Dmitri Schostakowitsch

  • Es gibt einen relativ neuen (2006) Dokumentarfilm über Schostakowisch "A Journey of Dmitri Shostakovich". Der Link ist ein Interview mit einer der beiden Regiseurinnen


    "http://www.scribemedia.org/2006/11/07/shostakovich/"


    Das Interview an sich ist auch interessant, und es gibt ein paar Szenen aus dem Film. Ich glaube nicht, dass der Film auf DVD erhältlich ist. Vielleicht wird er das ja mal.


    Es gibt interessante Filme auf youtube, in denen Sch. vorkommt. Einige aus dem Jahr 1975, in denen Sch. bei der Probe zu seiner Oper "Die Nase" und in Interviews zu sehen ist. Als Suchwort "Shostakovich Nose" eingeben. In dem Umfeld findet man leicht weitere Filme, u.a. eine (zweiteilige "Documentary").


    maticus


    P.S. Vielen Dank Peter.

  • Mir ist in den letzten Tagen nach einer kleinen Hörpause erneut und verstärkt bewusst geworden, wie schön eigentlich diese 14. Sinfonie ist. Und es hat sich für mich wieder bestätigt, dass die Aufnahme Varady/Fischer-Dieskau/Concertgebouw/Haitink (Decca) hier mein klarer Favorit ist.


    Manche mögen einwänden, dass Fischer-Dieskau "nur" ein Bariton und kein Bass ist, aber das ist für mich zweitrangig, denn es ist einfach gut gesungen. Ein besonderes Merkmal dieser Aufnahme ist, dass die Texte in der Originalsprache gesungen werden. (Ausnahme: Die Loreley, die auf dieser CD auch auf Deutsch gesungen wird.) Die Ursprungsfassung des Op. 135 wird komplett in Russisch gesungen, und so ist sie auch bei fast allen Aufnahmen vertreten, aber Schostakowitsch hat andere Sprachfassungen authorisiert und zum Teil (in Nr. 10) musikalisch angepasst. Die Fassung mit den Gedichten in der Originalsprache geht anscheinend zurück auf Initiative von Fischer-Dieskau.


    Die Rilke-Texte in ihrer Originalsprache mit dieser Musik zu hören ist atemberaubend und erschütternd. Julia Varady ist stimmlich in Der Tod des Dichters (und nicht nur da) fantastisch. Sehr schön auch die Loreley.


    Schostakowitsch hat diese Sinfonie, die schonungslos und ohne religiöse Verklärung den Tod thematisiert, selbst sehr am Herzen gelegen. So hat er einige schlaflose Nächte verbracht in der Befürchtung, das Werk könnte verloren gehen. Auch die Vorbereitungen auf eine erste inoffizielle Aufführung hat er ungeduldig vorangetrieben, zu der er sehr bewegende einleitende und bekenntnishafte Worte gesprochen hat. (Es wird berichtet, dass ein Parteifunktionär während dieser Aufführung aus dem Saal eilte und anschließend verstorben ist.) Es erscheint uns heute unverständlich, dass sich aufgrund dieses Werkes einige Freunde und weitere Personen (u. a. Solschenizyn) von Schostakowitsch abgewandt haben.


    Es scheint merkwürdig, dieses Werk eine Sinfonie zu nennen. Schostakowitsch wusste wohl selbst längere Zeit nicht, wie er es nennen sollte. Sinfonie scheint merkwürdig, nicht nur, weil es in erster Linie ein Vokalzyklus ist. Das gilt ja auch für die 13. Sinfonie. Im Gegensatz zur 13. fehlen der 14. aber ein Chor, und noch entscheidender, das Orchester ist in der 14. ein Kammerorchester, dass nur aus 19 Streichern, einer Celesta und einigen Schlaginstrumenten besteht. So ist auch der ganze Charakter des Werkes eher kammermusikalisch als sinfonisch. Aber gerade diese (reduzierte) Orchestrierung unterstreichen die spröde Stimmung des Werkes sehr effektiv.


    Interessant ist eine formale Ähnlichkeit zur Michelangelo-Suite Op. 145. Beide Werke bestehen jeweils aus 11 Sätzen, und es gibt bei beiden Werken eine gewisse Klammerstellung der Nr. 1 und 10. In Op. 135 sind dies De Profundis und Der Tod des Dichters, deren unterliegende Melodie stark an das Dies Irae erinnert, in Op. 145 sind dies Wahrheit und Tod. Bei beiden Werken scheint die letzte Nr. 11 wie ein Anhängsel. Zudem gibt es musikalisches Material aus dem Stück Der Tod des Dichters, das in Nacht von Op. 145 nochmal auftaucht. Der Komponist soll Op. 145 mal als seine 16. Sinfonie betrachtet haben.


    Ich finde, zusammen mit den Sieben Romanzen nach Blok-Gedichten Op. 127 sind Schostakowitsch drei geniale und beeindruckende Vokalzyklen gelungen, die ihresgleichen suchen.


    maticus

  • Fernseh-Tipp:


    Sa, 6.12.2008, 20:15 Uhr, 3sat


    "Dem kühlen Morgen entgegen"
    Dokumentarfilm über Schostakowitsch, D 2007/08


    Hier einige Infos von folgender Seite, die auch noch eine PDF-Datei enthält. Weiter unten findet man auch die Interviewpartner und welche Musikstücke (Ausschnitte) zu hören sind.


    "http://www.avindependents.com/projekte_dk_m_e/index.html"


    DEM KÜHLEN MORGEN ENTGEGEN
    Dokumentarfilm (3Sat, Arte)



    Der Film "Dem kühlen Morgen entgegen" erzählt die Lebensgeschichte
    des Komponisten Dimitri Schostakowitsch aus der Perspektive eines
    Regisseurs, der einen Film über Schostakowitsch dreht. Dieser
    Regisseur wird von Armin Mueller-Stahl dargestellt.


    Das Lied "Dem kühlen Morgen entgegen", von Schostakowitsch für den
    Film "Der Gegenplan" komponiert, war 1961 gesungen von Juri Gagarin
    die erste Musik im Weltall. Dies inspiriert Armin Mueller-Stahl zu
    einer Spurensuche, bei der er immer mehr über Schostakowitsch
    erfährt. Dabei trifft er Weggefährten und Familienangehörige des
    Komponisten, die ihm über Persönlichkeit von Schostakowitsch die
    unterschiedlichsten Antworten geben. Beispielsweise Mstislaw
    Rostropowitsch: Der Cellist erzählt von dem Verbot der Oper "Lady
    Macbeth" durch Stalin, das Schostakowitsch in tiefe Verzweiflung
    stürzte und bei ihm eine lebenslange Angst, im nächsten Moment
    verhaftet zu werden, auslöste. Ein ganz anderes Bild zeichnet der
    frühere Funktionär Tichon Chrennikow, der als Generalsekretär des
    Komponistenverbandes eng mit seinem Stellvertreter, Schostakowitsch,
    zusammenarbeitete. Für ihn ist Schostakowitsch immer noch ein
    linientreuer sowjetischer Staatskomponist. Bei den Familienmitgliedern
    - Sohn, Tochter, Witwe - steht der aufrechte Humanismus des Menschen
    Schostakowitsch im Vordergrund, der in einer Zeit des Misstrauens und
    der Angst nie die Hoffnung an das Gute im Menschen aufgab.


    Am Schneidetisch sichtet Armin Mueller-Stahl Ausschnitte aus über 20
    Spielfilmen, zu denen Schostakowitsch in der Stalinzeit die Musik
    schrieb. Einzelne Schlüsselmomente aus dem Leben von Schostakowitsch
    werden durch Spielszenen dargestellt, allerdings nicht mit
    Schauspielern realisiert, sondern durch Marionettenfiguren. Die für
    den Film von Georg Jenisch eigens angefertigten Figuren haben
    maskenartige Gesichtszüge, sind keine Karikaturen, sondern weisen eine
    unheimliche Ähnlichkeit mit ihren realen Vorbildern auf.


    Am Ende seiner Suche stellt Armin Mueller-Stahl fest, dass er für
    seinen Film kein klar umrissenes Bild des Komponisten zeichnen kann -
    zu widersprüchlich sind die Aussagen seiner Gesprächspartner. Er
    trifft sich deshalb mit der Witwe von Schostakowitsch an dessen
    Grabstein. Statt einer Antwort übergibt sie ihm eine Erzählung von
    Tschechow, die von einem Soldaten handelt, der sich nach Russland
    zurücksehnt, aber in der Fremde sterben muss. Schostakowitsch hat sich
    diese Geschichte unmittelbar vor seinem Tod vorlesen lassen.


    DEM KÜHLEN MORGEN ENTGEGEN


    in Koproduktion mit LOFT MUSIC, 3sat, EURO ARTS


    EIN FILM VON
    OLIVER BECKER UND KATHARINA BRUNER


    Darsteller
    ARMIN MUELLER-STAHL
    INA RUDOLPH
    KATHARINA BRUNER
    BJÖRN PAULISSEN


    Marionettenspieler
    GEORG JENISCH
    MONIKA STROBL
    CLAUDIA DE BOER
    VERA BUHSS


    Interviewpartner
    MSTISLAW ROSTROPOWITSCH
    TICHON CHRENNIKOW
    KURT SANDERLING
    GENNADI ROSCHDESTWENSKI
    MAXIM SCHOSTAKOWITSCH
    GALINA SCHOSTAKOWITSCH
    IRINA SCHOSTAKOWITSCH


    Redaktion 3sat
    MARIA KASTEN


    Produzenten
    MANFRED FREI, HANS-HINRICH KOCH, NORBERT W. DALDROP


    Regie
    OLIVER BECKER
    KATHARINA BRUNER


    Buch
    DIETRICH MACK
    OLIVER BECKER


    [...]


    TEAM INTERVIEWS MOSKAU/ST. PETERSBURG


    [...]


    TEAM AUFZEICHNUNG KAMMERMUSIK


    [...]


    VIOLINSONATE NR. 2


    Violine
    SARAH SPITZER


    Klavier
    MIKE JIN


    KLAVIERTRIO NR. 2


    Violine
    NOÉ INUI


    Violoncello
    RAHEL KRAEMER


    Klavier
    NARGIZA ALIMOVA


    STREICHQUARTETT NR. 7


    1.Geige
    NOÉ INUI


    2.Geige
    MARIE CLAUDINE PAPADOPOULOS


    Viola
    JOHANNES EVA


    Violoncello
    RAHEL KRAEMER


    KLAVIERQUINTETT


    1.Geige
    MARIE CLAUDINE PAPADOPOULOS


    2.Geige
    NOÉ INUI


    Viola
    JOHANNES EVA


    Violoncello
    RAHEL KRAEMER


    Klavier
    NARGIZA ALIMOVA


    Ausschnitte aus den Spielfilmen
    DER GEGENPLAN (1932)
    LIEBE UND HASS (1934)
    DER GROSSE STAATSBÜRGER (1937)
    SOJA (1944)
    EINFACHE MENSCHEN (1945)
    DIE JUNGE GARDE (1947)
    DER FALL VON BERLIN (1950)


    Musikausschnitte
    SYMPHONIE NR. 4
    MOSKAUER PHILHARMONISCHES ORCHESTER
    LEITUNG: KIRILL KONDRASCHIN


    SYMPHONIE NR. 5
    NATIONAL SYMPHONY ORCHESTRA WASHINGTON
    LEITUNG: MSTISLAW ROSTROPOWITSCH


    SYMPHONIE NR. 7
    STAATLICHES SYMPHONIE ORCHESTER DER UDSSR
    LEITUNG: JEWGENI SWETLANOW


    SYMPHONIE NR. 8
    MOSKAUER PHILHARMONISCHES ORCHESTER
    LEITUNG: KIRILL KONDRASCHIN


    SYMPHONIE NR. 10
    MOSKAUER PHILHARMONISCHES ORCHESTER
    LEITUNG: KIRILL KONDRASCHIN


    KLAVIERKONZERT NR. 2
    ENGLISH CHAMBER ORCHESTRA
    LEITUNG: JERZY MAKSYMIUK
    KLAVIER: DIMITRI ALEXEEW

  • Hier kann man sich den gesamten Film "Testimony: The Story of Shostakovich" von Tony Palmer mit Ben Kingsley anschauen:



    "http://www.youtube.com/watch?v=hz7BCKV34Ok&feature=channel_page"


    Ein "Muss" , möchte ich behaupten......, auch für Khrennikov-Fans, diesem "Komponisten", der aus Versehen auch noch die Unesco-Mozart-Medaille gewann...... ein unglaubliches Schmierenstück. :stumm:


    LG,


    Michael

  • Ich stelle übrigens gerade fest, dass Testimony jetzt am 20.4.2009 neu auf DVD erscheint:



    Die bisherige DVD soll ja qualitativ nicht so gut gewesen sein. Schauen wir mal, was kommt...


    Ich fand übrigens die Bildqualität meines Videos auch nie so berauschend, ein teilweise "eieriger", welliger Bildverlauf, ich kann das schlecht beschreiben. Aber vielleicht ist der Originalfilm einfach so.


    :hello: maticus

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  • Eine neue Schostakowitsch Sinfonie-GA bahnt sich bei Naxos an!



    SHOSTAKOVICH, D.: Symphonies, Vol. 1 - Symphony No. 11, "The Year 1905" (Royal Liverpool Philharmonic, Vasily Petrenko)


    Zitat

    Charismatic young conductor Vasily Petrenko launches his Shostakovich Symphonies series with the Eleventh, a highly charged depiction of the ‘Bloody Sunday’ massacre of over two hundred peaceful demonstrators by Czarist soldiers outside the Winter Palace in St Petersburg in 1905. Scored for a sizeable orchestra of triple woodwind, four horns, three each of trumpets and trombones, tuba, timpani, percussion, celesta, harps and strings, the Symphony makes extensive use of revolutionary songs as thematic elements, as it progresses, without pause, from the glacial opening movement, Palace Square, to the terrifying massacre and its aftermath, The Ninth of January, the funereal third movement, Eternal Memory, and the final movement, The Tocsin, which culminates with cataclysmic bell strokes.


    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Heute hätte Schostakowitsch Geburtstag gehabt, und ich möchte dieses Datum zum Anlass nehmen, mich wieder einmal mit diesem Komponisten auseinanderzusetzen. Ich habe nur ein bruchstückhafte Kenntnis seines Werkes, habe manche seiner Symphonien live und auf Tonträger gehört: komplexe, beeindruckende Werke, ohne Zweifel, allerdings für mich auch eher sperrig, teilweise schwer zugänglich - er nötigt mir schon Bewunderung ab, allerdings fehlt mir noch so der endgültige, gefühlsmäßige Zugang.


    Welches Werk/ welche Einspielung würdet Ihr empfehlen, liebe Taminos, um sich dem Stil und der Tonsprache des Komponisten am ehesten zu nähern?

  • 1. Violinkonzert
    Konzert f. Klavier und Trompete
    Sinfonien 1,5,8, 9 und 10.
    Quintett f. Klavier und Streicher, (2.) Klaviertrio, Streichquartette Nr. 5 und 8.


    Es gibt natürlich noch eingängigeres Zeug wie "Jazz"-Suiten, Tanzsuiten, evtl. auch Filmmusiken (ich kenne auch nur einen Teil des riesigen Oeuvres), aber die sind dann zumindest teilweise zu "untypisch".

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich habe seinerzeit mit der 5. Symphonie in der Aufnahme unter Leonard Bernstein angefangen und ich denke, das ist auch der beste Einstieg für den Neuling. Eine Alternative wäre die 10. z.B. in der Karajan Einspielung. Wenn einem das nach mehrfachen Hören nicht zusagt, dann - befürchte ich - wird es nichts mit der Liebe zu DSCH. Dass ich aus heutiger Sicht andere Symphonien und Aufnahmen bevorzuge, steht auf einem anderen Blatt. Ich denke aber zum Kennenlernen sind diese beiden optimal. Wenn dann die Liebe erweckt ist, sollte man sich den russischen Einspielungen nähern (Kondrashin, Roshdestvensky, Mravinsky etc).


    Der emotional bewegendste Satz von DSCH ist für mich im 1. Violinkonzert die Passacaglia, die anderen Sätze sind aber recht einhörungsbedürftig.

  • Heute hätte Schostakowitsch Geburtstag gehabt, und ich möchte dieses Datum zum Anlass nehmen, mich wieder einmal mit diesem Komponisten auseinanderzusetzen. Ich habe nur ein bruchstückhafte Kenntnis seines Werkes, habe manche seiner Symphonien live und auf Tonträger gehört: komplexe, beeindruckende Werke, ohne Zweifel, allerdings für mich auch eher sperrig, teilweise schwer zugänglich - er nötigt mir schon Bewunderung ab, allerdings fehlt mir noch so der endgültige, gefühlsmäßige Zugang. Welches Werk/ welche Einspielung würdet Ihr empfehlen, liebe Taminos, um sich dem Stil und der Tonsprache des Komponisten am ehesten zu nähern?


    Schostakowitsch ist für mich eine ganz bedeutende Persönlichkeit. Musikalisch hat sich er sich niemals auf die Zwölfton-Ebene begeben. Inhaltlich war sein Schaffen geprägt von bitteren und leidvollen Erfahrungen besonders in der Stalin-Ära. So durften Werke nicht aufgeführt werden (4. Sinfonie, 1. Violinkonzert) oder erregten das Missfallen der höchsten Parteigremien (Oper "Lady Macbeth von Mzensk"), wofür er sich rechtfertigen musste. Er erlebte mit, wie viele seiner Mitgefährten plötzlich verschwanden und nicht mehr wieder kamen. Das alles prägte zeitlebens sein Schaffen. Als Einstieg würde ich dir die 5. Sinfonie empfehlen, sie ist musikalisch am eingängigsten. Nachdem seine 4. Sinfonie in Ungnade geriet und seine Oper unter heftiger Kritik stand, wollte er die Obrigkeit zufrieden stellen mit diesem anscheinend optimistischem Jubelwerk. Für mich ist das aber ein herausgepresster Jubel auf Befehl (Finale).
    So gesehen bringt das Mariss Jansons sehr gut in dieser Aufnahme zum Ausdruck:

    Oder aber ein Zeitgenosse und sogar guter Freund von Schostakowitsch (der selbst wenig Freunde hatte), neben Mrawinsky langjähriger Dirigent der Leningrader Philharmonie, Kurt Sanderling:

    Neben der 5. Sinfonie käme auch die 10. Sinfonie infrage. Sie gilt schlechthin nach acht Jahre sinfonischer Enthaltsamkeit als autobiographisches Zeugnis aus seiner schwersten Zeit. Im zweiten Satz ist nach Aussage seines Sohnes "das schreckliche Gesicht von Stalin"beschrieben. Und das persönliche Leid des Komponisten wird schon in der tragischen Grundstimmung des ersten Satzes, die sich erst im Finale auflöst, hörbar. Eine Alternative zu Herbert von Karajan wäre z.B. die mit Vasily Petrenko, der überhaupt auf Naxos eine beeindruckende Schostakowitsch-Serie vorlegt.

    Mit besten Grüßen
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

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  • Lieber Don Gaiferos, die Fünfte ist "gut zu hören", klar - und diesen kompositorischen Überlebensspagat in allen Ehren, - und auch die berührende, meisterliche Zehnte in allen Ehren, aber heute, eben am 108. Geburtstag möchte ich doch noch ein bisschen mehr "riskieren" bei Empfehlungen. Nichtsdestotrotz sind es Herzblut-Empfehlungen, ungefähr ein Achtel dessen, was ich von Schostakowitsch meine, dass "man hören muss"...


    Bleiben wir doch bei der Zahl 108. Das VII., unerhört knapp gehaltene Streichquartett, das kürzeste, trägt diese Opuszahl. Hören! Und das radikalste ist das XIII. - Wenn es einen aber anspricht - und SPRECHEN tut es nun wahrlich! -, immer weiter mit Quartetten, mit dem hellsten (aber nie banalen) VI., dem extrem kontemplativ trauernden XV. - - -


    Dann "das letzte Wort", die Sonate für Viola und Klavier op. 147, in ihrem Finale mit der Evokation von Beethovens berühmten Eröffnungssatz der Sonata quasi una Fantasia op. 27/2...


    Schließlich die einzigartige XIV. Symphonie, für Sopran, Bass, Schlagzeug und Streichorchester. Es gibt viele Aufnahmen, überall sind die Texte übersetzt - also nicht vom Russisch-Gesang abschrecken lassen - die Wirkung ist ohnehin suggestiv.


    Aufnahmen zu den genannten Werken können Dir sicher die anderen Forumsmitglieder empfehlen.


    Dies also als Geburtstagsgruß meinerseits, Robert Klaunenfeld

  • Mir fehlte in meiner Mrawinsky-Sammlung bislang die 7. - hier gibt es einem Mitschnitt aus Moskau (Mono), dazu noch eine Aufnahme der 8. von 1960 aus London, die ich bislang auch noch nicht hatte - eine (ganz zufällige, Gelegenheitskauf) wohl würdige Erwerbung zu Schostakowitschs Geburtstag! Ich bin sehr gespannt!



    Schöne Grüße
    Holger

  • Heute hätte Schostakowitsch Geburtstag gehabt, und ich möchte dieses Datum zum Anlass nehmen, mich wieder einmal mit diesem Komponisten auseinanderzusetzen.


    Hilfreich ist m.E. gerade bei einer "Auseinandersetzung" mit Schostakowitsch auch der Lebenshintergrund. Insofern würde ich z.B. die folgenden Bücher empfehlen:


    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Auch ich kann diese beiden Bücher wärmstens empfehlen. Sie sind aus völlig unterschiedlicher Perspektive geschrieben, enthalten aber beide eine Fülle von eindringlichen Darstellungen. Tatsächlich könnten sie - falls man die Musik von Schostakowitsch nicht ohnehin schon liebt - öffnend wirken, auf jeden Fall Neugier, Anteilnahme weckend. (Nur mit K. Meyers nicht besonders substanzieller Kritik am großen, großen Zwetajewa-Zyklus op. 143 für Altstimme und Klavier (( herb, ja, beim ersten Hören vielleicht zum Teil einen etwas spröden Eindruck hinterlassend - aber das ÄNDERT sich, bei näherer Beschäftigung)), in des Komponisten Spätzeit entstanden, hadere ich ein bisschen - Meyer ist ja selbst zeitgenössischer Komponist, er müsste wissen, "wie's läuft"... Für die V. Symphonie muss er keine Werbung betreiben, die ist ohnehin populär; aber fürs Sperrigere, selten zu Hörende, sollte er sich "ins Zeug legen"... - Aber: das ist ein kleiner Nebenschauplatz. An sich liegt hier eine beinah mustergültige Biographie mit immensen Werkkenntnissen und ebensolcher Fähigkeit zur Darstellung vor. - Dafür stellt Volkov den Zusammenhang zwischen Puschkin/Zar Nikolaj und Schostakowitsch/Stalin gerade anhand von op. 143 brennend intensiv dar.)

  • MSchenks Buchempfehlungen möchte ich noch eine weitere hinzufügen:


    Bernd Feuchtner


    "Und Kunst geknebelt von der groben Macht"
    Schostakowitsch


    Sendler-Verlag
    Frankfurt am Main 1986


    ISBN 3-88048-078-8


    Feuchtner würdigt Schostakowitsch in seinem Buch nicht nur als großen Komponisten sondern geht auch auf seine Funktionärstätigkeit in der poststalinistischen SU ein. Dadurch erlöst er Schostakowitsch gleichsam von der Doppelrolle des ewigen Opfers und Opportunisten und zeigt auf, dass dieser durchaus Widerstand auch und gerade im Sinne eines besser Machens geleistet hat. D.h. nach Feuchtner ist Schostakowitsch ein Idealist, der fest an das Gute im Sozialismus geglaubt hat und selbiges auch umsetzen wollte, nachdem ihm die Gelegenheit dazu geboten worden war.
    Diese Position Feuchtners ermöglicht einen ganz anderen Blick besonders auf die Sinfonien 11 und 12, die Wolkow in seinem o.g. Buch übrigens überhaupt nicht erwähnt und lasst auch die Schwierigkeiten, die Schostakowitsch bei der Aufführung besonders seiner 13. Sinfonie bereitet worden sind, in einem anderen Licht erscheinen: nämlich in dem eines Intrigenspiels Chrennikows, des immerwährenden Vorsitzenden des sowjetischen Komponistenverbandes.


    Leider ist dieses Buch nur noch antiquarisch erhältlich, sollte es einem zu einem einigermaßen akzeptablen Preis unterkommen, dann sollte man zuschlagen, denn es ist wirklich höchst lesenswert.


    Der von MSchenk genannte Meyer ist ebenfalls sehr gut, Wolkow dagegen ist mit einer gewissen Vorsicht zu geniesen, da man bei diesem nicht genau weiß, wo die Fakten aufhören und der Klatsch beginnt. Für ein seriöses wissenschaftliches Buch oder auch bloß für ein seriöses Sachbuch ist es mir eindeutig zu emotional und zu subjektiv. Nichtsdestotrotz liest es sich gut und unterhaltsam ist es obendrein auch noch.


    John Doe
    :hello:

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  • Aus dem englischen Sprachbereich kann ich ergänzend noch folgendes Buch empfehlen:


    61WhEFb9jJL._AC_UL300_.jpg


    "One of the best biographies of Dmitri Shostakovich I have read" (Maxim Shostakovich)


    "Compelling ... a portrait of a creative artist tormented and harried by the random assaults of Stalinism" (Financial Times)


    "Persuasively argued and forceful ... A valid, politically driven reconsideration of the composer's works" (New York Times Review of Books)

  • Sehr empfehlenswert ist eigentlich immer auch die Rowolt-Monographie-Reihe. Der Schostakowitsch-Band von Detelv Gojowy ist jedenfalls sehr gut:



    Schöne Grüße
    Holger

  • Schostakowitsch - Sinfonien mit Kitaenko auf SACD


    Heute suche ich diesen Schostakowitsch-Thread heraus, der einer der Ersten bei TAMINO für Dmitri Schostakowitsch ist. (Hier habe ich auch meinen ersten Tamino-Beitrag geschrieben, da Schostakowitsch immer schon mein Liebling war ... )


    :jubel: Ich stelle heute erfreut fest, dass endlich nach knapp 14Jahren diese Schostakowitsch-Sinfonien-GA mit Kitaenko erschwinglich geworden ist.

    Sie ist auf dem Label Capriccio 2005 auf 12 Hybrid - SACD erschienen und soll eine der klangbesten GA sein ! Die Kritiken zu den Interpretationen mit dem Gürzenich Orchester Köln sehen auch verdammt gut aus.


    Obwohl ich mir fast sicher bin, dass Kondraschin - Roshdestwensky und die Einzelaufnahmen mit Swetlanow nicht mehr übertroffen werden können, so bin ich auf diese seit langem allerseits empfohlene GA hochgespannt und habe heute den "Bestellklickfinger" getätigt !

    Meine letzte erworbene Schostakowitsch-Sinfonien-GA war die sicher gute mit V.Petrenko (Naxos), die mich aber lange nicht bei allen Sinfonien überzeugen konnte ... klangstark aber leider oft zu langatmig und oft für meine Begriffe zu langsam ...


    8) Meine nächsten Beiträge hier werden meine Hörgebnissen gewidmet sein.

    :?: Wer kennt diese Kitaenko-GA und kann mir schon einen Vorgeschmack dazu geben ?


    Capriccio, 2005, Hybrid-SACD, DDD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • :?: Wer kennt diese Kitaenko-GA und kann mir schon einen Vorgeschmack dazu geben ?

    Edwin schrieb vor fast 13 Jahren etwas dazu, ebenfalls in diesem Thread:

    Na ja, das sind schon recht gute klangmächtige Einspielungen und Kitaenko hat zum Thema Schostakowitsch sicher einiges beizutragen. Aber so umwerfend finde ich die Einspielungen nicht - liegt am Orchester, dessen Konturen einfach zu weich und dessen Klang zu edel ist.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Eine GA wurde bisher in diesem thread nicht erwähnt. Sie stammt vom Tatarstan National Symphony Orchestra und seinem Chefdirigenten Alexander Sladkovsky und ist beim Label Melodiya 2016 herausgekommen. Mit 99.99 Euro für 13 CDs im oberen Preissegment der Gesamteinspielungen. Kitaenko ist im Vergleich vier mal preiswerter. Ich bin am Durchhören der Aufnahmen. Was ich bisher gehört habe, überzeugt mich. Die Rezensenten von BR-Klassik und RBB Kulturradio sind auch angetan von den Interpretationen.



    Beim gleichen Label sind ältere russische Aufnahmen der Schostakowitsch Sinfonien erschienen, die zwischen 1961 bis 1984 mit verschiedenen Orchestern und Dirigenten eingespielt wurden. Bis jetzt eine meiner liebsten GA-Boxen. Der Werbepartner preist sie als Referenzaufnahmen an. Der Preis ist exakt gleich wie die des Tatarstan National Symphony Orchestra.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Auf You Tube sind etliche Aufnahmen aus dieser Box des Tatarstan National Symphony Orchestra und seinem Chefdirigenten Alexander Sladkovsky zu hören.


    Der erste Satz aus der 7. Sinfonie tönt in der Lesart der Tatarstaner so:



    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Um die Tarstan - Sladkovsky - GA werde ich wohl auch nicht herumkommen, was ich bisher positives darüber gelesen habe.

    Besonders entscheidend ist, dass sich Sladkovsky auf den Spuren Kondraschins bewegt. Das kann nur positiv sein !


    ;) Aber auch hier gilt die Vernunft:

    Wenn der Preis mal moderater geworden ist - dann gibts auch Sladkovsky (Melodiya) !


    Jetzt gibts erst mal die SACD´s von Kitaenko ! U.a. die 11te soll ja der Hammer sein !

    Edwin war auch lange Jahre absoluter Karajan-Gegner, was er später teils revidiert hat ... also lass mich erst mal selber hören und entscheiden. Wenn er auf der einen Seite "klangmächtig" schreibt und dann auf der anderen Seite von "Klang zu edel" schreibt, dann ist dann ein Gegensatz der irgendwie nicht passt. Wenn der Klang TOP ist, ist das bei mir schon mal die halbe Miete.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ja, der Sladkovsky ist schon verdammt interessant. Seine Neueinspielung der Schostakowitsch-Konzerte ist grandios. Melodija ist seit ein paar Jahren wieder sehr umtriebig, ein Glück.



    Übrigens: In der russischen National Digital Concert Hall (kostenlos, man muss sich nur einmal per Mail registrieren) gibt es etliche hochspannende Konzerte mit Sladkovsky mit diversen russischen Orchestern in HD, darunter eine wahnsinnig anmutende Erste von Brahms mit Pauken wie Geschützen im astreinen russischen Orchesterklang. Hier die direkte Verlinkung (ggf. oben auf ENG klicken). Diese Video-Plattform ist generell absolut empfehlenswert. Dagegen wirkt die völlig überteuerte Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker zweitklassig ...

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Dimitri Kitaenko mit Schostakowitsch


    An den letzten Abenden habe ich mich mit der Schostakowitsch-Sinfonien-GA mit Kitaenko (Capriccio, 2003-4, DDD, SACD) intensiv beschäftigt.

    Das Gürzebnich Orchester ist tatsächlich gut dabei auch "Klangmächtiges" und "russisches" abzuliefern.


    :) Die SACD sind klanglich schon verdammt Klasse, wenngleich ich die Abmischung (z-Bsp.der Pauken und der Glocken in der 11ten) schon etwas anders gewichtet hätte. Es kommt alles sehr gut und detailreich rüber. Klangtechnisch auch von der Räumlcihkeit über eine Dolby-Surround-Anlage die Wucht.

    :| Was mich aber unheimlich stört, ist die Eigenschaft Kitaenkos besonders die langsamen Sätze unglaublich lange auszuwalzen ... das liegt mir, der von Kondraschin (AULOS) geprägt ist nun so ganz und gar nicht. Warum langsame Sätze , die ohnehin schon lang sind noch weiter ausdehnen ... für mich ein NoGo. Vieles an Spannung fällt auseinander ...


    Beispiel:

    Was bei der Sinfonie NR.1, die mir in der Kitaenko-Aufnahme gut gefällt ( und nicht krass auffällt), wurde in der ansonsten mit Kitaenko gut disponierten Sinfonie Nr.11 fast zum Ärgernis. Betrachten wir die Spielzeiten:

    Kondraschin ..= 12:30 - 17:28 - 10:28 - 13:24

    K i t a e n k o = 16:57 - 19:51 - 13:27 - 15:02

    Ich habe mir heute gleich nach Kitaenko die Kondraschin - Aufnahme 4.Satz angehört (danach auch V.Petrenko). Bei Kondraschin wird das Drama hörbar und in Hochspannung umgewandelt, bei Kitaenko wirkt es wie hingestellt (und nicht abgeholt), es fehlt der grosse Atem. Die Glocken sind am Ende viel zu schwach in den Gesamtklang integriert (klingen am Ende aber schön aus); die Pauken zu ungenau und nihct präsent genug).

    Bei V.Petrenko sieht es schon besser aus, obwohl er bei weitem Kondraschins Klasse nicht erreicht. Klanglich: selbst Kondraschin (melodiya, 1973) klingt besser, direkter, detailreicher als Digital V.Petrenko (Naxox, 2005) !


    Meine Meinung:

    Betrachten wir nur neuere Aufnahmen, so wird die Klasse von der Schostakowitsch-Sinfonien - Aufnahme von Ashkenazy (Decca) weder von Kitaenko noch V.Petrenko erreicht !


    :!:Wiederholt stelle ich fest, dass Kitankos Westaufnahmen nicht mehr den Biss seiner grossartigen russ.Aufnahmen haben.

    8) Ich habe nun noch nicht alles aus der GA gehört. Aber im Moment stehe ich auf dem Stand, dass diese GA nicht in meine CD/SACD-Sammlung übernommen wird ...



    Capriccio, 2004-5, SACD



    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Tugan Sokhiev ist bei den Berliner Philharmonikern ein zwar eher seltener aber anscheinend doch sehr geschätzter Gastdirigent. In der vergangenen Woche stand er mal wieder am Pult der Berliner Philharmonie, ich habe das dritte Konzert am Samstag abend live gehört. Vor der Pause stand Liszts A-Dur-Klavierkonzert auf dem Programm, gespielt von dem jungen Franzosen Alexandre Kantorow, der 2019 den Moskauer Tschaikowsy-Wettbewerb gewann und seither einige Aufnahmen bei BIS Records vorgelegt hat, darunter Klavierkonzerte von Liszt und Saint-Saens unter der Leitung seines Vaters Jean-Jacques Kantorow. In der Philharmonie spielte Alexandre Kantorow auf technisch hohem Niveau, blieb dabei aber musikalisch sehr blass. Wenn die Philharmoniker wie an diesem Abend ihr Bestes geben, braucht es einen Solisten, der ihnen in Bezug auf Klangfarbenreichtum, Fantasie und Gestaltungskraft etwas entgegensetzen kann (z.B. dem herrlichen Cello-Solo von Martin Löhr), aber davon war der junge Franzose weit entfernt.

    Nach der Pause dann als Hauptwerk das Abends Schostakowitschs Vierte. Die habe ich vor einigen Jahren schon einmal mit den Philharmonikern unter Simon Rattle gehört, aber die Aufführung am Samstag war ohne Zweifel intensiver und packender. Den ersten Satz ließ Sokhiev in vergleichsweise gehaltenem Tempo, aber mit umso größerer Härte und Kraft spielen, das gefürchtete Streicher-Fugato vor der Reprise habe ich noch niemals mit solcher Brillanz und emotionaler Intensität gehört. Herausragend auch die Soli von Fagott, Englisch Horn und Piccolo. Die gewaltigen Steigerungen im ersten letzten Satz gingen buchstäblich an die Schmerzgrenze, die Coda danach verbreitete lähmende Angst und Erschütterung. Am Ende herrschte langes Schweigen, bevor sich die Spannung in stürmischem Applaus entludt. Aus dem Orchester war anschließend zu hören, dass diese dritte Auffühung die beiden vorangegangenen (am Donnerstag und Freitag) deutlich übertroffen hätte. Ich finde nicht wenige von Schostakowitschs Werken eher plakativ, und ich glaube schon gar nicht an die übliche Erklärung, alles Affirmative, Oberflächliche und Primitive zu einem heimlichen Akt des Widerstands oder versteckten Protests umzudeuten, aber diese Symphonie finde ich schon sehr beeindruckend.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

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  • Ich finde nicht wenige von Schostakowitschs Werken eher plakativ, und ich glaube schon gar nicht an die übliche Erklärung, alles Affirmative, Oberflächliche und Primitive zu einem heimlichen Akt des Widerstands oder versteckten Protests umzudeuten, aber diese Symphonie finde ich schon sehr beeindruckend.

    Beim ersten Punkt stimme ich (leider) nicht selten mit Dir überein, beim zweiten kann man vermutlich lange und ergebnislos diskutieren und ich bin allerdings wahrlich kein Kenner der Hintergründe. Die Dialektik der Ansätze eines versteckten Protests oder des Widerstands schlechthin haben halt den Charme der Originalität und dann hört man auch gerne, was man hören soll ... ;)


    Aber die letzten Minuten der vierten Sinfonie sind in ihrer Ausweglosigkeit, die auch keineswegs plakativ vermittelt wird - meine ich -, schon äußerst beeindruckend. An zweiter Stelle käme dann für mich die Nummer fünfzehn - quasi Skelett statt Plakat.


    Bei der vierten Sinfonie kann man trotz der oft schwachen Tonqualität durchaus ein Faible für die russischen Aufnahmen entwickeln. Aber ich habe auch nicht viel gegen Haitink - das ist meine einzige Gesamteinspielung der Sinfonien auf Tonträger.


    So weit ein wenig neben dem Thema - wird nicht so schlimm sein, hoffe ich.


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Die Dialektik der Ansätze eines versteckten Protests oder des Widerstands schlechthin haben halt den Charme der Originalität und dann hört man auch gerne, was man hören soll ... ;)

    Ich fand das Argument recht überzeugend, wie tief versteckt denn der Protest sein sollte. Wenn es wirklich "Geheimbotschaften" wären, dann doch höchstens für einen Kreis Eingeweihter ..... und was sollte er diesen mitteilen, was die nicht sowieso schon wüssten. Umgekehrt, wenn sich die Musik an die Allgemeinheit richtet, müssten ja auch die Vertreter der Repression hinter das "Geheimnis" kommen und Konsequenzen ziehen können.


    So jetzt aber genug OT ..

  • Hier einmal mein Bekenntnis zu Schostakowitsch:


    Schostakowitschs Musik spiegelt wie kaum eine andere authentisch die Erfahrung des 20. Jahrhunderts mit totalitären Strukturen und dem damit verbundenen Verlust eines autonomen Subjekts. "Protest" setzt ein idealistisches, freies Subjekt voraus. Das bei Schostakowitsch zu erwarten, ist einfach verfehlt. Bei Schostakowitsch ist das Subjekt zwar noch verhanden, doch seine Reaktion auf den Horror der Zeit fällt anders aus: Es ist eine Mischung aus ohnmächtiger Resignation, Rückzug in eine innere Welt, subtile Ironie und Sarkasmus, das zwanghafte Mitlaufenmüssen im Rädergetriebe der Zeit, das sich etwa in den "affirmativen" Passagen in einem Wiederholungszwang äußert, wodurch dieses Affirmative einen sehr bitteren Beigeschmack bekommt. Das kann man natürlich alles überhören und daran vorbeihören, wenn man von dem (komplett absurden) Vorurteil belastet ist, dass Schostakowitsch der Komponist ist, der die Staatsideologie des Sowjetstaates naiv und plakativ ausposaunt. Nein, Schostakowitschs Musik gehört zu dem Aufwühlensten und Tiefstinnigsten, was die Musikgeschichte zu bieten hat. Wer allerdings taub für diese Töne des permanenten Sich-Versteckens ist, der wird freilich beim Hören an der Oberfläche bleiben und entsprechend diese Musik als oberflächlich empfinden. Vladimir Ashkenazy sagte einmal - und damit meinte er eben auch Schostakowitsch: "Bei einem Russen ist nichts das, was es vordergründig ist und zu sein scheint. Sie müssen immer fragen: Was steckt eigentlich dahinter?" (Das natürlich nicht wörtlich wiedergegeben.)

  • Das kann man natürlich alles überhören und daran vorbeihören, wenn man von dem (komplett absurden) Vorurteil belastet ist, dass Schostakowitsch der Komponist ist, der die Staatsideologie des Sowjetstaates naiv und plakativ ausposaunt.

    Überhört hast Du anscheinend etwas, nämlich die Werke, in denen er genau das getan hat: die Staatsideologie plakativ rauszuposaunen. Oder welche versteckte Botschaft ist in den grauenvollen Propaganda-Chorabschlüssen der 2. und 3. Symphonie, dem gewaltverherrlichenden "Lied von den Wäldern" oder der Schund-Kantate "Über unserer Heimat strahlt die Sonne" verborgen? Dagegen empfinde ich ja sogar das bombastische Jubelfinale der Leningrader Symphonie noch in gewisser Weise als gelungen, auch wenn es kompositorisch ähnlich schwach ist, aber immerhin als zeitgebundener Ausdruck des Optimismus während des deutschen Vernichtungskrieges seine fürchterliche Berechtigung hatte. Aber ich weiß: Solomon Wolkow hat ja geschrieben, dass das Thema der Symphonie nicht etwa die Kleinigkeit von einer Millionen verhungerter Zivilisten im von den Deutschen belagerten Leningrad und die Hoffnung auf einen sowjetischen Sieg gegen die Deutschen ist, sondern Stalins Verbrechen vor dem Krieg, zu denen Hitler (das steht da wörlich!) "nur den Schlusspunkt" gesetzt habe. Kein Wunder, dass diese frei erfundene These gerade in Deutschland so viele Anhänger hat. Zwar gibt es für sie keinerlei Beleg (und dafür sollten eigentlich gerade die Schostakowitsch-Verehrer dankbar sein, die ansonsten glauben müssten, dass ihr Idol ein gefühlloses Monster war), aber sie passt so schön in das geschichtsverfälschende Bild des heimlichen Dissidenten Schostakowitsch, den man damit nebenbei gleich zur Exkulpation der eigenen Vorfahren nutzen kann. Ich behaupte nicht, dass er nur solche Propagandawerke geschrieben hat, aber diese (von denen es neben den genannten noch eine ganze Reihe weiterer gibt) wahlweise verschämt zu verschweigen oder durch gewagte Luftkonstruktionen in das Gegenteil dessen umzudeuten, was sie sind, ist Ausdruck puren Wunschdenkens. Er war eine ambivalente, widersprüchliche Persönlichkeit, war in typischer Weise zugleich "dafür" und "dagegen", glaubte an den Sozialismus und verzweifelte gleichzeitig an seiner brutalen Realität. Zu dem Ergebnis kommt man wenigstens, wenn man die eine Seite nicht "überhört" oder schön redet sondern sich mit ihm, seinem Gesamtwerk und der Zeit seiner Entstehung beschäftigt. Dazu gehört vor allem, dass man Leute fragt bzw. liest, die selbst im Sozialismus oder gar im Stalinismus leben mussten.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Überhört hast Du anscheinend etwas, nämlich die Werke, in denen er genau das getan hat: die Staatsideologie plakativ rauszuposaunen. Oder welche versteckte Botschaft ist in den grauenvollen Propaganda-Chorabschlüssen der 2. und 3. Symphonie, dem gewaltverherrlichenden "Lied von den Wäldern" oder der Schund-Kantate "Über unserer Heimat strahlt die Sonne" verborgen? Dagegen empfinde ich ja sogar das bombastische Jubelfinale der Leningrader Symphonie noch in gewisser Weise als gelungen, auch wenn es kompositorisch ähnlich schwach ist, aber immerhin als zeitgebundener Ausdruck des Optimismus während des deutschen Vernichtungskrieges seine fürchterliche Berechtigung hatte. Aber ich weiß: Solomon Wolkow hat ja geschrieben, dass das Thema der Symphonie nicht etwa die Kleinigkeit von einer Millionen verhungerter Zivilisten im von den Deutschen belagerten Leningrad und die Hoffnung auf einen sowjetischen Sieg gegen die Deutschen ist, sondern Stalins Verbrechen vor dem Krieg, zu denen Hitler (das steht da wörlich!) "nur den Schlusspunkt" gesetzt habe. Kein Wunder, dass diese frei erfundene These gerade in Deutschland so viele Anhänger hat. Zwar gibt es für sie keinerlei Beleg (und dafür sollten eigentlich gerade die Schostakowitsch-Verehrer dankbar sein, die ansonsten glauben müssten, dass ihr Idol ein gefühlloses Monster war), aber sie passt so schön in das geschichtsverfälschende Bild des heimlichen Dissidenten Schostakowitsch, den man damit nebenbei gleich zur Exkulpation der eigenen Vorfahren nutzen kann. Ich behaupte nicht, dass er nur solche Propagandawerke geschrieben hat, aber diese (von denen es neben den genannten noch eine ganze Reihe weiterer gibt) wahlweise verschämt zu verschweigen oder durch gewagte Luftkonstruktionen in das Gegenteil dessen umzudeuten, was sie sind, ist Ausdruck puren Wunschdenkens. Er war eine ambivalente, widersprüchliche Persönlichkeit, war in typischer Weise zugleich "dafür" und "dagegen", glaubte an den Sozialismus und verzweifelte gleichzeitig an seiner brutalen Realität. Zu dem Ergebnis kommt man wenigstens, wenn man die eine Seite nicht "überhört" oder schön redet sondern sich mit ihm, seinem Gesamtwerk und der Zeit seiner Entstehung beschäftigt. Dazu gehört vor allem, dass man Leute fragt bzw. liest, die selbst im Sozialismus oder gar im Stalinismus leben mussten.


    Ich finde, dass das eine sehr gute Würdigung der Persönlichkeit Schostakowitsch und seiner schwierigen Lebensumstände ist. Sicherlich waren die 9. und 13. Sinfonie wagemutige Großtaten dieses Komponisten, aber es gibt dann eben halt auch noch z. B. die 12. als schwer verdaulichen Propaganda-Schinken. Werke wie dieses zum Akt der Ironie zurechtzudeuten scheint mir sowohl historisch als auch logisch fragwürdig zu sein. Mit welchem wundersamen Akt konnte Schostakowitsch denn sicherstellen, dass nur Dissidenten diese Ironie verstehen und der Staatsapparat nicht? Da dürfte das Gesamtbild einer zerrissenen Persönlichkeit deutlich plausibler sein.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

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