Was mich an Anton Bruckner fasziniert

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Ich glaube, in der 9. findet sich sogar ein Thema, dass man als erstes 12-Ton-Thema bewerten kann.


    Nein, das gibt es vorher in Liszts Faust-Sinfonie.


    Ansonsten bin ich natürlich wie fast immer fast vollständig mit Johannes einer Meinung
    :D
    nur, dass ich die Sinfoniker Mendelssohn, Schumann, Berlioz und Liszt nicht gegenüber Brahms, Bruckner, Tschaikowsky und Dvorak abwerten würde.


    (Franck, Borodin und Rimskij-Korsakow kann man dann eventuell Berwald, Spohr, Burgmüller oder Gade entgegenhalten.)

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    nur, dass ich die Sinfoniker Mendelssohn, Schumann, Berlioz und Liszt nicht gegenüber Brahms, Bruckner, Tschaikowsky und Dvorak abwerten würde.


    Ich wollte die weniger abwerten, als Komponisten nennen, die eher parallel mit Bruckner und Brahms ab ca. 1870 gewirkt haben. Liszt habe ich mehr oder weniger vergessen, aber mir ging es eben auch weniger um die "Neudeutschen" mit ihren Tondichtungen, sondern um explizite Sinfonien, wo es eben auch ein wenig mehr gab als Bruckner vs. Brahms.


    Ich gebe allerdings zu, dass ich auch manchmal dazu neige, das mittlere Jahrhundertdrittel im Bereich der Sinfonie gegenüber der späteren Zeit zurückzusetzen. Gegenüber den epischen Werken von Bruckner und Mahler scheinen Mendelssohns oder Schumanns Werke recht bescheidene klassizistische Übungen zu sein. Das ist aber problematisch; wie sich etwa an dem Einfluß auf Komponisten wie Gade wurden diese Werke durchaus als Vorbilder genommen.


    Eine Frage, die sich bezüglich Bruckner stellt, ist, ob seine Sinfonien als eine Art "Dritter Weg" gegenüber dem Klassizismus von Mendelssohn bis Brahms einerseits und den "Neudeutschen" (Berlioz, Liszt usw.) andererseits gesehen werden sollten. Denn gegenüber letzteren ist er, auch wenn er ebenfalls an Wagner anschließt, eben sowohl "inhaltlich" (kein Programmatik) als auch formal (Viersätzigkeit, sehr eng gefaßte "Typen" von Sätzen) eher konservativ.
    Der Verweis auf Dvorak, Tschaikowsky oder auch Franck oder Rimsky zeigt aber, dass es noch mehr Optionen gibt. Sie schreiben sowohl Sinfonien (teils mit angedeuteten Programmen, teils "absolut") als auch sinfonische Dichtungen (Manfred, Dvoraks 4 späte usw.)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo JR,


    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich muß aber sagen, dass ich auch Deinen Höreindruck nur schwer nachvollziehen kann. Im Finale vielleicht. Aber im Kopfsatz, das Vogelstimmen (?) Nebenthema usw. ist doch ziemlich entspannt. Auch das Scherzo (einen Satz, den ich nicht leiden kann, aber darum geht es nicht) empfinde ich nicht als besonders spannungsreich.
    Es ist aber wohl richtig, dass bei Bruckner sehr lange "Steigerungswellen" vorkommen, wie sich alle Entwicklungen ja sehr allmählich und breit vollziehen.


    (Wenn eine Aufführung der 4. anderthalb Stunden dauert, ist übrigens etwas faul; sie sollte maximal eine gute Stunde dauern, selbst für die 8. erreicht man 90 min nur bei übertrieben breiten Tempi.)


    JR


    Wie gesagt, es ist ein Höreindruck, und gerade den Kopfsatz finde ich gar nicht entspannend. Wenn auch einige Seitenthemen etwas gefälliger ausfallen, bleibt doch immer dieser unterschwellig ansteigende, und immer nur kurz zurückgenommene oder -geführte Spannungsbogen. Aber es handelt sich hier eben um Höreindrücke, nicht um etwas objektiv Nachweisbares.


    Diesen Eindruck teilen aber Menschen, mit denen ich mich darüber austausche, häufig, und einige hier im Forum sehen es ja wohl auch so.


    Was die Länge der Sinfonie angeht, hast du natürlich Recht. Ich habe während der Aufführung nicht auf die Uhr geschaut und vor meinem Posting auch nicht in den Konzertführer und habe daher nur eine gefühlte Zeit angegeben.


    tukan

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Eine Frage, die sich bezüglich Bruckner stellt, ist, ob seine Sinfonien als eine Art "Dritter Weg" gegenüber dem Klassizismus von Mendelssohn bis Brahms einerseits und den "Neudeutschen" (Berlioz, Liszt usw.) andererseits gesehen werden sollten. Denn gegenüber letzteren ist er, auch wenn er ebenfalls an Wagner anschließt, eben sowohl "inhaltlich" (kein Programmatik) als auch formal (Viersätzigkeit, sehr eng gefaßte "Typen" von Sätzen) eher konservativ.
    Der Verweis auf Dvorak, Tschaikowsky oder auch Franck oder Rimsky zeigt aber, dass es noch mehr Optionen gibt. Sie schreiben sowohl Sinfonien (teils mit angedeuteten Programmen, teils "absolut") als auch sinfonische Dichtungen (Manfred, Dvoraks 4 späte usw.)


    Ich dachte, dass Brahms harmonisch auch nicht ohne Wagner denkbar ist - kann das aber nicht belegen (für meine Schweinsohren ist das sowieso viel zu kompliziert ...)


    Die Zuordnung: Brahms - konservativ versus Bruckner - neudeutsch ist sicher problematisch, denn beide haben Wagner verdaut und bauen klassizistische Formen, während Wagner im Gegensatz zu Berlioz auch hinter seiner Tristan-Orgie ein konservatives funktionsharmonisches Gerüst hat (Berlioz ist insofern revolutionärer, als er einfach "irgendwelche" Akkorde reiht).


    Es ist also jeder nur bezüglich irgendeines Aspektes konservativ, und es wird nicht schwerfallen, auch Mendelssohn und Schumann als fortschrittliche Komponisten herauszustellen (sonst wären sie wohl auch schon längst stark abgewertet worden).


    Spielt es so eine große Rolle, ob jemand auch sinfonische Dichtungen geschrieben hat?


    Es wäre eher interessant, sich zu überlegen, worin denn nun der Unterschied zwischen Brahms und Bruckner liegt. Haben wir dafür einen Thread?
    :hello:

  • Bei der Diskussion Brahms vs Bruckner möchte ich allerdings zur Diskussiomn geben, dass Brahms im Gegensatz zu Bruckner in Wien eben dei wichtigsten Kritiker und Entscheidungsträger auf seiner Seite hatte, wohingegen der Wagner-Anhänger Bruckner aus verschiedenen Gründen keinen guten Stand in Wien hatte und erst gegen Ende seines Lebens über den Umweg München als großer Komponist Anerkennung fand.
    Es ist also - wie meist - viel Schicksal dabei, weshalb der eine Komponist als bedeutend, der andere als "Randerscheinung" angesehen wird. Brahms selbst erkannte Bruckners Größe kurz vor seinem Tod an.


    Was nun die anderen, hier genannten Komponisten angeht, so spielten Dvorak oder Tschaikowsky in Deutschland zu jener Zeit keine besonders große Rolle.


    Ich habe am Wochenende meine Bestellung mit Bruckners Streichquartett und -quintett erhalten. Wenn man das hört und es zB mit einen Brahms-SQ vergleicht, dann wird schon ein enormer Unterschied deutlich, finde ich. Da höre ich schon eine größere Nähe von Bruckner zu Schostakowitsch als zu Brahms und bei dem eine Nähe zu Mendelssohn.


    Und dann frage ich mich eben, ob es nicht einen Unterschied macht, ob jemand von der Orgelmusik/Kirchenmusik kommt oder von der Kammermusik.


    Der Vgl. Bruckners mit Beethovens 9. hinkt ein wenig. Der 4. Satz der 9. kommt bei Bruckner in der Form einer mit Gesang strukturierten Sinfonie nicht vor.
    Und Schuberts 9. hat ja tatsächlich was von Bruckner, ist aber eben seine letzte Sinfonie. Die frühen Sinf. sind deutlich kürzer.


    Zum Thema "Überkomponist": Das ist ja auch Geschmackssache. Hätte jemand zur Zeit Mendelssohns auch so über Bach geurteilt, als dieser wiederentdeckt wurde? Es muss irgendwas an Bruckner und Mahler sein, was nicht nur den Hörern, sondern auch den Interpreten gefällt, sonst würden sie ja eben nicht so oft aufgeführt werden.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Es muss irgendwas an Bruckner und Mahler sein, was nicht nur den Hörern, sondern auch den Interpreten gefällt, sonst würden sie ja eben nicht so oft aufgeführt werden.


    Das liegt sicher einfach auch an dem publikumswirksamen Gigantismus:
    Außer bei modernen Komponisten findet man selten einen solchen Aufmarsch an Musikern und Instrumenten, bis alle auf der Konzertbühne sind. Ich denke, es schmeichelt ganz einfach auch der allzumenschlichen Eitelkeit der Dirigenten, Kapitän eines Megaliners und nicht nur einer Fregatte zu sein.


    Gerade wegen dieser Riesigkeit macht es andererseits mir und wohl auch anderen Konzertgästen viel Spaß, einen solchen voluminösen Klangkörper zu erleben.


    Es muss nicht jede Aufführungsentscheidung mit Qualitiät zu tun ahben, aber bei Mahler und Bruckner treffen sich auf das Schönste Qualitiät und menschliche Freude am Pompösen und Außerordentlichen.


    tukan

  • Zitat

    Original von tukan
    Das liegt sicher einfach auch an dem publikumswirksamen Gigantismus: [...]


    Guter Punkt.


    Würde auch erklären, wieso gerade die Symphonien V, VII, VIII und IX so oft aufgeführt werden (früher vielleicht noch extremer, man denke nur an Knappertsbusch und Celibidache, die sich den frühen Symphonien komplett verweigerten).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Ich dachte, dass Brahms harmonisch auch nicht ohne Wagner denkbar ist - kann das aber nicht belegen (für meine Schweinsohren ist das sowieso viel zu kompliziert ...)


    Keine Ahnung. Brahms wurde ja, nicht ganz freiwillig zum Gegenpapst gegen Wagner und die "Neudeutschen" aufgebaut. Als junger Mann hatte er ja Liszt ebenso vorgespielt (oder hat Liszt eine seiner frühen Sonaten vom Blatt gespielt) wie Schumann. Es wäre vielleicht nicht ausgeschlossen gewesen, daß er sich alternativ Liszt & Co angeschlossen hätte.


    Zitat


    Die Zuordnung: Brahms - konservativ versus Bruckner - neudeutsch ist sicher problematisch, denn beide haben Wagner verdaut und bauen klassizistische Formen, während Wagner im Gegensatz zu Berlioz auch hinter seiner Tristan-Orgie ein konservatives funktionsharmonisches Gerüst hat (Berlioz ist insofern revolutionärer, als er einfach "irgendwelche" Akkorde reiht).


    Dennoch faßt man ja die Neudeutschen irgendwo zusammen; Bruckner gehört ganz sicher nicht ohne weiteres dazu, wurde aber doch eher zu dieser Fraktion gerechnet, jedenfalls von einem Gegner wie Hanslick.


    Zitat


    Es ist also jeder nur bezüglich irgendeines Aspektes konservativ, und es wird nicht schwerfallen, auch Mendelssohn und Schumann als fortschrittliche Komponisten herauszustellen (sonst wären sie wohl auch schon längst stark abgewertet worden).


    Spielt es so eine große Rolle, ob jemand auch sinfonische Dichtungen geschrieben hat?


    Es ist jedenfalls, wenn vielleicht auch oberflächlich, ein oft angeführter Unterschied. Mendelssohn ist schon sehr klassizistisch, die frühen Klavierwerke Schumanns kann man dagegen als revolutionär (m.E. mehr als irgendwas von Brahms oder Bruckner) bezeichnen. Dann meinte er, man müsse als etablierter deutscher Komponist ordnungsgemäße Sinfonien schreiben und wurde in mancher Hinsicht klassizistischer. Zumindest die 4. (eigentlich 1.?) halte ich aber für eine sehr überzeugende und originelle "Antwort" auf Beethovens 5; durchaus romantisch-fantastisch, dennoch eine ähnliche oder noch stärkere Integration der Einzelsätze ins Gesamtwerk.


    :hello:


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Was mich an Bruckner fasziniert …


    … Bruckners Symphonien liegt ein ganzheitlicher Ansatz zugrunde. Sie sind keine lose Abfolge von vier verschiedenen Sätzen, sondern eine Folge deutlich aufeinander bezogener Sätze. Dies gilt zumindest für Kopf- und Finalsatz ab der dritten Symphonie. Das äußert sich meist darin, dass das erste Thema des Kopfsatzes am Ende des Finalsatzes eine überwältigende Apotheose erfährt, so in der dritten, vierten, fünften, siebten und achten Symphonie. (Die sechste habe ich gerade nicht parat.)


    Ein ganz besonderes Beispiel ist die fünfte Symphonie. Der Kopf des ersten Themas des ersten Satzes klingt wie eine offene Frage – er moduliert über einen kurzen, aber abenteuerlichen Umweg (Ges-Dur) von der Haupttonart B-Dur in die Dominante. (Tonfolge b --- des‘ – b – as – ges --- f – e – f – c‘ – f‘.) Diese Frage wird in der Durchführung immer wieder neu beleuchtet. In der Reprise des Kopfsatzes kehrt das Thema natürlich pflichtschuldigst wieder, aber in der Coda geht der Satz ganz schnell zu Ende – die Frage wird hier noch nicht beantwortet.


    Es folgen der zweite und der dritte Satz, deren Anfang auf dem jeweils gleichen Motiv (in verschiedenen Tempi) beruht.


    Im Finale werden die Einleitung des Kopfsatzes, das erste Thema des Kopfsatzes und das Anfangsmotiv des 2./3. Satzes (im Tempo des 2. Satzes) in Erinnerung gerufen, analog zum Beginn des Finales von Beethovens 9. Sinfonie.


    Es folgt eine Fuge über ein – bei den vorangegangenen Reminiszenzen bereits von der Klarinette eingestreutes – Oktavmotiv, dann ein Choral. Dann wird der Choral fugiert. (Irgendwo kommt noch ein drittes Thema, ich weiß jetzt auswendig nicht, ob vor oder nach dem Choral; wahrscheinlich davor.) Gegen Ende des Satzes tritt das erste Thema des ersten Satzes wieder in Erscheinung. Schließlich erfährt der Choral eine gewaltige Apotheose, an deren Ende das erste Thema des Kopfsatzes in einer rein tonikalen Form erscheint, also nicht mehr als modulierende Frage, sondern als Aussage, als Bejahung, als Ende aller Fragen. – Es gibt noch zig weitere interne Bezüge. Z. B. gibt es schon in der Einleitung des Kopfsatzes choralartige Abschnitte, die erst im Choral des Finales ihre endgültige Form zu finden scheinen. Fazit: Eine gewaltige Architektur, zielgerichtet auf den Schluss.


    Die Welt ist bei Bruckner ein Ganzes und geht trotz aller temporären Unklarheiten einem guten Ziel entgegen. Das ist doch tröstlich.


    Solche Ganzheit hat Mahler vielleicht noch gesucht und versucht (Finale der 1., 2., 3., 4., 5., 8.), aber ich höre bei ihm viel mehr Gebrochenheit, Scheitern, Doppeldeutigkeit, Ironie, insbes. in der 4., 6., im Lied von der Erde und in der 9. Aber auch in den apotheotischen Symphonien: etwa im „Bruder Jakob“ der 1., in den Ländlerabschnitten der 2., im „O Mensch“ der 3., im zweiten Satz der 5. Eine Mahlersche Ironie in der Musik wäre Bruckner wohl wesensfremd.


    Der ganzheitliche Ansatz Bruckners hat oft etwas Überwältigendes. Wir wissen, dass das, was davon handwerklich „gemacht“ werden kann, zu politischen Zwecken missbraucht wurde. Darum sind wir, die wir bekanntlich aus Gnade spät geboren sind, empfindlich geworden (erzogen?) gegen das, was uns überwältigt. Wir sind versucht, solche Dinge nur der Überwältigung wegen zu verdächtigen. Ich meine, dass dies bei Bruckner nicht angebracht ist und widerspreche denjenigen, die hier von waffengepanzerten Blechapotheosen sprechen. Da höre man zum Vergleich das Finale von Schostakowitschs 5. Sinfonie, von dem der Komponist sagte, dass man ein kompletter Idiot sein müsse, um nicht zu hören, dass der Jubel des Orchesters mit Gewalt erzwungen sei. – Bei Bruckner sind mir diese Apotheosen politisch unverdächtig.


    Bruckners Musik erinnert mich daran, dass es Dinge gibt, die größer sind als wir.

  • Seit Weihnachten, als ich mir die 12 CD-Box mit Celibidaches Bruckner auf den iPod geladen habe, bin ich dieser Musik verfallen. Ich habe täglich 40 Minuten S-Bahn zur Arbeit, früh hin, abends zurück, und habe dabei alle Sinfonien (3-9) wenigstens 7mal gehört, und nicht nur im Zug, auch so, in Ruhe, vorm Einschlafen, am Sonntagnachmittag usf. Ich gehe schon garnicht mehr in Musikläden, ich will garnichts anderes hören. Ein iPod mit 1 GB wäre eigentlich genug, den könnte ich mir an den Kragen heften, es gibt doch Modelle mit einer Klammer. Ich hätte dann einen Brucknerclip, wahrscheinlich ein farbig glänzendes Modell. Ich finde die Sinfonien immer wieder grossartig, und lange hat mich keine Musik dermassen in Bann geschlagen, oder eben “fasziniert”. Es ist so leicht raus, das Wort “fasziniert”. Ich habe jetzt extra im Deutschen Wörterbuch nachgeschlagen. Da steht´s: “behext”.
    Das ist die Musik, genau wie ich sie mir gewünscht hätte, wenn ich gewusst hätte, was ich mir am wünschen sollte. Was ich eigentlich immer gesucht hatte. Von grossen weiten Drachenschwingen getragen werden über eine uralte Landschaft mit Tafelbergen, und von einem Felsplateau aus einen halbstündigen feierlich-ernsten Planetenaufgang erleben... Genau so muss es sein! Als Behexten kommt es mir durchaus nicht albern vor, mich so auszudrücken.
    Momentan kann ich nicht genau angeben, welche mir am Besten gefällt. Auf jedem Fall liegt die 4. ziemlich weit hinten in meinem persönliche Ranking, vielleicht wurde sie mir durch das Empfehlung “am eingänglichsten" und ihre Ellenlängenpräsenz im Bruckner-CD-Angebot verleidet. Die 8. bläst die doch einfach weg. Es ist schade, dass die 9. nicht fertig geworden ist. Es tröstet mich ein wenig, dass es noch andere Einspielungen gibt, für später. Im Moment verbleibe ich, Celibidaches Bruckner verfallen, mit besten Grüssen
    Julius

    Julius

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • In früheren Jahren konnte ich mit Bruckner "nur" Chorwerke verbinden. Hier sind sehr emotional, religiös angelegte Chorsätze aus seiner Handschrift vorhanden. Gradualien wie "Virga jesse" "Christus factus est" "Locus iste", Motette "Libera me Domine", sein "Te Deum" und auch die Windhaager Messe (die ich erst letztes Jahr bei einem Hochfest, zusammen mit zwei Hörnern und Orgel, Solo gesungen habe)
    Letztes Jahr kam ich dann erstmals in den Genuss, Bruckner seine 4.te in einem Konzert live zu hören. Zur Vorbereitung habe ich mir die Orchesterpartitur samt einer Aufnahme genommen und mich voll und ganz dem Aufbau der Sinfonie gewidmet. Dieses Jahr im Frühjahr konnte ich in der Philharmonie am Gasteig die 5.te unter Haitink hören und erleben.
    Der vierte Satz geht durch und durch. Wer sich meines Erachtens dieser Musik hingeben kann, erlebt Glücksgefühle samt Gänsehaut samt Tränen der Freude, dieses Werk so durchdringend spüren zu dürfen. Die Kunst alle vier Themen in einer Fuge miteinander zu verknüpfen, Spannung aufzubauen bis zum letztendlich wirklichen Schlussakkord.
    Die 7.te habe ich erst vor zwei Wochen unter der Leitung von Herrn Nagano in der Basilika Ottobeuren erleben dürfen. Wieder ein Erlebnis für sich.


    Bruckner heißt auch für mich, im Alltag in den unterschiedlichsten Momenten und Situationen, Themen bzw. einzelne Abschnitte aus den Sinfonien im Kopf zu hören und wieder dieses wunderbare Gefühl seiner Musik zu genießen.


    Bruckner geht unter die Haut und belebt alle Sinne.

  • Ich denke, wenn ich damals Bruckner begegnet wäre, hätte ich mir niemals vorstellen können, daß er solch wunderbare Musik geschrieben hat.


    Kennengelernt habe ich zuerst das Scherzo und Finale der "Nullten" via Radio unter der Leitung von Rosdhestvenski.


    Ein ergreifendes Erlebnis war das erste Livekonzert im Stift St. Florian. Dort wurde die 8.te vom Rundfunkorchester des Bayrischen Rundfunk unter der Leitung von Kurt Eichhorn gespielt. Eichhorn lebte in, für und mit Bruckner. Das spürte man auch. Bem Adagio war ich zu Tränen gerührt.


    Gerne erinnere ich mich an die 5.te im Brucknerhaus Linz mit den Bamberger Symphoniker unter Horst Stein.


    Das packenste Brucknerkonzert war die 8.te im Brucknerhaus mit dem Brucknerorchester unter Dennis Russell Davies, dessen Mitschnitt ich auch auf CD erworben habe.
    Ich finde jede seiner Sinfonien sehr schön, habe aber auch schon wahrlich schlechte Interpretationen gehört.
    Letztens habe ich die neue CD der "Nullten" mit dem BOL unter Davies erworben. Dies ist meiner Meinung nach die erste Aufnahme dieser Sinfonie, die nach einer der "Großen" klingt.


    Bruckners Schwieriges Leben wurde auch durch die "Brahmsianer", besonders durch den Kritiker Hanslik geprägt, was ihn aber nicht davon abhielt, weiter zu schreiben.
    Ich bin jedenfalls froh, seine Musik kennengelernt zu haben :yes: .


    Liebe Grüße
    Werner

  • Ich erschließe mir gerade die Bruckner-Symphonien mit der Karajan-Edition und mir gefallen diese Klangwellen sehr gut. Ich bin ja prinzipiell für grosse Klanggebäude a la Wagner zu haben und was ich schon in den ersten 3 Symphonien Bruckners erleben konnte, war gewaltig. Im Moment höre ich die 4., die Romantische. Wunderschön der Wechsel zwischen träumerisch-zarten Stellen und eruptativen Ausbrüchen. Diese Symphonie malt bei mir das Bild eines Spaziergangs zunächst durch einen ganz ruhigen Wald, dann wieder an der Autobahn entlang, wieder zurück in Weinberge, dann wieder auf die Flughafenstartbahn :D Mir gefallen so brutal wechselseitige Stimmungen enorm !


    Obwohl ich ja schon lesen konnte, dass mir mit der 8. und 9. Symphonie Bruckners noch einiges bevorsteht. Ich freue mich sehr drauf !

  • Hallo Louis,


    schön, daß du dir auch allmählich Bruckner erschließt.


    Mit Karajan hast du dir gleich eine der besten Gesamtaufnahmen zugelegt und m. E. eine gute Wahl getroffen (manche Einzelaufnahmen mögen hie und da besser sein, aber insgesamt ist sie schon sehr gut).


    Freu dich auch auf die 5. Symphonie (hier bei HvK toll gelungen), meine liebste von Bruckner, noch vor der 8. und 9.


    LG
    Joseph
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph II.,


    Gestern Abend habe ich gemerkt, daß Bruckner bei mir im "Alltag" nicht geht. Wagner ist ja auch laut, aber Bruckner ist so unterschiedlich laut, daß ich das nach einem Arbeitstag nicht ertragen habe. Dieses ständige auf und ab in der Lautstärke, das war echt zuviel. Wie in einer Achterbahn ist mir schwindelig geworden und ich musste das beenden.
    Habe übrigens die 5. dabei angehört.


    Geht Dir das auch so ? Ich war eigentlich überrascht, wie unglaublich weh diese Musik tat :stumm:

  • Zitat

    Ich war eigentlich überrascht, wie unglaublich weh diese Musik tat

    Ja, Bruckner ist schmerzdurchdrungene Musik. Deshalb erschließt sie sich auch nur den Hörern wirklich, die wissen, was Schmerz bedeutet. Allen anderen bleibt sie verschlossen.

  • Ja, Bruckner ist schmerzdurchdrungene Musik. Deshalb erschließt sie sich auch nur den Hörern wirklich, die wissen, was Schmerz bedeutet. Allen anderen bleibt sie verschlossen.

    Dann wird sie mir ewig verschlossen bleiben, trotz der über 100 Aufnahmen, die im Regal stehen. Ich bin häufig in Hamburgs Musikhalle gewesen, so hieß sie damals noch, und habe Bruckner erlebt, den der kranke und gehbehinderte Wand zelebriert hat. Er hat sicherlich auch Schmerzen gespürt, an seinem Körper, nicht aber Bruckners Musik. Die Aufführungen mit dem NDR-Sinfonieorchester waren grandios, die Blöcke wie in Erz gemeißelt, so und nicht anders, das waren Wands Worte. Das Publikum war hingerissen vor Freude und Begeisterung. Die von mir mehrfach dort erlebten Sinfonien von Bruckner: 4, 7 und 9. Unvergessene Sternstunden. Konserven sind nur ein schwacher Trost.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Im Moment verbleibe ich, Celibidaches Bruckner verfallen,


    Hallo,
    mich würde interessieren, ich will aber nicht indiskret sein, warum Du gerade dem Bruckner von Celibidache verfallen bist?


    Danke für Deine Antwort.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Was mich an Anton Bruckner fasziniert?
    ALLES!


    Also, sein Liebesleben finde ich offen gesagt wenig interessant.


    Hallo,
    mich würde interessieren, ich will aber nicht indiskret sein, warum Du gerade dem Bruckner von Celibidache verfallen bist?


    Ich "oute" mich mal als Celi-Fan bei Bruckners Sinfonien.


    Bei Celi wird die Ganzheit dieser Werke, die zyklische Anlage, für meine Begriffe in besonderer Weise erfahrbar. Celi kann diese Musik in der Zeit entfalten wie kein anderer. Man wünscht sich, dass es nie aufhört. Celis Überzeugungen wie "Das Ende liegt im Anfang" u. ä. werden bei Bruckner in besonderer Weise erfahrbar.


    Zur Kombination Bruckner/Celi greife ich eigentlich nur bei besonderen Gelegenheiten. Besonders gelungen sind die 3.., 4., 5., 8. und 9. mit dem MPO. Die CD mit Probenausschnitten zur 9. sollte man unbedingt hören.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • 9. mit dem MPO. Die CD mit Probenausschnitten zur 9. sollte man unbedingt hören.


    Hallo Wolfram,


    ist inzwischen auf meinem Merkzettel.


    Celibidache ist ja eigentlich out - wer will noch langsame Tempi hören (ich schon!).
    Wenn ich das richtig im Kopf habe, war seine grundlegende Überzeugung, dass Tempi (egal was vorgeschrieben ist) sich an der schnellsten Stelle des Werkes orientieren müssen und zwar so, dass diese noch erfasst und verarbeitet werden können; also wenn z. B. Viertel mit MM 130 angegeben ist und er 125 für richtig hält, dann sind alle weiteren Tempiangaben im Verhältnis anzupassen um den Gesamtcharakter zu wahren, was dann zu manch "langsamen" Adaigos führt.



    Ich wollte, ich hätte einen 48-Stunden-Tag - es gibt so viel zu hören; dazu kommt noch meine Unart, manches Werk 10x, 20x zu hören (z. B. Schuberts große C-Dur, Mozart KV 539, Lauridsen, Distler/Mörike, C. Franck).


    Wenn ich mit der "Winterreise" ein Ende finde, möchte ich einen Thread zur franz. Orgelmusik anstoßen und hoffe auf größtmögliche Unterstützung der Orgelexperten hier (deren Einer ich nicht bin!); auch nicht so bekannte Werke aus dem skand. und südwest-europ. Raum stehen an, von den USA ganz zu schweigen.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Längst müsste ich ins Bett, doch will ich hier noch was zu Bruckner sagen - hier gähne ich und kann nicht anders... ;) Also ein kurzer Abriss:


    Ich war wohl noch knapp Teenager, als ich mir zum Musikhören beim Bügeln immer wieder CDs aus den Regalen meines Vaters holte. Irgendwann war eine schwarze (?) Doppel-CD dabei mit Bruckners Achter unter Giulini. "Padamm-padamm-padamm-padamm"- die Pauke im 4. Satz hat mich elektrisiert, wie überhaupt das ganze Stück. Lang, auch schwer, aber großartig. Es kam die Vierte dazu, deren magisches Hornsolo auf dem ätherischen Streicherteppich Gänsehaut macht. Und ich ging in den Laden und hörte in Aufnahmen rein, kaufte mir die Achte mit Solti und dem CSO, die Dritte, die Zweite; hörte die Vierte live in der Alten Oper (war es das SFS?? Ich glaube, das war mein erster Kontakt zu den Musikern aus San Francisco unter Blomstedt).
    Über den Schulchor kam der erste Kontakt zu den Motetten: Locus iste, in der Kirche gesungen. Wieder eine elektrisierende Erfahrung; Frankfurter Kantorei live und auf Band. Was für Schätze der Vokalmusik!
    Den Aufnahmen Wands mit dem NDR in meinem eigenen CD-Regal folgte die Gelegenheit: Rheingau Musik-Festival: NDR, Wand, Bruckner 8. Ich pilgerte nach Wiesbaden. Und war elektrisiert, mal wieder, und platt. Und konnte noch einen Karte für die Alte Oper bekommen - war es am nächsten Abend? Zwei Tage drauf? Jedenfalls kurz danach wieder: NDR, Wand, Bruckner 8. Sucht!
    Nicht lange danach gab Blomstedt seine Abschiedstournee mit dem SFS in Europa. Mein Onkel in München hat ein Abo für den Gasteig, meine Tante mag Bruckner nicht (schade!), ich aber umso mehr. Also auf in den Süden: SFS, Blomstedt, Bruckner 8. Und das auch noch kostenlos, bis auf die Zugfahrt... ;) Autogramm, Schwätzchen mit den Musikern hinter der Bühne. Das Programm ("Winderstein"??) habe ich wohl auch noch irgendwo.
    Zwischendurch CDs, von Sinfonie 0-9, dazu Motetten (Gardiner!!! Mit dem Monteverdi Choir!!! Auch gut: SWR Vokalensemble unter Creed) u.a.


    Die Motetten und Graduale höre ich immer mal wieder, meist wenn mir danach ist, sie mitzusingen. Die Sinfonien haben immer wieder lange Pause. Es oft ein bisschen wie ein Rausch, Bruckner zu hören. Sehr gut auch im Auto, wobei ich das in jungen Jahren lassen musste, weil ich beim Jagdsatz der 4. immer viel zu schnell unterwegs war...


    Bruckner ist ein Kosmos für sich. Er baut zarte, anrührende Vokalhauben und unermesslich große Klanghallen von unglaublicher Tragweite, entweder säulenlos, wie es bei dieser Größe in Stein gar nicht ginge (ich hoffe, man versteht dieses Bild), dann wieder mit den "Säulen der Erde", auf denen das Dach seiner klanglichen Kathedrale ruht - Blechpfeiler mit Paukenfundament, sozusagen.
    Ein ganz großer, mit irrsinnigen Akkorden und Harmonien. Ich bin froh, dass ich Bruckner relativ früh für mich entdeckt habe.


    In diesem Sinne beste Grüße
    Accuphan

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Lieber Accuphan,


    zufällig habe ich diesen Thread angeklickt und deinen sehr schönen Beitrag gelesen. Leider hatte ich keinen Vater mit einer so tollen CD-Sammlung. Ich hatte wohl einen Vater, der sozusagen die Schnittstelle zu meiner Liebe zur klassischen Musik wurde, indem er mir bestimmte Stücke vorstellte, die er gerne hören mochte. Z.B. erinnere ich mcih, dass eines Tages die Ouvertüre zur Operette "Dichter und Bauer" von Franz von Suppé im Radio lief. Er machte mich auf dieses schöne Stück aufmerksam. Dann nahm er mich, als ich im Alter von sechs Jahren war, mit in eine Messe zum örtlichen Schützenfest, in der unser sehr guter Männerchor die "Deutsche Messe" von Franz Schubert sang. "Whamm". Da hatte es mich erwischt. Mit 10 Jahren trat ich dann in den Schulchor ein, mit 16 in den Kirchenchor (da hatten wir im Schulchor bereits "Die Himmel erzählen" aus der Schöpfung gesungen), und wenige Jahre später lernte ich Palestrinas "Missa papae marcelli" und Bruckners siebenstimmiges "Ave maria" kennen. Da war ich nun bei Bruckner gelandet. Wiederum einige Jahre später, ich war 20 (1966), lernte ich Günter Wand kennen (nicht persönlich), aber im Gürzenich, wo ich ein fabelhaftes Beethoven-Konzert miterlebte. Ich war während dieser Zeit bei der Bundeswehr in Köln-Porz, und unsere Sekretärin hatte eine Karte zu diesem Konzert, mochte aber die Musik nicht, da habe ich natürlich dankbar zugegriffen. Erst sehr viel später habe ich nach zahlreichen Wand-Rundfunk-Konzerten die ersten CD's gesammelt, und zwar mit Beginn des Schleswig-Holstein-Musikfestivals.
    Und-- Asche auf mein Hauot- nur ein weiteres Mal habe ich Günter Wand live erlebt, und zwar 2001 in Lübeck bei seinem letzten SHMF--Konzert, wo er die beiden "Unvollendeten" von Schubert und Bruckner dirigierte. Ein Jahrhundert-Konzert. Der Kritiker von den Lübecker Nachrichten titulierte seine Rezension mit den Worten "Musik von einem anderen Stern".


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ach geh, nicht schon wieder... :wacko:


    "Jaja diese Musik ist viel besser als die andere weil sie nicht affirmativ ist"....
    Und "dadurch dass Bruckners Musik hier eine ideologische Schlagseite bekommt, ist sie einer anderen unterzuorden"...
    usw. blablablablablabla


    Das kenn ich jetzt schon zur Genüge und es ist ehrlich gesagt ziemlich ernüchternd.
    Ich hasse es, wenn man hergeht und irgendeine philosophisch-akademischen
    Gründe anführt, warum irgendeine Musik besser sein soll als die andere... :thumbdown:
    Letztlich wird Musik immer subjektivistisch aufgenommen, auch der unterdurchschnittlichste aller Komponisten kann für irgendjemanden der größte Held sein.
    Ob Bruckner jetzt echt affirmative Musik schreibt oder nicht, ist glaube ich ziemlich umstritten.
    Ich kenne viele Leute, die sagen, sie mögen Bruckner, weil er gerade KEINE affirmative Musik schreibt. :pinch:


    Was ich sagen will: mir ist es ziemlich wurscht, was Bruckners Musik laut irgendwelchen philosophischen Aussagen ist, oder wie sie einzuordnen ist.
    Letztlich ertönt Musik und ist im Raum - wie sie dann wahrgenommen wird, ist Sache des Hörers.


    Abgesehen davon, empfinde ich das "Affirmative" oder eben das "nicht-Affirmative" nicht für einen ernstzunehmenden Parameter für Musik.
    Soll das etwa heißen, dass jede Musik, nur weil sie nicht affirmativ ist, besser sein soll als jede affirmative Musik??
    Oder Musik die ideologische Zwecke hat, immer schlechter sein soll, als nicht ideologische Musik???


    Ich glaube, dass solche "Gründe" immer nur Versuche der Rechtfertigung sind.
    "Bruckner ist schlecht, weil er affirmativ ist", ich bitte dich... :cursing:
    Das waren ja schon zu Bruckner-Brahms-Zeiten Gründe warum, die "gegnerische" Musik als schlecht bezeichnet wurde.
    Letztendlich haben sich beide durchgesetzt.
    Wofür ich sehr dankbar bin, denn hoffentlich hat sich der Brauch durchgesetzt Musik zu hören und sie nicht totzudiskutieren.


    Grüße :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

  • Eine wichtige Frage ist auch, welche Fassung der jeweiligen Symphonie als die "gelungenste" erachtet werden soll. Während die meisten Komponisten, die ihre Werke überarbeiteten, mit der Erstfassung offensichtlich nicht restlos glücklich waren und sie deshalb einer Revision unterzogen, liegt der Fall bei Bruckner ganz anders. Wie die Sache bei seiner Nullten bzw. Doppelnullten lag, weshalb er sie nicht in seinen Kanon aufnahm - ich weiß es nicht, wahrscheinlich sah er in ihnen die ersten Schritte zur Erreichung einer symphonischen Faktur, ähnlich wie auch Schubert einen ebenso steinigen Weg beschreiten mußte.


    Was aber die verschiedenen Fassungen betrifft, so wissen wir, dass diese als Einflussnahme von aussen erfolgten, wobei Bruckner diese Einwände fast kritiklos übernahm.


    Deshalb würde mich besonders interessieren, wie Bruckner-Kenner und -Liebhaber diese Situation bewerten - dafür wäre ich sehr dankbar.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Das konnte ich am Dienstag (06.09.) wieder einmal im Konzert bewundern, dieses Mal in Essen, wo die Staatskapelle Dresden mit ihrem designierten Chefdirigenten Christian Thielemann die Achte gab.
    Die großartige Architektur und die vielen Steigerungen dieser mit der Dritten und Achten Mahler sicherlich großrahmigsten Symphonie machte den Genius Anton Bruckners wieder einmal deutlich. Obwohl das Adagio mit ca. 25-30 Minuten Spieldauer "fast" im Mittelpunkt steht, ist m.E. doch alles auf das Finale ausgerichtet mit seiner überwältigenden Coda und dem überraschenden fp-Schlussakkord.
    Dieses grandiose kunstvolle Gebilde aus Klangblöcken bildet mit seinen Geschwistern sicherlich den zweiten Höhepunkt in der Symphonik des 19. Jahrhundert nach dem frühen ersten höhepunkt am Anfang des 19. Jahrhunderts mit den Symphonien Beethovens.
    Wenn die Musik dann noch so adäquat umgesetzt wird wie am Dienstagabend, dann kann man schon verstehen, warum diese Musik geradezu süchtig macht.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Oh ja, ich liebe die Achte!
    Thielemann macht grundsätzlich einen ganz ordentlichen Bruckner und gerade bei der Achten geht er sehr vernünftig ans Werk.


    Bruckners Musik ist einfach mitreißend, die "Granithand" Bruckners zieht einen durch alle Emotionen, Höhen und Tiefen.


    Sein Opus beschränkt sich allerdings nicht nur auf seine fantastischen Sinfonien (was viele ja so wahrnehmen :stumm: ), sondern ich liebe auch sein geistliches Werk, wie seine großartigen Motetten und Messen (+Requiem), sein Te Deum, oder auch das überaus gelungene Streichquintett...
    In letzter Zeit beschäftige ich mich auch immer mehr mit dem Klavierwerk Bruckners, dem unbedingt mehr Beachtung gegeben werden sollte (Brucknerianer müssten es ja sogar machen 8) )


    Allerdings liebe ich den Sinfoniker Bruckner gleich heiß wie Brahms, die beiden stehen bei mir auf gleicher Stufe.
    Brahms' Sinfonien sind für mich ebenso ein Erlebnis wie jede Bruckner-Sinfonie.


    Bruckner ist auf alle Fälle ein ganz Großer :thumbup:


    Grüße :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

  • Kennst du das "Locus iste", lieber Hammel, das siebenstimmige Ave Maria und die kleine C-dur-Messe, die sogenannte Windhaager Messe?. Wahrscheinlich eine höchst überflüssige Frage, ich erwähne diese Werke nur, weill wir sie in unserem Repertoire haben. Ich singe in zwei Kirchenchören im ersten Tenor, an die großen Messe werden wir uns wohl nicht herangwagen, aber auch diese Stücke sind kleine Meisterwerke, und speziell wenn wir das "Locus iste" singen, geht es mir durch und durch.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Was mich an Bruckner nicht fasziniert - Die vielen Fassungen - hier nur einmal Sinfonie 1 - 3 -


    Sinfonie 1 - Linzer Fassubng 1866 - Wiener Fassung 1891


    Linzer Fassung



    Wiener Fassung



    Sinfonie 2 - zwei Fassungen, am meisten gespielt die Nowak-Fassung


    Sinfonie 3 - 3 Fassungen, 1873, 1877, 1888.


    Wie soll man da Aufnahmen vergleichen, wenn es so viele Fassungen gibt. Ich besitze die 3,4,7 und 9. mit Inbal (Teldec) mit dem Hinweis, dass es sich hier um die Originalfassung handelt. Da Bruckner die Überarbeitungen selbst vorgenommen hat, sind da nicht alle Fasungen die Originalfassung?


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)



  • Deshalb würde mich besonders interessieren, wie Bruckner-Kenner und -Liebhaber diese Situation bewerten - dafür wäre ich sehr dankbar.


    Lieber Milletre,


    im Inhaltsverzeichnis der verschiedenen Threads findest Du einiges über die verschiedenen Fassungen einzelner Sinfonien.


    Ansonsten muß man sich einmal vor Augen halten, daß erst seit knapp drei Jahrzehnten die Erstfassungen der 3., 4. und 8. Sinfonie einer größeren Anzahl von Brucknerfreunden durch die CDs von Eliahu Inbal zugänglich gemacht wurden und daß auch heute noch die gewohnten Zweit- bzw. Drittfassungen weitaus populärer sind.


    Vergleicht man die jeweiligen Erstfassungen mit den gewohnten, so stellt man fest, daß die jeweiligen Unterschiede bei der 8. und bei der 4. am größten sind, wobei es vielleicht erstaunen mag, daß Bruckner, der mit der 7. Sinfonie endlich die lang ersehnte Anerkennung als Komponist sinfonischer Werke fand, trotzdem der Auffassung war, die danach fertig gestellte 8. Sinfonie ändern zu müssen. Kennt man allerdings ein wenig Bruckners Abhängigkeit von anderen Meinungen, erstaunt die Tasache wiederrum nicht.


    Ich persönlich denke, daß die Erstfassungen nicht nur ihre Berechtigung haben, sondern viel mehr beachtet werden müßten, insbesondere bei der 4. Sinfonie, der von Bruckner selbst so genannten "Romantischen".


    Für mich sind es zwei verschiedene Werke mit komplett abweichenden Charakteren. Die heute gängige Fassung von 1878/80 weist nicht nur ein komplett neues Scherzo, das so gemütlich titulierte "Jagdscherzo", auf, sondern auch erheblich eingängigere Melodien, Harmonien, Rhythmen und Tempi.
    Die Erstfassung von 1874 ist erheblich weniger "eingängig", ist musikalisch "sperriger" und rhythmisch experimenteller (z.B. im Finale im durchgehaltenen Quintolen-Rhythmus).


    Abseits des persönlichen Geschmacks gehört für mich die Kenntnis der Erstfassungen für jeden Bruckner-Liebhaber zum "Pflichtprogramm".

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


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