Komme eben von der WSO, wo die erste von vier "Manons" über die Bühne gegangen ist. Über die Regie von Andrej Serban ist schon genug geschrieben worden, außerdem ist sie bereits eineinhalb Jahre nach der PR nur mehr in groben Zügen vorhanden. Abgesehen von ganzen Szenen, die inzwischen gestrichen wurden, hielten sich heute nicht einmal Anna Netrebko und Adrian Eröd sonderlich genau an das Konzept, das sie mit Serban erarbeitet hatten, umso weniger die Debutanten in dieser Inszenierung.
Also konzentriere ich mich gleich auf den musikalischen Teil! Schmerzlich vermisste ich das Dirigat von de Billy, denn mit dem wenig sensiblen Claude Schnitzler wurde ich nicht wirklich glücklich.
Anna Netrebko war wieder eine hinreißende Manon, stimmlich klang sie voller als ich sie in Erinnerung hatte, ein Eindruck, der auch von anderen geteilt wurde. Die Manon ist eine Rolle, die einfach perfekt zu ihr passt, das naive, aber doch lebenshungrige Geschöpf des ersten Bildes gestaltet sie ebenso überzeugend wir die Kurtisane und die reuige Sünderin.
Schön, dass Adrian Eröd wieder als Lescaut zu sehen und zu hören war, der beweist, was ein toller Singschauspieler aus dieser Nebenrolle alles machen kann. Er mimt den schmierigen Zuhältertypen, der von Anfang an wild entschlossen ist, die Schönheit seiner "cher cousine" gewinnbringend zu vermarkten, mehr als überzeugend. Eine Charakterstudie vom Feinsten, mit der er auf jeder Sprechbühne bestehen könnte. Sein Bariton zählt für mich zu den schönsten, die zur Zeit zumindest an der WSO zu hören sind. Ich fürchte, er wird unser Hausensemble wohl bald verlassen und die große Weltkarriere starten ..... Übrigens spielten auch Clemens Unterreiner als Bretigny und Alexander Kaimbacher als Guillot herrliche Typen, und hätte nicht der männliche Hauptdarsteller komplett ausgelassen, wäre es ein wirklich unter die Haut gehender Opernabend geworden. Leider aber war Massimo Giordano die schauspielerische Achillesferse dieser Aufführung.
Nein, hier schreibt kein frustrierter Kaufmann-Fan, die den Ersatz - eh klar! - auf jeden Fall schlecht finden muss, denn: Vokal war Massimo Giordano ein mehr als würdiger Ersatz und ließ eigentlich keinen Wunsch offen. Eine "vollsaftige", sehr gesund klingende Stimme, die in allen Lagen anspricht, schön timbriert ist und auch über genügend Schmelz verfügt. Sowohl die Traumerzählung als auch die Saint-Sulpice-Szene gelangen ihm wunderbar - erstere mit herrlichen Piani - ich wüsste nichts daran auszusetzen. Wenn man also die Augen schloss, war es ein Galaabend. Nun gehe ich aber nicht in die Oper, um die Augen zu schließen, und bei geöffneten erfolgte doch eine ziemliche Ernüchterung. Das lag keineswegs an der Optik des Signore Giordano, ein ziemlich gut gebauter, glutäugiger Italiener mit schwarzer Lockenpracht, der aber leider jedes Temperament, jede Leidenschaft, die ein solches Aussehen eigentlich suggeriert, völlig vermissen lässt. So eine Schlaftablette als Des Grieux habe ich wahrlich noch nie erlebt. Sogar Alagna machte es sichtlich Spaß, sich mit Anjuschka im Bett zu balgen, Giordano lag steif wie ein Brett da, die Decke hoch gezogen, und fühlte sich sichtlich unbehaglich. Außerhalb des Bettes wirkte er wie die Karikatur eines Tenors, er stellte einen Weltrekord auf in Händeringen, Fäuste ballen und was es sonst noch an musealen Operngesten gibt. Ich glaubte ihm alles, wenn ich die Augen schloss, und kein Wort, wenn ich sie wieder öffnete. Witzigerweise konnte er vor dem Vorhang gar nicht aufhören, Anjuschka zu umarmen und abzubusseln, während er drei Stunden lang jeden Körperkontakt zu ihr nach Möglichkeit gemieden hatte. (Einzige Ausnahme war der Schluss der Saint-Sulpice-Szene, wo sie ganz wider das Regiekonzept übereinander her fielen und sich am Boden rollten.) Wäre ich Operndirektor, würde ich Massimo Giordano in eine Schauspielschule schicken, damit er wenigstens ein bisschen lernt, wie man sich auf einer Bühne bewegt. Bezeichnend auch, dass er sich sofort ausklinkte, wenn er nichts zu singen hatte. "Ich bin jetzt nicht dran, also brauche ich auch nichts zu tun!" Adrian Eröd bemühte sich in der Briefszene verzweifelt, ihm irgendwelche Reaktionen zu entlocken - Giordano saß völlig unbeteilgt da und starrte Löcher in die Luft. Wenn ich da an das schauspielerische Kabinettstückerl denke, das Villazón und Eiche dabei abgezogen haben!
Der Jubel für Netrebko, Giordano und Eröd war groß, Giordano ernete auch bei seinem Solovorhang einen Bravoorkan, den er sich auch voll und ganz verdient hat, bewertet man nur seine gesangliche Leistung.
Vielleicht agiert er ja in den Folgevorstellungen etwas lockerer, schließlich war es heute sein Debut.
lg Severina
PS: Von Netrebkos Schwangerschaft merkt man noch gar nichts, daher muss sie auch auf die neckischen Dessous im 2. Bild nicht verzichten.