Ich habe mit beiden Opern nie Probleme gehabt, die Handlung zu verstehen, sondern immer nur das Problem zu erkennen, was an den Handlungen von "Titus" und "Troubadour" unverständlich sein soll.
Beim "Troubadour" habe ich den Verdacht, dass es sich bei der unverständlichen Handlung um ein Vorurteil der Musikwissenschaft handelt, das bis heute blind übernommen wird, obwohl gerade ein Blick auf jenes Drama, auf welchem das Libretto basiert, vieles erklärt. (Mag sein, dass bis in die 1970er-Jahre dieses Drama nicht einfach zugänglich war.) So findet sich in einem uralten Opernführer noch die Bemerkung, dass es unklar ist, um welche Kämpfe es sich eigentlich handelt.
(Persönlich finde ich aber, dass es auch ohne Kenntisse des Dramas möglich ist, sich in der Oper auszukennen.)
Dass das Verdikt einer unverständlichen Handlung ein Vorurteil der Musikwissenschaft als durch die Oper selbst ist, merkt man auch daran, dass die Oper seinerzeit sehr populär war und sich bis in die Gegenwart im Repertoire hält. (Wäre dies nur ein Verdienst der Musik gewesen, hätten sich die Oper niemals in Repertoire halten können, sondern lediglich ihre Einzelnnummern hätten die Zeit überdauert.)
Weiter kommt hinzu, dass der Troubadour mit Blick auf die Entstehungszeit einiges an Tabubrüchen enthält.
Beispiel 1: Leonora, die ins Kloster eintreten will, weil Manrico tot ist und flüchtet mit diesem (Finale des 2. Aktes).
In der Vorlage ist Leonora tatsächlich ins Kloster gegangen, für sie ergibt sich daher ein Konflikt, als sie mit Manrico flüchtet. In der Oper ist das bereits dadurch entschärft, als Leonora noch kein Gelübde abgelegt hat und nur die Absicht dazu hat. (Sie betritt auch nicht die Klostermauern selbst, die Finalszene spielt sozusagen noch vor der Klostertüre) . Dass es dennoch für die Entstehungszeit als heikel gesehen wurde, dass sie einfach mit Manrico flüchtet, auch wenn das in Oper selbst keine direkte negative Wertung erfährt, zeigt aber zum Beispiel Verdis Vorschlag an seinen Librettisten, dass Manrico die bewusstlose Leonora entführen soll, falls die Zensur da Einwände haben sollte.
Beispiel 2: "Der Troubadour" ist die einzige mir bekannte Oper im 19. Jahrhundert, wo eine "falsche" Messalliance (Mann ist niedrigeren Standes als die Frau) möglich. Manrico ist zwar als Hochadeliger Leonora ebenbürtig, aber das wissen beide nicht und sie erfahren es auch nicht. Manrico ist in der Oper (aus seiner Sicht und der der anderen Figuren) eindeutig ein Aufsteiger aus der Unterschicht (Sohn einer Zigeunerin). Es gibt zwar auch andere Opern wie beispielsweise "Ernani", wo das Liebespaar eine scheinbare Messalliance einzugehen bereit ist, aber dort weiß zumindest Ernani selbst, dass er ein Hochadeliger ist und somit Elivira ebenbürtig.
Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass solche Details für die Kritiker der Entstehungszeit nicht so einfach zu ignorieren waren.
Weiter kommt hinzu, dass viele Kritiken (gerade bei Hanslick sehr gut zu beobachten) von gewissen vorgefassten Meinungen, wie eine wirklich gute Oper auszusehen hat etc. beeinflusst sind. Wenn die Oper diesen Regeln entsprach, gab es Lob, wenn sie diesen nicht entsprach, gab es einen Verriss. Vielleicht bringt es etwas, wenn in der Musikwissenchaft endlich einmal statt den "Troubadour" weiterhin für eine Oper zu erklären, deren Handlung wirr ist und in der sich niemand auskennt, jemand untersucht, wie diese Einschätzung eigentlich überhaupt aufgekommen ist und worauf sie tatsächlich gründet.
Bei "Titus" habe ich auch kein Problem mit der Handlung, allerdings dürfte das Happyend aus heutiger Sicht, die eher pessimistisch ist und Einstellungen wie Rache fördert, nicht mehr zeitgemäß sein. Die (irrtümliche) Meinung, die sich inzwischen durchgesetzt zu haben scheint, dass Titus homosexuell (oder zumindest bisexuell) ist, hat allerdings der Oper in den letzten Jahren einiges Popularität beschafft.
Dabei ist Titus in der Oper eindeutig heterosexuell, wie ein Blick auf die Vorgeschichte zeigt, die allerdings in Oper selbst nur angedeutet ist. Den Zeitgenossen/innen von Mozart war die unglückliche Liebesgeschichte von Titus und Berenike sicher noch bekannt. (Abgesehen davon, dass das ursprüngliche Libretto, was Mozart bearbeiten ließ, von Metastasio stammt und mehrmals vertont wurde, gibt es auch noch die Tragödien eines Racine und eines Corneilles, wobei die von Corneille möglicherweise eine Quelle des Titus-Librettos sein könnte.
Der Kaiser Titus liebt also die jüdische Königstochter Berenike. Aus Staatsräson darf er sie nicht heiraten, als pflichtbewusster Souverän trennt er sich von ihr. Das ist unmittelbar vor Beginn der Oper geschehen. Titus will daraufhin Servilia heiraten und als er auf die wegen Annio verzichtet (was ihm nach der Musik nicht allzu schwer fällt) will er Vitellia heiraten, für die er sich schon einmal interessiert hat.
Tatsache ist also, Titus sucht keine Lovestory, sondern als pflichtbewusster Souverän ist er es dem Staatsinteresse schuldig, sich angemessen zu verheiraten. Er verzichtet auf die Frau, die er wirklich liebt (eben Berenike). Seine zukünftigen Ehefrauen Servilia und Vitellia wählt er nicht aus Liebe, sondern aufgrund dessen, dass sie als Ehefrauen für Rom akzeptabel sind (mag auch bei Servilia hinzukommen, dass die Freundschaft mit Sesto da mit ein Grund ist.) Es spricht allerdings für ihn, dass er auf Servilia, nachdem er weiß, dass sie einen anderen liebt, verzichtet, also zumindest anderen das gönnt (eine Heirat aus Liebe), worauf er als Kaiser verzichten muss.
Unlogik ergibt sich in diesem Punkt beispielsweise für mich nur deshalb, weil die Geschichte um Berenike eben in der Oper nur mehr zu Beginn kurz angerissen wird und diese nicht selbst auftritt, wodurch die Gründe für Titus' Eheprojekte nicht deutlich erkennbar sind.
Herzliche Grüße
Waltrada
Anmerkung:
Das Statement wurde ursprünglich als Antwort für den Thread Mord und Totschlag ... die 'schönsten' Mordszenen in der Opernliteratur verfasst. Da es dort aber nicht wirklich hinpasst, habe ich mir erlaubt, einen eigenen Thread zu eröffnen. Falls es bereits so einen Thread geben sollte (ich habe nachgesehen, aber nichts Passendes gefunden), bitte ich die Admins/Mods im Voraus um Entschuldigung und darum, dass das Statement dorthin verlinken.