An fünf Abenden stand im Mai die vielleicht bedeutendste Commedia der gesamten Opernliteratur, nämlich Giuseppe Verdi´s „Falstaff“ am Spielplan der Wiener Staatsoper. Premiere der Inszenierung von Marco Arturo Marelli war am 19. Oktober 2003, der gestrige und letzte Abend der Mai-Serie war die 30. Aufführung dieser Produktion.
Nicht zuletzt im Hinblick auf drei Rollendebüts (von denen dann eines krankheitshalber entfiel) wurde geprobt und dennoch merkte ich in den drei von mir besuchten Aufführungen (18., 21. und 30. Mai) das Zusammenwachsen des Ensembles, was gleichzeitig aber auch zunehmende Individualität im Spiel bedeutet. Es unterstreicht die Intelligenz der SängerInnen, dass eigene Ideen sich problemlos in ein bestehendes Konzept einbringen lassen, wenn die Partner mitmachen.
Ambrogio Maestri ist ein stimmgewaltiger Falstaff, der die Komik der Rolle vokal wie darstellerisch bis an die Grenzen zur Outrage auslebt, ohne aber in die Schmiere abzugleiten. Wenn ein erstes Haus heute dieses Werk spielt, muss wohl jedes Besetzungsbüro und jede Intendanz an diesen in jeder Weise gewichtigen Künstler denken, nach dessen Hinterfragung des Ehrbegriffes das Publikum gestern spontan applaudierte. Wie er, zeigen auch seine beiden Diener Bardolfo (annähernd ideal besetzt mit Herwig Pecoraro, der schon in der Premierenserie dabei war) und Pistola (überaus gelungenes Rollendebüt von Janusz Monarcha, den ich nie für einen derartigen Komiker gehalten hätte), dass „Falstaff“ einerseits Musik auf höchstem Niveau bietet und gleichzeitig mit Augenzwinkern die Commedia dell Arte zitiert. Den Ford gibt Boaz Daniel eifersüchtig und hinterhältig gleichzeitig in Spiel und Stimme; Benedikt Kobel ist ein fieser Dr. Cajus, Saimir Pirgu ist als Fenton nicht nur Nanettas Liebhaber (mehr als rollendeckend die für Laura Tatulescu kurzfristig eingesprungene und dann die ganze Serie singende Ileana Tonca) sondern auch der Schwarm weiblicher Besucher aller Altersstufen. Ildiko Raimondi singt die Alice Ford mehr als anständig und bringt die Rolle auch darstellerisch glaubwürdig über die Rampe; diese beiden Ausagen gelten für mich auch für die Meg Page der Nadia Krasteva. Neu in dieser Inszenierung ist die Mrs. Quickly der Elisabeth Kulman, die die Konkurrenz großer Stimmen der Vergangenheit ehrenvoll besteht, spätestens mit ihrem „Reverenza“ das Publikum für sich einnimmt und eine hintergründig intrigierende Dame der Gesellschaft mit voller und prächtiger Stimme gibt.
Dirigent der Serie war Marco Armiliato, der die schwierige Partitur mit den gebotenen Feinheiten zum klingen brachte.
Zusammenfassung: eine insgesamt durchaus sehens- und vor allem auch hörenswerte Aufführungsserie, die einmal mehr die Qualitäten der Wiener Staatsoper unter Beweis stellte (und für mich die Frage aufwirft, warum Menschen eine (Stehplatz)karte kaufen und nach 20 Minuten das Haus dann verlassen).
Michael 2