"Schöne Stellen"

  • Bei dem Versuch, die musikalische Schönheit des Trios aus Schuberts Streichquartett in G sprachlich erfassen zu wollen, ist mir wieder einmal das Grundproblem der Fragestellung dieses Threads bewusst geworden. Ich kenne es seit langem. Es ist die Unmöglichkeit, die klangliche Schönheit einer melodischen Linie in Worte zu fassen. Im Falle von Franz Schubert erweist sich das als ein ganz besonders drängendes Problem, weil seine Musik ganz und gar aus der Melodik lebt, - als drängten sich seine Lieder auch in den komplexen Satz der Kammermusik und Sinfonik, um sie auf den Nenner ihres Wesens und ihrer eigentlichen musikalischen Aussage zu bringen.


    Eine späte, wenn auch nicht zu späte Erkenntnis.


    In diesem Thread wird immer wieder auf die absolute Subjektivität der Klassifizierung eines musikalischen Werkes oder einer Stelle daraus als „schön“ hingewiesen. Mir kommt es zuweilen so vor, als würde sie regelrecht reklamiert, - als Ausweis des je eigenen, ganz und gar unvergleichlichen Urteilsvermögens.


    Eine haltlose und wohl auch das Gegenteil der tatsächlichen Meinungen unterstellende Vermutung.

    Adorno liefert in den meisten Fällen Angaben zur Lokalisierung der jweiligen Stelle in der Partitur.


    Dafür sei Herrn Adorno gedankt ohne sich zugleich zu seinem Sprachrohr machen zu wollen.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zu den - sich in ihrer Sinnhaftigkeit mir nicht erschließenden - Kurzkommentaren von zweiterbass zu meinen letzten Beiträgen hier möchte ich meinerseits nicht Stellung nehmen. Das wäre nicht sachdienlich.


    Viel sinnvoller erscheint es mir hingegen, unter Anknüpfung an meinen Beitrag zum Trio aus Schuberts Streichquartett in G und die Frage, was darin gleichsam konstitutiv für musikalische Schönheit sein könnte, auf das Phänomen der harmonischen Rückung kurz einzugehen. Hier im Trio ist es eine Rückung von G-Dur nach H-Dur.


    Ich hatte meinen diesbezüglichen subjektiven Höreindruck mit den Worten zu umschreiben versucht: Es ist, als sei das, was man gerade gehört hat, in eine Art überirdische Helle gerückt worden. Und beim nochmaligen Überprüfen dieses Höreindrucks bestätigte sich das. Musikalische Schönheit ist also nicht nur eine Sache der Melodik – wie man letzter Beitrag, Schubert betreffend, suggerieren mag - , auch die Harmonik hat zuweilen daran eine ursächlich relevanten Anteil. Auch er ist freilich ebenso schwer sprachlich zu fassen.


    Schubert arbeitet mit diesem Prinzip der harmonischen Rückung im Rahmen der Terzverwandtschaft häufiger. Adorno verweist in diesem Zusammenhang auf das Lied „Musensohn“ und merkt zu seinem Musikbeispiel („Schubert, Musensohn, vom ersten Instrumentalzwischenspiel an bis zu >Blüten am Baum<“) an:


    „Gemeint ist jenes Element des von dem bloßen Dasein sich Entfernenden, den Geist Verzaubernden, welches, wie in dem Goetheschen Gedicht, Kunst selber definiert. Die H-Dur-Wirkung wiederholt sich denn auch dort, wo der Gesang des Dichters bei der Linde, nach seinem Wort, das junge Völkchen erregt.“

    Es geht mir hier, wie so oft bei Adorno: Ich spüre und ahne, dass da etwas ganz Wesentliches über eine Musik ausgesagt wird, die ich recht gut zu kennen vermeine. Es stellt sich eine Art schlechtes Gewissen ein, dass ich dieses „Wesentliche“ bislang noch nicht erkannt habe.
    Aber ich weiß nach reichlichem Sinnen über Adornos Worte immer noch nicht, worin es nun eigentlich besteht.

  • Zit. Johannes Roehl: "Leider sind etliche Passagen nur als Seitenangaben in bestimmten Notenausgaben angegeben, damit schwer lokalisierbar,..."

    Wenn ich das ein wenig ergänzen darf? Adorno liefert in den meisten Fällen Angaben zur Lokalisierung der jweiligen Stelle in der Partitur. Ein ( beliebiges) Beispiel:


    "Brahms, Klavierquintett, Andante un poco adagio, Eulenburgpartitur, S.29, die beiden letzten Takte vor dem Einsatz von E-Dur und dann die E-Dur-Wendung. Mit dem Akkord auf e, also im vorletzten Takt der Seite, schließen."


    Mit ein wenig Mühe kann man die jeweiligen Stellen alle finden, die er bespricht. Man muss dazu nicht die Notenausgabe vorliegen haben, auf die er sich bezieht.


    Da es leider nur selten durchlaufende Taktzahlen sind, sondern oft Seitenzahlen spezifischer Ausgaben, die nicht unbedingt alles online einsehbar sind, erfordert das mehr Mühe als ich mir mal so eben machen wollte (das Abtippen hat mir auch so gelangt...); ich werde versuchen, die bislang noch sehr ungenau ausgewiesenen Passagen bei Gelegenheit nachzutragen. Es war eben eine Radiosendung und er hat das Medium durchaus sinnvoll genutzt, in dem er mehrfach davon Gebrauch macht, Einzelstimmen vorspielen zu lassen. Darauf müssen wir halt verzichten, da ich das Tape nicht mehr habe/finde.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Schubert Streichquartett D887, Scherzo


    Hallo,


    eine Vorbemerkung: Was Schubert damit musikalisch mitteilen wollte, kann ich nicht sagen; es handelt sich weder um textbasierte noch inhaltlich unterlegte Musik, es sein denn, er hätte sich zu diesem Werk, zu diesem Satz, detailliert ausgelassen, was ich weder weiß, geschweige denn kenne, wenn es solches gäbe. (Dies gilt auch für Herrn Adorno, die letzte Annahme ausgenommen, denn wenn…, dann kennte das Herr Adorno.)


    Was ich jedoch sagen kann, ist was ich höre, wie dieses Musikstück auf mich wirkt, welche Emotionen es in mir weckt - unabhängig davon, was Schubert ausdrücken, mitteilen wollte.


    Dies Alles aber ohne irgendeine Sicherheit zu haben, dass meine Auffassung richtig sein könnte und ich mich dem musikalischen Vermächtnis Schuberts in diesem Satz habe nähern können. An einem allgemeingültigen Richtigkeitsanspruch überhaupt habe ich (auch nicht mal nur ansatzweise) nicht gedacht.


    Ich habe das Scherzo in den vergangenen Tagen oftmals gehört.


    Für mich gibt es drei wesentliche Bestandeile, welche die Eigenart des Scherzos charakterisiert:


    1.Das ganze Scherzo besteht überwiegend - in allen Stimmen - aus Achtelnoten; die Tempobezeichnung ist "Allegro vivace", was zur Folge hat, dass die einzelne Achtelnote - oft sechs Achtelnoten je ¾-Takt, ebenso oft auf stets dem gleichen Ton und über mehrere Takte hinweg - kaum hörbar ist, sondern diese Achtelnotenreihen einen wie vibrierend Klang erzeugen. Außerdem werden immer wieder auf die Stimmen verteilte Pausentakte oder Takte mit punkt. Viertelnoten eingeschoben.
    Dies allein ergibt schon ein überaus unstetes, ja geradezu nervöses Klangbild.


    2. Die Dynamik wechselt oft unvermittelt zwischen pp oder p zu f oder ff
    Dieser sehr wechselnde dynamische Aufbau, addiert zu dem Klangbild von 1, bringt eine sehr große Unruhe, Aufgeregtheit und Hektik hinzu.


    3. Das Scherzo wechselt durch viele Tonarten und -geschlechter, dabei ohne große Rücksicht auf das eben noch vorgefundene Harmonikgefüge, sprich die Akkordübergänge und -folgen sind hart, oft übergangslos.
    Wenn sich nun diese Harmonik mit dem Klangbild von 2. vermischt, dann ergibt es die Charakteristik des Scherzos: Ein fast aus den Fugen geratendes Musikgebäude aus Harmonikunruhe, nervöser, tempobedingter Aufgeregtheit und dynamischer Hektik.


    4. Einen vierten Bestandteil gibt es nicht, denn 1. - 3. verhindern ein melodiöses Klangbild.


    Wie wirkt das auf mich?
    Ich fühle mich der Sicherheit beraubt, ungeborgen. ra/s/tlos, aufgewühlt, fast ängstigend. Ich möchte, dass dieses Stück endet, empfinde es zugleich äußerst beeindruckend und bin ambivalent angespannt.


    Zum Trio mein nächster Beitrag.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Werte Leser,


    da sind wir ja mal wieder in einen schönen theoretischen Sumpf geraten.


    Eine Frau kann schön sein, eine Aussicht oder Ansicht oder eine Stelle in einem Musikstück. Hier soll sie also isoliert werden, wie das bei Schönem nun mal so ist. es ragt heraus, ist was Besonderes, meistens in Übereinstimmung von vielen Meinungen, quasi ein Massenprodukt.


    Schön nutzt sich ab, ist temporär, oft oberflächlich. Zeitlich begrenzt, sowohl in der Veränderung durch äußere Einflüsse wie auch durch den "Nutzer", wird schnell langweilig in seiner Begrenztheit, ein Ideal , das in sich selber fad wird.


    Wie Johannes habe ich meine Hörerkariere mit der Suche nach schönen Stellen begonnen. Es hat etwas Kindliches, für einen selber Unverfälschtes, jenseits allen Deutungswahnes.


    Doch ich bin kein Kind geblieben. Gott sei Dank.


    Die Sehnsucht nach dieser Lebensphase scheint in unserer Gesellschaft weit verbreitet zu sein , zurück in die Unbedarftheit und Geborgenheit der Kindheit.


    Aber zurück zum Thema. Ich habe eine musikalische Entwicklung als Hörer durchlebt, die ich nicht mehr missen möchte. Erfahrungen, die mich zu mir selber geführt haben und der Prozess geht weiter. Darin haben schöne Stellen höchstens noch einen Moment der Aufmerksamkeit, ein Beweis für die Könnerschaft eines Komponisten.


    Jedem das Seine, mir bitte immer den Kontext zum Schönen.


    Viele Grüße Thomas

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  • Zit. Thomas Sternberg: "...da sind wir ja mal wieder in einen schönen theoretischen Sumpf geraten. "


    Was für ein Sumpf? Ich sehe keinen. Es werden "Stellen" aus musikalischen Werken vorgestellt - wie das bei dem Trio aus Schuberts Klavierquartett in G zum Beispiel geschen ist - , und es wird danach gefagt, was diesen Eindruck von musikalischer Schönheit bewirkt haben könnte. Das geschieht über eine Beschreibung von Elementen der kompositorischen Faktur. Eine Beschreibung ergibt nur dann einen "Sumpf" wenn sie unpräzise ist. Ansonsten steht man da auf einigermaßen festem Boden.


    Zit.: "Hier soll sie also isoliert werden, wie das bei Schönem nun mal so ist."


    Schönheit ist immer ein singuläres Phänomen. Das ist ein Element ihrer Wesenheit. Sie muss nicht "isoliert" werden, denn sie begegnet einem in dieser Form.


    Zit.: "Schön nutzt sich ab, ist temporär, oft oberflächlich."


    Nicht das Schöne nutzt sich ab, sondern der Blick dafür kann das tun. Dieser Prozess ist aber umkehrbar. Der Blick für das Schöne ist bildbar.

  • Ich habe eine musikalische Entwicklung als Hörer durchlebt, die ich nicht mehr missen möchte. Erfahrungen, die mich zu mir selber geführt haben und der Prozess geht weiter. Darin haben schöne Stellen höchstens noch einen Moment der Aufmerksamkeit


    Es tut unheimlich gut, einen solchen Satz zu lesen :jubel::jubel:... und der Prozess geht weiter .... wie schön :!:


    Wäre das nicht was, für einen neuen Threat ? Ich hab mich bis jetzt immer als sehr naiven Hörer empfunden, weil ich einfach nicht "fertig werde" mit meiner Entwicklung als Hörer. Das Wort 'Entwiclung' gefällt mir in diesem Zusamenhanb besonders gut. Ich hatte bisher immer all die Leute 'bewundert', die schon als Teenager Wagnerianer waren. Vielleicht war das gar nicht nötig. Welche Hörerkariere macht man denn normalerweise so durch? Oder ist dass, was ich erlebe bloß ein Herumirren. Oder steckt da etwa System dahinter - Alters-abhängig ?


    Zum Isolieren: Bei aller musikalischen Laienhaftigkeit höre ich immer noch alle Sonaten als Ganzes - nie einen schönen Satz allein oder eine "schöne Stelle". Gibt es jemand, der eine CD zurückspult, um eine schöne Stelle noch mal zu hören ? Ist diese Stelle dann noch schön ?

  • Zit. seicento: " Bei aller musikalischen Laienhaftigkeit höre ich immer noch alle Sonaten als Ganzes - nie einen schönen Satz allein oder eine "schöne Stelle". Gibt es jemand, der eine CD zurückspult, um eine schöne Stelle noch mal zu hören ? Ist diese Stelle dann noch schön ?"


    Da scheint mir ein Missverständnis der Zielsetzung dieses Threads vorzuliegen. Selbstverständlich ist eine Sonate oder ein Streichquartett dazu komponiert, es "als Ganzes" gehört zu werden. Was hier in diesem Thread geschieht - und was Adorno in seinem Rundfunkvortrag gemacht hat - , das ist im Grunde etwas "Künstliches". Man lenkt seinen Blick gezielt auf eine Stelle, die durch eine ganz bestimmte Eigenschaft aus dem Ganzen gleichsam herausragt: Ihre im Rezeptionsprozess so empfundene besondere klangliche Schönheit.


    Dabei ereignet sich aber nicht wirklich eine "Isolation", - wenn man es so macht, wie Adorno es getan hat. Er weist nämlich immer wieder darauf hin - und belegt das auch! - dass diese klangliche Schönheit sich erst im musikalischen Kontext als solche offenbart.


    Das Ganze des Werkes bleibt beim Betrachten der einzelnen schönen Stelle also durchaus im Blick. Ich sprach bei meiner Betrachtung des Trios von einer "klanglichen Interaktion" zwischen diesem Trio und der kompositorischen Faktur des Scherzos insgesamt. Gerade im Kontrast zwischen der verstörenden, ja fast beängstigenden rhythmischen, melodischen und harmonischen Hektik dieses Scherzos wirkt die klangliche Ruhe, die von dem Trio ausgeht, erst wirklich schön.


    Hörte man es ganz allein, also wirklich isoliert, so behielte es diese klangliche Schönheit zwar durchaus, sie wirkte aber wie eine Art Abklatsch dessen, was man vernimmt, wenn man Das Trio im Kontext des ganzen Scherzos hört. Erst dann entfaltet es sein musikalisches Leben und die wahre Leuchtkraft seiner klanglichen Schönheit.

  • Das Ganze des Werkes bleibt beim Betrachten der einzelnen schönen Stelle also durchaus im Blick. Ich sprach bei meiner Betrachtung des Trios von einer "klanglichen Interaktion" zwischen diesem Trio und der kompositorischen Faktur des Scherzos insgesamt. Gerade im Kontrast zwischen der verstörenden, ja fast beängstigenden rhythmischen, melodischen und harmonischen Hektik dieses Scherzos wirkt die klangliche Ruhe, die von dem Trio ausgeht, erst wirklich schön.




    Lieber Helmut,


    Du hast natürlich recht in dem von Dir angeführten Beispiel, das von der klanglichen Interaktion einen Teil seiner Wirkung bezieht, nur glaube ich, dass es einer Interaktion nicht immer bedarf.


    Der Triumphmarsch aus Aida oder das La donna é mobile stehen doch auf eigenen Füßen und erzielen ihre Schlagkraft aus sich heraus.


    Will man sich respektlos ausdrücken, könnte man sagen, dass das Drumherum bei den genannten Stücken viele Hörer eher stört.


    Damit möchte ich auch Seicentos Frage beantworten: Ja, es gibt jemand, der eine CD zurückspult um sich eine gewisse Stelle noch mal anzuören. Ob die immer schön sein muss, ist dahingestellt, es reicht, dass sie interessant ist. Natürlich kann man sich tot hören, das lässt sich trotz aller Vorsicht nicht immer vermeiden, doch mehrmaliges Anhören führt nicht selten auch zu neuen Erkenntnissen.

  • Selbstverständlich ist eine Sonate oder ein Streichquartett dazu komponiert, es "als Ganzes" gehört zu werden.


    Das stimmt für große Teile der Musik nicht.


    Es war bis weit ins 19. Jhd. hinein üblich, einzelne Sinfoniesätze zu geben. Die Komponisten waren sich dieser Praxis selbstverständlich bewusst. Selbst einige Sätze von Bruckner-Sinfonien erblickten auf diese Weise das Licht der (öffentlichen) Welt.


    Die Verklärung einer Sinfonie, einer Oper, einer Sonate, eines Streichquartetts usw. zu einem Ganzen, das nur ungeteilt und in andachtsvoller Haltung bei gedämpftem Licht rezipiert werden dürfe, ist eine kunstmetaphysische, die in Teilen auf Wagner zurückgeht und im 20. Jhd. ihren Höhepunkt hatte. Aber selbst in Wagners Ring gibt es Pausen, und sogar Wagner konzipierte mindestens ein Konzertprogramm mt Ausschnitten seiner Musikdramen.


    Dass Komponisten mehrsätzige Werke gelegentlich mit satzübergreifenden, d. h. zyklusstiftenden Elementen versahen, widerspricht dem nicht.


    :hello:

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  • Zit. : "Das stimmt für große Teile der Musik nicht."
    Bezug: "Selbstverständlich ist eine Sonate oder ein Streichquartett dazu komponiert, es "als Ganzes" gehört zu werden."


    Es ist zu unterscheiden zwischen der Aufführungspraxis und dem Werk selbst. Es ist richtig, dass bis weit ins 19. Jh. hinein bei öffentlichen Konzerten nur Teille eines musikalischen Werkes aufgeführt wurde, - z.T. sogar in recht bunter Mischung mit anderen Werk-Teilen und Gattungen. Da wurde ein aus unserer heutigen Sicht teilweise unmöglicher Mischmasch zur Aufführung gebracht.


    Spätestens seit der Entwicklung des Künstler- bzw. Komponisten-Bewusstseins Ende des 18./Angfang des 19. Jhs. (spätestens also seit Beethoven) versteht der Komponist sein Werk als eine musikalische Einheit, bei der die Teile zueinander gehören. Eine schlichte Werk-Analyse einer Sinfonie, eines Kammermusik-Werkes oder einer Klaviersonate lässt deutlich werden, wie sehr die einzelnen Teile - die Sätze zum Beispiel - in allen Elementen der Faktur aufeinander abgestimmt sind.


    Aus vielerlei Quellenzeugnissen wissen wir, wie bewusst die Komponisten dabei vorgegangen sind, d.h. wie sehr sie das Werk in seiner Gesamtheit als künsterische Aussage verstanden, die verloren geht, wenn das Werk bei der Aufführung auseinandergerissen wird. Dass man sich oft nicht daran hielt, wurde - aus Gründen ökonomischer und sonstiger Abhängigkeit - zähneknirschend hingenommen.

  • Die Verklärung einer ... Sonate ... usw. zu einem Ganzen, das nur ungeteilt und in andachtsvoller Haltung bei gedämpftem Licht rezipiert werden dürfe, ist eine kunstmetaphysische, die in Teilen auf Wagner zurückgeht und im 20. Jhd. ihren Höhepunkt hatte.

    ... und im 21. Jhd. offenbar wieder in Frage gestellt wird. Jedenfalls drängt sich dieser Eindruck auf, wenn ich heute die Rezension (*) vom 17.05.2012 eines "Kammerkonzerts" in der ausverkauften Kölner Philharmonie, einem 2.000-Seelen-Saal, lese. David Garrett, Violine, Julien Quentin, Klavier, und Marcus Wolf, Gitarre. Auf dem Programm: Johannes Brahms, 2. Violinsonate, Ludwig van Beethoven, Kreutzer-Sonate, diverse Eigenarrangements meist nach Fritz Kreisler.


    Der Rezensent findet durchaus lobende, aber auch kritische Worte zu Garretts Spiel und meint zur Sensibilität des Publikums für schöne Stellen: "Das begeisterungsfähige Publikum bestand aus Jung und Alt, klatschte nach jedem Sonatensatz bei Johannes Brahms und Ludwig van Beethoven und ließ seine iPhones so gewitterartig blitzen, dass die Ordnungskräfte mit ihren Mahnungen nicht mehr nachkamen." (*) Genau: heute, im 21. Jhd., klatscht man nach jedem Sonatensatz von Brahms und Beethoven - pfeif' auf die kunstmetaphysische Verklärung des Kunstwerks als unteilbar zu genießende Gesamtheit.


    Daraus folgt:
    1. Es behaupte keiner mehr, Kammerkonzerte seien nicht gut besucht. 2. Es ist offensichtlich und ich finde es herrlich, dass das Publikum bei Beethoven und bei Brahms "schöne Stellen" am laufenden Band hört und sich vor Begeisterung kaum zurückhalten kann.


    (*) Zitat: (Autor: Christoph Zimmermann, General-Anzeiger Bonn, entnommen am 17.05.2012 aus hatetepe://www.general-anzeiger-bonn.de/lokales/kultur/David-Garrett-ueberzeugt-mit-Durchdachtem-und-Raffiniertem-article764194.html)

  • Zit. Ullrich: "... und im 21. Jhd. offenbar wieder in Frage gestellt wird. "


    Das ist richtig. Diese Tendenz gibt es. Ich würde sie aber nicht verallgemeinern. Auch in das Konzert mit klassischer Musik dringt inzwischen die Event-Kultur ein. Daraus aber die Schlussfolgerung zu ziehen, dass dies eine positive Entwiclung sei, weil auf diese Weise die Besucherzahl bei Konzerten wieder steigt, scheint mir ein sehr vordergründiger Blick auf die Dinge zu sein.


    In der öffentlichen Diskussion wird diese Entwicklung zwar kontrovers beurteilt. Mehrheitlich sind sich Musikjournalisten und die Musikwissenschaft aber einig darin, dass diese Entwicklung problematisch ist, weil das musikalische Werk dabei Schaden nimmt. Die Abstellung des Hörens auf den Effekt ist dabei der eigentlich problematische Faktor. Das kultiviert ein Rezeptionsverhalten, das den Zugang zum musikalischen Werk selbst letzten Endes verbaut, weil es an seiner Oberfläche ansetzt und dort verbleibt.

  • :hahahaha:
    Ehrlich? Problematisch?


    Ich dachte, es wär' super, wenn die Musikhörer endlich mal ganz unverstellt auch das in der Musik von Beethoven und Brahms wiederfinden, wofür sie mal mindestens auch geschrieben wurde: Spaß an der Freud'.


    Aber hast schon Recht: diese "Eventkultur" hat schon was Ekliges. :stumm:


    Für meine Vordergründigkeit entschuldige ich mich auch recht artig. Ich bin so niveaufrei, ich kann nicht anders.

  • Zit:" ...das in der Musik von Beethoven und Brahms wiederfinden, wofür sie mal mindestens auch geschrieben wurde: Spaß an der Freud'."


    Wenn man nachliest, was Komponisten (klassischer Musik) des neunzehnten Jahrhunderts und der Folgezeit über den Sinn ihrer Tätigkeit und das Ziel, auf das diese ausgerichtet ist, gesagt haben, findet man genau dieses zu allerletzt: "Spaß an der Freud".


    Aber ich glaube: Wir bewegen uns eben mal wieder von der zentralen Fragestellung des Threads weg. Es geht hier ja nicht, wenn ich das anmerken darf, um den Aspekt "Rezeption klassischer Musik", sondern um die Frage: Was sind "schöne Stellen" in der Musik, und was macht sie zu solchen?

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  • Ich dachte, es wär' super, wenn die Musikhörer endlich mal ganz unverstellt auch das in der Musik von Beethoven und Brahms wiederfinden, wofür sie mal mindestens auch geschrieben wurde: Spaß an der Freud'.


    Na ja, dagegen ist wohl nichts einzuwenden und vielleicht sollten wir Alten mal auch in neuen Bahnen denken. Geklärt ist allerdings nicht, ob das enthusiastische junge Publikum glaubt, es müsse nach jedem Satz applaudiert werden und sich damit nur einer falsch verstandenen Konvention anpasst, oder ob schiere Begeisterung sie hinreißt. Jugendliche Spontanität hat ja immer etwas Erfrischendes an sich und wir alle sollten uns darüber freuen, dass unseren Göttern ein Weiterleben gesichtert ist.


    Doch alles stößt auf seine Grenzen. Die Winterreise nach jedem Lied zu unterbrechen, würde die Struktur des Werkes völlig verdecken und dem Hörer wie dem Sänger nach jeder lautstarken Unterbrechung einen erneuten Einstieg abverlangen. Das, glaube ich, wünscht vorläufig noch niemand, wenigstens nicht in Europa.


    In den USA denkt man darüber anders, wenn man Birgit Nilsson glauben darf, die einmal von geradezu haarstäubenden Zuständen an der Met berichtet hat.
    Sogar beim Tristan sollen die Besucher ungeniert ein- und ausgegangen sein.


    Vielleicht ist dort der Verkauf von Popcorn unter der Ouverture die nächste Stufe?
    Die Oper hat ja schließlich noch nicht richtig angefangen.

  • Wenn ich zurückblicke:
    Mit Beitrag 100 hat dieser Thread eine Richtung eingeschlagen, die ihn von seinen Quellen abführt. Es wäre zu wünschen, dass dies nicht so weitergeht.

  • Ich biete mal ein paar Kategorien an:


    - das sinnfällig Schöne


    - das verborgene (kryptische?) Schöne


    - das umfassend Schöne


    - das schöne Detail


    - das selbständig Schöne

    - das kontextuell Schöne (z.B. aus dem Kontrast, per aspera ad astra)


    - das absichtsvoll Schöne (z.B. Puccinis schmelzende Unisono-Kantilenen)


    - das absichtslos Schöne ('She dwelt among the untrodden ways')



    zu Adorno fällt mir noch ein: das philologisch Schöne (ein Produkt der Belesenheit, diese unter Beweis stellend).



    In der Kochkunst werden die Ingredenzien, Würzen und Aromen durch den Speisebrei miteinander verbunden, in der Musik alle Einzelheiten durch den Klangbrei. In der Literatur ist dieser Kleister der Stil. Aus einem Gedicht mag ein Vers, aus einem Vers ein einzelnes Wort hervorleuchten. Im übrigen gilt:


    Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Hallo,
    bevor ich, wie angekündigt, zum Trio des Scherzos D887 schreibe, kann ich mir einige Anmerkungen nicht verkneifen.

    meistens in Übereinstimmung von vielen Meinungen, quasi ein Massenprodukt.


    Mit diesem Vorurteil (oder kannst Du diese Meinung belegen?) liegst Du m. E. völlig daneben - in div. Threads lesen hilft.


    Ich habe eine musikalische Entwicklung als Hörer durchlebt, die ich nicht mehr missen möchte. Erfahrungen, die mich zu mir selber geführt haben und der Prozess geht weiter.


    Bezugnehmend auf Deine Beiträge: Wo bist Du angekommen und wie geht's weiter?




    Nachdem ich "schöne Stellen" als emotional bewegende Stellen verstehe und dies in vielen Beiträgen, nicht nur in diesem Thread, vertreten und belegt habe und dies individuell höchst unterschiedlich ist, sehe ich in dem Begriff "schönen Stellen" nur den falschen Ausdruck als für Musikhörer etwas sehr Wichtiges.


    Zum Trio, das kommt am Freitag.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Nun, Beiträge 100ff mögen sein wie sie sind. Beitrag 107 schent mir jedenfalls keine "schöne Stelle" zu sein. - Wenn sich ein Fluss nie von seiner Quelle entfernen würde, könnte er nie zum gewaltigen Strom werden. Es gab allerdings zu allen Zeiten Pädagogen, die vor allem darauf achten, dass ihr eigener geistiger Tellerrand das äußerste Limit dessen ist, was sie ihren Zöglingen an Denkradius zugestehen.


    Es ist richtig, dass bis weit ins 19. Jh. hinein bei öffentlichen Konzerten nur Teille eines musikalischen Werkes aufgeführt wurde, - z.T. sogar in recht bunter Mischung mit anderen Werk-Teilen und Gattungen. Da wurde ein aus unserer heutigen Sicht teilweise unmöglicher Mischmasch zur Aufführung gebracht.


    Wer so schreibt, könnte Bescheidenheit lernen, wenn er bedenken würde, dass die Helmut Hofmänner des 22. Jhds. genauso überheblich über die Äußerungen der Helmut Hofmänner des 21. Jhds. schreiben werden, wie die Helmut Hofmänner des 21. Jhds. über Konzertpraxis früherer Zeiten schreiben.


    Spätestens seit der Entwicklung des Künstler- bzw. Komponisten-Bewusstseins Ende des 18./Angfang des 19. Jhs. (spätestens also seit Beethoven) versteht der Komponist sein Werk als eine musikalische Einheit, bei der die Teile zueinander gehören.


    Zum Beispiel bei Rossini, der bei seinen Opern ungeniert bei sich selbst abschrieb und älteres Material in neuer Funktion wiederverwertete.


    Aus vielerlei Quellenzeugnissen wissen wir, wie bewusst die Komponisten dabei vorgegangen sind, d.h. wie sehr sie das Werk in seiner Gesamtheit als künsterische Aussage verstanden, die verloren geht, wenn das Werk bei der Aufführung auseinandergerissen wird.


    Mindestens genauso viele Quellenzeugnisse berichten uns darüber, wie uneins die Komponisten mit sich selbst bzgl. der Form "im Großen" waren. - Mahler eliminierte nachträglich den "Blumine"-Satz aus der 1. Sinfonie, der erste Satz der 2. Sinfonie war ursprünglich eine eigenständige sinfonische Dichtung mit dem Titel "Todtenfeier", die Reihenfolge der Mittelsätze in der 6. Sinfonie scheint immer noch ungeklärt.

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  • Bezugnehmend auf Deine Beiträge: Wo bist Du angekommen und wie geht's weiter?


    Hallo Zweiterbass,


    Du bist jetzt der zweite, den das interessiert. Wäre das nicht - wie ich oben schon mal vorgeschlagen habe - etwas für einen neuen Threat "Hörerkarrieren der Taminos" ? Mich verwirrt es tatsächlich ein bisschen, dass sich meine Präferenzen etwa alle 10 Jahre ändern. Ich wüsste gern, ob es andern auch manchmal so geht. Kommt man denn jemals wirklich an ?

  • Der letzte, diesen Thread kategorial möglicherweise hier wirklich weiterführende Beitrag scheint mir der von farinelli (Nr.108) zu sein.


    Es wäre alllerdings darüber nachzudenken, wie weit die von ihm aufgelisteten kategorialen Aspekte wirklich allesamt auf das Phänomen "musikalisch schöne Stelle" anwendbar sind. Ich fände eine Diskussion darüber reizvoll! Interessant finde ich zum Beispiel die Kategorie "das kontextuell Schöne". Denn darauf bin ich gerade bei meiner Betrachtung des Trios in Schuberts Streichquartett als einer "schönen Stelle" gestoßen.


    Einen Einwand habe ich freilich: Das ist die Kategorie des "philologisch Schönen". Sie scheint mir lediglich eine geistvolle Spitze gegen Adorno zu sein, - und deshalb nicht hierher gehörig.

  • youtube ist das Paradies der schönen Stellen; und ich biete gleich mal eine ganz besonders gelungene an:


    http://www.youtube.com/watch?v=60zOGLUcJfs&feature=related


    Schön nicht allein wegen der schönen Martha Eggert und ihrer bezaubernd mädchenhaften Stimme. Schön auch wegen der letzten intakten Verbindung deutschen Humors und deutscher Innigkeit zur Spitzwegromantik, zur stilistischen Welt des Singspiels und zur Welt unserer Großeltern. Wenn man das von ganzem Herzen hört, so atmet man gleichsam eine andere Luft, ausnahmsweise und eingedenk der bösen Zeiten, denen es vielleicht mehr abgerungen als verdankt ist.


    P.S.: (für Helmut, eigens)


    http://www.youtube.com/watch?v=QuaGuwrwGtY&feature=related


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Zunächst, werter Helmut,


    sollte das mit dem Sumpf ironisch gemeint sein. Hätte ein smile setzen müssen.



    Zitat

    Nicht das Schöne nutzt sich ab, sondern der Blick dafür kann das tun. Dieser Prozess ist aber umkehrbar. Der Blick für das Schöne ist bildbar.


    Wie sieht es mit dem Alterungsprozess aus, z.B. eines Tonträgers?



    Schönheit ist vergänglich. Wer das nicht akzeptiert, träumt.



    Hallo zweiterbass,


    soll man denn jemals ankommen? Ein Mensch kann nie auslernen, falls er das zulässt. Herrlich...

  • Hallo Thomas Sternberg,


    Wie sieht es mit dem Alterungsprozess aus, z.B. eines Tonträgers?


    hat der Alterungsprozess eines Tonträgers etwas mit der "Schönheit" der darauf befindlichen Musik zu tun?

    soll man denn jemals ankommen? Ein Mensch kann nie auslernen, falls er das zulässt. Herrlich...


    Es war auch nicht nach einem Endstadium gefragt, sondern nach dem aktuellen Stand (außer Beethoven).

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Zit. Thomas Sternberg: "Schönheit ist vergänglich. Wer das nicht akzeptiert, träumt."


    Ja natürlich, - weil alles vergänglich ist. Was soll mit dieser Feststellung ausgesagt werden?


    Es geht hier übrigens um ein altes Problem der philosophischen Ästhetik: Die Frage der Abhängigkeit des sog. idealen Seins von seinem materiellen Träger. Es gibt eine philosophische Richtung, die vertritt die Auffassung, dass z. B. ein musikalisch-schönes Werk wie das hier besprochene Trio aus Schuberts Streichquartettin G schön bleibt, - unabängig davon, ob sein materieller Träger, die Noten also, weiter existiert. Darüber kann man streiten. Unstrittig ist aber, dass die Zeitgebundenheit von Schönheit von anderer Art ist als die ihres materiellen Substrats.

  • Die mir von farinelli eigens unter P.S. präsentierte - gewidmete? - Interpretation des Schubert-Ständchens bei You Tube habe ich mir angehört. Zunächst einmal bedanke ich mich dafür. Aber - nichts füt ungut - : Für meine Ohren schwer erträglich! Als eine "schöne Stelle" würde ich das nicht bezeichnen.


    Ich räume aber gerne ein, dass dies ein sehr subjektives Urteil ist.

  • Schubert Streichquartett D887, Trio des Scherzos


    Hallo,


    es gelten natürlich ebenfalls die Vorbemerkungen wie zum Scherzo.

    Für mich gibt es zwei wesentliche Bestandeile, welche die Eigenart des Trios charakterisiert:


    1. Die Melodik,
    2. aber auch die Harmonik (das Scherzo steht in h-Moll steht, das Trio in G-Dur) bestimmen das Trio, was ich nur gemeinsam betrachten kann.
    Das Trio beginnt zwar mit 2 Takten punkt. Halbenoten und 2 Takten je 3 Viertelnoten (stacc.) auf -h-, das höre ich als Brücke*, weil das -h- (-h"- im Scherzo) in G-Dur leitereigen ist.
    Dann stellt das Cello die eingängige, liedhafte, sangliche Melodie vor, welche die 1.Violine sofort wiederholt, was insgesamt wiederholt wird; die Begleitstimmen sind vorwiegend quart- und quintbestimmt.
    Im Mittelteil des Trios wird die Melodie variiert, dabei ist in den ersten 4 Takten in der 1. Violine
    das zu hören, was sofort anschließend in den nächsten 4 Takten in der 2.Violine erklingt, aber: Nur im Mittelteil durchbricht nach dem Tonartwechsel eine Terzenseligkeit die vorherige Harmonik.


    3. Einen dritten und vierten Bestandteil gibt es nicht, weil die Dynamik überschau- und vorhersehbar wechselt und der Rhythmus. ¾-Takt, Allegretto - also wesentlich ruhiger als das Scherzo - auch von untergeordneter Bedeutung ist.


    Wie wirkt das auf mich?
    Das Trio wirkt ausgleichend, entspannend, beruhigend; aber ich kann mich zwischen zwei unterschiedlichen Gefühlseindrücken der Musik nicht entscheiden:
    Durch die Brücke* in -h- höre ich "wie im Unterbewusstsein" die Harmonik des Scherzos weiter, die erst durch die Terzenseligkeit eliminiert wird.
    Handelt es sich bei der betörenden/bezaubernden Terzenseligkeit um etwas wie "übertünchen", einen kurzfristigen Gefühlsüberschwang, der verloren geht, wenn der Zauber des Betörens seinen (vordergründigen?) Reiz verloren hat?


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Caro Helmut,


    das überrascht mich nun wieder. Man könnte, selbstredend, auf das Vordergründige abstellen, die erfundenen Situationen und die greifbare Kolportage. Aber der Film behauptet ja gar nicht historische Korrektheit.


    Als Rollengedicht ist Schuberts Ständchen eigentlich bloß von einem Mann gesungen denkbar. Es ist nun der unwiderstehliche Kunstgriff im Film, ausgerechnet dieses Lied einer Frau zu geben, die es gleichsam im Sinne der darin verborgenen Sehnsüchte ausspricht. "Komm beglücke mich!" ist ein verblüffender, entwaffnender Tausch des Gesichtspunkts.


    Im übrigen finde ich die stimmlichen Möglichkeiten der Eggert, das Ebenmaß der Tonbildung und zumal das Piano, einfach hinreißend (das Lied wird ja kaum je erträglich gesungen, Alfred formulierte das mal mit: "LAHAISE FLÄHEN MAINE LIEHIDER").


    Nun, die Geschmäcker sind halt verschieden.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!


  • Das stimmt für große Teile der Musik nicht.


    Mal abgesehen davon, dass es erstmal um "Ganze" in der Form fraglos geschlossener und ohne Unterbrechung gespielter Sätze oder Werkteile geht, nicht um mehrteilige Werke, stimmt das meines Wissens für die meisten Sonaten, Sinfonien und Streichquartette ab der Wiener Klassik sehr wohl! Zwar wurden manchmal Sinfonien gesplittet, aber ich bin mir sehr sicher, dass das ab ca. Haydns "Pariser" Sinfonien die Ausnahme gewesen sein dürfte. Ab Beethoven wurde es üblicherweise nicht mehr gemacht (was nicht heißen muss, dass es vereinzelt vorgekommen sein könnte).
    Im Unterschied (zB zu den meisten Barocksuiten) ist aber im musikalischen Aufbau von mehrsätzigen Werken der Klassik, Symmetrie, Balance und Tonartenrelationen kein Zweifel gegeben, dass diese Werke nicht als Anthologie, aus der man sich was raussuchen oder was weglassen konnte, komponiert wurden.


    Zitat


    Es war bis weit ins 19. Jhd. hinein üblich, einzelne Sinfoniesätze zu geben. Die Komponisten waren sich dieser Praxis selbstverständlich bewusst. Selbst einige Sätze von Bruckner-Sinfonien erblickten auf diese Weise das Licht der (öffentlichen) Welt.


    Mindestens eine Bruckner-Sinfonie erblickte als Klavierbearbeitung "das Licht der Welt". Sollten wir daraus schließen, dass sie nicht als Orchesterwerk gedacht war? Oder dass sie mindestens gleichwertig als Klavierwerk gedacht war?
    Es ist offensichtlich nicht zulässig aus Dingen, die vorkamen und mit denen sich die Komponisten wohl oder übel zufrieden geben mussten, weil die Alternative (etwa bei Bruckner) gewesen wäre, dass die Stücke gar nicht gespielt worden wären, zu schließen, dass diese Präsentationen mehr als Notlösungen gewesen sind. In Opern wird sogar seit je heftig, gekürzt, bearbeitet und umgestellt, ohne dass jemand daraus folgern würde, ein solches Werk bildete keine Einheit!


    Zitat


    Die Verklärung einer Sinfonie, einer Oper, einer Sonate, eines Streichquartetts usw. zu einem Ganzen, das nur ungeteilt und in andachtsvoller Haltung bei gedämpftem Licht rezipiert werden dürfe, ist eine kunstmetaphysische, die in Teilen auf Wagner zurückgeht und im 20. Jhd. ihren Höhepunkt hatte.


    Andachtsvoll und gedämpftes Licht ist nicht notwendig dafür, dass etwas als Ganzes aufgeführt und rezipiert wird. Warum ist diese Haltung und die Praxis unterbrechungsloser Aufführungen wohl entstanden? Vielleicht genau deshalb, weil immer deutlicher wurde, dass die Musik das verlangte?


    Zitat


    Dass Komponisten mehrsätzige Werke gelegentlich mit satzübergreifenden, d. h. zyklusstiftenden Elementen versahen, widerspricht dem nicht.


    Einheit ensteht nicht nur durch solche expliziten Maßnahmen. Dass es unmöglich ist, zwischen zwei Sätzen mit auskomponierten Übergängen zu splitten (wie bei Beethovens 5., 6. Sinfonie, Quartetten op.59/1 und 3, 74, 131, 132, Violinkonzert, 5. und 4. Klavierkonzert, etliche Klaviersonaten usw.) versteht sich von selbst.


    Aber auch abgesehen davon weist die Notwendigkeit tonaler Geschlossenheit bei mehrsätzigen Werken der Klassik darauf, dass diese als Einheiten empfunden wurden. Es gibt meines Wissens kaum Ausnahmen gegen die Regel, dass eine Sinfonie in der Tonart (oder entsprechender Moll/Dur-Variante) enden muss, in der sie begonnen hat. Und beinahe so selten ist ab den 1770ern, dass alle Sätze in der gleichen Tonart stehen. Kontrastwirkung einer anderen (wenn auch nahen Tonart) meistens im langsamen Satz und Finale (bzw. dessen Schluss) in der Haupttonart des Hauptsatzes hätten wenig Sinn, wenn Komponisten davon ausgegangen wären, dass diese Sätze normalerweise einzeln oder mit etlichen Stücken dazwischen gespielt werden würden (Und meiner vagen Erinnerung an ein Konzertprogramm Mozarts mit einer gespaltenen Sinfonie wurde dort nur das Finale abgetrennt; da das Menuett meist in der Haupttonart ist, bliebe die tonale Geschlossenheit gewährleistet.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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