist das deutsche Operettenpublikum bereit, einen Offenbach oder einen Gilbert/Sullivan "populär" anzunehmen?
    Kann man typische nationale Eigenschaften in Musik und Sprachwitz, den ganzen geistigen Hintergrund einer Nation, so einfach übertragen? Sollte man im Zeitalter der Globalisierung zwar annehmen, aber so ganz überzeugt bin ich davon nciht.
    Allerdings als Gegenbeweis: die Wiener Operette ist hier in Frankrecih äusserst beleibt und natürlich komplett übersetzt, inclusive aller Namen der Protagonisten.
    In Szenen aus der Chauve-souris wurde ich z.B. zu Arlette (statt Adele) und die Trinklieder klingen dann auch mit einmmal ganz anders. Brüderlein.... duidu " in frz ist artomatisch champagnerseliger und frivoler als in deutsch-allein um der Sprache willen.
    Eine Adaption ändert auch den Geist eines Stücks, das ist nciht zu unterschätzen. Bestes Beispiel für mich: der biedere deutsche Orpheus, den man nach dem Minkowski Orpheus leider nciht anders als bieder nennen kann. Auch wenn das evtl kein Deutscher begreift.
    Womit wir mitten im Kern des Problems sind.
    Ich mache mal Schluss, sonst wird es zu unübersichtlich.
    Bin aber bis moirgen abend noch diskussionsbereit.


    Fairy Queen :pfeif:

  • Liebe Fairy,


    Du hast es schon richtig verstanden, wobei ich mir natürlich nicht anmaße, eigenhändig etwas anderes tun zu können, als das Thema aufzubringen und das Meine dazu beizutragen, dass es interessant(er) wird und bleibt.


    Wenn aber ein Intendant oder Verleger hier mitlesen sollte, bitte melden! :D


    Mit der Mentalität sprichst Du einen wichtigen Punkt an, der meines Wissens beim Übersetzen oft übersehen wird. Man muss nicht nur die Sprache, sondern auch die Mentalität adaptieren. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was mit vielen Offenbach-Operetten bisher geschah, denen die deutsche Operettenmentalität übergestülpt wurde, weil man meinte, das Publikum mag es halt so.


    Vielleicht sollte man also weniger von einer Übersetzung reden als von einer Übertragung, worin durchaus auch eine Anpassung und Aktualisierung des satirischen Zeitgeistes inbegriffen ist - NICHT ABER eine zwanghafte Aktualisierung der "Witze". Damit setze ich mich zwar wieder genau zwischen Regieli und Staubi, aber anscheinend fühle ich mich zwischen den Stühlen besonders wohl.


    Ich merke aber, dass es mir immer noch nicht gelingen will auszudrücken, was ich mir durch diesen Thread erhoffe. Vielleicht bin ich mir selbst noch nicht ganz im Klaren darüber, woran das gegenwärtige Grauwetter sicher nicht ganz unschuldig ist. Einstweilen wäre ich aber schon mal sehr dankbar für Beispiele von Übersetzungen bzw. Übertragungen, die Eurer Meinung nach besonders gelungen sind.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Darauf wollte ich mit meiner, zugegeben etwas zu allgemein und theoretisch formulierten, Einleitung hinaus. Was ist wichtiger: ein sangbarer und möglichst gleichwertiger Text oder eine möglichst große Treue zum Original? Beides ist in der Regel nicht zu erreichen, obwohl es das oberste Ziel bleiben sollte.


    Das ist genau das Problem an der Sache. Sangbar muss es auf jeden Fall sein, sonst leidet der Gesamteindruck meines Erachtens mehr als wenn der Text nicht 100% den Originaltext darstellt. Es kommt darauf an, die musikalischen Höhepunkte auch im Text wieder zu finden, betonte und unbetonte Zeiten müssen beachtet werden. Die Grundintention des Stücks muss natürlich auch in der Übersetzung erhalten bleiben.


    Da ich Arien bisher fast ausschließlich in der Originalsprache gesungen habe, kenne ich keine guten Beispiele für Übersetzungen. Ich kenne nur ein ganz schlechtes, und das ist die Habanera. Gruselig - der Charakter des Stückes wird durch die Übersetzung völlig zerstört.


    Quadratur des Kreises ?!


    LG
    Rosenkavalier

  • Lieber Rideamus, leider kann ich nichts Erhellendes oder gar Hilfreiches zu deiner Problemstellung beitragen, dafür aber meinen ganz handfesten persönlichen Frust :( Ich habe mich heute den ganzen Nachmittag mit einer Inhaltsangabe zu Donizettis "Torquato Tasso" herumgeplagt, der mir nur in einem italienisch-englischen Libretto vorliegt. Nun ist mein Italienisch leider so lausig, dass ich nicht mehr als in groben Zügen "il senso" kapiere, andererseits aber doch so gut, dass ich mitkriegte, wie meilenweit die engl. Übersetzung teilweise vom Original abweicht. Also saß ich fluchend mit dem Wörterbuch da um einzelne Passagen, wo das Englische besonders weit abdriftete, mühsam zu übersetzen.
    Das scheint mir eben das Problem zu sein: Eine wortwörtliche Übersetzung vergewaltigt oft das Sprachgefühl (Siehe dein Beispiel), eine allzu freie verändert aber den Sinn - wo soll man also eine Grenze ziehen?????
    lg Severina :hello:

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  • Zitat

    Original von severina
    Lieber Rideamus, leider kann ich nichts Erhellendes oder gar Hilfreiches zu deiner Problemstellung beitragen, dafür aber meinen ganz handfesten persönlichen Frust :( Ich habe mich heute den ganzen Nachmittag mit einer Inhaltsangabe zu Donizettis "Torquato Tasso" herumgeplagt, der mir nur in einem italienisch-englischen Libretto vorliegt. Nun ist mein Italienisch leider so lausig, dass ich nicht mehr als in groben Zügen "il senso" kapiere, andererseits aber doch so gut, dass ich mitkriegte, wie meilenweit die engl. Übersetzung teilweise vom Original abweicht. Also saß ich fluchend mit dem Wörterbuch da um einzelne Passagen, wo das Englische besonders weit abdriftete, mühsam zu übersetzen.
    Das scheint mir eben das Problem zu sein: Eine wortwörtliche Übersetzung vergewaltigt oft das Sprachgefühl (Siehe dein Beispiel), eine allzu freie verändert aber den Sinn - wo soll man also eine Grenze ziehen?????
    lg Severina :hello:


    Das Problem kenne ich, ich sitze dann immer mit dem italienischen Wörterbuch vor meinen Arien....
    Wo zieht man die Grenze? Das dürfte vermutlich Geschmacksfrage sein.
    Deswegen gebe ich jetzt mal hier ein Beispiel zur Diskussion frei, eine Passage aus der großen Eboli Arie:
    Original: O mia Regina, io t'immolai al folle error di questo cor.
    Meine Übersetzung (bitte Einspruch erheben, wenn ich total daneben liege!): O meine Königin, Dich opferte ich dem närrischen Irrtum dieses Herzens
    Übersetzung im Arienalbum: O, meine Herrin, nie kann ich büßen, was ich Dir getan, mir bricht das Herz.
    Diese Übersetzung ist ganz angenehm zu singen, aber drückt sie auch nur annähernd das aus, was im Original gesagt ist?


    Feuer frei.....


    LG
    Rosenkavalier


  • Einspuch, liebe Rosenkavalier,


    denn schon Dein italienisches Original ist ein treffendes Beispiel einer singbaren Übersetzung.


    das frz. Original lautet:


    Adieu, Reine, victime pure,
    De mes déloyales et folles amours!


    Das Problem der "Übersetzung" stellt sich hier also gleich mehrfach....


    :hello:


    Elisabeth


  • Hallo Rosenkavaler,
    danke für dieses Beispiel, denn genau das meine ich: In etwa scheint die Übersetzung hinzukommen, und doch ist der Gefühlswert ein ganz anderer, weil es doch ein wesentlicher Unterschied ist, ob einen sein "närrisches Herz" in die Irre geführt oder man jemandem etwas "angetan" hat, denn das zweite klingt nach einem ganz bewusst gefassten, eiskalten Plan, während im Original Eboli Opfer ihrer Gefühle bzw. der falschen Interpretation der Gefühle anderer geworden ist - ein himmelhoher Unterschied! Nicht, dass sie das jetzt von ihrer Schuld freisprechen würde, aber es macht sie einfach sympathischer, mit empfindet Mitleid mit ihr.
    lg Severina :hello:


  • Hallo Elisabeth,
    auf den Einspruch hab ich schon gewartet :hello:.
    Wobei ich finde, dass der italienische und der französische Text nicht allzu weit voneinander entfernt sind, oder?
    Ich kann jedenfalls in beiden die gleiche Intention finden.


    LG
    Rosenkavalier

  • Ich hätte noc hein Beispiel anzuführen, dass mic hregelmässig so schwarz ¨zrgert, dasssichin den Streik trete und NIEMALS die übersetzung singen würde/werde.Die beiden Arien der Zerlina aus Don Giovanni. Wenn die mal jemand ordentlcih übersetzen würde.....


    Batti batti bel Masetto heisst dann da: "Schmäle schmäle, lieber Junge"
    Was bitte soll "schmälen" heissen??????? Und" lieber Junge"... Das entsellt schon imersten Satz die komplette Intention der Arie und deklareirt Zerlina zum "Muttchen" von Masetto :motz: :boese2:
    Und die zweite Arei "Vedrai carino, se sei bonino" "Wenn Du fein artig bist" genauso katastrophal.
    Wenn Bedarf besteht setze ich gerne mal den ganzen Text plus übersetzung rein, es ist jedenfalls so uncharmant und spiessig wie weder Da Ponte noch Mozart noch Zerrlina je sein könnten. :no: :faint:



    Liebe Eboli, du hast das italienische ja schon selbst übersetzt und frz. kannst du sowieso. =)
    Wenn man serh genau hinsieht ändert sich der Sinn im Italienischen wirklich eine Spur mehr zu einem aktiveren Verrat der Eboli, während es im Frz eher passiv klingt. So wie Severina das ja dargelegt hat.
    Ich würde aber trotzdem immer für die Singbarkeit plädieren. Denn bei grosser Oper dieser Sorte ist der Sänger im Vordergrund, und er muss die Vokale und Konsonanten so unterbringen, dass der Originalklang erhalten bleibt und die Arien dieser Schwierigkeitsstufe nciht auch noch der Übersetzung wegen zum Technikproblem werden.
    Es ist ein Riesenunterschied ob Eboli ein h2(ces3) auf einem offenen A oder auf einer deutschen Endsilbe en singen soll.
    Ich würde immer eine Übersetzung mit Sängern abstimmen. Alles Andere ist illusorisch, wenn es um grosse Oper geht.
    Bei Musical oder auch schon Operette mag das ein wenig abgemildert sein, obschon es auch da Arien derselben SchwierigkeitsKategorie gibt.


    F.Q.

  • Das Problem ist, daß die meisten Operntexte unübersetzbar sind. Will man den Kriterien, die oben genannt sind, gerecht werden, wird man scheitern. Man kann keinen Text mit 100%er Genauigkeit übersetzen. Selbst dann, wenn es einem das schier Unmögliche gelingen sollte, Worte in die richtige Reihenfolge zu bringen (Thema-Rhema), den Rhytmus zu erhalten, dem Original entsprechend zu reimen - selbst dann wird man nicht erreichen, was das Original sagen will. Ganz einfach deshalb, weil Poesie (und damit haben wir es bei sehr vielen Opernlibretti zu tun) keine "objektive" Sprache ist. Der Dichter schafft eine Welt, seine Welt, und niemand kann derart in ihn hineinsehen, daß er dasselbe in einer anderen Sprache reproduzieren könnte, obendrein in demselben Metrum und dem ganzen Rest des formalen Gerüsts. Eine Übersetzung ist deshalb immer eine Neudichtung - wenn sie versucht, den Klang des Originals nachzuahmen.


    Ein anderes Problem ist die simple Barriere sprachlicher Strukturen, die oft verhindern, daß beispielsweise ein italienischer Text reibungslos ins Deutsche übertragen werden kann. Der Nationalvers der Italiener ist schlechterdings der endecasillabo (11-Silbler), den man in Deutschland so gut wie gar nicht benutzt. Er ist auf den Klang der italienischen Sprache ausgerichtet, in der er besonders gut klingt. Auf Deutsch klingt der 11-Silbler oft holprig.
    Die Arie des Rinuccio aus Gianni Schicchi ist ein astreiner toskanischer Stornello - was auf Deutsch überhaupt keinen Sinn macht.


    Kulturelle Unterschiede machen Übersetzungen teilweise unmöglich, da sie einen kulturellen Hintergrund voraussetzen, den die meisten nicht haben. Wenn d'Annunzio vom Geschmack des Wassers aus den Bergquellen der Abruzzen schreibt (von Pizzetti in den "Pastori" vertont), dann ist die Reihe derjenigen, die ihn in Deutschland verstehen, leider recht dünn.


    Und was geschieht mit Dialekten? Übersetzen oder nicht? Soziolekte?


    Ich finde dennoch, daß es ein paar gelungene Neudichtungen gibt. Mir fallen da ein:


    Die Übersetzung von Puccinis Tabarro (Der Mantel), die für die Stuttgarter Aufnahme von 1938 benutzt wurde - ein Meisterwerk, das die Stimmung des Originaltextes vorzüglich wiedergibt.


    Es gab mal eine Fernsehproduktion der Belle Hélène mit René Kollo, ich denke aus den 1970er Jahren - der Text war (wie die ganze Produktion) erstklassig gemacht, witzig und niveauvoll.


    Ein neueres Beispiel für eine schöne Neudichtung: The Girl from the Golden West von David Scott Marley (2006). Eine amerikanische Adaption der Fanciulla, mit Indianerkaudawelsch und Kalifornischem Dialekt. Und: sie ist singbar!


    :hello:
    M.

  • Ich danke Euch für diese Beispiele. Gerade das dreisprachige Don Carlos - Zitat beweist ja, wie uneben schon die Übertragung voon einer romanischen Sprache in eine andere gerät, auch wenn sie beide immerhin gut klingen. "Adieu Reine" hat aber sowohl einen anderen Klang, einen anderen Rhythmus, als auch eine andere Bedeutung als " O mia regina". Während hier aber wenigstens noch die Ähnlichkeit von "reine" und "regina" etwas hilft, fällt anschließend mit dem "victime pure" eine ganz wichtige Aussage weg bzw. wird auf die Selbstbeschuldigung der Eboli verlagert. Die deutsche Übersetzung tut sich dann noch schwerer und muss die Hälfte der Aussage, wie übrigens oftmals bei einer Übersetzung ins Deutsche, fallen lassen, denn die deutsche Sprache ist und klingt umständlicher. Dafür kann sie viel präziser sein, wenn auch nie so elegant vokalisiert wie das Italienische oder so flexibel wie das Englische.


    Die Übersetzung muss sich also entscheiden, welcher Herrin sie bei vorausgesetzter Sangbarkeit auf den originalen Noten zuvörderst dienen will: der Bedeutungstreue oder der Klangtreue. Gravierende Kompromisse werden immer unvermeidlich sein. Fairys Beispiel aus dem Horrorkabinett der Übersetzungsklassiker illustrieren, wie frei man zur Entstehungszeit der Werke mit den Originaltexten umging, was unsere HIP-Mentalität heute kaum mehr tolerieren würde. Dabei kommt es zu dem Extrem, dass man die Übersetzung genauso wenig versteht wie das Original. Als ich als Kind bzw. Jugendlicher erstmals den DON GIOVANNI in der Oper sah (in Wuppertal wurde damals noch fast durchweg deutsch gesungen), konnte ich partout nicht verstehen, was "Schmäle. schmäle" bedeuten soll, und kein Erwachsener konnte es mir schlüssig erklären. Trotzdem hält sich diese Meisterleistung an ungenügender Übersetzung, bei der NUR der Rhythmus, aber weder der Klang noch die Bedeutung stimmen, im Repertoire. Dabei wäre gerade diese Zeile mit "Schlag mich, schlag mich, mein Masetto" sowohl vom Klang als auch von der Bedeutung her vollkommen adäquat zu übersetzen.



    Zitat

    Original von Mengelberg
    Das Problem ist, daß die meisten Operntexte unübersetzbar sind. Will man den Kriterien, die oben genannt sind, gerecht werden, wird man scheitern. Man kann keinen Text mit 100%er Genauigkeit übersetzen. Selbst dann, wenn es einem das schier Unmögliche gelingen sollte, Worte in die richtige Reihenfolge zu bringen (Thema-Rhema), den Rhytmus zu erhalten, dem Original entsprechend zu reimen - selbst dann wird man nicht erreichen, was das Original sagen will.


    Wenn man dieses Faktum akzeptiert, und das soll das eigentliche Thema dieses Threads sein, welche Priorität soll dann gelten? Natürlich immer vorausgesetzt, das Sprachgefühl des Übersetzers kann mit dem des originalen Textautoren wenigstens halbwegs mithalten. Ich habe vor Jahren einmal für das Textheft unserer Topaz Classic Videoedition von I LOMBARDI das Libretto Temistocle Soleras übersetzt. Damals stieg mein Respekt für diesen viel gescholtenen Librettisten enorm. Dabei brauchte ich nur einen Text, der dem Original in etwa in Bedeutung, Länge und dem Ausdrucksstil entsprach ohne lächerlich zu wirken, der aber nicht auch noch gesungen werden sollte. Seither genügt mir bei einer Übersetzung, wenn sie den Handlungsverlauf und Dialog wenigstens vage, wenn auch so sinngemäß wie möglich wiedergibt und ansonsten sangbar ist. Da scheint es mir am besten zu sein, wenn man sich bei jedem Abschnitt über die Aussage des jeweiligen Originals klar wird und dann in der eigenen Sprache so frei wie nötig nachdichtet.



    Leider kenne ich alle drei Fassungen nicht, werde sie aber mal recherchieren. Bist Du sicher, dass die "Stuttgarter Aufnahme" von 1938 stammt? Das scheint mir arg früh.


    Im übrigen scheinen die Beispiele zu belegen, dass gute Übersetzungen möglich sind. Leider werden die oft auch durch den Produktionsdruck verhindert. So habe ich einmal, anlässlich der Aufführung von Sondheims A LITTLE NIGHT MUSIC im Münchener Gärtnerplatztheater, dem Verlag eine ganze Reihe von Vorschlägen für alternative Übersetzungen einiger Liedtexte vorgeschlagen. Man stimmte mir sogar zu, dass die besser seien, aber es geschah nichts, weil die frühere Übersetzung (ich glaube von Rainer Kunze) schon lizensiert und bezahlt war und niemand sich die zusätzlichen Kosten einer neuen Fassung, die ja auch einstudiert werden wollte, aufhalsen konnte oder wollte.


    In einem Land, das es (leider) zu einer weltweit führenden Stellung in der Durchschnittsqualität der Synchronisation von Spielfilmen gebracht hat, die mit der Lippensynchronisation ja auch ziemliche Anforderungen stellt, sollte es aber doch möglich sein, bessere Übersetzungen auf die Bühne zu bringen.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus
    IAls ich als Kind bzw. Jugendlicher erstmals den DON GIOVANNI in der Oper sah (in Wuppertal wurde damals noch fast durchweg deutsch gesungen), konnte ich partout nicht verstehen, was "Schmäle. schmäle" bedeuten soll, und kein Erwachsener konnte es mir schlüssig erklären. Trotzdem hält sich diese Meisterleistung an ungenügender Übersetzung, bei der NUR der Rhythmus, aber weder der Klang noch die Bedeutung stimmen, im Repertoire. Dabei wäre gerade diese Zeile mit "Schlag mich, schlag mich, mein Masetto" sowohl vom Klang als auch von der Bedeutung her vollkommen adäquat zu übersetzen.


    Lieber Rideamus,


    "schmälen" ist ein Archaismus, es ist verwandt mit dem Verb "schmähen", es kommt von "kleiner machen" und heißt so etwas wie "schelten, schimpfen". Das ging mir wie Dir (und ist nicht die einzige problematische Stelle in dieser damals wohl sehr beliebten Don Giovanni-Übersetzung. Wahrscheinlich war die schon über 50 Jahre alt und kostete nichts mehr ...)


    Liebe Grüße Peter

  • Vorgestern haben Elisabeth und ich ein - zugegeben ziemlich an der deutschen Sprache verwandtes - niederländisches Gedicht übersetzt.


    Ich kann darüber urteilen, und wage zu behaupten, daß es zu mehr als 95% sogar ganz gut übersetzt ist. Nur an zwei oder drei Stellen hätte ich eigentlich etwas mehr Freiheit nehmen sollen und nicht wortwörtlich übersetzen, um eben die feinere Nuancen, das Idiom, gelten zu lassen.


    Weil die Sprachen sich erstens ähneln, und zweitens hier Rede war von Niederländisch aus dem 19. Jhdt, als das noch mehr den Fall war, bereitete es uns nicht sehr viel Mühe.


    Wenn ich dieses Gedicht als Beispiel nehme, und bedenke, daß ein Gedicht übersetzen immer schwerer ist als ein Stück Prosa, dann stimmt mich das freudig.
    Denn das bedeutet m.E., daß im Prinzip übersetzen kann.


    Ich habe erlebt, wie ahnungslose Leute, die kaum Bildung genossen haben, sich erfreuteten, als sie eine Operette erlebten in ihrer Muttersprache. DAS werde ich nie vergessen.
    Besser etwas schlechter übersetzt, aber verstanden, als original, und kein Verständnis.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von pbrixius
    "schmälen" ist ein Archaismus, es ist verwandt mit dem Verb "schmähen", es kommt von "kleiner machen" und heißt so etwas wie "schelten, schimpfen".


    Lieber Peter, lieber Rideamus,


    Irgendwo habe ich eine LP, wo gesungen wird "Schläge, schläge..." (oder Schlage, schlage??).
    Ich dachte, daß es eine Mono-LP mit Rita Streich ist, aber darauf schwöre ich nicht.
    Was ist dagegen um diese Worte zu benützen?


    LG, Paul

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  • Zitat

    Original von musicophil


    Irgendwo habe ich eine LP, wo gesungen wird "Schläge, schläge..." (oder Schlage, schlage??).
    Ich dachte, daß es eine Mono-LP mit Rita Streich ist, aber darauf schwöre ich nicht.
    Was ist dagegen um diese Worte zu benützen?


    Lieber Paul,


    dagegen spricht nichts außer eine (schlechte) Tradition, die dem "Don Giovanni" eine Champagner-Arie beschert hat, obwohl es im Original keinen Champagner gibt. Aber diese Übersetzung ist über ein Jahrhundert so eingefahren auf deutschen Bühnen gewesen, dass sie allein schon durch die vielen Mitschnitte oder Einzelveröffentlichungen von Arien ihre eigene Macht gewonnen hat. Es gibt eine ausgezeichnete Neuübersetzung von Hintze, aber dafür müsste man ja etwas bezahlen ...


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Es gibt eine ausgezeichnete Neuübersetzung von Hintze, aber dafür müsste man ja etwas bezahlen ...


    ... und gelernt werden müsste sie auch noch. X(


    Tatsächlich sehe ich in der immer konsequenteren Durchökonomisierung der Kunst, eigentlich unseres ganzen Lebens, ein Paradox: je reicher unsere Gesellschaft materiell wird, desto ärmer wird sie kulturell, weil sich niemand mehr Kultur auf einem hohen Standard leisten will oder kann. Mit dem Angebot schwindet leider auch der Bedarf, ergo die Nachfrage, und schließlich regiert das Warenkorb-Prinzip: wenn es bei Aldi oder wem auch immer eine cd für 1,99 Euro gibt, dann werden dem durchschnittlichen Kulturbedarf genau diese knapp zwei Euro zugrunde gelegt - im Zweifelsfall nicht etwa monatlich, sondern halbjährlich oder gar jährlich. Dass nach dem Verfahren bald niemand mehr eine Neuaufnahme bezahlen kann, wundert und bejammert dann auf einmal alle Welt, die bis dahin kräftig dazu beigetragen hat. Ist es nicht bezeichnend, dass Politiker erst dann bereit sind, mehr Bildung zu finanzieren, seit sie feststellen mussten, dass ihre Gehälter und Pensionen mangels ausreichend beschäftigter und bezahlter Bevölkerung in Gefahr geraten könnten? Auf einmal gibt es teure Eliteuniversitäten zur Ingenieursausbildung, die mit der Schließung von Orchestern und Theatern finanziert werden.


    Natürlich ist es ein Segen, dass wir uns heute eine Musikaufnahme für wenige Euro leisten können und so viele, die früher schon den Klang eines Kurorchesters etwas Besonderes fanden, in den Genuss von Spitzenqualität kommen. Das Empfinden von etwas Besonderem und schließlich auch das Bedürfnis danach sind dabei immer mehr verkommen. Dabei ist genau dieses "Besondere" fast völlig verloren gegangen, wird uns aber von medienstarken Marketendern so oft und intensiv vorgegaukelt, dass wir das Besondere für Alltag halten und im Alltag das Besondere nicht mehr erkennen können.


    Qualitätsarbeit hat ihren Preis, aber den mögen doch bitte andere bezahlen, so dass wir nur noch abzukupfern brauchen.


    Auch das gehört zu Glanz und Elend der Übersetzung: bei den gängigen Tarifen grenzt schon jede professionelle Übersetzung an Selbstausbeutung, wenn sie nicht gerade simultan für eine Horde von Politikern oder Industriellen erfolgt. Der zusätzliche Zeitaufwand für künstlerisches Optiumum wird von niemandem vergolten und deshalb frühestens von der der kopierenden Nachwelt genutzt.


    Auch deshalb lobe ich mir Tamino. Man kann sich hier auch mal luxuriöse Gedanken um unbezahlbare Qualität machen ohne dass einer gleich nach dem Gewinn fragt, der unter dem Strich übrig bleibt, damit er ihn maximieren kann.


    Wie lange noch?


    :hello: Rideamus

  • Lieber Rideamus,


    Im Zweifelsfall sollte man ruhig von dem Kriterium der wortwörtlichen Treue zuerst Abstriche machen. Die Logik einer anderen Sprache, ihr unterschiedliches Klangbild lassen es als das kleinere Übel erscheinen, wenn man vom Originaltext sinngemäß - auch recht weit - abweicht. Wichtig ist, daß die Übersetzung als solche gut klingt und in sich stimmig ist. Erst in zweiter Linie zählt, ob ein Gedanke auch getreu übertragen wurde. Es genügt meines Erachtens, wenn er adäquat wiedergegeben wird - und das läßt viel mehr Spielraum. Gute Übersetzung ist Nachdichtung, nicht Nach-Textung. Natürlich wird man als guter Übersetzer trachten, allen Kriterien gerecht zu werden, aber in der Praxis muß man unbarmherzig Prioritäten akzeptieren.
    Die ewigen Probleme, die Walter Widmer schon vor einem halben Jahrhundert geradezu klassisch zusammengefaßt hat (Fug und Unfug des Übersetzens, Kiepenheuer & Witsch, Köln/Berlin 1959) laufen darauf hinaus, daß das Treffen des Stimmungstons bzw. des Sprachtempos ausschlaggebend sind und nicht die philologisch zuverlässige Sinnwiedergabe (vgl. Widmer, S.107). Obwohl sich Widmer nur mit Prosa beschäftigt, lassen sich seine Erkenntnisse auch auf Oper etc. umlegen. Die Sangbarkeit kommt natürlich noch dazu, ist aber in den vorhin genannten Punkten letztlich auch schon enthalten.
    Franz Werfels Übersetzung der "Turandot" ist literarisch ausgezeichnet und wird allgemein geschätzt, über die Sangbarkeit kann aber eigentlich nur jemand urteilen, der aus der Praxis kommt oder mit dieser zumindest engstens verbunden ist.
    Prinzipiell dürfte es wohl leichter sein, aus einer romanischen Sprache in die andere zu übersetzen als beispielsweise vom Französischen ins Deutsche oder umgekehrt. Im Einzelfall helfen solche Durchschnittserkenntnisse aber oft gar nichts. Da kommt es auch auf Metrik und Prägnanz an. Wilhelm Buschs "Max und Moritz" klingt in verschiedenen Sprachen oft recht lahm, aber Übersetzungen ins Lateinische hauen eher hin, weil der trockene, verknappende Humor und die zugespitzte Prägnanz dem Latein oft immanente Eigenschaften darstellen.
    Und weil ich mir beim Schreiben gerade die legendäre Callas-Norma von 1954 gönne: Den überwältigenden Effekt, wenn sich die Stimmen der Callas und der Stignani in den Szenen Norma/Adalgisa vereinen, kann man nur in der Originalsprache voll genießen. Für einen durchschnittlichen Operneinsteiger, der gar nicht erfaßt, worum es geht, wäre eine einigermaßen brauchbare deutsche Wiedergabe jedoch sicher besser geeignet, auch wenn dabei viele Schönheiten verlorengingen. Zu denen wird er dann noch hinkommen, wenn er beim ersten Mal bereits eine Ahnung hat.


    LG


    Waldi

  • Lieber Waldi,


    ich kann Dir da nur in allem zustimmen.


    Leider wird es nur im Ausnahmefall dazu kommen, dass man mal wieder mit einem klassischen Werk die Probe auf's Exempel macht, denn am ehesten wahrscheinlich ist das noch bei Musicals. Diejenigen unter ihnen, die man dann noch hören kann und will (o ja, die gibt es bzw. wird es geben), wird dann in ein paar Jahrzehnten wahrschenlich dasselbe Schicksal der überholten Phraseologie einholen, das uns heute nur deswegen nicht auf Schritt und Tritt begegnet, weil man sich zunehmend von übersetzten Darbietungen entfernt.


    Was, wie schon gesagt, nicht unbedingt ein Nachteil ist, leider aber zum - eigentlich nur vermeintlich - elitären Charakter der Oper beiträgt.


    San halt aso, die dummen Leut' (was man eigentlich nicht einmal ins Deutsche übersetzen kann).


    :hello: Rideamus

  • Lieber Rideamus,


    Zweifellos darf man nicht verallgemeinern, aber sehr oft finde ich, daß moderne und angeblich bessere Übersetzungen insgesamt letztlich den alten, zwar angestaubten, aber irgendwie doch begründet eingebürgerten Fassungen unterlegen sind, selbst wenn die auch nicht das Gelbe vom Ei bedeuten. Zu oft ist wohl das Schielen nach Tantiemen der Vater der neuen Mißgeburt.
    Trotzdem sollte man es nicht aufgeben, bessere Versionen zu versuchen. Geschäft ist damit in 99% sicher keines zu erhoffen, dennoch: Es bringt uns nur die Union von Idealismus und Genie weiter, nicht der nackte Geschäftssinn.


    Ich habe mir jetzt übrigens extra die deutsche "Macht des Schicksals" aufgelegt, die ich bisher noch nie gehört habe. Und schon nach den ersten Minuten und aller Klarheit, daß eine "Forza" und diese "Macht" nicht dasselbe sind, muß ich trotzdem bekennen: :jubel: :jubel: :jubel: (bitte das über eine halbe Seite verlängert zu denken)!


    Verdi wußte schon, warum er für seine Werke die jeweilige Landessprache wollte. Alle Wege führen zum Schluß sowieso nach Italien. Aber sie beginnen woanders.


    LG


    Waldi