Das Streichquintett Es-Dur KV 614, komponiert im April 1791, ist Mozarts letztes "großes" Kammermusikwerk. Ich finde, es taucht kaum bei Werknennungen auf. Auch sind die Texte im Köchelverzeichnis und der NMA äußerst spärlich. Meine heutige Hörsession mit dem Kuijken-Quintett hat folgende Beobachtungen ergeben:
Nach dem ersten Satz könnte man es sowohl "Jagd-Quintett" als auch "Triller-Quintett" nennen, wobei mir Chassismen [gibts die?] in der Kammermusik eher unangenehm sind. Nehmen wir also Letzteres. Das Werk durchzieht ein "angestrengtes Lächeln" [Lea Singer: Das nackte Leben. Roman]. Trotz der witzigen Einfälle z.B. der Triller im ersten Satz oder des anmutigen Themas des Finales will sich hier keine wirkliche losgelöste Freude einstellen. Als ob Mozart sein nahes Ende gespürt hätte [manchmal müssen solche Hineininterpreatationen sein]. Nach dem virtuosen Allegro di molto des ersten Satzes folgt als zweites ein Andante, das man durchaus als Variationssatz bezeichnen darf. Das Thema erinnert mich sehr stark an Haydns Variationen in seiner Sinfonie "La Reine", die auf der Melodie eines französischen Volksliedes beruhen. Das Quintett wurde erst nach Mozarts Tod, 1793 veröffentlicht. Dieser 2. Satz jedoch erblickte das Licht der Öffentlichkeit weitaus früher in Form von diversen Klavierarrangements z.B. als Andante variée oder Andante variato und fand großen Anklang beim klavierspielenden Konsumenten [Ernst Hess, NMA]. Interessant ist in dem Zusammenhang dann noch die Anmerkung im Anhang B zu 614: [...] Als dessen Arrangeur ist jedoch im Hauptbuch Artarias ausdrücklich Gelinek angeführt. Dabei wurden die Platten des schon seit 1793 vorhandenen Andante [...] wiederverwendet. Möglicherweise wurde so Mozarts Autorschaft am Klavierauszug des Andante, sollte sie tatsächlich bestanden haben, stillschweigend übergangen [...].
Meine Lieblingsstelle im Andante ist der kanonische und harmonisch im wahrsten Sinne "verrückte" Einsatz des Hauptmotivs.
Wie gewöhnlich folgt ein Menuett, dem ich hier keine besondere Aufmerksamkeit schenke. Diese gilt erst wieder dem Finalsatz, einem Allegro 2/4. Der zunächst spritzige Satz ist eine durchkomponierte Rondoform und bietet als Besonderheit ab Takt 111 die mollgetrübte Durchführung des Hauptthemas in Form einer kleinen Fughette bzw. eines Fugatos. Das Thema selbst ähnelt wiederum dem Fragment gebliebenen Rondo für Horn und Orchester KV 371 - nur ist es gespiegelt und etwas verbreitert. Charles Rosen [Der klassische Stil] weist auch auf die Spiegelung von Haydns Presto in op. 64 Nr. 6, ebenfalls Es-Dur, hin.
Daß Mozart sich intensiv mit der Gattung Streichquintett beschäftigte, bezeugen zwei einander ähnliche Fragmente, die als Vorstudien zu KV 614 gelten können: Zum einen das 71taktige Fragment Es-Dur KV 613a, zum andern das nur 9 Takte skizzierte Fragment KV 613b, ebenfalls in Es-Dur stehend. Die Autoren des KV nehmen an, daß es sich bei KV 613a um einen Entwurf zum Menuett vom KV 614 handelt, wofür der angegebene 3/4-Takt spricht: der Rest jedoch nicht. Es handelt sich um 71 durchkomponierte Takte, weshalb hier bestimmt ein Entwurf zum Hauptsatz vorliegt, der jenem anderen [KV 613b] in der absteigenden Akkordbrechung sehr ähnelt.
Zu KV 614 schreibt Charles Rosen:
[...] Einige Musiker fühlen sich nicht recht wohl mit diesem Stück, das in den Ecksätzen die dynamischen Qualitäten kleinster Motive auf haydnmäßig detaillierte Weise verarbeitet und gleichzeitig die für Mozart typischen klangvollen und differenzierten Innenstimmen besitzt. Das Unbehagen mag daher stammen, daß diesem Quintett die expansive Freiheit der anderen fehlt und es seinen Reichtum zusammenzupressen scheint.[...]
Möglicher Weise ist dies der hier ausgesprochene Grund für die Absens von Mozarts letztem Kammermusikwerk?
Sehr fein ausgearbeitet ist die Einspielung des Quatuor Kuijken:

Sigiswald Kuijken, Violine Giovanni Grancino, Milano, c1700
Francois Fernandez, Violine Bart Visser, nach Rambouts, 1992
Marleen Thiers, Viola anonym, Norditalien, Ende 17tes Jahrhundert
Wieland Kuijken, Violoncello Andrea Amati zugeschrieben, Cremona, c1570
Guest: Ryo Terakado, Viola Bart Visser, nach Rambouts, 1992[/align]
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Ulli

