Am Montag, den 31.3. (leider erst) um 23:15 Uhr sendet ARTE unter dem TItel "Bin nur ein Jonny" ein einstündiges Portrait des ungarischen Regisseurs Janos Darvas mit sehr seltenen Dokumentaraufnahmen über den Operettenkomponisten Paul Abraham, zu dessen populärsten Melodien der Tenorschlager "Will Dir die Welt zu Füßen legen" aus der Operette DIE BLUME VON HAWAII gehört. Für mich ein willkommener Grund, einmal auf diesen hier selbst im Operettenthread vernachlässigten Komponisten aufmerksam zu machen, der im kommenden November 115 Jahre alt geworden wäre.
Geboren wurde er am 2.11. 1892 im ungarischen Apatin als Pàl Abraham. Seine kurze Erfolgskarriere verdankte er einer geschickten Verbindung von großer Operette und eingängigem Schlager, mit der er den eskapistischen Publikumsgeschmack seiner Zeit traf. Wie bei vielen seiner jüdischen Zeitgenossen im übrigen Europa ist sein Gesamtwerk nicht unabhängig von den katastrophalen Verbrechen seiner Zeit zu beurteilen, da es durch die tragischen Konsequenzen seiner Verfolgung stark beeinträchtigt wurde.
Seine Karriere als Operettenkomponist begann Abraham erst mit 36 Jahren. Zuvor hatte er von 1910 bis 1916 in Budapest Musik studiert und einige Instrumentalwerke geschaffen. Seine Begabung für die Operette entdeckte er als Kapellmeister am Budapester Operettentheater, für das er 1928 sein erstes Bühnenwerk ZENEBONA schrieb. Der überragende Erfolg seiner Operette VIKTORIA UND IHR HUSAR machte ihn auch in Deutschland populär, nachdem deren deutsche Fassung 1930 in Leipzig uraufgeführt worden war. Abraham zog daraufhin nach Berlin und konnte nur ein Jahr nach seinem ersten Großerfolg den nächsten feiern: DIE BLUME VON HAWAII (1931). Im gleichen Jahr schrieb er die Gesangsnummern für die Filmkomödie „Die Privatsekretärin“, denen weitere Filmmusiken folgten. Ende 1932 reüssierte er noch einmal mit BALL IM SAVOY.
Diese Operette offenbarte jedoch schon Anzeichen nachlassender Inspiration und brachte mit „Es ist so schön am Abend bummeln zu gehn“ nur einen nachhaltigen Erfolgstitel hervor. 1933 reduzierte sich die Zahl der Aufführungen von DIE BLUME VON HAWAII schlagartig von 1725 in der Spielzeit 1932 auf 8, denn seine Operetten wurden als „Niggermusik“ verboten. Abraham floh nach Wien, später nach Budapest. In beiden Städten schrieb er noch einige Operetten und Filmmusiken, die aber rasch vergessen wurden. Bei Kriegsausbruch floh Abraham über Paris und Kuba in die USA, wo er jedoch nicht Fuß fassen konnte. Schließlich musste er seinen Lebensunterhalt als Barpianist in New York verdienen, bis 1946 eine, von seinem Elend ausgelöste, geistige Verwirrung seine Einweisung in eine Heilanstalt erzwang. 1956 wurde er auf Betreiben zahlreicher Anhänger seines Werks nach Deutschland zurück geholt. Dort lebte er in weitgehender Umnachtung bei seiner Frau in Hamburg, wo er am 6.5.1960 von seinem Leiden erlöst wurde.
Seine Hauptwerke wurden in den 50er Jahren im Stil der damals beliebten Schlagerparaden neu verfilmt. 1978 versuchte man in Salzburg eine Wiederbelebung in Form eines Pastiches aus seinen frühen ungarischen Operetten ZENEBONA, DER GATTE DES FRÄULEINS und ES GESCHEHEN NOCH WUNDER, hatte aber wenig Erfolg damit. Abrahams erklärtes Vorbild war Franz Léhar, dem er auch in seiner Vorliebe für exotische Schauplätze nacheiferte. VIKTORIA UND IHR HUSAR spielt in Russland, Japan und Ungarn und wirkt auch musikalisch wie ein hurtiger Streifzug durch Lehárs Spätwerk. Seine Beherrschung von Lokalkolorit („Honved Banda“) und Sentiment bewies er mit Nummern wie „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“. Mit seiner Offenheit für die simplen Formen eingängiger Schlager ging er allerdings merklich über Léhar hinaus und erschloss der Operette mit Nummern wie „Rote Orchideen“, „Meine Mama war aus Yokohama“ oder „Mausi, süß warst du heute Nacht“ zusätzliche Publikumskreise aus den Anhängern der Welt der Schlager und Revuen, trug damit allerdings auch zur weiteren Verflachung der Gattung bei.
Gleiches gilt für Abrahams zweites Erfolgswerk DIE BLUME VON HAWAII, deren Schauplätze vom Fernen Osten in den noch ferneren Westen und das damals kaum weniger exotische Spielerparadies Monte Carlo wechselten. Die Musiknummern changierten erneut unbekümmert zwischen Léhar und Schlager, haben sich aber bis heute als feste Bestandteile des Wunschkonzertrepertoires gehalten, etwa „Will dir die Welt zu Füßen legen“, „My Little Boy“ oder das von Al Jolson als schwarz geschminkter „Minstrelsänger“ inspirierte „Bin nur ein Jonny“, dessen rassistisches Klischee heute allein schon eine Aufführung des Stückes problematisch macht. Abrahams geschickte Aneignung hawaiianischer Klänge in dem Titellied dieser Operette oder in „Du traumschöne Perle der Südsee“ erwies sich allerdings als so eingängig, dass sie eine Südseenostalgie auslöste, die sogar den Weltkrieg noch für geraume Zeit überdauerte. Seine europäisierte Adaption polynesischer Klänge erwies sich weltweit als derart populär, dass ihre Spuren selbst in Richard Rodgers Musical SOUTH PACIFIC noch hörbar sind.
Wenige höchst erfolgreiche Künstler fielen im Laufe von nur wenigen Jahren von einer solchen Höhe in eine derart verzweifelte Tiefe, aber selbst das allein wäre noch kein Grund, dieses enorm begabten Komponisten in einem Musikforum zu gedenken. Was er musikalisch bedeutete, wird hoffentlich die Sendung belegen, die man sich ansehen bzw. aufzeichnen sollte (da ich dann außer Landes sein werde, wäre ich dankbar, wenn mir jemand eine Kopie machen könnte).
Bis dahin (und danach): welche Auffhrungen und Einspielungen kennt Ihr von Paul Abrahams Werk, und wie steht Ihr heute zu ihm, soweit er Euch überhaupt noch ein Begriff ist?
Rideamus