Nur in wenigen Städten war Olivier Messiaens Oper über Franz von Assisi seit ihrer Uraufführung 1983 in Paris zu sehen, jetzt ist sie im Juni in neun Aufführungen an der Nederlandse Opera Amsterdam zu erleben, und am 1. März beginnt der Vorverkauf.
Die Oper hat in den bisherigen Inszenierungen immer für Erstaunen gesorgt. In Amsterdam inszeniert im Juni Pierre Audi, welcher schon 2000 Claude Viviers „Rêves d`un Marco Polo“ in eine rätselhafte, rituelle Bühnensprache übersetzte. Was er aus Messiaen machen wird, können wir nicht erraten.
Das Stück stellt, wie Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten, wie Luigi Nonos Al gran sole carico d’amore, wie Hindemiths Die Harmonie der Welt und Wagners Götterdämmerung einen Extremfall der Operngeschichte und eine ihrer größten musikalischen und szenischen Herausforderungen dar. Entsprechend bemerkenswert waren die Berichte über die Aufführungen und die Lösungen der Regisseure. Das Stück stellt musikalisch die eindrucksvolle Zusammenfassung des musikalischen Kosmos von Olivier Messiaen dar, während die Handlung sehr statisch ist und das Textbuch sehr weit von dem literarischen Standart am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts entfernt liegt. Einen Eindruck des Geschehens auf der Bühne gibt der Beitrag im Tamino-Opernführer.
Ich selbst habe das Stück nur in Leipzig gesehen, in der Regie von Gottfried Pilz, im Ambiente einer verfallenen und sehr düsteren gotischen Kirche, man könnte sagen, in einem Bühnenbild zwischen Gotik und gothic. Noch interressanter dürfte Daniel Libeskinds Bühnenbild in der Berliner Aufführung 2002 gewesen sein, das ich aus der Video-Dokumentation „Der verborgene Blick“ von Cuini Amelio-Ortiz kenne.
Isabel Herzfeld schrieb zu der Aufführung der Deutschen Oper Berlin in Oper und Tanz unter dem Titel Zauber des Unmöglichen:
Dieses Werk ist eine Zumutung. Jedenfalls keine „Oper“ im landläufigen Sinne: handlungsarm schleppt sich das Leben und Sterben des Heiligen Franz von Assisi über die Bühne. Der vertrauten „großen Gefühle“, der theatertauglichen „Menschen aus Fleisch und Blut“, gar der bekannten erotischen Verwicklungen und Ränkespiele entbehrt das Libretto gänzlich. „Saint François d’Assise“ von Olivier Messiaen ist eine Oper über Gott, also etwas, was man nicht sehen, nicht hören, nicht begreifen kann. Vor allem auch etwas, was unserem „normalen“ Leben sehr fremd geworden ist. Hartes Brot also, was Intendant Udo Zimmermann zum Ende seiner ersten Spielzeit an der Deutschen Oper Berlin seinem Publikum da vorwirft.
Der spektakuläre Umstand allerdings, dass Daniel Libeskind hier sein „Operndebüt“ gab – unter Mitarbeit von Thore Garbers zeichnete der berühmte Architekt für die gesamte szenische Konzeption sowie Bühnenbild und Kostüme verantwortlich – zog die Besucher in Scharen in die Vorstellungen. Das Ergebnis, dem abstrakten Inhalt des Werkes, weniger der Sinnlichkeit und Vielfalt seiner Formen entsprechend, blieb im Detail jedoch ebenso rätselhaft wie die Fantasie anregend.
Libeskind greift hier eine alte Lieblingsidee auf: Vor zwanzig Jahren konstruierte er für die Kunstbiennale Venedig eine „Writing Architecture Machine“, eine nach klösterlichen Handwerkstechniken erbaute Vorrichtung, welche die Idee der unsterblichen Stadt wiedergeben sollte. Zu ihrem Bild fügten sich um die eigene Achse rotierende Kuben, mit den verschiedensten Emblemen und Zeichen versehen. Die Opernbühne nun soll „ein Ort der Meditation des Fragens, der Analogie und des Paradoxes“ sein, mittels eines riesigen Zauberwürfels von sieben mal sieben Kuben. In wechselnden Beleuchtungen kommunizieren sie mit dem Bühnengeschehen.
Das bleibt diskret, nur angedeutet. Wenn die Klosterbrüder in strengem Schwarzweiß umherschreiten, auch Franziskus in fahl gestreifter Weste auftritt und selbst dem Engel keine brillantere Erscheinung beschieden ist, mag man das bedauern. Doch wird dadurch ein Abgleiten in religiösen Kitsch und unangemessene Verdoppelung klug vermieden…
Internet: operundtanz.de/archiv/2002/05/berichte-messiaen.shtml
Zur Aufführung 2003 in Bochum während der Ruhr-Triennale hieß es im Online Musik Magazin:
Die unerträglich schöne Gegenwart des Göttlichen
Gott blendet uns durch die Überfülle an Wahrheit. Die Musik trägt uns zu Gott durch den Mangel an Wahrheit. Du sprichst durch die Musik zu Gott: Er wird dir durch die Musik antworten. (Der Engel, Saint Francois d'Assise, 5. Bild)
In Saint Francois d'Assise ist Olivier Messiaens Lebenswerk zusammengefasst, der Gedanke, sich mit Musik der Idee des Göttlichen anzunähern, in einem mehr als vierstündigen Werk konzentriert. Mehr und mehr verfestigt sich der Eindruck, dass dieses riesige, nicht eben leicht zugängliche Werk zu den ganz großen Wundern der Musikgeschichte gehört. Aufführungen in Salzburg, Leipzig, Berlin und jetzt in Bochum unterstreichen dies, auch wenn der exorbitant hohen Anforderungen der Partitur jede Aufführung zum Kraftakt machen…
Jetzt ist der volkstümliche Heilige also in der Bochumer Jahrhunderthalle angekommen, einem riesigen Industriesaal vom Beginn des 20. Jahrhunderts, der Kirchenarchitektur aufgreift: Eine Kathedrale des Industriezeitalters. Aufgegriffen und verstärkt wird dieser Aspekt, indem an den Pulten von Chor und Orchester sowie längs der umlaufenden Galerie (elektrische) Kerzen angebracht sind, die den Saal in eine sakrale Atmosphäre tauchen. Der Raum wird Teil der Inszenierung, selbst die äußere Umgebung spielt mit: Scheint zu Beginn der Aufführung noch die langsam nieder steigende Sonne in den Saal, so gewinnt in reziproker Bewegung mehr und mehr die innere Beleuchtung die Oberhand, parallel zur Entwicklung des Franziskus, dessen äußerlicher „Abstieg“ zum Tod hin entgegen dem innerlichen schrittweisen Gewinn göttlicher Gnade verläuft.
Selten hat ein Spielraum derart suggestive Bedeutung gewonnen wie in dieser Produktion, die gemäß ihrem Thema in großen Bildern auf die mehr oratorisch als dramatisch angelegte Musik reagiert...
Internet: omm.de/veranstaltungen/festspiele2003/RUHR-2003-st-francois.html
Als die Oper 1998 in Leipzig zu sehen war, erklärte Claus-Henning Bachmann in der Neuen Musikzeitung:
Vor dem Operntod kommen die Wunder
Die Oper Leipzig stellt sich mit Messiaen ihrer größten Herausforderung
„Miracle! Miracle! Miracle!“ Das Wunder, die Heilung des Aussätzigen, die in der dritten dieser „Franziskanischen Szenen“ die „magische“ Langsamkeit durch einen dithyrambischen Tanz unterbricht, erlebe ich nur in der Andeutung durch einen Regie-Hospitanten. Aber andere Wunder, die das Theater als den Ort der imaginierten Verwandlung betreffen, schieben sich wie Traumsequenzen in die Erfahrung dieser ersten Leipziger Bühnenproben-Woche zu Olivier Messiaens einziger Oper – genauer: zu den Scènes franciscaines in drei Akten – „Saint François d’Assise“, einer Deutschland-Premiere, selbstredend im französischen Original.
Alles ist Vorbereitungs-Ort, Vor-Bewußtsein: der schwarze Bühnenraum mit dem technischen Zubehör, mit Brücken, Scheinwerfern, im Arbeitslicht, das den später dazukommenden Lichtdesigner Manfred Voss noch kaum ahnen läßt; die symmetrisch zueinander, nach dem Vor-Bild eines Kirchenraumes angeordneten Stuhlreihen für den Chor, in der Partitur zu Messiaens glutvollem Verkündigungs-Ritual die innere Stimme des Franziskus, aber auch Christi und Gottes Stimme…
Internet: nmz.de/nmz/nmz1998/nmz11/rumpf/messiaen.shtml
Also: Jetzt würden mich eure Erfahrungsberichte mit dieser Oper interessieren.