Turandot - noch ein neues Ende

  • Liebe Taminoaner,


    unlängst fand ich unter den Meldungen in Neuen Merker, daß
    wieder ein Versuch zur künstlerisch befriedigenden Komplettierung
    von Puccinis Turandot gemacht wurde.


    Nun hat ein chinesischer Komponist eine Version für den Schluß
    geschaffen, die sich nach dem Pressebericht weit vorwagt und viel
    mehr Eigenkomposition einbringt, als das bei den bisherigen
    Fassungen der Fall war.


    Es handelt sich um den chinesischen Tonschöpfer Hao Weiya.
    Dieser Schluß ist laut französischen Presseberichten in Peking im
    Nationalen Zentrum der szenischen Künste zur Aufführung gekommen.


    Haos Variante dauert 18 Minuten und umfaßt eine neue Arie, zwei
    neue Charaktere und eine Wiederaufnahme des Molihua-Themas, eines
    chinesischen Volksliedes, das Puccini im ersten Akt der Oper zitiert.


    Ich habe leider Arbeit bis zur Unterkante der Operlippe, äh Oberlippe,
    und kann deswegen nicht recherchieren. Da ich natürlich neugierig bin,
    werfe ich mal diesen Köder den Spezialisten aus und hoffe auf Neuigkeiten dazu.


    Gruß, Ulmo

    SINE IRA ET STUDIO (Tacitus)

  • Es kann und wird NIEMALS eine "künstlerisch befriedigende" Komplettierung geben !!


    Man muß sich einmal vor Augen halten, WARUM Puccini den Wettlauf mit dem Tod verloren hat und die Oper nicht mehr fertigstellen konnte:
    Weil er ER SELBST kein für ihn zufriedenstellendes Ende zustandebrachte, Ideen verwarf , und neue notierte, die ihn auch nicht befriedigten.
    Die Alfano Fassung verwendet immerhin Skizzen von Puccini -sowit welche vorhanden waren.
    Alfano bekam den Auftrag von Toscanini, welcher jedoch mit dem Ergebnis nicht 100%ig zufrieden war - aber war Toscanini eigentlich je zufrieden ?


    Puccini - er war schon sehr krank - soll ja an dieser Oper ziemlich lustlos gearbeitet haben - und der Schluß - so kann man nachlesen befriedigte ihn nicht wirklich, deshalb zauderte er auch mit der Vertonung einiger Schlüsselstellen des Finales.


    Die Idee, den "eigenen" Kompositionsstil in den Schluß einzubringen halte ich für einen Stilbruch - und somit für abscheulich....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Abscheulich finde ich das neueste Experiment nicht oder noch nicht, dazu müsste ich das Ergebnis erst einmal hören.


    Bisher konnte das Problem mit dem fehlenden Schluss nicht befriedigend gelöst werden, mag sein, dass dem chinesischen Komponist, der sich nicht so genau an die Vorgaben von Puccini gehalten haben soll, vielleicht eine bessere Lösung gelungen ist als seinen Vorgänger, gerade weil er die Arbeit freier und unbefangener zu lösen versucht hat. Das mag vielleicht nicht ganz das sein, was sich Puccini ursprünglich vorgestellt hat, aber wer sagt eigentlich, dass Puccini, wenn er länger gelebt hätte, es vielleicht auch noch mit einer gänzlich anderen Lösung probiert hätte.


    Interessanterweise ist noch niemand auf folgende Lösung gekommen. Die Oper ganz einfach so enden zu lassen, wie sie Puccini hinterlassen hat, also mit Lius Tod. Das bedeutet zwar eine Akzentverschiebung, aber was spricht eigentlich gegen ein offenes Ende, in dem eine Brautwerbung letztlich damit endet, dass neben den bisherigen Freiern eine gänzlich unschuldige Figur in den Tod getrieben wird?



    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Zitat

    Original von Waltrada
    Interessanterweise ist noch niemand auf folgende Lösung gekommen. Die Oper ganz einfach so enden zu lassen, wie sie Puccini hinterlassen hat, also mit Lius Tod. Das bedeutet zwar eine Akzentverschiebung, aber was spricht eigentlich gegen ein offenes Ende, in dem eine Brautwerbung letztlich damit endet, dass neben den bisherigen Freiern eine gänzlich unschuldige Figur in den Tod getrieben wird?


    Würde ich als Regisseur unbedingt so machen! Liùs Tod, Timurs Klage, die Menge entfernt sich. Ende von Puccinis Musik. Stille. Turandot und Kalaf stehen sich allein gegenüber. Vorhang.


    :hello: Martin

  • Zitat

    Original von Philhellene


    Würde ich als Regisseur unbedingt so machen! Liùs Tod, Timurs Klage, die Menge entfernt sich. Ende von Puccinis Musik. Stille. Turandot und Kalaf stehen sich allein gegenüber. Vorhang.


    :hello: Martin


    Ihr kommt ein bisschen spät :D. In der fragmentarischen Form ist die Oper bereits bei der Uraufführung unter Toscanini erklungen. Und in letzter Zeit hat man m.W. einige Male, der diversen "Vollendungen" überdrüssig, die Oper bewusst als Fragment aufgeführt: u.a. 2005 in der Regie von Andreas Homoki in Dresden (Fabio Luisi dirigierte).



    Viele Grüße


    Bernd

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  • Ich habe jedenfalls noch nie eine "Turandot" erlebt oder davon gehört, die tatsächlich mit Lius Tod und Timurs Klage geendet hat. Zumindest hat sich diese Lösung bisher nicht etabliert. Wie ich schon geschrieben habe, für mich wäre sie (zurzeit jedenfalls) die naheliegendste Lösung.


    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Lieber Philhellenne, ich finde dieses Ende auch viel logischer und besser.


    Wenn am Ende die grausame Turandot noch mit Happy End quasi rehabilitiert wird, geht das Gerechtigkeitsgefühl der zuschauer jedenfalls leer aus.
    Angeblich hat Puccini ja in dieser Oper seine eigene Erfahrung mit einem jungen Dienstmädchen Dora, dass sich aufgrund der Verleumdungskampagne von Elvira Puccini auf grausame Weise das Leben nahm, verarbeitet. Signora Puccin ihat sogar den Gerichtsprozess wegen bösartiger Verleumdung verloren und wäre ins Gefängnis gewandert, wenn Puccini nciht mit hohen Geldsummen.....
    Dass er da eine Figur wie die Liù geschaffen hat, der wenigstens post mortem alle Sympathien des Publikums gehören, wundert nicht weiter.


    Ich frage mich, wie nach diesem Opfertod und dieser Vorgeschcihte Kalaf und Turandot je zusammen glücklich werden können.
    Jedes Happy End ist m.E. unglaubwürdig und wir befinden uns immerhin im Verismo-da sind die Happy Ends nciht verpflichtend! :no:


    F.Q.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen


    Ich frage mich, wie nach diesem Opfertod und dieser Vorgeschcihte Kalaf und Turandot je zusammen glücklich werden können.
    Jedes Happy End ist m.E. unglaubwürdig und wir befinden uns immerhin im Verismo-da sind die Happy Ends nciht verpflichtend! :no:


    F.Q.



    Liebe Fairy,


    ich hab die Turandot länger nicht mehr gehört - aber ist das derzeit "bekannte" Finale wirklich ein Happy End? Ist darin wirklich persönliches Lebensglück von Turandot und Kalf angelegt?


    Ich meine, dass sich das Ergebnis darauf reduzieren lässt, dass letztlich beide "gesiegt" und beide das Gesicht gewahrt haben - nun werden sie letztliche gemeinsam herrschen. Aber ein privates Glück dieser beiden würde ich mir auch vom bestehenden Finale nicht vorgauckeln lassen, dazu sind alle beide viel zu sehr Machtmenschen. Denn das gilt mE auch für Kalaf, der sich letztlich bei der Durchsetzung seiner Eroberungsinteressen weder um das Schicksal seines Vaters noch um das der Liu kümmert.


    LG, Elisabeth

  • Apropos: Gibt es eigentlich eine Aufnahme des kompletten Alfano-Finales? Da mir dieses der beste Teil des sonst in jeder Hinsicht höchst unsympathischen Stücks scheint, würde ich ihn gerne einmal ungekürzt hören.
    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin,
    das Alfano-Finale ist der schwächste Teil, dieses von Dir ungeliebten Stücks. An Deiner Stelle würde ich ihn auf keinen Fall anhören, schon garnicht ungekürzt. :D


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Lieber Edwin, eigentlich müsste die Turandot- ohne den nachgeschobenen Schluss- noch das kleinste Puccini-übel für dich sein!
    Für mich ist sie jedenfalls rein musikalisch die modernste und kühnste Oper des Maestro. UInd die , die ich neben der Tosca noch am ehesten anhören kann.
    Die Liù z.B. hat neben ihren beiden berühmten Arien noch eine dritte Arie, die deutliche harmonische Auflösungen aufweist.
    Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, war ich ganz überrascht, dass das von Puccini sein sollte.
    Am Ende seines Lebens hat er sich der modernen Musik anscheinend doch etwas mehr geöffnet und seinen Anachronismus aufgeweicht. Wahrscheinlich wirst du nun sagen: auch alles nur Effekthascherei.
    Aber wenn man Puccini iüberhaupt eine Chance geben will...... :D


    F.Q.

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Apropos: Gibt es eigentlich eine Aufnahme des kompletten Alfano-Finales? Da mir dieses der beste Teil des sonst in jeder Hinsicht höchst unsympathischen Stücks scheint, würde ich ihn gerne einmal ungekürzt hören.


    Hallo Edwin,


    es gibt m.W. zwei Aufnahmen des kompletten Alfano-Finales, die beide aber nicht im Kontext einer Turandot-Gesamtaufnahme entstanden sind.




    Die eine Einspielung ohne den großen Toscanini-Strich findet man auf einer Recital-CD mit Finalszenen, gesungen von Josephine Barstow. John Mauceri dirigiert, den Calaf gibt Lando Bartolini:



    (kleines Quadrat anklicken)


    Oder hier bei amazon.com:


    http://www.amazon.com/gp/produ…5&creativeASIN=B00000E4KN




    Die andere findet sich als Anhang auf der von Christopher Keene dirigierten Aufnahme von Alfanos Risurrezione - mit Linda Kelm als Turandot und Jon Frederic West als Calaf:



    (wie oben)



    In den 80er Jahren hat's ein paar Aufführungen mit dem vollständigen Alfano-Finale gegeben (u.a. an der New York City Opera, auch mit Keene als Dirigent), von denen aber wohl keine mitgeschnitten worden ist.



    Viele Grüße


    Bernd


  • Lieber Alfred!


    Da bin ich komplett Deiner Meinung, Turandot gehört zu meinen Lieblingsopern und ich will sie so "vollendet" hören, wie es bis jetzt geschehen ist.


    Ich kann mir ein anderes Ende nicht vorstellen und will es auch nicht!


    Liebe Grüße Peter auch aus Wien. :hello: :hello:


  • Sieht man sich z.B. die Inszenierung von Doris Dörrie an, die vor einiger Zeit an der Staatsoper Berlin lief, dann kommt dort gut zum Ausdruck, dass es eben KEIN Happy End ist. Beide enden in einer "Ein-Raum-Wohnung", sie all ihres Glanzes beraubt in der "Kittelschürz" und er mit einer Flasche Bier im breitgerippten Unterhemd und mit Schlappen am Tisch sitzend und auf das Essen wartend.


    Nicht, dass ich die Inszenierung insgesamt gut gefunden hätte, aber den Schluss fand ich klasse.


    LG
    Rosenkavalier


  • Lieber Rosenkavalier!


    Da ist mir eine normale Inszenierung der "Turandot" mit dem bisherigen Ende schon lieber, und ich will diese Inszenierung - wenn auch begeistert geschildert, als völlig daneben bezeichnen.


    "Turandot" ist eine Märchenoper und nicht eine Abwasch - Oper. :kotz: :kotz:


    Und ich habe für solche "Regie - Mätzchen" aber schon gar nichts über!


    Liebe Grüße sendet Dir, der altvaterische Peter aus Wien. :hello:

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  • Zitat

    Zitat Herbert Henn: das Alfano-Finale ist der schwächste Teil, dieses von Dir ungeliebten Stücks


    Wir führen das Alfano- Finale ungekürzt auf.
    Der Qualitätseinbruch ist sehr spürbar und vor allem beim Notentext direkt sichtbar für den Ausführenden.
    Es wird alles ungleich holpriger, der Notentext wird recht "quadratisch" und der Schluß ist einfach nur hereingewürgt.


    Das sind nur meine Befindlichkeiten betreffend der Situation am Cellopult.
    Im Saal mag dies anders rüberkommen, laut genug wird es ja, um einen Beifall zu erzwingen.


    :hello:


    Michael