Harmonische menage à trois - die barocke Triosonate

  • Die Lebensgeschichte der Triosonate ist untrennbar verknüpft mit dem Generalbasszeitalter, also mit dem, was wir landläufig unter Barockmusik verstehen. Ihre Entstehung wurde durch die Entwicklung des Basso continuo erst ermöglicht, und mit seinem Verschwinden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verlor auch die Triosonate an Bedeutung und wurde bald durch andere kammermusikalische Formen ersetzt.


    Die Triosonate als kammermusikalische Gattung ist gekennzeichnet durch die eigenständige Führung zweier Melodiestimmen über dem harmonischen Gerüst des Basso continuo. In den als Sonata a due bezeichneten Werken ist die Funktion des Basso continuo weitgehend auf diese Stützfunktion reduziert; in den Sonate a tre ist er hingegen als dritte Stimme Teil der imitatorischen kontrapunktischen Struktur.


    Die Terminologie war von den ersten Anfängen der Triosonate um 1600 bis ihrem Ende in der zweiten Hälfte des 18 Jh. niemals genau festgelegt. Zu Beginn des 17. Jahrhunderst war neben der Bezeichnung Sonata auch Canzona gebräuchlich, später um 1700 findet man neben Sonata auch Sinfonia oder Concerto, um 1750 finden sich neben diesen auch Begriffe wie Ouverture, Partita, oder Divertimento.


    Die Triosonate entstand im beginnenden 17. Jahrhundert in Norditalien. Dabei liegen ihre Ursprünge sowohl in der vokalen wie auch der instrumentalen Musik dieser Zeit. Für die Entwicklung der Triosonate aus diesen Formen, zu denen das Madrigal, der Canzon und die Canzonetta oder auch das Ricercar gehören, fanden Musikwissenschaftler verschiedene plausible Erklärungen:
    Zum einen war es bereits um 1600 durchaus üblich, bei mehrstimmigen Canzonen oder Ricercaren die Mittelstimmen einfach auszulassen. Ihre harmonische Funktion wurde durch das Harmonieinstrument des Basso continuo ersetzt.
    Alternativ könnte die Trio-Form aber auch durch das Hinzufügen einer zweiten Stimme zu einer zunächst einzeln über einem Basso continuo geführten Melodielinie entstanden sein. Die Triosonate kann jedenfalls durch die polyphone Gleichberechtigung aller Stimmen einerseits und die klare funktionale Trennung von Melodie- und Harmoniestimme auf der anderen Seite als Synthese zwischen Renaissance- und Barockmusik aufgefasst werden.


    Die frühesten erhaltenen Triokompositionen, die den Titel Sonata tragen, stammen von dem Mailänder Komponisten Giovanni Paolo Cima (* um 1570; gest. um 1622) und entstanden um 1610. In ihren Anfängen war die Form der Triosonate noch unbestimmt und erlaubte den Komponisten eine große Freiheit in der Wahl ihrer Mittel. Zu denen, die sich mit dieser Form auseinandersetzten und dabei mitunter zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen kamen, gehörten Komponisten wie Biagio Marini, Giovanni Battista Fontana, Dario Castelli, Salomone Rossi, Tarquinio Merula und Marco Uccellini.


    Ihre Funktion im Musikleben des 17. Jahrhunderts fand die Triosonate sowohl im weltlichen wie auch im kirchlichen Bereich, wo sie zur Mess- und Vesperliturgie zugelassen war. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts wurde aber weder stilistisch noch ausdrucksmäßig zwischen diesen Aufgabenbereichen unterschieden. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts setzte sich der durch die Funktion bedingte Unterschied in der Stilistik durch. Der ernstere Charakter der Sonata da chiesa, der „Kirchensonate“, spiegelte sich in der Verwendung von Fugen und anderen abstrakten Sätzen, die lediglich durch Tempoangaben bezeichnet werden, wieder. Die Sonata da camera, die „Kammersonate“ wird hingegen durch ein Präludium eingeleitet, dem sich mehrere Tanzsätze anschließen.


    Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts breitete sich die Triosonate sowohl durch italienische Komponisten, die in europäischen Musikzentren außerhalb Italiens tätig waren, als auch durch ausländische Komponisten, die Italien bereisten, über ganz Europa aus. Zu den Komponisten, die Triosonaten verfassten, zählten unter anderem Giovanni Legrenzi, Giuseppe Torelli, Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Jakob Walther, Johann Philipp Krieger, Philipp Heinrich Erlebach, Johann Rosenmüller, Dietrich Buxtehude, Henry Purcell, Francois Couperin und Johann Schenk.



    Auch die instrumentale Besetzung der Triosonate unterlag einem Wandel. Als Melodieinstrumente standen sich zu Anfang des 17. Jahrhunderts noch der Zink (Cornetto) und die Violine gleichberechtigt gegenüber. Bald setzte sich die Violine jedoch als wichtigstes Instrument durch und behauptete diese Position bis ins 18. Jahrhundert, wo ihr dann aber Block- und Querflöten und Oboen diese Position streitig zu machen versuchten. Dabei waren sowohl gemischte wie auch gleichartige Besetzung der Melodieinstrumente gängig.
    Es war auch üblich, Triosonaten in unterschiedlichen Tonarten zu veröffentlichen, um die Spielbarkeit sowohl für Streich- als auch Blasinstrumente zu gewährleisten.
    In der 2. Hälfte des 17 Jh. erreichte auch die Kombination von Violine und Viola da gamba als Melodieinstrumente einige Bedeutung, und kann durch die stärkere Betonung des Monodischen durch die Dominanz der Violinstimme gegenüber der tieferliegenden Gambe als Schritt in Richtung der Solosonate aufgefasst werden.
    Der Basso continuo wurde meist durch Viola da gamba, Violoncello und/oder Violone besetzt, aber gerade in der Anfangszeit waren durchaus auch Posaune und Fagott üblich. An Harmonieinstrumenten wurden zunächst noch oft Theorbe und Chitarrone herangezogen, an Tasteninstrumenten kam oft die Orgel zum Einsatz; schon bald jedoch setzte sich das Cembalo als gebräuchlistes Basso continuo-Instrument durch.


    Als einen Höhepunkt in der Geschichte der Triosonate kann man wohl das Erscheinen der vier Triosonaten-Sammlungen von Arcangelo Corelli in den Jahren 1681 bis 1694 bezeichnen. Sie umfassten zweimal 12 sonate da chiesa sowie zweimal 12 sonate da camera, und Corelli führte in ihnen die Triosonate aus der vielfältigen Formensprache, die sich bis dahin entwickelt hatte, zu einem modellhaften Werktypus. In seinen Kompositionen erreichte er trotz einer bewussten Einschränkung der kompositorischen Mittel ein Maximum an Ausdruckskraft und schöpferischer Fülle. Corellis Sonaten verbreiteten sich über ganz Europa und übten einen enormen Einfluss aus.



    Der Corelli’sche Grundtypus der Sonata da chiesa beinhaltet eine viersätzige Satzfolge mit der Tempofolge langsam-schnell-langsam-schnell. Auch die Sonata da camera richtet er, wenn auch weniger streng, an diesem viersätzigen Schema aus aufeinanderfolgenden langsamen und schnellen Sätzen aus. Diese Grundformen variiert Corelli durch die Überlagerung mit anderen Formen, wie die Einführung von Tanzelementen in der sonata da chiesa, oder durch andere Techniken, wie die Unterordnung von traditionell schnellen Tanzsätzen durch Verlangsamung des Tempos in die vorgegebene Satzfolge.


    Durch ihre kompositorische Vielfalt bei sparsamsten Mitteln übten Corellis Sonatenkompositionen einen großen Einfluss auf viele Komponisten seiner und der nachfolgenden Generationen aus.


    In Italien wurde der von Corelli definierte Typus durch Vitali, Caldara, Albinoni und Vivaldi aufgegriffen. In Frankreich verschmolz Couperin ihn mit französischen Stilelementen wie französischen Tänzen und Programmstücken. Henry Purcell wiederum erweiterte Corellis Typus in seinen Sonatas of Three Parts durch englische Stilelemente. Auch Händel und Geminiani komponierten in England Triosonaten der Corelli’schen Form.
    In Deutschland setzte sich Corellis Modell erst nach 1700 und auch dann erst allmählich durch. Erst die nächste Generation an Komponisten wandte sich, zu dieser Zeit schon bewusst historisierend, diesem Typus zu. So veröffentlichte Georg Philipp Telemann 1734 seine Sonates Corellisantes. Auch Heinichen, Fasch, Quantz Hasse, Stölzel und Graupner verfassten Sonates nach dem Vorbild Corellis.


    Mit dem Aufstieg der Solosonate seit dem Beginn des 18 Jahrhunderts nahm die Beliebtheit der Triosonate langsam ab. Im Spätbarock gibt es Bestrebungen, die Triosonate für den Zeitgeschmack durch eine Orientierung hin zur Solosonate und zum Konzert zu modernisieren. Komponisten wie Bach, Händel, Tartini, Leclas und C. Ph. E. Bach nutzten die Form der Triosonate als ganz individuelles Ausdrucksmittel und drückten ihr jeweils ihren persönlichen Stempel auf, aber auch sie konnten ihren allmählichen Niedergang nur verzögern.


    Im Spätbarock löst sich die von Corelli vorgegebene viersätzige Form und Tempofolge wieder zugunsten freierer Formen auf. Der galante Stil hält auch in der Triosonate Einzug und ersetzt allmählich das kontrapunktische Gefüge durch eine weitgehend homophone Satztechnik, in dem die zweite Melodiestimme langsam auf die Funktion einer Füllstimme reduziert wird.


    Mit dem Ende der Trennung von Melodik und Harmonik, wie sie die Barockmusik kennzeichnet, und dem damit einhergehenden Niedergang des Basso continuo ist auch das Ende der Triosonate vorgezeichnet. Entstehen zu Beginn der Mannheimer Schule noch Triokompositionen von Stamitz, Richter oder Cannabich, wird sie bald durch neuere kammermusikalische Formen wie dem Streichtrio oder dem Streichquartett verdrängt.


    Nun warte ich gespannt auf die Vorstellungen Eurer liebsten Triosonaten-Einspielungen, denn noch kenne ich gar nicht besonders viel und möchte gern meine Sammlung um das ein oder andere Schätzchen bereichern. Später kann ich aber vielleicht auch noch das ein, zwei Dinge dazu beitragen.


    Viele Grüße,


    Eure Kerstin


    [Quellen: Musik in Geschichte und Gegenwart, Bilder: Wikimedia Commons]

    Einmal editiert, zuletzt von bachiana ()

  • tolle Threaderöffnung :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:



    Zitat

    Nun warte ich gespannt auf die Vorstellungen Eurer liebsten Triosonaten-Einspielungen, denn noch kenne ich gar nicht besonders viel und möchte gern meine Sammlung um das ein oder andere Schätzchen bereichern. Später kann ich aber vielleicht auch noch das ein, zwei Dinge dazu beitragen.



    Nun da die italienische Musik nie sehr hoch im Kurs bei mir stand, liebe ich natürlich die französischen Varianten umso mehr :D



    aber eine Sammlung von Corelli hat mich dann doch sehr begeitert, sein Op. 5


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    Corelli: Sonate a Violino e violone o cimbalo op. IV
    Banchini / Christensen / Conti / Gohl


    was immer etwas verwirrend ist, dass man bei Trio-Sonate an nur 3 Musiker denkt, dass das kaum noch so gemacht wird finde ich persönlich gar nicht so schlecht.


    So ist doch bei den vielen Aufnahmen das Basso Continuo gleich mehrfach besetzt (Cembalo, Theorbe, Orgel, Harfe usw.)


    und ein besonder schönes Beispiel fällt mir noch aus Frankreich ein:



    Rebel: Trio Sonaten
    Ensemble Rebel


    Die Sonaten erinnern sehr stark an Couperin aber auch stellenweise an Corelli.
    In dieser Sammlung ist auch das "Tombeau de Mr de Lully" enthalten, das man sonst vielleicht nur in der Orchesterversion von Minkowski her ennt.


    Ja natürlich hat auch Lully eine Sammlung von Trio Sonaten verfasst, die sogenannten "Trios pour le Coucher du Roi"


    416X572T9EL.jpg


    Lully: Trios pour le Coucher du Roi (ca. 1660 - 1665)
    Trio Tanis



    leider ist diese einzige komplette Aufnahme dieser Werke absolut unhip
    (wenigstens gibt es dafür andere Aufnahmen mit einer Auswahl) und auch schon lange gestrichen. Trotzdem höre ich die Aufnahme ab und zu ganz gerne :D


    Musiziert wird mit Querflöte, Violine und Harfe
    Die Stück sind natürlich alles andere als italienisch angehaucht, es sind stilisierte Tänze, oder umgearbeitete gesungene Airs.
    Dennoch die Chaconnen sind schon toll :D

  • Corellis op.5 ain't no Trio Sonatas!
    Und wenn noch fünf Lauten, zwei Eierschneider und drei Maultrommeln im Continuo mitspielen, bleiben es dennoch Sonaten für eine Violine mit b.c-Begleitung.


    op. 1-4 sind Triosonaten.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Vorzügliche Einspielungen barocker Triosonaten bieten in meinen Ohren London Baroque. Natürlich auch sehr geeignet, um die einzelnen "nationalen" Schulen miteinander zu vergleichen.



    Triosonaten aus Frankreich (u.a. Lully, Clerambault, Rebel, Couperin etc.)



    Triosonaten aus Deutschland (u.a. Schmelzer, Biber, Kerll, Buxtehude etc.)



    Triosonaten aus England (u.a. Locke, Lawes, Jenkins, Blow etc.)

  • Hallo zusammen,


    der größte Triosonaten-Kenner, mag ich zwar nicht sein, aber die folgende vorzügliche Aufnahme liebe ich sehr:


    Georg Friedrich Händel (1685-1759)
    Triosonaten (HWV 380-385, 393)
    Künstler: Convivium Ensemble
    Label: Hyperion , DDD, 1998


    Viele Grüße
    Frank

    From harmony, from heavenly harmony
    this universal frame began.

  • Guten Tag


    im engeren Sinn gehört auch Bachs Sonate für zwei Traversflöten und Basso continuo BWV 1039 zum Typus der Triosonaten. Unter den vielen Einspielungen von BWV 1039 möchte ich auf diese klangschöne und ausgewogene Aufnahme



    mit dem Ensemble musica alta ripa hinweisen.


    Erwähnen möchte ich noch die sechs Triosonaten BWV 525-530 für Orgel von J.S. Bach.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Jetzt habe ich mich richtig auf die Eröffnung dieses Threads gefreut, habe den Beitrag mit großem Interesse gelesen und war schon drauf und dran, einiger Erunngenschaften der letzten Wochen hier vorzustellen: Da bemerke ich, daß die Werke, für die ich mich begeistere - Violinsonaten mit Basso continuo aus dem 17. und 18. Jahrhundert (von Uccellini über Schmelzer, Biber, Albertini bis Corelli (op. 5) und Carbonelli -, gar keine Triosonaten sind, auch wenn da teilweise 3 Musiker miteinander zugange sind, z. B. Violine, Cello und Cembalo. Dies hier war mir nicht bewußt, jetzt weiß ich es - vielen Dank für die wirklich bereichernde Einführung:


    Zitat

    Original von bachiana
    Die Triosonate als kammermusikalische Gattung ist gekennzeichnet durch die eigenständige Führung zweier Melodiestimmen über dem harmonischen Gerüst des Basso continuo.


    Das, was ich da höre, z. B. Bibers Rosenkranz-Sonaten, sind dann wohl nur ganz schlicht "Sonaten" bzw. "Violinsonaten" oder "Barocksonaten"?


    Frage eines barock Unbedarften, der sich in der Musik des 20. Jahrhunderts eher heimisch fühlt: Unterscheiden sie sich nur in der Besetzung (nur eine Melodiestimme stat zwei) von der Triosonate oder auch im Aufbau (Satzfolge, musikalische Formen usw.)?

  • Zitat

    Original von Gurnemanz
    Das, was ich da höre, z. B. Bibers Rosenkranz-Sonaten, sind dann wohl nur ganz schlicht "Sonaten" bzw. "Violinsonaten" oder "Barocksonaten"?


    Violin-Sonaten oder Sonaten für Violine und b.c.


    Zitat

    Frage eines barock Unbedarften, der sich in der Musik des 20. Jahrhunderts eher heimisch fühlt: Unterscheiden sie sich nur in der Besetzung (nur eine Melodiestimme stat zwei) von der Triosonate oder auch im Aufbau (Satzfolge, musikalische Formen usw.)?


    Ne, die unterscheiden sich erstmal in der Grobstruktur nicht voneinander. Die Formen der da chiesa und der da camera sind gültig, unabhängig von der Besetzung. Übrigens auch für die Concerto-Literatur des Barock sind diese Formen weitestgehend verbindlich (etwa in den Concerti grossi Corellis, A. Scarlattis oder auch Händels). Allerdings wurden diese Formen meist nicht besonders streng befolgt sondern recht unorthodox gehandhabt. Dazu gab's schonmal eine kurze Diskussion im Forum, nämlich ab hier abwärts.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Im Groben gibt es sicher keine allzu großen Unterschiede zwischen Trio- und Solosonaten. Mein Eindruck ist aber, daß die Triosonate häufig "strenger" gehandhabt wird. Sowohl was die Satzfolge betrifft als auch die Satzstrenge innerhalb der Einzelsätze (und innerhalb der Triosonate ist wieder die "da camera" freier als "da chiesa"). Sicher sind das oft Nuancen, von Komponist, nationaler Tradition und Zeit (es gab ja ca. 100 Jahre lang Triosonaten als wesentliche Gattung) abhängig und heute für uns nur andeutungsweise nachzuvollziehen.

    Ich glaube, der KSM sagte mal in einem ganz anderen thread, daß man den "Rang" der Triosonate als Mustergattung für anspruchsvolle reine Instrumentalkomposition mit der des klassischen Streichquartetts vergleichen könnte. Ich kenne auch nicht genügend Stücke gut genug, um das wirklich beurteilen zu können, aber mir leuchtet ein, daß außerordentliche Virtuosität oder manierierte Darstellungen (von Schlachten oder Tierstimmen) eher in der Solo (+ b.c.) sonate zu Hause waren als in der Triosonate. (Liegt natürlich auch wieder nicht nur an der Gattung, sondern am Unterschied zwischen einem Manieristen wie Biber und einem perfektionistischen "Klassizisten" wie Corelli)
    Eine Reihe von Variationen, wie sie das letzte Stück in Corellis op.5 bilden, wäre bei einer Triosonate wohl sehr ungewöhnlich, während selbst der exemplarische Sonatenkomponist es als virtuosen Höhepunkt in die Violinsonatensammlung aufnahm.


    Es gibt aber auch "lockere" Triosonaten, z.B. die zweite Sammlung von Händel, op.5, die oft Arrangements von Tanzsätzen aus Opern u.ä. beinhaltet.
    Ob man die Stücke in Bibers Harmonia Artificiosa... als Triosonaten auffaßt, ist mir auch nicht ganz klar; von der Besetzung her sind sie es, von der Satzfolge dagegen Suiten.


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Original von Klawirr
    Die Formen der da chiesa und der da camera sind gültig, unabhängig von der Besetzung. Übrigens auch für die Concerto-Literatur des Barock sind diese Formen weitestgehend verbindlich [...]. Allerdings wurden diese Formen meist nicht besonders streng befolgt sondern recht unorthodox gehandhabt.


    Danke für die Erläuterung: Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit barocken Violinsonaten scheint mir - und das gilt wohl auch für die Triosonate -, daß die Verbindlichkeit der Formen im 17. Jahrhundert noch viel lockerer war als dann ab ca. 1700. Normativ war hier wohl, wie Kerstin in ihrer Eröffnung schon anführt, Corelli.


    Was mich angeht, finde ich das Experimentieren vor 1700, etwa bei Schmelzer und Biber, insgesamt spannender und faszinierender als die mehr an vorgegebenen Modellen orientierten Produkte des 18. Jahrhunderts (Hildebrandt hat, glaube ich, mal von Concerto-Manufakturen o. ä. gesprochen, fand ich ganz sinnig).

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ob man die Stücke in Bibers Harmonia Artificiosa... als Triosonaten auffaßt, ist mir auch nicht ganz klar; von der Besetzung her sind sie es, von der Satzfolge dagegen Suiten.


    Auf die Idee, Bibers »Harmionia Artificiosa« als Triosonaten zu bezeichnen, wäre ich eigentlich nie gekommen - obwohl Du natürlich recht hast, daß sie es von der Besetzung her sind. Aber der Charakter der Werke weicht doch ganz erheblich von dem »Standard« der Triosonate (oder dem, was wir dafür gemeinhin halten) ab - was dafür spräche, daß »Triosonate« eben vielleicht doch nicht allein eine Besetzungsbezeichnung ist, sondern auch etws über Gehalt und Ausdruck der Werke sagt. Biber nennt die Dinger ja auch explizit »Partien« und eben nicht »Sonaten« (er nennt sie nicht einmal »Partitas«, was ja so ein wenig der ital. Pendent-Begriff zu »Suite« gewesen ist). IMO sind sie hinsichtlich der Satzfolge weder wirklich Sonaten (im Sinne der strengen da chiesa-Form) noch richtige Suiten, da einige der Sätze weder Tanzcharakter haben noch als solche bezeichnet werden und das betrifft ja nicht nur die Eingangssätze). In den Rosenkranz-Sonaten, in denen man dem Gegenstand gemäß ja wohl eigentlich strenge da chiesa-Sonaten erwarten würde, streut Biber dagegen fröhlich Tanzsätze ein. Hm... Vielleicht wuchert hier die barocke Phantasie noch ganz undiszipliniert und von strengen Formschemata unbeleckt wild vor sich hin.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr


    Auf die Idee, Bibers »Harmionia Artificiosa« als Triosonaten zu bezeichnen, wäre ich eigentlich nie gekommen - obwohl Du natürlich recht hast, daß sie es von der Besetzung her sind. Aber der Charakter der Werke weicht doch ganz erheblich von dem »Standard« der Triosonate (oder dem, was wir dafür gemeinhin halten) ab - was dafür spräche, daß »Triosonate« eben vielleicht doch nicht allein eine Besetzungsbezeichnung ist, sondern auch etws über Gehalt und Ausdruck der Werke sagt. Biber nennt die Dinger ja auch explizit »Partien« und eben nicht »Sonaten« (er nennt sie nicht einmal »Partitas«, was ja so ein wenig der ital. Pendent-Begriff zu »Suite« gewesen ist). IMO sind sie hinsichtlich der Satzfolge weder wirklich Sonaten (im Sinne der strengen da chiesa-Form) noch richtige Suiten, da einige der Sätze weder Tanzcharakter haben noch als solche bezeichnet werden und das betrifft ja nicht nur die Eingangssätze).


    Es sind ganz klar Suiten, jeweils mit einem Präludium (auch "Sonata" oder "Intrada") und dann einer Tanzfolge. Wenn da mal eine "Aria", Chaconne oder eine Variationenfolge dabei ist, widerspricht das keineswegs der Suiteneinordnung. Das ist ja bei Bachs d-moll-Partita f. Violine solo oder bei einigen von Händels Cembalosuiten genauso. Ich sehe gerade, daß Corellis op.2,12 auch nur aus einer einzelnen "Ciaconna" besteht. Warum Biber auf Bairisch-Lateinisch die Dinger Partien und nicht Partiten nennt, weeß ich's...


    Zitat


    In den Rosenkranz-Sonaten, in denen man dem Gegenstand gemäß ja wohl eigentlich strenge da chiesa-Sonaten erwarten würde, streut Biber dagegen fröhlich Tanzsätze ein. Hm... Vielleicht wuchert hier die barocke Phantasie noch ganz undiszipliniert und von strengen Formschemata unbeleckt wild vor sich hin.


    Die Formschemata sind halt nicht streng, deswegen ist auch kein Durchbrechen notwendig. Das Ungewöhnlichste bei Biber dürfte die Skordatur sein (wenngleich er auch da nicht der einzige war). Aber insgesamt sind es m.E. Triosonaten. Natürlich war er kein Corelli-Nachfolger, war ja sogar ein paar Jahre älter und jedenfalls selbständig genug ohne solch ein Muster auszukommen, selbst wenn Ende des 17. Jhds. Corellis opp. 1-4 schon weithin als paradigmatisch anerkannt gewesen sein sollten.


    Dieses Bibersche Werk verdiente übrigens vielleicht einen eigenen thread. Mir scheint ein ziemliches Mißverhältnis in Popularität, Anzahl der Plattenaufnahmen und Repräsentation hier im Forum zwischen den Mysterien des Rosenkranzes und der Harmonia Artificiosa-ariosa zu herrschen... ;)


    :hello:


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Es sind ganz klar Suiten,



    kleiner Einspruch. :D


    Die Sammlung "Harmonia artificiosa" sind Triosonaten, so wird es auch in meiner Einspielung des Tafelmusik Barockensembles im Booklett beschrieben:


    "barocke Trios"


    Es ist überdies völlig irrelevant ob eine Sonate Tanzsätze aufweist oder nicht, das macht sie noch nicht zur Suite.
    Kaum ein barocker Komponist hielt sich an die Regeln.


    Allein bei Corellis Sonaten und Concerti finden sich ja auch reichlich Tanzsätze.
    Im 17. Jahrhundert scheint man sowieso lieber experimentiert zu haben, als Regeln zu befolgen :D Bei Jean Baptiste Farinelli oder Johann Christoph Pez wird es dann richtig nett - da lässt sich dann gar nichts mehr einsortieren, wenn auf einmal ein "Concerto Grosso" Ouvertüre, Chaconne und Bourree aufweißt, oder die völlig freien "Concerts" von Farnelli und Valoix, die am Hof zu Hannover entstanden - die haben nichtmal eine Mehrsätzigkeit.



    Ich denke den Unterschied könnte man in der "Tanzbarkeit" der Tänze finden.
    Bei den "echten" Suiten wurde da immer Wert drauf gelegt.
    Die Tänze in italienischen Sonaten oder Concerti sind da doch eher freier und nur an die echten Tänze angelehnt.
    Aber ich glaube auch da wird man auc genug finden, dass dieser Ansatz auch nix taugen wird :wacky:

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Es sind ganz klar Suiten, jeweils mit einem Präludium (auch "Sonata" oder "Intrada") und dann einer Tanzfolge.


    Ja, ganz klar - insbesondere die 6. (D-Dur), die aus Präludium, Aria (mit 13 Variationen) und Finale (Adagio-Allegro) besteht. ;) Aber recht hast Du schon: die meisten den 7 Partien haben ein Suiten-Outfit - wobei die einzelnen Sätze IMO dann häufig aber keinen besonders tänzerischen Charakter aufweisen.


    Zitat


    Dieses Bibersche Werk verdiente übrigens vielleicht einen eigenen thread. Mir scheint ein ziemliches Mißverhältnis in Popularität, Anzahl der Plattenaufnahmen und Repräsentation hier im Forum zwischen den Mysterien des Rosenkranzes und der Harmonia Artificiosa-ariosa zu herrschen... ;)


    Schau mal hier.


    Viele Grüße,
    Medard


  • Reinhard Goebel ist da anderer Meinung. Er sieht in diesem Werk den Versuch Bibers, einen eigenen Weg in der Instrumentalmusik zu gehen und mit der Harmonia artificiosa der [Zitat Goebel, Booklet zur Einspielung der H.a. mit der Musica Antiqua)] »in belanglosen Terzen daherkommenden italienischen Triosonate wie auch dem von seinem Rivalen Georg Muffat repräsentierten französischen Stil sein eigenes musikalisches Credo entgegenzusetzen.« (S. 12)


    Klingt ein bissel pathetisch, nicht ? - In der Sache ist da aber vielleicht sogar was dran. Immerhin verwendet Biber (das ist jetzt nicht Goebel) für sein Werk - und dies vielleicht nicht zufällig - die italienische Bezeichnung für eine französische Form ins südostdeutsche Idiom gefaßt. Und die Musik ist auch irgendwie wundervoll widerborstig zwischen den Stilstühlen... :D


    Viele Grüße,
    Medard


  • Dann haben wir ein unterschiedliches Verständnis von Suite. Was wäre eine echte Suite?
    Wie in dem oben verlinkten thread zu Händels concerti halte ich die Unterscheidung in die drei Grundformen Sonata da chiesa (langsam-schnell-langsam-schnell), (ital.) Concerto (schnell-langsam-schnell) und Suite Ouverture/Prelude + Tanzsätze für allgemein üblich. Natürlich kann man fast überall noch zusätzliche Sätze einfügen oder manches weglassen (wie das Präludium), aber sehr häufig ist die Grundform zu erkennen. Alle der bekannten 18 Claviersuiten Bachs haben die Suitenform, ebenso seine 6 Cellosuiten und die 3 "Partiten" (h, d, E) f. Violine solo. Die ersten beiden Gambensonaten, die ersten 5 Violine+Cembalosonaten und die 3 Sonaten (a-moll, g-moll, C-Dur) f. Violine solo haben die Kirchensonatenform, die g-moll-Gambensonate z.B. und die meisten der 6 Orgeltriosonaten die "Concerto-Form"


    Alle 7 Werke Bibers haben ein als Praeludium, Intrada oder Sonata bezeichnetes Vorspiel, alle außer der 6. haben mindestens Allemande und Gigue als Tanzsätze.
    Wenn man also mit Suite nicht bloß "Instrumentale Tanzfolge aus einem Bühnenwerk in franz. Sprache" meint, sondern, wie im üblichen Sprachgebrauch auch Bachs u. Händels Cembalosuiten etc., sind die "Partien" Bibers Suiten. Meinetwegen auch "Kammersonaten". Das sind bei Corelli meistens auch Preludio + Tanzfolge.
    Wie tanzartig die Tänze sind ist dabei egal.


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Original von Klawirr


    Ja, ganz klar - insbesondere die 6. (D-Dur), die aus Präludium, Aria (mit 13 Variationen) und Finale (Adagio-Allegro) besteht. ;) Aber recht hast Du schon: die meisten den 7 Partien haben ein Suiten-Outfit - wobei die einzelnen Sätze IMO dann häufig aber keinen besonders tänzerischen Charakter aufweisen.


    Da sowohl Händels einzelne Chaconne in der 1733 Sammlung gemeinhin als Suite mitnumeriert wird und wie oben gesagt auch Corelli bei "Sonaten" (da camera) eine einzelne Chaconne bzw. eine Variationenfolge enthalten sind, eine Suite im Extremfall (auch wenn da nichts einander folgt ;)) also anscheinend aus einem Stück bestehen kann, sehe ich nun gar keine Schwierigkeit ein Werk mit sogar drei Sätzen als Suite aufzufassen, oder eben Kammersonate, die bei Corelli Präludien und (Tanz-)Sätze wie (relativ kurze) Suiten haben.


    Zitat

    Schau mal hier.


    Gut, ich hatte zwar in Erinnerung gehabt, daß es was gab, dachte aber das sei im Biber-thread gewesen. Vielleicht sollte man Spezifisches zu diesen Stücken dann dort weiterdiskutieren.


    viele Grüße


    JR

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  • ich seh das eher so, dass die Frage ob es eine Suite oder eine Sonate ist, im Stil der Komposition beantwortet wird.
    Nicht so sehr vom Aufbau.


    Eine Suite ist vom Aufbau eigentlich immer gleich:


    1. Ouvertüre / bzw. in älteren Suiten Paduan (Pavane) oder in Suiten für Soloinstrumente (Prelude) Intrada steht meist bei Suitensammlungen nur am Anfang der Gesamten Sammlung.
    Sonate nie.


    2. dann folgen die Tänze: Allemande - Courante - Gavotte Gigue


    das ist der Stammbausatz.
    Je nach Geschmack und Laune kommen eben weitere Tänze hinzu.


    Eine Sonate ist da viel flexiber, es gibt da entweder den Wechsel von schnellen und langsamen Sätzen, und / oder eingeflochtene Tänze.


    Freie instrumentale Stücke findet man in den Suiten des 17. Jahrhunderts sehr selten. Erst gegen Ende des Jahrhunderts finden sich "Charakterstücke" aber "Variationssätze" wie sie bei Biber in vielen Sonaten zufinden sind, habe ich noch in keiner Suite gesehen.
    Ebenfalls keine Suiten die von Sätzen mit der Bezeichnung "Sonata" eröffnet werden.
    Aber das muss nichts heißen, schließlich kenne ich nicht alles :D


    Aber ich denke soweiso nicht dass man alles so einfach in Schublade einsortieren kann.
    Deshalb nannte ich ja das Beispiel mit Farinelli / Valoix und Pez.


    Das die Tanzbarkeit keine Rolle spielt sehe ich aber anders.
    Wenn man sieht welch elementare Rolle der Tanz im 17. Jahrhundert spiete, kann man das nicht einfach als bedeutungslos erklären.


    fünf Partien der Harmonia Artificiosa sind für 2 Violinen mit B.C. gesetzt.
    Nur in den Partien IV und VII sollen noch 2 "Viola d'Amore" (VII) und eine weitere Violine und eine Bratsche (IV) zum Continuo dazukommen.
    Sieht eigentlich schwer nach Trio aus.


    die Ähnlichkeit mit Corellis "Sonatas di Camera" ist ja durchaus gegeben.
    Die haben genauso Tanzsätze, sind aber trotzdem Sonaten.


    Genauso könnte man die Pieces en Trio von so vielen französischen Komponisten als Suiten bezeichnen, denn formal sind sie absolut Suiten - aber das sah man wohl damals nicht so eng.


    Man kommt also mit solchen Überlegungen gar nicht weiter.
    Es ist weder das eine noch das andere - und das, wie ich glaube, mit voller Absicht.



    Von Johann Joseph Fux gibt es eine ähnlich konzipierte Sammlung.
    Wahrscheinlich existieren noch weitere solcher "Zwitter" von anderen Komponisten aus dem Süddeutschen Raum.
    Er bezeichnete diese "Partiten" allerdings als Sinfonias, obwohl sie mit den eigentlichen Sinfonias, die man aus dieser Zeit kennt, gar nichts gemeinsam haben, sie sind sowohl Sonate als auch Suite, oder gar nichts vo beiden.
    Ähnliche Werke findet man viel später von Komponisten der nächsten Generation, als Vorläufer der klassischen Symphonie.
    (Boyce, Arne, Pugnani...)


    Um das zu verdeutlichen mal zwei Beispiele daraus, die Satzbezeichnungen der "Sinfonias" von Fux:


    Sinfonia II
    1. Allegro assai - Grave - Allegro - Adagio
    2. Libertein
    3. Entrée
    4. Menuet
    5. Passepied
    6. Ciacona


    Sinfonia VII
    1. Adagio - Andante- Allegro
    2. La joye des fideles sujet (Allegro)
    3. Aria italiana - Aire francoise
    4. Les enemies confus (Maestoso e disciso)




    diese Werke gehören alle in die Epoche der "Goût réünis" der vermischten Geschmäcker. Für mich sind das "Fusionen" der beien Gattungen Suite und Sonate - sie sind weder das eine noch das andere, sondern etwas neues.

  • Guten Tag


    bereits 1687 veröffentlichte Jan Adam Reincken seine Sammlung "Hortus musicus", die ihrer Besetzung nach ( 1. Violine, 2. Violine, basso continuo) Triostrukturen aufweisen. Vorbilder waren T. Albonini und A. Corelli.


    Eine herausragende Einspielung des "Hortus musicus" bietet das Purcell Quartet in dieser



    Aufnahme.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

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  • Ohne die Harmonia artificiosa-ariosa von Biber zu kennen, würde ich nach meinem *ahem* gründlichen Quellenstudium ;) und allem was ich hier gelesen habe, diese Stücke durchaus zu den Triosonaten zählen.


    Die Tanzsuitenform war vor Corelli wohl durchaus üblich, und erst er hat bzw. in seiner Zeit wurde diese Folge aus Tanzsätzen unter das Schema langsam-schnell-langsam-schnell gepresst (wobei natürlich klar sein muss, dass zu allen Zeiten die Regeln nur dazu da waren, um sofort wieder Ausnahmen dazu zu schaffen).


    Wenn also solche Tanzsuiten-Formen vor Corelli ohne weiteres zur Gattung Triosonate gezählt werden, gibt es für mich keinen Grund, Bibers Kompositionen davon auszuschließen, wenn sie vielleicht auch durch ihre Einzigartigkeit und möglicherweise auch einen Mangel an Nachahmern am Rande dieser Gattung stehen mögen. Sie sind vermutlich nur ein weiteres Beispiel für die vielfältigen Wege, die die Komponisten fanden, um sich mit dieser Form auseinanderzusetzen.


    (NB: Wie schön, dass hier sich schon so viel tut! Das ist ja, wie wenn man beim Gärtnern nicht mehr leistet, als ein kleines graues Samenkorn in die Blumenerde zu drücken, und nach zwei Wochen wird man mit einem wunderbaren Pflänzchen belohnt!)



    Ohne dem lieben H.I.F. Biber zu nahe treten zu wollen, möchte ich eine meiner Lieblings-CDs mit Werken eines anderen Komponisten vorstellen, die gerade - wie so oft - bei mir im Player liegt und die mittlerweile von der Firma ZigZagTerritoires freundlicherweise in das Midprice-Segment verlegt wurde, so dass Ausreden, warum man diese CD nicht umgehend in seinen CD-Schrank stellt, nicht mehr akzeptiert werden können. :]


    Es handelt sich um diese Platte der Zusammenkunft der ehrenhaften Neugierigen (oder so ähnlich, mein Französisch ist ziemlich bescheiden):



    Sie enthält Solo-, Trio- und Quattro(?)-Sonaten des Georg Friedrich Händel, in verschiedenen Besetzungen mit Violine und Oboe. Ganz besonders liebe ich die allererste Triosonate für Oboe, Violine und B.c. HWV 386 (op. 2/1).


    Klanglich finde ich diese Kombination zum Dahinschmelzen, besonders wenn die Instrumente so schön gespielt werden wie von Amandine Bayer und Antoine Torunczyk, die dem ein oder anderen schon aus anderen Barockformationen wie dem Cafe Zimmermann bekannt sein dürften.


    Das Booklet gibt umfangreich Auskunft zu den Stücken, und es wird besonders klar, wie flexibel Komponisten und/oder Herausgeber (nicht immer waren die Komponisten damit einverstanden) bei diesen Kompositionen mit der Besetzung umgingen.So liegt das erwähnte Trio sowohl in Ausgaben für Flöte und Violine in h-moll, als eben auch für Oboe und Violine in c-moll vor.


    Das ist eine von den CDs, die ich jedesmal, wenn ich sie im Laden sehe, gerne kaufen würde, wenn ich sie nicht schon hätte... Ganz dickes Plus von mir! :yes:


    Viele Grüße


    Kerstin

    3 Mal editiert, zuletzt von bachiana ()

  • Zitat

    Original von Bernhard
    Erwähnen möchte ich noch die sechs Triosonaten BWV 525-530 für Orgel von J.S. Bach.


    Und von diesen wiederum gibt es auch "Rückbearbeitungen" für Triosonatenbesetzung, die ich sehr reizvoll finde (gibt es solche eigentlich auch von J.S.Bach selber? Mir sind keine bekannt, halte es aber nicht für ausgeschlossen.)


    An Einspielungen kenne ich jedoch nur eine einzige, der Triosonate BWV 529 durch das Purcell-Quartet (das ich auch äußerst schätze). Bearbeitet hat sie der Cellist desselbigen, Richard Boothby. Sie findet sich auf dieser CD:



    Gibt es noch mehr Einspielungen der Bach'schen Triosonaten in Triosonaten-Besetzung?

  • Zitat

    Ohne die Harmonia artificiosa-ariosa von Biber zu kennen, würde ich nach meinem *ahem* gründlichen Quellenstudium ;) und allem was ich hier gelesen habe, diese Stücke durchaus zu den Triosonaten zählen.


    Die Tanzsuitenform war vor Corelli wohl durchaus üblich, und erst er hat bzw. in seiner Zeit wurde diese Folge aus Tanzsätzen unter das Schema langsam-schnell-langsam-schnell gepresst (wobei natürlich klar sein muss, dass zu allen Zeiten die Regeln nur dazu da waren, um sofort wieder Ausnahmen dazu zu schaffen).


    Wenn also solche Tanzsuiten-Formen vor Corelli ohne weiteres zur Gattung Triosonate gezählt werden, gibt es für mich keinen Grund, Bibers Kompositionen davon auszuschließen, wenn sie vielleicht auch durch ihre Einzigartigkeit und möglicherweise auch einen Mangel an Nachahmern am Rande dieser Gattung stehen mögen. Sie sind vermutlich nur ein weiteres Beispiel für die vielfältigen Wege, die die Komponisten fanden, um sich mit dieser Form auseinanderzusetzen.


    Das Problem ist, daß hier zwei verschiedene Kriterien zur Gattungszuschreibung neben- wenn nicht gar gegeneinander stehen: zunächst ein Kriterium, daß die Besetzung zum Definitivum macht (Trio-Sonate, wobei das Wörtchen »Trio« besonderes Gewicht erhält) und ein zweites Kriterium, daß eher die Sonaten/Suiten Differenz zum Definitivum macht. Das ist ein Problem, das zeitgenössisch wahrscheinlich irrelevant war. Dann allerdings wäre die Frage, ob man vor Corelli überhaupt irgendetwas zur Gattung der »Triosonate« gezählt hat oder ob nicht erst aus einer post-Corelli-Perspektive alles, was für eine Besetzung komponiert wurde, die irgendwie mit der der Corellischen Triosonate korrespondiert, unter dieses Rubrum gezählt wird.


    Naja, einerseits ist das Erbsenzählerei.


    Andererseits eben auch nicht, wenn man etwas Trennschärfe bewahren will. Corellis Sonate da Camera a trè op. II und IV könnten wir ja ggf. auch als Tanzsuiten fassen – doch entsprechen sie eben nicht der vom Lullisten weiter oben angegebenen mehr oder eher minder fixen Satzfolge der französischen Suite (Allemande-Courante-Sarabande-Guige), sondern bestehen aus einem Preludio und zwei oder drei weiteren Sätzen, häufig dann eben Tänze aber eben auch nicht ausnahmslos oder durchgängig. Das sind also keine Tanzsuiten, die zur Triosonatenform gezählt werden, weil sie eben für diese Besetzung geschrieben sind, sondern da camera-Sonaten – und da gehört, wenn ich's jetzt recht überlege, wahrscheinlich Bibers H.a. rein [die Du unbedingt kennenlernen solltest :yes: ], wenn man sie denn unbedingt in ein Formschema fassen will, das zur Zeit ihrer Entstehung alles andere als verbindlich war.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von bachiana


    Und von diesen wiederum gibt es auch "Rückbearbeitungen" für Triosonatenbesetzung, die ich sehr reizvoll finde (gibt es solche eigentlich auch von J.S.Bach selber? Mir sind keine bekannt, halte es aber nicht für ausgeschlossen.)


    Zu den Trosonaten BWV 525 - 530 fehlt mir das genaue Hintergrundwissen, das weiß die "Orgelfraktion" bestimmt mehr :)
    Sie waren wohl für Bachs ältensten Sohn Wilhelm Friedemann gedacht und stellen ein frühes Experiment der Triosonate für zwei Melodieinstrumente und Bass dar, und könnten z.B. von Köthner Sonaten für Violinen und Clavier herstammen. Bei BWV 528 findet man den ersten Satz in einer Kantatensinfonia und den zweiten Satz von BWV 527 hört man als Mittelsatz des Trippelkonzert BWV 1044 .



    Diese hervorragende Einspielung liegt mir auch vor, weitere Einspielungen sind mit auch nicht bekannt.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Eine Suite ist vom Aufbau eigentlich immer gleich


    Gerade in der Barockmusik ist nie etwas "immer gleich".


    Die Diskussion hier ist zwar ganz erhellend, weil jeweils ganz unterschiedliche Zeugen aufgerufen werden, schießt aber doch übers Ziel hinaus, weil es das überhaupt nicht gibt.


    Erst mit Corelli schält sich so etwas wie ein verbindliches Schema für die Triosonate heraus. Das kann man Kerstins Einführung ( :jubel:) doch eigentlich sehr schön entnehmen.
    Allerdings herrscht damit noch keine Verbindlichkeit in der Nomenklatur. Und die gibt es auch gar nicht. Die strenge Klassifizierung nach Satztypen und/oder Besetzung ist eine Erfindung späterer Zeiten und ist zwischen 1600 und 1750 sowieso müßig, betrachtet man sich die Vielfalt der gleichzeitigen und regional unterschiedlichen Stile, die sich zudem noch in unregelmäßigem Tempo entwickeln.
    Das gilt mit Einschränkungen sogar für das sonst so reglementierungswütige Frankreich.


    Als Minimalkonsens für den Begriff Suite ließe sich vielleicht festhalten, dass es sich um eine Folge (eben: Suite) von Musikstücken handelt, ganz gleich ob es sich um Tanzsätze, kontrapunktisches Machwerk oder eine Folge von Variationen handelt.
    Die Variationen waren übrigens in den einzelnen Stücken dann von vornherein intendiert, wenn Teile wiederholt werden sollten. Dann handelt es sich ja bekannterweise um die Freigabe zum Verzieren und Improvisieren, also Verändern. Der mögliche Rahmen musste sich dabei wohl auch an der Tanzbarkeit orientieren, was aber bei eher solistischer Besetzung (Laute, Tasteninstrumente) wegfiel - mit eine Wurzel für die Variationskunst der Cembalisten.


    Für den Aufbau einer Suite aus Tanzssätzen lässt sich Verbindliches ebenfalls höchstens für kurze Zeiträume und bestimmte Regionen feststellen, manchmal sind auch Einzelpersonen schuld (Lully, Froberger).


    Der Begriff 'Triosonate' bezeichnet alles mögliche, aber erst im 18. Jahrhundert das, was uns von Musiklehrern als solche erklärt wurde.
    Und eigentlich trifft nach heutigem Verständnis auf die Triosonate alles zu, nur nicht 'Trio-'. Fast immer sind mehr als drei Instrumente beteiligt, und ebenso hört man nahezu immer mehr als drei Stimmen.
    Hier könnte der Ansatz heißen: Zwei Stimmen plus Basso continuo. Das Nähere regeln Komposition und Ausführung.
    Welche und wieviele Sätze gespielt werden, ist wie bei der Suite bestenfalls für bestimmte Zeiten und Orte festzulegen. Bedenkt man dabei, dass vor allem in Italien in nahezu jedem Dorf anders komponiert wurde, wird man das besser sein lassen.


    Ein gewaltsames Klassifizieren ist nutzlos, es verliert sich irgendwo in Beispielen und Gegenbeispielen.

  • Guten Tag


    gerade die deutschen Komponisten des 18. Jahrhundert waren Meister des "vermischten Geschmacks", bei denen französische und italienische Stilelemente vereinigt wurden. Im hohen Maße ist dies bei den Triosonaten von Händel, Telemann und auch Bach der Fall. Deren Triosonaten sind durch eine stilitische Bundheit und persönlichen Stil ihrer Komponisten geprägt.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Bernhard


    Erwähnen möchte ich noch die sechs Triosonaten BWV 525-530 für Orgel von J.S. Bach.


    Wie sind in diesem Zusammenhang Bachs Orgeltrios z.B. BWV 583 und 586 zu sehen ?
    Das Orgeltrio BWV 583 soll neueren Forschungen zufolge eine Bearbeitung einer Triosonate in c-moll für zwei Violinen und b.c. von Joh. Friedr. Fasch sein.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Bernhard
    Erwähnen möchte ich noch die sechs Triosonaten BWV 525-530 für Orgel von J.S. Bach.


    Gerade diese eignen sich schlecht für die Überschrift.
    Wenn ich mich richtig erinnere, steht da zwar "Sonaten" drüber, aber erstens wäre 'Sonate' auch ein schönes weites Feld für Begriffsbestimmer und zweitens handelt es sich (auch) um die Aufnahme der frz. Orgeltrios als Vorgabe für eine Folge nach eher italienischem dreisätzigem Modell.
    Drittens wollte er damit vor allem seinen Ältesten triezen. :D


    Außerorgelige Einspielungen gibts einige: Pedalcembalo/-clavichord, in Triosonatenbesetzungen, aber auch für zwei Gitarren etc. pp.
    Die meisten waren wohl eher kurzlebig.

  • Da es bereits einen umfangreichen thread zu den Triosonaten Bachs für Orgel gibt, bitte ich darum, Näheres zu diesen Stücken dort weiter zu besprechen.


    Einige weitere schon bestehende threads sammle ich mal:


    Buxtehude: Kammermusik


    Corelli allgemein (allerdings steht dort noch nicht sehr viel zu opp. 1-4)


    Biber: Harmonia ...


    Zelenka allgemein


    Weitere einschlägige Verweise können gerne ergänzt werden (ich war eigentlich sicher, irgendwo schonmal über Händelsche Kammermusik diskutiert zu haben, aber es gibt anscheinend keinen expliziten thread dazu)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo!


    Ich hatte ja schon vor langem verkündet, hier etwas beitragen zu wollen. Leider bin ich immer noch nicht dazu gekommen, mich ausführlich mit den Triosonaten zu beschäftigen, möchte aber, bevor ich es ganz aus den Augen verliere, hier ein paar Kommentare abgeben, die ich allerdings durch bunte Coverbildchen strecke.


    Als Großmeister der Triosonate erscheint mir Arcangelo Corelli mit seinen vier Zwölferpacks, die mir allerdings durchaus unterschiedlich gut gefallen. Während ich op. 1 und op. 2 als interessante, aber nicht herausragende Werke empfinde, halte ich op. 3 und op. 4 für großartige Meisterwerke.
    Alles sind durchweg sehr ausgereifte und ausgefeilte Kompositionen; Corelli schuf sie im Alter von 28 bis 41 Jahren (op. 1 ist von 1681, op. 2 von 1685, op. 3 von 1689, op. 4 von 1694).
    Warum ich zwischen den ersten beiden und den folgenden beiden Opera qualitativ unterscheide, kann ich leider nicht richtig begründen. Jedenfalls scheint mit op. 4 das vielseitigste, vormfollendetste Werk zu sein. Opus 4 würde ich dann auch als meinen Favoriten bezeichnen, auch wenn als Einzelsonate die letzte aus op. 3 (Nr. 12 A-dur) am meisten Eindruck auf mich gemacht hat.
    Laut Reclam Kammermusikführer sind die Triosonaten Corellis mit ihrer Vielfalt, Bedeutung und Detailreichtum allenfalls dem Haydnschen Streichquartettschaffen zu vergleichen. Das scheint mir etwas hochgegriffen (der zuständige Autor im Reclam-Führer ist ein Corelli-Fan, das merkt man), dennoch ist eine systematische Beschäftigung hier sicher sehr lohnenswert.
    Schließlich gibt es ja auch eine kostengünstige Gesamtaufnahme:



    Diese Aufnahmen von Musica Amphion gefallen mir sehr gut. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist wohl unschlagbar.
    Den Vergleich mit einer anderen Aufnahme habe ich aber nur im Fall von op. 3, nämlich mit dieser mit dem Ensemble Aurora:



    Die beiden Aufnahmen könnten unterschiedlicher kaum sein. Musica Amphion ist deutlich schneller unterwegs, interpretiert kontrastreicher und "extrovertiert". Das Ensemble Aurora verfolgt eher einen "introvertierten" Ansatz, es wird deutlich entspannter musiziert.
    Was nun der überzeugendere Ansatz ist, hängt auch von den einzelnen Sonaten ab. So scheint mir die Kühnheit und Exzentrität der 12. Sonate A-dur in der Amphion-Aufnahme hervorragend getroffen, während sie bei den Auroras zu brav gespielt wird. Hingegen ist bei der 2. Sonate D-dur das Ensemble Aurora wunderbar einfühlsam für die subtile Klangwelt dieser Sonate, während sie bei den Amphions eher pauschal rüberkommt.


    Zu Corelli werde ich (hoffe ich) irgendwann mal noch mehr schreiben. Ich möchte aber auf jeden Fall noch Henry Purcell erwähnen.



    Seine in zwei Sammlungen herausgegebenen 22 Triosonaten wurden hier erstaunlicherweise noch so gut wie gar nicht erwähnt. Dabei gehören sie sicher zu den bedeutendsten Kompositionen der Gattung. Ich gebe zu, bei mir bleiben die Werke nach dem Hören kaum hängen, aber während des Hörens bin ich stets sehr angetan. Wer an Triosonaten interessiert ist, der sollte um Purcell keinen Bogen machen!


    Und dann habe ich noch einen Tip für den lullistischen Beethovenliebhaber: :D
    Die Triosonate d-moll RV 63 von Antonio Vivaldi könnte eine italienische solche sein, die Du mehr als einmal hören möchtest:



    Es ist eine sehr mitreißende "La-Follia"-Sonate, sie erinnert stark an Corellis op. 5 Nr. 12.


    Viele Grüße,
    Pius.

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