Friede, Freude, Fidelio – es ist schon eine beachtliche Leistung, die Beethoven-Oper derart in den Sand zu setzen, wie das gestern in der Oper Frankfurt zu erleben war. Sowenig intellektuelle Durchdringung des Stoffes, gepaart mit szenischer Dürftigkeit und handwerklichem Unvermögen im Bereich der Regie ist schon selten.
Für letztere war die renommierte Schauspielregisseurin Christiane Paulhofer vorgesehen, die allerdings schon vor Probenbeginn, so die offizielle Mitteilung der Theaterleitung, wegen Krankheit, ausfiel. Die Regie wurde dann vom Bühnenbildner Alex Harb übernommen, eine Entscheidung, die aufgrund dessen, was dann gestern in Frankfurt zu sehen war, absolut nicht nachzuvollziehen ist und Fragen an den Intendanten Bernd Loebe aufwirft, wie es mit seiner Verantwortung für diese szenische Hinrichtung aussieht.
Ein weiterer Schatten fiel auf diese Premiere, die letzte, die der scheidende GMD Paolo Carignani in Frankfurt dirigiert hat, weil dieser öffentlich Stellung zu seinem zerrütteten Verhältnis zu Bernd Loebe genommen hatte und den Intendanten mit äusserst unfreundlichen Worten bedachte, für deren Wahl es aber für Carignani gute Gründe geben mag.
Paolo Carignanis Dirigat gehört zu den erfreulichen Momenten der letzten Premiere der laufenden Spielzeit: Carignani orientiert sich an den modernen Beethoveninterpretationen, die der historischen Aufführungspraxis verpflichtet sind, klar, trocken und eher hart ist der Klang, federnd und dynamisch gut ausgelotet, dazu sehr differenziert im Tempo, teilweise recht schnell, kommt dieser Beethoven daher, kleine Fehler sind, bei einem insgesamt sehr guten Eindruck, vernachlässigbar. Das Orchester gibt sich hörbar Mühe, den Intentionen ihres Noch-Chefs zu folgen.
Viel Beifall für Carignani vom Publikum, ein Blumenstraus vom Orchester und gänzlich bescheuerte Buh-Rufe von Leuten, die glauben, die Äusserungen von Carginani in Richtung Bernd Loebe auf diese Weise kommentieren zu müssen, das ist armselig und dumm.
Die Bühne ist von Beginn an offen, man sieht einen gelben, geschlossenen Raum, links und rechts zwei Aufzüge, davor schicke Hostessen, die den Einlass kontrollieren. Einige ebenfalls gelbe Sitzbänke, wie sie für U-Bahnen oder Busshaltestellen typisch sind, mit den dazugehörigen, obligaten Papierkörben (ebenfalls in Gelb) vervollständigen die Szene. Rund ums Orchester läuft ein schmaler, von unten beleuchteter Steg, auf dem die Haupt(Nicht)Aktionen ablaufen.
Vorne links über dem Proszenium eine Plattform mit einem Verfolger, der allerdings nie benutzt wird (beim Aufmarsch des Pizarro steht da zwar mal ein Mensch dran, aber diese Aktion ist – wie vieles andere an diesem Abend – schlichtweg überflüssig), auf der Bühne, mit dem Rücken zum Publikum sitzt auf einer dieser Bänke Florestan. Über seinen Ohren ein Kopfhörer (oder so einen Schallschutz, wie ihn Arbeiter benutzen, die an lauten Maschinen eingesetzt werden).
Und hier beginnt schon das Elend: was für ein Ort soll das sein? Ein öffentlicher Platz? Mit Aufzügen? Und Hostessen? Ein Gefängnis? Ein Museum? Die Eingangshalle eines Konzerns?
Jedenfalls kommt schon mal Marzelline im Kostüm und Leonore im legeren Herrenanzug auf die Bühne und Jaquino wendet sich mit seinem „Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein“ an eine der beiden Hostessen, bevor er sich Marzelline zuwendet.
Während das zumindest noch ein halbwegs animiertes Bild ist, geht’s jetzt inszenatorisch nur noch in eine Richtung: abwärts.
Die Bilder stehen nur noch nebeneinander, sie weisen überhaupt keine Verknüpfung mehr auf, ein Regienkonzept, eine Idee ist nicht erkennbar.
Rocco wirft sinnlos mit Geld um sich, Marzelline, Leonore (und, wenn gerade sängerisch beschäftigt Jaquino) stehen rum, Hauptsache, keiner bewegt sich.
Der regieführende Bühnenbildner kann mit Sänger/innen absolut nichts anfangen, er ist nicht in der Lage, diese auch nur zu einer sinnvollen Bewegung anzuhalten, es herrscht über weite Strecken eine manchmal peinliche Hilflosigkeit. Dann passiert fast zwangsläufig das, was bei solchen Leerstellen gerne passiert, wenn die Regie nicht eingreift: die Sängerinnen und Sänger orientieren sich nach vorne, zum Dirigenten hin – was zu grotesken Situationen führt, wenn der gerade attackierte Bühnenpartner noch nicht mal mehr angeschaut wird.
Auftritt Pizarro: da maschieren heutige Sicherheitsmänner im Einheitsschwarz auf die Bühne, bleiben formiert mit dem Gesicht nach vorne stehen und singen. Pizarro selbst, gänzlich unprofiliert, steht dann auch schon mal auf so einer gelben Sitzgelegenheit (macht er später nochmal, wieso hat Alex Harb kein Mensch gesagt, dass das absolut lächerlich wirkt?) und chargiert sich durch die Partie.
Da findet keine Interpretation statt, dieses Bild bleibt, wie alle anderen auch, völlig isoliert und ohne jeden Aussagegehalt.
Mehrere Kardinalfehler zur Leonorenarie: nach dem Abgang von Rocco und Pizarro verlangt die Musik den Übergang: „Abscheulicher, wo eilst du hin?“. In Frankfurt geht Leonore die Wände ab, nervös, aufgewühlt, eine gute Minute lang, dann kommt sie vorm Dirigenten zu stehen und schreit einen lauten Schrei. Erst dann singt sie ihr „Abscheulicher“, die Wirkung dieser Passage verpufft. Während der Arie zieht Leonore ihr Jackett aus, darunter trägt sie ein türkisfarbenes Tank-Top, was sie klar als Frau erkennbar macht (sie wird diese Geste folgerichtig im zweiten Akt wiederholen, wenn sie „Töt erst sein Weib“ singt). Marzelline aber erkennt auch jetzt das offensichtliche nicht, dass nämlich ihr Lover Fidelio in Wahrheit eine Frau ist.
Die Gefangenen kommen aus dem Aufzug: Menschen von heute, ein Rentnerpaar (wohl Doubletten von Leonore und Florestan, die gibt’s auch nochmal als Kinderversion), eine junge Mutter etc. Die bleiben auf der Bühne stehen und singen, während der Junge einen Drachen steigen lässt – wenns nur kitschig wäre, aber es ist abgrundtief schlecht.
Die Solisten stehen vorne an der Rampe – und singen frontal ins Publikum, Interaktion: keine.
Der zweite Akt wird noch schlimmer: Florestan wendet sich dem Publikum zu, singt stocksteif seine Arie, derweil im Hintergrund eine riesige Sonne aufstrahlt. Das Grab, das Leonore für den Gatten mit graben hilft, enthält dem Geräusch nach, einen Holzsarg – drinnen Kinderplüschtiere.
Das Quintett „Er sterbe“ leidet an der absoluten Einfallslosigkeit der Regie, die Fehler bei der Personenführung kämen bei manchem semiprofessionellen Theater nicht vor.
Schlussbild: die heutigen Menschen (also die Ex-Gefangenen) formieren sich, der Minister tätschelt freundlich mal eine Schulter, Ketten gibt’s keine, Pizarro wird mal böse angegiftet (kollektiver Ausfallschritt des Chores), bevor er einfach abgeht, das persönliche Glück von Leonore und Florestan wird besungen, derweil sich ein riesiges Eigenheim vom Schnürboden herabsenkt und wieder heraufgezogen wird. Die beiden Kinder und die Rentner stehen fröhlich bei Leonore und Florestan an der Rampe und alles umarmt sich. Dann rennt der Chor nach hinten: dort glüht wieder die riesige Kunstsonne am Bühnenhintergrund – Blackout.
In seltener Einhelligkeit reagiert das Publikum auf diese szenische Zumutung: es buht ausnahmslos, diese Produktion findet keine Verteidiger. Alex Harb bekommt zwar die Buhs ab, aber eigentlich gelten diese auch dem verantwortlichen Intendanten Bernd Loebe, der eine solche Produktion zugelassen hat.
Gesungen wird anständig: Erika Sunnegardh, eine (noch) eher lyrische Sopranistin singt die Leonore und man wünscht ihr, dass sie sich Zeit lässt, mit der Entwicklung ihrer Stimme, die rund und ausgeglichen wirkt, im unteren und mittleren Bereich zulegen muss und in der Höhe schon den einen oder anderen beachtlichen Ton zu produzieren vermag, aber manchmal etwas gefährdet klingt. Kleine Unsicherheiten sollen hier nicht überbewertet werden.
Schwach Michael König als Florestan. Ein stimmstarker Tenor (was beim Publikum immer ankommt), dem es an Flexibilität, an Genauigkeit, an Leichtigkeit fehlt, der die Stimme künstlich grösser macht und dann doch hinnehmen muss, das diese teilweise eng klingt, einige Buhrufe für diese unstete Leistung musste der Tenor hinnehmen.
Gut James Cresswell als Rocco – eine nicht sehr grosse, aber wohlkingende und gut eingesetzte Basstimme, dazu Jussi Myllys als unauffälliger Jaquino und Britta Stallmeister als ordentliche Marzelline.
Merkwürdig gehemmt wirkte der ansonsten überzeugende Bariton Johannes-Martin Kränzle als Pizarro, da verrutschte vieles. Möglicherweise hatte der Sänger einfach keinen guten Tag.
Bleibt zu hoffen, dass diese Inszenierung bald vom Spielplan verschwindet: im Vergleich zur letzten Frankfurter Produktion von Christoph Marthaler oder den Inszenierungen von Martin Kusej (Stuttgart) und Hans Neuenfels (Hamburg) ist die gestrige Premiere für Frankfurt blamabel.