Konzertbesuche und Bewertung

  • Guten abend,


    ich komme gerade aus der Semperoper, wo die Staatskapelle Dresden und der Staatsopernchor unter der Leitung von Christian Thielemann Beethovens Op. 123 gegeben haben. Solisten waren Krassimira Stoyanova, Sopran, Elina Garanca, Mezzosopran, Michael Schade, Tenor und Franz-Josef Selig, Bass.


    Es war eine zutiefst bewegende Aufführung, mit vielen wunderschön gespielten Momenten, ohne dass der Blick für den großen Zusammenhang verloren gegangen wäre.
    Orchester und Chor waren durchaus groß besetzt, was zu einem wuchtigen vollen Ton geführt hat. Dennoch waren die Strukturen zu jederzeit durchhörbar. Die Solisten waren gut bis sehr gut, Sopran und Bass waren für mein Empfinden stellenweise zu dominant. Ansonsten war die Balance zwischen Solisten, Chor und Orchester nahezu perfekt, da macht sich wahrscheinlich Thielemanns Routine als Operndirigent bemerkbar.


    Die Tempi waren alle eher auf der langsamen Seite. Die Relationen zwischen den einzelnen Teilen haben wunderbar gepasst. In vielen Aufführungen der Missa solemnis zerfallen gerade Gloria und Credo in einzelne Blöcke. Hier gelangen die Übergänge wunderschön, zum Beispiel das "et in terra pax" im Gloria kam nicht als Einschub sondern irgendwie organisch zwischen die Ausbrüche. Die langsamen Teile waren expressiv und sehr langsam, sehr schön das "et incarnatus", voller Ausdruck das "crucifixus". Lediglich gegen Ende des Credo schien mir die Spannung ein wenig nachzulassen. "Pleni sunt coeli" und "Osanna" wurden vom ganzen Chor gesungen, da bin ich mir nicht sicher, was der neueste Stand der Forschung sagt. Eine Zeit lang hieß es, das sollen nur die Solisten singen. Das "Dona nobis pacem" war sehr innig gesungen, die kriegerischen Einschübe schienen mehr unsere Angst als den eigentlichen Krieg darzustellen, ich glaube dies deckt sich mit Beethovens Intention. Kein Applaus, da es ein Gedenkkonzert an die Bombadierung Dresdens war, die Zuhörer haben sich nur nach dem Schlussakkord erhoben.


    Beeindruckend die Wirkung, die Beethovens Bitte um Frieden auch heute noch haben kann.

  • Sagitt meint:


    Gestern in Bremen. Die Glocke praktisch ausverkauft. Kein Wunder, Bartoli zieht halt.


    Was ? Ihre aktuelle CD.


    das ensemble: Basler Kammerorchester,gleiches Niveau wie il gardino ( mit dem die Aufnahme gemacht wurde).


    Der Koloraturzirkus funktiniort noch prima. Für solches Feuerwerk bekommt sie natürlich rasenden Beifall.


    Ihre Stärke ist ein immer besser pp. Der ganze Saal konzentriert, nicht einmal ein Huster. Grossartig.


    Ebenso überzeugend, wie tief sie in die Rollen jeweils einsteigt.
    Und dass sie gar nicht als Diva auftritt, sondern ale Musikerin unter Musikern.
    Herzliche Freundschaft konnte man spüren und sehen.


    2,5 Stunden Genuss und Freude.

  • Sagitt meint:


    Gestern haben wir in Bremen den Schwanengesang von Heinrich Schütz aufgeführt. Das kann keine Konzertkritik sein, weil ich dort selbst mitgesungen habe,sondern nur ein Bericht.


    Das Werk hat 273 Seiten Noten, ist ungefähr in 90 Minuten plus zu bewältigen, bei uns etwas länger, weil wir den 100ten Psalm als Introitus quasi gesungen haben und dann später im Ablauf ein weiteres Mal.


    Die Kirche war, dafür dass es Schütz war, erstaunlich gefühllt, aber überwiegend Sänger , die mal hören wollten, wie denn dieses Werk klingt.


    Die Haupt-Herausforderung: die Konzentration über 14 Stücke halten. Die Noten sind teilweise anspruchsvoll, der Rhythmus in jedem Fall.


    Es ging nicht alles gut,je weiter der Abend fortschritt, die Konzentration eben.
    Der Gesamteindruck auf das Publikum war allerdings gut, weil sicher nicht so viele das Werk kannten und die "Unglücke" nicht so wahrnahmen.


    Nach dem Konzert waren wir alle rechtschaffen erschöpft.

  • Zwar schon etwas länger her, aber dennoch :D


    21. März 2010
    Braunschweig Stadthalle


    Dmitri Shostakovitsch :Violinkonzert Nr. 1


    ----Pause----


    Igor Strawinsky: Petruska


    Violine: Julian Rachlin
    Dirigent: Alexander Joel


    Staatsorchester Braunschweig



    Bei diesem Konzert wurde ich wieder absolut überrascht, da ich micch bei Violinkonzerten meistens furchtbar langweile. Diesmal war dies nicht der Fall. Shostakovitsch's Violinkonzert bietet für jeden etwas. Es ist konzentriet, aufbrausend und effektvoll. Der 1. Satz des Konzert wurde vom Orchester wie vom Geiger wunderbar gefühlvoll wiedergegen und es gab auch keine Huster ( die ja oft durch langeweile entstehen, so habe ich den Eindruck ). Der 2. Satz war am spektakulärsten. Durch die prägnanten Rhythmen hat das Zuhören so einen Spaß gemacht. Der Geiger spielte in einem Höllentempo und dennoch fehlerfrei. Hier das sonnst sehr schweigsame Braunschweiger Publikum : *gehaucht* BOAH !
    Auch die restlichen Sätze spielte Rachlin sehr ausgewogen und präzise. Nach dem letzten Satz brach das Publikum in Bravo-Rufe aus.


    Nachdem er sieben mal hinausgerufen wurde gabs mit dem Staatsorchester noch eine Carmen-Fantasie von einem W(!)axwell. Hier werden im Gegensatz zur Fantasie von Sarasate mehr Themen variert und vor allem auch weitaus virtuoser! Auch hier wieder zahlreiche Ausrufe für Dirigent und Geiger.


    Nach dem Konzert habe ich mir übrigens gleich 4 CD's ausgeliehen auf denen das Violinkonzert gespielt wird. Keins kommt an dies heran, vor allem aber vom Orchester und vom Tempo des 2. Satzes. Die einzige f+ür mich bisher akzeptable Aufnahme ist die von H.Hahn und M.Jansons bei youtu**


    Nach der Pause ( in der ne ganze Menge Zuschauer hinter die Bühne ranten :] ) gabs Strawinsky's Petrushka. Der Orchester war diesesmal ( im Gegensatz zum Sacre, welches aber auch bestimmt einiges schwieriger ist ) vollkommen perfekt und präzise. Es gab keinen Augenblick, wo jemand aus der Reihe tanzte. Alexander Joel arbeitet dieses Werk auch sehr fein aus. Zu Beginn vielleicht noch etwas zu schwach, aber umso weiter das Stück lief, umso mehr nahm auch die Wucht zu. Von der "niedlichen" Walzervariation bis zum kraftvollen Dances russe am Ende, alles war sehr gut. Auch hier gabs nach dem ( für die meisten unerwarteten) Schluss brach auch hier nochmal das Publikum in Bravo-Rufe aus.


    Insgesamt ein wahrlich hervorragendes Konzert in dem das Staatsorchester und Julian Rachlin zeigten was doch ein Provinzorchester erreichen kann! Großes Lob!


    Bin schon sehr auf Bruckners 4. am 18. Gespannt :D


    LG
    Chrissi

  • Am Samstag habe ich das Hamburg-Debüt von Les Musiciens du Louvre unter Leitung von Marc Minkowski in der Hamburger Laeiszhalle bewundern dürfen. Auf dem Programm stand die Johannes-Passion von J.S. Bach. Bevor es losging, erläuterte der Dirigent, dass eine im Programmheft angekündigte Arie leider nicht gegeben werde, er ersetze sie durch eine Arie aus einer anderen Fassung der Johannes-Passion. Dies erklärte er damit, dass es bei den Proben "nicht funktioniert" habe und dass er an diesem Abend erstmals (!!!!!) die Johannes-Passion dirigiere. Herr Minkowski fügte noch an, dass er dieses Werk als Fagottist "etwa eine Million Mal" gespielt, aber eben noch nie selbst als Dirigent verantwortet habe. So durfte ich also dabei sein, wie Minkowski sein Debüt mit diesem Werk gab. Und er dirigierte es unvergleichlich. Einfach faszinierend!


    Minkowski fügte den vier Gesangssolisten nur vier weitere Sänger hinzu, so dass diese acht Sänger den gesamten Chor bildeten (!). Das klang so wahnsinnig, dass man es kaum beschreiben kann. Minkowski, den ich erstmals sah, dirigierte außerdem so unglaublich präzise, dass es eine reine Freude war. Die Aufführung in der Sichtweise Minkowskis wurde jedenfalls ein gefeierter, auch von der Lokalpresse (z.B. gab es einen Jubelartikel von Dr. Lutz Lesle in "DIE WELT") sehr gewürdigter Geniestreich. Ich habe Bach eigentlich noch nie so gut interpretiert gehört. Vielleicht toppt aber Sir Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern und Thomas Quasthoff dieses Ereignis in Bälde: am 10. April werde ich nämlich in der genannten Besetzung die Matthäus-Passion in Berlin hören :yes:

    Einmal editiert, zuletzt von Swjatoslaw ()

  • Sagitt meint:


    Diese Pianistin gestern mit der Bremer Kammerphilharmonie.


    Järvi spielte mit seinem Orchester einen Weltklasse-Schumann, u.a. die erste Sinfonie. Die Pianistin das zweite Konzert von Chopin.


    wenn man bei you tube schaut, was sie sonst spielt,wird mir klar, warum mich ihr Chopin weniger ansprach. Der war nicht elegant, Dem fehlte "Parfum"


    Erstaunlicherweise war die Pianistin befangen? Sie gab dem ersten Geiger mindestens fünf Mal die Hand, nach beendete Konzert.


    Der Schumann hingegen verdiente allen Jubel.


    Zugabe: ein ungarischer Tanz von Brahms. Rausschmeisser pur.

  • Jetzt, wo ich endlich bei Tamino registriert bin, kann ich - mit etwas Verspätung - auch das Rätsel auflösen. Der kurzfristig eingesprungene Tenor war Gernot Heinrich.


    lg, Eva (aus dem Chor, der besagten Konzertabend mitbestritten hat.)

  • Zitat

    Original von Eva K.
    Jetzt, wo ich endlich bei Tamino registriert bin, kann ich - mit etwas Verspätung - auch das Rätsel auflösen. Der kurzfristig eingesprungene Tenor war Gernot Heinrich.


    lg, Eva (aus dem Chor, der besagten Konzertabend mitbestritten hat.)


    Ah ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Danke! Und Kompliment auch für den beeindruckenden Chor.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • 7. Mai 2010, 20.00 Uhr
    Bonn, Beethovenhalle


    “Von Schwänen”


    Einojuhanni Rautavaara: Cantus Arcticus (1972)
    Leif Segerstam: Sinfonie Nr. 195 „Yes, Pray...: light: Si, Be, ljus...” (2008, Uraufführung)
    Jean Sibelius: Sinfonie Nr. 5 Es-Dur op. 82 (Endfassung 1919)


    Beethoven Orchester Bonn, Leif Segerstam (Dirigent)


    Deutsche Provinz, Bonn im Frühjahr 2010: oberbürgermeisterlich verordneter Kahlschlag in der Kulturszene - Kultur ist in Bonn jetzt “Chefsache” -; das Sterben einer Vielzahl kleiner Kulturgruppen ist absehbar; das von den Daxen Telekom, Postbank, Deutsche Post (75 Millionen Euronen) und einer beabsichtigten Stiftung (47 Millionen) aus Bund, Sparkasse, Kreis als Quasi-“Geschenk” vorgesehene Beethoven Festspiel haus wird vom Oberbürgermeister im Handstreich (wenn auch angeblich noch nicht endgültig) abge lehnt ... da werden wir noch etwas länger mit der Akustik der Karnevals- und Ü30-Afterwork-Party-Mehrzweck-Location Beethovenhalle leben.


    Trotz alledem - ein Konzert “von Schwänen” ist auch dort möglich und tröstet über vieles hinweg. An anderer Stelle hatte ich schon erwähnt, wie angetan ich bin von der sich stetig steigernden Qualität unseres Beethoven Orchesters Bonn - und nicht zuletzt ist dies Stefan Blunier zu danken, der hier als Generalmusik direktor seit August 2008 segensreich voll impulsiven Engagements wirkt.


    Nun stand also Leif Segerstam, dessen sich die Wiener be stimmt gerne als Leiter ihres Radio-Sinfonieorchesters Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre erinnern werden, mit rein finnischem Programm am Pult. Die Ankündigung seines Besuchs mit Sibelius und Rautavaara auf dem Programm war für mich Anlass zum Kartenkauf: Es hat sich bei mir in den letzten Jahren ein ganz seltsames Bedürfnis, eine Furcht, zu spät zu kommen, eingestellt: Noch einmal will ich die großen “alten” Musikerinnen und Musiker hören, bevor es zu spät ist. So viele ha be ich nicht gehört, obwohl es möglich gewesen wäre - Günter Wand verpasst zu haben, bedauere ich am meisten. Nun gehört Leif Segerstam mit 66 Jahren zwar noch nicht zu den Alten, bestimmt aber zu den Großen, zumal den großen nordischen Dirigenten - und wenn man ihn auf dem Weg zum Podium sieht, könn te man schon darum fürchten, ob es ein Wiederhören live geben werde.


    Cantus Arcticus, das vielleicht populärste Werk Rautavaaras, dieses Konzert für Vogelstimmen, die Rautavaara am Polarkreis und im Sumpfland (1. Satz: Suo - Sumpf -) von Liminka aufgenommen hat, und Orchester von 1972, hörte ich noch nie so schön. An eine Auf führung 2006 in der Wuppertaler Jugendstil-Stadthalle am Johannisberg erinnere ich mich beson ders. Die wunderbare Anu Tali dirigierte das Sinfonieorchester Wuppertal mit einem im Vergleich fast leichtgewichtigen Ansatz, der mir viel weniger passend schien, als jetzt Segerstams Dirigat, das das Wehmütig(Melankolia)-Nordische, die unendliche Weite der finnischen Tundra unter dem Vogelhimmel skizziert. Führend ist während des gesamten Konzerts die Aufnahme der unterschiedlichsten Vogelstimmen, die allerdings nicht durchweg “naturbelassen” bleiben, sondern teilweise vom Komponisten - vor allem in ihrer Zusammenstellung und Position zueinander - bearbeitet wurden (Beispiel: Die Küstenlerche zu Beginn des zweiten Teils Melankolia ist deutlich verfremdet: verlangsamt und abwärts transponiert).


    Dirigent und Orchester leuchten die Ebenen des dreiteiligen Stücks differenziert aus, entwickeln ein breitgefächertes Klangspektrum auf solidem Bassfundament. Segerstam gelingt es vorbildlich, seine Vision dem Orchester und seinem Publikum zu vermitteln, dirigierend malt er mit Armen und Händen geradezu die Landschaftsbilder den Musikern vor. Die Verschmelzung der Tonbandeinspielung mit dem Orchesterspiel gelingt “wie geträumt”. Mir schien es in diesem Konzert, unter Segerstams Füh rung weit tiefer in das Stück eindringen zu dürfen, als mir dies bei seiner - gleichwohl nach wie vor vor bild lichen - Ondine-Einspielung mit dem Philharmonischen Orchester von Helsinki bislang gelun gen war.


    Dieses Verschmelzen von realem (aufgenommenem) Ereignis mit dem Musikgeschehen mag ich sehr, die Einbindung von “Naturlauten”, von Tierstimmen ist für mich von großem Reiz. Im Juli 2009 erzielten die Bonner unter Blunier bei der Aufführung von Alan Hovhaness’ And God created great whales, op. 229 von 1970 eine fast schon unwirkliche, in metaphysische Bereiche überhöhende Stim mung; Hovhaness schreibt hier die Einspielung von auf Tonband aufgenommenen Buckelwalgesän gen vor. Dabei ist diese Kombination nichtmals neu in den 70er Jahren: Schon 1924 beispielsweise schrieb Respighi in seinen Pini di Roma in den I pini del Gianicolo die Zuspielung von Original-Nachtigallengesang von einer Schallplatte vor, und zwar von der Schallplatte Nr. 6105 der Firma Concert Record Gramophone „Il canto dell'usignolo“. Wandergeist hatte hierauf am 13.10.2009 im Fred Programmmusik: Wege und Irrwege bereits hingewiesen.


    Uraufführung in einem Abonnement-Konzert – das kann funktionieren, hier schien es jedenfalls so, der Applaus schien mir mehr als bloß höflich, Teile des Publikums (mich eingeschlossen) spendeten gar begeisterten Beifall, und niemand hatte während des Stücks maulend und türen schlagend den Saal verlassen, niemand: so engagiert ist unser Publikum heute nicht mehr.


    2008 hatte Segerstam diese Sinfonie Nr. 195 in einem Satz komponiert. Aus dem Titel ergibt sich der vielschichtige Rückbezug auf Sibelius: Si (italienisch: Ja/Yes, italienische Note: H) Be (schwedisch: beten/pray, deutsche Note: B) ljus (schwedisch: Licht/light). Ein Motiv H-B wird in einem der lyrischeren Mittelteile dann auch tatsächlich durchgeführt. Nicht gelungen ist es mir allerdings herauszuhören, an welcher Stelle das Licht aufgegangen ist - no joke: dies war eine Höraufgabe des Komponisten (der übrigens ein angenehmes Deutsch spricht) für sein Pu blikum.


    Zur Musiksprache: Ohne jetzt dem einen noch dem anderen zu nahe treten zu wollen, fühlte ich mich streckenweise spontan an die Sprache in Orchesterwerken Jürg Baurs erinnert, der zu Zeiten, als ich den 70ern/Anfang der 80er immer wieder mal Düsseldorfer Konzerte besuchte, dort doch gerne aufgeführt wurde (unsere Düsseldorfer Freunde werden sich erinnern). Wäh rend ich Baur aber durchweg als gut durchhörbar in Erinnerung habe, gestaltet Segerstam "ter rassendynamisch", wenn nicht gerade eines der sehr schönen lyrischen Stücke an der Reihe ist, vorwiegend gewaltig kraftvoll mächtig, was nicht gerade gesteigerter Durchhörbarkeit Vorschub leistet; Klangmassen und -konzentrationen scheinen ein Hauptgestaltungselement Segerstams zu sein – leider bin ich offenbar ein wenig duldsamer Mensch, weshalb derartiges zügig dazu führt, dass ich genervt reagiere. Im Instrumentarium ist neben zwei Harfen und zwei Flügeln vor allem das auf vier Per kussionisten verteilte ausufernde Schlagwerk gewaltig inklusive Kuriositäten wie Holzhammer, Ratsche und Rüttelblech; ansonsten Bläser wie bei Sibelius' Fünfter 2 Fl., 2 Ob. 2 Klar., 2 Fag., 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, dazu eine Tuba und Piccolofl., Englischhorn, Bassklar., Kontrafag..


    Segerstam spielte einen der beiden Flügel, kein Dirigent stand dem Orchester vor. Dem Orches ter lagen die detailliert ausgearbeiteten Noten vor, für jede der Stimmen waren alle Anweisun gen exakt fixiert inklusive spezifischer Ausdrucksangaben von Furiosissimo Fantastico bis Ada gissimo con visione - mit Ausnahme der Anweisung, zu welchem Zeitpunkt die jeweilige Stimme im Gesamtwerk einsetzen sollte. Die Bestimmung, zu welchem Zeitpunkt die einzelnen den Stimmen zugewiesenen Module ausgeführt werden sollten, hatte der Komponist nur in lockeren Rahmen angedeutet. Die Bestimmung, zu welchem Zeitpunkt jede Stimme ihren einzelnen Part jeweils ausführen sollte, oblag den Stimmführern. Aktion und Reaktion im definierten Freiraum zur Erzielung eines "frei-pulsativen" musikalischen Flusses will Segerstam erreichen, wenn er die Synchronisation der Module weitgehend den Ausführenden überlässt.


    Das Fehlen eines Dirigenten trägt nicht dazu bei, dass in den weiträumig angelegten „unleisen“ Zonen ein natürliches Stimmengleichgewicht entsteht - es scheint, als würden die mit einer lauten Dynamikbezeichnung versehenen Stimmen ihrer Befürchtung freien Lauf lassen, man könne sie womöglich überhören. So treten dann über einem allgemeinen Gebrodel die Instru mente gelegentlich hervor, die wirklich noch einen drauflegen können - vornehmlich Schlag werk.


    „Glitzernd-prismatisch zwischen einer (effektvollen) Elegie und einer (versunkenen) Meditation“ meint das Programmheft die Sinfonie zu verorten – kammama so sagen. Die Bezeichnung Elegie darf man dann aber bitte jetzt nicht als irgendwie „leise“ missverstehen. Ich gestehe, am wohlsten habe ich mich dann an den Stellen gefühlt, bei denen versunkene Meditation angesagt war, und die gelangen dann auch in der Tat wunderschön, ganz besonders auch die ätherisch eingehauchte Schlussepisode.


    Ein aufregendes Erlebnis – ich möchte es nicht missen.


    Nach der Pause dann Sibelius' 5. Sinfonie, ein Werk, das ich wirklich liebe (… wer nicht???). Für seine Einspielung mit dem Philharmonischen Orchester von Helsinki verehre ich Segerstam.


    An diesem Abend aber ging ich nicht mit dem Gefühl nach Hause, dass Orchester und Dirigent wirklich zusammen gekommen seien, zwar: immer wieder große Schönheiten, zum Beispiel in der Schwanenepisode, dann aber auch: viele Schroffheiten, viele Unzulänglichkeiten gemeinsamen Verständnisses – ich hätte es mir besser vorstellen können und mögen. Nun ja, sage ich mir in solchen Fällen immer: es ist halt diese unsägliche Mehrzweckhallenakustik …


    Ich bin sehr dankbar, dass wir in Bonn ein solches Orchester haben, dass solche Gäste uns besuchen, und dass ich hier solche Konzerte erleben darf!


    Ulrich

  • Zitat

    Original von Agon


    Also, für so ein Scheissprogramm hätte ich kein Geld ausgegeben...


    Du hast wirklich Talent, die Dinge auf den Punkt zu bringen, Agon. Ich habe Tränen gelacht :hahahaha:

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Salve!


    Gestern sind wir mal wieder in der Tonhalle in Düsseldorf gewesen; auf das Konzert hatten wir uns lange gefreut: Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit Paavo Järvi und Janine Jansen:
    [list=1]
    [*]Beethoven - Ouvertüre "Die Weihe des Hauses"
    [*]Beethoven - Violinkonzert
    [*]Schumann - 3.Symphonie "Rheinische"
    [/list=1]
    Insbesondere das letzte Werk hat uns neugierig gemacht: wie passt der vielgerühmte Beethovensound von Kammerphilharmonie/Järvi zu Schumann?


    Leider ist Janine Jansen kurzfristig erkrankt. Gute Besserung natürlich von dieser Stelle! Ich hoffe, dass ich das Vergnügen, sie live zu erleben, dann noch ein anderes Mal geniessen kann.


    Eingesprungen ist dann dankenswerterweise kurzfristig Thomas Zehetmair; eigentlich hatte er schon Freitag, Sonntag und Montag Programm (mit Schumanns Violinkonzert, auch ein heftiger Brocken), hat sich aber auch Samstag noch bereit erklärt, Beethoven zu spielen. Das kann man kaum hoch genug anrechnen!


    Die Kammerphilharmonie und Järvi haben einen phänomenalen Beethoven-Klang! Schon die Ouvertüre hat mich überwältigt. Diese Wucht im Forte, diese schwelende Unruhe im Piano - das Orchester lebt Beethoven. Sollte es die Ouvertüren je in einer solchen Einspielung geben: ich werde zuschlagen!


    Das Violinkonzert setzte diese Reihe fort. Der sehr massive Bläserklang, durch den kleinen Streicherapperat noch betont, machte es Zehetmair nicht immer leicht, sich durchzusetzen.


    Die Beethoven-Kadenz für die Klavierfassung zusammen mit der Pauke (ohne Doppeleinspielung für die CD, eingerichtet für die Violine mit Pauke von Schneiderhan) war durchaus auch ein Highlight.


    Nach der Pause dann Schumann. Die Trompeten und Pauken haben gewechselt, der Klang der Kammerphilharmonie immernoch beeindruckend. Paavo Järvi lenkt das Orchester souverän und man bekommt den Eindruck, dass er zu jeder Zeit der Mann am Zügel ist.


    Die Mischung aus modernen Instrumenten (bis auf Trompeten und Pauken(?)) und HIP-Spielweise erzeugt einen sehr einzigartigen Klang, der seine Wirkung auf uns nicht verfehlt hat.


    Auf jeden Fall haben sowohl die Kammerphilharmonie als auch Paavo Järvi gestern abend zwei Fans gewonnen! Danke für diesen Abend!
    Mit Thomas Zehetmair werde ich mich jetzt mal weiter befassen- habe mir gleich mal ein paar modernere Violinkonzerte mit ihm mitgenommen. :D

  • jooahh, über so eine Awards-Inflation kammama nachdenken, jedenfalls setz’ ich da noch eins drauf:


    Kent Nagano mit dem einzigartigen und jährlich einmaligen Wilhelm-Furtwängler-Preis 2010 des Beethovenfests Bonn gekrönt


    - aaahh, das klingt doch gleich ganz anders, irgendwie mehr nach Ehrung ...


    und dieser Ehre würdig erwies sich Nagano dann auch gleich in jeder Hinsicht, als er am Sonntag, 12.09.2010, in der Bonner Beethovenhalle sein Bayerisches Staatsorchester, das Orchester der Bayerischen Staatsoper München, vor der Verleihung des Preises an ihn mit Beethovens Erster, danach mit Bruckners Siebenter Sinfonie dirigierte.


    Kent Nagano strahlt eine Persönlichkeit von gediegener Noblesse und menschlicher Bescheidenheit aus, sein Dirigierstil ist zurückhaltend, reduziert, überaus elegant. Seine besonders groß gewachsene, besonders schlank wirkende Statur könnte als solche nicht von ungefähr an Wilhelm Furtwängler erinnern, hier schlösse sich unter visuellem Aspekt der Kreis zu dem ihm verliehenen Preis, würde dem nicht Naganos mit 59 nach wie vor voller, dunkler Haarschopf entgegen stehen und seine gänzlich anders geartete Schlagtechnik. Nagano zeigt sich fernab jeglicher Star-Allüren, und auch das macht ihn als Person überaus sympathisch - sympathisch auch, wie er demonstrativ in sein Orchester geradezu eintaucht, primus inter pares bleibt, und - deutet man die Reaktionen seiner Orchesterkollegen zutreffend - genau so wohl auch von diesen wahrgenommen - und überschwänglich gefeiert - wird.


    Die Verbindung dieses Dirigenten zu diesem Orchester ist offensichtlich beidseits eine Herzensangelegenheit, und man kann die Staatsmünchener wegen der Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit ihres Dirigenten nur bedauern - und zugleich sie dazu beglückwünschen! Was für ein Trauerspiel, dass dieser Mann aus den Machenschaften der Münchener Kulturverwesung seine Konsequenzen ziehen musste - kein Zweifel, der Stadtverwaltungsapparat München hat ihn nicht verdient! Dieses Orchester verdient ihn allemal und ist um den 2013 bevorstehenden Verlust herzlich zu bemitleiden.


    Übrigens München: Zumindest mich erstaunt es ein wenig, dass Thielemann einen so bedeutenden Bruckner-Dirigenten neben sich in derselben Stadt geduldet hat - womit ich keineswegs insinuiert haben will, Thielemann sei als bedeutender Bruckner-Dirigent anzusehen. Nagano jedenfalls hinterließ am gestrigen Abend keinen Zweifel, dass er zu den bedeutenden Bruckner-Dirigenten der Gegenwart zu zählen ist. In seinen Aufnahmen der Dritten, Vierten und Sechsten war dies ja schon deutlich geworden.

    Aus der Aufführung der gewaltigen Siebenten im Konzert sprach erneut Naganos Fähigkeit, die Brucknersche Architektur zu entwickeln, offen zu legen und dem Hörer sicht- und hörbar zu machen. Sein ohrenhörbar klarer Gestaltungswille übertrug sich immer wieder auf den Hörer durch den Geschehensfluss aufrechterhaltende und wiederbelebende Impulse. So blieb der große Spannungsbogen zu jeder Zeit erfahrbar - als nie aussetzende musikalische Spannungsformung. Es blieb kein Augenblick von Langeweile, wie sie Agon dieser Tage bei einem Brucknerkonzert durchleiden musste.


    Zugleich war faszinierend anzuhören, welche Detailarbeit Nagano mit seinem Orchester leistete. Seine Zuwendung zu den einzelnen Orchestergruppen, insbesondere natürlich zu den Holz- und den Blechbläsern, legte Mikrostrukturen offen, die selten wahrzunehmen sind. Dem entsprach eine begeisternde Durchhörbarkeit des gesamten Orchestersatzes. Das war Spielkultur auf höchstem Niveau, mit der sich das Bayerische Staatsorchester als hervorragendes Bruckner-Orchester empfahl.


    Wieder einmal wurde deutlich, dass Günter Wand Unrecht hatte, als er die deutsche Orchesteraufstellung für modernen Mumpitz hielt, den er ignorieren dürfe, weil bei ihm die Mittelstimmen auch in der amerikanischen Aufstellung durchhörbar seien. Letzteres stimmt zwar, wofür insbesondere seine Bruckner-, Brahms-, Beethoven-, überhaupt alle seine Aufnahmen stehen. Aber die meisten seiner späten Aufnahmen sind Konzertmitschnitte. Und gerade bei einer den Hörer in der Konzertsituation dermaßen fordernden Musik, wie eine Bruckner-Sinfonie sie nun einmal darstellt, ist die sowohl optisch wie auch akustisch in der „Stereo“-Breitenwirkung eingängige Stimmenverteilung, bei der die - in Bruckners Siebenter oft führenden - zweiten Geigen antiphonisch rechts sitzen, ungemein hilfreich für das Verständnis der Strukturen. Dementsprechend hatte Nagano sein Orchester, wie von seinen Aufnahmen gewohnt, auch hier wieder deutsch aufgestellt: die Geigen antiphonisch, die Celli neben, die Kontrabässe hinter den ersten Geigen.


    Dass die deutsche Orchesteraufstellung auch bei Beethovens Erster Sinfonie, die den Abend einleitete, völlig natürliche erste Wahl ist, auch wenn wir dies heutzutage nicht mehr zwingend als Verständnisstütze benötigen mögen, zeigt sich an vielen Stellen. Beispielsweise wird die gewählte Aufstellung im zweiten Satz genau abgebildet, wenn die Streichermotivik die Stimmen von der zweiten Geige über die Bratschen zu den Celli und von dort zu den ersten Geigen durchwandert.


    Nagano spielt Beethovens Erste leidenschaftlich, maskulin, kraftvoll und stark mit markantem Blech und Holz. Er fasst sie eher als einen auf die Vierte und Dritte Sinfonie vorausweisenden frühen Beethoven auf, denn als eine Anverwandlung Haydnscher Wienerlichkeit. Vollmundig musizieren die Damen und Herren, und die grundständigen Reminiszenzen an die Erkenntnisse der Historischen Information - deutsche Aufstellung, klassisch-nachgebaute Pauken und Schlegel, geringfügig reduzierte Streicherbesetzung auf ca. 9-9-7-5-3 (genau konnte ich von meinem Platz nicht zählen), metronomangabennahe Grundtempowahl - stehen einer sehr individuell gestalteten wiedererkennbaren Interpretation mit einer Vielzahl ganz entzückend herausgearbeiteter Einzelheiten nicht im Wege. Gerne werde ich hiervon mehr hören. Den Beethoven dirigierte Nagano ohne Taktstock, seine musikformende rechte Hand wirkte dadurch noch eleganter.


    Jörg Widmann hielt in einer launigen, sehr pointiert auf die Persönlichkeit Kent Nagano und die Zusammenarbeit des Komponisten Widmann mit dem Dirigenten Nagano fokussierenden Ansprache die Laudatio zur Verleihung des Wilhelm-Furtwängler-Preises 2010. Neben der Intendantin des Beethovenfestes Bonn, Ilona Schmiel, stellen die Ehefrau Wilhelm Furtwänglers, Elisabeth Furtwängler, und der Baden-Badener Kunstmäzen Ermano Sens-Großholz die Jury des Wilhelm-Furtwängler-Preises, der Musiker für ganz besondere Leistungen auf dem Gebiet der klassischen Musik würdigt. Die Auszeichnung kommt Kent Nagano als herausragendem Künstler mit wegweisenden musikalischen Leistungen zu und würdigt auch sein gesellschaftliches Engagement.


    Die Fehlentscheidung der Bonner Stadtverwaltung, das neue Beethoven-Festspielhaus nicht zu bauen - auf die Einzelheiten der Diskussion will ich hier nicht noch einmal eingehen - könnte für das Beethovenfest einschneidende Auswirkungen haben. Solange es aber der Intendanz gelingt, solche Konzerte und solche Musiker zum Beethovenfest zu holen und Wilhelm Furtwängler derart bedeutende Preisträger an die Seite der von seinem Abbild gefertigten Bronzebüste - dies der ausgelobte Preis anstelle einer Geldzuwendung - zu stellen, erscheint die Zukunft dieses Festivals nicht gänzlich hoffnungslos.

  • Gestern im Konzert:


    Schönberg: Ein Überlebender aus Warschau op. 46
    für Sprecher, Männerchor und Orchester


    Mahler: Sinfonie Nr. 2 c-Moll "Auferstehung"
    für großes Orchester, Sopran- und Altsolo sowie gemischten Chor[/b]Ausführende: Berliner Philharmoniker
    Sir Simon Rattle, Dirigent


    Kate Royal, Sopran
    Magdalene Kozena, Mezzosoran
    Hanns Zischler, Sprecher


    Rundfinkchor Berlin


    An sich bin ich mit etwas gemischten Gefühlen in die Berliner Philharmonie gekommen, hat mich doch Rattle in meinen letzten Begegnungen wenig überzeugen können. Nun also Mahler, die großangelegte 2. Sinfonie, verbunden mit dem Schönberg-Werk.


    Zunächst überwältigte einmal die Riesen-Orchesterbesetzung. So einen großen Streicherapparat mit 10 Kontrabässen, demzufolge 18 1. Violinen habe ich sehr selten erleben können. Einschließlich der sonstigen Instrumente blieb wirklich kein Platz mehr auf dem ja nicht kleinen Podium der Philharmonie.


    Der Beginn mit dem Melodram von Schönberg, kurz aber sehr unter die Haut gehend mit schneidenden Blecheinsätzen, der englische Text von Hanns Zischler mit angenehm warmer, zugleich aber eindrucksvollen Stimme, und zum Schluss der ruhig vorgetragene Männerchor.
    Unmittelbar danach, ohne Atempause der Beginn der Mahler-Sinfonie. Dramaturgisch gewollt, dennoch eine große Umstellung für den Hörer. Rattle verfügte über den für dieses Werk erforderlichen Atem, ihm gelang es, die Steigerungen und Klangausbrüche gut vorbereitet sich entwickeln zu lassen. Herrlich das sanft ausschwingende Andante danach attacca das Scherzo mit gut herausgearbeiteten derben Tanzeinlagen, bevor es zum zarten Urlicht-Satz überging. Frau Kozena in einem puffig-roten Kleid sang mit herbem Kolorit ihren Part sehr gefühlvoll. Schließlich das groß angelegte Finale mit den Ferninstrumenten, die sich sehr wirkungsvoll in das Gesamtgefüge einbrachten. stein. Exzellent auch der Rundfunkchor von flüsternd-leisem pianissimo am Anfang zum mehrfachen forte beim jubelnden Schluss.
    Auffällig im übrigen die hoch engagierte Körpersprache der Streicher, angefangen beim 1. Konzertmeister Guy Braunstein.


    Insgesamt ein außerordentlich beeindruckender Konzertabend, Simon Rattle hat mir sehr gut gefallen, wie auch das gesamte Orchester, das mit seiner Leistung den Ruf als zu den besten Klangkörpern der Welt zählend, sicher festigte.


    :hello:


    Manfred

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Hallo Manfred,
    vielen Dank für Deinen interessanten Konzertbericht!


    Was mir auffällt: wieder einmal war Magdalene Kozena mit von der Partie. Wie schon so dermaßen oft in den letzten Jahren. Ihr werden in einem Maße lukrative Engagements von den Berliner Philharmonikern zugeschustert, dass inzwischen wohl nicht ganz zu Unrecht von rein außermusikalischen Motiven für diese Besetzungspolitik gesprochen werden kann. Übrigens: Magdalene Kozena ist die Ehefrau von Sir Simon Rattle.

  • Oder der Programmgestalter hat ein ähnliches Faible für Frau Kozenas Stimme und Kunst, dass er sich nichts Schöneres vorstellen kann ... Dass Frau Kozena in Berlin zu Hause ist, ist dann natürlich ein ganz besonderer Standortvorteil, der die Kosten des Engagements um Reisekosten entlastet. Was für eine brillante Mahler-Interpretin Frau Kozena ist, zeigt ja übrigens auch ihre jüngste Aufnahme der Wunderhorn-Lieder mit meinem zweiten Stimmliebling Christian Gerhaher unter Boulez, nicht wahr? ... Mit Ausnahme des Kostenvorteils also alles musikalische Gründe. :thumbsup:

  • Gestern waren wir in der Düsseldorfer Tonhalle, dem schönsten Konzerthaus, das ich kenne.


    Zu Gast war das New Zealand Orchestra unter Pietari Inkinen, als Solistin im ersten Teil fungierte Hilary Hahn.


    Eröffnet wurde mit Smetanas 'Sarka' aus dem Vaterland-Zyklus, das mich durch eine auf mich ausgesprochen dynamisch und mitreissende Interpretation mal wieder aufs Neue in seinen Bann gezogen hat. Das machte Hunger auf mehr! Keine Spur eines routinierten 'just Smetana again', sondern Inkinen hat die Details der Partitur auch dem erfahrenen Höhrer frisch und ofenwarm serviert, schmackhaft und würzig.


    Dann der Sibelius und Hilary Hahn in einem ziemlich... ähm... ablenkenden Kleid. ;) (Dazu haben wir ja einen eigenen Thread...)
    Besonders beeindruckt hat mich der erdige, 'skandinavische' Klang, den Inkinen seinem Orchester im Sibelius entlockt hat. Hilary Hahn hat den Sibelius ja bereits eingespielt, und die Aufnahme zusammen mit dem Schönberg-Konzert steht bei mir weit vorne bei den Sibelius-Einspielungen. Gestern war mir das Vibrato etwas intensiv. Aber auch hier hat Inkinen an Stellen, in denen sich bei Hahn vielleicht etwas 'Routine' breitzumachen drohte, mitreissend animiert und motiviert und das ganze zu einem runden Erlebnis veredelt. Meines Erachtens hat sich da ein gutes, junges Team gefunden, ähnlich wie Petrenko vor zwei Jahren mit dem Tschaikowski-Konzert, das ja in dieser Besetzung gestern auch exklusiv zwei Monate vor dem deutschen Verkaufsstart an der Signiertheke zu haben war.
    In der Pause hat Hilary Hahn sich wieder Zeit für die Fans genommen. Das mag man belächeln, gehört aber meines Erachtens auch dazu. Es zeigt, wenn man den 'Star' in 'Zivilgarderobe' vor sich sieht, dass man immer noch einen Menschen vor sich hat. Einen, der exorbitant gut Geige spielen kann...


    Als Zugabe gab es Bach solo, wenn ich mich nicht irre (habe noch nicht nachgeschaut - die Solo-Violinsachen habe ich nicht so präsent).


    Nach der Pause hatte man das Orchester und Inkinen dann ohne Solisten 'ganz für sich alleine'. Es gab Orchesterstücke von Ross Harris (*1945). Kurz, prägnant, für mich neu, großartig.


    Anschliessend Berlioz' Symphonie Fantastique. Ich war neugierig, wie sich der Skandinavische Klang aus dem Sibelius auf Berlioz übertragen lässt.
    Kurz und gut: es klappt. Mitreissende Holzbläser, eine präzise (und mit zwei großen Trommeln üppig besetzte) Schlagzeuggruppe und satt tragende Streicher, brilliante Blech-Akzente haben den Berlioz auch zu einem Erlebnis gemacht.
    Das Eintreten des Dies Ira hat auch einen 'erfahrenen' Höhrer noch in seinen Bann zu ziehen vermocht. Der Fagottist schaffte es, sogar bei den beiden Tuben noch wahrnehmbar zu sein. Überhaupt fand ich die Klangbalance sehr gelungen.
    Überhaupt habe ich diese Symphonie noch nie als so einschüchternd, bedrohlich empfunden. Selbst der Ball entfaltete Untertöne, die kein ungetrübtes Tanzvergnügen erhoffen liessen.


    Konnte man danach noch Zugaben bringen?


    Man konnte. Es gab einen mitreissenden Tango des Neuseeländers Farquhar und, weil das Publikum immer noch keine Ruhe gab, noch einen ungarischen Tanz von Brahms.


    Auf jeden Fall hat Pietari Inkinen mit seinem New Zealand Orchestra eine ganz beeindruckende Vorstellung geboten. Das Konzert endete tatsächlich mit stehenden Ovationen, und euphorisch ging ein Programm zu Ende, das sehr lang, aber immer kurzweilig war!


    Mein Kompliment nach Neuseeland an die Musiker und ihren jungen Dirigenten. Der Klangkörper war voluminös, aber immer transparent und gut ausbalanciert. Alle Klangnouancen, welche die Komponisten sich erdacht haben, waren auch wahrzunehmen, es gab kein 'die hört man im Fortissimo doch sowieso nicht'. Sogar die Es-Klarinette stimmte, was wirklich nicht selbstverständlich ist, wie jeder Bläser leidvoll bestätigen kann.


    Ein toller Abend - der mich dann leider so aufgewühlt hat, dass ich mit einem Migräneanfall heute bezahlt habe. Klingt komisch - aber das ist das beste Kompliment, das ich den Musikern machen kann... denn dann hat mich das Konzert durch und durch erreicht und gepackt.

  • Ein toller Abend - der mich dann leider so aufgewühlt hat, dass ich mit einem Migräneanfall heute bezahlt habe. Klingt komisch - aber das ist das beste Kompliment, das ich den Musikern machen kann... denn dann hat mich das Konzert durch und durch erreicht und gepackt.


    Klingt gar nicht komisch - eher bedauernswert.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Am Sonntagvormittag des 21.11. d. J. spielte das Beethoven Orchester Bonn unter Friedemann Layer Schuberts Vierte und Siebente („Unvollendete“) Sinfonien.


    Es war ein Schubert, der keinem weh tun musste, den der Wiener Friedemann Layer dort in Bonn präsentierte, und so wäre er sicher nach dem Geschmack so mancher/s Forumskollega/en gewesen.


    Zu Beginn der Vierten verblüffte Layer mit einer fast statischen Sparsamkeit seines Dirigats. Das Orchester dankte es ihm leider mit einem sich durch die ersten beiden und den vierten Satz ziehenden Mangel an Exaktheit des Zusammenspiels - es kleckerte immer wieder vor sich hin. Nachdem man der Musik in den ersten beiden Sätzen jede Spannung ausgetrieben hatte, geriet das Menuett samt Trio zum weitaus besten und frischesten Satz, nach dem sich das abschließende Allegro hinzog. Fast schien es, als sei man an diesem Morgen angetreten, um den Beweis für Schuberts eigenes Verdikt zu erbringen, dass diese Jugendwerke des 19Jährigen nur dazu dienten, ihm den „Weg zur großen Symphonie bahnen“ zu können - dass sie wohl nichts Rechtes wert seien. Dass diese Musik auch anders gespielt werden kann, ist bekannt und inzwischen vielfach erwiesen.


    Das Orchester spielte erfreulicherweise kammerorchestral (8-8-6-4-2) in modifizierter deutscher Aufstellung, wie ich sie bis dahin noch nicht gesehen hatte: Die Geigen antiphonisch, aber die Celli geteilt in zwei an die Geigen jeweils sich anschließenden Zweiergruppen mit je einem zugeordneten Kontrabass, auf diese Weise die mittig angeordneten Bratschen einrahmend. Putzig - war das eine nette Idee von Herrn Layer, oder gibt es dafür irgendwelche historisch belegten Gründe?


    Der grandiose Höhepunkt der Konzerts kam nach der Pause mit Frederieke Saeijs und dem Violinkonzert von Alban Berg, wozu ich bereits [-> interner Tamino-Link ->] hier meinen überaus positiven Eindruck dargestellt habe.


    In der großsymphonischen Besetzung, diesmal tatsächlich in deutscher Aufstellung, nahmen sich Friedemann Layer und das Beethoven Orchester alsdann Schuberts Siebente Symphonie h-moll „Die Unvollendete“ vor, und ich darf sagen, das Gehörte war überaus erfreulich! Hier wurde in keiner Weise romantisierend verschleppt; die Tempi, vor allem auch des zweiten Satzes, waren auf der zügigen Seite. Layer und die Bonner näherten sich mit markigem Tonfall dem Ideal des mit dem späten Schubert schon anzunehmenden Vorgriffs auf Brucknersche Klangdimensionen an, ohne die lyrischen Anteile der Sinfonie im Dunkeln zu lassen. Ich hatte mich auf Schlimmes eingestellt, und wurde sehr positiv überrascht. Bravo.


    Dass ich trotzdem nicht wirklich zufrieden den Saal verließ, lag wohl entweder an der Programmgestaltung oder an der mir fehlenden Flexibilität. Jedenfalls schaffte ich es nicht wirklich, mich nach diesem Schock des Violinkonzerts, aus dieser traurigen Endstimmung heraus, auf Schuberts Unvollendete so einzulassen, wie es die Aufführung verdient gehabt hätte. Diese Welten zu überbrücken, war ich nicht in der Lage. Wahrscheinlich fiel das den Teilen des Publikums leichter, die sich an dem Berg geärgert hatten, statt sich auf ihn einzulassen, und dann entsprechend froh waren, dass sie mit Schubert abgefüttert wurden. Völlig unglücklich war es dann, dass die Pause, die eigentlich nach dem Berg-Konzert vorgesehen war, mal eben vorgezogen wurde hinter die Vierte Sinfonie. Für den erforderlichen Umbau war das förderlich, für die Programmabfolge tödlich; denn die Pause wäre nach dem Violinkonzert dringend und zwingend erforderlich gewesen.


    Ein Konzert mit viel Licht und einigem Schatten.

  • Klavierquintette in Duisburg am 21.11.


    Optisch finde ich die neue Mercatorhalle nicht so gelungen, verglichen mit Essen, Dortmund und Düsseldorf. Wie gut aber die Akustik ist, sieht man daran, dass dort auch die Kammerkonzerte stattfinden und man auch hinten jeden Ton hört. Die Empore wird allerdings abgesperrt und auf der Bühne werden Schallwände aus Holz aufgestellt.


    Am Sonntagabend spielten Ib Hausmann (Klarinette) und das Cuartetto Casals aus Barcelona. Ich kannte beide nicht, bin aber froh, dass sich das jetzt geändert hat. Es gab im ersten Teil 4-stimmige Stücke von Purcell (Bearbeitungen von Consort-Stücken), zu denen der Klarinettist anschließend kurz improvisierte. Dann kam der Nanga Parbat (wenn ich mal so sagen darf) des Klavierquintetts, Mozarts KV 581 und zum Schluss der Mt. Everest dieser Gattung, Brahms' op. 115. Dieses Werk kenne ich gut von Leister mit dem Amadeus - Quartett und von der jungen Nicola Jürgensen (das Quartett weiß ich nicht mehr) und es ist wohl das Kammermusikwerk für die einsame Insel (neben Schuberts Streichquintett). Aber das live zu erleben und dazu in einer schlechthin perfekten Aufführung, das war ein großer Glücksfall. Der Hustenfaktor (Husten hat ja gerade jetzt Brunftzeit, wenn es sowas bei Husten gibt) war gering, am Ende war eine Minute Stille vor dem Beifall (!), dann wurde geklatscht und getrampelt, wozu wir Ruhrgebietler sonst nicht so neigen. Beim letzten Sinfoniekonzert, das ausverkauft war, wurde ich ohne Karte und kostenlos auf einen freien Platz bugsiert; heute habe ich auch nur 10 € bezahlt für eine perfekte Aufführung.


    Frage an die Taminos: ist euch das schon mal passiert, dass die Aufsicht euch bei ausverkauften Konzerten auf freie Plätze lotst? Und die gibt es doch immer, denn immer wird einer krank und kann dann auch die Karte nicht immer weitergeben! Oder bleibt man hier hart?

    "I'll think about it," said Roy. "We've been thinking about this for years", she pointed out. "I don´t think that thinking is what we need to do. Doing is what we need to do. That's what I think." (Garrison Keillor)

  • Frage an die Taminos: ist euch das schon mal passiert, dass die Aufsicht euch bei ausverkauften Konzerten auf freie Plätze lotst? Und die gibt es doch immer, denn immer wird einer krank und kann dann auch die Karte nicht immer weitergeben! Oder bleibt man hier hart?


    Hier in Düsseldorf ist mir solches Glück weder in der Tonhalle noch im Robert-Schumann-Saal je zuteil geworden (und ich habe bei beiden Konzertstätten schon einige Male vergeblich versucht, noch Karten an der Abendkasse zu bekommen). Vielleicht sollte ich mich mehr Richtung Duisburg/Essen orientieren...


    In der Kölner Philharmonie habe ich die Erfahrung gemacht, dass die unbesetzten Plätze für Menschen mit Behinderungen kurz vor Beginn des Konzerts noch preiswert vergeben werden. Aber selbst das habe ich hier in D. noch nicht erlebt (habe allerdings auch noch nie danach gefragt).

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  • Was für ein Ereignis. Sogar die Heute-Nachrichten haben in Deutschland darüber berichtet.


    Johannes Deutsch ist eigens aus Wien angereist, um nach zweijähriger Vorbereitung eine spektakuläre Umsetzung des Manfred aufzuführen. Die Tonhalle ist extra umgebaut worden. Bühne und Bühnenumfeld schwarz, der Chor steht im Rang, Schauspieler Johann Bülow hängt in eine großen Kugel an der Decke, hinter dem Orchester ist eine elliptische Leinwand, quasi Manfreds inneres Auge symbolisierend.


    Den Sinn hatte Johannes Deutsch zuvor erläutert, knapp vor dem Konzert und etwas ausführlicher im sogenannten 'Star-Talk' vor dem Konzert: die Musik zeigt uns, was Manfred fühlt, die Sprache sagt uns, was er denkt und die Bilder zeigen uns, was in seinem Inneren vorgeht. Wir sind quasi in Manfreds Kosmos und durchleben mit ihm die letzten 75 Minuten seines Lebens.


    Der Text stammt von Byron, und Deutsch hat für seinen Inszenierung auf die Fassung zurückgegriffen, die auch Schumann vorgelegen hat.


    Was dann folgte, war zunächst eine Ouvertüre, die das, was dann kommen sollte, stimmungsmäßig vorbereitete. Andrej Boreyko ist mir nicht für seine hastigen Tempi zum Erlebnis geworden, und so kommt auch diese Ouvertüre mit der nötigen Schwere daher und wühlt den Zuhörer auf für das, was da kommt.


    Was dann kommt ist eine ganz große Theaterdarbietung von Johann Bülow. Meine Frau und ich haben die Chance ergriffen, ihm persönlich zu gratulieren für das, was er dargeboten hat. Der Text ist kaum gekürzt, ausführlicher als alles, was ich bisher hörte. Das Ensemble von Schauspielern bzw. Sprechern und Solosängern paßte gut in das Konzept, es gab aus meiner Sicht keinen Ausfall. Einige der Sprecher stachen besonders hervor (der Gemsenjäger sei erwähnt, oder Nemesis bzw. Parze, um nur zwei der Rollen zu nennen, die mich begeistert haben). Die Bilder haben geholfen, Manfreds Innerstes zu verstehen.


    Andre Boreyko hat die Musik perfekt in das Gedicht eingepaßt, mit viel Gefühl und guten Timing.


    Dem Publikum wurde viel zugemutet. Wer den Manfred kennt weiß, dass das Stück nicht so viel Musik enthält, um 75 Minuten zu füllen. Also wird viel gesprochen. Eigentlich bekommt man einen ganz großen Monolog von einem hervorragenden Schauspieler geboten, unterlegt mit Schumanns Filmmusik. Dass die Düsseldorfer Symphoniker zu musizieren verstehen, braucht nicht betont zu werden. Das Englischhornsolo war sehr gut gelungen, Hut ab!


    Manfreds Geschichte in Kürze: in seiner Jugend hat er eine inzestöse Beziehung mit seiner geliebten Schwester Astarte gehabt, die daran offenbar zugrunde ging. Von Selbsvorwürfen zerfressen wandert Manfred durch die Alpen auf der Suche nach Erlösung, beschwört die Geister, trifft die Alpenfee, einen Jäger, beschwört die finsteren Mächte und die Toten. Doch nichts verschafft ihm Erlösung: es sind seine Ureigensten Erfahrungen, und er muss damit leben, nur er. Auch die von der Kirche dargebotene Hand schlägt er aus und stirbt zum Schluss allein.


    Fazit: Dem Publikum wird viel zugemutet. Wer einen netten Abend sucht mit hübscher Musik und um mal wieder den Pelz spazieren zu führen, der bleibt besser daheim. Wer sich aber auf den Wahnsinnstext von Byron einlassen möchte, wer den Manfred verstehen und mit ihm leiden möchte, wer an Manfreds Leiden das eigene Wesen besser durchschauen möchte, der muss sich das anschauen!


    Ich hatte das Glück, eine Freikarte zu haben, und das Pech, dafür ungünstig zu sitzen. Morgen ziehe ich los und besorge mir noch eine Karte für Montag. Sonntag gibt es das auch noch mal.


    Was mir auffiel: nach den leise verklingenden Schlußtönen wurde es stockfinster, und es hat keiner applaudiert, bis das Licht wieder anging und Herr Boreyko sich umdrehte. So muss das sein. Das hat betroffen gemacht. Um so erlösender der erst etwas zaghafte, verunsicherte, dann aber donnernde Applaus mit zahlreichen Bravo-Rufen, vor allem für Johann Bülow und Johannes Deutsch. Von mir auch einer: BRAVO!


    Kleiner, nachteiliger Nebeneffekt: die Projektoren sind gigantisch und extrem hochtechnisch - und haben dafür auch ein deutlich hörbares Gebläse. Je nachdem, wo man sitzt, ist das leicht störend. Sucht Euch Plätze, wo man das nicht so hört, die Kartenverkäufer in der Tonhalle beraten sicher gerne. Ich bevorzuge wie immer den Rang in der Mitte.


    Schumann - Manfred, op.115 - Düsseldorfer Symphoniker, Musikverein Düsseldorf, Andrej Boreyko, Johann Bülow und zahlreiche andere Solistinnen und Solisten und Sprecherinnen und Sprecher; Freitag, 26.11., Sonntag 28.11. und Montag 29.11. in der Tonhalle; es gibt noch einzelne Karten...

  • Mit Verspätung (Login-Probleme), aber auch mit einer Bitte berichte ich von einem grossartigen Konzert in der Zürcher Tonhalle. Das Hausorchester unter David Zinman bot mit dem Schweizer Kammerchor zusammen einen Direktvergleich zwischen den Requiems (Requien?) von Weill und Brahms. Meine unmassgebliche Meinung dazu steht schon im Lieblings-Requiem-Forum. Der selten gespielte Weill war eine Entdeckung, beim Brahms habe ich geheult vor Rührung. Die Kritik war begeistert: http://www.schweizer-kammercho…nes-brahms-und-kurt-weil/ (sic) - und der Schweizer Kammerchor ist in seiner Existenz bedroht: http://www.schweizer-kammercho…_Schweizer_Kammerchor.pdf Schweizer Mitleser und "zugewandte Orte", bitte unterschreiben! Was sie geboten haben, war wirklich erstklassig.

    writing about music is like dancing about architecture

  • Gibt es hier noch mehr Leute, die in der Pubertät und Adoleszenz tagelang Pink Floyd gehört haben? Nicht dass ich mich als Fan bezeichnen würde, aber einige ihrer Alben kenne ich ziemlich gut. Erst viele Jahre später ist mir bewusst geworden, dass Pink Floyd ein Spektrum an Coverversionen generiert haben, das seinesgleichen sucht. Z.B. gibt es eine Version von "Dark Side of the Moon" für Akkordeon solo von Otto Lechner mit Gänsehautgarantie (für meine Wenigkeit). Also war ich gespannt auf eine Version für Streichquartett und Klavier. Geschrieben hat sie Daniel Fueter, ehemaliger Rektor der Musikhochschule Zürich. Am Klavier sitzt im Theater Rigiblick seine Frau Eriko Kagawa. Die Streichmusik spielt das Galatea-Quartett. Dazu kommt ein Sänger und... Sprecher, Daniel Rohr, der die Kurzgeschichte "Kaleidoskop" von Ray Bradbury erzählt und die Songs auszugsweise singt. Die Geschichte findet man hier: http://www.scaryforkids.com/kaleidoscope-by-ray-bradbury/


    Das klingt alles ziemlich wild, aber es ist eine reine Freude. "Kaleidoskop" passt so gut zu den Songs, dass man meinen könnte, die beiden Werke seien als Einheit entstanden. Rohr stösst als Sänger zum Teil an seine Grenzen. Das gilt in keinster Weise für die Musiker. Von Frau Kagawa habe ich kaum die Augen reissen können, von den Ohren ganz zu schweigen. Die meisten Konzerte, klassische oder sonstige, reissen mich nicht ansatzweise so mit. (OK: ob das noch ein klassisches Konzert ist, darüber lässt sich streiten.) Und Rohr muss man (sehr!) zugute halten, dass er in seiner winzigen Theaterperle am Zürichberg oben serienweise tolle Sachen macht. Das spricht sich herum, es ist oft ausverkauft, im Fall von Dark Side of the Moon chronisch. Das Theater Rigiblick rentiert im Vergleich mit den grossen Kulturtempeln der Stadt geradezu brutal gut. Seit der Vorstellung, die wir Ende Oktober besucht haben, haben wir das Stück mit missionarischem Eifer weiterempfohlen und dabei nicht nur von Pink Floyd-Liebhabern gehört, sie seien begeistert gewesen. Wer im Rigiblick keinen Platz mehr ergattern kann, kann es im Januar im Theater Tuchlaube in Aarau versuchen. Wer zweifelt, lese folgendes: http://www.sterntheater.ch/darkside/presse.htm


    Das Stück hätte es meines Erachtens verdient, weit über die Region hinaus bekannt zu werden. Mal schauen, was ihm alles noch passiert.

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  • Am Montag hatte meine Frau ihren Jahresabschluß in der Tonhalle mit dem Musikverein.


    Das Programm stand unter dem Motto 'Adieu Schumann' und bot neben vollkommen unbekanntem Schumann eine Uraufführung (strenggenommen die dritte Aufführung seit verganemen Freitag) und als Programmhöhepunkt die VIII. von Dvorak.


    Den Auftakt bildete Schumanns Träumerei in einer Chorfassung a capella aus wortlosen Vokalisen. Wir lernten, dass diese Fassung in Wolgograd regelmäßig zu feierlichen Anlässen gesungen wird. Der Musikverein hat seine Aufgabe hervorragend gelöst.


    Mit einem abrupten Übergang (von A-dur zu G-dur) dirigierte Boreyko ohne Pause den Auftakt zum Adventslied von Schumann, einem Werk, dass wohl seit der Uraufführung nicht mehr gespielt wurde und von dem es keine Aufnahmen gibt. Besetzt mit Sopran, Chor und Orchester auf einen Text von Rückert. Die Darbietung war gut, das Stück wird es nicht in meine Top 10 schaffen. Irgendwie fehlten mir Überraschungen und große Momente, mit denen uns Schumann ja durchaus häufig verwöhnt.


    Dann die Uraufführung, der Siegerbeitrag eines Kompositionswettbewerbs von Malte Mekiffer. Ein sehr interessantes kurzes Orchesterwerk, dass serielle Techniken und neue Klangmittel mit tonaler Musik verschmolz zu einem hochinteressanten und unterhaltsamen Gesamtwerk. Ich bleibe neugierig auf das, was uns dieser Komponist noch bieten wird!


    Vor der Pause dann noch ein Knaller: das Konzertstück für vier Hörner und Orchester von Schumann, dargeboten von vier Hornisten der Düsseldorfer Symphoniker. Ich liebe die Düsseldorfer Bläser, besonders das Blech. Damit bin ich nicht alleine, sogar Wolfram Goertz hält die Horngruppe für ausgesprochen stark, wie er im Startalk vor dem Konzert konzedierte. Und das haben sie wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Für jeden Liebhaber von Hornquartetten ist das Stück ein Muß. Schon zur Pause fühlte ich mich im positivsten Sinne blendend unterhalten.


    Nach der Pause hatte der Chor Feierabend, so dass ich den Dvorak wenigstens mit meiner Frau an der Seite erwarten durfte.


    Zu Dvoraks Achter braucht man nichts zu sagen, finde ich. Wer sie noch nicht kennt: jetzt aber schnell! Mir ist nicht erklärlich, warum man immer die Neunte spielt (die zweifellos grandios ist), aber die Siebte und Achte immer gerne vergessen werden. Ein starkes Stück mit hohen und höchsten Anforderungen, gerade an die Bläser.


    Aber Düsseldorfs Bläser sind eine Bank, auch Montag wieder. Boreykos Tempi und Werkauffassung haben mich durchweg überzeugt, ein Hochgenuß!


    Ich bedaure alle, die wegen der Witterung und der schwierigen Verkehrsverhältnisse nicht erscheinen konnten, vor allem am Sonntag, denn sie haben was verpaßt!


    Der Intendant der Tonhalle, Michael Becker, verspricht 2011 eine 'schumannfreie Zone' und kündigte für das Mahlerjahr an, dass man die Orchesterlieder von Mahler komplett machen werde.


    Ich freue mich drauf! Ein großartiges Orchester in einem wunderbaren Haus mit einem hochklassigen Dirigenten.

  • Zu Dvoraks Achter braucht man nichts zu sagen, finde ich. Wer sie noch nicht kennt: jetzt aber schnell! Mir ist nicht erklärlich, warum man immer die Neunte spielt (die zweifellos grandios ist), aber die Siebte und Achte immer gerne vergessen werden. Ein starkes Stück mit hohen und höchsten Anforderungen, gerade an die Bläser.

    Wohl wahr! Ich empfehle hier mal (Eulen nach Athen? Sei´s drum!) die Gesamtaufnahme der Dvorakschen Sinfonien mit den Berliner Philharmonikern unter Rafael Kubelik, da kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Ich finde sogar, dass die 9. zur Gruppe der schwächeren Sinfonien gehört (besonders der Schluss holpert ziemlich vor sich hin); meine Lieblingssinfonie noch vor der 8. ist die 6.

    "I'll think about it," said Roy. "We've been thinking about this for years", she pointed out. "I don´t think that thinking is what we need to do. Doing is what we need to do. That's what I think." (Garrison Keillor)

  • Ich empfehle hier mal (Eulen nach Athen? Sei´s drum!) die Gesamtaufnahme der Dvorakschen Sinfonien mit den Berliner Philharmonikern unter Rafael Kubelik, da kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Ich finde sogar, dass die 9. zur Gruppe der schwächeren Sinfonien gehört

    Darüber kann man nun wirklich mit einigen Gründen anderer Meinung sein, aber das zu diskutieren sollte an anderer Stelle geschehen, nämlich hier:
    Dvorák-Symphonien-Ranking
    Ich möchte Dich, lieber dr.pingel, an dieser Stelle nur auf die Aufnahme der 9. mit Kubelik und den Wiener Philharmonikern hinweisen. Da komme ich nun wiederum nicht aus dem Staunen heraus, so gut ist das. :thumbup:

  • Heute war ich erstmals im Düsseldorfer Neujahrskonzert. Eigentlich, weil meine Frau als Chormitglied teilnehmen sollte, was dann leider einem Virus zum Opfer gefallen ist.


    Aber wir waren natürlich trotzdem da und haben ein ungewöhnliches Programm erlebt, einen bunten Reigen vom 19. zum 20. Jahrhundert, alles unter dem Motto 'Tanz'.


    Ausführende waren die Düsseldorfer Symphoniker zusammen mit dem Chor des Musikvereins, ergänzt um das Ehepaar Sharon Kam (Klarinette) und Gregor Bühl (Leitung).


    Ich will jetzt nicht jedes einzelne Stück aufzählen, denn natürlich bietet man an so einem Tag eine Kompilation bunter Stücke, aber doch soviel: es war ungewöhnlich, es war abwechslungsreich und es war gelungen!


    Das Capriccio Italien war dabei, Stücke von Milhaud und Ravel für Klarinette und Orchester, Rheinische Kirmestänze von B.-A. Zimmermann und der Tahiti Trot von Schostakowitsch. Selten aufgeführte Stücke, und obendrein noch vollkommen untypisch für Ihre Urheber. (sinngemäßes Zitat Gregor Bühl: "Zwei Komponisten des 20.Jahrhunderts, die für ihren Humor berühmt sind...")


    Den Höhepunkt vor der Pause stellte das Klarinettenkonzert von Artie Shaw dar: reinster Jazz mit einem Streicherkörper, Saxophonen, Blech, Schlagzeug, Piano (nicht Flügel) und Rhythmusguitarre. Großartig! Dieses Konzert hat ein sehr breites Publikum erreicht, mit klassisch-romantischen Highlights und frechem Jazz.


    Nach der Pause bot der Musikverein Orchesterfassungen einiger Liebeslieder-Walzer von Brahms dar. Irgendwie kam Papa Brahms zwischen Artie Shaw und Leonhard Bernstein etwas hüftsteif daher, aber auch hier lebte das Programm wieder vom Kontrast. (Wenn man sich die Mühe macht, die Texte der Walzer zu verfolgen, ist das auch gar nicht mehr so hüftsteif...)


    Die anschließenden Symphonischen Tänze aus der West-Side-Story von Bernstein lagen dem Dirigenten besonders am Herzen. Schade, dass das Publikum nach dem Knalleffekt am Ende des vorletzten Tanzes schon mit dem Schlußapplaus anhob, doch Bühl schaffte es, das Publikum zur Ruhe zu bringen und die Solo-Flöte wieder zur Konzentration, so dass auch der sehr ruhige, besinnliche Abschluß das Werk noch krönte.


    Als Zugaben gab es dann noch Strauß: die Blaue Donau (auf besonderen und eigenen Wunsch des Dirigenten, sonst sei es kein Neujahrskonzert) und den Radetzky-Marsch, bei dem das dankbare Publikum dann auch mitklatschen durfte.


    Ein frischer, fröhlicher und unterhaltsamer Auftakt des neuen Konzertjahres in Düsseldorf, meine Familie und ich haben den Mittag dort sehr genossen (war ein Geschenk an meinen Schwiegervater, der heute noch Geburtstag hatte und zur Krönung noch persönliche Glückwünsche und Grüße von Sharon Kam und Gregor Bühl in seine CD bekam) und freuen uns auch weiterhin auf die interessanten Programme in der Tonhalle und bei Leben und Gesundheit auch wieder auf das nächste Neujahrskonzert!

  • Ich schon wieder.


    Gestern waren wir (mal wieder) in der Tonhalle zu Düsseldorf. Es gastierten Waleri Gergijew und das London Symphony Orchestra.


    Als kleine Sonderaktion hatte das Haus Karten in der ersten Reihe zu einem günstigen Preis angeboten. Ein Platz, den ich sonst niemals wähle, weil man vom Rang aus eigentlich ein perfekt ausbalanciertes Klangbild und einen Überblick über das Orchester hat.


    In der ersten Reihe dominieren etwas die I.Violinen, aber der Rest des Orchesters vermag sich immer noch durchzusetzen.


    Vielen Dank auch an dieser Stelle der Intendanz für diese Idee! (Kommentar des Intendanten auf Facebook: "Herrlich, bezahlen die Karten und bedanken sich noch. Ich freue mich, dass Ihr Spaß hattet.")


    Es war ein unmittelbares Erlebnis, und der fehlende Blick auf "meine geliebten Holzbläser" wurde mehr als wettgemacht von einem unglaublich fesselnden und faszinierenden Blick auf Gergijew bei der Arbeit, seine Gesten, seine Minen und seine Laute.


    Geboten wurde Russisches: Tschaikowskis Erste und die Bilder einer Ausstellung in der Ravel-Fassung.


    Musikalisch brauche ich vielleicht nicht viel zu sagen: das LSO musiziert auf höchstem Niveau, wirkt jedoch niemals leblos oder steril. Tschaikowskis Erste gehörte zu dem besten, was ich von diesem viel übersehenen Werk bisher gehört habe: beste Musikkultur, stimmiges Konzept, gepaart mit der Live-Spannung.


    Nach der Pause dann die Bilder: auch hier entfaltet der Klangkörper des LSO seine Wirkung; das morendo des Altsaxophons am Ende vom Castello war schon fast alleine den Eintritt wert: da zittert nichts, da stottert nichts, da verklingt ein gestalteter Ton im Nichts. Der Solo-Trompeter zu Beginn weckt das Auditorium souverän und klangschön auf, der Blechkörper in den Katakomben wirkt homogen und aufwühlend. Immer wieder faszinierend auch die Präzision, mit der das Orchester bei den Tempoübergängen oder Satzwechseln an den Gesten des Maestro hängt. Hier musizierte ein Orchester der Champions-League.


    Was für ein Abend!


    Wenn ich noch einen Wunsch frei hätte: von einem solchen Orchester würde ich auch wahnsinnig gerne Musik des XX.Jahrhunderts hören; damit das Publikum kommt, müssen es ja nicht gerade Stockhausens "Gruppen" sein, aber mal einen Schostakowitsch, einen Strawinsky, einen Prokoffjew, einen Barber, Hanson oder was auch immer...


    Jetzt freue ich mich auf das Mahler-Jahr in der Tonhalle: man wird alle Orchesterlieder Mahlers zur Aufführung bringen; los geht es im Februar mit den Rückert-Liedern.

  • Geboten wurde Russisches: Tschaikowskis Erste und die Bilder einer Ausstellung in der Ravel-Fassung.


    Vielen Dank für die ausführliche Besprechung, lieber Travinius. Leider war mir der Besuch dieses Konzerts wegen eines Geburtstags im Freundeskreis nicht möglich; das habe ich sehr bedauert. (Ich hatte aber auch so einen sehr schönen Abend ;) .)


    Ich liebe die Bilder einer Ausstellung; insbesondere in der Orchesterfassung von Ravel und natürlich für Klavier solo. Es war bestimmt ein erhebender musikalischer Abend! Es gibt keinen Moment in dieser Suite, den ich als langatmig oder nichtssagend empfinde. Jedes Bild und jede Promenade haben ihr ureigene musikalische Sprache. Mit diesem Werk verbinde ich ganz persönlich den Begriff Synästhesie. In dem Fall: Von Klängen evozierte Farben. Das kenne ich sonst gar nicht, hat vielleicht mit der intensiven Beschäftigung mit dem russischen Symbolismus zu tun...

  • Dann hätte Dir Gergijew sicher sehr zugesagt. Seine Interpretation war immer zwingend, niemals langweilig, immer mit Spannung an der Sache. Das Tor von Kiew war voller empfundenem Pathos, aber ohne Langatmigkeit, seine Baba-Yaga von unmittelbarer Gewalt und immer vorwärtsdrängend. Dynamik- und Tempokontraste verstehen Gergijew und seine Symphoniker dem Hörer immer spannend zu vermitteln.

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