Mattia Battistini - Der König der Baritone?

  • Liebe Taminos,


    heute zu einem weiteren ganz Großen aus dem Baritonfach: Mattia Battistini (1856-1928), "Il re dei baritoni", die Alternative zur "Löwenstimme" Titta Ruffos. An der Met hat er nicht gesungen, aber die zu seiner Zeit entscheidenden Zentren des musikalischen Europa dominiert (vor allem im mehr als lukrativen zaristischen Russland war er ständiger Gast). Knapp verpaßte er sein 50-jähriges Bühnenjubiläum, ein Asthma-Anfall verursachte seinen Tod.





    Die Eleganz, die Beweglichkeit, die mühelose Führung der Stimme auf dem Atem - all das beeindruckt mich sehr stark. Eine vergleichbar kultivierte Baritonstimme fällt mir danach nicht mehr ein, auch wenn Manierismen zeitweilig die Linie stören. Die Expansion in die Höhe ist phantastisch, die Tiefe dafür eher schwach ausgebildet (teils fingiert der große Battistini daher).


    Traumhafte Aufnahmen sind etwa "O mio Lionel" aus Martha, die Stücke aus Ernani, aus Hamlet und Eugen Onegin. Die Noblesse der Stimme widersetzt sich allem Verismo, ähnlich dürften Baritone des "Golden Age" gesungen haben. Teils geht dies auf Kosten des Ausdrucks, teils macht es diesen überhaupt erst möglich.


    Welche Aufnahmen von Battistini schätzt Ihr besonders? Oder lehnt Ihr den Sänger eher ab?


    In foher Erwartung,


    Christian

  • Hallo Christian,
    ich finde alle Aufnahmen Battistinis hervorragend.
    Er war in allem, was er sang, immer dem Belcanto verpflichtet,
    wärend Ruffo am Anfang des Verismo stand.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Ich kenne leider bisher nur einige Aufnahmen aus Verdi-Opern mit Mattia Battistini. Das Belcanto-Repertoire bis zum frühen Verdi soll ja sein Glanzstück gewesen sein, und wenn ich ihn als Carlo in ERNANI höre, kann ich da nur zustimmen: in der Cabaletta, in der er Elvira ein glückliches Leben verspricht und besonders in der Bitte, in der er die Weisheit Karls des Großen erfleht.


    Vor allem in der Aufnahme von 1906 hat er auch ein hervorragendes Ensemble, das noch ein wenig mehr an alte Belcanto-Zeiten erinnert, während eine spätere Aufnahme etwas greller und zugespitzter klingt (vor allem bei den übrigen Mitwirkenden, nicht so sehr bei Battistini).


    Für meine Ohren stand auch Battistini schon mit einem Bein im Verismo, denn seine Verzierungen, Schattierungen und sein messa di voce hat er manchmal schon mit veristischen Ausbrüchen und Zuspitzungen kombiniert. Aber im Gegensatz zu Ruffo überwiegt noch deutlich die alte Belcanto-Schule.


    Sein "Eri tu" aus UN BALLO IN MASCHERA höre ich auch sehr gern, insbesondere den Schluss, bei dem das "speranza d´amor" wirklich so klingt, als würde Renato gleich die Stimme durch Tränen wegbrechen - was sie natürlich nicht macht! Und das ist meiner Meinung nach gerade deshalb großartig, weil es nur ein kleiner Moment ist, den man erst wahrnimmt, wenn er schon vorbei ist, ähnlich wie Carusos kleinen Canio-Schluchzer.


    Ach ja, und dann noch die so schön diabolische Traumerzählung aus dem Otello ...


    :hello: Petra

  • ..nicht zu vergessen der hervorragende "Pagliacci"-Prolog, der die Beherrschung der Technik und des Ausdrucks vollends aufzeigt (habe ich au zwei einseitigen Schellackplatten, 1911 :jubel:)


    :hello:Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • Ich habe gestern noch einmal in meine wenigen Battistini-Dokumente reingehört und bin von der Stimmführung wieder und wieder begeistert. Ich habe weder bei Plançon noch bei McCormack (um meine speziell geliebten Referenzen anzuführen, auch de Lucia bleibt in diesem Zusammenhang hinter Battistini zurück) eine ebenso in die vokale Linie integrierte Virtuosität gefunden wie in den Läufen, die Battistini in "O mio Lionel" bzw. in "O vin discaccia la tristezza" ausführt - das ist von schwindelerregender Qualität und von atemberaubender Beherrschung, dabei gekonnt gedeckt, so daß nie der Eindruck reiner Show entsteht. Wahrlich études d'exécution transcendante, die ihren reinen Ausführungscharakter hinter sich gelassen haben.


    LG,


    Christian

  • Aber auch bei Battistini lassen sich natürlich einige Punkte finden, an denen mit Recht gekrittelt werden kann. Da wäre einmal seine Tendenz, das Aspirations-H zu verwenden. Dann führt manche Ausdrucksgeste zu einer Überattacke der Töne, die fast ungebührlich krude neben den Pretiosen stehen, die Battistini zu produzieren in der Lage war. Die Freiheit der Transposition einiger Noten führt ebenfalls zu eigenwilligen Ergebnissen, war aber nötig, um die äußerst schwache Tiefe des Sängers zu kaschieren - gut zu hören am "Eri tu".
    Die Noblesse der Tongebung und die vollkommene Beherrschung der belcantistischen Anforderungen ist daher nicht derart perfektioniert wie bei McCormack im Tenorfach. In pucto Virtuosität jedoch, ebenso wie in der Timbrierung der Mittellage, ist Battistini primus inter pares.


    LG,


    Christian