Nach so viel Lob für Roger Norrington wage ich kaum mehr, Kritik anzuführen, doch wenn man andernsorts liest, was Karajan oder manchmal selbst Leute wie Bernstein einstecken müssen, ist es meines Erachtens durchaus angebracht, diesen achso transparenten, klaren und angeblich frischen Interpretationstil zu hinterfragen.
Vorneweg: Ich erwarte nicht, dass meine Meinung als objektive Einschätzung anerkannt wird und will auch nicht dogmatisch wirken, doch gerade das ist es, was man Norrington vorwerfen kann und weshalb Kritik an seinem Stil auch in höchstem Masse zu rechtfertigen ist. Seine Äußerungen in Bezug auf 'Dauer-Vibrato' und den anscheinend so verachtenswürdigen 'brahmsdeutschen' Klang wirken teilweise derart plakativ provokant, dass er Unverständnis über seine durchaus dogmatische Herangehensweise doch sehr auf sich zieht, zumal er ja die Interpretationen all der großen Dirigenten; Furtwängler, Karajan, Bernstein, Walter etc. damit quasi als zweite Wahl einstuft.
Dabei will ich ihn nicht gänzlich verurteilen - bis Mozart und frühem Beethoven sind seine Einspielungen durchaus als gelungen zu bezeichnen, doch seine Exkursionen in die Romantik, aber auch der späte Beethoven wirken auf mich teilweise wie der verzweifelte Versuch, dieser Musik alle emotionale Schönheit zu nehmen, um sie auf ein mathematisch-transparentes Grundgerüst zu reduzieren.
Meine beiden Beispiele hierfür sind einaml ein Live-Erlebnis in München und Mendelssohns Violinkonzert mit Jansen und dem London Philharmonic Orchestra.
Zuerst zum Mendelssohn: Nach einer Weile der Freude über Janine Jansens schönes, lebendiges Spiel fing ich irgendwann an, das Orchester zu vermissen. Zwar war es da und auch ein wenig zu hören, doch von con-certieren (wetteifern!) war in diesem Konzert nichts zu bemerken. Nun will man bei Mendelssohn natürlich kein Orchester, das in diesem eher zarten frühromantischen Werk den Solisten an die Wand musiziert, aber eine gewisse Gleichberechtigung in den für das Orchester gesetzten Stellen darf man wohl schon erwarten. Stattdessen durch alle drei Sätze unambitioniertes, absolut hintergründiges 'Begleiten', so dass man sich irgendwann nach einer Bearbeitung des Konzerts für Solovioline sehnte, um sich wenigstens nicht mehr über die Untätigkeit des Orchesters ärgern zu müssen. Und das lag freilich nicht am Orchester, sondern daran, dass Norrington sie einfach nicht spielen ließ.
Anders, aber keinesfalls besser live mit Hilary Hahn. Nach dem Elgar-VK war man froh, dass endlich die Pause kam, wo man dann in der ersten Enttäuschung übereinstimmend zu dem -falschen- Schluss kam, Elgars Violinkonzert wäre ein lanweiliges, drittklassiges und an sich ziemlich überflüssiges Werk (keiner von uns hatte es bis dahin näher gekannt). Nach der Pause freilich zeigte Roger Norrington an Brahms' 1ter Symphonie anschaulich auf, dass es schlichtweg an ihm gelegen hatte. Durch alle vier Sätze ein kontrastloses, immerzu gleich oberflächliches Musizieren und vor allem ohne den wunderschönen, brahmstypischen Klang, der wohl doch nicht so ganz ohne Vibrato auszukommen scheint.
Natürlich, es muss nicht immer 'Breitwandsound' sein, und schon gar nicht für jeden, aber für mich persönlich verliert die Musik bei diesem Ansatz doch sehr viel von ihrem Reiz - beinahe zu viel.