Liebe Musikfreunde und -freundinnen,
vor ungefähr zehn Jahren habe ich Schuberts Es-dur-Quartett zum ersten Mal gehört. Damals ist der Funke auf mich nicht übergesprungen. Wahrscheinlich lag es daran, dass zu Beginn das Hauptthema für meine Begriffe recht banal daherkommt und es der gesamten Komposition - vordergründig gesehen - an Konflikten und Dramatik fehlt. Ich habe das Stück also nur als eine ordentliche Talentprobe des 16 jährigen Schubert (er komponierte das Quartett im Jahre 1813) zur Kenntnis genommen, und die CD verschwand für lange Zeit im Regal. Erst vor wenigen Monaten bin ich beim Durchstöbern meiner CD-Sammlung wieder auf dieses Werk gestoßen. Beim erneuten Hören hat mich die Musik irgendwie berührt. Nachdem ich mich ein wenig näher damit befasst habe, musste ich meine bisherige Meinung grundlegend korrigieren. Zwischenzeitlich habe ich dieses Stück zu schätzen gelernt und ich zähle es derzeit zu meinen liebsten Streichquartetten.
Es hat mich sehr gefreut, dass Schuberts Es-dur-Quartett nun für einen "Alle-reden-über..."-Thread ausgelost wurde. Zunächst hat es mich sehr überrascht, wie viele Aufnahmen davon existieren. Die Anzahl der hier vorgestellten CDs bestätigt, dass ich dieses Stück anfangs doch sehr unterschätzt habe. Davon abgesehen denke ich, dass sich eine nähere Betrachtung durchaus lohnt. Mich würde sehr Eure Meinung interessieren, und ich bin gespannt, welche Analysen und Gedanken sich zusammentragen lassen.
Das knapp halbstündige Quartett beginnt mit einem Allegro moderato, welches von einem unauffälligen, nicht sehr spektakulären Hauptthema eröffnet wird. Ich gebe zu, dass ich diese Takte beim ersten Hören als schlichtweg langweilig empfunden habe. Allerdings lassen sogleich die beiden folgenden lyrischen und volksliedhaften Themen aufhorchen. Das zweite Thema davon erinnert mich ein wenig an an das Nebenthema aus Schuberts Klaviersonate in B-dur. Die Durchführung verläuft - wie bereits angedeutet - ohne große Dramatik. Die Musik fließt auf scheinbar natürliche Weise mit einer erstaunlichen Leichtigkeit dahin.
Es folgt ein sehr kurzes Scherzo. In der Partitur nimmt es nicht mehr als zwei Seiten in Anspruch. Es wirkt auf mich überraschend aggressiv ("Prestissimo"!). Das Trio dagegen hat einen etwas ruhigeren und versöhnlicheren Charakter. Mir scheint es, als habe Schubert das Scherzo nur als Überleitung zum folgenden langsamen Satz gedacht. Möglicherweise steckt jedoch auch etwas mehr dahinter, was mir bisher entgangen ist.
Das Adagio ist für mich der schönste und stimmungsvollste Satz des gesamten Es-dur-Quartetts. Die Themen sind sehr schlicht und rühren mich persönlich an. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Satz für die Quartettmusiker gerade wegen seiner Einfachheit und Durchhörbarkeit sehr schwierig zu spielen und zu interpretieren ist. Mein großer Respekt gilt hier Schubert, weil er es nach meiner Ansicht besonders hier schafft, mit verhältnismäßig wenig Noten eine große Wirkung zu erzielen. In Worte lässt sich das sehr schwer fassen. Die letzten Takte klingen ein wenig sentimental; mich erinnern sie an einen Abschied.
Das Allegro bildet schließlich einen fröhlichen und kaum getrübten Abschluss des Quartetts. Auffällig ist, dass hier die erste Violine zum Hauptakteur wird. Die übrigen drei Stimmen spielen lediglich Begleitung und dürfen allenfalls gelegentlich einmal ein "Stichwort" beisteuern.
Kleines Detail am Rande: Die Hauptthemen aller vier Sätze beruhen auf dem gleichen kurzen Motiv, das nur aus zwei Tönen besteht, nämlich der aufsteigenden großen Sekunde Es - F (die umgedrehten Initialen des Komponisten!?).
Mich beeindruckt das Es-dur-Quartett vor allem wegen seiner Schlichtheit. Gerade deswegen wirkt das Werk auf mich "ungekünstelt" und glaubwürdig. Ist Schubert damit ein früher Geniestreich gelungen? Nach der Diskussion über diesen Begriff an dieser Stelle bin ich mit solchen Ausdrücken etwas vorsichtig geworden. Jedenfalls hat Schubert ein sehr eindrucksvolles und hörenswertes Stück Musik geschaffen, das schon sehr weit über die "Fingerübungen" eines Jugendlichen hinausgeht (auch wenn es sehr lange gedauert hat bis ich das gemerkt habe).
Natürlich drängt sich auch die Frage auf, welchen Spielraum die Interpreten bei der Darstellung dieser Musik haben. Meine Eindrücke beruhen allein auf der nach meiner Meinung überzeugenden Aufnahme des Leipziger Streichquartetts. Andere Einspielungen zum Vergleich kenne ich nicht. Kann man bei diesem Stück überhaupt etwas "falsch" machen? Hier bin ich auf Eure Hörerfahrungen neugierig.
Viele Grüße
Frank