Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 9

  • Ich komme bei dieser Sinfonie einfach nicht damit klar, dass der erste Satz (insbesondere der Schlussteil) und das finale Adagio einfach in ihrer Abgeklärtheit und Schönheit überwältigen, dagegen die "plumpen" Mittelsätze mich eher abstoßen... Wie geht es Euch dabei?


    Im Prinzip genauso, aber das ist bei mehreren Mahler-Sinfonien der Fall (bei mir!!). Bei einem Satz könnte man feuchte Augen bekommen, beim nächsten Satz wäre Abschalten eine Option.

    =O Ihr hört Mahler wirklich nur, um Euch eine Sentimentalitätsdusche abzuholen. Ungefähr so wie der Hörertyp, der von Beethovens Mondscheinsonate nur den 1. Satz hören will, weil da ja so schön der Mond scheint. Der zweite Satz ist ja viel zu lustig derb und beim dritten sollte man besser die Ohren ganz abschalten, der ist ja so hässlich dramatisch! || Was habt Ihr aber von Mahler und Mahlers Musik, was er mit so einer Symphonie eigentlich sagen wollte, wirklich verstanden? Antwort: Null Komma Nichts! Der arme Mahler - ganz bestimmt dreht er sich im Grab herum! ;( :D


    Schöne Grüße

    Holger

  • Yannick Nézet Séguin dirigiert die Rotterdam Philharmonie in den letzten Takte der 9. Sinfonie Gustav Mahlers.


    Da gibt es nichts zu verstehen.


    ***


    Bei Mahler gehört alles dazu: das Triviale, das Durchgeistigte, das Laute und Vordergründige, das Leise und Verklärte, das Handfeste, das Sentimentale. Eine Weltsicht. Total.


    ***


    Die Wiener Philharmoniker mussten von Leonard Bernstein überzeugt werden, die Musik Gustav Mahlers zu spielen. Die Ablehnung war bei den Musikern gross. Es gibt auf You Tube Beispiele davon. Ich kann mich daran erinnern gelesen zu haben, dass sie von Kitsch, Vulgarität, Gefühlsduselei, Gigantomanie sprachen. Mit dem ganzen Einsatz seines Charismas und Durchsetzungskraft gelang es dem Dirigenten, die Wiener Philharmoniker vom Verfemten zu überzeugen.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Yannick Nézet Séguin dirigiert die Rotterdam Philharmonie in den letzten Takte der 9. Sinfonie Gustav Mahlers.


    Da gibt es nichts zu verstehen.

    Und warum hat es Mahler dann nicht dabei belassen, nur diese drei Takte zu komponieren? Eine Symphonie ist nunmal ein Zusammenhang, eine "ganze Welt", wie Mahler es selbst gesagt hat, die da ausgedrückt werden soll mit allen Erfahrungen, die ein die Welt erfahrendes Subjekt dabei machen kann. Kein Teil ist in diesem Ganzen ohne den anderen zu verstehen. Man kann sich natürlich die "schönen Momente" in dieser Musik gezielt heraussuchen (worüber sich übrigens schon ein Richard Wagner mit Blick auf die Oper aufgeregt hat) und sie goutieren. Dann aber nimmt man so eine Musik schlicht als Kunstwerk nicht Ernst, sondern betrachtet die Musik als bloße Reizquelle für angenehme Empfindungen. Und mussten die Wiener Philharmoniker wirklich überzeugt werden erst von Bernstein, Mahler zu spielen? Hat nicht Bruno Walter mit ihnen schon Mahler dirigiert? Bernstein hat sich mit den Wienern nicht darüber gestritten, dass sie Mahler überhaupt spielen, sondern wie sie ihn spielen.


    Schöne Grüße

    Holger

  • as habt Ihr aber von Mahler und Mahlers Musik, was er mit so einer Symphonie eigentlich sagen wollte, wirklich verstanden? Antwort: Null Komma Nichts! Der arme Mahler - ganz bestimmt dreht er sich im Grab herum!

    Keiner hat gesagt, daß man wirklich abschaltet, sondern es wäre als Option möglich. Aber nicht jede Tonfolge bei ihm ruft ungezügelte Begeisterung hervor, manches an Wohlklang orientierte Ohr beginnt zu stöhnen, nicht nur bei der 7.

    Den Hinweis auf eine Sentmentalitätsdusche hättest Du Dir sparen können, hier kommt wieder Deine schrecklichste Eigenschaft an den Tag, andere Meinungen nicht zuzulassen, selbstgerecht zu sein, falsche Schlüsse zu ziehen und sofort in den Dreck zu treten. Du solltest Politiker werden, momentan wären Deine Chancen sehr groß. Ich bleibe dabei, der 2. Satz der 7. Mahler gefällt mir harmoniemäßig nicht. Deswegen schalte ich dabei nicht ab, da ich seine innere Zerissenheit zum Entstehungszeitpunkt kenne und daher auch weiß, was er ausdrücken wollte. Dazu haben mir mehrere Biographien geholfen, allerdings keine Philosophie.

    La Roche


    PS - und jetzt bitte keinen Streit! Erkenne einfach an, daß manche Töne nicht nur bei Mahler mit manchen Gefühlen und Geschmäckern fremdeln, ohne daß man deshalb ohne Verstand wäre.

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Keiner hat gesagt, daß man wirklich abschaltet, sondern es wäre als Option möglich. Aber nicht jede Tonfolge bei ihm ruft ungezügelte Begeisterung hervor, manches an Wohlklang orientierte Ohr beginnt zu stöhnen, nicht nur bei der 7.

    Die andere Option wäre, sich um Verständnis zu bemühen, statt das Unverständnis zu zementieren. Mahlers Musik ist einfach von der Art, dass sie zum großen Teil eben nicht für das "an Wohlklang orientierte Ohr" bestimmt ist. Für den Hörer, für den Musik nur schöne Harmonie ist, ist dann Mahler einfach die falsche Musik! Es geht übrigens um die 9. und nicht die 7. Mahler! :D

    Den Hinweis auf eine Sentmentalitätsdusche hättest Du Dir sparen können, hier kommt wieder Deine schrecklichste Eigenschaft an den Tag, andere Meinungen nicht zuzulassen, selbstgerecht zu sein, falsche Schlüsse zu ziehen und sofort in den Dreck zu treten. Du solltest Politiker werden, momentan wären Deine Chancen sehr groß.

    Mahler selbst hat es doch zum Ausdruck gebracht: Eine Symphonie soll die Welt ausdrücken. Und zur Welt gehören nunmal auch die Misstöne und Disharmonien. Die Welt ist nicht nur eine "schöne Welt" (das ist die Natur) wie im 1. Satz der 1. Symphonie. Es geht darum nicht zuletzt, auch diese Misstöne zu verarbeiten in einer solchen Symphonie. Das Finale der 9. zeigt die ganze Resignation und Enttäuschung über die böse Menschen-Welt (Mahler nennt sie in einem Brief "Lügenwelt"). Sie kommt darin zum Ausdruck, dass die Musik "der Welt abhanden kommt" (Rückert-Lied). Das Adagio-Schöne bei Mahler ist ein Rückzug aus der Welt. Diese Musik antwortet damit auf das Infernalische des Weltgetriebes, also die disharmonischen Sätze vorher. Das verstärkt noch den Ausdruck und macht das Finale in seiner Funktion und Wirkung überhaupt verständlich, warum die Musik mit einem Sterben in Tönen enden kann.


    Es gibt selbst von der Deutschen Grammophon solche Platten bzw. CDs mit "Musik zum Träumen", wo dann der 1. Satz der Mondscheinsonate, das Adagietto aus der 5. Mahler, ein Chopin Nocturne usw. drauf ist. So etwas ist gemacht speziell für bestimmte Hörer mit einem bestimmten Hörbedürfnis. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Ich nenne solche Zusammenstellungen "Verschnittprogramme". Nur sollte man auch die Wahrheit vertragen können, dass so zu hören keine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung mit den betreffenden Werken darstellt. Da beleidigt zu reagieren, ist inadäquat.

    Ich bleibe dabei, der 2. Satz der 7. Mahler gefällt mir harmoniemäßig nicht. Deswegen schalte ich dabei nicht ab, da ich seine innere Zerissenheit zum Entstehungszeitpunkt kenne und daher auch weiß, was er ausdrücken wollte. Dazu haben mir mehrere Biographien geholfen, allerdings keine Philosophie.

    Das ist der 2. Satz der 9. - der 2. Satz der 7. ist eine Nachtmusik! :D Warum er so ist wie er ist kann man auch verstehen, indem man sich z.B. ähnliche Scherzo-Sätze in der 1. und der 6. Symphonie in Erinnerung ruft und die programmatischen Äußerungen Mahlers dazu. Mahler selbst hat übrigens sehr viel Philosophie gelesen - Schopenhauer und Nietzsche vor allem, was sich auch in seinen Erläuterungen zum Sinngehalt seiner Symphonien niederschlägt. Deswegen ist es durchaus hilfreich, diesen Hinweisen nachzugehen.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Zunächst meine kurze Entschuldigung, daß mir in meinem Beitrag #274 die 7 statt der 9 reingerutscht ist. Ich hatte den gesamten Beitrag bezogen auf die themengerechte 9.. Sorry.

    Ich habe nie Schopenhauer und Nietzsche oder andere Philosophen gelesen, sie spielen in meinem Leben keine Rolle.

    Dennoch habe ich Interesse an klassischer Musik, und ich habe meine Bandbreite darin gefunden. Oder sind Deiner Meinung nach philosophische Kenntnisse erforderlich, um Klassik zu lieben? Hoffentlich nicht, sonst ist mein Leben falsch gelaufen.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Die Wiener Philharmoniker mussten von Leonard Bernstein überzeugt werden, die Musik Gustav Mahlers zu spielen. Die Ablehnung war bei den Musikern gross. Es gibt auf You Tube Beispiele davon. Ich kann mich daran erinnern gelesen zu haben, dass sie von Kitsch, Vulgarität, Gefühlsduselei, Gigantomanie sprachen. Mit dem ganzen Einsatz seines Charismas und Durchsetzungskraft gelang es dem Dirigenten, die Wiener Philharmoniker vom Verfemten zu überzeugen.

    Das ist interessant! Bernstein hat mit den Wienern eine der besten Aufnahmen der 5. Sinfonie vorgelegt und eine auch sehr starke (aber nicht ganz so zwingende) Sechste! Da mache ich mich gleich mal bei Youtube auf die Suche.


    Die Wiener haben aber auch schon vor Bernstein Mahler aufgenommen. So gibt es eine sehr gute Aufnahme der Neunten mit Abbado. Und bestimmt noch andere.


    Viele Grüße

    Christian

  • Ich habe nie Schopenhauer und Nietzsche oder andere Philosophen gelesen, sie spielen in meinem Leben keine Rolle.

    Dennoch habe ich Interesse an klassischer Musik, und ich habe meine Bandbreite darin gefunden. Oder sind Deiner Meinung nach philosophische Kenntnisse erforderlich, um Klassik zu lieben? Hoffentlich nicht, sonst ist mein Leben falsch gelaufen.

    Im Leben von Mahler haben Schopenhauer und Nietzsche aber eine große Rolle gespielt. Er hat Nietzsche sogar seinen Geschwistern regelmäßig vorgelesen. Ein Nietzsche-Gedicht hat er in der 3. Symphonie vertont und es gibt in der 3. - wie in der 9. - einen langsamen empfindsamen Satz als Finale. Nun hat Mahler zur 3. einen Programmentwurf gemacht. Zum Finale steht da (ich zitiere jetzt aus dem Kopf): "Alles ist aufgelöst in Ruhe und Sein. Das Ixionsrad der Erscheinung ist endlich stillgestellt." Das ist aber nun einmal ein Schopenhauer-Zitat! Also um zu verstehen, was Mahler meinte, ist es sicher nicht ganz unförderlich, sich den philosophischen Hintergrund, den Mahler hier im Kopf hatte, zu vergegenwärtigen. ;)


    Das ist interessant! Bernstein hat mit den Wienern eine der besten Aufnahmen der 5. Sinfonie vorgelegt und eine auch sehr starke (aber nicht ganz so zwingende) Sechste! Da mache ich mich gleich mal bei Youtube auf die Suche.

    Die 5. und 6. von Bernstein mit den Wienern sind wirklich stark, finde ich auch! :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Das ist aber nun einmal ein Schopenhauer-Zitat! Also um zu verstehen, was Mahler meinte, ist es sicher nicht ganz unförderlich, sich den philosophischen Hintergrund, den Mahler hier im Kopf hatte, zu vergegenwärtigen.

    Lieber Dr. Kaletha,

    glaubst Du wirklich, daß die Millionen, die jährlich ein Mahler-Konzert (oder das ein andere Komponisten) besuchen (z.B. weil sie ein Anrecht haben) wissen, wer Schopenhauer ist? Wenn nur die Leute zu Mahler ins Konzert gehen vorher Schopenhauer gelesen haben sollten, wären die Konzertsäle sicher nicht so gut besucht!

    Ich bekenne, daß mich an jedem sinfonischen Werk zuerst der Klang begeistert, die Interpretation, evtl. Solisten bei Instrumentalkonzerten. Ein philosophischer Hintergrund gibt mir nichts, viel eher historische Hintergründe. Deshalb habe ich div. Biographien.

    Das alles ist aber kein Punkt zum Streiten. Die Zuneigung für Klassik geht eben von unterschiedlichen Voraussetzungen aus. Dem Himmel sei Dank dafür!


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • glaubst Du wirklich, daß die Millionen, die jährlich ein Mahler-Konzert (oder das ein andere Komponisten) besuchen (z.B. weil sie ein Anrecht haben) wissen, wer Schopenhauer ist? Wenn nur die Leute zu Mahler ins Konzert gehen vorher Schopenhauer gelesen haben sollten, wären die Konzertsäle sicher nicht so gut besucht!

    Ich bekenne, daß mich an jedem sinfonischen Werk zuerst der Klang begeistert, die Interpretation, evtl. Solisten bei Instrumentalkonzerten. Ein philosophischer Hintergrund gibt mir nichts, viel eher historische Hintergründe. Deshalb habe ich div. Biographien.

    Lieber La Roche,


    es gibt Literatur/Musik, da braucht man, um sie so wirklich zu verstehen, wie der Autor/Komponist sie verstehen und verstanden wissen will, eine gewisse Vorbildung. Wer im Leben noch nie etwas von griechischer Mythologie und von Platon gehört hat, wird Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig schlicht nicht verstehen. Das ist absolut ausgeschlossen! Bei Thomas Mann ist es so, dass er für ein gebildetes Publikum schreibt und einen gewissen Bildungshorizont voraussetzt. Bei Mahler ist es ähnlich. Man kann natürlich eine Mahler-Symphonie einfach "irgendwie" hören und Gefallen daran finden. Nur bleibt man dann an der Oberfläche. Zu Mahlers Zeiten war Schopenhauer und Nietzsche lesen große Mode bei Gebildeten. Wenn der Komponist solche "philosophischen" Bezüge einbaut, dann ist das also alles andere als weltfremd. Das gehört sozusagen zum erwartbaren Bildungshorizont der Leser/Hörer zur Entstehungszeit der Komposition. Warum kann wohl ein Richard Strauß ein Musikstück schreiben mit dem Titel Also sprach Zarathustra und Popularität erwarten? In der 3. Symphonie vertont Mahler Nietzsche ("Das andere Tanzlied") Oh Mensch, gib acht, die Welt ist tiefer als der Tag gedacht. Der Zarathustra-Leser weiß, was gemeint ist. Dann kommt bei Mahler allerdings das Bim-Bam-Kinderlied. Das irritierte nicht wenige Zeitgenossen. Darauf erklärt das Mahler mit einem Verweis auf Goethe Faust II! Alles sehr, sehr gebildet also! Eine wirklich gute Biographie klärt solche Bezüge eben auch auf. Das gehört ebenfalls zu den "historischen Hintergründen". Gerade die sehr unkonventionelle Satzfolge der 3. Symphonie bleibt ein Rätsel, wenn man sich über solche inhaltlichen Bezüge keine Gedanken macht. Dahinter steht letztlich eine philosophische Konzeption bei Mahler. Das und die Nietzsche-Rezeption bei Mahler ist in den Musikwissenschaften auch breit erörtert worden.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Doch, man kann Mahler "irgendwie" hören, mit gross erwachsender Empathie !


    Und im Hören Glück verspüren, zumindest ein tiefes Gefühl, auch Bewunderung für den grossen Ausdruck in dieser Musik empfinden. An der Oberfläche zu bleiben schliesst nicht aus, sich weiterhin von ihr gefangennehmen zu lassen, also sie wieder und wieder zu hören, ohne dass man in die Tiefe gehen müsste mit philosophischer Untermauerung. Als jugendlicher Dialektiker hätte ich diagnostiziert: "Bildungsunterschiede", "Herrschaftswissen". Dabei haben diese so langsam verflossenen, verblichenen Begriffe heutzutage eher Werbe-, Hinweis- oder Plakatcharakter.


    Doch nein, der oben erwähnte Musikhörer ist ganz nahe an Mahler dran, der ihm dann den weiteren Weg weist, mit dem neuen Bühnenbild, mit dem Bam- Bam- Dingdong- Kinderlied.

    Ich vermute, ich höre ich deshalb so wenig Mahler, weil er diese dramatische Wendung vom Super- Suggestiven zum gross erscheinenden Banalen immer mal wieder macht, was mich zuweilen ärgert (Ich hoffe, dass meine Sätze trotzdem Mahlers grosse Wirkung auf mich ausdrücken). :yes:

  • Doch, man kann Mahler "irgendwie" hören, mit gross erwachsender Empathie !

    Das finde ich nun gar nicht einleuchtend. "Empathie", zu Deutsch "Einfühlung" stammt ja aus dem zwischenmenschlichen Bereich. Kann man wirkliche Empathie mit einem Menschen haben, den man nur "irgendwie" kennt, der einem im Grunde völlig fremd ist? Wohl kaum! Wirkliches Mitgefühl setzt Verstehen voraus. Was schon im zwischenmenschlichen Bereich nicht stimmt, stimmt auch nicht mit Blick auf die Kunst.

    Und im Hören Glück verspüren, zumindest ein tiefes Gefühl, auch Bewunderung für den grossen Ausdruck in dieser Musik empfinden. An der Oberfläche zu bleiben schliesst nicht aus, sich weiterhin von ihr gefangennehmen zu lassen, also sie wieder und wieder zu hören, ohne dass man in die Tiefe gehen müsste mit philosophischer Untermauerung. Als jugendlicher Dialektiker hätte ich diagnostiziert: "Bildungsunterschiede", "Herrschaftswissen". Dabei haben diese so langsam verflossenen, verblichenen Begriffe heutzutage eher Werbe-, Hinweis- oder Plakatcharakter.

    Sich gefangen nehmen lassen ohne wirklich zu verstehen hat dann aber die Gefahr, dass man sich letztlich nur noch von sich selber gefangen nehmen lässt, von den eigenen Vorurteilen, all den Dingen, die man dann in so eine Musik hineinprojiziert und nicht weiß, dass es nur Projektionen sind. Um wieder beim Zwischenmenschlichen zu bleiben und ein etwas drastisches Beispiel zu nehmen: Diktatoren nehmen auch gefangen durch ihre Stimme (Hitlers Tischreden), indem sie Bedürfnisse befriedigen nach Geltung (Erdogan) und Balsam sind für den eigenen Minderwertigkeitskomplex. Sie werden wahrgenommen als "toller Mann". Das funktioniert so lange für die Naiven jedenfalls, wie sie ihr wahres Gesicht nicht zeigen.


    Und es gibt sie nun einmal, die hoch gebildeten Künstler wie Richard Wagner (seine Wesendock-Lieder sind Schopenhauer pur!) oder Gustav Mahler, der Bücher regelrecht verschlungen hat. Der gebildete Künstler produziert Werke eben auch für Gebildete. Ein Thomas Mann setzt voraus, dass der Leser die komplette deutsche Literaturgeschichte kennt. Der Gebildete wird nun Nietzsche zitieren: Solche beliebten Vokabeln der 68iger wie "Herrschaftswissen" sind Ausdruck der Lebenslüge des Ressentiments, wo nämlich die eigene Schwäche, keine Bildung zu haben, zum Verdienst umgelogen wird. (In der Arbeiterbewegung des 19. Jhd. war Bildung noch ein hohes und erstrebenswertes Gut!) :P

    Doch nein, der oben erwähnte Musikhörer ist ganz nahe an Mahler dran, der ihm dann den weiteren Weg weist, mit dem neuen Bühnenbild, mit dem Bam- Bam- Dingdong- Kinderlied.

    Ich vermute, ich höre ich deshalb so wenig Mahler, weil er diese dramatische Wendung vom Super- Suggestiven zum gross erscheinenden Banalen immer mal wieder macht, was mich zuweilen ärgert (Ich hoffe, dass meine Sätze trotzdem Mahlers grosse Wirkung auf mich ausdrücken).

    Wer von Hitlers Stimme fasziniert ist (das waren damals nicht Wenige), ist ganz nah an Hitler dran? Mit dem letzten Satz widerlegst Du selbst eigentlich alles, was Du vorher schreibst: Du hörst Mahler nicht, weil Du Mahler nicht wirklich verstehst! ^^


    Schöne Grüße

    Holger

  • Haalo Holger, haaalo,


    "Du verstehst Mahler nicht, weil du Mahler nicht hörst !?" das würde für mich eher Sinn machen.


    Du kannst oben auch Empathie durch Sympathie ersetzen.


    Du sprichst von Stimmen, Hitlers Stimme ! Das ist eine Stimme, aber wir sprechen von Musik, was eine andere Sprache ist. Lass den "Halbintelligenzler" wie meine Prä- Abi- Geschichtslehrerin (deutsche Universität Prag, Histiorische Fakultät) zu sagen pflegte, einfach weg !

    Gefangen nehmen lassen, ohne wirklich zu verstehen, passiert andauernd und ist in diesem Zusammenhang eine politische Kategorie.


    Nein, lass uns jetzt bei der Musik bleiben. Deren unerklärlicher Faszination, die Widersprüche erzeugt, ist eine Welt für sich, jenseits historischer und philosophischer Betrachtungen, mit denen ständig neue Fragestellungen entstehen.


    Eigentlich möchte ich mich von Mahlers Musik erstmal beeinflussen lassen, so gut es geht und es mir guttut.


    Wir befinden uns hier in einem Laienfarum über klasssische Musik, welches imgrunde keine hochwertigen philosophischen Diskussionen erlaubt, diese natürlich zulässt. Was sonst !


    Holger,

    ich müsste mich, zugegeben, mit Hitlers Tischreden befassen. Doch dafür ist keine Zeit mehr, da mein Leben den bekannten biologischen Gesetzmässigkeiten folgen wird.


    Bzgl. Mahler werden wir uns noch gegenseitig loben !:)


    MlG

    Damiro

  • "Du verstehst Mahler nicht, weil du Mahler nicht hörst !?" das würde für mich eher Sinn machen.


    Du kannst oben auch Empathie durch Sympathie ersetzen.

    Hallo Damiro,


    das Echo Habe ich schon verstanden! ^^ :hello: Solche Diskussionen haben die Schwäche, dass sie leicht polarisieren und verabsolutieren. Der Ausgangspunkt war das bekennende Unverständnis zweier Foren-Mitglieder, die im Grunde sagen: Wie kann Mahler in seiner 9. so subtile Musik schreiben und dann gibt es da diese ordinären Mittelsätze. Das sagt erst einmal, dass Musik offenbar nicht von der Art ist, dass sie sich beim Hören quasi von selber erschließt und versteht. Dann ist doch die Frage, wie man mit solchem Unverständnis umgeht. Belasse ich es dabei, oder bemühe ich mich, hinter den Sinn zu kommen? Und dann kommt man nicht umhin die Frage zu beantworten: Was bedeutet für Mahler eine Symphonie? Was ist das für eine Symphonie-Konzeption? Gerade weil Mahler nicht mehr "konventionell" ist im Sinne: Wir wissen ja, eine Symphonie besteht aus 4 Sätzen, einem Sonatenallegro, einem langsamen Satz, einem Scherzo und einem Rondo-Finale... haben wir ein Verständnisproblem. Leider, bei Mahler hier gibt es das Selbstverständliche alles nicht mehr. Ich habe ja - es ist allerdings schon länger her - auch Einführungen in Mahler-Symphonien gemacht für "Laien"! Man kann gerade in der 9. die Irritation ganz gut aufheben, wenn man die 9. Symphonie im Kontext der anderen Symphonien betrachtet. Dann weiß man, dass in der 1. z.B. ein naiv-derbes Scherzo gibt, das eben auch das ausdrücken soll (Mahler hat das in seinem Programm gesagt): Rohe Kraft, grenzenlose Naivität - so ähnlich wie im Grimmschen Märchen "Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen". Nur in der 9. ist schon viel Bitterkeit und Lebensekel fast schon dabei. Und dann kommt die höllische Burleske mit giftigster Ironie inclusive einer bitter-bösen Operetten-Parodie. Auch da gibt es eine Parallele: Das Scherzo der 7., wo man meint, der Mensch hängt wie eine arme Marionette am Faden. In seinem berühmten Brief an seinen Jugendfreund Steiner spricht Mahler vom "Spinnennetz" der Welt, in der der Mensch wie eine Mücke gefangen zappelt. Genau das ist auch so in dieser Pseudo-Fuge der Burleske mit einem völlig trostlosen "Durchbruch" (was dem Trio entspricht). Weil die Welt also für den Menschen verloren ist - sie ist nicht nur derb, sondern verlogen ("Lügenwelt" sagt Mahler im besagten Jugendbrief) - kommt dann als Reaktion der "Abschied". Dieser Mahler-Brief ist übrigens sehr kunstvoll gestaltet. Man kann ihn auch wieder nur verstehen, wenn man den Kontext von Mahlers Lektüre versteht: die romantische Literatur und Philosophie, für die eben der Gegensatz böse Menschenwelt - schöne Natur zentral ist. Wenn man das einmal begriffen hat, schlüsselt sich sehr viel bei Mahler auf.

    Ich hatte das Beispiel der Stimme gewählt, weil die Musik - insbesondere die Instrumentalmusik - ja zunächst einmal ein Tonereignis ist. Da fehlt dann die Wortbedeutung, die den Tönen eine gleich nachvollziehbare Bedeutung gibt. Den Sinn muss man sich also erschließen und die Suggestivkraft nur des Tonereignisses birgt die Gefahr, dass man den Sinn schlicht nicht erfasst, sondern an der Oberfläche irgendeiner Wirkungsrhetorik hängen bleibt.


    Natürlich hast Du Recht: Musik hat eine Faszinationskraft, die "unmittelbar" ist. Nur wenn man allein dabei bleibt, reduziert man die Musik auf ihre pure Suggestionskraft. Suggestive Wirkungen sind aber so eine Sache, weil sie nicht von Dauer sind. Was mich heute fasziniert, langweilt mich morgen schon wieder. Es gibt auch Musik, die wir uns leid hören. Gerade um die Faszinationskraft der Musik zu erhalten, ist es ratsam, sich in den Sinn zu vertiefen. Dann erneuert sich auch die Faszination immer wieder, weil mein ganz neue Ebenen der Musik entdeckt, die man vorher gar nicht im Blick hatte.

    Wir befinden uns hier in einem Laienfarum über klasssische Musik, welches imgrunde keine hochwertigen philosophischen Diskussionen erlaubt, diese natürlich zulässt. Was sonst !

    Ich verstehe nicht so ganz, warum "Laien" der Philosophie abgeneigt sein sollen prinzipiell. Da habe ich aus meiner Lebenserfahrung heraus ganz andere Erfahrungen gemacht! ;)

    ich müsste mich, zugegeben, mit Hitlers Tischreden befassen. Doch dafür ist keine Zeit mehr, da mein Leben den bekannten biologischen Gesetzmässigkeiten folgen wird.

    So ist es! Ich bin ja auch schon Opa! ^^ Aber das Thema hat mich seit meiner Studienzeit sehr interessiert. :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lieber Holger,

    Sich gefangen nehmen lassen ohne wirklich zu verstehen hat dann aber die Gefahr, dass man sich letztlich nur noch von sich selber gefangen nehmen lässt, von den eigenen Vorurteilen, all den Dingen, die man dann in so eine Musik hineinprojiziert und nicht weiß, dass es nur Projektionen sind. Um wieder beim Zwischenmenschlichen zu bleiben und ein etwas drastisches Beispiel zu nehmen: Diktatoren nehmen auch gefangen durch ihre Stimme (Hitlers Tischreden), indem sie Bedürfnisse befriedigen nach Geltung (Erdogan) und Balsam sind für den eigenen Minderwertigkeitskomplex.

    Dieser Bezug ist wohl doch ein wenig drastisch, wie Du selbst zu bemerken geruhtest. Ich finde ihn unangemessen, Begeisterung und positive Gefühle für Mahlers Musik zu vergleichen mit (ein Beispiel ist für mich ein Vergleich) Hitler oder Erdogan.

    Und um auf #285 einzugehen: wenn ich Mahler nur dann begeisternd finden kann, wenn ich Deinen 1. Abschnitt zugrunde lege, dann muß ich mir gründlich überlegen, wieder in einen Konzertsaal zu gehen. Das sind einfach nicht meine Gedanken, wenn ich ein Konzert besuche. Übrigens gehört der "schräge" 2. Satz von Mahlers 9. ohne Widerspruch zu diesem Werk. Wer wäre ich denn, wenn ich mir den wegwünschen würde. Aber bei mir Emotionen auszulösen, daß vermag er nicht, eher innere Ablehnung. Mir ist es auch egal, ob eine Sinfonie dem klassischen Diktat nach 4 Sätzen folgt. Wie sonst könnte ich Gefallen am Mahlers 3. Sinfonie oder seiner 8. finden.

    Wenn man das einmal begriffen hat, schlüsselt sich sehr viel bei Mahler auf.

    Es ist nunmal ein Unterschied, ob man Musik emotional erfassen kann und will oder musiktheoretisch vorgeht. Letzteres vermag und will ich nicht. Und gehe trotzdem wieder zu Mahler, weil mein Bauchgefühl den Wunsch danach weckt.

    Übrigens hat das nicht nur mit "schöner Musik" zu tun. So ist für mich (um einen Vergleich zu bemühen) der 1. Satz von Schostakowitsch´s 7. eine furchtbare Musik, aber ungeheuer aussagekräftig und letztendlich auch sehr verständlich.


    Letztendlich behaupte ich nochmals, daß die Mehrzahl der Konzertbesucher nicht Deine Erwartung an einen Konzertabend teilt, weil sie einfach noch nie mit solchen Gedanken und Überlegungen konfrontiert wurden und sie sicher auch nicht verstünden.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Dieser Bezug ist wohl doch ein wenig drastisch, wie Du selbst zu bemerken geruhtest. Ich finde ihn unangemessen, Begeisterung und positive Gefühle für Mahlers Musik zu vergleichen mit (ein Beispiel ist für mich ein Vergleich) Hitler oder Erdogan.

    Der Vergleich sollte doch nur zeigen, dass Begeisterung, die nicht in einem wirklichen Sinnverstehen fundiert ist, eine durchaus nicht unproblematische, sehr zweifelhafte Sache ist. Es gibt nämlich auch die Möglichkeit von Gefühlstäuschungen. Auch das "Bauchgefühl" kann sehr irren.

    Und um auf #285 einzugehen: wenn ich Mahler nur dann begeisternd finden kann, wenn ich Deinen 1. Abschnitt zugrunde lege, dann muß ich mir gründlich überlegen, wieder in einen Konzertsaal zu gehen.

    Das habe ich doch nicht gesagt. Nur was löst dann jeweils die Begeisterung aus? Begeisterung ist etwas, was auch sehr schnell verfliegen kann. Wie sie dauerhaft oder nachhaltig sein können soll, ohne dass sie mit irgendeinem Sinnverständnis verbunden ist, müsstest Du dann mal erklären! Wir kennen es doch bei Kindern: Heute sind sie "Feuer und Flamme" für etwas, was sie schon morgen völlig uninteressant finden.

    Es ist nunmal ein Unterschied, ob man Musik emotional erfassen kann und will oder musiktheoretisch vorgeht. Letzteres vermag und will ich nicht. Und gehe trotzdem wieder zu Mahler, weil mein Bauchgefühl den Wunsch danach weckt.

    Sich um ein Sinnverständnis bemühen und Theorie treiben sind doch zwei verschiedene Dinge! Wenn ich mir den Verstehenshorizont von etwas aneigne mit dem Ziel und Zweck, besser zu verstehen, was ich höre, dann ist ist noch keine Theorie. Warum kann der späte Mahler z.B. nicht einfach so einen jubelnden Schluss komponieren wie in seiner 1. Symphonie? Darauf lässt sich eine Antwort finden. Dazu gehört dann aber die Verständnisbemühung, was bei Mahler das Finale einer Symphonie bedeutet. Wenn man davon einfach nichts wissen will, dann stellt man keine Fragen mehr an ein Kunstwerk - und bekommt selbstverständlich auch keine Antworten.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Bei der Restaurierung des Threads habe ich bemerkt, dass eine Aufnahme nicht erwähnt wurde. Auf meinem Regal habe ich diese Aufnahme gefunden.


    Beim Werbepartner ist sie als Japan Import in der Box aller Mahler Sinfonien erhältlich.



    Bei Brilliant Classics erschien sie mit einem anderen Cover




    Eliahu Inbal hatte mit dem Radio Sinfonie Orchester Frankfurt in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die erste digitale Gesamteinspielung der Mahler Sinfonien mit dem japanischen Label Denon gemacht. Dafür erhielten die Musiker damals den Deutschen Schallplattenpreis.


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    2014 hatte Eliahu Inbal für das Label Exton eine zweite Aufnahme mit dem Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra eine SACD aufgenommen.


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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Und warum hat es Mahler dann nicht dabei belassen, nur diese drei Takte zu komponieren? Eine Symphonie ist nunmal ein Zusammenhang, eine "ganze Welt", wie Mahler es selbst gesagt hat, die da ausgedrückt werden soll mit allen Erfahrungen, die ein die Welt erfahrendes Subjekt dabei machen kann. Kein Teil ist in diesem Ganzen ohne den anderen zu verstehen. Man kann sich natürlich die "schönen Momente" in dieser Musik gezielt heraussuchen (worüber sich übrigens schon ein Richard Wagner mit Blick auf die Oper aufgeregt hat) und sie goutieren. Dann aber nimmt man so eine Musik schlicht als Kunstwerk nicht Ernst, sondern betrachtet die Musik als bloße Reizquelle für angenehme Empfindungen. Und mussten die Wiener Philharmoniker wirklich überzeugt werden erst von Bernstein, Mahler zu spielen? Hat nicht Bruno Walter mit ihnen schon Mahler dirigiert? Bernstein hat sich mit den Wienern nicht darüber gestritten, dass sie Mahler überhaupt spielen, sondern wie sie ihn spielen.


    Schöne Grüße

    Holger

    Ein Ausschnitt ist ein Ausschnitt. Es sind mehr als drei Takte. Auf deinen Gedanken, Mahler auf "drei Takte" zu reduzieren und dass sie die ganze Sinfonie enthalten sollen, muss man erstmal kommen. Mein gesunder Menschenverstand sagt, das ist nicht möglich. ;)


    Was in meinem Beitrag zwischen den *** steht, ist deine Aussage.


    Die Ablehnung einzelner Musiker der Wiener Philharmoniker diese Musik spielen zu müssen, war so wie ich mich erinnere, körperlich ablesbar. Dieses Benehmen war mir unverständlich. Es ging nicht um das "Wie" sondern war ein grundsätzliches "Weshalb diese Musik". Was wir nicht wissen, ob Walter auf gleiche Widerstände stiess. Sassen dieselben Musiker im Orchester?


    LG moderato

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ein Thomas Mann setzt voraus, dass der Leser die komplette deutsche Literaturgeschichte kennt.

    Stimmt das denn tatsächlich so? :nanu:


    Warum eigentlich so bescheiden und wieso nur die deutsche und nicht gleich die komplette Weltliteratur(geschichte)?:nixw:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

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  • Ein Ausschnitt ist ein Ausschnitt. Es sind mehr als drei Takte. Auf deinen Gedanken, Mahler auf "drei Takte" zu reduzieren und dass sie die ganze Sinfonie enthalten sollen, muss man erstmal kommen. Mein gesunder Menschenverstand sagt, das ist nicht möglich. ;)

    Du hattest geschrieben, da gäbe es nichts zu verstehen! Wieso? Erst einmal kann man den Schluss einer Symphonie nur verstehen, wenn man die ganze Symphonie gehört hat. Die Schlusswirkung wird nur aus dem Zusammenhang verständlich. Es ist sicher richtig: Es gibt auch die singulären Einzelmomente, die eine sozusagen im Moment verdichtete Aussage haben, die für sich selber sprechen und beeindrucken, gerade bei Mahler. Das sind die berühmten "Durchbrüche" etwa: in der 1., 2., 3., 4. oder 6. Symphonie, auch der 9. Nur: Beides gehört zusammen! Die Bedeutung des Einzelmoments beleuchtet den Zusammenhang und umgekehrt. Man kann nicht eins ohne das andere sehen bzw. hören! Warum der Durchbruch in der Rondo-Burleske so trostlos ist, wird letztlich damit verständlich, wie er in diesem musikalischen Zusammenhang platziert ist.

    Die Ablehnung einzelner Musiker der Wiener Philharmoniker diese Musik spielen zu müssen, war so wie ich mich erinnere, körperlich ablesbar. Dieses Benehmen war mir unverständlich. Es ging nicht um das "Wie" sondern war ein grundsätzliches "Weshalb diese Musik". Was wir nicht wissen, ob Walter auf gleiche Widerstände stiess. Sassen dieselben Musiker im Orchester?

    Das mag ja sein. Aber in der Zeit, wo Bernstein die Wiener Philh. dirigierte, war Mahler längst etabliert und keins der weltweit führenden Orchester konnte es sich leisten, keinen Mahler zu spielen. Auch die Wiener Philh. waren damals professionell genug, Mahler zu spielen. Weswegen hatten sie wohl Bernstein engagiert? Nur Bernstein wollte eine engagierte Leistung bis zum Bersten haben, die mehr als Routine ist. ^^


    Schöne Grüße

    Holger

  • Stimmt das denn tatsächlich so?


    Warum eigentlich so bescheiden und wieso nur die deutsche und nicht gleich die komplette Weltliteratur(gesc

    Ich habe ja Germanistik studiert - und Thomas Mann war u.a. ein Prüfungsthema von mir. Thomas Mann "arbeitete" wirklich, wenn er oder besser bevor er etwas schrieb, anders als Kafka z.B. Der schrieb intuitiv drauf los. Thomas Mann dagegen - Beispiel: Der Tod in Venedig - fing erst einmal an Material zu sammeln: Erwin Rhode (klassische Philologie), Platon, dann ein Foto von Mahler, dann Georg Lukacz... Der "Held" der Figur vereinigt Züge von Mahler und Lukacz. Thomas Mann arbeitete erst seine Quellen durch und wertete sie dann sehr methodisch aus, bevor er auch nur eine Zeile aufs Papier brachte. Seinen Roman "Doktor Faustus" kann selbst ich als studierter Germanist nicht ohne gelehrten Kommentar lesen, um all die literarischen Anspielungen zu verstehen. ^^ Es gibt dafür auch einen Begriff in den Literaturwissenschaften: "Intertextualität" - er stammt von Julia Kristeva für Literatur, die andere Literatur verarbeitet, die man also nicht "werkimmanent" nur verstehen kann.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich habe ja Germanistik studiert - und Thomas Mann war u.a. ein Prüfungsthema von mir. Thomas Mann "arbeitete" wirklich, wenn er oder besser bevor er etwas schrieb, anders als Kafka z.B. Kafka. Der schrieb intuitiv drauf los. Thomas Mann dagegen - Beispiel: Der Tod in Venedig - fing erst einmal an Material zu sammeln: Erwin Rhode (klassische Philologie), Platon, dann ein Foto von Mahler, dann Georg Lukacz... Der "Held" der Figur vereinigt Züge von Mahler und Lukacz. Thomas Mann arbeitete erst seine Quellen durch und wertete sie dann sehr methodisch aus, bevor er auch nur eine Zeile aufs Papier brachte. Seinen Roman "Doktor Faustus" kann selbst ich als studierter Germanist nicht ohne gelehrten Kommentar lesen, um all die literarischen Anspielungen zu verstehen. ^^ Es gibt dafür auch einen Begriff in den Literaturwissenschaften: "Intertextualität" - er stammt von Julia Kristeva für Literatur, die andere Literatur verarbeitet, die man also nicht "werkimmanent" nur verstehen kann.


    Schöne Grüße

    Holger

    Hallo Holger,


    danke dir für die Erläuterung! Meine etwas provokante Frage oben kam mir in den Sinn, weil Thomas Mann zu meiner Zeit Schullektüre war und womöglich heutzutage immer noch ist. ( Vielleicht kann einer der Deutschlehrer hier im Forum Auskunft darüber geben, danke!) Ein Achtklässler von 14 oder 15 Jahren zum Beispiel kann aber als Voraussetzung zur Lektüre von T.M. schwerlich die komplette deutsche Literaturgeschichte (und dazu vielleicht sogar noch ein wenig klassische Philosophie) kennen.


    Nicht mal das würde aber beispielsweise bei "Tod in Venedig" ausreichen, weil man da theoretisch unter anderem ( vieles mehr, Aschenbach als Mahler-Projektion? usw.) noch über den Aufbau des antiken griechischen Regeldramas Bescheid wissen müsste, also im weitesten Sinne zumindest Teilkenntnisse über die Geschichte der Weltliteratur haben. Du hast ja oben beschrieben, wie du dich solchen Werken nähertest.


    Ich wollte noch anmerken, dass diese ganzen komplizierten Vorbedingungen, die immer wieder gestellt werden und das umfangreiche Vorwissen, welches man haben muss, um ein so schmales Büchlein von Mann oder gar ein komplexeres Musikwerk von Mahler angemessen zu rezipieren, für den normalgebildeten Mitteleuropäer schon deprimierend sind. Eigentlich ist das für Leute, die mitten im Leben stehen und zahlreiche private und berufliche Interessen und Verpflichtungen haben, schon rein zeitlich kaum leistbar. Es ist oft schon anstrengend genug, überhaupt jemanden zu motivieren, sich mit klassischer Literatur und Musik zu befassen. Wenn derjenige dann noch erfährt, was er vorher so alles gelesen und vor allem auch begriffen(!) haben und sich es auch merken(!) muss, dann wirft er von vornherein die Flinte ins Korn. Das Wissen um das notwendige Vorwissen wirkt also eher resignierend als motivierend. Irgendwann sind die Konzertsäle dann eben leer. Was soll`s.


    Das ist aber alles nicht deine Schuld. Ich stelle es nur fest und es ist nun mal so, wie es ist. Außerdem kommen wir vom immer mehr vom Threadthema ab.


    Schönes Wochenende...:hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Ein Thomas Mann setzt voraus, dass der Leser die komplette deutsche Literaturgeschichte kennt.


    Nicht nur eine umfassende Kenntnis der deutschen Literaturgeschichte setzt die Lektüre Thomas Manns voraus. Auch Musik sollte man kennen, wenn man Thomas Mann liest, und dort insbesondere Richard Wagner, der in einigen seiner Werke thematisiert wird. Tristan und Wälsungenblut sind zwei äußerst ansprechende Novellen, aber auch beim Zauberberg und den Buddenbrooks kommt man ohne eine detaillierte Kenntnis der Werke Wagners nicht aus. Da merkt man, dass Mann Wagner gut kannte. Ob er ihn in gleicher Weise auch gemocht hat, ist eine andere Frage.


    Herzliche Grüße


    Lustein

  • Ich wollte noch anmerken, dass diese ganzen komplizierten Vorbedingungen, die immer wieder gestellt werden und das umfangreiche Vorwissen, welches man haben muss, um ein so schmales Büchlein von Mann oder gar ein komplexeres Musikwerk von Mahler angemessen zu rezipieren, für den normalgebildeten Mitteleuropäer schon deprimierend sind. Eigentlich ist das für Leute, die mitten im Leben stehen und zahlreiche private und berufliche Interessen und Verpflichtungen haben, schon rein zeitlich kaum leistbar. Es ist oft schon anstrengend genug, überhaupt jemanden zu motivieren, sich mit klassischer Literatur und Musik zu befassen. Wenn derjenige dann noch erfährt, was er vorher so alles gelesen und vor allem auch begriffen(!) haben und sich es auch merken(!) muss, dann wirft er von vornherein die Flinte ins Korn. Das Wissen um das notwendige Vorwissen wirkt also eher resignierend als motivierend. Irgendwann sind die Konzertsäle dann eben leer. Was soll`s.


    Das ist aber alles nicht deine Schuld. Ich stelle es nur fest und es ist nun mal so, wie es ist. Außerdem kommen wir vom immer mehr vom Threadthema ab.

    Lieber MDM,


    es ist eigentlich paradox. Heutzutage gibt es so viele Erleichterungen, die das Leben - auch das Arbeitsleben - viel leichter machen als vor hundert Jahren! Trotzdem haben wir viel weniger Zeit! Unser Leben ist auf Minuten und Sekunden getaktet - wehe, es kommt mal ein Bus zu spät! Ich habe morgens 3 Minuten, um meinen Zug zu erreihen, und muss auch noch zum letzten Gleis laufen, sonst erscheine ich eine halbe Stunde zu spät zur Arbeit. Dann gibt es das Internet mit seinen Verführungen, eine Konsumindustrie, die uns die freie Zeit auffrisst. Da werden so viele Angebote gemacht, wo man easy und ohne Anstrenung seine freie Zeit verschwenden kann. Zur Zeit von Thomas Mann gab es Menschen, die hatten einfach Zeit zum Lesen und haben sie sich genommen. Deswegen gibt es Schriftsteller vom Typ Thomas Mann einfach nicht mehr, die für ein solche Leserschaft schreiben. Natürlich sind die Literaten heute auch noch gebildet, nur schreiben sie dann doch andere Bücher, die nicht solche immensen Anforderungen an den Leser stellen. Es könnte auch sein, dass die passive Haltung, wie man heute Informationen aus dem Netz saugt oder sich vergnügen kann, die Bereitschaft nicht gerade fördert, sich anzustrengen. Bezeichnend heißt selbst hier der entsprechende Thread "Wie konsumieren wir Musik?" Musik konsumieren wie Lachstartar? Das zeigt den Zeitgeist! Alles, was wir aufnehmen, muss leicht und bequem sein möglichst. Bloß nicht sich anstrengen! Da ist aber auch viel Trägheit. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es zum Glück immer noch genug Menschen gibt, die sich motivieren lassen. Man soll nicht so schnell aufgeben! ;) :hello:

    Nicht nur eine umfassende Kenntnis der deutschen Literaturgeschichte setzt die Lektüre Thomas Manns voraus. Auch Musik sollte man kennen, wenn man Thomas Mann liest, und dort insbesondere Richard Wagner, der in einigen seiner Werke thematisiert wird. Tristan und Wälsungenblut sind zwei äußerst ansprechende Novellen, aber auch beim Zauberberg und den Buddenbrooks kommt man ohne eine detaillierte Kenntnis der Werke Wagners nicht aus. Da merkt man, dass Mann Wagner gut kannte. Ob er ihn in gleicher Weise auch gemocht hat, ist eine andere Frage.

    Da hast Du ganz recht, lieber Lustein! Beim "Doktor Faustus", wo es auch um Schönberg und Neue Musik geht, hat sich Thomas Mann dann von Adorno beraten lassen. Beide weilten damals im amerikanischen Exil. Die Tristan Novelle ist eigentlich ja auch eine - sehr selbstironische - Parodie der Dekadenz mit dem Chopin-Nocturne... Da gibt es wiederum Bezüge: zu Joris-Karl Huysmans "Gegen den Strich". dem literarischen Klassiker der Dekadenz. Huysmans Held Des Esseintes ist auch ein glühender Wagner-Verehrer! Das ist alles kein Zufall natürlich... :)


    Euch auch ein schönes Wochenende! :)

    :hello:


    Herzlich grüßend

    Holger

  • In einem anderem Forum hat hasiewicz auf eine Live-Aufnahme der 9. Sinfonie von Georg Szell aufmerksam gemacht.

    Von Szell gab es meines Wissens bisher nur Aufnahmen der vierten und sechsten Sinfonie und des Adagios der Zehnten (und der Wunderhorn-Lieder).


    Da Szell unbestritten zu einem der interessantesten Dirigenten des 20. Jh. gehört, bin ich sehr gespannt!


    Die Aufnahme ist über Spotify & Co. verfügbar.


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  • Hallo Christian,


    berichte mal über Dein Hörerlebnis.

    In der Regel sind solche Aufnahmen, die nicht jetzt schon auf CD erschienen sind, klanglich recht mau ...

    das war auch mit Bruckners Siebter von den Salzburger Festspielen so ... || und die dann auch noch in MONO :thumbdown:...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ist in Stereo und klingt nicht schlecht für 1969 live.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich konnte bisher nur kurz in die ersten beiden Sätze reinhören, der Klang ist ok, die einzelnen Instrumentalgruppen sind überraschend gut voneinander abgesetzt, allerdings rumpelt es hier und da ein bisschen. Live eben. Allerdings geht Szell, so zumindest mein Eindruck, mit dem Tempo wenig flexibel um und hält das zu Beginn angeschlagene Tempo ziemlich konstant durch, da habe ich Abbado (mit den Berlinern ist der zweite Satz wirklich phänomenal! Wie er da das Tempo anzieht und sich überschlagen lässt - grandios!) und Bernstein und auch Chailly beweglicher in Erinnerung. Noten besitze ich leider keine von diesem Werk. Wobei ich bspw. Szells Brahms und vor allem seinen Schumann sehr gut in Erinnerung habe.


    Viele Grüße, Christian

  • Ich konnte bisher nur kurz in die ersten beiden Sätze reinhören, der Klang ist ok, die einzelnen Instrumentalgruppen sind überraschend gut voneinander abgesetzt, allerdings rumpelt es hier und da ein bisschen. Live eben. Allerdings geht Szell, so zumindest mein Eindruck, mit dem Tempo wenig flexibel um und hält das zu Beginn angeschlagene Tempo ziemlich konstant durch, da habe ich Abbado (mit den Berlinern ist der zweite Satz wirklich phänomenal! Wie er da das Tempo anzieht und sich überschlagen lässt - grandios!) und Bernstein und auch Chailly beweglicher in Erinnerung. Noten besitze ich leider keine von diesem Werk. Wobei ich bspw. Szells Brahms und vor allem seinen Schumann sehr gut in Erinnerung habe.


    Viele Grüße, Christian

    Lieber Christian,


    als ich mich in meiner Jugend in die Mahler-Symhonien einhörte, war die erste Aufnahme der 4., die ich kennenlernte, die mit Szell. Die hatte ich auf Musi-Cassette, glaube ich. Ich wurde mit der Symphonie wegen Szell nicht warm - sie war mir einfach zu streng und steif gespielt. Lieben gelernt habe ich Mahlers 4. dann mit Abbados ungemein sensibler und zugleich formsinniger wie wirklich "schöner" Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern. Noch heute halte ich sie für eine der allerbesten! Bei der 9. finde ich die Burleske bei Szell über weite Strecken beeindruckend. So "martialisch" klar und unerbittlich präzise er die Fuge angeht ist eigentlich exemplarisch - genau so kommt die bittere Ironie heraus. Die berühmte Durchbruchsstelle ist mir dann aber zu ausdruckslos. Da fehlt der Ausdruck der Trostlosigkeit - statt dessen klingt das eher nach Noten-Positivismus. Der Kopfsatz ist mir zu schulmeisterlich steif - meisterhaft präzise wiederum dirigiert und das Orchester ist Spitze. Beim Scherzo trifft er eigentlich das richtige Tempo wie Wenige. Aber mir ist das dann alles wiederum zu "akademisch". :hello:


    Liebe Grüße

    Holger

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