Liebe Taminos,
Aureliano Pertile gilt sicherlich als eine der großen Persönlichkeiten der italienischen Oper. Auch hier im Forum wird er oft erwähnt; einen eigenen Thread hat er jedoch bisher noch nicht - daher möchte ich heute an ihn erinnern.
„Bildhauer der Melodie“ oder „Tenor Toscaninis“ – an seinem Singen scheiden sich mehr als bei vielen anderen großen Sängern die Geister. Seine Anhänger schwärmen von der perfekten Beherrschung der dynamischen Schattierungen, dem nahtlosen Übergang vom Pianissimo zum Forte, dem phantasievollen und expressiven Vortrag, dem gestischen Singen.
Seine Kritiker verweisen nicht nur auf den „unattraktiven“ Klang seiner Stimme, sondern in erster Linie auf seine – besonders in den späteren Aufnahmen stärker hervortretenden - Neigungen zu einem übersteigerten rhetorischen Gestus, der bisweilen ins Groteske umschlagen kann.
Geboren wurde Pertile am 9. November 1885 in der kleinen Stadt Montagnana in der Nähe von Padua. Die Musen scheinen es in dieser Zeit besonders gut mit dem Städtchen gemeint zu haben, denn auch ein andrer großer Tenor dieser Zeit – Giovanni Martinelli – wurde hier geboren, am 22. Oktober desselben Jahres, wenn man der Legende glauben darf – manche gehen davon aus, dass Martinelli sich einige Jahre jünger gemacht habe. Beide Sänger waren gut befreundet und kamen sich hinsichtlich ihrer Karrieren nicht in die Quere – Martinelli wurde ein Star der Met, während Pertile an der Scala in den 20er Jahren einen immensen Erfolg hatte.
Pertiles schöne Altstimme fiel im Kirchenchor auf, wurde jedoch durch den Stimmbruch zunächst einmal arg gebremst. Was wiederkam, war für die Experten, denen er vorsang, nicht zum Jubeln – ein eher trockener Stimmklang ohne die Süße und Wärme der großen lyrischen Tenöre oder den Silberklang mancher Spintos. Was jedoch alle – auch seine Kritiker – immer wieder bestach, war der Ausdruckswille des jungen Sängers.
1910 schloss er seine Ausbilung an der Musikschule ab und debütierte in Vincenza als Lionel. Schon damals wurde ihm ein „wacher Sinn fürs Dramatische“ bescheinigt, und dies ist wohl nicht nur im Sinne des Musikdramatischen zu verstehen. Feruccio Tagliavini sagte über ihn, er habe „die Stimme eines lyrischen Tenors, aber das dramatische Temperament eines Tribuns“ besessen – und das ist vielleicht das Geheimnis der auch heute auf Tonträgern noch bezwingenden Wirkung seines Singens (auf der Bühne soll er die Leute regelrecht an den Plätzen festgenagelt haben): Er zeigte einerseits noch Finessen, die an die Belcanto-Tenöre des 19. Jh.s (de Lucia oder Bonci) erinnern, verband diese jedoch geschickt mit den Stilmitteln des Verismo, die ihm in späteren Aufnahmen jedoch leider manchmal zum „Verissimo“ gerieten – die Ausschnitte aus Otello oder Carmen sind ein Beispiel für derartige Übersteigerungen.
In den 9 Spielzeiten ab 1921, unter der Ägide Toscaninis, hatte Pertile ein Repertoire von 35 Opernrollen:
u.a. von Verdi den Duca, Alfredo, Manrico, Ricardo, Radames, von Puccini Des Grieux, Rodolfo, Pinkerton, sowie den Edgardo in Donizettis Lucia di Lammermoor. Es gibt ein Bild von ihm in dieser Rolle, auf dem ersichtlich ist, wie sich der äußerlich eher unscheinbare Pertile schwarz gekleidet und mit ängstlich-fragiler Ausstrahlung in den Typus eines romantischen Belcanto-Jünglings verwandeln konnte. Oder in einen römischen Tribun, was sein großer Erfolg in Boitos "Nerone" beweist, eine Rolle, in der er seine Fähigkeiten zur Charakterisierung voll ausspielen konnte.
Pertiles Glanzzeit lag in eben diesen Jahren an der Scala. In folgenden Rollen gefällt er mir am besten: Edgardo, Alfredo, Radames, Manrico (von den beiden letzten gibt es Gesamtaufnahmen) – und in dem „süßen Lied“, das er auf Italienisch gesungen hat. Keine Stimme aus „Blau und Silber“, wie sie Jussi Björling in der Gralserzählung zeigt, aber teilweise zelebriert er den Lohengrin mit einer dolcezza, die man gerade diesem „Espressivo-Sänger“ vielleicht nicht unbedingt zugetraut hätte. Wobei ein großer Teil der Wirkung sicherlich auf die Sängerin der Elsa, die bei uns leider wenig bekannte (ich kenne sie auch nur aus diesen Aufnahmen) Ines Alfani-Tellini zurückgeht: Der Zusammenklang der Stimmen am Ende der Brautgemach-Szene ist herzbewegend.
Pertile sang noch bis 1945, konnte aber – auch bedingt durch zunehmende Herzprobleme – nicht mehr ganz an seine früheren Erfolge anknüpfen. Er starb heute vor 56 Jahren in Mailand.
Wie beurteilt ihr seine Aufnahmen? Ich höre sie bis auf die oben genannten Ausnahmen gern - auch wenn ich mir wünschte, er hätte von seiner belcantistischen Technik der Anfangsjahre auch später noch etwas mehr Gebrauch gemacht.
Liebe Grüße
Petra