Martha Argerich und Gidon Kremer spielten in der Münchner Philharmonie am Gasteig, 4.12.2006
Die großen Namen stehen für sich. Man muss sie nicht penetrant protegieren wie die drei, vier zeitgeistig polierten Topstars der Musikindustrie. Über Jahrzehnte schon halten sie sich an der Spitze und ihr Niveau, zwischen Experimenten und Brüchen, in Solokonzerten, mit Kammermusik oder als Solisten bei großen Orchestern. Der Abend in der Philharmonie bewies einmal mehr, dass große Kunst vielfach erst dort beginnt, wo harte Probenarbeit in der Selbstverständlichkeit souveräner wie gleichwohl nie überheblicher Interpretationskunst nicht mehr spürbar erscheint. Argerich und Kremer bieten kein intellektuell messbares Ergebnis ihrer Zusammenarbeit, sie machen einfach verdammt gut Musik, auf einem atemberaubend genialen Niveau, dass dem Zuhörer vor Ehrfurcht, Begeisterung und Atemlosigkeit ob des Gebotenen schwindlig wird. Das Wunder dabei offenbart sich in der Leichtigkeit der Interpretation. Robert Schumanns Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 d-Moll op. 121, ein impulsives Spätwerk, wirkt vielfach rhapsodisch. Argerich und Kremer erfinden die Musik im Augenblick neu, als würde ihnen jede Phrase eben erst einfallen. Dabei geschieht alles in vollkommener Übereinstimmung, gespenstisch genau geradezu. Ein magisches, ein unheimliches, dabei aber liebevoll harmonisches, herzliches, ganz dem Geist und der Seele der Musik sich ergebendes Duo. Alle melodischen Blüten werden wunderbar verinnerlicht entfaltet. Im dritten Satz offenbart sich dann ein poetisches, beseelt-dramatisches Wunder. Das immens rasche Finale lässt uns den Atem anhalten. Und doch ist es von herrlicher Leichtigkeit. Gidon Kremers Geigenton ist verführerisch, einschmeichelnd, es ist ein angenehmer, heimeliger Ton. Selbst aggressivsten musikalischen Entwicklungen gewinnt dieser Geiger noch Liebe, Zärtlichkeit, Gefühl ab. Martha Argerich ergänzt als zupackende, sehr reife Pianistin, genauso persönlichkeitsstark wie ihr musikalischer Partner. Kremers Art Geige zu spielen „hilft“ dem Hörer ungemein bei Bela Bartoks irrwitzig schwerer Sonate für Violine Solo SZ 117. Auch hier meint man, der Interpret improvisiere diese komplexe Musik, so spontan, gleichzeitig so sicher und souverän umschifft er alle Klippen. Wieder hält man den Atem an, nicht nur bei der Fuge des zweiten Satzes. Ein Zauberer, ein Magier ist das. Man findet keine Worte für dieses unfassbar gute Geigenspiel. Erneut landet man mit dem dritten Satz in einer anderen Welt. Auch und erst recht „jenseitig“ kommt dann das Finale daher, alles wieder so leicht, so ganz selbstverständlich. Robert Schumanns Kinderszenen op. 15, jedem Klavierspieler wohlbekannt, werden von Martha Argerich so richtig erzählt. Ob man nun die Titel dazu verinnerlicht oder einfach nur die von der Künstlerin fast nahtlos ineinander verflochtenen kurzen Stücke ohne außermusikalischen Bezug hört – es sind kleine Geschichten, Stimmungen, Charaktere, die Martha Argerich uns erzählt. Weise spielt sie die Stücke, gleichzeitig beherzte Mutter und welterfahrene Meisterpianistin. Einmal mehr erfüllt sich das Wunder der von einem Genie gespielten angeblich so einfachen Klaviermusik, „die doch jeder kann“. Die interpretatorische Substanz beginnt erst weit jenseits der richtig getroffenen Töne und brav eingehaltener dynamischer und Tempovorschriften. Martha Argerich ist auch weit entfernt von billiger Effekthascherei. Ihr beseeltes und impulsives Spiel lebt nur, ganz verinnerlicht, von der Musik heraus und durch sie durch. Bela Bartoks Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 SZ 75 führt uns in total ekstatische Expressivität mit vielen irisierenden Oasen darin. Eine ganz große Oase ist der zweite Satz, daraus baut sich zwischendurch eine immense Spannung auf. Man kann dann den Teufelsritt des Finalsatzes atemberaubend nennen, er wird aber niemals zum reißerischen Selbstzweck Applaus heischender Interpreten, er bleibt spannende und beherzte Musik durch und durch. Drei Zugaben runden den Abend ab, darunter „Schön Rosmarin“ und „Liebesleid“ von Fritz Kreisler. Zeitlos große Interpretationskunst in München, ein Abend, der Lust auf mehr macht von und mit den beiden!
Herzlicher Gruß
Alexander