In den Beiträgen zu: Die liebsten Cellosonaten der Taminos wird Rachmaninows Cellosonate oft genannt. Grund genug, um einen Thread zu eröffnen und auf rege Beteiligung zu hoffen, finde ich.
Zur Einführung mögen zwei Zitate dienen:
„So wird bei Yo-Yo Ma und seinem Partner Ax aus einem etwas aufgedonnerten Salonstück ein eindringliches Exempel spätromantischer Ensemblekunst.“ (Harald Eggebrecht, Große Cellisten, S. 361)
„Noch ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts, genauer in der Nachfolge von Chopin, Liszt und Tschaikowsky steht die kurz nach der Jahrhundertwende komponierte… Sonate für Violoncello und Klavier g-Moll op. 19 (1901) von Sergej Rachmaninow, deren Außensätze profilierter und gehaltvoller sind, als die Mittelsätze.“ (Pape/Boettcher, Das Violoncello, 2. Aufl., S. 236)
Ist die Sonate op. 19 also nur ein aufgedonnertes, epigonenhaftes Salonstück?
Nun, kompositions- und wirkungsgeschichtlich ist die Sonate tatsächlich ohne besondere Bedeutung. Aufregende Neuerungen, spieltechnische Fortschritte sucht man hier vergebens. Stattdessen hört man ein klassisch viersätziges, rund 30-minütiges Werk von ausufernder melodienseliger Gefühligkeit, ein Gefüge aus schwelgerischen Cellokantilenen und virtuosen Klangfluten des Klaviers.
Die Sonate ist kein Werk, das ein Anliegen hat (abgesehen von dem Umstand, dass die Sonate zu den Werken gehört, die Rachmaninow nach der Genesung von langer Krankheit komponierte und dass mit ihm entsprechende Hoffnungen verbunden waren, Hoffnungen, die dann das zeitnah komponierte 2. Klavierkonzert erfüllte). Rachmaninow ging es nicht um kompositorischen, musiktheoretischen Fortschritt. Er bezweckte nicht Anerkennung bei Komponistenkollegen, sondern Erfolg beim Publikum. Praktischer Zweck der Komposition war die Aufführung bei (eigenen) Konzerten. Heute hier, morgen da, heißt es auf Tournee – das Stück sollte und musste auf Anhieb gefallen, Eindruck machen, unterhalten. So gesehen handelt es sich bei der Cellosonate um Unterhaltungsmusik, allerdings im besten Sinne: Das Spiel des Cellos in dieser Sonate ist für Liebhaber des Instruments von großer Herrlichkeit.
Musiker mögen über die Bezeichnung Unterhaltungsmusik die Nase rümpfen – arbeiten sie doch hart an ihrem Part, insbesondere der des Pianisten hat es hörbar in sich. Doch ist die Bezeichnung Unterhaltungsmusik nicht abwertend im Sinne einer unverdienten Negativzuschreibung gemeint, sondern soll sie nur orientiert an der Konzeption auf Publikumserfolg hin verdeutlichen, weshalb man dem Werk mit den Zuschreibungen „aufgedonnertes Salonstück“ und „epigonenhaft“ nicht beikommt.
Eine Hauptaufgabe bei der Aufführung des Stückes – live noch mehr als im Studio – ist die Herstellung einer sinnvollen Balance zwischen den Instrumenten, ist doch der Klavierpart so groß, dass durchweg die Gefahr des in den Hintergrund Drückens des Cellos besteht. Großen Cellisten dabei zuzuhören, wie sie sich dieser Gefahr erwehren, wie sie manchmal sogar das Gegenteil erreichen und über das Klavier triumphieren, macht mir stets aufs Neue großes Vergnügen.
Rachmaninow war übrigens die Ausgewogenheit zwischen den Instrumenten sehr wichtig. Es gibt die schöne Anekdote, dass er, nachdem er eine Radio-Aufführung von Schuster und Reisenberg gehört hatte, bei dem ihm das Cello zu sehr dominierte, den Pianisten anrief und ihm mitteilte, die Sonate sei nicht für Cello mit Klavierbegleitung, sondern für zwei Instrumente von gleicher Balance.
Rachmaninow mag mir vergeben, wenn ich die Sonate dennoch in erster Linie als Werk für Cello mit Begleitung höre. Manch Tamino wird wissen: Ich bin da parteiisch.
Aufnahmen dieser Sonate gibt es sehr viele. Ich selbst besitze zurzeit nur zwei, gehe aber davon aus, dass sich diese Zahl erhöhen wird, wenn ich von euch lese, weshalb gerade die Aufnahme xy so hörenswert ist.
Freundlich grüßt
Thomas