Musik der Moderne - Eine Sackgasse (?)

  • Da ich noch immer nciht weiss, über WAS hier nun eigentlich diskutiert wird, kann ich mich nur den Postings von Rideamus und Flotan anschliessen!
    Wie kann man denn Debussy, Schönberg, Webern, Britten, Stockhausen, Richard Strauss, LlLoyd-Webber, Henze, Nino Rota, Sondheim, Zimmermann usw usw usw alle in seinen Sack mit dem Etikett Moderne stecken und dann diskutieren, als würde das Alles keiner Differenzierung und Definition bedürfen????


    Ich finde das ehrlich gesagt dieses Forums etwas unwürdig!
    Man stelle sich vor, 1908 hätte ein imaginärer Forumsbetrieber eine Frage zur Bewertung der Moderne abgegeben und darunter wären dann ohne Differenzierung von Beethoven bis Richard Wagner oder Debussy oder Strawinsky alle Komponisten des 19 Jh subsummiert worden....... ?( ?( ?(
    Welchen Sinn soll das machen, ausser dem von Rideamus so treffend Beschriebenen?



    Was meine Frage zum "moralischen Berufsverbot" für moderne Komponisten angeht: reine Satire, und ich dachte, das würde auch so verstanden werden, insbesondere von Geistern wie Blackadder und J.R. :D
    Tant pis!


    Lieber Medard, ich glaube, dass die moderne Musik es so schwer hat, weil sie die abstrakteste aller Künste ist und gleichzeitig am direktesten auf die Emotionen der Rezipienten zielt. Die intellektuelle Distanz, die zum Verständnis etlciher Strömungen der Moderne notwendig ist, muss man sich viel mühsamer erarbeiten als bei einem Buch oder einem Bild.
    Mir fällt das teilweise(z.B. bei serieller Musik) SEHR schwer und ich habe dann auch keine Lust mehr dazu.


    Aber dazu sollte man dann in dem entsprechenden Thread diskutieren oder einen neuen aufmachen.
    Das Thema finde ich ausserordentlcih interessant, bin nur im Moment etwas serh eingeschränkt in meiner Zeit.


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Die Mozart-Sonaten spielten im Konzertleben bis weit ins 20. Jhd. kaum eine Rolle. Das war Hausmusik für Laien und Liebhaber. Schnabel war ein Außenseiter und Pionier, weil er Mozarts (und erst recht Schuberts) Sonaten regelmäßig im Konzert spielte.
    Soviel zur Halbwertszeit...
    Der viel wichtigere Punkt aber scheint mir zu sein: Warum denn Ewigkeit?
    Es ist doch viel entscheidender, ob ein Stück für uns jetzt oder eben 30, 50 100 Jahre lang relevant ist, was sollte uns kümmern, was die Hörer 2200 von Ligeti halten? ("In the long run we are all dead" (J. M. Keynes))


    Na gut, ersetzen wir Klaviersonaten durch die Komponisten an sich. Das Beispiel fiel mir nur ein, weil eine Aufnahme der Sonaten Boulez' eine der letzten CD's waren, die ich mir gekauft habe.
    (Ich meine auch gelesen zu haben, dass die Klaviersonaten von Mozart lange als mittelmäßiges Nebenwerk eines ansonsten genialen Komponisten galten.)


    Und ... deinem zweiten Punkt würde ich nur teilweise zustimmen, denn natürlich ist die Ewigkeit, die Unsterblichkeit, "von vielen Anonymen geliebt zu werden", kein Wert an sich, weil man einerseits auch für Negatives im kollektiven Gedächtnis dieser "Anonymen" bleiben kann, andererseits weil es dem Marc des Jahres 2008 egal ist, welche seiner Lieblingsquartette auch noch im Jahr 2800 beliebt seien werden.


    Aber: Trotzdem glaube ich, dass ... es ein Qualitätsmerkmal von Kunst seien kann, wenn sie auch noch hunderte Jahre nach dem Tod des Komponisten gespielt und aufgeführt wird. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.


    Die Frage, was Moderne denn eigentlich sei, ist natürlich -da schließe ich mich an- relevant und ich traue mir selbst keine treffende Definition zu.
    Ich habe allerdings den Eindruck, dass wenn von Moderne die Rede ist, eher ein bestimmtes Clichee gemeint ist, dem die "Phantasie für Violine und Klavier Op. 47" von Schönberg wesentlich näher kommt als die "Vingt Regards sur l'Enfant-Jesus" von Messiaen.


    Das gleiche gilt auch, wenn etwa auf die Literatur hingewiesen wird: Beckett, Kafka - lange tot. Daniel Kehlmann, Jonathan Frantzen, Eugenides und co ... ein paar der beliebtesten zur Zeit. Wer hat im Gegensatz dazu mal ein Buch von einem der letzten Bachmann-Preisträger gelesen?

    Zitat

    Original von Mengelberg
    Das würde ich fast unterschreiben, wäre da nicht die fragwürdige Koppelung von Geschmack und Intelligenz.


    Vielleicht sollte ich nochmal sagen, dass ich das Beispiel mit Boulez nicht gebracht habe, weil ich diese Ansicht teilen würde, sondern nur weil es ein Argument ist, das einem immer wieder begegnet.
    Aber gerade wenn man ja bedenkt, dass viele Klassik-Liebhaber große musikalische Vorbildung mitbringen, kann es daran ja nicht scheitern.


    Andererseits kann man diese Kopplung nicht per se zurückweisen, weil Intelligenz und Bildung, die sich gegenseitig beeinflußen, etwa Relevanz besitzen, wenn ich mir eine Wagner-Oper, "Musiktheater" anschaue, denn wenn ich mich einfach so da reinsetze, ohne zu wissen, worum es geht, dann werde ich vielleicht gar nicht nachvollziehen können, warum das alles so lange dauert, aber wenn ich den "Dialog" und die Einheit von Musik - Text kennenlerne, kann ich durch ein mehr an Verstehen auch mehr genießen.
    (Meiner Meinung nach ist die Länge der Meistersinger etwa durch die Musik alleine nicht zu rechtfertigen, obwohl ich befürchte, dass ich jetzt in den Augen vieler ein Eigentor geschossen habe. :D)


    Oder wenn ein Bühnenbild auf ein bestimmtes Gemälde hinweist, das ich erst kennen muss, um die ironische Brechung mittels dieses Gemäldes dechiffrieren zu können.

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Eben, da draengt sich doch gleich der Aepfel- und Birnen-Vergleich auf ;)


    Auch die "Verstaendnis"-Frage bzw. die Anmerkung ob mangelnder Auseinandersetzung moechte ich noch mal ganz dringend unterstreichen. Wir hatten das hier an anderer Stelle schon mal:


    Da wird oft kritisiert und abgestempelt, was man nicht mal wirklich kennt. Und nein, das ist KEIN Vorurteil, sondern ist in anderen Threads sogar unumwunden zugegeben worden, und spaetestens da eruebrigt sich fuer mich eigentlich jegliche Diskussion.


    Ich finde es nicht verwerflich, wenn jemand meint, er/sie moechte nach Erlebnis a) oder b) keine weitere Auseinandersetzung mehr mit der "Moderne". Das ist in Ordnung und eine persoenliche Geschichte, allerdings sollte man, wenn man zugegebenermassen gar keine Auseinandersetzung mit dem Thema wuenscht (oder allenfalls, um mitzuteilen, dass man's zwar nicht wirklich kennt, aber auch nicht kennen will), doch mit Kritik recht sparsam umgehen, das wird sonst leicht unfreiwillig komisch.


    Ich waere auch dringend mal fuer eine Definition von "Moderne", damit wir wissen, uebr WAS wir hier eigentlich diskutieren, denn ich ganz persoenlich wuerde z.B. ungern Britten mit Sondheim oder Poulenc mit Lloyd Webber vergleichen ...

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Für "Berlin Alexanderplatz" würde ich Werke von Ives als Pendant vorschlagen, außer dass sie eben amerikanischen (und eher ländlichen als großstädtischen) Kontext haben. Drei Militärkapellen gleichzeitig durcheinander paßt recht gut zur Stimmenvielfalt dieses Romans.


    Das haut hin. Hier könnte man auch (bei der Literatur) noch "Manhattan Transfer" von Dos Passos anführen oder (bei der Musik) das von Medard genannte "Amérique".




    Zitat

    Original von Klawirr
    Vertonte Texte gelten hier nicht!



    Ok, seh ich auch so.



    Zitat

    Wenn man ein wenig sucht findet man schon was - als Äquivalent zu Stockhausens Gruppen könnte man etwa die Onomatopoetische Dichtung begreifen, oder in der epischen Literatur, ganz plakativ, auch Schmidts »Zettels Traum«. »Berlin Alexanderstadt«? - »Amérique« von Varese . Zum »Sacre« Kokoschkas »Mörder Hoffnung der Frauen« (das »Sacre« wäre hier die eindeutig bessere Bühnenmusik als Hindemith Oper auf den Text). Oder so: Mit Claire Golls »Der Neger Jupiter raubt Europa« oder Soupaults »Le Nègre« würden die wenigsten Probleme haben, während Kreneks »Jonny spielt auf« sicherlich schon als grenzwertig empfunden würde. Reicht das für's erste? :D



    Hm, hm, ich weiß nicht. Mit Ausnahme des Kokoschka (und des Döblin natürlich) hab ich das alles nicht gelesen - und den Oskar find ich gegenüber Strawinskys "Sacre" doch eher zahm. Da muss es doch noch was anderes geben!


    Ob die anderen von Dir genannten literarischen Werke für das "breite Publikum" zugänglicher sind, kann ich nicht beurteilen - bekannter als die Musikwerke sind sie jedenfalls nicht, und das war ja der Ausgangspunkt. Hier gilt das, was Johannes oben gesagt hat:



    Zitat

    Ich wage überdies die angeblich so große Beliebtheit von avantgardistischen und hermetischen Werken der modernen Literatur in Zweifel zu ziehen.



    Außerdem suche ich weiterhin musikalische Pendants zum "Zauberberg" und zum "Mann ohne Eigenschaften" (bei letzterem würde vielleicht Webern passen, wenn der nicht immer so kurz wäre :D). Oder zum "Ulysses". Oder zum nachkriegsdeutschen Gruppe-47-Mainstream. Oder zu Sibylle Berg ;). Um mal ein paar (relativ) vielgelesene Sachen zu nennen.



    Das mit dem "synthetischen Diskutieren" merk ich mir! :D



    Viele Grüße


    Bernd



    PS: Jetzt fällt mir das musikalische Pendant zum "Zauberberg" ein - natürlich die Alpensymphonie! :D


    Naja, gut, ich zieh's zurück... :untertauch:

  • Liebe Fairy, liebe Eponine,
    vielleicht schlagt ihr mal eine Definition vor... Ich habe oben meinen Senf zum »Moderne«-Begriff ja schon abgelassen. Mir fällt jedenfalls keine einigermaßen gescheite Zäsur zwischen 1913/14/18 und ca. 1970 ein.
    Ganz herzlich,
    Medard

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Ob die anderen von Dir genannten literarischen Werke für das "breite Publikum" zugänglicher sind, kann ich nicht beurteilen - bekannter als die Musikwerke sind sie jedenfalls nicht, und das war ja der Ausgangspunkt.


    Was ist denn das breite Publikum? Der Punkt ist doch, daß moderne Musik, bei Leuten durchfällt, die sich tagein, tagaus die Ohren mit Klassik zudröhnen. Das gilt für Leute, die sich ein wenig mit Literatur beschäftigen eben nicht, daß dort moderne Literatur durchfällt (und für die sind Claire Goll und Philippe Soupault mindestens so bekannt und zugänglich wie Varese oder Krenek für den Klassikhörer). Was Lieschen Müller darüber denkt, steht in beiden Fällen naklar auf einem anderen Blatt Papier, will sagen: sie liest wahrscheinlich weder Claire Goll noch hört sie Krenek - aber wahrscheinlich hört sie auch nicht Beethoven und liest nicht Goethe, sondern schaut das »Dschungelcamp«, liest Diana Gabaldon und hört »Tokio Hotel«.



    Zitat

    Hier gilt das, was Johannes oben gesagt hat:


    Jein! Es ist schlicht die Frage welches Publikum man im Auge hat. S.o. Highculture hat nie eine große Popularität erreicht. Der »Faust« oder der »Zauberberg« oder die »Buddenbrooks« dümpeln - wenn man mal das wirklich breite Publikum anschaut - wie Beethoven, Brahms oder Mahler trotz Ihres Status letztlich im Nischensegment herum. Und das nicht erst heute: Der S. Fischer Verlag hat von den »Buddenbrooks« im Erscheinungsjahr 1901 kaum 1.000 Exemplare abgesetzt. Die Groth'sche Verlagsbuchhandlung hat im selben Zeitraum von Frenssens ebenfalls 1901 erschienenem »Jörn Uhl« 130.000 Exemplare verkauft. Jetzt möchte ich aber mal wissen, wie viele Leute hier im Forum den Namen Frenssen schonmal gehört haben, den »Jörn Uhl« vom Titel her kennen oder gar gelesen haben... Die »Buddenbrooks« dürften hier jedenfalls bekannter sein.


    Also: Popularität ist nicht die Sache. Es geht um die Frage, warum viele Klassikhörer - Freaks, Fachleute - mit moderner Mucke (oder halt Krenek) nix anfangen können, während Literaturfreaks mit moderner Literatur erheblich weniger Probleme haben (siehe Goll oder Soupault, die tatsächlich keine Exoten sind).


    Zitat

    Außerdem suche ich weiterhin musikalische Pendants zum "Zauberberg" und zum "Mann ohne Eigenschaften" (bei letzterem würde vielleicht Webern passen, wenn der nicht immer so kurz wäre :D). Oder zum "Ulysses". Oder zum nachkriegsdeutschen Gruppe-47-Mainstream. Oder zu Sibylle Berg ;). Um mal ein paar (relativ) vielgelesene Sachen zu nennen.


    Ich denk mal drüber nach :D ... Zu Frau Berg gibt's doch Musik von F.M. Einheit - o.k. ist nicht richtig klassisch, aber modern ist's schon ;)


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Zum ersten:


    Für das, daß dieser Thread angeblich bereits angeblich in der selben Form mehrere Male abgehandelt wurde ist die Beteiligung und die Emotionsbereitschaft erfreulich hoch. (Binnen 18 Stunden -noch dazu am Wochenende - 35 Beiträge und 497 Klicks)


    Zum Zweiten eine Korrektur:


    Nach meinem ersten Text könnte man den Eindruck gewinnen, ich hätte behauptet, Gegner der Zeitgenössischen Musik würden von den Befürwortern "angepöbelt"
    Ich habe mir die Formulierung angeschaut - in der Tat war das schlecht ausgedrückt. Ich wollte sagen, daß etliche "Internetverweigerer in Sachen Klassikforen mit konservativer Tendenz" dieses Vorurteil hätten - und wir sie deshalb nie zu Gesicht bekämen.


    zum Dritten: Gemeint ist die "Zeitgenössiche Musik" also jene von Komponisten, die noch Leben oder binnen der letzten ~ 10 Jahre verstorben sind.


    Ansonst lasse ich den Thread momentan weiterlaufen ohne Statement meinerseits.......


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Außerdem suche ich weiterhin musikalische Pendants zum "Zauberberg" und zum "Mann ohne Eigenschaften" (bei letzterem würde vielleicht Webern passen, wenn der nicht immer so kurz wäre :D). Oder zum "Ulysses".


    Lieber Bernd,


    zum Ulysses böte ich Saties 18-stündiges op.scurr. "Vexations" an.
    Wie wär's?


    audiamus


    .

  • Zitat

    Original von Klawirr


    Jein! Es ist schlicht die Frage welches Publikum man im Auge hat.


    Das ist es trivialerweise immer, oder? Es ist ja nicht so, dass das Ensemble Modern vor leeren Rängen spielen würde oder dass viele Werke aus der ersten Hälfte des 20. Jhds., etwa von Strawinsky, Bartok, Berg, Schostakowitsch, Prokofieff nicht ebenso fest im üblichen Konzertprogramm auftauchten wie Bruckner und Mozart. Selbst das Durchschnittspublikum geht wesentlich weiter in die "Moderne" mit als unser geschätzter Administrator und selbstverständlich gibt es ein (kleines, aber anscheinend stabiles) Publikum für Avantgarde.


    Zitat


    S.o. Highculture hat nie eine große Popularität erreicht. Der »Faust« oder der »Zauberberg« oder die »Buddenbrooks« dümpeln - wenn man mal das wirklich breite Publikum anschaut - wie Beethoven, Brahms oder Mahler trotz Ihres Status letztlich im Nischensegment herum. Und das nicht erst heute: Der Fischerverlag hat von den »Buddenbrooks« im Erscheinungsjahr 1901 kaum 1.000 Exemplare abgesetzt. Die Groth'sche Verlagsbuchhandlung hat im selben Zeitraum von Frenssens ebenfalls 1901 erschienenem »Jörn Uhl« 130.000 Exemplare verkauft. Jetzt möchte ich aber mal wissen, wie viele Leute hier im Forum den Namen Frenssen schonmal gehört haben, den »Jörn Uhl« vom Titel her kennen oder gar gelesen haben...


    Dann integriere aber mal "Buddenbrooks" vs. "Jörn Uhl" (who the heck is that?) von 1900 bis 2000. Meine Mutter (*1945, mittlerer Schulabschluß, Kindergärtnerin) hat "Buddenbrooks" bestimmt zweimal gelesen, aber sonst wohl nichts von Th. Mann und sie hat sicher noch nie bewußt ein Stück von Berlioz oder Bartok gehört. Will sagen: einige moderne Romane (ebenso z.B. Grass, Lenz, Böll, Hesse, Frisch) sind vermutlich verbreiteter als die meisten Werke der "alten" klassischen Musik. (Gründe s.u.)


    Zitat


    Also: Popularität ist nicht die Sache. Es geht darum, weshalb Klassikhörer - Freaks, Fachleute - mit moderner Mucke (oder halt Krenek) nix anfangen können, während Literaturfreaks mit moderner Literatur erheblich weniger Probleme haben (siehe Goll oder Soupault, die tatsächlich keine Exoten sind).


    Die Namen Goll oder Soupault lese ich jetzt bewußt zum ersten Mal. :O


    Eine Differenzierung ist sicher notwendig, aber ich bezweifle, dass "Literaturfreaks" homogener sind als "Klassikhörer".
    Diese Buntheit, die ich hier im Forum antraf, hat mich wirklich überrascht, obwohl ich natürlich auch lange nicht alles höre.
    Es gibt hier im Forum Hörer, die fast nur Musik vor 1750 hören, sicher nicht typisch, aber eine signifikante Minderheit. Es gibt (vielleicht etwas repräsentativer für den "typischen" Hörer) solche, die hauptsächlich Musik von Beethoven bis Mahler (oder der frühen Klass. Moderne) hören. Es gibt welche, die fast nur Opern hören, es gibt welche, die fast alles außer Opern hören. Es gibt welche, für die Musik ab der Mitte des 19. Jhds. tendenziell "zu modern" ist usw.


    Sollte das unter den Lesern soviel anders sein? Liest jemand, der sich nicht als Student oder Experte damit befaßt (und auch das sind natürlich wesentlich mehr, wenn man sich die relativen Zahlen der Musik- oder Musikwissenschafts- und der Literaturwissenschaftsstudierenden ansieht), auch wenn er ein eifriger Leser von Th. Mann, Grass, Jelinek, Irving, Roth oder Updike ist, "Zettels Traum" oder "The Waste Land" oder den letzten Gedichtband von Grünbein?


    Ich weiß das einfach nicht und lasse mich gern eines besseren belehren.


    Aber wie gesagt, glaube ich, dass in der ganz banalen Feststellung, dass jeder lesen lernt, dass jeder, der ein Gymnasium besucht, zumindest sowas wie Kafka, Brecht oder Döblin vorgesetzt kriegt (mit sicher ambivalenten Folgen), Konkrete Poesie von Jandl in jedem Lesebuch der 7. Klasse steht, wir aber verglichen damit fast alle musikalische Analphabeten sind, ein wesentlicher Grund genannt ist. Andere werden im thread zu Musik und Bildender Kunst angeführt. Womit ich nicht sagen will, dass es eine vollständige und zufriedenstellende Erklärung gäbe.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Forianer,


    ich bin froh darüber, dass Alfred diesen Thread eröffnet hat, denn er bietet uns die Möglichkeit ganz zentriert zu dieser Thematik Stellung zu beziehen.


    Zwei Dinge vorweg:


    Erstens:


    Ich habe nichts gegen die Menschen, die moderne Musik hören, werde sie deshalb auch nie persönlich angreifen. Die Rezeption der Musik ist bei jedem anders gefärbt, weil jeder eben auch einen anderen Musikgeschmack besitzt.



    Zweitens:


    Ich finde es sehr bedauerlich, dass einige Taminos hier mit Fingern auf Personen zeigen, die ihre Meinung frei äußern.


    Also: sollten wir uns auf die Meinungsäußerungen konzentrieren und die persönlichen Angriffe unterlassen.



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

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  • Hallo JR,
    ich glaube, ich habe heute einen Knoten in den Fingern, jedenfalls schreibe ich an den Augen der Mitstreiter vorbei... :O


    Der Vergleich »Buddenbrooks«/»Jörn Uhl« (letzterer war bis 1945 jedenfalls ungefähr gleichwärtig, was die Auflagenzahlen angeht), sollte ja genau in die Richtung Deiner Nachfrage weisen.


    Und dann noch (jetzt nur ganz kurz, weil Besuch im Flur steht): Ich meine nicht, daß die Gruppe der Literatur»freaks« an sich homogener ist als die der kl. Musik»freaks«. Aber ich habe unter Literaturfreaks seltener die Erfahrung gemacht, daß Fachleuite für pietistische Dichtung drei Kreuze schlagen, wenn sie Durs Grünbein lesen müssen/sollen/dürfen als unter Klassik»freaks«, wenn ein Mozartianer Wolfgang Rihm hören muß/soll/darf...


    Weiteres später oder morgen...


    Liebe Grüße,
    Medard


    p.s.: Soupault ist ein Hit! Insbesondere »Die Reise des Horace Pirouelle« und »Die letzten Nächte von Paris« - und naklar die mit A. Breton gemeinsam verfassten »Magnetischen Felder«, der erste Text, der im Verfahren des ecriture automatique entstanden ist.

  • Lieber Alfred,

    Zitat

    zum Dritten: Gemeint ist die "Zeitgenössiche Musik" also jene von Komponisten, die noch Leben oder binnen der letzten ~ 10 Jahre verstorben sind.


    dann wird's freilich völlig absurd, denn von lebenden oder kurz verstorbenen Komponisten läßt sich wegen der Verzerrung der historischen Perspektive überhaupt keine überzeitliche oder nicht-überzeitliche Bedeutung feststellen. Nicht einmal dann, wenn es sich um Meilensteine handelt: Boulez' "Marteau sans maitre" etwa ist ein Meilenstein und wird auch ohne Mitwirkung von Boulez relativ häufig aufgeführt. Aber woher soll ich wissen, wie das in 50 Jahren ausschaut?
    :hello:

    ...

  • Hallo Taminos,


    wir leben heute und noch etwas in der Zukunft. Wir können also nur einen Zeitraum betrachten, den wir selbst miterlebt haben oder durch Überlieferung.


    Betrachtet man in der Musikgeschichte den Zeitraum von 1800 bis 1900, dann wird besonders deutlich, dass in diesem Zeitraum mit die entscheidendsten Kompositionen in allen Bereichen der Musik entstanden sind, die noch heute einen großen Bestandteil des heutigen Musiklebens ausmachen, egal ob Oper, Sinfonie, Konzert, Vokalmusik, Kammermusik, Lied usw.


    Wenn wir die Gegenwart betrachten, dann stellen wir fest, dass der Musikbetrieb, egal ob Oper, Sinfonie, Konzert, Vokalmusik, Kammermusik, Lied, DVD, CD sich mehr neben dem Standardrepertoire, rivhtig stark macht für Ausgrabungen der Musik der Renaissance, des Barocks und der Vorklassik: plötzlich werden alle Vivaldi-Opern interessant! Und siehe da, es wird massenweise gekauft und konsumiert und auf die Bühne gebracht. Um nur ein Beispiel zu nennen.


    Die -zigste Einspielung der Beethoven-Sinfonien ist den Produzenten und den meisten Rezipienten lukrativer als oftmals Musik der modernen Musik.


    Das muss doch seine Ursachen haben!? Und wo liegen die?


    Auch die heutigen Menschen wollen die Musik genießen, wollen entspannen, wollen mitsingen, mitpfeiffen, mitdirigieren usw.


    Daher gibt es genug Menschen, die sich nicht nur von der modernen Musik abwenden, sondern, die beispielsweise auch Bereiche der Kammermusik ablehnen, Streichquartette z.B., weil sie es persönlich als nicht angenehm beim Hören empfinden. Die aber andere Musikstücke des Komponisten sehr schätzen. Auch Wagner-Opern oder Strauss-Opern sind nicht jedermanns Geschmack, obwohl sie weltweit sehr präsent sind.


    Daher hat es die Musik des 20. Jahrhunderts eben bei diesen Menschen sehr schwer, für die Melodie, Harmonik in der Musik eine wesentliche Rolle spielen. Sie lehnen die moderne Musik schlichtweg ab.


    Aber es gibt auch genügend Menschen, die auch gern der modernen Musik lauschen, die gespannt auf ein neues Werk ihres großen noch lebenden Komponisten warten. Allerdings sind das nicht sehr viele Miusikliebhaber.



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:



  • Lieber Audiamus,


    vergleichbar sicher, was das Stehvermögen des Rezipienten betrifft :D. Ansonsten ist "Ulysses" einerseits sicher viel komplexer als die "Vexations", andererseits gewissermaßen konventioneller, weil bei aller Komplexität doch noch eine "Geschichte" erzählt wird.


    Dem Prinzip der fast unendlichen Wiederholung bei den "Vexations" entspricht vielleicht eher die pausenlose Lektüre aller Beiträge in diesem Forum zum Thema Musiktheaterregie. :D


    Allerdings muss ich bekennen, dass ich die "Vexations" noch nie vollständig gehört habe (wer hat das schon?) - dabei gab's sogar mal irgendwann in Würzburg (oder Nürnberg?) eine entsprechende Performance...



    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Für das, daß dieser Thread angeblich bereits angeblich in der selben Form mehrere Male abgehandelt wurde ist die Beteiligung und die Emotionsbereitschaft erfreulich hoch. (Binnen 18 Stunden -noch dazu am Wochenende - 35 Beiträge und 497 Klicks)



    Lieber Alfred,


    die Beteiligung und Emotionsbereitschaft ist gerade bei den Themen immer besonders hoch, die schon mehrfach abgehandelt wurden (Opernregie, Karajan etc.) - das ist ja gerade der Witz. ;) Und ich beschwer mich ja gar nicht - schließlich rühr ich selbst mit im Brei...


    Für die besonders Lesefreudigen unter uns :D noch ein paar Links zu ähnlichen (nicht gleichen) Threads:


    Über das falsche Publikum


    Zeitgenössische Musik im Schmollwinkel (?)


    Der Nachahmungstrieb oder die Modernität als Masche


    Was ist eigentlich modern?


    Warum unbedingt modern?



    Viel Spaß! :D



    Zitat

    Original von Klawirr
    Ich meine nicht, daß die Gruppe der Literatur»freaks« an sich homogener ist als die der kl. Musik»freaks«. Aber ich habe unter Literaturfreaks seltener die Erfahrung gemacht, daß Fachleuite für pietistische Dichtung drei Kreuze schlagen, wenn sie Durs Grünbein lesen müssen/sollen/dürfen als unter Klassik»freaks«, wenn ein Mozartianer Wolfgang Rihm hören muß/soll/darf...



    Lieber Medard,


    hier stimme ich tendenziell zu. Ich muss nochmal drüber nachdenken. ;)


    (Soupault kenn ich gerade mal vom Namen her, bei Claire Goll weiß ich etwas mehr, aber gelesen habe ich noch nie was von ihr...)



    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich versuche dann jetzt mal die Eingrenzung, ohne Gewaehr: ;)


    Es soll also um Komponisten geben, die noch leben oder maximal 10 Jahre tot sind, das grenzt die Sache ja schon etwas ein.
    Musik der Wende (Impressionismus/Expressionismus oder fruehes 20. Jhd.) faellt damit auch flach.
    Klassische Moderne auch.
    Alles, was mir sonst noch einfaellt und gemeinhin "modern" genannt wird, ist irgendwie zu lange tot (Varese, Ives etc.)


    Was bleibt? Sprechen wir dann also weitestgehend ueber Musik nach 1945 und Postmoderne (den ganzen Bereich Unterhaltungsmusik und auch Jazz wahrscheinlich ohnehin aussen vor lassend)?


    Da bliebe dann Musique concrete, Serialismus, Aleatorik, Minimal Music und wahrscheinlich noch vieles, was mir jetzt spontan nicht einfaellt ;)

    Als Komponisten (wobei ich darum bitte, das mit den hoechstens 10 Jahre tot nicht zu streng auszulegen) nur mal die, die ich auch aus eigener "Anhoerung" kenne und die mir jetzt gerade aus dem Stehgreif einfallen und in obiges Korsett passen:
    Messiaen, Stockhausen, Boulez, Nono, Berio, Xenakis, Cage, Lutoslawski, Penderecki, Ligeti, Zimmermann, Riley, Reich, Glass, Rihm, Henze, Paert, Adams, Nyman, Einaudi


    Und etliche andere, ich bitte um Ergaenzung ...


    Aber, um es zum Ausgang zurueckzubringen: Das sind alles SEHR verschiedene Musikrichtungen und kompositorische Ansaetze, und ich tue mich schwer damit, die in einen Pott zu werfen. Und ganz persoenlich natuerlich auch damit, dass Komponisten wie Sondheim hier eher nicht gefragt sind, da sie "Unterhaltungsmusik" machen ;)



    Lieber Liebestraum,
    ich greife hier mal einen Satz von Dir heraus:


    Zitat

    Daher hat es die Musik des 20. Jahrhunderts eben bei diesen Menschen sehr schwer, für die Melodie, Harmonik in der Musik eine wesentliche Rolle spielen. Sie lehnen die moderne Musik schlichtweg ab.


    Dann wuerde ich sehr empfehlen, mal in Richtung Postmoderne zu schauen. Da gibt es doch eine komplette Gegenbewegung zu atonaler "schraeger" Musik. Ich verstehe immer noch nicht, dass sich das scheinbar nicht rumspricht, und das zeigt mir eben nur, dass sich mit dieser Musik einfach gar nicht auseinandergesetzt wird. Muss man wie gesagt nicht. Man kann aber auch nicht alle "Neue Musik" ueber einen Kamm scheren, wie das hier unterschwellig schon wieder getan wird ...

  • Zitat

    Alles, was mir sonst noch einfaellt und gemeinhin "modern" genannt wird, ist irgendwie zu lange tot


    So geht es mir auch :baeh01:


    Es interessant wie Du mich (ungewollt) bestätigst.


    Denn eigentlich wollte ich ja keine Hasstirade gegen die zeitgenössische Musik starten - ich wollte eher behaupten, sie wäre nicht akzeptiert und ihr Stellenwert wäre gering.


    Ich muß natürlich nicht unbedingt recht behalten - aber in dieser von mir gewählten Form wurde das Thema bisher noch nicht aufgerollt.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Frage: Wann hat sich ein Werk durchgesetzt?


    Antwort: Wenn das betreffende Werk im Bewußtsein der Menschen, auf dem Konzertpodium oder Opernhaus regelmäßig präsent ist und wenn es mehrere Aufnahmen dieses Werkes auf Tonträgern gibt.


    Selbstverständlich kann ein Werk auch diesen Status erreichen, wenn das Werk erst in 150 Jahren oder später diese Maßstäbe erfüllt!


    Angeführt wird dann immer mal wieder das Beispiel der Wiederentdeckung von Bachs "Matthäus-Passion" durch Mendelssohn, die zur Bach-Renaissance führte.


    Dabei darf man aber nicht außer acht lassen, dass in dem damals engen territorial begrenzten Sachsen es weit aus schwieriger war bekannt zu werden, und außerdem hatte die Musik zu Bachs Zeiten einen ganz anderen Stellenwert.


    Obwohl die Zeit heute viel schnelllebiger ist, sich Erfolge wie ein Lauffeuer in aller Welt verstreuen, bleibt der große Erfolg der modernen Musik aus.


    Wann wurde in Berlin letztmalig Brittens "Billy Budd" aufgeführt? Wie oft dagegen "Elektra"?


    Die ganzen Versuche, die Goldschmidts und Schrekers zu reanimieren sind kläglich gescheitert. Ja klar, hier und da ist mal eine Oper aufgeführt worden, aber sie sind nicht präsent, auch nicht im Bewußtsein der Menschen, trotz der ganzen musikkritischen Lobhudelei und der CD-Veröffentlichungen.



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Hallo Liebestraum,
    herrlich, wie Du Dir widersprichst: "Elektra" ist harmonisch wesentlich avancierter als "Billy Budd" (mit Ausnahme von genau einem Akkord im "Billy").


    Abgesehen davon ist es - pardon - kompletter Unsinn, mit Aufführungszahlen zu kommen. Bleiben wir bei Strauss und Britten - was ist beim Vergleich "Peter Grimes" und "Liebe der Danae"? Oder meinetwegen "Turn of the Screw" und "Intermezzo". Abgesehen davon ist "Elektra" zweifellos im Hintertreffen gegen "Carmen" - und daraus folgt jetzt haarscharf, daß man "Elektra" nicht mehr spielen soll, weil "Carmen" der größere Publikumsrenner ist?

    Zitat

    Antwort: Wenn das betreffende Werk im Bewußtsein der Menschen, auf dem Konzertpodium oder Opernhaus regelmäßig präsent ist und wenn es mehrere Aufnahmen dieses Werkes auf Tonträgern gibt.


    Wunderbar. Dann hat sich der inkriminierte "Billy Budd" ohnedies durchgesetzt, "Carmina burana" sogar wesentlich stärker als Puccinis "Turandot", möglicherweise auch stärker als Beethovens "Solemnis" usw. usf.


    Ich glaube, man muß vom Publikumszuspruch langsam wegkommen. Es ist kein seriöser Ansatz, weil man zuviel früherer Musik als nicht überlebensfähig einstuft (wetten, daß es weniger Einspielungen von Vivaldis "Farnace" gibt als von Brittens "Billy Budd"?), letzten Endes bei den Beatles landet. Oder gar bei den berühmten Fliegen.


    ***


    Lieber Medard,
    ad Soupault empfehle ich außerdem die frühen (also noch weitgehend dem Surrealismus verpflichteten) Gedichte, die nur von denen Desnos' übertroffen werden.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Liebestraum
    Frage: Wann hat sich ein Werk durchgesetzt?


    Antwort: Wenn das betreffende Werk im Bewußtsein der Menschen, auf dem Konzertpodium oder Opernhaus regelmäßig präsent ist und wenn es mehrere Aufnahmen dieses Werkes auf Tonträgern gibt.


    Aber es kann doch auch wieder verschwinden. Spohrs Faust und diverse andere Opern gehörten 80 Jahre oder länger zum Repertoire, dann verschwanden sie. Wie oft wurde "Tiefland" in den letzten 30 Jahren aufgeführt, verglichen mit den 50 Jahren vorher?


    Zitat


    Obwohl die Zeit heute viel schnelllebiger ist, sich Erfolge wie ein Lauffeuer in aller Welt verstreuen, bleibt der große Erfolg der modernen Musik aus.


    Welcher Erfolg welcher Musik?
    Verglichen mit den Beatles bleibt der Erfolg sämtlicher Klassischer Musik zusammen aus... Es kommt auf den Maßstab für Erfolg an. Und selbst avantgardistische Musik hat den Erfolg, dass es eine stabile Zahl von Musikern gibt, die sie spielen und von Hörern, die sie hören will. Warum müssen es mehr sein?
    Es hören auch sehr viel weniger Leute Messen von Josquin, Madrigale von Monteverdi oder Beethovens späte Quartette als La traviata mit Netrebko. Aber warum sollte das ein Problem sein?


    Werke, die zu ihrer Entstehungzeit als skandalös, widerwärtig, was weiß ich noch galten, werden heute regelmäßig in stinknormalen Konzerten aufgeführt, haben sich etabliert.
    Beispiele: Elektra, Le Sacre du Printemps, Wozzeck


    Werke von Komponisten wie Ligeti, Boulez usw. tauchen vielleicht noch nicht im gewöhnlichen Abonnementkonzert auf, aber sie ziehen ein stabiles Publikum bei entsprechenden Festivals und Spezialkonzerten und sind in diversen Aufnahmen erhältlich. Glaubt Ihr wirklich, dass Barenboim, Abbado u.a. Boulez' Musik dirigieren, obwohl sie die Musik scheußlich finden, weil sie von einer Mafia dazu gezwungen werden?


    Warum ist es kein Problem, dass nur ca. 10% der Bevölkerung überhaupt klassische Musik hören, aber auf einmal eines, dass nur 0,1% neuere oder zeitgenössische Musik hören?
    Es ist natürlich keins. Es ist nur ein Messen mit zweierlei Maß. Beim ersten Mal soll die Minderheit für den (positiv verstandenen) "elitären" Charakter der Klassik sprechen soll, beim zweiten Mal dafür, dass sich "niemand" für neue Musik interessiert. Ebenso könnte man sagen, dass (aus der Populärmusikperspektive) sich "niemand" für Klassik interessiert und (vom Avantgardestandpunkt aus) dass das kleine, feine Publikum eben ein Zeichen für den elitären Charakter ist.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Liebestraum!


    Zitat

    Wann wurde in Berlin letztmalig Brittens "Billy Budd" aufgeführt? Wie oft dagegen "Elektra"?


    Berlin ist nicht der Nabel der Welt. Hier in Hamburg beispielsweise wurde Billy Budd mit großem Erfolg gespielt.


    Das Aufführungs-Verhältnis Billy-Budd Elektra hat mich interessiert. Bei operabase kann man nach Vorstellungen suchen. Ich habe mir die Anzahl der Vorstellungen seit 01.01.07 anzeigen lassen. Falls es noch jemanden interessiert, hier ist das Ergebnis:


    Elektra: 143 Aufführungen von 32 Produktionen in 26 Städten.


    Billy Budd: 53 Aufführungen von 10 Produktionen in 9 Städten.
    (in Deutschland in Frankfurt, Hamburg, Köln und München)


    Übrigens wurden in den letzten Konzerten, in denen ich war, die modernen Stücke vom Publikum enthusiastisch bejubelt: Vor allem Pintschers Reflections on Narcissus mit Gerhardtm aber auch Zimmermanns Trompetenkonzert mit Hardenberger. Riesenerfolge!


    Der Zarathustra von Strauss, gegen den Pintscher antrat, bekam nebenbei bemerkt nur Anstandsapplaus.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Zwielicht


    Dem Prinzip der fast unendlichen Wiederholung bei den "Vexations" entspricht vielleicht eher die pausenlose Lektüre aller Beiträge in diesem Forum zum Thema Musiktheaterregie. :D


    Bingo!

  • Zitat

    Werke, die zu ihrer Entstehungzeit als skandalös, widerwärtig, was weiß ich noch galten, werden heute regelmäßig in stinknormalen Konzerten aufgeführt, haben sich etabliert.


    Das mag sein - Jedoch muß ich natürlich HEUTE urteilen, und bin nicht in der Lage 200 Jahre in die Zukunft zu blicken - Glücklicherweise nicht.
    Die Menschen des 16. Jahrhunderts hätten vermutlich Leute, welche Hardrock spielten, am Scheiterhaufen verbrannt .......


    Zitat

    Glaubt Ihr wirklich, dass Barenboim, Abbado u.a. Boulez' Musik dirigieren, obwohl sie die Musik scheußlich finden, weil sie von einer Mafia dazu gezwungen werden?


    Ich glaube, daß sie alles dirigieren würden wofür man sie ädiquat bezahlt.


    Messen von Joasqin etc waren ja auch nicht zum Vergnügen der Leute komponiert - sie sollten andächtig, demütig, fromm und gottergeben machen, eventuell noch eine hypnotisierende, suggestive Wirkung haben, was man duirch eine gewisse Eintönigkeit erreicht.


    Ich stimme überein: Joasquins Belibtheisgrad steht jenem zeitgenössischer Musik in nicht nach - und umgekehrt.


    Jedenfalls hatte jene Musik aber eine nachvollziehbare Funktion - und ist schon aus historischen Gründen interessant....


    Letzteres räume ich auch einigen sperrigen Werken ders beginnenden 20. Jahrhunderts durchaus ein - Ich höre sie aus historischem Interesse - und nicht etwa weil sie mir gefallen....


    mfg aus Wien


    Alfred



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Edwin,


    ich habe mich nicht widersprochen; ich habe absichtlich eine Oper der Moderne ("Billy Budd") einem Werk gegenübergestellt, was ich nicht zur Moderne zähle, aber musikalisch eben auch kein Verdi ist!


    Dann spitze ich es noch mehr zu:


    Wann sind in Berlin mehrere Britten-Opern gespielt worden? Wieviel Strauss-Opern sind dagegen ständig präsent an den Berliner Opernhäusern?


    Zitat:


    Zitat

    Abgesehen davon ist "Elektra" zweifellos im Hintertreffen gegen "Carmen" - und daraus folgt jetzt haarscharf, daß man "Elektra" nicht mehr spielen soll, weil "Carmen" der größere Publikumsrenner ist?


    Das ist doch hier nicht die Frage, sondern, wer geht in die Aufführung!?
    "Elektra" und "Carmen" sind bei guter Besetzung fast immer ausverkauft.


    Britten spielt man dagegen nach 5 Aufführungen vor halbleeren Sälen.
    Ist ja auch klar, wer kennt "Carmen"? Wer kennt dagegen "Billy Budd"?? :stumm:



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Hallo Norbert,


    Berlin ist nicht der Nabel der Welt, aber die Stadt hat drei Opernhäuser, aber kein Opernhaus ist bereit das zu spielen - was ich durchaus verstehen kann.


    Dagegen liefen in Berlin in einem Jahr drei "Elektras" in Berlin an allen drei Opernhäusern...



    Ansonsten sagt ja dein Ergebnis so allerhand aus: 3:1 für "Elektra"!


    Wenn wir jetzt noch das Verhältnis sämtlicher gespielter Strauss-Opern denen der gespielten Britten-Opern gegenüberstellen würden, bliebe von Britten wenig übrig.



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Lieber Liebestraum,


    tut mir Leid, aber Dein letztes Argument zieht UEBERHAUPT nicht, da es nur die Sicht des deutschsprachigen Raums spiegelt.


    Komme mal nach Grossbritannien, da wirst Du feststellen, dass Strauss wesentlich seltener gespielt wird als Britten, und das ist Fakt.


    Ich mag auch Carmen als Oper sehr, ob Bizets Musik allerdings qualitativ besser ist als die von Britten: Da mache ich mal drei ganz dicke Fragezeichen ???


    Ich wuerde sagen, Bizet ist gefaelliger, ist Popmusik aber bisweilen auch :stumm:

  • Zitat

    Original von Klawirr...Aber mich treibt noch Fairys Frage um, warum es die »Musik der Moderne« anscheinend so viel schwerer hat, als die Kunst oder Literatur der Moderne. Das ist ja wirklich eine seltsame Sache. Leute lesen mit Begeisterung »Berlin Alexanderplatz« oder den »Mann ohne Eigenschaften« oder den »Zauberberg«, wissen aber mit der musikalischen Avantgarde der 1920er und 1930er Jahre nichts anzufangen. Man liest Ingeborg Bachmann, Henze aber ist ein Graus. Man geht in eine Ausstellung der Werke von Kiefer, Baselitz oder Boltanski, würde aber keine Konzertkarten kaufen, wenn Werke von Schnebel, Rihm oder sonst einem suspekten Moderninski auf dem Programm stehen... Woran liegt's? Keine Ahnung...


    Ganz herzlich,
    Medard


    weil die bildenden Künste und die Literatur gegenständlich sind und damit 'faßbarer'? Weil die Musik die Kunst ist, die ausdrückt, was man nicht sagen oder herstellen kann und die zwar ein Thema, aber keinen Namen dafür hat? Und sie ihrer Zeit insofern immer noch einen Schritt weiter voraus ist als die anderen Künste? Dem würde entsprechen, daß auch die Klassiker zu ihrer Zeit oftmals 'unverstanden' waren.


    Gruß


    helmutandres

  • Hallo Johannes,


    sind wir in einem Klassik- oder in einem Pop-Forum?



    Zitat


    Zitat

    Es hören auch sehr viel weniger Leute Messen von Josquin, Madrigale von Monteverdi oder Beethovens späte Quartette als La traviata mit Netrebko. Aber warum sollte das ein Problem sein?


    Ich sehe darin auch kein Problem, nur wird es hier zu einem Problem gemacht, weil es viele Musikfreunde gibt, die das nicht hören wollen und sich dazu eindeutig positionieren!



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Lieber Alfred,


    Du zitierst selektiv, denn danach kamen noch genug Einfaelle, die durchaus hoerenswert sind, und das ist bei Weitem noch nicht erschoepfend :baeh01:

  • Zitat

    Zitat Liebestraum
    Britten spielt man dagegen nach 5 Aufführungen vor halbleeren Sälen.


    :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    Also, das ist nun wirklich kompletter Unsinn - zumindest, wenn man von Berlin nach Wien blendet!!! (Offenbar macht die Berliner Oper etwas falsch...)
    "Peter Grimes" war in Wien zwei Serien lang ausverkauft.
    "Billy Budd" war eine Serie lang ausverkauft und lief in allen weiteren Serien mit hervorragender Auslastung.
    "Turn of the Screw" war in der Kammeroper eine Serie lang ausverkauft, eine Serie mit einer Gastproduktion bei den Festwochen lief ebenfalls vor ausverkauftem Haus.
    "Albert Herring" wurde von der Volksoper zwei Saisonen lang wiederaufgenommen - wegen des großen Publikumserfolgs! Ebenso erging es dem "Sommernachtstraum" im gleichen Haus.


    Strauss ist Deutscher, Britten ist Engländer, also schauen wir, wie's in der Heimat Brittens bestellt ist, um einen Vergleich mit Berlin/Strauss zu bekommen: Dreimal war es mir nicht möglich, für eine Britten-Premiere in Covent Garden eine Karte zu bekommen, obwohl ich von der Redaktion aus ansuchte und bereit war zu bezahlen. Sie hatten einfach keine mehr - und zwar jeweils einen Monat vor der Aufführung. Ebenso erging es zwei Kollegen.


    Übrigens lief auch der "Billy" in Paris vor ausverkauftem Haus.


    Um von Britten wegzukommen: Cerhas "Baal" war an der Staatsoper ein echter Erfolg, von Menottis "Amahl" wurden sogar Zusatzvorstellungen angesetzt - das zugunsten von Menotti abgesetzte Werk war übrigens die "Ariadne" von Richard Strauss, die übrigens, ebenso wie "Capriccio", kaum je wirklich gut besucht ist.


    Daß es vor einer Oper buchstäblich zu, nun: nicht gerade Schlägereien, aber doch echtem Gerangel um die Karten kam, habe ich in Wien zweimal erlebt: Als Kleiber den "Rosenkavalier" dirigierte und bei den letzten beiden Aufführungen von Bernsteins "Mass" (nein, es dirigierte nicht Bernstein, sondern Maurice Peress).


    In der Volksoper wiederum war Schostakowitschs "Lady Macbeth" ein Dauerbrenner, das Werk war besser verkauft als Mozarts "Don Giovanni". Und jüngst war die Premiere von Poulencs "Karmeliterinnen" im Theater an der Wien ausverkauft, die Folgeaufführungen sind sehr gut verkauft (bei 90 Prozent und darüber).


    Echte Flops aus dem Bereich 20. Jahrhundert waren an der Staatsoper lediglich:
    - Cardillac von Hindemith
    - Der junge Lord von Henze
    - Gesualdo von Schnittke
    und an der Volksoper
    - Preußisches Märchen von Blacher
    Alle anderen Opern aus diesem Bereich liefen mit durchschnittlichem bis überdurchschnittlichem Erfolg.


    Außerdem: In Wien läuft jedes Jahr ein Konzert-Festival namens Wien modern, in dem Sandwich-Programme eine absolute Ausnahme sind und in dem neben den Klassikern der Moderne ein Schwerpunkt auf lebenden oder erst kürzlich verstorbenen Komponisten liegt. Dieses Festival hat eine überdurchschnittlich hohe Publikumsakzeptanz.


    Und jetzt frage ich mich: Ist Wien die Hochburg der Moderne geworden?
    Und in Berlin spielt Simon Rattle seine Modernen sicher vor leerem Haus, nicht wahr? Wieso konnte ich dann bloß keine Karten für Henzes "Floß der Medusa" ergattern...?


    Daß Komponisten, die im 20. jahrhundert geboren wurden, keinen Publikumszuspruch finden, ist jedenfalls eine völlig veraltete Behauptung. Sie wird auch durch Repetition nicht richtiger sondern höchstens abgestandener.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Liebestraum
    Das ist doch hier nicht die Frage, sondern, wer geht in die Aufführung!?
    "Elektra" und "Carmen" sind bei guter Besetzung fast immer ausverkauft.


    Trotzdem irgendwie komisch, dass Billy Budd als Beispiel für ein sperriges und modernes Sackgassenwerk angeführt wird, und ausgerechnet die Elektra(!!) als Gegensatz und klassischer Publikumsrenner. ?(


    Ich habe die Elektra nur einmal live gesehen, kann u.a. auch deswegen nicht beurteilen, wie hoch die Auslastung bei Vorstellungen ist, aber gesetzt den Fall, es ist so wie du schreibst, dann frage ich mich, ob die Elektra auch dann noch ausverkauft wäre, wenn sie nicht vom Komponisten des Rosenkavaliers stammen würde, sondern von Nono.


    An der Musik allein könnte es dann ja nicht liegen, denn wer die eineinhalb Stunden Elektra durchhält, für den müsste Billy Budd doch eine Wohltat sein.

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

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