Erstmal Zustimmung zu den Folgen von Privatfernsehen (bezeichnenderweise eingeführt im Zuge der "geistig-moralischen Wende" des Dicken und des vorbestraften Grafen). Leider wurde inzwischen das öffentlich-rechtliche Fernsehen weitgehend auf dieses Niveau heruntergezogen. :kotz:
Bezeichnend ist vermutlich auch die Verwendung klassischer Musik in Fernsehkrimis; den Soko-Beamten habe ich jetzt nicht präsent, aber die komische Figur des betont bildungsbürgerlichen Gerichtsmediziners Prof. Börne (im Münsteraner "Tatort") hat ein riesiges Konterfei Mahlers im Seziersaal hängen und delektiert sich häufig an spätromantischer Musik. Es sind auch hier skurrile Solitäre, die Klassik hören, keine elitäre Gruppe.
Ich wage solche museumspädagogischen Experimente wie das in Kassel nicht zu beurteilen, würde das aber keineswegs rundheraus verwerfen. Wenn man so etwas gut macht, kann es durchaus Leute begeistern, die der "Hochkultur" fernstehen.
Man muß, glaube ich, in der Entwicklung der letzten ca. 40 Jahre mehrere Dinge unterscheiden: Zunächst ist die Mittelschicht und ihr Wohlstand gewachsen (bis ca. 1980 und danach auch noch jahrelang auf hohem Niveau stabil geblieben). Das hat aber nicht zu einem entsprechenden Wachstum der an Klassik etc. interessierten geführt, weil gleichzeitig mit dieser Verbreiterung die alte Mittel- und Oberschicht kulturell massiv an Bedeutung verloren hat, besonders eben das typische "Bildungsbürgertum". In den 50ern und 60ern, als dieser Aufstieg in die Mittelschicht begann, war das noch anders. Auch im Fernsehen. Ich erinnere mich, daß meine Eltern noch ca. Mitte der 1980er zwei MCs zu irgendeinem Jubiläum des Moderators Kulenkampff geschenkt bekamen; mit musikalischen Gästen seiner Show: Eine enthielt Schlager, Chansons usw., die andere durchweg Oper und Operette. Klar, beschränkten sich viele kulturelle und soziale Aufsteiger mit derlei Potpourris, Wunschkonzertrepertoire usw. Letztlich hat sich dann aber sozialer Aufstieg anscheinend von einem "kulturellen" weitgehend entkoppelt.
Vielleicht war das nur zu erwarten, vielleicht lag es eben auch daran, daß Schule, Fernsehen usw. ihren Bildungsauftrag zunehmend weniger nachgekommen sind, jedenfalls keine Chance gegen die Popkulturindustrie hatten. Und die moderne "Oberschicht", die "Promis" besteht ja zu einem guten Teil aus Repräsentanten der Popkultur (man nehme als bezeichnend Elton John auf Lady Dis Trauerfeier oder Aretha Franklin (?) bei Obamas Inauguration, womit nichts gegen diese Künstler gesagt sein soll) .
(Inzwischen, also in den letzten 25-30 Jahren, ist es ja auch mit dem sozialen Aufstieg durch Bildung weitgehend Essig, im Gegenteil schrumpft die Mittelschicht, ob das aber wieder Einfluß auf die Wertschätzung der "Hochkultur" hat und welche, keine Ahnung.)
Schon vor den "rechten" Strategien der Volksverdummung, gab es allerdings seit den 70ern eine "linke" Infragestellung der traditionellen bürgerlichen "Hochkultur". Nicht zu Unrecht, denn die wurde ja häufig sehr erstarrt und dünkelhaft gepflegt, als letztlich beliebiges soziales Distinktionsmerkmal, was letztlich auch ein Mißbrauch dieser Kunstwerke gewesen ist. Aber wie so oft hat hier Emanzipation gegenüber repressiven Strukturen dazu geführt, daß oft das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden ist. Statt Ablehnung hätte ja eine Besinnung auf die ursprünglichen Kontexte vieler Kulturprodukte ausgereicht, um diese dem dumpfen Establishment zu entziehen.
viele Grüße
JR (gespalten zwischen politisch progressiv und kulturell konservativ ;))