Man findet das Wort zu Recht nicht im Duden Universalwörterbuch, ist doch die deutsche Übertragung des französischen petit-maître in herabsetzender Bedeutung weder ein gültiger Begriff der Ästhetik noch ein gut definierter Begriff der (Musik-)Kritik. Seine Bedeutung hat er in der Kunstgeschichte, doch diese lasse ich erst einmal beiseite.
Die Bedeutung des petit-maître ist die "Nachahmung von großen Herren", so findet man es auch im Grimm: "nach franz. petit-maître im vorigen jahrh. gemacht, anfangs genauer kleiner meister (s. HAGEDORN sp. 1101 mitte), eig. wol einer aus niederm stande der den groszen herren nachahmt (vergl. kleinherr), dann einer der die kleinen künste der franz. gesellschaft betreibt um etwas zu gelten".
Die polemische Übertragung in die Musikkritik, der man hin und wieder begegnet, versucht unterschiedliche Phänomene zu treffen. Doch bevor ich mich damit beschäftige, wäre die erste Frage (wie immer bei einer definitorischen Untersuchung) der Gegenbegriff:
- ist es der Meister im Gegensatz zum Kleinmeister, wie uns das petit-maître nahelegt? Wenn ich nun einmal an zwei Beispielen den Unsinn dieses Begriffes zu demonstrieren versuche, so ist weder Kraus noch Grieg die Meisterschaft abzusprechen. In allen drei Fällen ist Meisterschaft in hohem Grade nachweisbar.
- ist es der "Großmeister" im Gegensatz zum Kleinmeister, so muss eigentlich erst einmal der "Großmeister" definiert werden, denn dieser Begriff ist in diesem Zusammenhang überhaupt nicht geläufig. Geläufiger wäre es dann sicherlich, von einem Meister geringerer/größerer Bedeutung zu sprechen, von einem Meister größerem/kleineren Einflusses. Oder spielt da die kunstgeschichtliche Bedeutung des Meisters einer kleinen Form mit hinein?
Bedenken wir das alles einmal an den genannten Beispielen. Es ist zum einen auffällig, dass die genannten Personen Vertreter von "kleineren" Völkern sind? Ist es hier ein Kulturimperialismus, der hochmütig statt großmütig werden lässt? In der Tat lässt die bei Tamino zu meinem Schrecken üblich gewordene Häme da einen Dvorak, einen Smetana unter diese Kategorie fallen - auch wenn ich da dem Urteil eines Brahms mehr traue als jemanden anderen von geringerer Qualifikation.
Was nun den Einfluss von Grieg angeht, so muss man sich in der norwegischen Musikgeschichte hinreichend auskennen - ein sehr umfangreicher Aufsatz befasst sich mit den Auswirkungen der späten (hier offensichtlich nicht so bekannten) Werken von Grieg bis in die heutige Gegenwart der norwegischen Musik. Dass Grieg nicht das deutsche Idiom bediente, ähnlich wie Bartók oder Kodaly, sondern in Melodik und Harmonik wie die beiden genannten seine Explorationen von dem Bestand der eigenen Volksmusik (die in einem diatonisch bestimmten Notensystem nur unvollständig notiert werden kann) aus antrat, ist natürlich ein "gravierender" Fehler für die Statthalter der deutschen Vorherrschaft der Musik (zu denen am Ende auch noch Schönberg gehörte).
Es könnte natürlich sein, dass da im Kopf spukt, dass nur wer die Weihen der "Sinfonik" als "höchster" Gattung erfüllt, sich als wahrer großer Meister fühlen darf. Dies hat Kraus wohl (und alles andere als schlecht) getan, Grieg hat eine durchaus gelungene Sinfonie vernichtet, weil sie seiner Vorstellung von Musik (wohl aber den von der Leipziger Schule geprägten Fachleuten) nicht entsprach. Hätte er sie veröffentlicht, würde er bei den Sinfonikern vielleicht reüssiert haben - wie etwa Gade, der ja von der zeitgenössischen deutschen Musikkritik gefeiert wurde.
Doch sollte man nicht übersehen, dass eben diesselbe Kritik das Werk von Grieg mehr als zustimmend begleitete, so dumm waren die Hanslicks nicht wie so mancher ihrer modernen Nachahmer. Kretzschmar, ein unverächtlicher deutscher Musikgelehrter mit großem Einfluss, war ein Verfechter der Kunst Griegs.
Oder ist ein "Kleinmeister" jener, der die "große" Form verachtet, dafür aber in der "kleinen" Wunderwerke schafft - wie etwa im Lied. An Schuberts Bedeutung würde sich mE nichts ändern, wenn man die beiden Sinfonien von Bedeutung (eine davon ohnedies ein Fragment) aus dem Werk striche - es gibt die "kleine" Form bei Kennern nicht, nur bei Lordsiegelbewahrern. Und auch die nun wahrhaft große Bedeutung Hugo Wolfs macht nicht gerade seine eher misslungene Oper aus.
Wer nun etwa Kraus oder Grieg entgelten lässt, dass sie nicht die motivische Entwicklungsarbeit eines Haydn oder Beethovens in ihren Kompositionen einsetzten, übersieht, dass dies wohl eine Art - aber bei weitem nicht die einzig gültige Art der Komposition ist. Es ist allerdings eine, die schon nach Beethoven mehr und mehr problematisch wurde, nach Wagner musste sie etwa von dem Wort "erlöst" werden, denn im Bereich der Sinfonik war sie an die Grenzen gestoßen.
Bevor man wohlgemut wertet, sollte man bescheiden an die Arbeit einer musikalischen Analyse gehen: und die heißt alles andere, als den musikalischen Befund an Beethovenschen Entwicklungsprinzipien zu messen. Wer die großen Klaviersonaten Webers (vor allem die erste) mit diesen Augen liest, erkennt nicht das wirklich neue und zukunftsweisende - sondern stellt nur Defizite fest. Vor aller Wertung sollte erst einmal die mühsame Arbeit am Text kommen. Die meisten griffigen Urteile entstammen einer genuinen Unkenntnis des Werkes. Vor allem muss man - wie immer - erst einmal die Absicht des Komponisten Ernst nehmen - und ihm nicht übelnehmen, dass er andere Absichten hatte, als man es selbst gehabt hätte, hätte man nun das Talent und das Wissen des Meisters gehabt.
Kurz, der Begriff des Kleinmeisters ist zu Recht aus der Debatte als unbrauchbar geschwunden. Das heißt nicht, dass man eine misslungene Komposition nicht als eine solche bezeichnen muss, ein von mangelndem Gestaltungswillen zeugendes Werk nicht als ein solches bezeichnet, Sackgassen der Kompositionsgeschichte nicht markiert. Wenn man da aber den Namen Grieg einwirft, verrät man mehr Unkenntnis als wertende Kennerschaft. Zum Stammtisch mit Stammtischmeinungen sollten wir - bei aller gewünschten Polemik - Tamino nicht verkommen lassen.
Liebe Grüße Peter