Maurizio Pollini - Grenzgänger zwischen Romantik und Moderne

  • Hallo zusammen,


    zu meinem Beitrag etwas weiter oben möchte ich hier noch zwei Empfehlungen nachreichen zu bemerkenswerten Pollini-Aufnahmen, die in diesem Thread noch nicht erwähnt wurden - beides definitiv Aufnahmen für die einsame Insel (...wenn einsame Inseln in Wirklichkeit nicht viel zu klein wären, um dort alle Aufnahmen für die einsame Insel unterzubringen...):


    - zum Einen die der symphonischen Etüden von Schumann mit dem Höhepunkt der fünften posthum von Brahms herausgegebenen Variation, perfekt "leggierissimo" gespielt (mit wunderbar von der Aufnahmetechnik eingefangenem Pollini-Klavierklang),


    - zum Anderen die Aufnahme des Brahmsschen Klavierquintetts op. 34, gespielt gemeinsam mit dem Quartetto Italiano. Sie beweist, wie schade es ist, dass Pollini nicht mehr Kammermusik eingespielt hat.


    Gruß
    Pylades


    P.S.: Die Schumann-Aufnahme ist von 1984, die Brahms-Aufnahme von 1980.

  • Zitat

    Original von Accuphan
    Die Bagatellen sind für mich ein Beispiel für den Homerun eines Major-Labels mit einem Major-Pianisten: Scherbakov auf Naxos wurde gefeiert, ich kaufte die CD, war begeistert. Und dann kam Pollini und zeigte in meinen Ohren souverän, wo der Hammer hängt. Ob einem das den doppelten CD-Preis wert ist, wäre eine andere Frage - mich hat's begeistert.


    Hallo Accophan,


    die Bagatellen gibt es mit Pollini doch gar nicht (nicht bei DG und meines Wissens auch sonst nirgendwo), meinst du etwa die Diabelli-Variationen (die Scherbekov auch aufgenommen hat)? Meines Erachtens ist das eine streitbare Aufnahme: der der Musik hier unzweifelhaft immanente Witz kommt doch arg kurz. Aus dem gleichen Grund können mich auch seine Debussy Preludes nicht überzeugen, da fehlt bei einigen Stücken einfach der Schalk.


    Viele Grüße,
    Christian

  • Zitat

    Original von Pylades
    "reinhaut". (gibt bestimmt einen Fachausdruck)
    Christian


    Hallo Christian, für „reinhauen“ kenne ich keinen Begriff beim Piano. Ich könnte mir vorstellen, dass da steht „fortissimo““ und ein Staccato oder sonst eine zusätzliche Anweisung in welcher Sprache auch immer.


    LG Michael :hello:

  • Hallo zusammen,


    auch wenn es vom Thema her nicht ganz hierher gehört: ich habe gelesen, dass sich Pollini inzwischen, wie so viele andere Pianisten, dem Dirigieren zugewandt hat, zumindest hin und wieder - insbesondere gibt es eine Einpielung der Oper "Donna del lago" von Rossini unter seiner Stabführung (mit Ricciarelli, Valentini-Terrani, Ramey und dem Chamber Orchestra of Europe, 1990 aufgenommen). Dass er sich ausgerechnet Rossini zuwenden würde, hätte ich nicht vermutet - aber warum eigentlich nicht? - "In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen."
    Immerhin - die wenigen Kritiken, die ich gefunden habe, klingen alle famos.


    Frage: kennt jemand die Aufnahme? - gibt es Besonderes zu berichten?


    Gruß
    Pylades

  • Zitat

    Original von Michael
    für „reinhauen“ kenne ich keinen Begriff beim Piano


    Hallo Michael,


    ich meinte auch nicht, dass es einen Fachbegriff fürs "Reinhauen" gibt, sondern für dich Technik, die Tasten eines oder mehrerer Töne nach dem Ausklingen weiter (stumm) angeschlagen zu halten, und eben diese "stummen Saiten" durch ein fff- Anschlagen anderer Tasten zum Mitschwingen zu bringen. Bei Stockhausen kann man in diesem Zusammenhang meines Erachtens schon mal von einem "in die Tasten hauen oder schlagen" sprechen.


    vg,
    Christain

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  • Hallo,
    Ich habe mal mit einem Freund vor Jahren rund 15 Aufnahmen der D960 von Schubert verglichen. Ich kann mich nicht mehr an alle Pianisten erinnern, die dabei waren, aber Pollini hat uns damals am Besten gefallen. Die nicht ganz einfache Struktur des Stückes war für uns am verständlichsten durch Pollini dargestellt. Ich habe ihn auch mal live bei den Luzerner Festspielen gehört und war sehr beeindruckt von Petroushka, vor allem wegen der unglaublichen rhythmischen Präzision.


    GRuss


    :hello: Syrinx

  • Zitat

    Original von Christian B.
    Hallo Accophan,
    die Bagatellen gibt es mit Pollini doch gar nicht (nicht bei DG und meines Wissens auch sonst nirgendwo), meinst du etwa die Diabelli-Variationen (die Scherbekov auch aufgenommen hat)?...
    Viele Grüße,
    Christian


    Hallo Christian,


    hoppla, da bin ich voll daneben gewesenm danke für den Hinweis. Natürlich meinte ich die Diabelli-Variationen... ;)


    Ich hatte aber auch die Bach Partitas mit Weissenberg a.a.O. schon als Goldbergvariationen gepostet, überrannt von Nachfragen, was das denn für eine Aufnahme sei... (und ich hoffe, daß ich mich jetzt wenigsten richtig erinnere... =)


    Was bringt die Zukunft mit Pollini:


    Im Juni hat er Mozart aufgenommen (Wiener Philharmoniker, ohne Dirigent) und es wird mehr Beethoven geben. Das zumindest steht fest und ich freue mich auf jede seiner Aufnahmen.


    Beste Grüße
    Accuphan

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Hallo Christian und Michael,


    ich vermute, dass es sich bei diesem Verfahren um das Flageolett beim Klavier handelt, welches meines Wissens zum ersten Mal in Schönbergs Klavierstücken op. 11 vorkommt.


    Viele Grüße


    :hello:

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    Erste Eindruecke von Pollinis neuer Beethoven-CD: stürmisch und wild gespielt, was dieser Sonaten-Trias ja angemessen ist. Die langen Sätze werden nicht wie fast schon üblich endlos zerdehnt, sondern eher zügig genommen, ohne dabei aber ihren Charakter zu verlieren.


    Im Vergleich zum viel abgeklärteren Gilels (ebenfalls DG) betritt hier ein junger, grimmiger Mann die Bühne (ich meine Beethoven), der mit einem großen, selbstbewussten Wurf zeigen will was er kann und dabei alles andere zur Seite schiebt.


    Im Unterschied zu manch anderen der letzten Pollini-Aufnahmen gehen diesmal im Gefecht keine Details unter. Der Ton ist wie immer leuchtend und einfach ein Genuß!


    Wirklich ärgerlich und aufnahmetechnisch eine Unverschämtheit sind jedoch die störenden Atemgeräusche bei op. 2,1. Da diese Geräusche bei den beiden anderen Sonaten fehlen, wurde hier offenbar geschludert.


    Viele Grüße,
    Christian

  • Zuletzt erschienen ist Pollinis Aufnahme von KV 414 und 491 mit den Wiener Philharmonikern, Pollini dirigiert dabei das Klavier vom Flügel aus, die zweite Aufnahme in dieser Besetzung mit den Wienern:



    Oft hören können habe ich die CD noch nicht, doch fand ich die Kritik die heute in der FAZ von Frau Büning zu lesen war, nicht nachvollziehbar:



    Zitat

    "[...] Pollini dirigiert das Klavier wie es zur Mozartzeit üblich war, vom Flügel aus. Gesanglich im Ausdruck, klangfarbenreich das Speil des Orchesters. und doch: Es passt nichts zusammen, immer eilig, keine Konturen. Auch beim zweiten Album mit den Klaiverkonzerten KV 453 und KV 491 ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, dass dieses Experiment nicht zu den geglückten zählt. [...]"


    Kurios. Das Zusammenspiel von Orchester und Solist ist gelungen. Verpatzte Einsätze habe ich beim Hören jedenfalls keine wahrnehmen können.


    Und was das heißen soll "keine Konturen"?


    Herzliche Grüße,:hello::hello:



    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Original von Caesar73:



    Kurios. Das Zusammenspiel von Orchester und Solist ist gelungen. Verpatzte Einsätze habe ich beim Hören jedenfalls keine wahrnehmen können.
    Und was das heißen soll "keine Konturen"?


    Das Zitat aus der Zeitung verstehe ich auch nicht so recht. Wenn mehr nicht dazu gesagt wurde, sollte man sich auf jeden Fall selbst eine Meinung bilden. Wenn es zu Pollinis Mozart-Bild etwas anzumerken gibt, dann, dass er eine sehr „klassizistische“ Sicht auf den Komponisten darbietet, dass ihm, bei aller Detailfreude, der „große Melodiebogen“ wichtiger ist als das „akzentuiert Sprechende“ dieser Musik, was uns in den letzten dreißig Jahren die historisch informierten Interpreten nahegebracht haben, und was zum Beispiel in den Interpretationen Richard Goodes mit dem Orpheus Chamber Orchestra auch Auswirkungen auf die Aufführung mit dem modernen Instrumentarium hatte.


    Ob einem diese Musizierhaltung gefällt, ist eine andere Frage, als die Aussage, dass das Experiment nicht geglückt sei – von „Experiment“ kann doch eigentlich nicht die Rede sein, eher davon, dass ein reifer Pianist hier seinem eigenen Weg mehr traut als dem Zeitgeist.


    Gruß
    Pylades

  • Zitat

    Original von Pylades
    Hallo zusammen,


    Das Zitat aus der Zeitung verstehe ich auch nicht so recht. Wenn mehr nicht dazu gesagt wurde, sollte man sich auf jeden Fall selbst eine Meinung bilden.


    Hallo Pylades,


    das Zitat ist vollständig- Thema des Artikels war eigentlich die neue Orchestergründung Claudio Abbados. Der Absatz zu Pollinis CD bildete den letzten Teil der Besprechung. Hat mich auch ein wenig gewundert. Vielleicht brauchte Frau Büning noch einen einen passenden Schluss?


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Liebes Klavierforum,


    kennt schon jemand die neue Chopin-CD von Pollini? Ich frage mich, warum er die zweite Sonate noch einmal aufgenommen hat, das ist ja eigentlich nicht seine Art - von einigen wenigen Live-Doppelungen abgesehen (bspw. gibt es zwei Einspielungen der Waldstein-Sonate, eine davon eben live).


    Handelt es sich also auch bei dieser CD um eine Live-Aufnahme?


    Viele Grüße,
    Christian



  • Werter Namensvetter,


    ich muss leider passen- der Internetauftritt der DG enthält jedenfalls keine weiteren Informationen. Da aber die Aufnahmen Pollinis in jüngerer Zeit allesamt Liveaufnahmen gewesen sind, möchte ich annehmen, dass es sich auch hier um eine handelt. Ob ich mir die Aufnahme kaufe? Eigentlich gefällt mir die alte Einspielung mit den Sonaten 2 & 3 ausgezeichnet- deshalb werde ich erst einmal abwarten.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • N'Abend zusammen!


    Ich vermute, dass es sich um das Recital-Programm vom 08.03. im Herkules-Saal handelt. Die Infos auf der DGG-Seite geben leider nicht mehr her als "März 2008" und eben den Aufnahmeort.


    Als Hardcore-Pollinianer werde ich mir dieses Album auf jeden Fall kaufen und bin schon ganz "hibbelisch", wie der Hesse sagt. ;-))
    (außerdem wartet Gardiner mit Bach und Brahms - ich war lange nicht im Plattenladen...)


    Schade, dass Pollini nichts neues bringt - so gerne ich das Chopin-Programm mag, es gibt noch so viel Schumann, Chopin, Beethoven, Schubert und BACH (!)... Eigentlich kaum zu glauben, dass im Katalog so viel offen ist.


    Beste Grüße
    Accuphan


    PS: Apropos Schumann - Eric Le Sage habe ich für mich entdeckt, mit einer bis heute schon fast vollständigen Gesamteinspielung des Klavierwerks. Wunderbar! Die ersten fünf oder sechs Alben sind auf dem Markt und ich bin überrascht von dem mir bis dato unbekannten Musiker. :-)

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

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  • Maurizio Pollini spielte am 21. Januar in der Kölner Philharmonie Beethovens Sturm-Sonate und die Appassionata und die zweite Sonate von Pierre Boulez. Die Besprechungen in der Kölnischen Rundschau und im Kölner Stadtanzeiger sind absolut begeistert. So heißt es bei Volker Fries in der Kölnischen Rundschau:


    ... Maurizio Pollini stellte bei seinem Klavierabend in der Kölner Philharmonie Beethovens „Appassionata“ (Sonate Nr. 23 f-moll op. 57) so dar, wie sie eigentlich nur gemeint sein kann: als ungeheure seelische Erschütterung. Da geriet die Welt, ganz im Sinne Shakespeares, gehörig aus den Fugen, und für Beethovens „Sturm“-Sonate (d-moll op. 31,2), mit der Pollini sein Programm eröffnete, hat der große Dramatiker aus England ohnehin die Vorlage geliefert...


    Der Künstler erwies sich diesmal einmal mehr als Magier. Er verwandelte die Kölner gleichsam in seine Landsleute, deren Applaus bereits in den Schlussakkord der „Appassionata“ platzte und während der letzten Zugabe, bei Chopins cis-moll Scherzo, noch deutlich vorher auszubrechen drohte...


    Nach der Pause verfolgte man schier fassungslos, wie Pollini die vier Satz-Giganten von Pierre Boulez' 2. Klaviersonate geradezu mühelos bezwang. Wie er logarithmisches Kalkül in musikalische Spannungsbögen überführte, und umgekehrt, hinter vermeintlichem Chaos ordnende Logik walten ließ, das machte den Abend zu einer ganz ungewöhnlichen Sternstunde. Nicht von ungefähr war auch das Publikum am Ende außer Rand und Band.


    Das gleiche Programm spielt Pollini am 25. Januar in Paris und am 2. Februar in Milano.


    Wer war denn da?

  • Zitat

    Original von Matthias Oberg
    Hat Pollini die Boulez-Sonate auch irgendwann einmal eingespielt? Eine Aufnahme würde mich brennend interessieren.


    :hello: Matthias



    Hallo Matthias,


    ähm... also Du meinst die 2. Klaviersonate von BOULEZ mit Pollini?
    Also das ist doch wirklich ein "Klassiker"! Deshalb auch bei den Originals



    Interessanter wäre für mich ein Verglleich mit Helffer, Henck oder Birit.... u.a.


    Gruß pt_concours



    edit: da war jemand schneller... :rolleyes:

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

  • Vielen Dank, Euch Beiden! :jubel:


    Ist mir bislang völlig entgangen. :pfeif: Wie konnte das nur passieren? ?( :wacky: Dabei habe ich einen erheblichen Teil von Pollinis Einspielungen und auch die Boulez-Sonate, die ich ausgesprochen schätze, in einer ganzen Reihe von Aufnahmen.


    :hello: Matthias

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  • Pollini gehörte für mich bisher eher in den Beichte-thread der vernachlässigten Pianisten. Ich kannte seine Chopin-Aufnahmen, die ich etwas steril und nicht besonders begeisternd fand, und kaum mehr. Angeregt durch Holger Kalethas wunderbare und ausführliche Rezension des jüngst erschienenen Chopin-Recitals (schade, dass sie nicht in diesem thread steht!) habe ich mich an den von mir Vernachlässigten erinnert und mir zwei Aufnahmen ohne Chopin beschafft: die oben bereits gezeigte mit Klassikern des 20. Jahrhunderts und diese hier von 2001 (nicht die Bezugsquelle, sondern das Aufnahmejahr):



    Zunächst zu Stravinsky und Prokofieff: ich fand das okay und technisch natürlich brillant, habe aber beide Werke auch schon mitreißender gehört. Bei Pollini hat das etwas von Motorik als Selbstzweck, ohne große dynamische und emotionale Differenzierung.
    Viel Erfahrung im Hören von Neuer Wiener Schule und Folgendem habe ich nicht, was nicht an Geringschätzung liegt, sondern daran, dass ich einfach nicht so häufig Lust auf diese Musik habe. Wenn ich sie höre, mag ich Interpreten, die mich beim Händchen nehmen und mir die Gefühlswelten einer Musik zeigen, die sich mir nicht durch nachfühlbare Melodik von selbst erschließt. Hillary Hahn tut das zum Beispiel mit ihrer in meinen Ohren bewegenden und berührenden Aufnahme des Schönbergschen Violinkonzertes. Pollini lässt mich ratlos vor Webern und Boulez stehen. Er buchstabiert den Notentext, nehme ich an, sehr getreu aus, bleibt aber strikt in den vorgeschriebenen Rhythmen, gönnt sich und mir kein rubato, keine persönliche Bewegung.


    Die Schumann-Aufnahme des späten Pollini hörte ich just an dem Abend, als der Kulturvermittler diesen thread hier wieder wachküsste. Ich war überrascht und wirklich begeistert - wenn später Pollini immer so klingt, will ich mehr davon! "Kreisleriana", eines meiner allerliebsten Klavierwerke, habe ich wirklich schon oft gehört, oft auch mit mehr Freude an bestimmten Details. Nie aber hörte ich eine Aufnahme, die so souverän mit der Schumannschen Polyphonie umgeht, Diskant, Mittelstimmen und Bass so gleichwertig hören lässt und zugleich so perfekt zu trennen weiß, so dass nicht im geringsten romantischer Klangbrei entsteht. Ein wunderbar sonorer Klang, perfekte Tempi - ich bin ziemlich hingerissen und werde mir mit der nächsten Versandhausbestellung gleich Pollinis Aufnahme der "Davidsbündlertänze" von 2000 kommen lassen!


    Grüße,
    Micha

  • ... ein befreundeter Pianist aus der mehr oder weniger "normalen" Liga meinte zu mir, wegen Stockhausen oder Boulez mit Pollini würde er auch nach Köln fahren, nicht aber wegen Schumann. Das spiele er dann doch zu kalt. (Allerdings hat er früher Pianisten wie Rudolf Serkin, Geza Anda oder Wilhelm Kempff im Konzert gehört, er hat also andere Vergleichsmaßstäbe als die meisten Hörer heute.)


    Meine Entscheidung für den 11. März jedenfalls ist: Ich höre mir Pollini und Stockhausens Klavierstücke 7, 8, 9 nebst Kreuzspiel und Kontra-punkte, Schönbergs drei Stücke Opus 11 und Schumanns Fantasie in Köln an. Es wurmt mich wirklich, dass ich mich letzten Mittwoch nicht dazu aufraffen konnte, von Bielefeld nach Köln zu fahren, obwohl es ohne Probleme zu organisieren gewesen wäre. Die zweite Sonate von Boulez hat Pollini da scheinbar mühelos gespielt und anscheinend gerade nicht den Notentext treu dienend buchstabiert. Irgendwo hat Marc-Andre Hamelin mitgeteilt, dass Pollinis Aufführung der Sonate von Boulez erst im Konzert eine mitreißend emotionale Wirkung entfalte, auch wenn dort das letzte Maß an Perfektion der Begeisterung der lebendigen Aufführung geopfert würde.


    Stefan Rütter - in der gleichen Richtung - sagt im Kölner Stadtanzeiger dazu:
    ... Unter Pollinis Händen wirkte das halbstündige, in seinen Anforderungen an Kopf und Finger geradezu monströse Werk nicht nur schnell und schwer, sondern durchgehend brillant und virtuos. Pollini spielte auswendig - was das an Präzision und vollständigkeit kostete, könnte man wohl nur ermessen, wenn man zählend und prüfend die Noten verfolgte, statt sich von diesem eruptiven und ekstatischen Vortrag mitreißen zu lassen. So erlebte man den Pianisten nicht im Dialog mit einem herrischen, maßlos fordernden und knechtenden Notentext, sondern frei formulierend, fantasievoll entfesselt, spielend im höchsten Sinn des Wortes.

  • Zitat

    Original von Kulturvermittler
    Meine Entscheidung für den 11. März jedenfalls ist: Ich höre mir Pollini und Stockhausens Klavierstücke 7, 8, 9 nebst Kreuzspiel und Kontra-punkte, Schönbergs drei Stücke Opus 11 und Schumanns Fantasie in Köln an. [/i]


    Vielen Dank für den Hinweis! Das überlege ich mir ernstlich, ob ich nicht auch hinfahre: wenn der Stockhausen mich nervt, kann ich mich immer noch auf den Schumann freuen, und wenn nicht, habe ich eine neue Erfahrung gemacht!


    Grüße,
    Micha

  • Hallo,


    in der aktuellen Ausgabe der ZEIT findet sich ein Interview mit M.Pollini, welches ich merkwürdigerweise nicht auf der Internet-Seite der Zeitung finden konnte.
    ?(
    Neben Fragen der künstlerischen Entwicklung einst und heute geht es auch im die politische Situation in Italien.


    Gruß pt_concours

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

  • Zitat

    Original von pt_concours
    Hallo,


    in der aktuellen Ausgabe der ZEIT findet sich ein Interview mit M.Pollini, welches ich merkwürdigerweise nicht auf der Internet-Seite der Zeitung finden konnte.
    ?(
    Neben Fragen der künstlerischen Entwicklung einst und heute geht es auch im die politische Situation in Italien.


    Gruß pt_concours


    Es dauert manchmal etwas, bis die Zeit das dann auch ins Netz stellt - manchmal macht sie´s scheinbar gar nicht... ?(
    Aber na ja: Ist ja eh i.V.z. anderen Zeitungen schon ein sozialer Service =)
    (nein, ich bin immer noch Pauker und kein Mitarbeiter :beatnik: )


    also denn: here we are


    Aber Vorsicht: contains politics :pfeif:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

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  • Am 11. März spielte Maurizio Pollini in der Kölner Philharmonie. Das Publikum schien zunächst sich noch in einer seltsamen Starre befunden zu haben, die Stimmung war sehr gedämpft, aber es brachte dann dem italienischen Großmeister am Ende doch die durchaus angebrachten Ovationen dar. Dies war insofern erstaunlich, als dass das Programm mit Pause und Zugaben immerhin von acht Uhr bis beinahe elf Uhr dauerte. In Anbetracht des sehr kontrastreichen Aufbaus des Konzertes und auch wegen des tragischen Ereignisses des Vormittages wäre es vielleicht wünschenswert gewesen, wenn dieses Konzert noch in irgendeiner Form moderiert worden wäre. So wurden die Hörer mit einer Fülle sehr unterschiedlicher Musik konfrontiert und mit diesen Erfahrungen und auch mit anderen Fragen allein gelassen - abgesehen natürlich von der Möglichkeit des Austausches in den Pausen zwischen den Stücken. Allerdings hätte jede Form konzertpädagogischer Aufbereitung den Schluss der Veranstaltung noch später ausfallen lassen. Trotzdem - es wäre einen Versuch wert gewesen. Das Programm der Veranstaltung: Werke von jungen Komponisten der Vergangenheit, die später - Jahre nach der Komposition der aufgeführten Werke - die Anerkennung als Großmeister der Musikgeschichte fanden.


    Pollini spielte eigentlich nur in der zweiten Konzerthälfte im dann abgedunkelten Saal so etwas wie einen typischen Klavierabend mit Schönbergs Opus 11 und mit der Fantasie von Robert Schumann. Bei Schönberg beeindruckte der Überblick, mit dem der Aufbau dieser Stücke lebendig wurde. Die Einzelheiten wurde so in den Gesamtprozess integriert, dass das Ergebnis genauso schlüssig erschien wie in einem Brahms-Zyklus oder einer Beethoven-Sonate. Die emotionale Seite dieser Musik, in der Schönberg mit großer Leidenschaft eine neue Tonsprache findet, wurde im Vergleich dazu in einer besonders geformten Weise dargeboten. Statt extrovertierter Entfaltung einer aufgewühlten Stimmung wirkte in Pollinis Aufführung eine disziplinierte Strenge. Die Musik sollte für sich sprechen, der Hörer sich mit ihr auseinander setzen und dabei autonom handeln können und eben nicht von einem theatralischen Sog der Emotionen überwältigt werden.


    In Schumanns großer Fantasie - natürlich ein Liebesroman an Clara - beeindruckten im ersten und im dritten Satz vor allem die Momente, wo die Musik leiser wird, inne hält, einzelne Töne verklingen. Das war magisch und erzählte in wenigen Tönen ganze Geschichten (nicht nur im Legendenton), die vor dem inneren Auge des Hörers ablaufen konnten. Etwas zurückgenommen dagegen erschien der Überschwang des ersten Satzes, das Durchaus phantastisch und leidenschaftliche. Die Triumpfbögen des Marsches, also des Mittelsatzes des Werkes erschienen klassizistisch monumental, respektgebietend. Aber selbst in der verrückten Coda mit der Explosion des Marsches (oder Chorales, je nachdem) erschienen sie etwas distanziert, obgleich unwirklich. Es mischten sich hier natürlich auch das Staunen über die (kalte?) Pracht dieser Musik und über die Meisterschaft der restlosen Bewältigung sogar dieses Satzes.


    Vor der Pause gab es mehr als eine Stunde lang Musik von Karlheinz Stockhausen. Pollini spielte die Klavierstücke 7, 8, 9, drei im Vergleich zu den monumentalen Nummern 6 und 10 kurzen Stücken, in denen auch, wie später bei Schumann, und in noch stärkerer Ausprägung, das Verklingen der Töne, die Klangmodulationen im extremen Pianissimo und die Klangkristalle der Klavierarabesken aufhorchen ließen. Wer mag, kann sich an Stelle des Wortes Klangkristalle auch das Wort Klangdiamanten denken - Pollini setzte hier Fähigkeiten ein, die sonst vor allem seinem Lehrmeister Arturo Benedetti-Michelangeli zugeordnet werden.


    Nach den Klavierstücken 7 - 9 spielte das Klangforum Wien unter Leitung von Peter Eötvös Kreuzspiel, Zeitmaße und Kontra-Punkte. Die Spielkultur war wunderbar. Unter anderem konnte der Hörer erfahren, wie prachtvoll ein Bläserquintett klingen kann: Wie Vogelstimmen, und ganz weit weg von jeder komischen Note. Gerade auch dieser erste Konzertteil könnte an dieser Stelle vielleicht mit ausführlichen Überlegungen zu den Werken besprochen werden. Die Stücke hätten das verdient. Was den zwischen 1951 und 1960 komponierten Werken gemeinsam ist: Sie alle entstanden noch im Schatten der vorausgegangenen Katastrophe, und sie alle antworteten auf diese Katastrophe mit Schönheit, Erfindungsreichtum und Poesie.


    Pollinis Zugaben am Ende des Abends: Chopins Des-Dur-Nocturne und danach die Revolutionsetüde. Die Etüde war respektgebietend und monumental. Im Nocturne waren die gestalterischen und pianistischen Mittel auf die optimale Weise miteinander verbunden: Das große Legato, das nur aus der musikalischen Struktur und aus der Bedeutung der Mittelstimmen erweckte Tempo Rubato, die Abstufungen des Pianissimo zum entferntesten Verklingen hin.

  • Lieber Ralf,


    danke für diesen lesenswerten Bericht!



    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Zitat

    Original von Christian B.


    kennt schon jemand die neue Chopin-CD von Pollini? Handelt es sich also auch bei dieser CD um eine Live-Aufnahme?



    Hallo Christian,


    tut mir leid, daß ich das nicht geshehen habe. Die CD habe ich vor Wochen hier ausführlich besprochen in einem eigenen Thread "Herbstgold oder Götterdämmerung? ..."


    Beste Grüße
    Holger

  • Hallo miteinander,


    für Mitte Oktober ist folgende neue Veröffentlichung von Maurizio Pollini angekündigt:



    Bin gespannt!


    LG,
    Christian

  • Im Katalog ist die Aufnahme schon drin, noch ohne gültiges Cover. Nun ist man also schon mal einen Schritt weiter. Ich bin auch sehr gespannt! Das sollte ein Knaller werden... ;)

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

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