Wolfgang Windgassen - "Mein Held"

  • Lieber Hans (auf Stimmenliebhabers Geseire gehe ich gar nicht ernst ein, immerhin scheint er mit "armselig" ein neues Wort gelernt zu haben):
    Unter "provinziell" verstehe ich keine geographische Deutung; selbstverständlich weiss ich, dass z.B. Hopf oder Beirer in vielen Ländern gesungen haben.
    Ich verwendete den Begriff (wie auch Kesting) in dem Sinne, dass die Gestaltung der genannten Tenöre nicht über provinzielle Anforderungen hinausgingen. Sprich: Es fehlten Farben, Schattierungen kurz die Phantasie und die Intelligenz, um die tiefschürfenden Wagnerpartien nachvollbeziehbar zu machen. Ein Naturbursche wie Pedro im Tiefland, vielleicht auch ein JungSiegfried ist da durchaus denkbar, nur kein Tannhäuser oder gar Tristan.

  • Aber was ist überhaupt provinziell, was Provinz? Provinz ist das Gegenteil zur Hauptstadt! Stuttgart ist provinzieller als Berlin und wenn ein Sänger in der Hauptstadt nicht wirklich reüssieren konnte, dann ist er demnach "provinzieller" als die Sängerinnen und Sänger, die regelmäßig in der Hauptstadt aufgetreten sind und dort Erfolg hatten


    Der "Immerrechthaber" vergisst allerdings, darauf hinzuweisen, dass viele der von ihm gepriesenen Sänger in Ostberlin, der Hauptstadt der DDR, aufgetreten sind, und diese war gegenüber Westberlin doch eher provinziell, auch wenn es dort natürlich herausragende Sänger wie Adam und Schreier gab.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Zitat

    m.joho: Ist doch schön, wie leicht es ist, dem Stimmenliebhaber, der sich alle Mühe gibt, diesen Thread zu zerschiessen, eine Freude zu bereiten!Dass ich mit meiner Einschätzung, Tenöre wie Gruber, Ritzmann, Hopf, König, Kozub seien, trotz teils grossen stimmlichen Mitteln, letztlich provinzielle Sänger geblieben, nicht so falsch liege, wird auch dadurch unterstützt, dass sie von der Plattenindustrie weitgehend vernachlässigt wurden, (weil es eben interessantere Stimmen gab,) und so auch in Kestings Standartwerk keine Beurteilung finden.


    Ich liebe Hans Hopf seit über 50 Jahren, seit ich damals, nach Erwerb meines ersten Plattenspielers, im Schallplattenladen an meinem Schulort die damals noch käuflich erwerbbare einseitige 30-cm-LP mit dem 4. Satz der Neunten Beethoven aus dem Eröffnungskonzert der Bayreuther Festspiele 1951 erwarb, auf der der Provinztenor Hans Hopf, zusammen mit den sicherlich nicht wesentlich besseren Solistinnen und Solisten Elisabeth Schwarzkopf, Elisabeth Höngen und Otto Edelmann und dem Chor und Orchester der Bayreuther Festspiel unter der Leitung des Berliner Provinzdirigenten Wilhelm Furtwängler kaufte, die mich für mein ganzes Leben, was diesen Satz betraf, geprägt hat, und ich habe sie inzwischen längst auf CD.
    Und dieser Provinzsänger Hans Hopf, der, wie ich ebenfalls vor vielen Jahren in einer Fernsehsendung namens "Da Capo" mit August Everding erfuhr, , der knapp 50 km von meinem Geburtsort entfernt geboren wurde und an dessen Geburtsort Bottrop ich meine 1. Lehrerprüfung ablegte, hat, wie in dieser Sendung zu erfahren war, 145mal den ganzen Ring gesungen, 300 mal den Stolzing, 100mal den Parsifal und fast genauso oft den Lohengrin und das, obwohl er vom italienischen Fach kam und zudem, wie er selbst sagte, nicht nur in der Provinzstadt Berlin, sondern in den Opernzentren der ganzen Welt aufgetreten ist.
    Im Oktober dieses Jahres werde ich zum ersten Mal in der Staatsoper am Schillertheater der Provinzstadt Berlin im Publikum sitzen und Abschied nehmen von einem ebenfalls vermutlichen Provinzsänger, dem finnischen Bass Matti Salminen als Rocco im Fidelio, nachdem ich ihn zuvor im Juli in der vermutlichen Provinzstadt München bei den Opernfestspielen als Daland im "Fliegenden Holländer zu erleben hoffe. Zu allem Überfluss hab e ich auch noch eine Karte für die Zauberflöte am 30. Dezember ebenfalls wieder in der Berliner Provinz, in der ich, wenn alles gut geht, auf den vermutlich ebenfalls provinziellen Bass René Pape treffen werde, übrigens nicht zum ersten Mal (wohl als Sarastro).
    ich wollte eigentlich nicht so weit ausholen, und ich habe noch gar nicht über Klaus König gesprochen, über den ich vor einigen Jahren einen Thread eröffnet habe, den Stimmenliebhaber dankenswerterweise weitergeführt hat.
    Stimmenliebhaber hat sich, nachdem ich anfänglich auch meine Schwierigkeiten mit ihm hatte, als verlässlicher Partner im Erinnern an verstorbene Musiker und Gratulieren zum Geburtstag lebender Musiker erwiesen und, was ich nunmehr schätze, er lässt sich nicht verbiegen und verfügt m. E. über eine immense Kenntnis der Opernszene einer der Welthauptstädte der Musik, Berlin, und aller dort jemals aufgetretenen Sängerinnen und Sänger, aber auch anderer mitteldeutscher Zentren wie Dresden und Leipzig.
    Was mich betrübt, ist, was ich in den letzen Stunden in diesem Thread lesen musste. Hört das denn nie auf?


    Liebe Grüße


    Willi :)


    P.S. Ist Kesting der Meister aller Meister? ?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    Mme. Cortese: Der "Immerrechthaber" vergisst allerdings, darauf hinzuweisen, dass viele der von ihm gepriesenen Sänger in Ostberlin, der Hauptstadt der DDR, aufgetreten sind, und diese war gegenüber Westberlin doch eher provinziell, auch wenn es dort natürlich herausragende Sänger wie Adam und Schreier gab.


    Daniel Barenboim tritt auch seit 1992 in der Ostberliner Provinz auf, aich wenn er momentan nur in Westberlin (Schillertheater auftreten kann), was allerdings nicht seine Schuld ist.


    Ich dachte, wir wären über diese West-Ost-Spitzfindigkeiten inzwischen hinaus. Der o. a. Dirigent und Pianist kann ein Lied davon singen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Um gleich ein Geständnis abzulegen, ich bin kein großer Wagner-Kenner, aber seit Jahrzehnten gehört »Tannhäuser« zu meinen Lieblingsopern und damit natürlich auch die Romerzählung.
    Nun habe ich mir diesen eingestellten Link einige Male angehört und auch gelesen, dass da steht »Der größte Tannhäuser der letzten 50 Jahre!«
    Das ist ein großes Wort.
    Es ist wohl individuelle »Geschmackssache« Mein Favorit für die Romerzählung ist und bleibt Ernst Gruber, ich glaube der ist 1979 gestorben.


    Lieber hart, diese verfilmte Romerzählung mit Windgassen habe ich mir auch auf Youtube angesehen bzw. angehört. Eingestellt hat sie jemand, der sich "Wolfgang Windgassenfan" nennt. Lassen wir ihm also seinen Enthusiasmus. Der scheint mir nämlich sehr echt und authentisch zu sein. Gäbe es diese Fans nicht, die alles mögliche ausgraben und herbeischaffen, wir würde vieles gar nicht kennen. Youtube basiert zu großen Teilen auf diesem Enthusiasmus. Ich staune immer wieder, wie viel Zeit und Mühe verwendet wird, persönliche emotionalen Erlebnisse und Eindrücke in die Welt zu schicken. Das ist mir persönlich allemal lieber als das hundertste abgelichtete Sushi-Menü bei Facebook. Es gibt - um beim Thema zu bleiben - sehr interessante Windgassen-Dokumente im Netz. Das Duett aus dem ersten Othello-Akt mit Lisa Della Casa ist auch dabei. So wird das heute nicht mehr gesungen. Als historisches Dokument ist es aber bedeutsam, wie ich finde. Es steckt viel Zeitgeist darin. Ich wünschte mir, dass Windgassen noch mehr aus sich herausgegangen wäre. Wenn die Kamera läuft, wirkt er auf mich immer etwas trocken und zugeknöpft. Dies bestätigt mich in meinem Eindruck, dass ihm die Bühne, also die Live-Situation, viel mehr lag. Deshalb schätze ich seine Mitschnitte viel mehr als die Produktionen im Studio.


    Der von Dir erwähnte Ernst Gruber fühlte sich im Studio auch hörbar beengt. Er brauchte das Theater. Bei seine Tonaufnahmen wirkt die Stimme ein bisschen wie im Käfig. Dennoch war eine Gesamtaufnahme des TRISTAN mit Hanne-Lore Kuhse als Isolde unter Franz Konwitschny bis hin zu den Terminen geplant. Leider ist der Dirigent darüber gestorben. Deshalb muss man sich mit dem Mitschnitt aus Philadelphia begnügen. Gruber hat übrigens auch in Bayreuth vorgesungen. Das Engagement scheiterte, weil ihn - wenn ich richtig erinnere - Wieland zunächst als Kurwenal (!) haben wollte. Weil Dich Dein Weg ja immer zu den Gräbern führt, was ich mit großer Anteilnahme verfolge: Es gibt in einem Berliner Vorort, der mir jetzt nicht einfällt, seine letzte Ruhestätte. Ich war mal dort und sollte das Foto mit einem Text gelegentlich in den entsprechenden Thread einbringen. Ob Gruber allerdings die Rolle von Windgassen in Neu-Bayreuth hätte einnehmen können, ist aus meiner Sicht zu bezweifeln. Gruber ist als Sängertyp diametral zu Windgassen, mehr der alten Schule verpflichtet, ein Bruder im Geiste und Singen von Max Lorenz. So einen wollte Wieland wohl nicht haben.


    Herzliche Grüße von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Daniel Barenboim tritt auch seit 1992 in der Ostberliner Provinz auf, aich wenn er


    momentan nur in Westberlin (Schillertheater auftreten kann), was allerdings nicht seine Schuld ist


    Irgendwie scheint dir entgangen zu sein, dass 1990 die Wiedervereinigung stattgefunden hat.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)


  • Lieber Willi,


    danke für deine beiden Beiträge! Nein, leider sind wir offenbar über diese Ost-West-Spitzfindigkeiten nicht hinaus, bei einigen bedeutet DDR immer noch das Gütesiegel der festgeschriebenen Zweitklassigkeit, und das ist nicht nur traurig, sondern auch hochgradig dumm, wenn man sich mal vor Augen führt, wer so alles zu DDR-Zeiten zum Ensemble der Staatsoper Berlin gehörte. Und da waren eben nicht nur Schreier und Adam, sondern viele andere, die international Karriere machten. Ich könnte Anna Tomowa-Sintow nennen, Siegfried Vogel, der der Wiener Premieren-Morosus (neben Gruberova) und der Premieren-Sarastro in Everdings Münchner "Zauberflöte" war (während der Premieren-Sarastro der Ostberliner Staatsoper 1965 Franz Crass!!! hieß und ein Kurt Moll!!! viele Jahre regelmäßig in der "Hauptstadt der DDR" auftrat, Grundheber auch, aber das passt vielen wieder nicht ins Weltbild!), Fritz Hübner, in vier Bayreuther Festspielsommern der Hagen, Eberhard Büchner, den Karajan nach Salzburg holte, Ekkehard Wlaschiha und und und. Viele weitere wären zu nennen, außerdem die Sängerinnen und Sängern, die "freiwillig" an dieses Haus fanden und sich dort über viele Jahre banden, wie Celestina Casapietra oder Ruggiero Orofino.
    Hinzu kommen die vielen Gastspieleinladungen der Staatsoper Berlin, die ihre Produktionen nicht nur regelmäßig in Japan zeigte, sondenr auch mehrfach in Paris und Lausanne, zudem etwa in Hamburg und Zürich (u.a. "Tannhäuser" 1986!) gastierte. (Viele weitere Gastspielorte wären zu nennen. Wäre der Ruf des Hauses ein zweitklassiger gewesen, wäre dieses Haus wohl kaum so häufig eingeladen worden. Wie oft ist denn die Stuttgarter Oper nach Paris, Japan und anderswo eingeladen worden? Ich weiß es nicht, aber es würde mich sehr wundern, wenn das häufiger der Fall gewesen sein sollte.


    Fazit: Die Festschreibung der Zweitklassigkeit der Sängerinnen und Sänger, die in der "Hauptstadt der DDR" aufgetreten sind, ist aus besagten Gründen (fast alle bedeutenden von ihnen sind auch an der Wiener Staatsoper aufgetreten, einige in Hamburg, München und Bayreuth und und und) dumm, ignorant und verleumderisch! Aber es zeigt die Borniertheit einiger Leute leider erschütternd auf!


    Unabhängig davon kann die DDR-Keule nur ganz schlecht erklären, warum Wolfgang Windgassen und der (zu) großen Deutschen Oper Berlin (West!) nicht wirklich reüssieren konnte und viele lieber Beirer als Siegfried hören wollten.
    Nein, es bleibt dabei: Um den eigenen Liebling zu erhöhen, werden alle anderen abgewertet, und dazu ist jedes Mittel recht, unter anderem die DDR-Keule. WIE BILLIG!


    P.S.: Und alles, was ich durch Zitation der von mir ignorierten User dann doch lese, zeigt mir nur immer wieder, wie wenig lesenswert das ist und wie richtig meine diesbezügliche Ignorierentscheidung war. Aber es ist schön zu sehen, dass es auch "Wessis" gibt, die gegenüber den "DDR-Sängern" nicht so borniert und ignorant sind wie einige andere. Ein gutes, positives Beispiel dafür bist unter anderem du, lieber Willi! :) :yes: :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Das ist mal wieder so eine Duskussion, wo ein Machtwort eines Moderators sinnvoll gewesen wäre - um Wolfgang Windgassen, das Thema dieses Threads, geht es doch schon lange nicht mehr. Wer hier etwas über Windgassen lernen möchte, muss sich durch seitenlange Streitereien über die Provinzialität oder Nicht-Provinzialität Berliner Sänger quälen :(


    Übrigens finde ich das Argument, es könne in Berlin keine provinziellen Sänger gegeben haben, weil es die deutsche Hauptstadt ist bzw. die der DDR war, wenig überzeugend. Was hat die politische Bedeutung einer Stadt mit der Qualität der dort auftretenden Sänger zu tun? Mit dem gleichen Argument könnte man auch abstreiten, dass Hertha BSC ein provinzieller Fußballverein ist :hahahaha:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Bertraido,du hast Recht. Ich bekenne meinen Fehler, dass ich mich provozieren liess und bitte die Moderation, mindestens meine Beiträge ab Posting 70 zu löschen.

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  • Lieber Stimmenliebhaber,


    es ehrt Dich, doch im Grunde erübrigt es sich , die ehemaligen DDR-Sänger und deren Leistungen zu verteidigen. Alle -die Du angeführt hast - sind herausragende Sänger und Sängerpersönlichkeiten. Ihre Leistungen sind sogar besonders hoch einzustufen, weil Sänger aus dem Osten zum großen Teil ihr Können lange Zeit nicht international präsentieren konnten und die Künstler Beschränkungen hinnehmen mussten, die unsere westlichen Sänger kaum kannten. Nicht zu vergessen ist auch, dass die ehemalige DDR eine Theater und Orchesterdichte hatte, die geradezu beispielhaft war. Kulturschaffen in der Tat für die gesamte Bevölkerung. Könnte und sollte unser "reicher Westen" vielleicht von diesem leider teilweise untergegangenen kulturellen Reichtum etwas lernen?


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Könnte und sollte unser "reicher Westen" vielleicht von diesem leider teilweise untergegangenen kulturellen Reichtum etwas lernen?


    Lieber "Operus", leider waren (und sind) nicht alle so weise wie du und hier wurde eine Chance vertan! Stattdessen wurde nach 1990 in beiden Teilen Deutschlands Kultur immer mehr abgebaut. Eine sehr besorgniserregende Entwicklung, der man allerdings nicht produktiv beikommen kann, indem man so tut, als lohne es heute nicht mehr ins Theater zu gehen oder als könnte seit dem Tod von Wolfgang Windgassen niemand mehr vollwertig Wagner singen. Ich habe viele wunderbare Wagner-Aufführungen mit sehr guten, lohnenden Wagner-Tenören erlebt: neben den schon genannten wie Klaus König und Peter Seiffert möchte ich auch Wolfgang Schmidt und Heinz Kruse nennen, die an beiden großen Berliner Opernhäusern immer gern gesehene Gäste waren. Die problematischen Wagner-Abende gab's dann eher mit namhaften Leuten wie Siegfried Jerusalem...


    Wolfgang Windgassen war einer der besten Wagner-Tenöre seiner Zeit, keine Frage, und man sollte in dieser Rubrik seine Vorzüge erläutern und herausstellen, anstatt alle, die neben ihm waren oder nach ihm kamen, hier zu bashen - egal, ob sie aus Ost oder West kamen. Diesem "Weltbild" widerspreche ich, das halte ich für meine Pflicht, damit hier kein Zerrbild der Realität entsteht!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Könnte und sollte unser "reicher Westen" vielleicht von diesem leider teilweise untergegangenen kulturellen Reichtum etwas lernen?


    Eindeutig ja! Ich habe dazu nämlich ein aktuelles Beispiel, aber das hier auszubreiten würde zu weit vom Thema wegführen, wenn ich mal nach Ölbronn komme ...

  • Nicht zu vergessen ist auch, dass die ehemalige DDR eine Theater und Orchesterdichte hatte, die geradezu beispielhaft war. Kulturschaffen in der Tat für die gesamte Bevölkerung. Könnte und sollte unser "reicher Westen" vielleicht von diesem leider teilweise untergegangenen kulturellen Reichtum etwas lernen?


    Lieber operus, es ist beeindruckend, wie Du Dich für die DDR ins Zeug wirfst. Gewiss hat es mit der historischen Wende um 1990 auch Verwerfungen gegeben und Entwicklungen, die der Einzelne als ungerecht empfand. Nimmt man Menschen ihre lieb gewordenen Dinge, die ihnen auch Sicherheit geben, weg, dann ist das auch ein Grund der Klage. Ich verstehe das, weil ich auch aus der DDR komme. Mit dem Fall der Mauer ist aber nicht der kulturelle Reichtum untergegangen. Zerstört wurden die politischen Verhältnisse, mit dem sich dieser Reichtum auch verbunden und verflochten hatte. Alles beruhte auf Beziehungen. Die DDR lebte auch kulturell über ihre Verhältnisse. Die ökonomisch völlig unvertretbaren Subventionen beförderten ihren wirtschaftlichen Zusammenbruch. Es gibt da also nichts zu beklagen, wirklich nicht. Was gut war, hat sich als gut im wiedervereinigten Deutschland durchgesetzt. Was auf den Beziehungen und der Vetternwirtschaft beruhte, ist gescheitert. So ist das in Revolutionen. Und das ist gut so. Es war höchste Zeit.


    Was nun die an anderer Stelle vergleichend mit Stuttgart herausgestellten Gastspiele von DDR-Ensembles im Westen anbelangt, waren die oft auch mit dem Bonus des Exotischen umgeben. Dessau in Mailand, Gisela May an der Scala, der Berghaus mehr im Westen als im Osten, Felsenstein in sonst wo... Herrjemine! Der Kommunisten können ja sogar singen! ;) Da waren nicht immer nur künstlerische Interessen unterwegs. Gewiss wurde auch hohe Qualität exportiert - und umgekehrt importiert. Auch wenn eine hier zitierte Sängerin, die in der DDR nie wirklich zur Spitze gehörte, das Gastspiel von Windgassen in Ostberlin als Enttäuschung empfunden haben will, ich habe es ganz anders erlebt. Wir haben damals auch Hopf gefeiert, Prey, Fischer-Dieskau, die Rothenberger, die Ludwig, die Norman und und und... Selbst die Schwarzkopf hat mir persönlich gesagt, wenn ich eingeladen und bezahlt werde, komme auch sehr gern in die DDR. Alles ist aber nur mein ganz bescheidener Eindruck. Eine Kammersängerin ist gewiss die viel wichtigere Instanz. Bayreuth verstand sich übrigens immer auch als ein deutsch-deutsches Unternehmen. Allein deshalb waren Künstler aus dem Osten seit Anfang an dabei. Es ist nichts besonderes.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Auch wenn eine hier zitierte Sängerin, die in der DDR nie wirklich zur Spitze gehörte,

    Nur weil du nach dem Ausscheiden von Frau Dvorakova quasi aufgehört hast, regelmäßig das Haus zu besuchen, ist diese Behauptung einfach nur eine ganz üble Mischung aus Dummheit und Bosheit - eine mit scheinbarer Objektivität servierte sachlich völlig unhaltbare Behauptung, die sehr leicht zu widerlegen ist:


    - Uta Priew gehörte ab 1980 zum führenden Opernensemble des Landes, dem Solistenensemble der Deutschen Staatsoper Berlin
    - sie sang an diesem ersten Haus über Jahre erste Partien in beinahe allen Fächern ihrer Stimmlage: Idamante, Cherubino, Dorabella, Carmen, Angelina in "La Cenerentola", Komponist, Jeanne in "Die Teufel von Loudun", Venus, Ortrud, Kundry und Amneris (alles auch schon vor 1990), "Wozzeck"-Marie u.v.a. Hauptrollen
    - Uta Priew sang ab 1988 für viele Jahre bei den Bayreuther Festspielen
    - Uta Priew wurde schon vor der Wende regelmäßig von westdeutschen Opernhäusern eingeladen, um große Wagner-Partien unter anderem in Karlsruhe und anderswo zu singen.
    - Uta Priew wurde auserwählt, die weibliche Hauptrolle in der letzten laufenden Felsenstein-Inszenierung an der Komischen Oper Berlin zu übernehmen
    - Theo Adam holte sie 1988 als Premieren-Kundry für seine "Parsifal"-Inszenierung an die Semperoper Dresden.


    Wenn diese Frau in den 1980er Jahren nicht zur sängerischen Spitze der DDR in ihrem Fach gehörte, wer dann???
    (Sicher gab es noch zwei bis drei andere, aber dann wird's schon enge...)
    Alle von mir aufgeführten Fakten ergeben in Zusammenfassung den objektiven Beweis, dass diese Sängerin selbstverständlich in der DDR zur sängerischen Spitze dazugehörte.


    Im Übrigen habe ich auch mit anderen Besuchern dieser Vorstellung gesprochen. Dass du da angeblich auch drin gewesen sein willst (war es denn wirklich dieselbe Vorstellung?), höre ich heute zum ersten Mal...


    Das alles beweist, wie dumm und töricht deine zitierte Aussage ist, bei der du einmal mehr deinen subjektiven Geschmack quasi zu objektivieren versuchst.
    Und der Rest, den du schreibst, ist auch nicht viel gescheiter..


    Und dass du, nachdem sich diese Rubrik gerade wieder beruhigt hatte, noch einmal Öl ins Feuer gießen musst, beweist nur, was für ein Brandstifer du bist!
    Das letzte Fünkchen Achtung, dass ich vor dir vielleicht noch hatte, ist nun endgültig dahin!!!


    P.S.: Abschließend möchte ich es nicht verabsäumen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass ich das Thema DDR-Sänger nicht in diese Rubrik eingebracht habe. Ich habe es lediglich gewagt, in einer Rubrik zu Wolfgang Windgassen Kritik (Einfarbigkeit) an diesem Sänger zu üben, ein Beitrag zur Sache, der dann mit Kanonen beantwortet wurde...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Was die Sängerin in meine vorhergehenden Beitrag anbelangt, möchte ich ein Zitat hinzufügen:


    Herodes* zu Herodias in der SALOME: "Er hat deinen Namen nicht genannt."


    Gruß Rheingold


    Eine Frage an die Experten: Hat Wolfgang Windgassen eigentlich je diese Rolle gesungen? Ich könnte ihn mir darin gut vorstellen. Schließlich hatte er ja auch den Aegisth im Repertoire.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Zitat

    Mme. Cortese: Irgendwie scheint dir entgangen zu sein, dass 1990 die Wiedervereinigung stattgefunden hat.


    Das ist mir ganz gewiss nicht entgangen, liebe Madame, aber auch nach der Wiedervereinigung steht die Staatsoper immer noch in Ostberlin, also in der von dir so bezeichneten Provinz, oder ist sie mit dem Tag der Wiedervereinigung vom Westen gnädig aus der Provinzialität entlassen worden? Dass Barenboim sie nicht für provinziell gehalten hat, dafür spricht doch die Tatsache, dass er überhaupt dahin gegangen ist und ihr nunmehr seit fast einem Vierteljahrhundert die Treue gehalten hat. Oder sehe ich das falsch?


    So, und nun will ich den armen Bertarido nicht weiter mit der Frage der Provinzialität oder der Nichtprovinzialität Berliner Sänger quälen.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Rheingold (Du Böser hast erneut "Immerrechtshabers" hysterisches Gekreische provoziert, weil Du ihm nicht Recht gegeben hast), hier die Antwort:
    Irgendwie scheint ihn der Herodes nicht gereitzt zu haben. Als er 1974 starb, war als nächste neue Partie der Aschenbach in Brittens "Tod in Venedig" geplant. Sonst beabsichtigte er nur seine Wagnerpartieen (Tristan, Tannhäuser) weiterzuführen.

  • Lieber m.joho, herzlichen Dank für die Informationen, die allesamt neu für mich sind. Den Aschenbach hätte ich mir sehr gut vorstellen können mit Windgassen. Schade, dass es nicht hat sollen sein.


    Beste Grüße von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Eindeutig ja! Ich habe dazu nämlich ein aktuelles Beispiel, aber das hier auszubreiten würde zu weit vom Thema wegführen, wenn ich mal nach Ölbronn komme ...


    Lieber Hart,


    worüber ich und alle anwesenden Taminos sich sehr freuen würden. In diesem Jahr ist das Treffen am 15./16. Oktober.


    Hezrlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Nach der Lektüre der bisherigen ziemlich kontroversen Beiträge möchte ich als langjähriger Stuttgarter Opernbesucher einiges aus eigener Anschauung ergänzen.


    Ich habe Windgassens Karriere von den Anfängen bis zu seinem Tod aus Stuttgarter Sicht verfolgt. Das Signifikanteste daran war die Feststellung, dass hier, wie schon von anderen erwähnt, ein ganz neuer, stimmlich schlanker und im Ausdruck vergeistigter Wagner-Held die Bühne betrat und dieses Markenzeichen über Jahrzehnte beibehielt. Das wirkte auf viele irritierend und lässt sich aus der Rückschau auf zweierlei zurückführen: einmal Wieland Wagners "entschlackte" Vision Wagners, zum andern auf Windgassens begrenzte stimmliche Ausstattung, verbunden mit seiner Intelligenz. Nur beides zusammen kann erklären, dass der Sänger dieses für ihn eigentlich zu schwere Fach über zweieinhalb Jahrzehnte durchhielt, ohne die Stimme zu ruinieren.


    Er hatte sich dafür eine Art privater Gesangstechnik angeeignet, die, wie es Operus so schön beschrieben hat, bei hohen Tönen die Vokale zugunsten der Konsonanten verkürzte, um Kraft zu sparen. Manche Dirigenten (wie Leitner in Stuttgart) gingen auf diese Singweise ein und nahmen das Orchester zurück, so dass die Stimme durchdrang. (Ein eleganter, schlanker Gesamtklang war das Resultat.) Andere spielten das, was in den Noten steht, und er war stellenweise zu schwach bis unhörbar. In beiden Fällen hielt Windgassen an seiner Methode fest und etablierte den für ihn typischen lyrischen, gleichsam verinnerlichten Helden. Dass das nicht jedem gefiel, ist klar. Bis heute spalten sich die Hörer in unversöhnliche Lager, wie wir es hier wieder erleben.


    Was dabei vergessen wird: Eigentlich war es anders gedacht. Manche lyrischen Stellen kommen seinem Stil entgegen (Waldweben, Winterstürme, Eriks Traum, Tristans Vision "Wie sie selig, hehr und milde..."), auch manche deklamatorischen Passagen (Tristan 1.Akt, Parsifal 1.Akt). Anderen Stellen fehlt eindeutig die Schallkraft (Siegfrieds Schmiedelieder und Schlussduett, der Schluss der Romerzählung, Tristans Raserei im 3. Akt).


    Dass der Sänger eine solche Weltkarriere präsentierte, ist - neben seiner Musikalität und Intelligenz - vor allem der fehlenden Konkurrenz zu verdanken, der Tatsache, dass damals schon die Zeit vorbei war, in der große Stimmen langsam wachsen konnten. Ich habe in Stuttgart, wo ich als Gesangsschüler im Sonderchor sang, manchen Stolzing von ihm erlebt und immer gedacht, da fehle einiges an Strahlkraft. Bis Hopf einmal gastierte und ein phänomenales Preislied ablieferte (der Hopf von 1960, nicht der abgesungene Knödel-Hopf von 1975!).


    Noch eine Einschränkung sei erlaubt (auf die Gefahr hin, mich wieder in neue Nesseln zu setzen):
    Winggassens Otello wurde hier gerühmt. Ich habe ihn einigemale gehört. Wunderbar gestaltet, aber in der oben beschriebenen Weise gesungen. Zum Glück hat es Verdi nicht hören müssen. Im italienischen Repertoire (einschließlich Don José) habe ich ihn nach Möglichkeit gemieden - da kann man nicht mogeln.
    Das alles schmälert nicht seinen Rang als Interpret; es ordnet seine Leistungen nur in den Kontext anderer Interpreten ein (etwa Konya als Lohengrin, Hopf als Stolzing, Vickers als Tristan etc...)


    Ich hoffe, dass ich einige Unvereinbarkeiten der bisherigen Diskussion entgiften konnte.


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Dass der Sänger eine solche Weltkarriere präsentierte, ist - neben seiner Musikalität und Intelligenz - vor allem der fehlenden Konkurrenz zu verdanken, der Tatsache, dass damals schon die Zeit vorbei war, in der große Stimmen langsam wachsen konnten.


    Lieber Sixtus, in Deiner Einschätzung kann ich Dir folgen, will aber noch einen anderen Aspekt hinzufügen. Das Nachkriegs-Bayreuth war sehr stilbildend und wirkte weit in die Welt hinein. Vorbei war nicht nur die Zeit, in der große Stimmen wachsen konnten, es wurde auch der Heldentenor alter Schule zu Grabe getragen. Seine Zeit war vorbei. Er passte nicht zum Absatz, in den Werken Wagners Hintergründe und Konflikte aufzuspüren und deutlich zu machen, wie das Wieland von Anfang an versuchte. Er brauchte den Anti-Helden, wie ich ihn in Windgassen sehe. Es ist sehr aufschlussreich, mal wieder in die mitgeschnittenen Aufführungen mit Max Lorenz von 1952 und 1954 hineinzuhören. Abgesehen davon, dass er seinen Zenit deutlich überschritten hatte, fällt er total aus dem Rahmen. Er ist nicht mehr kompatibel mit dem, was Wieland vorschwebte. Er kommt wirklich aus der Vergangenheit, die gerade in Bayreuth so sehr belastet war und radikal abgeschüttelt werden sollte. Damit will ich nichts gegen den Sänger und Mensch Lorenz gesagt haben, der ein bedeutender Künstler gewesen ist. Persönlich konnte er ja nichts dafür, dass die Zeit über ihn hinweggegangen war. Ich will mich auch nicht über die Intelligenz von Tenören auslassen. Das überlasse ich den Witzeerzählern, von denen ich keiner bin. Aber es ist schon beeindruckend, diesen Wolfgang Windgassen zu hören, der die von Dir erwähnte Intelligenz in seinen Gesang einbringt. Wunderbar! Der weiß auch immer, was er singt. Auch deshalb hatte er diese beispiellose Karriere.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold, lieber Sixtus,
    In Euren Beiträgen wurden bemerkenswerte Gedanken geäussert! Den Begriff des "Antihelden" würde ich, wie es in einem anderen Thread schon mal festgehalten wurde, gerne durch den Begriff "gebrochener Held" ersetzen.
    Und das machte uns damals jungen Leuten von 1967 als wir Windgassen zum ersten mal in einer Hotter-Inszenierung (die Première hatte noch Hopf gesungen) des Tannhäusers erlebten, die Wagnerschen Tenor-Figuren erst richtig interessant. Wir waren damals noch in der Richtung erzogen worden, dass alles Deutsche abgelehnt werden müsse und dass Wagner der grässliche Hofkomponist der Nazis gewesen sei. Und plötzlich gingen uns nun durch diesen von Wieland geschulten Sänger die Augen auf: Wir erkannten plötzlich dass die genannten Auffassungen Quatsch waren und man das Ganze differenzierter sehen müsse. Nächtelang setzten wir uns zusammen und diskutierten die damals erhältlichen Aufnahmen, bzw. setzten uns mit den Tenören von Melchior bis Hopf auseinander und kamen immer wieder zu WW zurück, weil er uns als einziger diese Dimensionen eröffnen konnte, die uns die Werke erfahrbar und spannend machte.
    Selbstverständlich erkannten auch wird, dass es Sänger mit bei weitem grösseren Volumen gab, dass er bei manchen Dirigenten ausserhalb von Bayreuth in den Orchestermassen unterging, aber letztlich fanden wir auch und da wird es wirklich zur Geschmacksfrage (darin einig mit John Stean in " The grand Tradition"), dass WW die weitaus schönere Klangfarbe und den weicheren Tonansatz hatte, als seine zumindest damaligen Fachkollegen.
    Und lieber Sixtus, wenn Du anmerkst, dass manches anders gedacht war, bitte ich nicht zu vergessen, dass das Wagnersche Klangideal massgeblich durch den Deckel in Bayreuth gebrägt war, wo es Windgassen nie schwer fiel über das Orchester hinauszukommen.
    Abschliessend sei noch gesagt, dass man es natürlich Sängern, die nie die Chance hatten prägend mit genialen Regisseuren (neben Wieland W. möchte ich Gründgens, Hartmann, Lindberg, Ponnelle nennen) zusammen zu arbeiten, nicht gelang derart in die tieferen Aspekte der jeweiligen Werke einzudringen.

  • Das ist ein treffliches Mosaik, das hier entstanden ist, lieber m.Joho und lieber Rheingold. Ich widerspreche keinem von euch. Nur setzt jeder einen anderen Schwerpunkt. Der entstandene Dreiklang bringt schließlich die Sache auf den Punkt: die Aspekte der Stimmtechnik, der Zeitgeschichte und der Wagnerschen Klangvision ergeben erst in der Summe einen Blick aufs Ganze.


    Wenn ich bedenke, wie antiquiert sich im Bayreuther Tannhäuser (1962?) Hans Beirer neben Fischer-Dieskau ausnahm, sehe ich die Zeitenwende voim Heldischen zum Geistigen vor Augen. Und auch Max Lorenz konnte die Spuren des Volkstribunen nicht mehr ganz abschütteln. Windgassen segelte mit dem Rückenwind, den ihm der Bayreuther Graben (und der Zeitgeist) kostenlos lieferte - und schuf einen neuen Stil. Aber es kann nicht schaden, wenn heute auch die Defizite dieses lyrischen und gebrochenen Helden wieder ins Bewusstseins gehoben werden von Sängern, die das Zeug dazu haben, auch das Vitale dieser Helden zu veranschaulichen, ohne das Lyrische und das Gebrochene zu unterschlagen. Dann erst können wir ermessen, was Wagner vorschwebte.


    So gesehen, dürfen wir noch einiges von der Interpretationsgeschichte erwarten. Schließlich hat man ja auch nördlich der Alpen erst durch Italiener (die Karajan nach Wien lockte) den ganzen Reichtum von Verdi zu schätzen gelernt.


    Mit optimistischen Ausblicken grüßt herzlich


    Sixtus

  • Er hatte sich dafür eine Art privater Gesangstechnik angeeignet, die, wie es Operus so schön beschrieben hat, bei hohen Tönen die Vokale zugunsten der Konsonanten verkürzte, um Kraft zu sparen

    Zitieren wir zu dieser Problematik doch eine der Kenntnisreichsten, und zwar die große Wagner-Heroine Birgit Nilsson. Sie berichtet in ihrem Buch "La Nilsson" (S.352/53) über Windgassens Gesangstechnik.
    " ...Wegen seiner etwas leichtgewichtigen Stimme hatte er im Laufe der Jahre ein fast unmerkliches Sparsystem entwickelt. Das funktionierte so: Hohe ausgehaltene Töne wurden verkürzt. indem er so so lange wie möglich auf den Anfangs- und Schlusskonsonanten verharrte. Dadurch wurde der der gesungene Vokal deutlich kürzer und kostete mithin weniger Anstregung. Außerdem wirkte sich das positiv auf die Aussprache des deutschen Textes aus. Hatte die lange Note nur einen Vokal, dann wurde dieser verkürzt und durch eine Pause ersetzt. Wenn man die Noten nicht vor sich hatte, bemerkte man diesen Trick nicht - aber mit Maestro Solti konnte man das nicht machen. Ich habe Windgassen noch nie bei einer Probe so rot und schweißgebadet gesehen. Sein Sparsystem war so mit ihm eins geworden, dass es ihm fast unmöglich war, die richtigen Notenwerte zu singen. Solti gab sich nicht zufrieden , bis alles korrekt war. - und nie zuvor hatte Windgassen so großartig geklungen." ...


    Herzlichst
    Operus


    Von dieser ersten Studio-Gesamtaufnahme gäbe es noch weit mehr zu berichten. Zum Beispiel, dass sich fast alle Sängerkollegen
    bemühten, dem fabelhaften Tenor Ernst Kozub, der zuerst für den Siegfried vorgesehen war, privaten Gesangsuntericht zu geben.Trotz aller Mühe bekam man es nicht hin. Oder dass Gottlob Frick das gefürchtete Hoi Ho x-mal singen musste , weil Solti seine extra nachgebauten Stierhörner ausprobieren wollte. Am Ende der Aufnahme trat sogar das Pferd Grane zum großen Vergnügen aller an dem Mammutwerk Beteiligten das Roß Grane leibhaftig auf - und. und und.

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • https://www.youtube.com/watch?v=EkILG138nmU


    Obwohl ich dieses Dokument von 1964 soeben an anderer Stelle (Erika-Köth-Thread) verlinkt habe, will ich es auch hier einstellen. Prominenz der Bayreuther Festspiele - darunter Wolfgang Windgassen - gönnt sich in der seinerzeit sehr beliebten TV-Unterhaltungsshow "Zum Blauen Bock" einen zu Wagner sehr gegensätzlichen Auftritt. Leider ist der lange Ausschnitt nur als Tonspur zu finden. :( Wo sonst sind Windgassen als Rosina im "Barbier" von Rossini, Gustav Neidlinger als Carmen oder Astrid Varnay als Falstaff in den "Lustigen Weibern" von Nicolai zu hören? :D

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Nachdem Willi gestern leider den prägenden Tenor von Neubayreuth, dessen Geburtstag sich am 26.7. zum 105ten Mal jährte vergessen hat, möchte ich es hier nachholen!

  • Immer wieder tauchen bei YouTube kleine Filmchen auf, die Wolfgang Windgassen in Aktion zeigen. Die technische Qualität ist oft grenzwertig. Aber immerhin! Wir haben nicht die Wahl. Wer diesen Tenor schätzt, wird dankbar zugreifen. Ich bin immer wieder tief beeindruckt, welche tiefe menschlichen Dimensionen er den Helden gegeben hat.


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Dieses Video von 1965 sollte auch nicht fehlen, in welchem man den absolut konzentrierten Sänger erleben kann. Man fragt sich, wann atmet er dann:


  • Lieber m.joho, dieses Video weiß ich auch sehr zu schätzen. Wir hatten das Thema ja schon mal. Übrigens kann man jetzt beim ina auch Ausschnitte aus konzertanten Aufführungen in Paris kostenpflichtig erwerben. Ich hatte mich u.a. für die Szene Parsifal/Kundry mit Windgassen und Isabell Strauss entschieden, die hier die Ortrud singt. Auch ich rätsle manchmal über seine Art des Singens im Konzert. Er agiert völlig unangestrengt, sehr sparsam und bringt doch vieles hervor. Einer, der Heldengesang mit Legato ausstattet.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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